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Die Psychologie der Erbtante

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Tante Gerta

Ich habe dich Gerte getauft, weil du so schlank bist,

Und weil mich Gott mit dir züchtigen will,

Und weil eine Sehnsucht in deinem Gang ist,

Wie in schmächtigen Pappeln im April.

Richard Dehmel

Man konnte Tante Gerta, obgleich sie bereits hoch in den achtunddreißigern war und gegen den Mann als Geschlechtswesen eine unüberwindliche Idiosynkrasie hegte, nicht eigentlich eine alte Jungfer nennen. Denn der Dehmelsche Vers, den ich mir als Motto über dieses Kapitel zu setzen erlaubt habe, paßt genau auf sie. Sie war schlank und lang, und eine Sehnsucht lag in ihren Augen, obgleich sie einen Kneifer darüber trug, und in ihrem Gang, obgleich sie große Schritte machte. Außerdem war sie durchaus nicht prüde — im Gegenteil, man durfte in ihrer Gegenwart über Dinge sprechen, die andre Damen schamentrüstet aus dem Zimmer gejagt hätten. Tante Gerta war ein sogenanntes »modernes Weib«. Sie war Frauenrechtlerin, dichtete, las die gewagtesten Bücher — außerdem aber auch die besten, und hatte die Eigentümlichkeit, alles das in Kunst und Literatur zu bevorzugen, was möglichst grotesk und eigenartig war. Dabei hatte sie eine ungeheure Vorliebe für schöne Frauenaktbilder und -statuen. Auf ihrem Schreibtisch standen Abgüsse der Venus von Milo und der mannnigfachsten klassischen Skulpturen. An den Wänden hingen Zeichnungen von Beardsley und Behmer, ferner Photographien schöner nackter Frauen. Tante Gertas gelesenste Bücher waren die von Oscar Wilde, Platen, Scheerbart — auch alte klassische Schriften, wie Platons Apologie usw.

Sie kleidete sich einfach und geschmackvoll, trug kein Korsett, aber weiße Wäsche, Stehkragen und Manschetten. Ihre Handschrift war überaus kräftig und von der eines Mannes nicht zu unterscheiden. Auch hatte sie eine schöne Waffensammlung. Ein Revolver lag stets auf ihrem Nachttisch.

Tante Gerta war reich; aber sie knauserte auch nicht mit ihren Ausgaben. Sah sie irgendwo ein gutes Buch, ein schönes Bild, das ihr Interesse erregte, so kaufte sie es. Ihr Verkehr mit den Verwandten war konventionell, herzlicher nur mit einem etwas jüngeren Neffen, Ludwig, der ihre Interessen teilte, aber mehr für männliche Kultur empfand, obwohl oder da er selbst ein ganz weiches Gesicht und ausgesprochen weibliche Eigenschaften hatte. Er war bei Tante Gerta und ihrer Gesellschafterin, Fräulein Hagedorn, häufig zu Gast.

Fräulein Hagedorn war die einzige Freundin Tante Gertas. Sie war stets in ihrer Begleitung. Sie war klein und zierlich, korpulent, hatte schwarzes, kurzes, gelocktes Haar, einen scharfgeschnittenen Mund und kluge, große braune Augen. Sie kleidete sich stets so wie Tante Gerta, so daß die beiden von Fremden oft für Schwestern gehalten wurden. Eines Tages gab es in der ganzen Stadt eine große Aufregung. Während Fräulein Hagedorn auf einige Tage verreist war, hörte man aus Tante Gertas Wohnung einen Schuß fallen. Man erbrach die Tür, und die Tante lag entseelt, den rauchenden Revolver in der Hand, am Boden. Man fand nur einen Brief vor »An die Herren Reporter«. Darin stand lakonisch: »Schreiben Sie nur: unglückliche Liebe!« Aha, sagten die Leute, Neffe Ludwig! — Denn daß die beiden miteinander was hatten, war den lieben Nachbarn ja lange klar.

