Zum Kontinent des eisigen Südens

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Aus der Reihe: Edition Erdmann
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Auch die Einnahme der Kohlen näherte sich um den 20. Januar ihrem Ende; einschließlich der an Deck verstauten Kohlen betrug unser Bestand bei der Abfahrt 370 Tons, wozu noch 40 Tons Anthrazit zum Betrieb der Füllöfen kamen.

Als Depot auf den Kerguelen und zum Gebrauch der dortigen Station blieben etwa 170 Tons übrig, dazu ein Vorrat an Naphtha, Brennholz, Brettern, Mehl und noch einigem anderen Proviant, was wir nicht mehr unterzubringen vermochten. Sie konnten uns für den Fall dienen, dass wir zu einem unfreiwilligen Rückzug nach den Kerguelen gezwungen werden sollten, sonst aber auch zur Verfügung der Kerguelenstation für ihren Bedarf oder für die Schiffe, die mit ihr verkehrten.

Am 24. Januar war auch die Holzlast an Bord und kunstvoll an Deck verstaut derart, dass sie von der vorderen Winde nach hinten zu bis in die Mitte des Laboratoriums reichte; wenn man den vorderen Teil des Schiffes aufsuchen wollte, musste man über sie hinwegturnen, da sie bis zur Höhe der Reling lag. Die Taue der Segel waren für diese Zeit an den Wanten befestigt, damit ihr Gebrauch durch die Verstauung der Holzlast nicht behindert war. Großen Umfang nahmen auch die Platten von Korksteinen ein, die ebenfalls für den Bau von Stationsgebäuden in der Antarktis zur besseren Isolierung derselben mitgeführt wurden. Sie fanden auf der Lotungsbrücke über dem Maschinenhaus Platz. Die Arbeiten mit diesen Platten hatten Augenkrankheiten bewirkt aus Ursachen, die uns nicht recht klar waren; sie gingen auch bald vorüber. Schon am 23. Januar war unser Naphthamotor »Leipzig« aufgehisst und in ihm die Netze des Zoologen verstaut, wodurch den immer wiederholten Strandungen mit diesem Boot ein Ziel gesetzt war. Am 27. Januar wurden Kajaks und Schlitten wie bei der Ausreise auf einem Gerüst zwischen den beiden Deckshäusern untergebracht. Danach folgten noch Einzelheiten, die mit einem letzten überladenen Boot am 30. Januar an Bord gebracht wurden. Der »Gauß« lag nunmehr 20,4 Fuß hinten und 19,8 Fuß vorne tief, also etwas mehr, als bei der Abreise von Kiel; was wir bei der nun folgenden Fahrt auch genügend merken sollten.

Mehrfach waren in den letzten Tagen noch Touren unternommen worden, deren eine im Hintergrund der Beobachtungsbucht vier See-Elefanten gezeigt hatte; außerdem wurde noch viel photographiert. Ich selbst hatte auf einem kurzen Gang die beiden Chinesengräber besucht, einfache Hügel, auf jeden ein Bündel mit Reisstroh gestellt und chinesische Schrift an einfachen Kreuzen. Sie waren die Opfer von Beriberi geworden, die sechs Monate später auf unserer Station so namenloses Unglück anrichten sollte. Sonst oblag es mir, in diesen letzten Tagen noch den Plan für eine Hilfs- und Ersatzexpedition für den »Gauß« niederzulegen.

Nach Nachrichten, die ich auf den Kerguelen erhalten hatte, lag diese Sache derart, dass die Kaiserliche Marine eine Ersatzexpedition schon für das Jahr nach unserer ersten Überwinterung für nötig hielt, falls also die Gaußexpedition bis zum 1. Juni 1903 nichts von sich hören lassen würde, während dieses meinen eigenen, vor der Ausreise niedergelegten Ansichten nicht entsprochen hatte, weil der »Gauß« auch für eine zweite Überwinterung vollkommen ausgerüstet war und eine solche in der ganzen Anlage seines Plans, sowie im Bereich der erteilten Instruktionen lag. Angesichts nun des bestimmten Wunsches der Marine arbeitete ich deshalb einen Plan aus, welcher die Entsendung der Hilfsexpedition schon nach dem 1. Juni 1903 zur Grundlage hatte.

