Zum Kontinent des eisigen Südens

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Aus der Reihe: Edition Erdmann
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Auf den Kerguelen ließen wir die Matrosen Josef Urbansky und Georg Wienke zurück. Ersterer, vom Seebataillon für die Expedition beurlaubt, hatte sie bis nach den Kerguelen auf dem »Gauß« begleitet. Er hat seine Pflichten auf den Kerguelen treu und zuverlässig erfüllt, insbesondere auch in seiner Eigenschaft als Schlosser gute Dienste geleistet.

Georg Wienke hatte die Herren Enzensperger und Dr. Luyken bei ihrer Fahrt über Sydney begleitet. Er versah auf der dortigen Station die Küche, außerdem hatte er an dem Museum für Naturkunde zu Berlin Ausbildung im Präparieren und Konservieren von biologischen Sammlungen erhalten.

Über die allgemeine Organisation der Expedition kann ich mich kurzfassen, denn ich war und bin auch heute der Ansicht, dass die wohldurchdachteste Organisation eine leere Form bleibt, wenn nicht die Persönlichkeiten dazu da sind, sie mit lebendigem Inhalt zu erfüllen. Aus diesem Grund habe ich die Expedition hinsichtlich der Durchführung des von mir vorbereiteten Plans wesentlich als ein menschliches Problem gefasst. Ich habe deshalb dagegen Stellung genommen, dass in der Organisation etwa eine wissenschaftliche und eine nautische Leitung vorgesehen würden, da es naturgemäß nur eine Leitung geben kann und infolgedessen auch gab. Auf dieser persönlichen Grundlage galt für die Expedition als Ganzes wie für ihre einzelnen Teile das Prinzip der Freiheit, der verantwortungsvollen Entscheidung an Ort und Stelle für jeden innerhalb seines Gebiets, doch im Rahmen des Ganzen. Dies wurde nicht von allen Mitgliedern und auch nicht immer als leicht empfunden, von der Mehrzahl jedoch als richtig erkannt und dann auch richtig benutzt.

Als besonders förderlich wurde es von allen empfunden, dass wir nicht an ein bestimmtes Programm gebunden waren, wie es in früheren Fällen durch Kommissionen in der Heimat festgestellt wurde. Ich verkenne den Wert solcher Programme nicht, ich glaube jedoch, dass Kommissionen mit solchen Programmen nur beratend, nicht bestimmend wirken können, mögen sie aus noch so kompetenten Fachleuten bestehen. Instruktionen können nur erfüllt werden, wenn sie allgemein gehalten sind und die Ausführung im Einzelnen der Expedition überlassen. Denn selbst an Ort und Stelle ist es häufig schwer, einen Rat zu erteilen, weil es in der unbekannten Umgebung dem anderen leichter sein kann, sich selbst auf irgendeinem Wege durchzuschlagen.

Die uns erteilten Anweisungen waren ganz allgemein gehalten. Die Grundlagen dafür sind in einem Allerhöchsten Erlass niedergelegt, welcher an den Herrn Reichskanzler, Reichsamt des Innern, gerichtet ist und folgenden Wortlaut hat:

Ich bestelle den außerordentlichen Professor an der Universität Berlin, Dr. Erich von Drygalski, zum Leiter der Deutschen Südpolarexpedition. Die Expedition hat im August Kiel zu verlassen und sich nach den Kerguelen zu begeben. Auf denselben ist eine magnetisch-meteorologische Station zu errichten. Alsdann ist die Fahrt nach Süden hin fortzusetzen. Als Forschungsfeld gilt die indisch-atlantische Seite des Südpolargebiets. Falls die Erreichung eines Südpolarlandes gelingt, ist, wenn angängig, auf demselben eine wissenschaftliche Station zu gründen und tunlichst während eines Jahres zu unterhalten. Die Rückkehr ist nach Bestimmungen des Expeditionsleiters im Frühjahr 1903 oder spätestens im Frühjahr 1904 anzustreben. Ich beauftrage Sie, die weiteren Ausführungsbestimmungen zu erlassen.

Gudvangen, an Bord meiner Yacht »Hohenzollern«,

den 18. Juli 1901.

gez. Wilhelm. I. E. gez. Graf von Posadowsky.