Zur Testamentseröffnung war Neffe Ludwig gar nicht erschienen. Na ja, meinten die Leute, wenn einem seine Sache so sicher ist----

In dem Testament wurde Fräulein Hagedorn als alleinige Erbin des gesamten Nachlasses Tante Gertas bestimmt. Als sie das hörte, fiel sie schluchzend auf einen Fauteuil und schrie: O, mein guter, guter Gert! — Darüber wunderten sich alle sehr.

Als man aber dem Neffen Ludwig die letzte Bestimmung Tante Gertas erzählte, blieb er zu aller Überraschung ganz ruhig und sagte nur: »›Im Anfang war das Geschlecht, nichts außer ihm, alles in ihm‹, sagt Przybyczewski.« Die Leute schüttelten den Kopf, denn sie fanden, daß im Falle Tante Gertas das Gegenteil zu Tage trat. Doch fanden sie die Geistesverwirrung bei einem enterbten Neffen einer reichen Erbtante begreiflich.

Tante Henriette

Daß unter 25 Erbtanten auch eine Malerin ist, versteht sich von selbst. Die Malerin, die ich meine, ist Tante Henriette. Ihre Tätigkeit bestand ausschließlich im Malen und Schlafen. Häufig tat sie beides zugleich. Sie malte nicht nur Landschaften, männliche Akte, Blumen und andre Porträts, sondern sie malte sich auch selbst. Anders ist wenigstens ihre eigentümliche Gesichtsfarbe nicht zu erklären. Ihr Antlitz, aus dem sie Runzeln, die sich frech eindrängen wollten, geschickt fortretouchierte, schillerte in allen möglichen Farben. Vornehmlich konnte man Lila beobachten. Auch ihr Kleid war lila. Sie sagte, Lila sei ihre Leibfarbe. Ob das stimmte, hatte ich zu prüfen keine Gelegenheit.

Wie gesagt, Tante Henriette beschäftigte sich, wenn sie grade nicht malte, mit Schlafen. Ob sie ging, saß, stand oder lag — sie schlief immer. Und ihre Bilder erweckten in jedem Unparteiischen ohne weiteres den Anschein, als seien sie im Schlaf gemalt.

Ich beobachtete sie mal, als sie beim Malen einschlief. Ihr Pinsel lag fest auf der Leinwand, und da sie im Schlaf auf ihrem Stuhl immer hin und her schwankte, wie ein Blümlein, das der Wind bewegt, so machte der Pinsel diese Bewegung auf der Leinwand konstant mit und ließ breite Lila-Linien in horizontalen Kurven entstehen. Denn sie malte natürlich auch nur in Lila. Als Tante Henriette aufwachte, sah sie, daß ihr Bild fertig war, und sie erklärte mir die Lila-Streifen als kosmische Wanderungen. Sie hatte nämlich mal Scheerbarts »Wilde Jagd« gelesen, in der 10.000 unzufriedene Wurmgeister die merkwürdigsten kosmischen Wanderungen unternehmen — und Tante Henriette stellte sich eben kosmische Wanderungen lila vor. Denn sie konnte Scheerbart natürlich nicht verstehen, der ja für alte Tanten nicht schreibt.

Aber Tante Henriette tat, als ob sie ihn verstände, und zitierte ihn immerzu. So malte sie den kosmischen Wanderungen einen Hintergrund — auch lila. Denn sie fand, daß ihre Bilder anständig aussehen müßten, und bei Scheerbart steht doch: »Ja — ja — das Anständige muß auch seinen Hintergrund haben — sonst wird es gewöhnlich!« — Na, man weiß ja: wenn Malerinnen etwas auslegen — das ist furchtbar.

Kurzum: Deswegen kam ich um Tante Henriettens Erbschaft. Denn sie entrüstete sich mal mit ihren Auslegungen zu diesem Gedicht:

 
Liebe Tante Henriette!
Schlaf getrost in deinem Bette,
Schlaf auch an der Staffelei.
Mal von Grönland bis Manila
Himmel, Meer und Berge lila —
Aber Scheerbart nicht dabei!
Nicht für Tanten sind die Welten,
Malbeflissnen, schlafbeseelten —
Die verstehn den Kosmos nie!
Was ihr malt, verehrte Tanten,
Ist in tausendlei Varianten
Doch nur Weiberlethargie.
 

