Zum Kontinent des eisigen Südens

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Aus der Reihe: Edition Erdmann
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Als der »Gauß« am Südpolarkreis keineswegs auf einem Meeresstrom zum Südpol gelangte, sondern am Polarkreis bei 66° S ortsfest eingefroren wurde, machten sich die umsichtigen Vorbereitungen bezahlt. Damals gehörten Drygalski und Vanhöffen neben Armitage, Koettlitz, Bruce, Cook, und Björvig zu den einzigen Personen, die teilweise mehrfach in der Arktis überwintert hatten und über vielfältige Erfahrungen verfügten. So ließ Drygalski den Speiseplan durch Frischfleisch von Robben und Pinguinen ergänzen, was als Antiskorbutmittel wesentlich zur guten Gesundheit der »Gauß«-Männer beitrug. Das Ausbringen von dunklem Material zur Schnee- und Eisschmelze, um den »Gauß« zu befreien, war eine geniale Anwendung von Beobachtungen auf grönländischen Gletschern. Armitage und Koettlitz hingegen konnten ihre besonderen Kenntnisse bei Scott weniger einbringen, weil sie nicht wie Drygalski oder Bruce die Position des Expeditionsleiters innehatten. Drygalski verstand es auch, alle Männer während des Winters zu beschäftigen. Die sinnlosen Versuche, das Schiff durch Hacken, Sägen und Sprengungen freizubekommen, dienten nebenbei ja auch dazu, den Männern an der frischen Luft Arbeit zu geben.

In seinem Reisebericht stellte Drygalski respektvoll jedes Expeditionsmitglied vor, auch wenn es sich nur um einen Heizer handelte, denn jeder hatte in seinem Bereich zum Gelingen der Expedition beigetragen. Wenn er besondere Fähigkeiten zeigte, wurden sie ebenfalls genutzt, unabhängig von Rang und Ausbildung. Beispielsweise erwies sich der 19-jährige blinde Passagier Lennart Reuterskjöld als Glücksfall, der sich hervorragend als Bidlingmaiers Assistent für die diffizilen magnetischen Messungen eignete. Zudem legte Drygalski eine natürliche Autorität an den Tag, der sich alle bereitwillig unterwarfen. Nur das Verhältnis zum Kapitän war wegen der besonderen Machtverhältnisse etwas komplizierter. Es gab zwar sogenannte »Stimmungen« an Bord, insbesondere als man nicht wusste, ob das Schiff nach einem Jahr der Gefangenschaft im Eis wieder freikäme, aber es gelang Drygalski immer, durch geeignete gemeinsame Feste die Stimmung wieder anzuheben. Daneben wurde auch etwas für die Fortbildung der Männer getan, indem verschiedene Vorträge zu wissenschaftlichen und technischen Themen aus dem Umkreis der Expedition gegeben wurden. Zur Abwechslung konnten die Expeditionsmitglieder in ihrer Freizeit auch kleinere Schlittenreisen durchführen. So wuchsen die »Gauß«-Männer immer mehr zusammen. Nicht nur unter den Wissenschaftlern wie Drygalski, Gazert und Bidlingmaier entstanden lebenslange Bindungen, sondern beispielsweise auch zwischen Gazert und dem Steward Besenbrock.

Nach 52 Wochen kam der »Gauß« endlich wieder frei und nahm Kurs auf das nächste Telegrafenamt in Südafrika, um mit dem Bericht über die erfolgreiche Expedition die Aussendung einer Hilfsexpedition nach dem 1. Juni 1903 zu verhindern. Außerdem wollte Drygalski nach einem Wechsel in der Mannschaft mit neuen Instrumenten ein zweites Mal nach Süden vordringen.

Ohne dass Drygalski in der Antarktis davon erfahren konnte, war die Internationale Meteorologisch-magnetische Kooperation inzwischen um ein weiteres Jahr bis 1904 verlängert worden, weil es die Aussicht gab, noch mehr gleichzeitige Messdaten aus dem Süden zu erhalten. Die ozeanographisch ausgerichtete Scottish National Antarctic Expedition war nämlich erst 1902 in das Weddellmeer aufgebrochen und überwinterte 1903 auf Laurie Island, einer der Südorkney Inseln. Dort unterhielt sie für ein Jahr eine Wetterstation, die anschließend dem argentinischen Wetterdienst übergeben wurde und nun die längste Aufzeichnung von Wetterdaten aus der Subantarktis liefert. Zusätzlich war eine unabhängige Basisstation auf Cape Pembroke, Falkland Islands tätig. Außerdem musste die britische Expedition nochmals überwintern, weil die »Discovery« im Rossmeer immer noch vom Eis festgesetzt war. Schließlich war auch eine französische Expedition unter der Leitung von Jean-Baptiste Charcot (1867–1936) zur Antarktischen Halbinsel unterwegs, um dort ein umfassendes Forschungsprogramm durchzuführen. Hätte Drygalski von der Verlängerung der Messperiode gewusst, wäre er vielleicht nicht nach Kapstadt gesegelt, sondern hätte gleich seine Forschungen weiter westlich fortgesetzt.

