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Die Psychologie der Erbtante

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Tante Ludovika

Es gibt Menschen, die alles Schmerzliche peinlich empfinden. Zu diesen Menschen gehöre ich. Es gibt auch Menschen, die von allem, was sie schmerzt, sehr angenehm berührt werden. Zu diesen Menschen gehörte Tante Ludovika. Deshalb war sie für Psychologen ein interessanter Fall und man nannte sie eine Masochistin.

Würde ich zu Kindern sprechen, so würde ich den Masochismus so erklären: Masochist ist, wenn man ganz artig war und doch Keile kriegt. Da ich aber zu Erwachsenen spreche, sage ich: Masochist ist, wenn man Dolorosa liest. Dolorosa aber ist eine Dame, die Gedichte macht, die masochistisch sind, weil sich Liebe auf Hiebe reimt.

Tante Ludovika also war Masochistin, las Dolorosa, wurde katholisch, kasteite sich und sehnte den Tag herbei, wo ein Mann käme, der ihr diese Übung liebevoll abnähme.

Tante Ludovika aber hatte einen Neffen, wie ja Tanten meist einen oder mehrere Neffen zu haben pflegen, sofern es keine Nichten sind. Dieser Neffe hieß Otto.

Otto war aber nicht sehr gebildet. Er kannte weder die Schriften Dr. Veriphantors über Flagellantismus, noch Krafft-Ebings über psychopathia sexualis, noch meine über Homosexualität. So hielt er Tante Ludovikas Vorliebe für Doloröschens Gedichte einfach für eine künstlerische Verirrung, und schenkte der guten Tante Gedichtbücher, die er für geeigneter hielt, besonders die von Margarete Beutler, der ich in Treue und Freundschaft die zuzueignen mir erlaubt habe. Denn, gestehe ich es nur — beinahe stände hier eine »Tante Lene« aus ihrer Feder, die schon geschrieben war, aber mir aus Zerstreutheit oder anderen Gründen nicht rechtzeitig zuging.

Eines Abends ging Otto zu Tante Ludovika, um zu sehen, ob sie nicht bald infolge ihrer gräßlichen Lektüre mit Tode abginge. Denn eine Erbtante sterben sehen, ist selbst für einen so guten Menschen, wie Neffe Otto war, ein erhebender Anblick, — und im Grunde sagte er sich ja selbst, daß er gar nicht in seinem eigenen Interesse handelte, indem er Tante Ludovika bessere Gedichte zu lesen empfahl. Aber er war eben ein sehr guter Mensch.

Also Otto besuchte eines Abends Tante Ludovika. Als er vor der Türe stand und klopfte, hörte er innen etwas wimmern. Hoffnungsvoll entsetzt stürzte er ins Zimmer. Ihm bot sich ein gräßlicher Anblick. Splitternackt, die welken Brüste nur bedeckt mit einer dünnen grauen Haarsträhne, die ihr übers Ohr herabhing, lag die bejammernswerte Dame auf ihrer Chaiselongue. Vor ihr stand in heraufgestreiften Hemdsärmeln ein alter Mann, der mit zitternder Hand eine Peitsche über Tante Ludovikas Rücken zu schwingen versuchte. Es war ein Versuch mit untauglichen Mitteln. Denn die schwachen Ärmchen des Alten vermochten die schwere Peitsche kaum hochzuheben, und beim Niedersausen traf er stets nur die Rückenlehne des Ruhebetts. Nichtsdestoweniger wimmerte Tante Ludovika jämmerlich.

Otto war, wie gesagt, sehr ungebildet. Er wußte nicht, daß der alte Mann die gute Tante, die zum ersten Male in ihrem lenzereichen Leben einen Liebhaber per Annonce gefunden hatte, nur aus sadistischer Liebe zu prügeln versuchte. Sadist aber ist, wenn man einen Masochisten — siehe oben — verhaut.