Dieser Plan sah in erster Linie die Vereinigung mit der Hauptexpedition an einem bestimmten Punkt vor, als welcher mir nach reiflicher Überlegung das Knoxland als der geeignetste erschien, und zwar sowohl deshalb, weil er der verhältnismäßig sicherste Punkt war, den uns die Expedition von Wilkes in jenem ganzen großen Gebiet hinterlassen hatte, als auch weil es ein Punkt war, den die Gaußexpedition, falls ihr Schiff scheiterte, zu Schlitten voraussichtlich erreichen konnte, weil er von der Stelle ihres Eindringens in das Eis nicht allzu weit entfernt lag. Denn die so frühzeitige Entsendung einer Hilfsexpedition hatte nur dann einen Zweck, wenn sie mit einer frühzeitigen Beschädigung des »Gauß« rechnete, also mit Vorgängen, die in der Nähe seines Eintritts in das Südpolareis lagen.

Falls die Vereinigung am Knoxland nicht gelang, sollte die Hilfsexpedition auch das Kemp- und Enderbyland in den Bereich ihrer Forschungen ziehen. Diese Pläne, die ich hier kurz skizziere, wurden in einer Denkschrift niedergelegt und dem Reichsamt des Innern übersandt. Vorher habe ich sie meinen Begleitern vorgelegt und bei denselben, von einer kleinen Vervollständigung, die Vanhöffen angab, abgesehen, ungeteilte Zustimmung gefunden. Insbesondere finde ich von Kapitän Ruser unbedingte Billigung gerade auch dafür vermerkt, dass die Hilfsexpedition schon im Jahr 1903 ausreisen sollte, weil es, wie er meinte, sonst zu spät werden könne.

Vor allen Dingen erörterte ich diese Pläne mit Herrn Enzensperger, der in dieselben mit scharfer Auffassung eindrang. Enzensperger verstand völlig, was ich in den Anweisungen für die Route der Hilfsexpedition meinte, und gab mir das volle Vertrauen, dass dieselbe unter seiner aktiven Mitwirkung in dem Sinn geführt werden würde, wie sie mit den Auffassungen der Gaußexpedition in Einklang stand.

Die letzten Tage des Kerguelenaufenthalts wurden von der Mannschaft noch zu einer großen Wäsche benutzt, da anzunehmen war, dass der folgende Teil der Schifffahrt wenig Gelegenheit dazu bieten würde. Ich selbst badete am 28. Januar mit Bidlingmaier in dem kleinen Bach westlich von der Station, da das Wasser im Sonnenschein verlockend erschien, machte aber bei 10 Grad Wassertemperatur und bei 8 Grad Luftwärme, dass ich schleunigst wieder herauskam, weil diese Sommererfrischung auf den Kerguelen doch zu schneidend ausfiel. Sonst wurde am Land noch ein Bootshafen angelegt, ein Segeltuchboot neu bezogen und die letzten Zimmerarbeiten vollendet. Am 29. löste ich meine astronomische Station auf oder richtiger, ich übergab sie an Herrn Dr. Werth, nachdem ich während des Monats unseres Dortseins Zeitbestimmungen gewonnen hatte, um den Gang unserer Chronometer zu kontrollieren und den Anschluss derselben an eine feste Station für die Fortsetzung der Fahrt nach Süden zu haben. Für die künftigen diesbezüglichen Arbeiten auf den Kerguelen waren durch Anlage von Marken noch geeignete Vorbereitungen getroffen worden.

Am 27. Januar haben wir mit den Mitgliedern der Station gemeinsam den Geburtstag Seiner Majestät des Kaisers gefeiert, wobei es in beiden Messen hoch herging; bis zu später Nachtstunde erschollen von hüben und drüben fröhliche Lieder. Der Bedeutung des Tages, auch als des Ausgangspunktes unserer Expedition für die Fahrt ins Unbekannte wurde gedacht. Der Morgen graute, ehe wir uns trennten. Am Tag darauf sah man nachdenkliche Gesichter, doch alle blickten auf das Fest befriedigt zurück. Hier und da bestand etwas Unwohlsein, das auf den nächtlichen Genuss von Wasser infolge quälenden Durstes geschoben wurde, dem dabei alle möglichen Bakterien zugeschrieben wurden, die es nicht hatte.