In der Zwischenzeit hatte das Entsatzschiff »Morning« Scott nicht nur neuen Proviant und Ausrüstung geliefert, sondern neben einigen abgeschobenen Expeditionsteilnehmern wie Ernest Shackleton auch die Nachricht mit heimgebracht, dass Scott am 30. Dezember 1902 bis auf 82° 17' S vorgedrungen sei. Aufgrund dieser Mitteilung wurde über Drygalskis Expedition in Abwesenheit das Urteil gefällt. Kaiser Wilhelm II. war zutiefst enttäuscht, denn der politische Rivale hatte die britische Flagge in die Nähe des Südpols gesetzt, während der eigene Vertreter es nur bis zum Polarkreis geschafft hatte. Dass dort aber ein Jahr lang hervorragende Beobachtungen durchgeführt und Sammlungen angelegt worden waren, spielte hierbei überhaupt keine Rolle, da sie ja erst noch jahrelang ausgewertet werden mussten. Aber nahe dem Südpol eine Stecknadel in das Weiß einer Landkarte zu stecken, war ein unschlagbares Argument für den geographischen Erfolg einer Entdeckungsfahrt.

Drygalski selbst hatte nie zum Südpol gelangen wollen und hätte ihn von seinem Ausgangspunkt bei 66° S auch gar nicht so leicht erreichen können wie Scott, dessen Winterlager auf der Ross Insel bei 77° 51' S dem Pol wesentlich näher lag. Auch war Drygalski zu sehr Wissenschaftler, als dass er kontinuierliche systematische Untersuchungen zugunsten langer Schlittenreisen auf einer eintönigen eisigen Hochebene unterbrochen hätte, die keinen wesentlichen Erkenntnisgewinn erwarten ließen. Aber allein schon der Name »Südpolarexpedition« implizierte für jeden den Südpol als Ziel der Unternehmung. Auch die zum weiteren Gelderwerb produzierten Grußpostkarten mit der Inschrift »Deutsche Südpolar-Expedition« wirkten in diese Richtung. Eine der Postkarten zeigte sogar eine Boje, auf deren Fähnchen »Zum Südpol« stand. Es wundert nicht, dass alle erwarteten, Drygalski würde hohe Breiten anstreben. Als dies nicht geschah, wurde die Expedition wie eine heiße Kartoffel mit dem Urteil fallen gelassen, dass ja nichts dabei herausgekommen sei. Offiziell wurde Drygalski wegen mangelnder Geldmittel die Heimreise und damit der Abbruch aller weiteren Expeditionspläne befohlen. In seiner Reisebeschreibung reflektierte er ausführlich über alle wichtigen Entscheidungen und seine Beweggründe dafür, um insbesondere darzustellen, dass die Kerguelenroute, die ihn zur Überwinterung am Polarkreis gezwungen hatte, nicht seine Idee gewesen sei. Den Ausführungen im letzten Kapitel seines Buches ist deutlich zu entnehmen, dass er von der fehlenden Anerkennung der wissenschaftlichen Leistung seiner Expedition sehr enttäuscht war. Davon abgesehen gab er noch Verbesserungsvorschläge für ozeanographische Messmethoden und die Ausrüstung für Untersuchungen in polaren und tropischen Gewässern, damit spätere Expeditionen auf seine Erfahrungen zurückgreifen konnten.

