Politiker haben kurze Beine

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Aus der Reihe: Lindemanns #129
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„Was weiß ich? Wird der Bürgermeister dieses Jahr nicht 50?“

„Was hat das mit uns zu tun?“

„Wir werden doch sicher eingeladen.“

„Natürlich. Aber wir können nicht hingehen.“

„Warum?“

„Weil du meine grüne Weste in die Altkleidersammlung gegeben hast. Die hatte ich immer zum Grillen bei Sepp an.“

„Ja glaubst du denn, der Bürgermeister macht zu seinem Fünfzigsten ein Grillfest? Erich, wo lebst du denn? Kunigunde hat mir erzählt, sie lässt eine Cateringfirma aus Paris einfliegen.“

„Kunigunde soll das gesagt haben? Sepp hat gesagt, er feiert im ,Bären‘, basta!“

„Sepp weiß es noch nicht.“

„Was?“

„Das mit der Cateringfirma. Das ist eine Überraschung von seiner Frau. Die Feier im „Bären“ findet eine Woche später für das übrige Dorf statt. Die richtige Feier findet an seinem Geburtstag im Schloss statt.“

„Im Schloss?“

„Ja, im Schloss. Das kann man für solche Zwecke mieten. Und wir sind natürlich eingeladen.“

„Ich habe nichts anzuziehen.“

„Keine Angst, ich habe dir einen Smoking bestellt.“

„Was hast du?“

„Es ist Frackzwang.“

„Was für ein Zwang?“

„Erich, überlass das alles mir. Zum Friseur musst du aber auch noch.“

„Ich war doch erst gestern.“

„Das Fest ist ja erst in sechs Wochen. Und dein Bart muss weg. Der macht dich um zehn Jahre älter.“

„Mein Bart bleibt!“

„Erich, willst du uns ruinieren?“

„Was hat mein Bart damit zu tun?“

„Ich habe mit Agnes um einen Rolls-Royce gewettet, dass du deinen Bart abmachst.“

„Bist du übergeschnappt?“

„Nein, nicht, was du jetzt schon wieder meinst.“

„Nicht? Ah, du nimmst Drogen. Diese Tabletten, die du in deinem Nachttisch versteckt hast.“

„Was hast du in meinem Nachttisch zu suchen?“

„Meine Socken in den Nationalfarben.“

„Deine Socken waren noch nie in meinem Nachttisch.“

„Ich habe sie dort auch nicht gefunden.“

„Die Tabletten brauche ich für meine Haut.“

„Haut? Sind die zum Einreiben?“

„Nein, die wirken von innen. Sie glätten die Haut und entfernen Falten.“

„Da habe ich aber noch nichts davon bemerkt.“

„Ich nehme sie auch erst seit sechs Wochen.“

„Ab welcher Woche wirken sie denn?“

„Was weiß ich. Das kommt darauf an, wie tief die Falten sind und wie sehr die Haut schon vom Ärger mit dem Ehemann beansprucht worden ist.“

„Wenn man wüsste, ab welcher Woche sie wirken, könnte man bis zu der Woche warten und dann die Tabletten nehmen.“

„Erich, mach mich nicht wahnsinnig. Ich muss los.“

„Und was ist mit dem Rolls-Royce?“

„Den kann man mieten. Damit fahren wir vor dem Schloss vor, wenn du deinen Bart abnehmen lässt.“

„Ich lasse meinen Bart nicht abnehmen. Auch nicht für einen Jaguar!“

„Dann fahren Agnes und ihr Mann mit dem Rolls-Royce vor, und du musst es bezahlen.“

„Ich?!“

„Natürlich, so haben wir gewettet.“

„Was kostet das denn?“

„Mit Chauffeur 2.500 Euro. Er bringt uns auch wieder nach Hause.“

„2.500 ...? Spinnst du?“

„Wieso? Du brauchst dir doch nur den Bart abzunehmen. Das kleine Opfer wirst du doch für mich bringen können.“

„Das ist Erpressung.“

„Papperlapapp! Männer muss man zu ihrem Glück zwingen.“

„Mein Glück hängt nicht von einem Rolls-Royce ab.“

„Aber meines. Und wenn ich nicht glücklich bin, bist du es auch nicht.“

„Wer sagt das?“

„Ich! Bis ich zurück bin, bist du rasiert! Und wage es ja nicht, mich zu blamieren.“