Die von dem Herrn Staatssekretär des Innern unter demselben Datum erlassenen Ausführungsbestimmungen waren ebenfalls nach dem Grundsatz der Bewegungsfreiheit für die ausführenden Persönlichkeiten gehalten und berührten nur einzelne fundamentale Fragen der Organisation.

Von besonderer Wichtigkeit war darin das Verhältnis zwischen dem Leiter der Expedition und dem Führer des Schiffs, da, wenn der Leiter kein Seemann ist, rein sachlich Fälle denkbar sind, in welchen der Schiffsführer infolge der ihm rechtlich obliegenden Verantwortung für Leben und Eigentum auf dem Schiff nicht in der Lage ist, den Anforderungen des Leiters nicht zu entsprechen. Diese Tatsache war mit dem unbeschränkten Verfügungsrecht über die personellen und materiellen Bestände der Expedition, welches dem Leiter zustand, in Einklang zu bringen.

Die Lösung wurde in einer Bestimmung gegeben, nach welcher für den Schiffsführer das Recht, den Weisungen des Leiters nicht zu folgen, für den einzigen Fall bestand, dass er in dieser Weisung eine unmittelbare Gefahr für Leben und Eigentum auf dem Schiff erblickte.

Schließlich seien noch wenige Worte über die rechtlichen Verhältnisse der Expedition gesagt, die insofern besondere waren, als die deutsche Schifffahrt in fremden Gewässern sonst den Bestimmungen der Kriegs- oder Handelsmarine unterliegt, für den »Gauß« aber keine von beiden wirkliche Anwendung hatte, da er als Forschungsschiff des Reichs nicht zur Handelsmarine gehörte und andererseits auch den Bestimmungen der Kriegsmarine nicht unterstehen konnte, seiner Zwecke wegen und wegen der Art seiner Besatzung.

Nach langen Erwägungen wurde die Auskunft getroffen, für das Verhältnis des Schiffsführers zur Schiffsbesatzung die Bestimmungen der Handelsmarine, also die Seemannsordnung, gelten zu lassen.

Die Ergebnisse der Expedition und die anzulegenden Sammlungen wurden Eigentum des Reichs, welches über deren Verwertung unter tunlichster Beteiligung der Mitglieder zu verfügen sich vorbehielt. Die Bestimmungen der Dienstanweisung betonen sonst vor allem die Gemeinsamkeit der Interessen aller Mitglieder, die Einheitlichkeit der Expedition nach außen und nach innen sowie den nationalen Charakter des Ganzen.

Der »Gauß« und seine Ausrüstung

Bei der Ausrüstung der Expedition stand naturgemäß die Sorge für den Bau eines geeigneten Schiffes allen anderen voran. Dieser war von dem Reichsmarineamt, in die Wege geleitet worden.

Es wurde am »Gauß« naturgemäß bis zum Moment der Abreise gebaut und gebessert, und noch nach derselben in den Tagen der letzten Vorbereitungen sind Arbeiter der Howaldtswerke auf der Unterelbe dabei tätig gewesen.

Der »Gauß« ist sicherlich das beste Polarschiff gewesen, das je existiert hat, und es hieße seinem hohen Wert nur zu nahezutreten, wenn man unerwähnt lassen würde, was unsere späteren Erfahrungen darin zu verändern gefunden haben.

Nach der üblichen Bezeichnungsweise war der »Gauß« ein Dreimast-Marssegelschoner mit Hilfsmaschine. Auf der Segelschiffstakelage beruhte mithin in erster Linie die Fahrt des Schiffes, doch konnte die Maschine dafür naturgemäß auch für sich allein Verwendung finden, wie es später im Eis sogar fast ausschließlich der Fall war.

Die Abmessungen des »Gauß« stellten sich wie folgt:


Länge zwischen den Perpendikeln 46,00 m
Breite auf Außenhaut 11,27 m
Tiefe des inneren Raumes bis zum Oberdeck 6,30 m
Konstruktionstiefgang mit 546 t Last 4,80 m
Indizierte Pferdestärken 325
Geschwindigkeit mit 728 t Last 7 Knoten
Deplacement bis Konstruktionstiefgang 1442 t

Die Wohn- und Gebrauchsräume, welche den mittleren Teil des Zwischendecks füllten, waren entschieden reichlich bemessen.

Jedes wissenschaftliche Mitglied und jeder Offizier hatte seine eigene Kabine, der Leiter und Kapitän je eine größere.