1904 bezog Drygalski in kleines Büro im Gebäude des Reichsministeriums des Innern in Berlin, wo er mit der Organisation der Auswertung begann. Insgesamt kümmerten sich 16 Wissenschaftler um die astronomischen, geographischen, geologischen, magnetischen, medizinischen, meteorologischen und ozeanographischen Daten, während sich 89 Wissenschaftler den biologischen Sammlungen widmeten. 1906 wechselte Drygalski von Berlin nach München, wo er der erste Lehrstuhlinhaber für Geographie an der Ludwig-Maximilians-Universität wurde. Er schaffte es, trotz mehrerer Regierungswechsel und der vierjährigen Unterbrechung durch den Ersten Weltkrieg immer wieder, Geld für die Herausgabe der Ergebnisse vom Reichsministerium des Innern zu erhalten. 1932, gerade noch rechtzeitig vor dem nächsten Regierungswechsel, wurde das Südpolarwerk bestehend aus zwanzig Bänden und zwei Atlanten beendet.

Ursprünglich waren zehn Textbände vorgesehen und zwei Atlanten für die meteorologischen und erdmagnetischen Karten. Statt der zwei geplanten Bände für die Zoologie wurden insgesamt zwölf Bände publiziert, um die 4030 gesammelten Arten zu beschreiben, darunter 1470 neue Arten. Man war völlig überrascht, dass es bei den tiefen Temperaturen im Polarmeer so viel Leben gab. Vanhöffen wollte noch den ersten Vergleich zwischen arktischer und antarktischer Fauna und Flora anstellen, aber leider wurde dieses Projekt durch seinen Tod im Jahr 1918 verhindert. Als Gazert 1914 den Bericht über die Beriberifälle auf den Kerguelen herausgab, konnte er den Vitamin-B Mangel als richtige Ursache nennen, weil zwei Jahre zuvor das Beriberi-Vitamin (Vitamin-B) entdeckt worden war. Die Ergebnisse der Internationalen Meteorologischen Kooperation wurden ab 1909 publiziert. Für die Bearbeitung der meteorologischen Daten lagen aus der gesamten Messperiode von 913 Tagen 100 000 Datensätze mit etwa 600 000 Einzelbeobachtungen von allen verfügbaren Stationen vor. Aus der Analyse der Luftdruck- und Temperatur- und Winddatendaten konnte die mutmaßliche Höhe des antarktischen Kontinents zu 2000 ± 200 m abgeschätzt werden. Für die verschiedenartigen synoptischen Wetterkarten des meteorologischen Atlasses mussten ohne Computer aus allen Luftdruckwerten 913 Tagesmittelwerte, 30 Monatsmittelwerte, acht saisonale Mittelwerte und zwei Jahresmittelwerte berechnet werden. Diese Wetterkarten kamen ab 1911 heraus und sollten der Seewarte in Hamburg dazu dienen, die Zugbahnen der südpolaren Tiefdruckgebiete für den Seeweg um Kap Hoorn besser vorhersagen zu können. Durch Eröffnung des Panamakanals verloren die Karten jedoch an Bedeutung. Die Beobachtung der Südlichter bestätigte den Zusammenhang mit den kurzperiodischen Störungen des Erdmagnetfeldes. Zudem entwickelte Bidlingmaier auf der Rückreise einen Doppelkompass zur Bestimmung der Horizontal-Intensität des Erdmagnetfeldes, der 1928 auf dem Luftschiff »Italia« bis zu seinem Absturz östlich von Spitzbergen und 1930 auf dem LZ 127 »Graf Zeppelin« während der Expedition in die russische Arktis Verwendung fand. Drygalski zeigte, dass die von ihm bestätigte Romanchetiefe die Mittelatlantische Schwelle (heute Mittelatlantischer Rücken) durchbrach und dort vom Brasilianischen Becken kaltes antarktisches Bodenwasser über das Nordafrikanische Becken nach Norden gelangte. Seine ozeanographischen Untersuchungen ergaben ein erstes Bild von der Wasserzirkulation im Südindischen Ozean und er bewies, dass der Meeresstrom über dem Südpol eine Illusion war. Mit seinen Temperaturmessungen in Eisbergen war Drygalski seiner Zeit weit voraus, denn sie wurden erst 1984 in der kanadischen Arktis wieder aufgenommen. Die an der Küste nahe des Gaußberges gemessene Bewegung des Inlandeises in Richtung Meer betrug fast 12 m pro Monat. Schließlich deutete die Entdeckung des Gaußberges auf dem Kontinentalsockel an, dass dort festes Land vorhanden war und auch in der südindischen Region der Antarktis Vulkane existierten. Heute stellt der Gaußberg als eingemessene Höhenmarke einen idealen Indikator für die Bestimmung der Zu- oder Abnahme des Inlandeises zur Beurteilung der Klimaänderung in der Ostantarktis dar, die es zu nutzen gilt.