Dann nahte die Trennungsstunde. Beim frühesten Morgengrauen begab ich mich am 31. Januar noch einmal an Land, um einen kurzen Rundgang vorzunehmen; mit mir waren Leute und zwei Boote gekommen, um die Hunde zu holen. Diese hatten sich die ganze Zeit dort wohlgefühlt; nur Einzelne waren eingegangen, und zwar an Krämpfen. Widerlich war es zu sehen, wie die Raubmöwen diese Tiere ständig umkreisten, um sich auf etwa gefallene Hunde zu stürzen. Einmal sah ich, wie sie gierig einen räudigen Hund in Angriff nahmen, während sie einen nicht mit dieser Krankheit behafteten, an Krämpfen eingegangenen Hund unberührt ließen.

Die Einbootung der Hunde geschah unter einem immensen Geheul; einer stürzte sich ins Wasser, um der Einbootung zu entgehen, ein anderer, der zurückbleiben sollte, wollte seinen Kameraden nachschwimmen, als diese vom Ufer abstießen. Gegen 40 schöne Tiere kamen dann glücklich an Bord und lagen zunächst, ehe ihnen ein geeigneter Raum angewiesen war, auf den Säcken und Kohlen und Brettern umher. Erst am Abend dieses Tages wurden sie unter der Back untergebracht, wo sie verblieben. Paul Björvig hat die ganze Zeit rührend für sie gesorgt; sie selbst aber waren unverträgliche Gesellen, bei denen Kämpfe zu den Alltäglichkeiten gehörten, die freilich meistens nicht so schlimm ausfielen, wie es den Anschein hatte, weil ihr dickes zottiges Fell sie vor Bisswunden schützte; immerhin sind einige Hunde auch bei diesen Kämpfen zugrunde gegangen.

Die Mitglieder der Kerguelenstation hatten mich an Bord begleitet und nahmen mit uns noch ein gemeinsames Frühstück ein. Unser Postbeutel wurde fertig gemacht und ihnen übergeben.

Gleich nach 8 Uhr wurden die Anker gelichtet, was diesmal sogar möglichst glattging, und gleich nach 9 Uhr fuhren wir aus der Stationsbucht heraus. Der »Gauß« grüßte mit der Flagge, und vom Ufer her antworteten uns in gleicher Weise Urbansky und Wienke. Werth, Enzensperger und Luyken waren auf den Felsvorsprung östlich vor dem Stationshaus gegangen und winkten uns von dort einen herzlichen Abschiedsgruß zu. Ihre Rufe setzten sich fort, solange wir sie sehen konnten, und wurden von uns erwidert; wir waren alle guten Mutes und ahnten nicht, dass wir damals Enzensperger zum letzten Mal gesehen hatten.

Über Heard Island zur Eiskante

Die Ausfahrt aus dem Royal Sound ging rascher vonstatten, als einen Monat früher die Einfahrt, weil uns die westlichen Winde jetzt halfen. Wir machten einen kurzen Aufenthalt im Dreiinselhafen, um von der dortigen verfallenen Hütte Fensterglas mitzunehmen, weil das für uns bestimmte Glas beim Transport über Sydney zerbrochen war. Dieser Transport hatte auch sonst noch Minderungen unserer Ausrüstung zur Folge gehabt, deren empfindlichste das Abhandenkommen aller Messingteile für die magnetischen Stationsgebäude war, sodass schon Enzensperger und Luyken sich auf den Kerguelen durch Anfertigung neuer Messingnägel aus Draht oder auch mit Holznägeln hatten helfen müssen. Viel brauchbares Glas fand Herr Lerche allerdings nicht, und schon um 2 Uhr wurde die Fahrt durch dichte Tangstreifen mit unendlichen Scharen von Mantelmöwen wieder fortgesetzt.

 

Die Felsen des Sunds waren bei der Ausfahrt wunderbar klar. Der Schnee war im Januar stark zusammengeschmolzen, wie wir es auch auf der Station beobachtet hatten. Um 4 Uhr hatten wir die Buchananinsel erreicht, die äußerste vor der südlichen Umrandung des Sunds, ein Vulkankegel, wie die weiter innen gelegenen auch. Vor ihr und der Küste brandete die Dünung auf Percy Rock, und auch weiter nördlich auf Balfour Rock war ein heftiger Anprall der Wellen, sodass diese untermeerischen Klippen dadurch leicht erkannt werden konnten. Hinter denselben wandten wir uns sogleich südlich und betrachteten die steilen Kaps der südlichen Küste, in welchen die Insel im Meer verläuft, während in der Ferne das hohe Wyville-Thomsen-Gebirge ein Wahrzeichen blieb. Noch am Abend des 31. Januar war die Küste in Sicht, doch die meisten Mitglieder der Expedition waren wenig genussfähig, da mit der Umschiffung der äußeren Klippen ein starkes Schaukeln begonnen hatte, welches akute Anfälle von Seekrankheit bewirkte, die sich bei dem einen in Gereiztheit, bei dem anderen in Schläfrigkeit und einem dritten noch direkter äußerte. Am folgenden Morgen war von der Küste nichts mehr zu sehen.

