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Die Psychologie der Erbtante

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Tante Christine

Ich mußte es schon glauben, diesmal. Mein Freund Ernst Frohgesinnt war mir unter Tränen um den Hals gefallen, um es mir zu erzählen. Und ich freute mich, daß ich es ihm glauben durfte. Er war ein lieber Kerl, dem man ein bißchen Glück schon gönnen konnte, und Tante Christine war ein so braves, gutes altes Fräuleinchen, daß ich, wenn überhaupt schon einer, ihr zuallererst zutrauen konnte, meine Skepsis den Erbtanten gegenüber zu erschüttern.

Also es war kein Zweifel mehr. Tante Christine hatte Ernst Frohgesinnt, ihren einzigen Neffen und nächsten Verwandten zum Universalerben ihres ganzen Vermögens von 45.000 Mark eingesetzt; ja, sie war so gütig gewesen, um von der Vorfreude schon zu Lebzeiten etwas mitanzusehen, ihn ihr Testament lesen zu lassen.

Ernst war glückselig. Wir gingen den Abend zusammen in den Kaiserkeller und tranken ein Glas Wein nach dem andern auf das Wohl und das sanfte Ende Tante Christinens.

Und Ernst baute goldene Luftschlösser. Zunächst wollte er heiraten, sein kleines Lieschen, mit dem er schon drei Jahre verlobt war, dann wollte er seine Gedichte drucken lassen und dann eine Erholungsreise nach dem Süden machen, um seine kranken Lungen zu stärken. Wie er glühte vor Freude! Und wie die roten Flecken auf seinen Wangen sich über das ganze Gesicht ergossen, so daß es aussah, als ob der Wein sie einem ganz Gesunden aufgemalt hätte!... Am nächsten Tage besuchte ich Tante Christine. Ich hielt es für ratsam, als Freund ihres Neffen mich ab und zu bei ihr sehen zu lassen, und jetzt, wo ich von ihrem hochherzigen Testament wußte, drängte es mich ganz besonders, zu ihr zu gehen.

Ich hatte die alte Dame wirklich gern. Von allen Tanten, welche ich in meinem Leben kennenzulernen Gelegenheit hatte, war sie eine der sympathischsten. Sie hatte ein rundes, freundliches Gesicht und kluge gute Augen, die freudig aufleuchteten, wenn sie von ihrem Neffen Ernst Frohgesinnt sprach. Auch ich nannte sie Tantchen, die kleine, bewegliche Person, die man gern haben mußte, wenn man sie einmal kennengelernt hatte.

Sie trug stets ein schwarzseidenes Kleid mit wertvollen Tüllspitzen und darüber eine elegante schwarze Schürze, aus deren Tasche ein klirrender Schlüsselbund heraushing. Das graue Haar krönte ein blitzsauberes Häubchen, und die goldnen lang herabhängenden Ohrringe vervollständigten das Bild eines der lieben Tantchen, welche den jungen Mädchen in den biederdeutschen Romanen mit erfreulichem Ausgange zum Schluß zu dem einzig geliebten, aber mit aller Tücke Marlittscher Phantasie von hundert Intrigen festgehaltenen Mann verhelfen. Sie begrüßte mich lebhaft und herzlich, setzte mir auch ein Glas Wein vor und eine Cigarre — sie war auf jeden Besuch stets vorbereitet — und plauderte dann lustig drauflos. Von ihrer Kindheit und von Ihrer Brautzeit; ja, verlobt war sie auch gewesen mit einem schönen jungen Steuermann — wie oft hatte ich die Geschichte schon gehört! —, aber der war bei einem Schiffbruch ertrunken, drei Wochen vor dem Tage, an dem sie heiraten sollten, und seitdem trug sie Witwenkleider und widmete ihr Leben ganz der Erinnerung an den Verstorbenen.

Jetzt war sie natürlich längst über den tiefen Gram hinaus, der sie Jahrzehnte weltscheu und einsam gemacht hatte; jetzt erzählte sie heiter und anschaulich kleine Episoden aus ihren Glückstagen, und ich konnte ihr immer wieder zuhören: ihr ganzer Roman paßte so genau zu ihrer Erscheinung und ihrem Wesen, daß es nie ermüdete, wenn sie ihn erzählte.