„Zu welchem Arzt wolltest du noch mal?“

„Erich, ich gehe shoppen.“

„Entschuldige, jetzt erinnere ich mich. Du brauchst ja nichts.“

„Genau, Agnes und ich gehen nur ein wenig schauen.“

„Das kostet ja nichts.“

„Gut, dass du mich daran erinnerst. Ich muss die Scheckkarte mitnehmen.“

„Die Scheckkarte?“

„Natürlich, vielleicht finde ich ja etwas.“

„Dann freue dich dran und lass es hängen.“

„Erich, ich muss los. Außerdem muss ich noch eine Fliege für dich kaufen.“

„Fliege? Für was brauche ich eine Fliege?“

„Für deinen Smoking.“

„Ich habe keinen Smoking.“

„Herr, warum hast du den Männern nicht ein klein wenig mehr Hirn gegeben? Die meisten Frauen hätten dir dafür von ihrem Hintern gern etwas abgegeben.“

„Also, noch mal ganz langsam. Du gehst einkaufen, weißt aber nicht, was du brauchst.“

„Ich weiß, was ich brauche.“

„Was denn?“

„Was Schönes.“

„Und wenn du nichts findest?“

„Wenn man nicht sucht, kann man nichts finden.“

„Ich denke, du suchst nichts.“

„Erich, nach der Feier im Schloss lasse ich mich scheiden. Tschüss!“

Finden Sie darin eine Spur von Logik? Es gäbe viel weniger Elend auf der verheirateten Welt, wenn wir alle noch nackt he-rumlaufen würden. FKK ist das Ergebnis einer zwingenden Logik. Da war uns die DDR weit voraus. Es war nicht alles schlecht dort.

Sehen Sie sich das Elend von Ottmar Grundel, unserem beidhändigen Totengräber, an. Sein sargähnlich unterkellertes Haus steht direkt am witwenfreundlichen Friedhof. Plötzlich will Lioba, seine Tonurnen brennende Frau, von dort wegziehen. Und das, obwohl sie ein geschnitztes Holzbein aus gebeiztem Birkenholz hat und nicht mehr gut zu Fuß ist. „Wenn sie mal stirbt, hätte sie es nicht weit“, sagt Ottmar. „Den Weg hätte sie auch mit ihrem Holzbein schaffen können. Die Tonurne hätte ich ihr gern hinterher getragen.“

Auch für Ottmar wäre ein mutwilliger Wegzug eine ungeheuere Arbeitserschwernis. Wenn er ein erwartungsfreudiges Grab ausgehoben hat, trinkt er gern noch ein paar Flaschen Bier am offenen Grab und bespricht sich ausführlich und leise mit dem leberverhärteten Toten, auf welcher Seite dieser seinen mostigen Kopf liegen haben will.

Er sagt, die meisten Toten wollten mit dem Gesicht nach der von ihrem Haus abgewandten Seite begraben werden, falls ihre Frauen noch leben. Sie wollen nicht mit ansehen müssen, wie sich ihre Frauen die Fernbedienung des Fernsehers unter den Nagel reißen und ihre Bierdeckelsammlungen in den Müll werfen.

Ottmar sagt, es sei wichtig, den Willen der den Gnadentod gestorbenen Männer zu erfüllen, da sie sonst spuken müssten. Viele hastig eingesargten Toten verrieten ihm zum Dank dafür, wo sie das vor ihren Frauen verborgene Schwarzgeld versteckt hätten. Das muss stimmen, da Ottmar, wenn viele Männer sterben, immer genügend Geld hat, um im „Bären“ die Totenbesprechungen fortzusetzen. Ottmar betrachtet die Tatsache, dass Frauen von Geburt an länger leben, als Gottes Segen. Nur bei seiner Frau hat er damit einige Schwierigkeiten.

Wenn er anschließend erfüllt nach Hause gehe, sei er schon vielen abgestorbenen Geistern begegnet. Meist ist es aber seine Wutfrau, die ihn mit ihrem Holzbein abholt, an dem sie immer eine kleine Weidenrute befestigt hat. Diese ist nicht gebeizt, aber in Wasser eingelegt worden, weil sie dann besser zieht.

