Politiker haben kurze Beine

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Aus der Reihe: Lindemanns #129
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Es muss so drei Wochen nach seinem Geburtstag gewesen sein, als Aristoteles den schleichenden Verlust seiner überdicken Borsten auf seinem fast halslosen Kopf bemerkte. Von da an setzte er seine schwartige Mütze nur noch ab, wenn er allein unter der Dusche stand. In seiner Verzweiflung wandte er sich an den Pfarrer. Doch der leidet auch an Haarausfall, allerdings mehr tonsurisch, sodass auch das geweihte Wasser, weder getrunken noch übergossen, den gewünschten erwunderten Erfolg brachte.

Oskar, der Chef des Imkervereins, verfügt über einen geschlossenen, dichten Haarkranz. Schon sein Ururgroßvater war Imker, und so dürfte das dichte Haar bis ins gesegnete Sterbealter eine reaktive Antwort der Natur auf die Stacheln der Bienen sein. Bei Oskar handelt es sich wahrscheinlich um eine optimierte Mutation, da er auch noch Haare auf der Nase hat. Seine Frau Maja hat meiner Frau erzählt, dafür sei er an anderen empfindlichen Stellen völlig unbehaart. So rächt sich die Natur.

Doch auch der geträufelte Honig brachte nur den Erfolg, dass Aristoteles völlig verstochen am Stammtisch auftauchte und drei Tage mit geschlossenem Auge seine Ochsen schlachten musste. Es muss ein furchtbares Gemetzel gewesen sein.

Als er keinen anderen Ausweg mehr wusste, ist er zu Edwin gegangen. Dessen Frau Lydia behandelt biologisch. Auch kennt sie von ihrer Großmutter Mittel, die heute nur noch von Ärzten angewendet werden, wenn sie ihr gesetzliches Budget überschritten haben und keine Placebos mehr vorrätig sind.

Doch auch der mit Rosinen und mit aus einem Haarwaschmittel abgesonderten koffeinversetzte warme Kuhdung der besten Milchkuh erbrachte nicht den herbeigeschworenen Erfolg. Wahrscheinlich hat Lydias Oma ihr die falsche Formel übermittelt, als sie nach einem Eigenversuch mit „Rohr frei“ wegen ihrer fehlenden Darmtätigkeit ihr mit aufgeschäumten Lippen die letzten Geheimnisse der okkulten Welt mitteilen wollte. Bevor ihr blasiger Blick sich ins aufgeschüttelte Kissen brach, soll sie noch geflüstert haben: „Kuhdung, Kuhdung!“ Es könnte aber auch Kühlung geheißen haben, da am nächsten Tag die gesamte Milch sauer geworden war, weil die Kühlung nicht eingeschaltet gewesen war.

Da Lydias Oma stark behaart war, bis zur letzten Stunde geraucht und täglich eine Tüte Rosinen gegessen hat, hat sich jedoch dieses Wundermittel in der Familie erhalten. Bei Aristoteles hatte es jedoch eine verheerende Wirkung. Der getrocknete Kuhdung hinterließ bei seiner Entfernung einen von den restlichen Haaren befreiten Kahlkopf, der jedem polierten Kinderpopo zur Ehre gereicht hätte.

Seither verwendet Lydia das Mittel bei unseren haarbelasteten Frauen, um sie von ungünstiger Körperbehaarung zu befreien. Allerdings ersetzt sie das Koffein durch „Rohr frei“.

Da die Prozedur nicht ganz schmerzfrei ist, beißen die später widerstandslos schlüpfrigen Frauen dabei in Rohrzuckergras, das Lydia angeblich auf dem Grab ihrer Oma züchtet. Frauen glauben alles. Und was sind schon Schmerzen gegen die bewundernden Blicke eines gebildeten, schönen Mannes auf die hoch entblößten Beine einer künstlich aufgeputzten Frau in einem für weiblichen Charme empfänglichen Café in der Stadt?

Und wenn der Heiratsschwindler noch ein paar schlüpfrige Komplimente macht, ist der nächste Kuhdung nicht fern. Es gibt abschreckende Beispiele in unserem Dorf, aber jede abgehaarte Frau glaubt ja, ihr könne das nicht passieren.

Sehen Sie sich die Frau unseres schwulen Ausputzers der ersten Fußballmannschaft an. Diddi Hinterklamm war bei seiner Heirat noch nicht schwul. Das wurde er erst, als er der FDP beigetreten ist. Danach hat er sich geoutet. Da er das einzige FDP-Mitglied bei uns im Dorf ist, hat ihm das keiner krumm genommen. Im Gegenteil, bei den musischen Dorffesten wird er gern als führender Eintänzer genommen.