Wir hatten eine unruhige Nacht gehabt, und ständig rauschte viel Wasser über Deck. Die Bewegungen des »Gauß« waren minder heftig als vor den Kerguelen, weil die Stauung der Ladung jetzt zweckmäßiger war, doch ihr Ausmaß war größer und man konnte nun häufig sehen, wie das Schiff von beiden Seiten schöpfte. Im Laboratorium entstand starke Verwüstung an Glassachen, leider auch an photographischen Platten, und die Hunde fühlten sich unter der Back nicht gerade behaglich, weil sie mehrfach überschwemmt wurden, was für die übrigen Teile des Decks eine genügende, für den Hunderaum selbst aber noch lange nicht ausreichende Reinigung war. Die Leckage des »Gauß«, welche bei der ruhigen Lage auf den Kerguelen wenig Arbeit gemacht hatte, zeigte sich in aller Stärke von Neuem. Dreimal täglich musste gepumpt werden, und es wurde klar, dass alle diesbezüglichen Dichtungsversuche, welche auf den Kerguelen wieder gemacht worden waren, den Schaden nicht beseitigt hatten, weil er zweifellos in einer Lockerung des Gefüges durch die heftigen Bewegungen des Schiffes bestand und vorzugsweise im Rudertunnel saß.

Sonntag, der 2. Februar, war ein schöner, ruhiger Tag; der Fortschritt der Fahrt war gering und wurde auch durch Dampf nicht beschleunigt, da wir uns der Heardinsel näherten und sie auch bei langsamer Fahrt in der Nacht auf den nächsten Tag schon erreichen mussten. Der Tag wurde in Ruhe verbracht; wir lebten von frischen Vögeln, von denen ein Kormoranragout vortrefflich schmeckte, während die kleinen Hunde, um sich gleiche Genüsse zu verschaffen, eine Sammlung von Vogelbälgen aufgefressen hatten, die aber zu ihrem Schaden schon mit Arsen vergiftet waren, was ihnen zeitweilige, aber nicht nachhaltige Beschwerden verursachte.

Am 3. Februar wurde ich um 4 Uhr gerufen, weil Heard Island in Sicht kam. Wir standen westlich von Shag Island, einem scharfen zackigen Grat mit mindestens drei Klippen davor, und steuerten direkt auf die noch in nebliger Ferne nur undeutlich erscheinende Heardinsel zu. Um 5 Uhr lichteten sich die Nebel, und für kurze Augenblicke zeigte sich klar der mächtige Kaiser-Wilhelm-Berg, von dem deutschen Kriegsschiff »Arkona« seinerzeit so genannt, als ein runder vereister Gipfel zu riesigen Höhen emporsteigend und nach allen Seiten Gletscher über stufenförmig abfallende Felsen bis zum Meer entsendend. Er bildet die Hauptmasse der Insel und wird nur gegen Nordwesten durch eine niedrigere vulkanische Landzunge fortgesetzt, von der sich wiederum ein kleiner jungvulkanischer Rücken ablöst, welcher die Corinthian Bay im Westen begrenzt und mit Rogers Head endigt.

An der Nordseite der Insel, vor der wir standen, zählte ich sieben mächtige Gletscher, die mit Ausnahme des vierten von Westen gesehen mit steilen Eiswänden dicht am Meer abbrechen, aber nicht im Meer selbst, wie es zunächst erschien; denn bei größerer Annäherung sahen wir vor den steilen Wänden noch heruntergebrochene Eisblöcke gelagert. Auf der Nordseite sind zwei Häfen bekannt, die Mechanics Bay, durch eine Klippe gegen Westen geschützt, sonst aber offen und mit stark bewegter See, sodass sie jedenfalls keinen günstigen Liegeplatz hat. Etwas besser geschützt war die weiter westlich gelegene Corinthian Bay, auf die wir zuhielten; doch war auch sie gegen Osten und Norden hin offen. Wir fuhren in ihr bis auf etwa 3 km Abstand ans Land heran und warfen um 6 ½ Uhr morgens Anker im Angesicht des jungen Vulkangebiets von Rogers Head.