Und obwohl der Weg für sie viel beschwerlicher werden würde, will Lioba an ihrem fünfzigsten Geburtstag zu ihrer schielenden Schwester ins bucklige Oberdorf ziehen. Deren Mann, er hieß Franz Weinbrenner, ist weinselig die Treppe hinuntergefallen und hat sich somit dem weiteren Martyrium einer fleischlosen Ehe mit einem ergebenen Seufzer entzogen.

Ottmar befürchtet, sich gegen zwei Frauen auch mit seiner Grabschaufel nicht durchsetzen zu können. Seine Befürchtungen sind sicher berechtigt. Der Schaufelstiel sieht schon etwas morsch aus. Seine plattnasige Schwägerin, die als Mädchen bei den Jungs mitringen durfte, sammelt jeden Herbst Weidenruten, aus denen sie im Winter wunderschöne Körbe und Peitschen macht. Da sie beidseitig schielt, wird sie von den Bauern oft beim Bezahlen betrogen. Das ganze Dorf ist gespannt, wie die Sache ausgehen wird.

Meine douglasgestählte Frau wünschte sich zum gefühlten fünfzigsten Geburtstag einen SUV. Ein ungewöhnlicher Wunsch einer dahinreifenden Frau, die sich von Zigaretten, Kaffee, Cognac, Käsesahnetorten und Cola ernährt. Vielleicht macht der Bärenwirt eine Ausnahme und lässt sie mal mit am Stammtisch sitzen. Eigentlich sind Frauen bei uns am Stammtisch nicht zugelassen. Ich nehme an, dass sie nach drei Halben ihrem Wunsch sehr nahe gekommen sein wird.

Sie wolle endlich eben in ein Auto steigen können und nicht mehr so tief sitzen müssen. Als ich ihr zu bedenken gab, dass man im Suff überhaupt nicht Auto fahren sollte und die Stühle im „Bären“ alle die gleiche Höhe hätten, erfuhr ich, dass SUV ein gebärmutterfreundliches, hochbeiniges Auto ist.

Seit wann interessieren sich aufgenagelte Frauen für Autos, wenn kein gut aussehender Mann darin sitzt? Sie faselte etwas von royalem Ambiente und von ihrer frisch abgesaugten Freundin, die sich letzte Woche zur Belohnung einen SUV gekauft habe. Es sei ein fantastisches Fahrgefühl.

Die Gefühle von silberblickigen Frauen sind nicht leicht einzuschätzen. Unsere Kassenlage jedoch sehr wohl. Nach dem Kauf des SUVs befinden wir uns in einer Lage, die unweigerlich dazu führt, dass man beim Betreten der Bank vom Personal mit Namen begrüßt wird und nach dem Gesundheitszustand gefragt wird. „Wie geht es Ihnen, Herr Koch? Was macht die Arbeit? Sie arbeiten doch noch? Wie geht es der holden Gattin? Kommen Sie mit den Raten klar? Wir können den Kredit gerne aufstocken oder die Raten strecken.“ Seither mache ich Homebanking!

Ich mag dieses Auto nicht! Ein Auto, das mich bei seinem Anblick sofort an meine Promillegrenze erinnert, weckt in mir einen natürlichen inneren Widerstand. Vor allem, wenn ständig meine Frau damit durchs Dorf fährt und jeder Freundin hupend zuwinkt. Ich sitze auf dem erhöhten Beifahrersitz und komme mir vor wie Prinz Philipp neben der langsam verwesenden Queen. Nur dass die im Auto einen BH trägt.

 

Gerhard, der Chef unserer einstimmigen CDU-Fraktion, ist verzweifelt. Seine nicht nur politisch aktive Frau hat ihm eröffnet, dass sie mit Eintritt in die zweite Hälfte ihres Lebensjahrhunderts sich von allen sittlichen Bahnschranken befreien werde.