 

Auf dem XV. Deutschen Geographentag in Danzig wurden 1905 die vorläufigen Ergebnisse der Südpolarexpedition präsentiert. Drygalski wies am Ende seines Vortrages darauf hin, dass die Durchführung der Expedition ihrem früher allgemein gebilligten Plan entsprach. »Nicht zu sportlichen Leistungen und nicht, um Sensationen zu erregen, sind wir in die Antarktis gezogen, sondern zum Nutzen der Wissenschaft … eine Pflege der verschiedenen Zweige des Wissens, ihre gegenseitige Berührung und ihre Anwendungen auf die Praxis war unser Zweck.« Andere sahen dies auch so und gaben der Expedition später wegen ihrer umfassenden Untersuchungen den Titel »Universitas Antarctica«.

Was ist von dieser Expedition geblieben? Nachdem in der Antarktis keine feste Station eingerichtet werden konnte, zeugt nur ein Steinmann am Gaußberg von der Anwesenheit einer deutschen Expedition. Die Relikte der Basisstation in der Baie de l’Observatoire auf den Kerguelen wurden im Südsommer 2006/2007 von der Mission du Patrimoine des Territoire des Terres Australes et Antarctiques Françaises (TAAF) im Rahmen der archäologischen Ausgrabung »ArchæObs« detailliert untersucht, um etwas mehr über die Kurzzeitbesiedelung dieser Region in Erfahrung zu bringen. Der »Gauß« wurde 1904 nach Kanada verkauft und unter dem Namen »Arctic« in der kanadischen Arktis bis nach Grönland eingesetzt. 1927 wurde das Schiff ausgeschlachtet und im St. Lorenzstrom dem Zerfall überlassen.

Drygalskis Name ziert heute einen Fjord auf Südgeorgien, einen Gletscher in Graham Land auf der Antarktischen Halbinsel, eine Eiszunge nahe dem Rossmeer, Berge im antarktischen Neuschwabenland, die von der dritten deutschen Antarktisexpedition 1938/39 entdeckt wurden, und eine Insel, die vielleicht das damals vermutete Termination Land gewesen sein könnte. Neumayer hingegen wurde durch seinen Jahrzehnte langen Einsatz für die Südpolarforschung 1980 zum Namensgeber der Georg von Neumayer Station auf dem Ekströmschelfeis östlich des Weddellmeeres, als die Bundesrepublik Deutschland die Polarforschung staatlich institutionalisierte, um 1981 gemäß dem Antarktisvertrag Mitglied in der Konsultativrunde zu werden.

Erste Berichte über die Südpolarexpedition hatten Expeditionsteilnehmer von unterwegs abgesandt. Sie wurden ab 1902 in der neuen Zeitschrift Terra Marique vom Institut für Meereskunde zu Berlin veröffentlicht. Sein 668 Seiten umfassendes Reisewerk »Zum Kontinent des eisigen Südens« publizierte Drygalski 1904 ebenfalls in Berlin im Verlag Georg Reimer. Es enthält rund 400 Abbildungen, 15 Tafeln und Karten. Eine englische Übersetzung erschien erst 1989. Für den deutschen Reprint wurden rund 375 Seiten gestrichen und dabei die Abbildungen auf ein Zehntel reduziert. Die Informationen aus Drygalskis erstem Kapitel über die Entstehung der Expedition sind in der Einleitung mit aufgenommen und ergänzt worden. Die ausführliche Beschreibung der Hin- und Rückreise, der Hafenaufenthalte sowie der unterwegs besuchten Inseln wurde stark gekürzt, da sich der Reprint mehr auf die Antarktis konzentrieren sollte. Außerdem wurden lange wissenschaftliche Ausführungen wie beispielsweise zur Geologie oder über Drygalskis Eisuntersuchungen sowie Vanhöffens Fischfänge ausgelassen, da sie nur für Spezialisten von Interesse sind, die jedoch über Fachbibliotheken auf das Original zurückgreifen können. Auch alle Gedichte aus dem »Antarktischen Intelligenzblatt«, die zu verschiedenen Anlässen verfasst wurden, sind der Kürzung zum Opfer gefallen. Darüber hinaus wurde großer Wert darauf gelegt, dass durch die Streichungen der Originaltext mit seinem an manchen Stellen ungewohnten Sprachduktus nicht durch eigene Formulierungen verändert wurde.