Die Felsen dieser Landzunge bestehen aus einer Folge von dünnen Lagen, weißlich und grau gefärbt. Es hatte aus der Ferne den Anschein, als ob wir es hier mit einem schmutzdurchsetzten Eis zu tun hätten, doch erwies sich das Material als eine weißliche feldspatreiche Lava. In einer steilen Scharte dieser Landzunge, die nach Osten herabzieht, waren endlose Scharen von Pinguinen aufgestellt, wie Stecknadeln in einem Kissen erscheinend, hauptsächlich Eselspinguine; später wurden auch einzelne Exemplare des Königspinguins gefunden. Von dem jungen Vulkangebiet zog ein Lavastrom mit schlackiger Oberfläche nach Süden hinab und stellte jetzt die Verbindung mit der Hauptinsel her. Das ganze Gebiet war noch sehr junger Natur.

Sogleich wurde das Boot hinabgelassen, und von dem stark rollenden Schiff stiegen wir in das schwankende Boot, ich mit den vier wissenschaftlichen Mitgliedern, dazu Kapitän Ruser, der Zweite Offizier Vahsel, der Bootsmann Dahler und die Matrosen Björvig, Johannsen und Fisch. Scharen von Riesensturmvögeln umkreisten uns bei der Fahrt, große bräunliche Tiere mit schmutzig gelbem Schnabel, der nachher vielfach rot von Blut gefärbt war; sie standen am Ufer wie Gänseherden und entflohen in eiligem Lauf, wenn man sich ihnen näherte, falls sie nicht schon zu vollgefressen waren; auch von der Wasserfläche erhoben sie sich, indem sie zunächst darauf zu laufen schienen. Dazu sahen wir massenhaft Kaptauben, Möwen, Pinguine und Prione. Mit der Annäherung an den Hintergrund der Bucht hob sich ein gelber Streifen von Bachwasser in dem sonst blauen Meerwasser ab. Wir versuchten, darin vorwärtszukommen, um zu landen, doch es war zu flach. Die Landung erfolgte deshalb neben der Bachmündung im blauen Meereswasser; von einer größeren Woge ließen wir uns hinaustragen, sprangen dann schnell heraus und kamen meist trocken ans Land.

Hier im Hintergrund der Bucht ist der Strand niedrig, flach und sandig, aus grobem Sand mit Geröllen bestehend. Es sind glaziale Schotter, welche die Hauptinsel mit dem Lavastrom der jungvulkanischen Landzunge heute verbinden. An Tümpeln und Vertiefungen, mit Moospolstern und unscheinbaren Ranken des Wassersterns bekleidet, lagen an 400 See-Elefanten in träger Ruhe; mächtige Tiere waren darunter, und zwar Männchen und Weibchen. Die Ersteren sind größer und an dem starken Fettwulst kenntlich, der, wenn sie gereizt sind, die Schnauze rüsselartig überragt; die Weibchen sind kleiner und friedlicher. Bidlingmaier und Ruser versuchten, auf ihnen zu reiten, freilich ohne Erfolg, da sich dieselben dabei heftig drehten. Rechts vom Bach lagen zwei einzelne Weibchen, die wir mitzunehmen beschlossen; es geschah, indem sie Björvig zunächst ruhig zum Strand trieb, um sie dort erst zu töten und zu zerlegen. Wir nahmen Fleisch als wohlschmeckende Nahrung für uns und für die Hunde, außerdem Schädel und Häute für unsere Sammlungen mit. Das Boot schwamm freilich von Blut, als wir es zur Rückfahrt bestiegen.

Links von der Bachmündung, wo der Lavastrom aus den jungen Schottern emporsteigt, stand auf Ersterem ein verfallenes Holzhaus von einem hohen, mit Gras und Kerguelenkohl bewachsenen Erdwall umgeben. Es hatte einfache Bretterwände und innen fünf Pritschen zum Schlafen, als Inventar verrostetes Eisenwerk zum Rudern und zum Fangen. Vorne neben der Tür fanden wir eine Inschrift in Holz geschnitzt, welche die Strandung einer amerikanischen Bark verkündigte und schließlich die Rettung der Gestrandeten durch ein amerikanisches Kriegsschiff. Vor dem Haus lagen noch viele gefüllte Tranfässer umher, als ein Zeichen für die Tätigkeit der Schiffbrüchigen. Das Haus sah romantisch und von außen mit seinem grünen Erdwall fast wohnlich aus, doch täuschte der Graswuchs, denn innen war es verfallen und öde.