Gerhard glaubte, sie wolle den Papagei verkaufen und aus dem Jungfrauenbund austreten. Im hormonfeindlichen Jungfrauenbund kann man auch nach der erzwungenen Eheschließung als beratendes Mitglied verbleiben. Da der Pfarrer der geschlechtsneutrale Ehrenvorsitzende ist, besteht eigentlich keine Gefahr, dass es zu ehewidrigen Handlungen kommt. Jedoch hetzt die Pfarrköchin unsere Frauen ständig gegen uns auf, indem sie behauptet, Alkohol mache Männer impotent. Ich glaube nicht, dass das stimmt. Gut, wenn man bedenkt, dass die Geburtenrate in Deutschland ständig nach unten zeigt, könnte ein Körnchen Wahrheit daran sein.

Der „Bärenwirt“ behauptet, das Gegenteil sei der Fall. Durch die Mitgliedschaft im sterilen Jungfrauenbund nehme der Anteil der unfruchtbaren Tage der fruchtigen Ehefrauen überproportional zu. Wenn ich mir so die Frauen in unserem Dorf betrachte, halte ich diese These für wahrscheinlicher. Manche tragen ihre Unfruchtbarkeit offen zur Schau.

Ludmilla verbleibt allerdings abgerüstet im Jungfrauenbund. Sie trägt ab sofort keinen BH und keine Unterhose mehr. Das könnte durchaus eine neue Erotik ins muffige Schlafzimmer spülen. Ein wenig fahles Licht und alte, rote Tapeten sollten die nötige Stimulanz erzeugen können. Ich spreche da aus Erfahrung. Ein Hotel in Wien hatte genau diese aus dem Kamasutra stammenden, männlichkeitsfordernden Eigenschaften.

Doch Ludmilla hat Körbchengröße 110, und ihre Unterhose hat Gerhard manchmal als Netz benutzt, um im abgelaichten Dorfteich alte Karpfen zu fangen. Und bei uns im Dorfteich gibt es riesige Karpfen.

Wenn Ludmilla in einer halbdurchsichtigen Bluse an lauen Sommerabenden wippend am schwülen Dorfteich vorbeigeht, schnappen sogar die Karpfen und die mit Ferngläsern bewaffneten Rentner, die dort zahnlos auf den Bänken sitzen, nach Luft.

Besonders, wenn vom nahen Bauernhof von Edwin Grünkohl schwere Mistdämpfe herüberziehen, riecht man das neue Parfüm bei Ludmilla nicht. Sie lässt sich von Edwins Frau mit Eigenurin gegen ihre entzündeten Brustwarzen behandeln und überdeckt die heilenden Gerüche mit überteuerten Gerüchen aus der Welt des Adels. Sie behauptet, Sissi habe bereits dieses Parfüm gegen ihre neidische österreichische Schwiegermutter benutzt.

Gerhard hat seine inzwischen geschlechtslose Schwiegermutter angefleht, ihre kurzberockte Tochter wieder zur Vernunft zu bringen. Wenn Ludmilla so weiter mache, werde ein imperatives Parteiausschlussverfahren gegen ihn eingeleitet. Aber appellieren Sie mal bei übergewichtigen Frauen an Vernunft. Sie finden keinen Widerhall. Bei höckernasigen, großwarzigen Schwiegermüttern ernten Sie höchstens ein höllisches, gelbzahniges Gelächter.

Seine verbitterte Schwiegermutter gibt natürlich ihm die Schuld. Sie hat nur eine kleine, verhartzte Witwenrente und muss sich jeden Tropfen Parfüm vom bissigen Mund absparen. Er habe mit seinem Geiz, seiner Sauferei und seinen Schafen ihre Tochter in den Wahnsinn getrieben. Gerhard hält ein paar Schafe, da vor Jahren der Rasenmäher kaputt gegangen ist und er für das zwanzig Jahre alte Gerät bei ALDI keine Ersatzteile mehr bekommen hat.

Ein gescherter Wanderschäfer kam gerade vorbei und hat ihm bei Ludmillas Anblick spontan zwei Schafe geschenkt. Er hat ihm geraten, die neugeborenen Lämmer wegen der Kälte die ersten Wochen im Schlafzimmer unterzubringen. Seither schläft Ludmilla getrennt von ihm.

Als Zeichen ihrer neuen Bereitschaft für ein besseres Leben hat sie ihre Unterhose und ihren BH an die Fensterläden des Schlafzimmers genagelt. Gerhard wird wohl den Vorsitz bei der CDU verlieren. Nicht wegen seiner Schafe. Wir können es nicht hinnehmen, dass seine Frau unsere Frauen auf weiterführende Gedanken bringt und die Rentner vom Dorfteich vertreibt.