Und dann kam sie auf Ernst zu sprechen. Ja, der hätte noch so etwas von ihrem Bräutigam — im Charakter und im Benehmen. Nur schade, daß seine Gesundheit schwach sei! Na, nach ihrem Tode würde er ja keine Sorgen mehr zu haben brauchen um das tägliche Brot, dann könne er sich hegen und pflegen. Daß sie ihm ja, wenn sie wollte, schon jetzt helfen konnte, darauf kam sie nicht, aber sie leuchtete ordentlich auf in dem stolzen Gefühl, daß sie es sei, die den armen Jungen einmal aus seiner ständigen Misere befreien würde. Jetzt habe sie ihr Testament vom Notar beglaubigen lassen, und nun könne sie getrost sterben. — — Es kam anders.

Eines Tages hatte Ernst Frohgesinnt einen Blutsturz, und eine Woche später war er tot. Tante Christine überlebte ihn nicht lange. Der Schmerz um den teuren Neffen warf sie nieder, nachdem sie vorher ihr Testament dahin geändert hatte, daß ihre Hinterlassenschaft zu einem Teile dem Tierschutzverein, zum anderen einer Bühnengenossenschaft zufiel. — Denn Tante Christine hatte sehr fürs Theater geschwärmt.

Tante Dorothea

Sie lag im Sterben.

Endlich!

Siebenundachtzig Jahre ist eine lange Zeit für das Erdenwallen einer Jungfrau gebliebenen Dame. Und Tante Dorothea war siebenundachtzig Jahre alt.

Jetzt lag sie im Sterben.

Wer war vergnügter als ihr einziger Erbneffe Konrad?

Konrad kaufte einen Strauß Levkojen. Damit ging er an Tante Dorotheens Sterbebett. Sie japste noch als er ankam, und sah ihm mit dem Weißen, das von den Augen allein noch sichtbar war, wenn auch nur in einem dünnen Streifen, der rotunter- und -überlaufen war, liebevoll an.

Der gute Neffe nahm eine Stecknadel — er trug immer Stecknadeln unterm Westenkragen bei sich — und steckte damit den Levkojenstrauß an tante Dorotheens Hemd fest. Daß er die Nadel dabei auch durch die pergamentne gelbbraune Haut steckte, die darunter welkte, merkte weder er noch sie. Denn die Haut war nur lose gefaltet.

Tante Dorothea wollte mochmal Blumen riechen, obgleich sie sehr astmatisch war. Sie beugte also die Nase vor, die ohnehin ziemlich weit über die Bettdecke hing, und schnupperte an den Levkojen. Dann sank ihr Kopf zurück. Sie hatte vollendet.

Konrad drückte ihr die Augen ein und ging nach Hause. Abends legte er sich befriedigt schlafen. — —

Als Tante Dorothea begraben war, bekam Konrad von Gerichts wegen die Mitteilung, daß Tante Dorothea ihn zum Universalerben gemacht habe. Er möge sich balsgefälligst darüber äußern, ob er bereit sei, das Erbe anzutreten.

»Brave Erbtante!« grinste Neffe Konrad. Dann nahm er einen Bogen Konzeptpapier und gab darauf dem Gericht huldvoll seine Einwilligung zu erkennen, Tante Dorotheens Erbschaft baldgefälligst in Empfang zu nehmen. Abends ging er sehr befriedigt zur Ruhe. — — —

Die Sache kam dem armen Konrad sehr gelegen. Denn er saß scheußlich im Druck. Von allen Seiten wurde er bedrängt. Nun war er gerettet, denn Tante Dorotheens Vermögen war nicht klein. Allmählich träumte daher Neffe Konrad von dem Eintreffen des Geldes und ging allabendlich in froher Erwartung der Erfüllung des lieben Traumes überaus befriedigt schlafen.

So vergingen drei Wochen. Da kriegte Konrad einen Brief mit einem Amtssiegel, eine portopflichtige Dienstsache, für die er die verlangten zwanzig Pfennig freudig zitternd erlegte. Denn er war überzeugt, er werde darin eingeladen, Tante Dorotheens Hinterlassenschaft abzuholen, und dann hätte der Dalles ein für allemal ein Ende.