Frauen lieben seine mit Melkfett geschmeidig gehaltenen Hände und seine wulstigen Lippen. Wenn sie mit im über den Tanzboden schweben, vergessen sie ihre abgestumpfte Arbeitsehe und ihren kahlköpfigen, nach Kuhdung riechenden Ehemann. Erst wenn sie sich erwartungsvoll an Diddi drücken, werden sie an seine rein politische Gegenwart erinnert.

Um auf seine ehemalige Frau zurückzukommen. Diddi hat früher nicht getanzt. Er hat Franziska geheiratet, weil deren Vater Vorstand des Fußballvereins war, und dieser mit der ablösefreien Verehelichung sich die Dienste des überragenden Liberos sichern wollte. Diddi misst in senkrechter Haltung ohne Schuhe 1,99 Meter und an den Füßen Größe 56.

Franziska war nur 1,65 Meter groß, und schon beim Hochzeitstanz musste sie sich ihre Unterlegenheit eingestehen. Es ist ja bekannt, dass kleinfüßige Frauen ihre klein gehaltenen Minderwertigkeitskomplexe nur schwer kompensieren können. Die Ehe musste schief gehen.

Bereits in der Hochzeitsnacht soll es zu unterschiedlichen Positionen gekommen sein. Sie wollten oder konnten sich einfach nicht in der Mitte treffen.

Während Diddi selten das Tor getroffen hat, traf sich Franziska in einem kontaktierten Café beim Tanztee mit Edelbert von Nassau.

Er war ein ausgezeichneter Tänzer und hat ihr alles versprochen, was sie hören wollte. Er versprach Frauen nur das, was die-se auch selbst bezahlen konnten.

Wenn ein grau melierter, unplombierter Mann einer kleinen, kugeligen Frau den Stuhl rückt, ihr dabei die Hand küsst, ohne sie mit seinen wulstigen Lippen zu berühren, und er dann noch behauptet, sie sei ein überirdischer Engel, der unsichtbare Flügel habe, verlieren aufgeweichte Frauen alle antrainierten Hemmungen.

„Geliebte Franziska, wenn alle Sterne am Himmel stünden und alle würden noch einhundertmal schöner und heller leuchten, wäre doch keiner so strahlend und glänzend wie du!“

Franziska übergab ihm ihr gemeinsames Sparbuch und ihre außereheliche Unschuld, da Edelbert gerade in einer Notlage war. Ich mache es kurz: Als er sich befriedigt hatte, war das Sparbuch leer und Franziska voll. Sie war voller Zuversicht, dass Edelbert sie und ihren aufkeimenden Sohn auf sein luftiges Schloss holen würde. Deshalb hat sie Diddi auch alles gestanden und ihn mit der einseitig aufgenommenen Hypothek für das Haus sitzen lassen. Als sie mit dickem Bauch vor dem Schloss stand, war Edelbert trotz eidesstattlicher Zusage nicht da.

Ein schwanger aussehender Mann mit einem Bauchladen verkaufte ihr eine Eintrittskarte und bei der Führung durch ein freundliches, zahnloses Mütterchen erfuhr sie, dass das Schloss seit zweihundert Jahren nicht mehr bewohnt ist und ein Edelbert von Nassau hier oben noch nie gehaust hat. Allerdings hänge unten im Dorf beim Polizeiposten sein Bild im Aushang, da ständig junge Damen nach ihm fragen würden und die Polizisten andere Sorgen hätten.

Franziska ist nach Österreich ausgewandert. Sie hat während der niederträchtigen Schlossbesichtigung einen alten, adligen, weitsichtigen Baron aus Kärnten kennengelernt, der kurz vor seinem Tod noch den Wohnsitz seiner Vorfahren besuchen wollte. Da er keine Erben hatte, hat er an Franziska Gefallen gefunden. Sie muss ein wahrer Jungbrunnen für ihn geworden sein. Angeblich soll Franziska zum vierten Mal schwanger sein, und der alte Baron hat sie geheiratet. Er sagt, sie könne Wunder vollbringen, da ihm sein Arzt vor Jahren schon gesagt habe, er werde bald in die Gruft fahren und sei irreparabel unfruchtbar. Alle Kinder hätten seine roten Haare. Genau wie der irische, sonnenverbrannte Gärtner, mit dem er allerdings nicht verwandt sei.