Im Ganzen gab es 14 solcher Kabinen, von denen 10 durch die 10 Mitglieder der Ersten Messe, die 11. von dem Ersten Bootsmann und Ersten Zimmermann, die 12. von den beiden Maschinenassistenten und die 13. von dem Koch und dem Steward bewohnt wurden, während die 14. während der Hinreise bis nach den Kerguelen Dr. E. Werth anheimfiel und danach mit als Stauraum benutzt wurde. Außer den doppelt belegten Kabinen hatten zwei von den anderen je 2 Kojen, die übrigen nur je eine.


Der »Gauß« im Eis

(Quelle: Drygalski-Nachlass, Privatbesitz Mörder, Feldkirchen-Westenham)

Die übrigen 16 Mann der Besatzung waren auf 2 gemeinsame Schlafräume verteilt, indem 6 Mann des Maschinenpersonals in einem größeren Raum an Backbord und 10 Mann der seemännischen Besatzung in einem solchen an Steuerbord wohnten. Die Mannschaft hatte einen gemeinsamen Waschraum mit 3 Ständen, welcher neben der Pantry an Backbord lag.

Für die Mahlzeiten und die geselligen Vereinigungen der Mitglieder dienten 2 größere Räume, der Salon und die Mannschaftsmesse.

Ein Laboratorium im Zwischendeck diente während der Hinfahrt als Stauraum und wurde erst während der Überwinterung teils als Handwerkskammer, teils als Präparierzimmer für zoologische Objekte benutzt, während eine darin gelegene photographische Dunkelkammer meist als solche verwandt wurde. Gefehlt hat bis zuletzt eine Kammer für mechanische Arbeiten.

 

Das Schiff hatte unmittelbar vor dem Großmast das Hauptlaboratorium und das Kartenhaus. Auf dem Laboratoriumsdeckshaus ruhte die Kommandobrücke mit dem Rudergeschirr, zwei Kompassen und zwischen denselben einem Schlingertisch zu magnetischen Arbeiten auf See.

Unmittelbar vor dem Maschinendeckshaus stand eine Dampfwinde zur Hebung von Lasten bis zu 3,5 t Gewicht bestimmt, während eine größere, die bis 7,5 t Last heben sollte, zwischen Fockmast und Back aufgestellt war. Auf der Trommel dieser waren 4000 m schweres Drahtkabel von 12 mm Durchmesser aufgerollt, für Dredsche-Züge und Vertikalnetzfänge in der Tiefsee bestimmt.

Auf der Trommel der hinteren kleineren Winde waren 6000 m Drahtlitze von 4,5 mm Durchmesser aufgewickelt, für Vertikalfänge mit kleineren Netzen bestimmt.

Während der Hinreise war der freie Decksraum in ausgiebiger Weise noch zum Stauen benutzt; so lagen neben und vor dem Laboratorium bis zur Höhe der Reling die Bauhölzer zur Herstellung der geplanten Observatorien und Wohngebäude im Polareis, und zu beiden Seiten des Maschinenhauses waren die eisernen Bestandteile zur Aufstellung eines Windmotors während der Überwinterung festgelascht worden. Das Schiff war besonders bei der Abreise von den Kerguelen übervoll; auch 14 t Kohle lagen damals noch an Deck.

Für die Arbeiten der Expedition war eine zweckmäßige Dreiteilung des Schiffs geschaffen, welche gestattet hat, dass gleichzeitig an verschiedenen Stellen gearbeitet werden konnte, ohne dass in der Tiefe eine Verwicklung der verschiedenen Drähte und Kabel zu besorgen war. Der Zoologe konnte gleichzeitig vorn seine Netze herablassen, während der Ozeanograph seine Lote und Thermometer zu beiden Seiten der hinteren Brücke zur Tiefe sandte, und der Erdmagnetiker zwischen beiden auf der Kommandobrücke tätig war oder der Kapitän von derselben Stelle aus seine Kompassdeviationen bestimmte. An einer Stütze auf der Kommandobrücke war neben dem magnetischen Schlingertisch auch die meteorologische Hütte angebracht, und mit ihren Thermo- und Psychrometern sowie mit Registrierapparaten versehen.