Auf dies Gedicht hin enterbte mich natürlich Tante Henriette. Ich freundete mich nun schnell mit Paul Scheerbart an, weil ich glaubte, er, dessen »Wilde Jagd« die gute Tante doch unausgesetzt im Schlaf verfolgte, würde an meine Stelle kommen. Aber weit gefehlt! Tante Henriette vermachte ihr Vermögen einem Herrn Bürger. Dieser war das Opfer einer Verwechslung. Denn Tante Henriette war es im Schlafe eingefallen, daß auch mal ein gewisser Bürger eine wilde Jagd geschrieben hatte, und so machte sie einen Lokomotivführer Bürger aus Rixdorf zu ihrem Universalerben. Sie sah eben alles lila.

Tante Julchen

Tante Julchen hatte mich sehr in ihr Herz geschlossen. Sie war die einzige aus der Verwandtschaft, die an meine literarischen Fähigkeiten glaubte und die nicht weniger stolz war, eine dichtenden Neffen zu besitzen.

Schon als ich Tertianer war, nahm sie sich meiner liebevoll an, ließ sich von mir die Gedichte vorlesen, in denen ich meine Lehrer schlecht machte, und schenkte mir hier und da zwanzig Pfennige, für die ich mir erst Schokolade, später Zigaretten kaufte — und an meinem fünfzehnten Geburtstage mich zum erstenmal rasieren ließ. Als ich dann größer wurde und sie mich durch die Zuwendung eines Nickels tödlich beleidigt hätte, pumpte ich sie häufig um größere Summen an, freilich meist mit dem Erfolg, daß sie mir bedauernd klar machte, ihr Geld liege irgendwo fest, und es sei ihr zur Zeit leider ganz unmöglich, auch nur über eine übrige Mark zu verfügen. Zweimal aber gab sie mir doch mit großer Feierlichkeit je l Mark 50 Pfennige. Das hat sich mir fest ins Gedächtnis eingeprägt.

Einmal, als ich sie wieder mit etwa zwölf neuen Gedichten überschüttet hatte und sie ganz hingerissen davon dasaß, schlug ich ihr vor, meine Werke auf ihre Kosten drucken zu lassen. Da sah sie mich blinzelnd von der Seite an und meinte: »Wenn ich mal tot bin, mein Junge. Dann sollst du hunderttausend Mark erben, und dann sollst du auch deine Gedichte drucken lassen.«

Ich war natürlich hochbeglückt, zumal, als sie in meiner Gegenwart diese letztwillige Bestimmung schriftlich niederlegte.

Ich hatte jetzt eine Erbtante, auf die hin ich Schulden über Schulden machte und die ich in begeisterten Hymnen ansang.

Tante Julchens Tod ließ lange auf sich warten. Aber endlich stellte sich doch die Altersschwäche bei ihr ein, und als sie fühlte, daß es mit ihr zu Ende ging, ließ sie mich an ihr Lager rufen.

Sie war schon sehr schwach, als sie meinen Kopf zwischen ihre dünnen Händchen nahm. Ihre Lippen bewegten sich, als wollte sie mir etwas Wichtiges sagen. Doch als sie es gar nicht herausbringen konnte, was sie auf dem Herzen hatte, zeigte sich mit schwachem Lächeln nach ihrem Waschtische und stammelte »Schublade«. Dann schloß sie die Augen und hauchte ihre Seele aus.