Natürlich regte sich in Otto sofort der gute Mensch und der liebende Neffe. Er zog sein Taschenmesser heraus und durchbohrte den alten Herrn mit einem siegreichen Aufschrei durch die Brust. Der Greis aber sank spiralenförmig in sich zusammen, ließ sein spritzendes Herzblut segnend über den nackten gelben Rücken der Tante quellen, röchelte noch: »Ludovikchen, ich liebe dich!« — und verschied —

Daß Tante ludovikas nackter Leib sich nunmehr über die Leiche des Geliebten warf und sein Blut mit ihren Tränen mischte, und daß Otto mit dem bluttriefenden Taschenmesser in der erhobenen Hand mit Rettermiene dabeistand, versteht sich von selbst. Ebenso, daß Tante Ludovika nach den liebreichen Schmerzensergüssen über dem Leichnam des Liebhabers und nach den Flüchen auf den Mörder ihres späten Glücks nach der Polizei rief. Ferner, daß man den toten alten mann ins Leichenschauhaus, Otto ins Gefängnis und Tante Ludovika ins Irrenhaus warf. Auch das ist selbstverständlich, daß die Tochter des Getöteten — er hatte nämlich in jüngeren Jahren, ehe er Sadist wurde, mal eine natürliche Tochter gezeugt — auf Schadensersatz klagte, und daß sie auf diese Weise ihren Beruf einer Straßenschönheit mit dem einer mitgiftbegabten Ehefrau vertauschen konnte, denn ihr fiel Tante Ludovikas ganzes Vermögen zu. Daß Tante Ludovika selbst bald im Irrenhause an Gemüts- und Geisteskrankheit starb, sei nur nebenher erwähnt. Durch die Schadenersatzklage der Tochter des Geliebten hatte sie ja auch ohne ihre ausdrückliche Enterbungsbestimmung dem Neffen Otto nichts mehr zu hinterlassen — und wenn Otto etwas von ihr bekommen hätte, so wäre ja diese Geschichte für dieses Buch absolut wertlos. So hat denn der traurige Ausgang unserer Erzählung doch seine gute Seite.

Tante Miriam

Ich bin den Geschwistern Florian und Adele Listig aufrichtig dankbar, daß sie Tante Miriams Absicht, ihren leiblichen Neffen Max, Florians und Adelens Vetter, zum Erben ihres gesamten Eigentums zu machen, hintertrieben. Hätten sie es nämlich nicht getan, so wäre meine Lehre widerlegt gewesen.

Max war ein guter Junge, und er liebte seine Tante ehrlich. Ein Unglück war, daß er nicht am gleichen Ort wohnte, sondern eine Tagereise davon. Würde er wie Florian und Adele in derselben Stadt, ja in derselben Straße gewohnt haben wie sie, dann würde er nicht um die schöne Erbschaft gekommen sein, auf deren Drittel er so bestimmt gerechnet hatte.

Daß Florian und Adele ihre Tante Miriam liebten, konnte man nicht behaupten. Immerhin aber besuchten sie sie häufig, erkundigten sich nach ihrem Wohlergehen und taten auch sonst alles, was erbschleicherische Neffen und Nichten dem Besitz einer Erbtante zuliebe zu tun pflegen. Tante Miriam aber hatte ein offenes Auge — das andre hatte sie sich mal mit einer Stricknadel ausgestoßen —, und so wußte sie zwischen ihren Bruderkindern Florian und Adele und ihrem Schwestersohn Max wohl zu unterscheiden.

Darum verfügte sie in ihrem letzten Willen, daß Max ihr Universalerbe sein solle, sofern er, der gut katholisch war, am Tage ihres Begräbnisses bereits zu ihrem —mosaischen — Glauben übergetreten sei.

Sie starb — urplötzlich an einem Schreck, den ihr Florian und Adele in mörderischer Absicht eines Tages einjagten, indem sie mit einem im Chor gesprochenen »hep, hep« zu ihr ins Zimmer traten.