Was nagelstudioabhängige Frauen denken, verbirgt sich dem ahnungslosen Gehirn eines harmoniebedürftigen Ehemannes meist. Norbert ist mit Elfriede verheiratet und sterilisiert. Elfriede will keine Kinder, die Norbert ähnlich sehen.

Das kann jeder im Dorf verstehen. Mit seiner schiefen, großlöchrigen Boxernase und seinen abstehenden, leicht schuppigen Segelohren vermittelt Norbert den Eindruck einer Kreuzung aus einem Wolpertinger und einem australischen Flughund. Und wenn man sich vorstellt, dass die Kinder vielleicht noch seinen vorgewölbten Entengang und den chronischen Schluckauf erben würden, hätte man spätestens jetzt ein evangelisches Verhütungsmittel erfinden müssen.

Norbert musste sich daher freiwillig sterilisieren lassen. Elfriede, seine aufgezwungene Ehefrau, nimmt oral nichts zu sich, was ihren Hormonhaushalt künstlich beeinflussen könnte, und Norbert ist angeblich gegen die Geschmacksvariationen der Kondome allergisch. Besonders intensiver Erdbeergeschmack hat sich verheerend bei ihm im Schlafzimmer ausgewirkt.

Elfriede schwört stimulierend auf frische Erdbeeren mit Sahne und lässt sich von Franz, meinem altbadischen Nachbarn, im schwülen Sommer immer taufrische Erdbeeren vom Feld mitbringen. Franz pflückt selbst, und nachdem sich Elfriede ausgezogen hatte, hat er mit steifer Sahne die kurz angefrorenen Erdbeeren auf den strategisch wichtigen Punkten bei Elfriede befestigt. Da sie gerade fünfzig geworden war, hat er mit fünfzig Erdbeeren einen Lehrpfad für seine Zunge angelegt.

Norbert ist für seine belegte Zunge bekannt. Jede Woche sitzt er bei einem anderen Arzt und lässt sich seine schwergängige Zunge deuten. Meist deutet sie auf wenig Arbeitslust und viel Alkohol hin. Die gutgängige Pfarrköchin, die eine wunderbare Erdbeermarmelade macht, hat die Erdbeerspur vor Norberts Haus aufgenommen und mit der Kamera das sahnige Gestöhne von Franz und den weiteren Verlauf der abgesahnten Geburtstagsfeier aufgenommen.

Norbert hatte auf dem Weg zur Arbeit plötzlich das Gefühl, dass seine Zunge anschwelle. Seine Medizin, eine Mischung aus Cognac, Eigenurin, Ratzeputz, Rattenblut und Zitronensaft hatte er auf dem Nachttisch stehen lassen. Er muss sich nachts damit immer nachsterilisieren.

Als Norbert ins schwach rot beleuchtete Schlafzimmer trat, sah er, wie ein nackter Pudel, der weißen Schaum vor dem Mund hatte und dem das Blut an den sabbernden Lefzen herunterlief, aus dem Bauchnabel einer Erdbeersahnetorte, die seiner Frau ähnelte, Champagner schlabberte.

Franz hat nachgeblondete Locken am ganzen Körper und die Ruhe weg. Er ist letztes Jahr in staatlich erzwungene Frühpension gegangen und hat als geneideter Beamter gelernt, ungeliebten Publikumsverkehr von sich fern zu halten.

Er hat unfreundlich geknurrt, hat Norbert eine Handvoll Sahne ins Gesicht geklatscht und ihm eine Erdbeere in den Mund gesteckt. Elfriede hat ihm geistesgegenwärtig die Flasche mit dem Sterilisationsmittel in die Hand gedrückt und Franz hat ihn winselnd zur Tür gedrängt.