Wir wissen das alles von der Pfarrköchin, da diese mit dem Pfarrer bei der barönlichen Trauung anwesend war. Franziska wollte von unserem Pfarrer getraut werden, weil er mit ihren Schwangerschaften vertraut ist. Da er das Beichtgeheimnis hoch hält, sind die Aussagen der Pfarrköchin nur augenscheinliche Vermutungen, die sich aber im Dorf durch Weitersagen zur Gewissheit erhärtet haben.

Wie gesagt, Diddi hat nach der Scheidung sein wahres Geschlecht hervorgekramt. Oft werden in einer Ehe ja einseitig sexuelle Wünsche unterdrückt, die sich erst nach einer Trennung an die Oberfläche schleichen.

Da Diddi plötzlich mit nichts in der Hand dastand, hat er sich nach Freunden gesehnt. Da bei uns im Dorf keine Schwulen offen herumlaufen, war dies nicht so ganz einfach. Selbst einführende Gespräche führten zunächst zu keinem befriedigenden Ergebnis. Erst als Diddi bei einer Wahlveranstaltung in der Stadt mit der FDP in Kontakt kam, ging ihm eine Stalllaterne auf. „Die FDP ist libarol“, sagt Diddi, „und ich bin ein Libero. Das passt zusammen.“

Wir lassen ihn in dem Glauben. Solange er unser Tor sauber hält, kann er mit rosaroten Unterhosen spielen, auch wenn er sie zum Duschen nicht auszieht. Manche duschen ja überhaupt nicht. Sie haben Angst, Diddi könnte sie mit der Schweinegrippe anstecken, da er viel mit pisageschädigten Ausländern aus dem evangelischen Nachbardorf zusammenkommt.

Aber wir waren ja bei Aristoteles. Der gerupfte Silberrücken hat an einem schwülen Abend vor Wilma seinen von Kuhdung gereinigten Kopf entblößt. Wilma hat einen spitzen Schrei ausgestoßen und ist ins frische Brät gefallen. Der Anblick muss furchtbar gewesen sein. Stellen Sie sich ein völlig mit Haaren zugewachsenes Klo vor, auf dem Sie schon jahrelang sitzen und das Sie allein schon durch seinen Anblick stimuliert. Und plötzlich ist der Klodeckel völlig kahl. Da würde bei Ihnen nicht nur die Verdauung versagen.

Aber manchmal spielt der Zufall Schicksal. Wäre Wilma in die Wurstsuppe gefallen, wäre Aristoteles heute ein nackter Jagdhund, für den keine Pudeldame mehr mit dem Schwanz wedeln würde.

Mit tränenüberquellenden Augen hat Wilma den Kopf von Aristoteles mit ihren brätigen Wurstfingern abgetastet. Immer wieder und wieder hat sie den riesigen Schädel des einstigen Rudelführers Verschwörungen stammelnd nach Haarwurzeln abgesucht. Sie hat aber nur eine Rosine und zwei tote Kuhfliegen gefunden.

 

Nach zwei Stunden sind beide erschöpft und verzweifelt, aber eng umschlungen, mit Weltuntergangsstimmung ins schlecht abgefederte Ehebett gefallen. Wilma hat sich die ganze Nacht wie eine trächtige Löwin an Aristoteles geklammert und ihm immer wieder mit den Brät gefüllten Händen über den im Dunkel leuch-tenden Affenschädel gestrichen.

Am nächsten Morgen musste Aristoteles sie vorsichtig von seiner Rückenbehaarung lösen. Es fiel ihm schwer, das am Boden mit Eisenstäben verstärkte Ehebett zu verlassen, da das gesamte Schlafzimmer einladend nach Brät roch.

Als er im Bad das Brät von seiner Glatze wusch, entdeckte er an den Stellen, an dem das Brät gehaftet hatte, einen leichten Flaum: „Wiiiilmaaa!“

Innerhalb weniger Sekunden stand Wilma nackt neben ihm. Hatte sie doch befürchtet, Aristoteles habe seine letzten Haare verloren. Sie hatte die Haare im Bett entdeckt, die sie ihm in ihrem Traum in der gewittrigen Nacht vom Rücken gerissen hatte. Sie hatte geträumt, King Kong wolle sie auf den Eiffelturm entführen. Dort hätte sie mit dem Brät einen riesigen Leberkäse für ihn braten sollen. Als aus dem Leberkäse aber ständig Kuhfliegen aufgestiegen sind, wollte King Kong sie den Turm runter stürzen. Verzweifelt hatte sie sich an dem haarigen Geländer festgehalten.