»Gauß« unter vollen Segeln

(Quelle: Drygalski-Nachlass, Privatbesitz Mörder, Feldkirchen-Westenham)

Aus dem Dach des Maschinenhauses ragten zwei breite Ventilatoren für den Heizraum sowie der Schornstein heraus. Der Schornstein musste niedergelegt werden, wenn der Großbaum mit dem Großsegel von der einen zur anderen Seite geholt werden sollte. Dieses war unbequem und in Anbetracht eines unerwarteten Schlagens des Großbaums nicht ohne Bedenken, weil der Schornstein so verloren gehen konnte. Mit Recht wurde deshalb vom Kapitän während der Fahrt wiederholt der Wunsch nach einem sogenannten Teleskopschornstein geäußert, der zum Ineinanderschieben eingerichtet ist. Leider war beim Bau keiner darauf gekommen.

An der Spitze des Großmasts in der Höhe von 33 m über Deck war eine Tonne befestigt, die zum Ausguck diente und deshalb mit einem besonderen Fernrohr ausgestattet war. Sie ist bei der Fahrt durch das Eis viel und mit Vorteil benutzt worden, in besonders spannenden Zeiten so stark, dass man von unmittelbaren Ablösungen der einzelnen Besucher sprechen konnte.

Von Kiel nach den Kapverden

Die letzte Zeit der Vorbereitungen hatte einen lebhaften Betrieb. Nach genauen Besichtigungen und Probefahrten war der »Gauß« Ende Mai von den Howaldtswerken übernommen worden, doch zogen sich die dabei vorbehaltenen Änderungen und Verbesserungen an den Dampfwinden, der elektrischen Beleuchtung, an den Segeln, den Eisverstärkungen und an anderen Einzelheiten bis zum Moment der Abreise hin, und selbst nach der Abfahrt sind auf der Unterelbe noch Handwerker der Howaldtswerke tätig gewesen.

Am 28. Juli begann jene wunderbare Unterbringung zahlloser Instrumente und Ausrüstungsstücke. Die Prüfung und Justierung der Apparate war beendigt. Die Herren Bidlingmaier, Luyken und Ott haben von Mitte Juli an die Verpackung und Versendung dieser Sachen besorgt und kamen darauf nach Kiel, um sie im Schiff zu verstauen. Auch in dem kleinen Bundesratssaal im Reichsamt des Innern, welcher mir zur Verfügung gestanden hatte, war es einsam geworden; der ungewohnte Anblick von Schlafsäcken, Zelten, Schlittenutensilien, Ölzeug und wissenschaftlichen Instrumenten, welcher dort manchen Besucher befremdet hatte, war verschwunden.

Je näher die Zeit der Abreise herankam, desto lebhafter und allgemeiner wurde das Interesse, welches der Expedition und ihrer Ausrüstung von allen Seiten entgegengebracht wurde. Se. Majestät der Kaiser hatte den »Gauß« mit dem Herrn Reichskanzler, Graf von Bülow, und einem größeren Gefolge am 1. Juli in Travemünde besichtigt. Prinz und Prinzessin Heinrich von Preußen hatten wiederholt auf dem Schiff geweilt. Se. Hoheit Prinz Ernst von Sachsen-Altenburg, der die ganze Entwicklung der Expedition und ihrer Ausrüstung mit lebhaftestem Interesse verfolgt hat, bereitete uns die Freude, auch bei der Abreise zugegen zu sein und uns auf dem »Gauß« bis Rendsburg zu begleiten.

Der Abreise ist noch eine ärztliche Untersuchung aller Mitglieder durch Herrn Geheimrat Prof. Dr. Renvers vorausgegangen; dann wurden am 11. August in Kiel die Anker gelichtet.

Der Tod Ihrer Majestät der Kaiserin Friedrich brachte es mit sich, dass Feiern unterblieben. So versammelten sich nur am Abend des 10. August auf die Anregung der Universität Kiel sämtliche Mitglieder der Expedition mit ihren Verwandten und Freunden, den Mitgliedern der Universität Kiel, den Behörden der Stadt und wenigen von fern herbeigeeilten Gästen zu einem einfachen Abschiedsabend in Bellevue.

Prachtvolles Wetter herrschte am Tag unserer Ausfahrt. In früher Morgenstunde setzte sich das stolze Schiff nach Holtenau in Bewegung. Von den Kriegsschiffen, die im Hafen lagen und Flaggenschmuck angelegt hatten, erschollen uns dreifache Hurras zum Abschied. In der Schleuse von Holtenau verließen uns die meisten Gäste, in Rendsburg auch unsere nächsten Verwandten und Freunde.

