Kostenlos

Die Psychologie der Erbtante

Text
0
Kritiken
iOSAndroidWindows Phone
Wohin soll der Link zur App geschickt werden?
Schließen Sie dieses Fenster erst, wenn Sie den Code auf Ihrem Mobilgerät eingegeben haben
Erneut versuchenLink gesendet

Auf Wunsch des Urheberrechtsinhabers steht dieses Buch nicht als Datei zum Download zur Verfügung.

Sie können es jedoch in unseren mobilen Anwendungen (auch ohne Verbindung zum Internet) und online auf der LitRes-Website lesen.

Als gelesen kennzeichnen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Tante Olly

Viktor Eberhard Dachreiter war in Tante Ollys Testament zum Universalerben bestimmt worden und trat tatsächlich in die Rechte eines solchen ein, indem er das sehr stattliche Vermögen der Dame Olga Weidenbaum, verschieden am 27. Oktober 19.., in Besitz nahm.

Als ich das hörte, war ich geknickt. Schon bei der Nachricht, daß Tante Olly sich aus unbekannten Gründen erhängt habe, fühlte ich den Erbtanten-Grund, auf dem sich doch mein Ruhm für die Unsterblichkeit aufbauen soll, unter mir schwanken. Aber ich hoffte noch, daß sich auch hier, wie schon so oft, ein Wunder hilfreich ins Mittel legen werde, um das Furchtbare zu verhüten. Umsonst. Viktor Eberhard Dachreiter war Tante Ollys Erbe.

Und doch — durfte ich daraufhin glauben, daß meine Lehre einen Riß bekommen habe? — Durfte ich mich dem zwar schönen, aber doch schon etwas verbrauchten Satz trösten: Keine Regel ohne Ausnahme? — Ich durfte es nicht. ich dachte, grübelte, forschte. DIe Sache mußte ihren Haken haben.

Ich fand den Haken. es war derselbe, an dem Tante Olly aus unbekannten Gründen ihrem Dasein ein Ende gemacht hatte.

Wenn die unbekannten Gründe keine unbekannten Gründe mehr sind — so sagte ich mir — dann sind es bekannte Gründe, und auf bekannten Gründen baut man besser als auf unbekannten. Es galt meine Erbtanten-Lehre zu retten. Da durfte keine Mühe gescheut werden, da heiligte der Zweck jedes Mittel: ich mußte den Gründen auf den Grund kommen.

Ich brach also mit Hilfe eines Dietrichs nächtlicherweile in Tante Ollys verflossene Wohnung ein, und durchstöberte alles, was noch an ihre Lebzeiten gemahnte.

An materiellen Schätzen war mir nichts gelegen — mein Einbruch hatte ideale Motive — und so steckte ich nur einen Hundertmarkschein ein, den ich zufällig unter ihren Briefschaften fand, und der mir für meine weiteren Forschungen vielleicht von Nutzen sein konnte. Gott sei Dank! ich konnte ihn als Lohn für meine Bemühungen ungeteilt behalten. Denn ich fand unter den Briefschaften außerdem folgendes:

eine Anzeige diesen Inhalts:

Als Verlobte empfehlen sich

Marianne Liebenstern

Konrad Leo Dachreiter, Rittmeister a.D.

einen Geburtsschein vom 7. Mai 18.., in dem der unverehelichten Olga Weidenbaum die Entbindung von einem Knaben amtlich bestätigt wird

ein Protokoll, in dem festgestellt wird, daß der Oberleutnant Konrad Leo Dachreiter den am 7. Mai 18.. der unverehelichten Olga Weidenbaum geborenen Sohn Viktor Eberhard als von ihm stammend anerkennt, und in dem fernerhin besagtem Sohn für Lebenszeit die Erlaubnis erteilt wird, den Familiennamen seines Vaters zu führen

etliche Briefe, in denen der Oberleutnant, dann Rittmeister, dann Rittmeister a. D: Konrad Leo Dachreiter seiner »geliebten Olly« die Ehe verspricht

etliche Briefe meines Freundes, des beneideten Erbneffen Viktor Eberhard Dachreiter an Fräulein Olga Weidenbaum mit der Überschrift: »Liebe Tante Mama!«

Aha! dachte ich nur, als ich den Punkt 1 mit dem Punkt 4 verglich und nach dem Haken schielte, an dem Tante Olly ihrem Leben ein Ende gemacht hatte.