Hätte sich Aristoteles nicht vor der Heimkehr an diesem Abend im Bären mit zwölf Halben und elf Obstlern sämtliche lebenserhaltenden Nervenbahnen betäubt, hätte er von dem furchtbaren Überlebenskampf etwas mitbekommen. So aber wachte er am Morgen ahnungslos wie ein frisch gerupftes Hähnchen auf.

Nachdem Wilma sich auf einen Stuhl gestellt hatte, was bei Aristoteles einen nicht zu unterschätzenden sexuellen Impuls auslöste, konnte sie den jungfräulichen Flaum seiner wachsenden Männlichkeit begutachten.

Schnell war klar, dass das Brät eine chemische Reaktion ausgelöst haben musste, für die viele Schönheitsfarmen Milliarden zahlen würden. Das musste gefeiert werden. Obwohl beide unattraktiv nackt waren, benötigten sie mehrere Minuten, bis sie wieder ins Bett kamen. Wilma sprang Aristoteles auf den noch teilbehaarten Rücken und ließ sich von ihm zum Brät tragen. Während er mit seinen Fäusten auf seine Brust trommelte und urgewaltige Schreie ausstieß, hat ihm Wilma den Kopf dick eingebrätet.

Es war das erste Mal, außer am Tag nach der Hochzeitsnacht, dass Wilma den Laden erst um elf Uhr mit einem seligen Lächeln öffnete. Sie sah aus wie eine unschuldige Braut, die zum zehnten Mal ihre Unschuld verloren und dabei das große Los gezogen hatte. An diesem Morgen bekam jeder Einkäufer ein Paar Wiener Würstchen geschenkt. Allerdings gab es an diesem Tag kein Brät, obwohl Aristoteles roch, als habe er in Brät gebadet.

Als er vier Wochen später im „Bären“ seine Mütze abnahm, hatte der Orang-Utan sein volles Haupthaar wieder. Die Rudelführung am Stammtisch hatte er eh nie abgegeben. Er festigte seinen Führungsanspruch mit drei Freibierrunden und versprach uns ein Wildschweinessen. Allerdings geht er in letzter Zeit immer schon vor Mitternacht nach Hause. Wir wissen nicht warum. Er wird eben alt. Auch die Pfarrköchin hat keinen Verdacht, da sie sich aufgrund des brüllenden Löwen, der in der Nähe von Wilmas Haus im Unterholz hausen muss, nicht näher als 200 Meter an den Metzgerladen herantraut.

Wilma hat das Brät später noch bei ihrem Schwager ausprobiert. Der hat aber nur einen Bandwurm davon bekommen. Wahrscheinlich wirkt das Brät nur bei Metzgern und bei einer Körpertemperatur über 45 Grad. Wilma hat behauptet, in jener Nacht habe sie geglüht, und Aristoteles sei ein einziger Fieberstab gewesen.

Woher ich das alles weiß? Wilmas Schwager hat es dem Stammtisch nach dem Wildschweinessen erzählt. Aristoteles ging wie immer vor Mitternacht und sein Bruder hatte die 45 Prozent schon überschritten. Deshalb wissen wir auch nicht, ob die Geschichte wirklich stimmt. Kahlköpfigen Männern darf man nicht alles glauben. Sie behaupten, Haarausfall deute auf eine starke Potenz hin. Wir mögen es nicht, wenn betrunkene Männer bei unseren Frauen unerwünschte Erwartungen wecken. Deshalb haben wir unseren haarentfernten Frauen bis heute nichts von dieser brätigen Geschichte erzählt.

Sie werden sich natürlich irgendwann fragen, warum die Geschichte „Das Lächeln von Bamberg“ heißt. Dazu kommen wir jetzt. Um das geheimnisvolle Lächeln zu verstehen, müssen Sie die Vorgeschichte kennen.

Wie schon einfühlsam dargestellt, legen alltägliche Frauen nach ihrem gefühlten fünfzigsten Geburtstag nicht mehr so viel Wert auf ehelich stimulierten Geschlechtsverkehr. Das ist bei uns im Dorf statistisch erwiesen. Eine Umfrage am Stammtisch ergab ein Verhältnis von 2:39. Eine davon ist die Pilzmarie, welche die Quote ruiniert, und die andere ist die Frau von Herbert. Edelgard ist praktizierende Nudistin und unterscheidet oft nicht zwischen ihrem abwesenden Mann und anderen nackten Männern, welche sich ihr vertrauensvoll nähern und dabei singen: With a little help from my friends. Edelgard war 1969 beim Rockfestival in Woodstock dabei und hat sich seither nicht mehr geändert.