Cornelia Lüdecke


Weg des »Gauß«

(Quelle: Ergebnisse der Deutschen Südpolarexpedition Bd. VII Tf. III, 1914)

Erich von Drygalski

Zum Kontinent

des eisigen Südens

Mitglieder und Organisation

Bei der Fülle der Aufgaben, welche der Expedition harrten, musste es nach ihrer Sicherstellung die erste Pflicht sein, geeignete Mitarbeiter zu gewinnen, um schon bei den Vorbereitungen die einzelnen Arbeitsgebiete im Rahmen des Ganzen möglichst nach deren Intentionen durchbilden zu lassen; denn bei einer Expedition in unbekannte Verhältnisse handelt es sich während der Ausführung nicht um eine Arbeitsordnung, für welche in unseren heimischen Verhältnissen oder von früheren Expeditionen her bestimmte Vorbilder vorliegen, sondern um die arbeitsfreudige und arbeitskräftige Initiative, wie sie nur aus der freien Betätigung von Persönlichkeiten entstehen kann; je mehr dieselben deshalb den Aufgaben der Expedition schon vor der Ausreise nähergetreten sind, desto besser werden sie sich später zurechtfinden.

Schon bevor die Expedition gesichert war und in gelegentlicher Mitwirkung an ihrer Entstehung hat mir Ernst Vanhöffen zur Seite gestanden. Das Fach seiner Wahl und besonderen Tätigkeit war die Zoologie, doch daneben übernahm er in der Expedition die Botanik.

Den Augenblick nutzte er, wie es wenigen gegeben ist, und verstand jederzeit, aus den vielen Wechselfällen, wie sie eine Expedition mit sich bringt, das Beste zu nehmen und daraus Resultate zu ziehen.

Als Arzt und Bakteriologe hat Dr. Haus Gazert die Expedition begleitet. Neben seinen gelegentlichen physiologischen Beobachtungen fand auch manches andere Gebiet bei ihm wirksame Förderung und Interesse, bereitwillig übernahm er vor allem im Mai 1902 die Leitung des ganzen meteorologischen Dienstes; auf der Rückreise fielen ihm nach dem Ausscheiden Dr. E. Philippis auch die chemischen Arbeiten zu.

Die geologischen und chemischen Arbeiten der Expedition hatte Dr. Emil Philippi übernommen; als Assistent an den geologisch-paläontologischen Instituten zu Tübingen und Berlin hatte er für Petrographie und Mineralogie das gleiche Verständnis wie für paläontologische Studien, und auch in chemischen Arbeiten war er bewandert.

Die erdmagnetischen und zunächst auch die meteorologischen Arbeiten fielen dem jüngsten wissenschaftlichen Mitglied der Expedition, Dr. Friedrich Bidlingmaier, zu. Erdmagnetische Beobachtungen auf dem Meer dürften noch niemals früher in der Vollständigkeit und mit der kritischen Schärfe durchgeführt worden sein, wie es von ihm auch in den Stürmen und Seen der Westwinddriften geschah. Den meteorologischen Arbeiten zog er es dabei vor, zu entsagen, weil er sie unter den eigenartigen Verhältnissen der Winterstation neben den erdmagnetischen nicht in gleicher Weise selbsttätig durchführen zu können vermeinte, wie diese.

In unserem behaglichen Salon, in dem die fünf Gelehrten und fünf Offiziere der Expedition sich zu den Mahlzeiten und geselligen Veranstaltungen zusammenfanden und bei besonderen Festtagen wie Weihnachten oder Sonnenwendfest auch die ganze aus 22 Köpfen bestehende Mannschaft zugegen war, nahmen im gewöhnlichen Gebrauch die wissenschaftlichen Mitglieder die linke oder Sofaseite ein, während die Offiziere die mit Drehstühlen versehene rechte Seite innehatten, um von dort aus schneller hinausgelangen zu können, wenn es der Schiffsdienst verlangte.

Wenn ich nun nach der Schilderung der linken Seite der Ersten Messe zu der rechten übergehe, habe ich dabei zunächst des Führers des Expeditionsschiffes »Gauß« zu gedenken, des Kapitäns Haus Ruser.

Sein besonderes Interesse galt den Obliegenheiten der Navigation. Hieraus entsprang seine Vorliebe für astronomische Arbeiten, welchen er während der Überwinterung besonders gern und mit gutem Erfolg oblag.