Als ich am Morgen des 12. August nach kurzer Ruhe erwachte, lagen wir auf der Unterelbe bei Feuerschiff 3, in Sicht des Leuchtturms Neuwerk. In dieser Situation haben wir noch drei Tage gelegen und wurden nun, von Besuchern ungestört, bald mit unseren Stauungsarbeiten fertig.

Am 15. August war alles zur Abreise klar, und als gegen die Mittagszeit der eingehende Flutstrom dem ausgehenden Ebbestrom wich, wurden um 1 Uhr mittags die Anker gelichtet, und wir dampften von dem Ebbestrom getragen zur See, sodass wir schon in der Nacht auf den 16. August mit dem Passieren von Borkum-Feuerschiff unsere Heimat verlassen konnten. Es herrschte das Gefühl der Befreiung von schwerer Last und frohe Zuversicht auf die Zukunft.

Wir befanden uns nunmehr im freien Ozean, von zahlreichen Möwen zweierlei Arten umkreist, bei starker günstiger Brise aus Nordost, die uns am ersten Tag eine der größten Distanzen bescherte, die wir überhaupt im Laufe der Expedition zurückgelegt haben.

Am 31. August sahen wir Madeira als hohes felsiges Land, über welchem die Bewölkung stark verdichtet war. Wir dampften bei schönem Wetter unter Feuer von einem Kessel an der Küste entlang. Über Funchal ging abends ein Feuerwerk hoch, und wir dachten darüber nach, ob es vielleicht zu Ehren unserer englischen Kameraden an Bord der »Discovery« sei, die zu dieser Zeit hier sein konnten.

Der »Gauß« war langsamer als wir gedacht hatten. Seine Geschwindigkeit von 7 Knoten unter Dampf hatte er in der Ostsee freilich erwiesen; er erreichte diese jedoch niemals auf den freien Flächen des Weltmeeres, die ständig unter irgendwelchen Dünungen schwanken.

Schon in diesem Teil der Fahrt hatten wir es auch mit einer Leckage zu tun, die an sich nicht schlimm war, doch Aufmerksamkeit erforderte.

Der Nordostpassat hielt in der Stärke, mit der er bei Madeira eingesetzt hatte, leider nicht an und frischte vor den Kapverden nur für kurze Zeit auf, um dann wieder abzuflauen. Erst in der Nähe dieser Inselgruppe trat er so stark auf, wie man es von ihm erwarten darf.

Am 11. September um 11 Uhr vormittags tauchte die Kapverdeninsel São Antonio aus dem Nebel empor. Bald tauchte auch São Vicente hervor und wir fuhren zwischen den beiden Inseln dem Hafen Porto Grande des Städtchens Mindello entgegen, um gegen 6 Uhr abends Anker zu werfen.

Unsere Arbeiten in Mindello waren in erster Linie magnetischer Art, indem Dr. Bidlingmaier die magnetischen Einflüsse des Schiffskörpers auf 8 verschiedenen Kursen im Hafen dadurch bestimmte, dass er die Größe der erdmagnetischen Elemente auf dem »Gauß« maß und sodann mit den auf dem Lande neben dem Hafen gefundenen Werten verglich. Ich selbst nahm am Ufer eine Schwerkraftsbestimmung vor.

Der Zoologe der Expedition, Professor Dr. Vanhöffen, hatte im Hafen seine Netze gestellt und dabei eine reiche Ausbeute an Fischen und an Krebsen erlangt.

Dr. E. Werth gelang es trotz der herrschenden Dürre, über 40 Arten verschiedener Pflanzen zu sammeln, während Dr. Philippi sich den geologischen Verhältnissen widmete und Dr. Gazert der Bevölkerung seine Aufmerksamkeit schenkte, die meist aus Negern, weniger aus Weißen mit Negerphysiognomien und noch weniger aus Weißen besteht.

Die Tage in São Vicente waren vielleicht die heißesten, welche wir während der Reise gehabt haben; besonders in den inneren Räumen des Schiffes war es fast unerträglich.

Am Montag den 16. September hatten wir unsere Arbeiten beendigt und konnten den Hafen verlassen, nachdem uns noch am Vormittag eine Post aus der Heimat zugegangen war. Um 1 Uhr etwa lichteten wir die Anker und dampften hinaus.