Frauen über fünfzig wollen keinen nachstammtischigen Sex, sondern Ambiente. Gut, es gibt auch da wenige Ausnahmen. Bei uns im Dorf gibt es für alle ausgefallenen Extremitäten Beispiele.

Die Pfarrköchin hat der Paula Schläfer, mit welcher der Kassenwart unseres Stammtisches in zweiter Ehe verheiratet ist, gesteckt, ihr Mann habe am Stammtisch erzählt, dass er mit ihr keine Freude mehr habe, da ihm bei ihr das Ambiente fehle. Laurentius ist ein Idiot und benutzt gern Fremdwörter. Gemeint hat er, dass es ihn stört, dass ihre ältere Schwester Gisela in einem Beistellbett in ihrem Schlafzimmer schläft. Das würde ihn nicht weiter stören, jedoch sagt sie immer laut die Uhrzeit an, wenn er mit einer Pferdedecke getarnt das Schlafzimmer betritt.

Gisela hat der Pfarrköchin gesagt, das Ambiente könne gar nicht fehlen, da sie das noch nie gekocht hätten. Paula hat angedroht, Laurentius das Ambiente um die Ohren zu hauen, wenn er am Abend ins Bett komme.

Und das führt uns nach Bamberg. Meine aufgeputzte, beinenthaarte Frau wollte plötzlich Urlaub mit Ambiente. Das war doch gar keine Frage. Ich buche immer Zimmer mit Frühstück und Halbpension. Was ich nicht wusste, ist, dass das Ambiente in einem Hotel mindestens vier Sterne hat. Da meine durch ihr früheres Leben traumatisierte Frau – angeblich war sie schon einmal mit mir verheiratet und ist auf der Flucht vor mir eine Klippe hinuntergeflogen – ungern fliegt, musste es Deutschland sein. Auch wenn hier die vier Sterne teurer sind als in der Türkei.

Ein Segen, dass es das allwissende Internet gibt. Das wusste auch, wo ein Vier-Sterne-plus-Hotel ein Verwöhnwochenende zu einem bezahlbaren Preis für gutgläubige, halb taube, schlafentwöhnte, hydrierte, ältere Ehepaare anbietet. Nach dieser Zielgruppe sind die Zimmer des Arrangements ausgerichtet.

Klara sah mich seit langem mal wieder mit einem wohlwollenden, wimpernverstärkten Augenaufschlag an, als ich ihr die Buchung präsentierte, und bat mich, etwas früher vom Stammtisch nach Hause zu kommen. Auch in unserem Schlafzimmer hatte sich Ambiente breit gemacht. Da ich nachts immer etwas Nachdurst bekomme, habe ich eine Flasche Erdinger Hefeweizen mit einem Trinkhalm neben meinem Bett stehen. Doch das verträgt sich nicht mehr mit dem Lavendelduft des neuen Ambientes. Die neuen Bettbezüge sind aus einem Stoff, der dazu führt, dass man die Decke mehrfach nachts vom Boden wieder ins Bett ziehen muss.

Auch führt das Ambiente zu einem erhöhten Wasserverbrauch. Ungeduscht darf das Schlafzimmer nachts nicht betreten werden. Und wenn man kein Deo benutzt, fliegt das Ambiente empört zum Fenster hinaus, das mit neuen Vorhängen die Pfarrköchin verunsichern soll.

Das Ambiente verlangt auch, dass die Gattin mit einem gehauchten Gute Nacht-Kuss von den Sorgen des Ehegatten befreit wird. Dann muss der Gatte nur noch darauf warten, ob die Erbsenprinzessin mit einem wohligen Stöhnen sich ihren aufwühlenden Träumen hingibt oder ihm huldvoll zulächelt. Dann weiß er, das Ambiente erwartet noch eine massierende Krönung, ehe es sich unter die Decke verkriechen darf.

Als ich las, dass das Hotel ein einladendes Ambiente und einen Wellnessbereich besitzt, schwante mir nichts Gutes!

Die Anfahrt war relativ Ambiente-frei. Ein Kaffee an einer Raststätte, mit dem Koffein einer schnellen Zigarette gesüßt, genügte der Frau in dem SUV neben mir, um die wichtigste Körperfunktion aufrecht zu erhalten, bis das einladende Tor des Hotels uns tückisch zuwinkte.