Wir teilten uns nun zu verschiedenen Arbeiten; Bidlingmaier nahm mit Vahsel erdmagnetische Beobachtungen vor, Philippi besuchte die jungvulkanische Landzunge westlich von der Bucht, Vanhöffen sammelte Insekten und Pflanzen, Ruser oblag der Jagd und ich selbst ging mit Gazert zu dem großen Baudissin-Gletscher hinauf.

Über die Schotter und Sande im Hintergrund der Bay war es mühsam zu gehen, weil man vielfach einsank. Am besten ging es noch auf den Bahnen, welche auf dem Sand von den See-Elefanten geschaffen waren, wenn sie darüber hinwegkrochen. Nahe dem Gletscher fanden wir eine andersgeartete Robbe am Strand liegen, mit kleineren Augen, spitzerem und schmalerem Schädel und geflecktem Fell, zweifellos ein Seeleopard, der sich langsam vor uns ins Wasser schob, als wir ihn ärgerten. Ein Eselspinguin sprang daneben plötzlich aus dem Wasser heraus. Ich warf nach ihm mit einem kleinen Stein und traf ihn vor die Brust; das arme Geschöpf verlor das Gleichgewicht und fiel schreiend auf den Rücken, um dann aber schnell zu verschwinden.

Der Baudissin-Gletscher endigt dicht am Meer auf Sand, der noch kurz vor dem Ufer in einer niedrigen Stufe absetzt, welche die Brandung darin geschaffen hat. Einzelne Eisbrüche waren von der steilen Wand des Gletschers heruntergekommen, andere mussten bald folgen, denn der Gletscher blättert sich vorne an Spalten ab, sodass diese Teile dann zusammenstürzen, wenn die Brandung sie unterspült. Das Gletschereis war luftreich, aber sonst sehr rein; Bänderung war vorhanden und gegen die Westseite hin unten mit 21 bis 25 Grad Neigung, oben noch steiler emporsteigend.

Die höheren Stufen über der Zunge hatten wir angeseilt überschritten, weil die Spalten immer dichter und breiter wurden. Als dann Nebel und Schnee aufkamen und uns die Aussicht nahmen, machten wir halt und gingen nach einem Frühstück von gefrorenen Sardinen und Brot über die Moränen wieder zum Meer hinab. Auch die Arbeiten unserer Gefährten in der Tiefe waren bald beendigt, die Sammlungen geborgen, desgleichen die reichliche Beute an Nahrung. Mit einbrechender Dunkelheit kehrten wir zum »Gauß« zurück, nachdem uns noch beim Einsteigen am Strand eine Welle überrascht und vollkommen durchnässt hatte.

An Bord fanden wir unseren Hundebestand durch sieben Junge vermehrt. Mit zunehmender Dunkelheit fuhren wir nun mit östlichem Kurs an der Insel entlang, um sie noch vor Eintritt der Nacht im Osten zu umschiffen.

Die folgenden Tage waren überaus nass; an beiden Seiten kam Wasser über die Reling, das knietief über das Deck schälte und auch seinen Weg zu den inneren Räumen fand, sodass die Teppiche aus den Kabinen entfernt werden mussten. Die große Belastung des Schiffes machte sich jetzt störend bemerkbar, wenn auch die gute Verteilung der Ladung eine bessere Lage im hohen Seegang bewirkte, wie vor den Kerguelen. Wir hatten jetzt meist zwei westliche Dünungen, etwa aus Westen und Südwesten gerichtet, die sich durchkreuzten und zu Spitzen türmten, welche das Schiff überragten. Einmal schlug das Wasser direkt durch den Ventilator in die ozeanographische Kammer hinein und von dort in den Maschinenraum, wo die Lichtmaschine stand, sodass Kurzschlüsse entstanden und ein Funkenregen die sofortige Abstellung der Maschine erforderlich machte. Auch die Deckslast litt unter diesen Verhältnissen; so waren in der Nacht auf den 5. Februar die dort noch befindlichen Kohlen in Bewegung geraten und zum Teil über Bord gespült. Dabei fiel das Barometer ständig und rasch und ließ noch unruhigere Verhältnisse erwarten. Dass das Leck unter diesen Umständen erheblich war, bedarf keiner Erwähnung.