Im Südatlantischen Ozean

Ich ließ von Porto Grande den zweckmäßigsten Kurs auf Ascension setzen mit der Maßgabe, dass wir den Äquator etwa in 18° w. L. v. Gr. schnitten, um dort eine von dem französischen Kriegsschiff »La Romanche« seinerzeit erlotete, später mehrfach in Zweifel gezogene besonders große Tiefenangabe auf ihre Richtigkeit prüfen zu können.

Der Nordostpassat verließ uns am 19. September, wenig südlich von São Vicente, und so setzten wir am 20. September Dampf an, um die Kalmen zu durchqueren.

Die Fahrt unter Dampf ging nun aber langsamer, als wir gehofft hatten. So haben wir erst am 1. Oktober den Äquator erreicht.

Gegen den 27. September näherten wir uns der südlichen Grenze der Kalmen. Drei Fregattvögel umkreisten das Schiff, die vermutlich von Ascension herkamen.

Es war auch Zeit, dass die Luft wieder frischer wurde. Am meisten durch die Hitze beeinflusst ist aber unser Koch gewesen, der sich schon auf der Reise bis zu den Kapverden wohl als ein tüchtiger Künstler seines Faches, sonst aber mit manchen Wunderlichkeiten behaftet gezeigt hatte, die er uns in Gestalt von versalzenen Erbsen, ungenießbaren Klößen aus Fischmehl und anderen Gerichten bereitete. So wurde sein Ausscheiden für den Aufenthalt in Kapstadt in Aussicht genommen.

Am 28. September wurden die Segel festgemacht, und wir fuhren allein unter Dampf auf die sogenannte Romanchetiefe zu.

Der guten Stimmung, welche der frischere Luftzug des Südostpassats mit sich brachte, entsprach es, dass die Vorbereitungen zu dem wichtigen Akt der Äquatortaufe nunmehr in bedeutsamem Umfang begannen.

Die Ausführung wurde aber noch etwas verschoben, um zuvor die geplanten Lotungsarbeiten am Äquator vornehmen zu können. Nur die Ankündigung erfolgte am Abend des 30. September durch einen phantastisch gekleideten Neptun, der unter dem Pfiff der Dampfpfeife im Dunkeln dem Meer entstieg und nach poetischem Gruß an den Kapitän und an die neuen Täuflinge unter dem Licht eines Blaufeuers aus der Aussichtstonne des Mastes und dem einer hell brennenden, im Meer schwimmenden Pechtonne wieder verschwand.

Die geplanten Lotungen an der Romanchetiefe erfolgten am 1. Oktober. Sie ergaben die bedeutendsten Tiefen, welche bisher am Äquator überhaupt mit Sicherheit gemessen worden sind, nämlich über 7200 m, und rechtfertigten damit die Berichte des französischen Kriegsschiffes »La Romanche«.

Die zweite dortige Lotung ergab eine noch größere Tiefe von über 7200 m und brachte in einer 80 cm langen Schlammröhre eine Bodenprobe von 46 cm Länge empor. Es war wohl die interessanteste Bodenprobe, welche die Expedition überhaupt gewonnen hat. Die obersten Schichten bestanden aus rotem Ton, dann folgten graue und schwarze Teile, von denen sich die untersten hellgrauen Schichten als kalkreich erwiesen, während die übrigen davon frei waren. In einer derselben war ein Band von rotem Ton, das seinerseits von schwarzen Ringen durchsetzt war, die aus vulkanischem Staub bestanden. Es war ein eigenes Gefühl, mit welchem man dieses Zeichen einer Jahrtausende langen Entwicklung betrachten musste.

 

Die kalkigen Teile waren augenscheinlich in der Nähe eines Landes gebildet, das heute weit entfernt liegt; der rote Ton kann im Gegensatz dazu nur in großen Tiefen des Meeres entstanden sein, und die vulkanischen Ringe deuten auf Eruptionen hin, welche zwischen die Bildungszeiten dieser hier eng verbundenen kontinentalen und ozeanischen Absätze fielen. Wie uns spätere Lotungen auf der Rückreise noch ergänzend zeigten, hatten wir es hier in der Romanchetiefe mit einem tiefen trichterförmigen Kessel zu tun, in dessen Umgebung sich heute noch lebhafte Spuren moderner vulkanischer Tätigkeit zeigen.