Dem Kapitän stand als Leiter der maschinellen Anlagen der Expedition der Obermaschinist Herr Albert Stehr zur Seite. Er leitete die maschinellen Betriebe einschließlich der Vorrichtungen für die elektrische Beleuchtung und den Betrieb der Dampfwinden mit derselben Sicherheit, wie die uns sehr nützlichen Aufstiege eines Fesselballons und die Handhabung der Sprengmittel, und nahm durch die Ausführung von Bohrungen im Eis bis zu 30 m Tiefe lediglich mit Handkraft, durch laufende Beobachtungen über Eistemperaturen, Hilfeleistungen bei den Schwerkraftsbestimmungen und bei vielen anderen Dingen stets mit Geschick und Pflichttreue auch an den wissenschaftlichen Arbeiten Anteil.


Ludwig Ott, Friedrich Bidlingmaier, Emil Werth, Hans Gazert, Emil Philippi, Richard Vahsel, Ernst Vanhöffen, Erich von Drygalski, Hans Ruser, Wilhelm Lerche

Wissenschaftler und Offiziere des »Gauß«

(Quelle: Terra Marique 1902, Heft 1)

Als Erster Offizier war Herr Wilhelm Lerche in den Dienst der Expedition eingetreten, nachdem er in gleicher Eigenschaft schon bei der Hamburg-Amerika-Linie tätig gewesen war. Er hat sich sodann noch durch Teilnahme an einem wissenschaftlichen Kursus auf dem Marineobservatorium in Wilhelmshaven für seine besonderen Aufgaben vorbereitet.

Der ältere Zweite Offizier der Expedition war Herr Richard Vahsel, ebenfalls aus dem Dienst der Hamburg-Amerika-Linie zu uns herübergekommen. Er pflegte sich seiner Aufgabe zu vergewissern, ehe er sie übernahm, wusste sie dann aber zielbewusst und sicher zu Ende zu führen. In der Wirtschaft der Expedition hatte Herr Vahsel den wichtigen Zweig der Einzeldispositionen über den Proviantverbrauch übernommen.

Der jüngere Zweite Offizier der Expedition war Herr Ludwig Ott. Er hatte vor seinem Eintritt in die Expedition im Dienste der Hamburg-Südamerikanischen Dampfergesellschaft gestanden. Willig ging er dann auf die neuen Probleme ein, die ihm gestellt wurden, und suchte sie zu ergründen. So verdankt ihm die Expedition wissenschaftlich eine pünktliche Teilnahme an dem meteorologischen Dienst und an den Pendelbestimmungen, gute Beobachtungen über das Südlicht und manche praktische Einrichtungen bei den geodätischen und ozeanographischen Arbeiten.

Zu den zehn Mitgliedern der Ersten Messe traten bei der Fahrt von Kiel bis zu den Kerguelen noch Herr Dr. Emil Werth hinzu, um sodann die Leitung der dortigen wissenschaftlichen Station zu übernehmen, und während unseres Aufenthalts in der Beobachtungsbucht auf den Kerguelen, wo die Station lag, im Januar 1902 noch die Herren Josef Enzensperger und Dr. Karl Luyken, welche mit einem Teil ihrer und unserer Ausrüstung auf dem Lloyddampfer "Karlsruhe« bis Sydney und von dort auf dem Lloyddampfer »Tanglin« nach den Kerguelen vorausgeeilt waren.

Herr Dr. Emil Werth war Apotheker gewesen. Er erschien für den isolierten Posten auf den Kerguelen besonders geeignet durch seine bereits vorhandene Reiseerfahrung und bereitete sich denn auch für die Expedition vom Januar 1901 an auf breiterer Grundlage vor, nämlich für ärztliche Leitungen, da die Station eines Arztes entbehrte, für den Zeitdienst sowie für biologische und geologische Studien, worunter ihn die botanischen im Besonderen fesselten.

Als Meteorologe der Kerguelenstation war in letzter Stunde Herr Josef Enzensperger zur Expedition gekommen. Vor seinem Eintritt in die Expedition hatte J. Enzensperger zuletzt im Auftrag der Münchener Zentralstation für Meteorologie das Hochobservatorium auf der Zugspitze ein Jahr lang verwaltet und so auch noch besonders geeignete Erfahrungen für eine Polarfahrt gewonnen. Enzensperger leitete die Abtrennung der Ausrüstung der Kerguelenstation von jener der Hauptexpedition und ihre Verfrachtung über Bremen und Sydney. Mit Herrn Dr. Karl Luyken begleitete er sodann diesen Transport und traf auf dem Dampfer »Tanglin« am 11. November 1901 in dem Dreiinselhafen des Royal Sounds auf den Kerguelen ein.