Am Morgen des 6. Februar hatten wir Schnee, doch besserte sich damit das Wetter, sodass wir am Nachmittag dieses Tages eine Lotung und andere hydrographische Arbeiten vornehmen konnten, die glücklich verliefen, obgleich der »Gauß« heftig rollte. Am 7. Februar hatten wir etwas freundlicheres Wetter, sodass die Hunde aus ihrem nassen Gelass einmal herausgebracht werden konnten, um sich auf den Brettern zu sonnen. Die armen Tiere litten viel an der Räude, was sich aber späterhin im Eis mehr und mehr gebessert hat.

 

An diesem Tag wurde des Morgens der erste Eisberg bemerkt, ein mächtiger Koloss mit ausgeprägter Tafelform und steilen Wänden. Gleich darauf erschien auch der zweite; gleichzeitig fuhren wir durch eine lange Zunge kleinerer Eistrümmer hindurch, die wohl Trümmer eines Eisberges darstellen mochten, aber auch die Reste einer Scholleneisbank sein konnten.

Dem schönen Tag folgte eine sehr unruhige Nacht; schon gegen Abend war Wind aufgekommen, in dem wir sieben bis acht Knoten liefen, und das Barometer war schnell gesunken. Abends verdichtete sich das Wetter, und wir hatten viel Regen und Schnee; es wurde ganz unsichtig. Der Schnee peitschte uns ins Gesicht und verhinderte jegliche Aussicht; dazu war ein starkes Geschaukel, das Schiff tanzte von Woge zu Woge und schöpfte stark, sodass die Leute bis Brusthöhe auf Deck im Wasser standen. In den Hunderaum wurde viel Wasser gespült, und zeitweilig tauchte das Schiff so tief, dass der Klüverbaum bedeckt war. Gegen zwölf Uhr nachts mussten die Segel eingezogen werden, weil das Wetter zu wild wurde, und es war eine harte Arbeit; das Reffen des Focksegels allein hat drei Viertelstunden gedauert.

Währenddessen entstand eine plötzliche Helle, die wohl ein Südlicht war, aber innerhalb des Dunstes nicht als solches erkannt werden konnte. Gegen zwei Uhr tauchte ganz in der Nähe aus dem Nebel ein Eisberg hervor. Von den Segeln stand nur noch das Marssegel, und das Schiff lag beigedreht am Wind. Der Kapitän versuchte es steuern zu lassen, um von dem Eisberg freizukommen, doch es war vergeblich. Wie von einer magischen Kraft angezogen, trieben wir gerade auf den Eisberg zu. Mit großer Geschwindigkeit wurde nun die Zuflucht zur Maschine genommen, die schnell in Gang kam, und gleichzeitig wurden trotz des rasenden Sturms auch Segel gehisst. Beides wirkte zusammen, um dem Schiff eine geringe Steuerkraft zu gewähren, und es gelang, an dem Eisberg vorbeizukommen. Es war vielleicht die schwierigste Situation, die wir auf See gehabt haben.

Am nächsten Morgen war es besser, wenn die Wogen auch noch bis über die Brücke schlugen und mir, als ich oben stand, ein eiskaltes Bad bereiteten. Es war aber sichtiger und auch die Steuerung leichter. In der Nacht war versucht worden, mit unseren Öltropfapparaten die Wogen zu glätten, doch war das Öl darin dick und tropfte nicht mehr. Der Luftdruck war bis 719 mm gesunken, wo in diesem Gebiet sonst ein mittlerer Barometerstand von 744 herrscht, und er fiel auch noch weiter. Bidlingmaier zeichnete die meteorologische Situation dieses Sturms und machte uns klar, dass wir schon seit dem Tag vorher mit einem Minimum um die Wette fuhren, welches annähernd unseren Kurs verfolgte, sodass wir bald auf seiner Vor-, bald auf seiner Rückseite standen, bald in seinem Zentrum, und dann alle die Erregungen durchzukosten hatten, die es bewirkte.

Am Abend des 8. Februar hatten wir das erste deutliche Südlicht; es stand in Süd und Südwest, hatte seine größte Entwicklung aber über uns im Zenit, wohin es sich von Süden hinaufzog. Es war ein feiner Schimmer, der sich von Zeit zu Zeit zu einem geschlungenen Band verdichtete, das sich dann auch zu den Falten einer Draperie entwickelte und in langsamer Bewegung umherschlang. Wolken zogen darüber hinweg und entzogen es zeitweilig unseren Blicken, doch es hielt lange an und ließ sich die ganze Nacht verfolgen. Am 9. Februar war ein schöner Tag.