Meine Theorie war wieder einmal gerettet.

Tante Paula

Die Hauptperson dieses Kapitels unsrer Lehre ist nicht Tante Paula selbst, sondern ihr Pudel Schwarz.

Tante Paula hatte nämlich einen Pudel, wie ja ältliche Damen, denen das Schicksal einen Ehegatten versagt hat, häufig in irgend einem süßen Vieh Tröstung finden.

Außer Schwarz, dem Pudel, gab es jedoch auch einen Menschen, dem Tante Paula in zärtlicher Liebe zugetan war. Das war Eduard, ihr Neffe, dem sie ihre Würde als Tante verdankte, und der sich dem trügerischen Glauben hingab, Tante Paula sei seine Erbtante.

Daß Schwarz und Eduard sich nicht vertrugen, versteht sich in einer Geschichte, in der eine Erbtante, ein Pudel und ein Neffe eine Rolle spielen, von selbst.

Freilich, wenn Tante Paula dabei war, dann wedelte Schwarz den Eduard scheinheilig an, und Eduard nahm aus jeder Tasche ein Stück Zucker und gab es mit liebevollen Worten dem reizenden Tierchen. Trafen sich aber die beiden in Tante Paulas Abwesenheit, dann erdröhnte das Haus von des Köters bösartigem Gebläff, und seinem markerschütterndem Geheul, wenn ein Fußtritt Eduards ihn an die Schnauze getroffen hatte.

Gingen alle drei miteinander spazieren, so ging Tante Paula, die sich bei einer erstaunlichen Schlankheit einer märchenhaften Länge erfreute, in der Mitte; zu ihrer Linken ging Eduard, zu ihrer Rechten Schwarz, die sich an der unteren Partie Tante Paulas vorbei haßerfüllte Blicke zuwarfen.

Es war der Haß der Eifersucht, den die beiden gegeneinander nährten. Und zwar war Schwarz auf Eduard eifersüchtig, weil er sich durch jedes Stückchen Zucker, das Eduard in seinen Kaffee warf, benachteiligt fühlte, und weil er jeden zärtlichen Blick seiner Herrin, der Eduard traf, als ihm zugehörig betrachtete. Eduard aber blickte weiter in die Zukunft. Er wußte, daß er zwar der einzige Leibeserbe Tante Paulas war, er sah aber ein, daß ihre Liebe zu dem Pudel noch weit größer war als die zu ihm, und daß die gute Tante daher nicht eher die Augen schließen würde, als bis sie auch den Hund zeitlebens versorgt wüßte. Ja, er fürchtete sogar, daß das Legat, das sie für die Pension Schwarzens aussetzen würde, noch bedeutender sein würde, als das für ihn bestimmte.

Eduard kalkulierte, daß diesem Fürchterlichen nur dadurch vorgebeugt werden könne, daß der Hund vor Tante Paula das Zeitliche segnete. Da aber das Tier noch gesund und rüstig, die Tante dagegen schon runzlich war und bedenklich hüstelte, war es wünschenswert, den Köter baldmöglichst unschädlich zu wissen.

So reifte in Eduard ein schwarzer Plan.

Der tägliche Spaziergang Tante Paulas und ihrer beiden Getreuen führte sie über einen Steg, der ein tiefes Gewässer überbrückte. Hier sollte das Furchtbare vor sich gehen...

Es war ein Sonntagvormittag. Die Sonne spielte mit den Wellen des Bächleins, über den erwähnter Steg führte, Versteck, indem sie sich bald hinter den Wolken verkroch, bald hervorkam, um alles rundum in überquellender Zärtlichkeit zu küssen — kurz: es war eine Stimmung, die ich schildern könnte, wenn ich erstens die Begabung eines Lyrikers und zweitens die Zeit eines Rentiers besäße. Da beides nicht der Fall ist, begnüge ich mich mitzuteilen, daß in diese Stimmung Tante Paula mit den beiden Herzensfreunden würdig gemessenen Schrittes hineintrat.