Was ich noch nie akzeptieren konnte, ist die Frechheit, für meine Bereitschaft, ein Hotel zu buchen und dieses mit meinem Auto anzufahren, mir auch noch Geld für das Parken dort abzuknöpfen. Soll ich mein Auto anschließend in die Luft sprengen oder an den ADAC vermieten? Aber wahrscheinlich gehört es zum Ambiente, dass der Chauffeur das Auto wieder in die heimatliche Garage fährt und ihm dort so lange gut zuredet, bis es wieder bereit ist, uns nach dem Urlaub in Bamberg abzuholen.

Da wir keinen Chauffeur haben und der SUV noch nicht abbezahlt war, löste ich die Parkkarte ein.

Mit einem freundlichen, beiläufigen Lächeln wurde uns der schwere Zimmerschlüssel ausgehändigt und ein guter Aufenthalt gewünscht. „Sie haben ja das Arrangement gebucht. Wenn Sie noch Fragen haben, stehen wir Ihnen jederzeit zur Verfügung.“ Eine versteckte Drohung!

Die müssen gewusst haben, dass sich Fragen ergeben würden. Da wir keine Trolleys haben, aber einen Trollo, also mich, erreichten wir einseitig schwer bepackt am Ende des langen Flurs unser Zimmer. Der Weg zu dem Zimmer führte an einer Kapelle vorbei. Mir schwante nichts Gutes.

Vorsichtig öffnete ich das ungelüftete Zimmer. Ich war gespannt, aus welcher Ecke mich das Ambiente anspringen würde. Es kam von der Fensterseite. Draußen musste gerade ein Rennen der Formel 1 laufen. Und wir hatten Fensterplätze!

Allerdings unterschieden sich die Rennautos gegenüber denjenigen der Formel 1 durch einen nachträglichen, illegalen Einbau von leistungsstarken Boxen. Ihre Bässe ließen selbst taube Ohren erfühlen, welcher Nation der Rennfahrer war. Der Zimmerboden schwang im dumpfen Rhythmus mit.

Das Hotel ist so gebaut, dass es eine Front zu einer gut befahrenen Ausfallstraße Bambergs hat. Diese sandige Straße ist so gut befahren, dass eine normale Unterhaltung im Zimmer nur bei geschlossenen Fenstern möglich ist. Es sei denn, Sie sind schwerhörig. Dann genügt der Fernseher auf voller Lautstärke, um den Straßenlärm zu neutralisieren.

Wir hatten noch Fragen. Doch leider war kein Zimmer frei, das nicht zur Straße lag.

Leider! Die Amerikanerin, die gerade mit einem Chauffeur und vier Bodyguards vorgefahren war, war von dem Ambiente begeistert. Bei meiner Frau begann das Ambiente langsam zu bröckeln.

„Vielleicht kühlt es ja in der Nacht ab. Dann können wir die Fenster schließen.“ Meine Frau schläft nie bei geschlossenen Fenstern, nicht einmal im Winter. Ich vermute, dass man sie in einem ihrer früheren Leben wegen Hexerei und sexueller Abwesenheit in einem Rattenloch gefangen gehalten hat. Sie hat auch eine Spinnenphobie, und bei Mäusen stellt sie sich auf den Tisch. Auch darf es bei uns im Schlafzimmer nie ganz dunkel sein. Sie kann nur einschlafen, wenn sie sich noch atmen hört. Wie gesagt, der Mensch lebt ja nicht nur einmal.

Die Katholische Kirche behauptet zwar wider besseres Wissen und im Widerspruch zur Lehre Jesus’ das Gegenteil, aber wer möchte seinen geschorenen Schafen schon offenbaren, dass sie die Kirchensteuer auch im nächsten Leben bezahlen müsse und ihre Sünden hier auf Erden sie im nächsten Leben wieder einholen werden.

Außerdem ist es für jede Witwe ein Trost, dass der früh verstorbene Saufbold im betonierten Grab warten muss, bis ihn die gerechte Strafe trifft. Da kann man aus Dankbarkeit schon mal der Kirche das Häuschen überschreiben.

Meine Frau ist evangelisch und glaubt nur, was modisch bewiesen ist. Es kam ja irgendwann in Mode, in sternenumhagelten Hotels Klimaanlagen in den Zimmern zu installieren. Das hatte den Vorteil, dass auch in den extremen Klimazonen Bayerns ein Verwöhnwochenende nicht zum Horrortrip werden konnte.

Das sternenumhüllte Hotel hatte in den Arrangementzimmern keine Klimazone. Es herrschte eine einheitliche hohe Luftfeuchtigkeit, die einem die Kleiderwahl erleichterte. Nackt war schon immer mein liebstes Ambiente. Da es auch nachts nicht abkühlte und der Verkehr eher noch zunahm, schlossen wir doch die Fenster und steckten uns Ohropax ins verschmalzte Ohr.