Ich feierte an diesem Tag in Gemeinschaft mit dem Zweiten Offizier Vahsel unseren Geburtstag, der in frühester Morgenstunde durch das übliche Ständchen unter starken Klängen von Triangel, Trommel, Tamburin und Harmonika eingeleitet war und am Abend mit einem fröhlichen Fest in beiden Messen seinen Abschluss fand. Am 10. Februar haben wir gelotet, hydrographiert und gefischt; das Vertikalnetz brachte neue Formen herauf. Außerdem war es fast gänzlich von Diatomeen verstopft. Diese mit Kieselpanzer versehenen einzelligen Pflanzen, die häufig zu Ketten geordnet erscheinen, konnten hier in großer Mannigfaltigkeit studiert werden. Die Hauptmasse in der Bodenprobe bildete aber zum ersten Mal Gesteinsmaterial, das kontinentalen Ursprungs war.


Der Zoologe beim Oberflächenfang

(Quelle: Drygalski-Nachlass, Privatbesitz Mörder, Feldkirchen-Westenham)

Am 11. Februar ist eine auffallend starke Annahme an Eisbergen zu verzeichnen gewesen, meistens aber auch hier nicht von Tafelform, sondern verwaschen und abgespült. Stellenweise trieben auch kleinere Eisblöcke am Schiff vorüber. Am 12. wurden circa 30 Berge im Umkreise gezählt, darunter auch solche mit Schmutzbändern, während andere die regelmäßige blaue Schichtung zeigten. Es war auffallend, in dieser Gegend so viele unregelmäßige Formen zu sehen, deren stark verwittertes Aussehen auf langen Transport hindeutete. Am Morgen des 13. Februar lag der Schnee über 5 cm Deck, und er fiel noch weiter, große Flocken in lockerem Fall. In der Nacht war die Lufttemperatur zum ersten Mal unter 0 Grad gesunken.

Ein Fischzug auf 2000 m, den wir hier vornahmen, missriet; auch die magnetischen Arbeiten wurden schwieriger, weil mit Annäherung an den magnetischen Pol die horizontale Richtkraft für die Nadel immer geringer wird, und damit die Störungen durch die Schwankungen des Schiffes relativ größer, während die Neigung der Magnetnadel gegen den Horizont (Inklination) und gleichzeitig die vertikale Richtkraft (Vertikalintensität) zunehmen.

So waren wir nunmehr bis zum Eis gekommen und standen davor. Ehe ich aber den Eintritt des »Gauß« in die dichten Schollen schildere und damit den Anfang einer folgenschweren Entwicklung, sei es gestattet, einen kurzen Rückblick auf die Pläne zu werfen, welche die deutsche Südpolarexpedition an diese Stelle des Südpolargebietes geführt hatten und insbesondere an diesen Punkt, wo seine Fahrt im Eis begann.

Wie schon erwähnt wurde, ist die sogenannte Kerguelenroute zur Erforschung des Südpolargebiets zwischen etwa 60° und 90° östl. L. v. Gr. und zwischen den beiden letzten dort sicher bekannten Landstämmen des Knox- und des Kemps-Landes von den älteren Plänen G. v. Neumayers übernommen gewesen, und ich finde in der Literatur dafür im Wesentlichen drei Gründe angeführt.

Erstens wird die günstige Lage dieses Gebiets für magnetische Arbeiten betont. Zweitens liegt das Gebiet südlich der Kerguelen auch für astronomische Arbeiten günstig, indem es sich bei der ersten Ausarbeitung der Südpolarpläne wesentlich darum gehandelt hatte, sie mit Beobachtungen des Venusdurchgangs vor der Sonnenscheibe zu verbinden. Drittens hatte G. v. Neumayer die Ansicht von einem Strom gehabt, der, von den Kerguelen südwärts führend, durch seine Wärme die Eisgrenze dort polwärts verschiebt, vielleicht dann auch höhere südliche Breiten kreuzt, um erst durch das Weddellmeer seinen Austritt zu nehmen. Viertens wurde Neumayer zur Befürwortung der Kerguelenroute durch den Umstand bestimmt, dass hier früher noch niemals ein ernstlicher Vorstoß versucht worden ist.

Von diesen vier Gründen ist der letzte für mich bestimmend gewesen. Wenn mich das gänzlich Unbekannte anzog, musste damit das Problem des Kerguelenstroms und der Küstenlage im Vordergrund stehen.

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