Noch ehe Tante Miriams Leiche einen Sarg erhalten hatte, gingen die Bösen ans Gericht und ließen erbschaftslüstern das Testament öffnen. Da hatten sie nun die Bescherung. — Ätsch!

Daß, wo sie nichts bekamen, auch ihr bevorzugter Vetter Max leer ausgehen mußte, war für die beiden klar. Aber wie ihn darum betrügen?

Den Tod der Tante verheimlichen konnten sie nicht, den würde er sicher gleich von andrer Seite erfahren. Von der Bestimmung nichts schreiben, ging auch nicht an. Denn sie wußten, daß Tante Miriam oft in Max‘ Gegenwart davon gesprochen hatte, daß sie dem Erben für das Begräbnis Bedingungen stellen würde. Er würde also fragen. Da kam Florian auf einen gescheiten Gedanken. Er schrieb Max einen verwandtschaftlich gehaltenen Beileids- und Glückwunschbrief, in dem er Tante Miriams Verfügung mitteilte, aber dahin änderte, daß der Übertritt zum Judentum nicht bis zum, sondern am Tage des Begräbnisses zu erfolgen habe. Als Tag des Begräbnisses, schrieb er, sei der nächste Sonnabend, früh 8 Uhr festgesetzt. Donnerstag abend erhielt Max das Schreiben. »Aha«, dachte er, »ihr meint, bis morgen um 8 Uhr ist das nicht zu machen. Wo steht denn: vor dem Begräbnis? Am Tage des Begräbnisses heißt doch: bis zum Abend!« Er kaufte sich also zwei Trauerflore, band einen um seinen Cylinder, den andern um den linken Ärmel und fuhr zur Trauerfeier.

Sonnabend früh fand die Beerdigung pünktlich statt, und sie war sehr feierlich.

»Nun«, fragte nachher Florian seinen Vetter, »alles erledigt?«

»Noch nicht«, erwiderte dieser mit schmerzlich-bewegter Stimme. »Ich werde jetzt zum Rabbiner gehen.« Wenn er aber geglaubt hatte, Florian und Adele würden protestieren, so irrte er.

Sie gaben ihm freundlich darin recht, daß der Begräbnistag bis zum Abend dauere, und wünschten ihm viel Vergnügen zur Beschneidung.

»Ich habe sie doch verkannt«, murmelte Max, als er zur nächsten Synagoge eilte. — — —

»Wo haißt?« kreischte der Rabbiner Israel Hersch, als ihm Max sein Anliegen vorgetragen hatte, »an Schabbes beschneiden? — Sind Se meschugge? Sind Se betorre? — Alle meine Ssores in Ihren Hals, wenn ich Se soll beschneiden an Schabbes ßu Gesund! — Kommen Se wieder, wenn nich is Jontef!« —

Florian und Adele Listig saßen schmierig lächelnd am Fenster, als Max betrübt daran vorbeischlich. Der aber verklagte seine Onkelkinder wegen Vorspiegelung falscher Tatsachen, was ihm ein tüchtiges Stück Geld für Gerichtskosten wegschwemmte, denn die beiden, die allerdings zu einem Verweis verurteilt wurden, hatten nichts, und die Bedingung der Tante war nun einmal nicht erfüllt. — —

Max verzichtete daher auf allen Tantenglauben und wurde antisemitischer Reichstagsabgeordneter.

Tante Nanny

Nie war mir eine Tante unsympathischer als Tante Nanny. Schon ihr Äußeres: Sie war baumlang, hatte spärliches graues Haar, eine widerwärtig lange, fühlhornartig bewegliche Nase und ein Organ, das an das Kreischen und Schnauben einer Dampfpfeife erinnerte.