 

Franz, Schwarz, Reimers, Heinrich Michael, Lysell, Johannsen, Heinacker, Reuterskjöld, Mareck, Müller I, Dahler, Besenbrock, Klück, Possin, Bähr, Müller II, Fisch, Stjernblad, Berglöf, Noack, Björvig

Mannschaft des »Gauß«

(Quelle: Institut für Länderkunde, Leipzig)

Erst am 9. Juni 1903 haben wir bei der Landung des »Gauß« in Simonstown erfahren, dass Josef Enzensperger am 2. Februar 1903 auf den Kerguelen an Beriberi gestorben war nach treuester Pflichterfüllung bis zum letzten Moment trotz furchtbarer Leiden.

Das jüngste wissenschaftliche Mitglied der Kerguelenstation war Herr Dr. Karl Luyken. Er hatte sich auf der Hochschule zunächst den technischen und sodann den physikalischen Studien gewidmet und schien durch diese Verbindung für den isolierten Posten auf den Kerguelen umso mehr geeignet, als die Station der Mitwirkung eines Technikers entbehrte.

Wenn man unsere Besatzung mit derjenigen anderer ähnlicher Expeditionen vergleicht, so fällt darin die geringe Zahl der Mannschaften auf. Die Hauptexpedition hat seit Kapstadt einschließlich der fünf wissenschaftlichen Mitglieder und der fünf Offiziere aus 32 Personen bestanden, die Kerguelenstation aus drei Gelehrten und zwei Matrosen.

In allem voran stand der Erste Bootsmann Josef Müller, ein Mann von ungewöhnlicher Tüchtigkeit. Während der Überwinterung hat er uns gute Dienste durch den Bau von Eishäusern für magnetische Zwecke geleistet, deren Ausführung vornehmlich seiner Sorgfalt oblag.

Den Zweiten Bootsmann, Haus Dahler, hatten wir in Kapstadt erhalten. Im Polareis war es ihm besonders willkommen, für den Robbenschlag Verwendung zu finden.

Der Erste Zimmermann war August Reimers. Er war frühzeitig in den Dienst der Expedition getreten und hatte sich bei den Arbeiten zur Vorbereitung der Stationshäuser in Potsdam bewährt, auch bei wissenschaftlichen Ablesungen dort geeignete Hilfe geleistet.

Der Zweite Zimmermann war Willy Heinrich, aus dem aktiven Marinedienst für die Expedition übernommen. Wesentliche Dienste hat er uns bei verschiedenen Gelegenheiten durch Taucherarbeiten geleistet, desgleichen wurde er im Ersinnen und Ausführen mechanischer Verbesserungen in den verschiedenen Betrieben geschätzt.

Unter den 9 Matrosen hatten wir 4 deutsche und 5 skandinavische; von den Ersteren war einer, von den Letzteren waren drei erst in Kapstadt zu uns gekommen.

So hatte Georg Noack während der Seefahrt schon teilweise und während der Überwinterung ausschließlich zoologischen Dienst, wofür er an dem Museum für Naturkunde zu Berlin noch eine besondere Ausbildung genossen hatte.

Max Fisch war aus dem Dienst der Marine für die Expedition beurlaubt worden. Für besondere Arbeiten war er wohlgeeignet, sodass er mit der Zeit im meteorologischen Dienst eine ständige Beschäftigung fand, die er mit Geschick und Zuverlässigkeit wahrnahm.

Karl Klück war zu allem gut zu gebrauchen und fungierte bei Schlittenreisen als der sorglich um uns bedachte Gehilfe und Koch. Seine Fähigkeiten ließen ihn für die Rückfahrt zum Schiffskoch aufsteigen.

Albert Possin war in Kapstadt zu uns übergegangen. Besonders geschätzt war er als Matrose am Ruder.

Von den 5 skandinavischen Matrosen waren 2 Norweger und 3 Schweden; Letztere waren erst in Kapstadt zu uns gestoßen.

Der ältere Norweger war Paul Björvig und für den besonderen Posten eines Eislotsen bei uns angestellt. Er hatte zahlreiche Fahrten im Nördlichen Eismeer hinter sich, teils auf Fangschiffen, teils auch bei wissenschaftlichen Expeditionen, bei denen er Erfahrungen aller auch der schwersten Art gemacht hatte. Seine Erfahrungen kamen uns wohl zustatten. Für die Stelle eines Eislotsen im weiteren Sinn war er weniger geeignet, weil er nur das Nächste sah und nur in einer Richtung urteilte.