 

Von den durch ihre Vorleben gesteigerten Albträumen meiner Frau und ihren furchtbaren Schreien will ich lieber nichts erzählen. Wenn sie dieses Buch liest, könnten die nachfolgenden Sitzungen bei dem Psychologen wieder ihre Wirkung verlieren. Wir schlafen nach Bamberg nicht nur bei geöffneten Fenstern, sondern auch mit weit offen stehenden Türen, damit die Ratten ins Freie entkommen können. Meist werden sie dabei von Wolpertingern gefressen.

Haben Sie schon einmal in einer geräuscharmen Sauna übernachtet? Es hat den Vorteil, dass man beim Aufwachen schon gebadet ist. Jetzt wurde uns auch bewusst, was in dem Prospekt gemeint war, als von einer kostenlosen Nutzung des Wellnessbereichs gesprochen wurde.

Die drei Nächte waren ein einziger Wellnesstrip! So viel konnten wir nachts gar nicht trinken, dass wir nicht am nächsten Morgen unterflüssigt waren. Im Gegenteil, je mehr wir tranken, um so mehr wellnässten wir.

Bei dem Verwöhnwochenende war auch eine Stadtführung vorgesehen. Doch was nützt Ihnen ein „Klein-Venedig“ oder ein imposanter Dom, wenn Sie wissen, dass Sie nachts wieder in einer Sauna übernachten müssen. Im „Rosengarten“ sehen Sie nur die Dornen, und der „Saure Zipfel“ schmeckt Ihnen auch nach der dritten Portion nicht. Die Wurst bleibt Ihnen im Hals stecken, wenn Sie nicht mindestens fünf Rauchbier dazu trinken. Fünf müssen Sie mindestens trinken, damit Ihnen das Bier anfängt zu schmecken. Aber dann haben Sie die Garantie, dass Sie in der Sauna auch ohne Ohrenstöpsel bei geschlossenen Fenstern sofort einschlafen. Sie wachen erst auf, wenn Sie sich zur Seite drehen und das abgelaufene Quellwasser des Rauchbiers Ihnen den Rücken entlang läuft.

Wie gesagt, der auf Touristen lauernde Dom ist ein deutliches Mahnmal der christlichen Hochkultur. So traditionell und unbelehrbar der irdische Teil der Kirche auch sein mag, hat sie auch schon in der Hexen belasteten Vergangenheit prophetische Züge in Kirchenportale meißeln lassen.

Die Baumeister des Doms müssen damals schon gewusst haben, dass zutrauliche Fremde sich von einem Fast-Fünf-Sterne-Ambiente anlocken lassen und dann in den sauren Zipfel beißen. Über einer seitlichen Eingangstür des Doms werden Sie von vielen gehauenen Köpfen von oben herab angesehen. Und die Gestalten lächeln alle. Eigentlich lächeln sie nicht. Es ist schon mehr ein schadenfrohes Grinsen. Je länger man hinschaut, desto widerlicher wird das Grinsen. Die eingeweihten Bamberger nennen es „Das Lächeln von Bamberg“. Wir haben verstanden. Wir übernachten nie mehr in Bamberg. Verwöhnen kann mich meine Frau auch zu Hause. Da brauchen Sie gar nicht zu grinsen.

Zehn Lübke

Frauen führen ein einfaches, sorgloses Leben, wenn sie endgültig und gut gestellt verheiratet sind. Ihre Welt besteht dann aus zwei Sorten von Menschen. Menschen, die sie mögen und Menschen, die sie nicht mögen. Gut, meist mögen sie irgendwann nach der Hochzeitsnacht ihre Ehemänner nicht mehr. Das ist aber eine Frage der Hygiene und hängt mit dem Abnutzungseffekt zusammen. Eine Ehe hat aber den Vorteil, dass es immer dieselbe Bezugsperson ist, von der man abgelehnt wird.

Auch die Speisen unterliegen diesem hormonell einseitig beeinflussten Geschmack. Jeden Tag fragt mich meine Frau, was wir kochen sollen, um dann meine Vorschläge sofort in die Mülltonne zu werfen. Einfache Gerichte schmecken einer Frau mit Niveau nicht. Männer essen alles, was vor der Sportschau auf den Tisch kommt und sich mit einem kalten Bier geschmacklich neutralisieren lässt.