Armer Konrad! In dem Schreiben stand, daß Tante Dorothea zwar ein Vermögen von 80.000 Mark hinterlassen habe, daß sie jedoch seit 50 Jahren drei Viertel ihrer Steuern hinterzogen habe, die nachträglich von dem Gelde abgezogen würden, und daß außerdem die Erben — in diesem Falle: der Erbe — benachrichtigt würden, daß sie pro anno der Hinterziehung 1200 Mark Strafe zu zahlen hätten. mache in Summa 60.000 + 6% von 50 Jahren hindurch hinterzogenen 60.000 Mark an regulären Steuern, mache im Ganzen — die Zinseszinsen seien in Gnaden erlassen (wahrscheinlich war‘s dem Steuerbeamten zu schwierig gewesen sie zu berechnen):

Strafe Mark 60.000

Nachzahlung 3600x50 = Mark 180.000

Mark 240.000

in Buchstaben: Mark Zweihundertundvierzigtausend, zahlbar binnen 8 Tagen.

Konrad sank in sich zusammen.»Pleite« schluchzte er.

Diesen Abend ging er nicht befriedigt ins Bett, sondern betrübt ins Wasser.

Tante Elfriede

Die Psychologie der Erbtante Elfriede machte mir viel Schwierigkeiten. Sie war ein Vollweib — leiblich uns seelisch. Eine Walkürenfigur, vor der ich eine Heidenangst hatte, denn ihre Arme waren kraftvoll wie hundertjährige Eichenäste und ihre Hände groß wie Suppenteller.

Und gerissen war Tante Elfriede. Es ist nicht zu sagen. Ich sehe sie noch vor mir, wie sie mit erhobenem Arm dastand und mir mit der mächtigen Stimme, die klang wie eine Posaune, in deren Tuba sich ein Butterbrot verirrt hat, ihre geheimsten Herzenswallungen verriet. Denn diese Herzenswallungen gingen aufs ganze Vermögen der Erbtante Elfriede. O ich Unglücklicher!

Tante Elfriede wurde krank, sehr krank, sterbenskrank. Der Arzt kam und ging dreimal am Tage. Ich wich nicht von ihrem Bett. Das war sehr gefährlich. Denn Tante Elfriede phantasierte viel. Dabei schlug sie mit den Fäusten um sich, schimpfte zum Gottserbarmen auf mich, der ich nur auf ihren Tod wartete, verriet, daß ihr Mann täglich von ihr Keile bekam, bis er starb, und strampelte mit den Beinen derart, daß ich mehrmals unter ihrer Decke Dinge zu sehen bekam, — Dinge, — — na!!

Einmal, als die Tante etwas ruhiger geworden war — ich hielt das für den Anfang vom Ende, nahm ich den Doktor beiseite: »Herr Doktor,« sagte ich »sagen Sie mir die volle Wahrheit! — Wird Tante Elfriede sterben?« Da sah mich der Doktor traurig an und räusperte sich und sagte: »Mein lieber junger Freund!« — Ich atmete hörbar auf. »Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor!« — Ich nahm seine Hand in die meine. »Ihre Frau Tante — —« er schluckte mehrmals und ich markierte einen tiefen Seufzer — »Ihre Frau Tante ist auf dem Wege«— — ins Jenseits! sagte mein Inneres zu mir — — »— auf dem Wege zur Besserung.« Er schwieg. »Ich danke Ihnen,« sagte ich laut, »Schweinehund!« leise. Dann ging ich wieder ins Schlafzimmer zur Tante.

 

Sie blinzelte mich lauernd an, und mochte wohl auf meinem Gesicht die Enttäuschung lesen. Plötzlich erhob sie sich — furchtbar stand sie da auf dem Kissen. O Gott, ich mag gar nicht mehr daran denken, wie sie aussah. Ihre Beine waren behaart und ihr Hemd gräßlich kurz. Ihre Hände reckten sich zur Decke. Ihre Fäuste waren geballt. Ihr gewaltiger Busen wogte.

»Nichtswürdiger!« schrie sie. »Ich durchschaue dich! Aber warte, ich werde dir den Gefallen nicht tun. Ich werde gesund werden. In acht Tagen stehe ich auf. Aber an dir werde ich furchtbare Rache nehmen, du Heuchler! du Scheinheiliger! der — der — der — — Ich enterbe dich!« japste sie noch hervor. Dann sank sie erschöpft zurück.

»Ich enterbe dich!« Dies furchtbare Wort verfolgte mich in den nächsten 8 Tagen überallhin. Und richtig stand nach 8 Tagen Tante Elfriede auf.

»Ich enterbe dich; — ich enterbe dich!« Sie tat es.