Die fröhliche Äquatortaufe hatten wir am 2. Oktober. Ein Umzug in phantastischen Kostümen unter Musikbegleitung endigte mit der Aufstellung der gesamten Mannschaft. Die Täuflinge wurden dann einzeln an den Trog geführt und auf einem Brett mit dem Rücken dagegen platziert. Es folgte Einseifen des Gesichts unter zeremoniellen Anreden und nach dessen Vollendung ein Sturz rückwärts in den Trog. Als das Einseifen bei mir selbst vollendet war, blickten die umgebenden Gestalten sich verlegen um, ob sie noch Weiteres folgen lassen dürften, bis mich plötzlich die starken Hände des Zimmermanns Heinrich ergriffen und in den Trog warfen. Nicht mit allen ist man dann so glimpflich verfahren. Meine Nachfolger wurden, nachdem sie aus dem Wasser auftauchten, noch mehrfach wieder untergetaucht. Am Abend folgten Feiern bei Bier und Zigarren mit Schaustellungen und Deklamationen der Matrosen, wobei der Koch trotz seines Stotterns ganze Schleusen von Beredsamkeit erschloss.

Schon am 1. Oktober abends hatten wir Kurs direkt auf Ascension gehabt, und am 2. erfahren, wie schwierig es war, diesen einzuhalten, weil er fast direkt gegen den Passat und damit auch gegen die Hauptdünungen verlief.

Mit unserer kleinen Maschine konnten wir gegen Wind und See nicht genügend ankämpfen, wir kamen sehr langsam voran. Schon am 4. Oktober begann ich deshalb, auf Modifikationen des Weges zu sinnen, und am nächsten Tag, als der Fortschritt gering blieb, wurde mir die Nützlichkeit des Anlaufens von Ascension fraglich. Auch waren die wissenschaftlichen Gründe, derentwegen das Anlaufen von Ascension geplant gewesen war, weniger triftig, als man in der Heimat gedacht hatte. So erfolgte schon am Abend des 5. und definitiv am 6. Oktober die Wendung des »Gauß« von Ascension ab zu dem direkten Kurs auf Kapstadt.

Am 5. Oktober haben wir den Geburtstag Dr. Bidlingmaiers gefeiert, und zwar zunächst mit einem Ständchen am frühesten Morgen. Auf dem magnetischen Tisch auf der Kommandobrücke waren Geschenke aufgebaut, und abends folgte ein solenner Kommers, wobei uns freundliche Spenden der Greifswalder Geographischen Gesellschaft vortrefflich gemundet haben und trotz der starken Hitze zum ersten Mal im Salon zu längerer froher Feier zusammenhielten.

Der folgende Teil der Fahrt wurde trotz der flauen Winde fast ganz unter Segeln zurückgelegt und ging deshalb langsam vonstatten. Maßgebend hierfür ist der Gesichtspunkt gewesen, nicht zu viel Kohlen zu verbrauchen.

So nutzten wir die unfreiwilligen Verzögerungen zu wissenschaftlichen Arbeiten aus, so gut es ging, und hatten hierbei den Vorteil, Erfahrungen sammeln zu können.

Zum Loten wurde immer die Sixbeemaschine benutzt, für deren Elektromotor jedoch die elektrische Kraft des »Gauß« nicht ausreichend war, sodass an seine Stelle bis Kapstadt die hintere Dampfwinde und von dort an eine kleine eigene Dampfmaschine treten musste. Bald war in den Lotungen völlige Fertigkeit erreicht, sodass wir Tiefen von 5000 m und darüber alles in allem in wenig über eine Stunde Zeit erloten konnten.

Über der Schlammröhre wurden an dem Vorläufer ein Thermometer und ein Wasserschöpfer befestigt. Als Thermometer wurden hauptsächlich die Kippthermometer von Negretti und Zambra in London verwandt. Als Wasserschöpfer bei den Lotungen haben wir das bekannte Modell von Sixbee benutzt.

Eine andere Klasse von Arbeiten, die wir im Südatlantik vornahmen, waren biologischer Art. Hier wurden Schließnetze verwandt, welche dazu bestimmt sind, bestimmte Wassersäulen in der Tiefsee zu durchfischen, um so die Abstufungen der Tierwelt mit der Tiefe erkennen zu können.