In ihrer Umgebung war es nicht auszuhalten. Ihre Dienstmädchen wechselten wöchentlich, von den Verwandten war ich der einzige, der sie mitunter besuchte;und ich tat dies auch nur in der Erwägung, daß ältliche Damen nicht ewig zu leben pflegen, und daß das Vermögen der alleinstehenden Tante, sofern ich sie nicht vernachlässigte, jawohl mir zufallen würde.

 

Tante Nannys Lieblingsbeschäftigung war, mir moralische Lehren zu geben, eine Erziehungsmethode, die sie in der Weise ausübte, daß sie über alle die Menschen, von denen sie mal etwas gehört, gelesen, geträumt oder gedacht hatte, was mit den Prinzipien ihrer Alte-Tantehaftigkeit nicht ganz vereinbar schien, in gar nicht wiederzugebenden Ausdrücken schimpfte. Sie selbst mußte wohl sehr mit sich zufrieden sein. Denn sie rühmte ihren gesitteten Lebenswandel bei jeder Gelegenheit, indem sie ihr Bläffen aus dem Hinterhalt »stille Zurückgezogenheit« und ihren schmutzigen Geiz »kluges Maßhalten« nannte.

Über Tante Nannys Vergangenheit wußte kein Mensch etwas genaues. Nicht einmal das stand fest, ob sich infolge ihrer Scheusäligkeit trotz ihrer reichen Mittel nie ein Mann für sie erwärmt habe, oder ob irgendein Unglücklicher, den traurige Vermögensverhältnisse zu einem Verzweiflungsschritt getrieben haben mochten, einmal auf diese Weise Selbstmord verübt habe, daß er sich durch eine Ehe mit Tante Nanny in die Gruft ekeln ließ. Weder Frau noch Fräulein durfte man zu der Tante sagen. Sie wünschte »Gnädigste« genannt zu werden, was ja den verschiedensten Deutungen Raum gab.

Es war ein Glück, daß Tante Nannys Tod nicht allzulange auf sich warten ließ. Unter dem Fenster ihres Schlafzimmers stand nämlich eine Bank, beschattet von einem prächtigen alten Lindenbaum. Auf dieser Bank nun hatte in einer warmen Frühjahrsnacht ein Jüngling einer Jungfrau seine Liebe gestanden, und die Küsse und Zärtlichkeiten der beiden jungen glücklichen Menschenkinder hatten Tante Nannys Nachtruhe gestört. Zwar hatte sie sogleich das Fenster geöffnet und ein selbst für sittsame alte Tanten unentbehrliches Geschirr wutentbrannt auf die Nichtsahnenden entleert; aber die sittliche Entrüstung, vielleicht auch der Neid und sicher eine Erkältung, die sie sich beim Fensteröffnen zuzog, warfen sie aufs Krankenlager, auf dem sie unter meinem treuverwandschaftlichen Beistande binnen wenigen Tagen sanft verschied.

Ich ließ sie so schnell wie möglich einbuddeln, weil mir der Anblick ihrer Leiche fast noch widerlicher war, wie der ihrer Gestalt bei Lebzeiten, und suchte nach ihrem Testament. Sie hatte keins hinterlassen, und da kein näherer Verwandter da war, machte ich sogleich beim Gericht meine Erbansprüche geltend.

Aber was geschah? Eines Tages erschien bei mir ein älterer Herr, der sich mir als Gemahl der verewigten Tante Nanny vorstellte, und der vor 27 Jahren nach etwa 14tägiger Ehe das Weite gesucht hatte. Da der Herr nachweisen konnte, daß Tante Nanny wirklich seine Gattin gewesen war, und daß er so vernünftig gewesen war, sich nicht von ihr scheiden zu lassen, strich er vergnügt den ganzen Nachlaß ein, nicht ohne mir beileidsvoll die Hand geschüttelt zu haben.

Die Stunden, die ich in Tante Nannys Gesellschaft in ihren gesunden Tagen und an ihrem Krankenbett zugebracht habe, waren die verlorensten meines Lebens.