In der Arbeit und Zuverlässigkeit, wie auch in der polaren Erfahrung ebenso tüchtig, dabei aber bedachter und ruhiger in seinem Urteil, war unser anderer Norweger, Daniel Johannsen. Auch für wissenschaftliche Hilfsleistungen war er trefflich geschult.

Auch unserer Schweden kann ich nur mit Anerkennung gedenken. Der Älteste derselben war Wilhelm Lysell, in Kapstadt angeworben; die beiden jüngeren, Lennart Reuterskjöld und Curt Stjernblad, waren uns in Kapstadt in letzter Stunde zugelaufen.

Sie fanden daher gern bei wissenschaftlichen Arbeiten Verwendung, so Lennart Reuterskjöld während der Überwinterung als ständiger Gehilfe Dr. Bidlingmaiers in dem Betrieb der magnetischen Station. Lennart Reuterskjöld hat das magnetische Observatorium während einer Schlittenreise Dr. Bidlingmaiers einen vollen Monat lang allein verwaltet. W. Lysell war musikalisch und gründete im Winter einen Gesangverein. Am wenigsten zur Entwicklung ist Curt Stjernblad gekommen, weil sich kein rechter Posten für ihn fand.

Als Maschinenassistenten fungierten Paul Heinacker und Reinhold Mareck. Da wir nur einen Maschinisten mit Patent an Bord hatten, hat P. Heinacker, wenn auch noch vor dem Examen, zeitweilig die Stelle des Zweiten Maschinisten versehen.

Reinhold Mareck verstand sein Handwerk vortrefflich und konnte selbstständig handeln, wodurch er bei den vielen und verschiedenartigen Anforderungen, welche an das Maschinenpersonal herantraten, eine sichere Stütze für dessen Leiter wurde.

Ebenso tüchtig waren die Heizer, von denen Emil Berglöf in Kapstadt zu uns gestoßen war, und Leonhard Müller fast ausschließlich im Maschinendienst beschäftigt gewesen sind. Ersterer wurde außerdem für Klempnerarbeiten in Anspruch genommen, konnte jedoch auch Schmiedearbeiten mit gleicher Gewandtheit versehen.

Leonhard Müller, der Senior des Maschinenpersonals, versah er seine Arbeit mit Zuverlässigkeit und unermüdlichem Fleiß, gleichgültig, ob sie in den Tropen oder im Polareis geschah.

Die übrigen drei Heizer waren während der längsten Zeit der Expedition mit den gleichen Arbeiten wie die Matrosen beschäftigt, falls der besondere Dienst der Maschine es nicht anders verlangte. Es waren Gustav Bähr, Karl Franz und Reinhold Michael. Die beiden Erstgenannten waren willige und fleißige Leute. Besonders G. Bähr hatte auch weitergehendes Geschick, sodass er für die Rückreise nach dem Ausscheiden Marecks in Kapstadt an dessen Stelle Maschinenassistent wurde. Reinhold Michael war erst in Kapstadt zu uns gestoßen und wurde nach einigen einleitenden Tagen in der Maschine, später in Nebendiensten verwendet.

Last not least komme ich zu zwei wichtigen und tüchtigen Mitgliedern der Expedition, dem Koch und dem Steward.

Wilhelm Schwarz war seit Kapstadt unser Koch; er wusste mit der Konservenkost Bescheid und verstand dieselbe schmackhaft zuzubereiten. Auch in der Herrichtung der Landesnahrung, wenn man die antarktischen Produkte so bezeichnen darf, also im Wesentlichen der Robben und Pinguine, war er willig und geschickt und versuchte auch hierin, Abwechslung zu bieten.

Sowohl an Menge der Pflichten als auch an Tüchtigkeit zu deren Bewältigung von keinem übertroffen war August Besenbrock, der Steward der Expedition. Er war immer willig und übernahm Arbeiten auch über den Bereich seiner engeren Pflichten hinaus. Sein Wirken in der Pantry verschönte er sich dabei gern durch einen das Schiff durchdringenden Gesang patriotischer Lieder und duldete in seinem dortigen Bereich Eingriffe höchstens gelegentlich von einem der ihm eng befreundeten Hunde.