Eduard gab seiner Freude über das herrliche Wetter und die schöne Gegend in übersprudelnder Lebendigkeit Ausdruck. Er wies die gerührte Tante auf die grünen Abhänge hin, die steil ins Wasser hinabliefen, und zeigte ihr eine Stelle, wo eine große Menge Vergißmeinnicht leicht erreichbar blühten.

Tante Paula flog mit entzücktem Aufschrei darauf zu, ein Stäußlein zu pflücken. Darauf aber hatte der hinterlistige Erbe gewartet. Er versetzte dem Pudel, der bis dahin teilnahmslos nebenher getrottet war, und sich die Zeit mit Fliegenschnappen anmutig vertrieben hatte, hinter Tante Paulas Rücken einen Fußtritt in die Flanke, daß Schwarz laut aufquiekend ins Wasser stürzte.

Beinah wäre Tante Paula vor Schreck dasselbe passiert. Sie vermied es aber, und warf sich lieber dem ungetreuen Eduard zu Füßen, den sie schluchzend anflehte, das arme Vieh zu retten, das heulend herumschwamm und vergebens versuchte die steile Böschung hinaufzuklettern.

Eduard hielt der unglücklichen Tante einen langatmigen Vortrag, in dem er ihr klarzumachen suchte, daß die Rettung des Hundes nur mit eigner Lebensgefahr vollzogen werden könne. Aber Tante Paula hörte nur das Jammergeheul Schwarzens und beschwor ihn nur immer heftiger, das gute Tierchen nicht ertrinken zu lassen. Umsonst.

Da zog sie andere Saiten auf. Sie befahl. Und als das noch nicht half, schrie sie ingrimmig: »So enterbe ich dich, Herzloser!« Das half.

Eduard dachte an Schillers Taucher und war mit einem kühnen Satz im Wasser. Er schwamm auf den Hund los, und als er ihn eben beim Halsband gefaßt hatte — nicht um ihn aus dem Wasser zu ziehen, sondern um ihn das Maul solange unterzutauchen, bis die Luft wegbliebe, da schnappte Schwarz zu, biß ihm tief in die Hand und rettete sich selbst durch einen kühnen Satz hinauf zu Tante Paula, die in ihrer maßlosen Freude, ihr Hündchen wiederzuhaben, nicht bemerkte, wie Neffe Eduard inzwischen verblutete und ertrank.

Als man ihr später die Leiche ins Haus brachte, ließ sie gerührt einen Leichenstein meißeln mit der Aufschrift: »Dem tapferen Retter meines geliebten Hündchens, der sich mir und meinem Pudel zuliebe aufopferte, in Dankbarkeit Tante Paula.«

Schwarz aber ward Universalerbe. Und als er starb, ward aus Tante Paulas Vermögen eine »Eduard-Schwarz-Stiftung zur Rettung Schiffbrüchiger«.

Tante Q

Ich hab‘ meine Tante geschlachtet,

Meine Tante war alt und schwach,

Ich hatte bei ihr übernachtet

Und grub in den Kisten, Kasten nach.


Frank Wedekind wird es mir verzeihen, wenn ich ihm vorgreife, und die Geschichte der geschlachteten Tante etwas näher beleuchte. Sie gehört aber unbedingt zu unserer Tanthologie, da auch sie wieder dartut, wie man sich in Erbtanten verrechnen kann. Um indes nicht zu indiskret zu sein, will ich die Heldin dieser Geschichte Tante Q nennen, einmal, weil das so gerade in unser Alphabet paßt, dann auch, weil Q der einzige Buchstabe ist, zu dem der liebe Gott keinen Frauennamen geschaffen hat, un der somit unbefugtes Sich-getroffen-fühlen ausschließt.

Tante Q also war eine Dame, die seit 45 Jahren im dritten Stockwerk eines Hauses in Berlin NW. eine Wohnung bevölkerte, die aus zwei Stuben, Küche und Kammer bestand.