Am nächsten Tage kriegte sie einen Rückfall und eine Woche später starb sie.

Pfui, Tante Elfriede, Pfui!

Tante Friederike

Viel war es ja nicht, was ich von Tante Friederike erben sollte. Immerhin aber war es das ganze Witwengeld von dem sie ihren zwar bescheidenen, aber doch auskömmlichen Unterhalt bestritt. So konnte für mich daraus jedenfalls eine angenehme Schweizreise oder einige Monate üppigen Lebens ersprießen.

Was aber die Hauptsache war: die Erbschaft war mir sicher — absolut sicher. Ich war ihr einziger näherer Verwandter, dazu der einzige, der sich in ihrer Witwen-Einsamkeit um sie bekümmerte, und der einzige, der jeden Sonnabendnachmittag bei gutem und bösem Wetter in ihrem traulichen Wohnzimmerchen neben ihr saß, um ihre neuesten Musenkinder aus der Taufe zu heben. Tante Friederike dichtete nämlich. Welche Tante, zumal wenn sie eine Erbtante ist, hätte keine Schwächen? Im Hinblick auf ihr Ende, das bei ihrer kränklichen Konstitution unmöglich lange mehr auf sich warten lassen konnte, ließ ich denn ihre Lyrik allwöchentlich unverdrossen über mich ergehen.

Die ersten Ergüsse, die ich von ihr vernahm — kurz nach dem Tode ihres Gatten, der sie übrigens zu Lebzeiten häufig geprügelt haben soll und der dann an den Folgen eines Bierabends zugrunde ging —, behandelten fast alle ihr junges Witwenleid, dessen Schmerz ihr ganz besonders nachts fühlbar zu sein schien.

Ich möchte nicht versäumen, um aus ihrer Kunst auf Tante Friederike selbst einen Rückschluß möglich zu machen, hier eine Probe aus jener Zeit folgen zu lassen:

 
Streich‘ ich des Tags durch meine Klause,
Dann suchen meine Blicke dich.
Und warst du sonst schon meistens nicht zu Hause,
Jetzt ist‘s mir vollends fürchterlich.
Und geh‘ ich abends dann um zehne
Alleine und betrübt zu Bette,
Dann seufz‘ ich unter mancher Träne:
O Heinrich, wenn ich dich doch hätte!
 

Ich mußte ihr genau meine Meinung sagen, was ich von ihren Gedichten hielt, und fand sie natürlich pflichtschuldigst sämtlich wunderbar tief und schön. Einmal riet ich ihr, sich doch auch einmal auf dem Gebiet zu versuchen, das die modernen Lyrikerinnen neuerdings mit soviel Begeisterung kultivierten: auf dem Gebiete der Erotik. »Siehst du, so was will das Publikum heutzutage lesen«, sagte ich zu ihr, »und einer jungen Frau, wie du bist, Tante Friederike, kann das doch unmöglich schwerfallen.« Als ich das nächste Mal zu ihr kam, las sie mir folgendes Poem vor:

 
»O, wie ist doch mein Herz zerrissen
So mitternachts.
Ich such‘ dich vergebens in meinen Kissen,
Ja, ja, ich dacht‘s.
Ich arme Witwe, vergehe vor Harme
Nach dir, mein Schatz.
O fand‘ ich endlich in meinem Arme
Für dich Ersatz.«
 

Sie war ganz hin, als sie es gelesen hatte, und ich bin überzeugt, daß es ehrlich gemeint war. Aber diese Art zu dichten griff sie zu sehr an, und bald starb sie. Bei der Testamentseröffnung stellte es sich heraus, daß sie tatsächlich mich zum Erben ihres ganzen Vermächtnisses eingesetzt hatte. Aber wer jetzt etwa glaubt, die Lehre von der Unsterblichkeit der Erbtante sei damit ad absurdum geführt, der irrt.

Tante Friederike hatte nämlich eine Bedingung gestellt. Ich sollte, damit die Nachwelt doch noch etwas von ihrer künstlerischen Tätigkeit erführe, ihre gesamte literarische Hinterlassenschaft, die sich in drei Kommoden und einem Kleiderschrank befand, in Druck geben. Ich tat nach ihrem Willen, und dabei ging nicht bloß die ganze Erbschaft darauf, sondern ich mußte auch noch aus meiner Tasche 123 Mark 75 Pf. zulegen. Dichtende Frauen sind mir seitdem ein Greuel.