Außerdem gebrauchten wir Vertikalnetze von 1, 2 und 2 ½ m Durchmesser der oberen Öffnung sowie ein besonders großes Horizontalnetz von 9 m Durchmesser. Rote Krebse der Tiefsee zeigten sich schon in 600 m Tiefe, während die schwarzen, der Tiefsee eigentümlichen Fische erst bei 800 m zu beginnen pflegten, aber gelegentlich dann auch bei nächtlichen Fischzügen an der Oberfläche gefangen wurden.

Ein anderer wichtiger Teil unserer damaligen Arbeiten war das Studium der erdmagnetischen Verhältnisse, welches von Dr. Bidlingmaier mit einer Vollständigkeit und Sicherheit durchgeführt wurde, wie es sonst wohl noch nicht geschehen ist.

Zur Verfügung standen für die Seebeobachtungen zwei Apparate. Das Deviationsmagnetometer ist ein rohes Instrument, aber eben darum zu Beobachtungen auf dem schwankenden Schiff geeignet. Mit ihm wurde die magnetische Deklination bestimmt, d. h. der Winkel zwischen der Richtung der Magnetnadel und der Richtung des Meridians, zweitens die sogenannte Horizontalintensität oder die Größe der Kraftart, mit welcher die Magnetnadel sich in ihre horizontale Richtung einstellt, und drittens mit dem zugehörigen Inklinatorium auch die magnetische Inklination oder derjenige Winkel, um welchen die Richtung der Magnetnadel bei freier Aufhängung gegen den Horizont geneigt ist.


Das Vertikalnetz kommt empor.

(Quelle: Drygalski-Nachlass, Privatbesitz Mörder, Feldkirchen-Westenham)

Das zweite Instrument, der Lloyd-Creak, diente ebenfalls dazu, die Inklination zu messen. Ferner wurde mit dem Lloyd-Creak auch die Totalintensität gemessen, d. h. diejenige Kraft, mit welcher eine Magnetnadel von der Stärke 1 in die Richtung der magnetischen Kraftlinien im Raum hineingezogen wird.

Die Beobachtungsmethoden für alle Elemente gehen im Allgemeinen einmal dahin, dass man die wirkliche Ruhelage der Magnetnadel an der Skala festzustellen versucht, indem man eine Reihe von Ablesungen macht und aus denselben das Mittel bildet, und zweitens dahin, dass man die Magnetnadel in Schwingungen versetzt, mit denen sie um ihre Ruhelage hin- und herpendelt, und aus der Dauer dieser Schwingungen die Gleichgewichtslage herleitet.

Für die Deklinationsbestimmungen waren außerdem immer gleichzeitige Bestimmungen des astronomischen Meridians erforderlich, die mithilfe der Sonne ausgeführt wurden, indem man die Richtung der Magnetnadel mit der Richtung des Schattens verglich, welchen ein auf die Mitte der Magnetnadel aufgesetzter Stift warf, und so den Winkel ermittelte, welchen die Magnetnadel jeweilig mit der Richtung der Sonne zu einer bestimmten Zeit bildete, woraus man die Richtung gegen den Meridian herleiten konnte.

Die Intensitäten, sowohl die Horizontal- wie die Vertikal- und die Totalintensität wurden dadurch bestimmt, dass man die Magnetnadeln aus bestimmten Entfernungen durch andere Magnete von in der Heimat bestimmter, also bekannter Kraftwirkung aus ihrer Richtung ablenkte, in die sie sich unter dem Einfluss des Erdmagnetismus in der horizontalen bzw. in den vertikalen Ebenen einstellen wollten, und aus der Größe dieser Ablenkung die betreffenden Kraftgrößen des Erdmagnetismus erschloss.

Wenn es gelungen ist, die Werte der erdmagnetischen Elemente längs der ganzen Route des »Gauß« zu verfolgen, so ist es der Tatkraft zu verdanken, welche Herr Dr. Bidlingmaier entwickelt hat, indem ihn nichts bewegen konnte, von den Beobachtungen abzulassen, bevor sie ein Ergebnis gezeitigt hatten.

Von Tag zu Tag mehrte sich nun das Vogelleben. Besonders häufig war ein dunkler Sturmvogel. Bald kamen auch Kaptauben und vor allem Albatrosse in wachsender Zahl. Am 30. Oktober wurde der erste Albatros durch Dr. Gazert erlegt, während das Schiff zum Loten stilllag.