 

Morgens um 6 Uhr stand Tante Q auf, vermischte etwas Cichorie mit heißem Wasser, trank dies Gemisch als »Kaffee« und begab sich an ihre häuslichen Arbeiten. Diese bestanden im Untersuchen, ob alle Türen gut verschlossen waren, im Nachsehen, ob ihr Geld noch unberührt im dritten Fach ihres eisernen Schrankes lag, im Ausfegen jeder Ecke, ob nicht etwa irgendwo ein Kupferpfennig lag (vor 37 Jahren sollte Tante Q einmal einen unter dem Küchentisch gefunden haben) und im Ausklopfen ihrer Kleider und Möbel, weil niemand wissen konnte, wozu es gut war.

Das alles geschah im Negligé, d.h. in Nachtjacke und Unterrock. Darüber hing eine blaue Schürze, die als Taschentuch Verwendung fand.

Gegen 11 Uhr zog Tante Q sich an. Sie warf sich nämlich über den Unterrock einen schwarzwollenen Überrock, und über die nachtjacke und den darunter gekrümmten Buckel einen roten türkischen Shawl, den sie vorn zusteckte. Auf ihr bißchen grünlichgefärbtes Haar stülpte sie einen Strohhut in Kapotteform mit langen, breiten Bändern, die sie unter dem wackelnden Kinn zuband, und in die Hand nahm sie einen mächtigen, blauen Regenschirm mit einer sehr großen Holzkrücke und ihr Schlüsselbund.

So ging sie Einkäufe machen, versäumte aber niemals, der Portiersfrau beim Fortgehen einzuschärfen, sie möchte um des Himmels willen niemand zu ihr in die Wohnung lassen, was schon deswegen gar nicht möglich war, weil nicht nur die Entreetür, sondern auch jede Stuben- und Kammertür, jeder Schrank und jedes Schubfach mit komplizierten Kunstschlössern versehen waren, die Tante Q beim Fortgehen sorgfältigst verschloß.

Nun hatte Tante Q einen Neffen, den ich mit Rücksicht auf Frank Wedekind nicht näher bezeichnen will. Jedenfalls war dieser Neffe ein armes Luder und der einzige Verwandte der Tante Q.

Da Tante Q jedoch gar keine Neigung kundtat, krank zu werden, und zum Sterben nicht die geringsten Anstalten traf, lag doch nichts näher, als daß besagter Neffe sich als Schicksal fühlte, ein Messer kaufte und Tante Q damit abschlachtete, nachdem er bei ihr übernachtet hatte.

Letzteres aber hatte er so gemacht. Eines Tages traf er Tante Q, als sie Einkäufe machte. Er bot ihr seinen männlichen Schutz an, und da Tante Q von ihrem leibhaftigen NEffen nichts Böses voraussetzte, bat sie ihn angstvoll und gerührt, ihr seinen Beistand zu leihen. Er ging also mit ihr, und erbot sich in liebevoller Neffentreue auch die Nacht ihr Beschützer zu sein. Tante Q ging ins Garn.

Soll ich nun noch ausführlicher schildern, wie der Mörder sein Opfer massakrierte? Ich fürchte, nervöse Leserinnen könnten sich an der Aufregung Schaden tun, und verweise daher hier nur auf Frank Wedekinds bezügliches Gedicht, das man nachlesen kann in seiner »Fürstin Russalka« sowohl, wie auch in Bierbaums »Brettliedern«.

Was mir aber noch wesentlich erscheint, ist, daß der mörderische Neffe in den Kisten-Kasten außer alten Lumpen nichts als einen Scheck auf 1000 Mark fand. Hier hat Wedekind nämlich dichterisch übertrieben. Als er den Scheck einlösen wollte, stellte es sich erstens heraus, daß er längst verfallen war und zweitens nahm man den armen Jüngling fest.

Der Staat strich das Geld der Tante Q ein. Der Mörder aber wurde auf dem Plötzenseer Gefängnishof hingerichtet.

Das ist die Geschichte von der Tante Q, die so grausig ist, daß ich sie hiermit schleunigst abschüttele und von der Tante Rosa erzähle, was auch sehr interessant ist.