Welche Frau mag schon gebratenen Leberkäse mit Spiegelei und vielen Zwiebeln? Oder saure Kutteln mit dunkler Soße und Bratkartoffeln? Kesselfleisch mit Leberwurst, Schwarzwurst, Sauerkraut und Kartoffelbrei? Eierpfanne mit Speck, Salami, Zwiebeln und einem frischen Bier dazu? Maultaschen in der Brühe mit Kartoffelsalat? Linseneintopf mit Speck und Würstchen? Meine Frau nicht! Ich könnte jeden Tag Linseneintopf essen.

Da meine unbelehrbare Frau nur das kocht, was ihr selbst schmeckt, ist meine Ernährung sehr einseitig und muss nach jeden Essen durch einen Schnaps neutralisiert werden. Meist esse ich im „Bären“ und trinke noch ein paar Bierchen dazu, damit sich der Linseneintopf schneller ausbreiten kann. Er schwimmt durch die Därme und flutet praktisch den gesamten Dickdarm, sodass sich ein wohliges Sättigungsgefühl einstellt und ich zu Hause nur noch den Nachtisch essen kann. Diesen neutralisiere ich durch meinen Freund „Willi“.

Die meisten gutartig verheirateten Männer über fünfzig essen im „Bären“. Der Bärenwirt kennt unseren einfachen Geschmack und hat einen Linseneintopf, bei dem der Löffel drin stehen bleibt. So einen Linseneintopf gab es auch früher bei der Bundeswehr. Damals wurde der noch von Hand gemacht. Heute schütten sie auch nur noch die Büchsen in den Topf und geben Wasser dazu, damit es für alle reicht. Nicht nur deshalb habe ich frühzeitig die Bundeswehr verlassen. Auch der Erbseneintopf wird nicht mehr in der Gulaschkanone gekocht. So löst sich die Bundeswehr nach und nach selbst auf.

Mögen Sie Politiker? Blöde Frage! Genau so gut hätte ich Sie auch fragen können, ob Sie die Schweinegrippe mögen, oder Pest und Cholera. Ich mag überhaupt keine Politiker. Auch nicht, wenn Sie wegen eines Vulkanausbruchs im Ausland festsitzen.

Meine Frau mag den Freiherr von und zu Guttenberg. Als dieser der erste gelierte Verteidigungsminister wurde, sind bei ihr alle Stellungen gefallen. „Was für ein gut aussehender Mann!“ Ich kann ihn mir höchstens bei der berittenen Kavallerie vorstellen. „Eben“, sagte meine Frau. „Der wälzt sich nicht im Schlamm herum. Der küsst einer Frau noch die Hand.“

Ich habe bisher nicht gewusst, dass man den Krieg am Hindukusch mit Händeküssen gewinnen kann. Die Frauen dort tragen doch überwiegend Burkas.

Aber Frauen verstehen ja nichts von moderner Kriegsführung. Die würden auch mit spitzen, hochhackigen Schuhen in den Krieg ziehen, wenn der Guttenberg vorausmarschiert. Sein Parfüm lockt sie wie durch Rauch halb betäubte Hummeln an.

Frauen mögen ihn auch, weil er auch einen weiblichen Vornamen hat. Karl Theodor Maria Nikolaus Johann Jacob Philipp Franz Joseph Sylvester. Wenigstens der letzte Vorname stimmt mich etwas versöhnlich. Damit lässt sich feiern.

Meine Frau spricht manchmal im Schlaf. „Erich“ hat sie noch nie gerufen und dabei die Bettdecke von sich gestoßen. Aber gestern hat sie laut Nikolaus geschrien und mir dabei in den Bauch getreten. Angeblich hat sie geträumt, dass der Nikolaus sie in seinen Sack gesteckt hat. Ich glaube ihr nicht. Wahrscheinlich hat er sie dabei auf die Hand geküsst. Aber ich tröste mich. Auch der Guttenberg wird mal seinen Lack verlieren. Auch eine Teflonpfanne hält nicht ewig. Manchmal geht es schneller als man denkt.

Einen Politiker mag sie aber absolut nicht. Den „Oberlehrer der Nation“. Den Trittin kann sie auf den Tod nicht ausstehen, weil er ihrer Handarbeitslehrerin aus der Schule ähnlich sieht. Für sie war die nur ein gehäkelter Kotzbrocken! Nur wegen Trittin wählt sie die Grünen nicht. Wenn der im Fernsehen auftaucht, schaltet sie um, raucht eine Zigarette und trinkt einen Espresso. Wenn der lächelt, bekommt sie Gänsehaut und es zieht ihr an der Gebärmutter. Wenn der je mal Bundespräsident werden sollte, wandern wir aus. Selbst wenn wir nach Österreich asylieren müssten.

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