 

Ich begab mich eilends an den Waschtisch und zog das Schubfach heraus, in dem ich einen Scheck auf die mir vermachten Hunderttausend Mark zu finden hoffte. Statt dessen lag aber darin ein Brief, der folgenden Wortlaut hatte und mit zitternder Hand geschrieben war: »Mein lieber Neffe! Ich danke Dir herzlich für all die Genüsse, die Du mir durch Deine Kunst bereitet hast. Leider ist es mir nicht möglich, deine Gedichte aus meinem Vermögen drucken zu lassen. Ich denke, Du wirst schon von selbst ein bedeutender Mann werden. Alles, was ich habe, liegt in meinem Geldschrank. Es sind 70 Mark. Nimm sie und laß mich dafür begraben. Das Papier aber, das ich ausschrieb als Testament und in dem ich Dich mit hunderttausend Mark bedacht habe, hebe auf als stete Erinnerung daran, daß Du einmal eine Tante hattest, die zwar kein Geld, aber ein gutes Herz und den guten Willen hatte, Dich so reich zu machen. Ich küsse Dich in Liebe. Deine Tante Julchen.«

Tante Julchen hat zu meinem Mißtrauen gegen die Erbtanten viel beigetragen.

Tante Kunigunde

Zwischen dem Studiosus juris Eugen Schmälzel und seiner Tante Kunigunde gab es einmal dieses Gespräch:

Tante Kunigunde: So kann es unmöglich weitergehen, lieber Eugen. Diesmal will ich dir noch das Strafmandat bezahlen, weil du nun einmal der Sohn meines Brüderchens bist. Aber es ist das letzte Mal. Merk dir‘s!

Eugen: Aber, Tantchen, du hast doch auch gar keinen Humor. Sag doch selbst, war der Witz nicht famos und die fünf Mark wert, die Laterne auszudrehen, als grad die Kleine drunter stand und den Brief vom Liebsten las?

Tante Kunigunde: Nein, offen gestanden, der Witz gefällt mir gar nicht. Wer weiß, wie lange sich das Mädchen auf diesen Brief gefreut hatte, und endlich, wo sie ihn nun lesen durfte, zerstörst du ihr die schöne Stimmung.

Eugen: Ach was, Stimmung! Wie kann man nur so philiströs denken! Stimmungen haben Menschen, denen der Humor fehlt. Und du solltest doch zuallererst Humor haben.

Tante Kunigunde: Wieso ich?

Eugen: Na, ich meine man, wegen deinem ulkigen Namen.

Tante Kunigunde: Eugen, ich verbitte mir —

Eugen: Da sehen wir ja wieder, wie dir aller Witz fehlt!

Tante Kunigunde (nach einiger Überlegung): Du hast recht, lieber Neffe. Ich heiße Kunigunde, und ich will diesem Namen Ehre machen. Wenn ich einmal sterbe, dann will ich in meinem Testament den besten Witz machen, der je einer Erbtante beigekommen ist.

Eugen: O ja, Tantchen. Wieviel lieber will ich das Universal-Erbe antreten, wenn es mir in recht humoristischer Weise kredenzt wird. Mir wird sein, als ob du selbst, wenn ich das erste Glas auf deine sanfte Ruhe leeren werde, dazu Prost! sagen würdest.

Tante Kunigunde: Nun geh, mein Junge! — Laß mich allein. Ich will mein Testament aufsetzen.

Eugen (sie umarmend): Tante! Du bist göttlich! Mit dir hat sich der liebe Gott einen entzückenden Witz geleistet. (Ab.)

Tante Kunigunde: Na, warte —

Eindreiviertel Jahr später ging Tante Kunigunde heim. Neffe Eugen zog spornstreichs zum Gericht zur Testamentseröffnung. Er glaubte, die witzige Tante würde ihm die 100.000 Mark der Erbschaft in blanken Talern auszahlen lassen oder sie habe ihren letzten Willen in fünffüßigen Jamben niedergelegt.

Tante Kunigundes Witz war aber ein boshafter. Eugen Schmälzel ward enterbt. Ob das nicht ein köstlicher Witz sei? Aus einer Stimmung werde er ja nicht gerissen, da humoristisch angehauchte Leute ja nicht an Stimmungen zu leiden pflegen. Statt seiner solle das gesamte Vermögen zur Gründung eines neuen Witzblatts »Tante Kunigunde« Verwendung finden. Eugen solle Redakteur werden mit 1200 Mark Gehalt.[im Jahr (D. V.)]

Eugen verzichtete aber auf diesen Posten. Ihm war der Humor vergangen.