Der liebe Gott hat bei Norbert an allen Ecken und Enden gespart. Da die Aufnahmen der Pfarrköchin etwas unscharf waren und sie nicht das ganze Schlafzimmer auf die Linse bekam, behauptet Norbert heute noch, dass er seine Frau mit dem Pudel von Karl Schmuser, unserem Konditor, überrascht hat. Er habe ja schon lange den Verdacht gehabt, dass seine Frau seine Sterilisation nur als Vorwand benutze, um sich selbst nicht einschränken zu müssen. Und den Pudel verwöhne sie nur, weil er ihr verboten habe, Haustiere zu halten.

Aber vielleicht werde er ihr zum Sechzigsten einen Schäferhund kaufen. Bis dahin sei sicher seine Sterilisation abgeklungen. Seit gestern habe er auch ein neues Mittel gegen seine Erdbeerallergie. Die Frau von Franz hat ihm angeboten, ihn mit langsam steigenden Dosen immun zu machen. Sie sagt, eine Hand wasche die andere. Und zwei Hände könnten mehr als eine. Norbert sagt, er werde mit der Zeit immer steriler. Bald könne er sicher auch Erdbeeren im Schlafzimmer essen.

Oder sehen Sie sich Alwins grüne, spitzmundige Frau an. Sieglinde ist Lehrerin. Sie lehnt ungeschützten Sex mit ihrem Mann während ihrer Lehrtätigkeit ab. Sie sagt, sie wolle nicht auch noch die doofen Kinder bei sich zu Hause sitzen haben. Alwin hofft ja, dass sie sich frühpensionieren lässt. Er hat bei einer Samenbank heimlich Samen einlagern lassen. Es wird allerdings nichts nützen. Sieglinde hat meiner Frau unter dem Siegel des femininen Beichtgeheimnisses erzählt, dass sie keine Kinder bekommen könne. So wie ich das sehe, nützen dann auch gefrorene Spermien nichts mehr. Die meisten schwimmen eh nach dem Auftauen mit dem Bauch nach oben. Und wie gesagt, Sieglinde ist frigide, wenn nicht sogar chronisch nymphoman.

Es ist manchmal schon erschreckend, was welkende Frauen alles tun, um nicht alt zu werden. Männer sind da völlig anders. Reifende Männer trotzen dem Schicksal mit Kernseife und Wegwerfunterhosen. Diese Unterhosen sind der neuste Hit bei uns im Dorf. Hubert, unser Kioskbesitzer, der als Einziger im Dorf noch priemt, hat sie aus China importiert. Sie haben den Vorteil, dass sie durch die blaue Einfärbung, in der undefinierbare Weichmacher enthalten sind, auch Hämorrhoiden auflösen. Außerdem verwandeln sie nachtröpfelnden Urin in Heilerde. Mann pinkelt sich sozusagen gesund.

Die Hosen lösen sich nach drei Tragetagen von alleine auf, und der Mann zieht automatisch eine neue Unterhose an. Der Inhalt wird mit den Pampers der Kinder entsorgt und löst daher auch keine Ekelgefühle bei der Haushaltshilfe aus.

An meinen fünfzigsten Geburtstag kann ich mich noch gut erinnern. Wir haben mit unseren wenigen trinkfesten Nachbarn in den Geburtstag reingefeiert. Es bot sich an, da mein öffentlich bekannter Geburtstag auf einen sonnigen Sonntag fiel. Wir haben auf mit altem Cognac übergossenem Buchenholz gegrillt und bis in die frühen Morgenstunden Oldies mitgesungen. Horst, der deutsche Mick Jagger, hat eine Oldie-Sammlung, die ihresgleichen sucht. Und die Boxen seiner Anlage sind vom Feinsten. Horst singt nicht wie Mick Jagger, aber er trinkt genausoviel. Und je mehr er trinkt, desto ähnlicher wird er der Rolling-Stones- Legende. Gegen Mitternacht könnten Sie glauben, Mick sitzt in tausend Falten neben ihnen am Lagerfeuer. Es ist manchmal direkt gruselig.

Dagegen hilft Knoblauch. Bei jedem Grillfest gibt es am Ende unsere Spezialität. Gut geröstetes Brot wird mit einer Knoblauchzehe dick eingeschmiergelt, und dann wird eine halbe Tomate darüber gerieben. Etwas Olivenöl und ein wenig Salz machen das Brot zu einer Delikatesse. Also unter zehn Broten verlassen wir nie die Siegesfeier. „We are the champions.“

Nach jedem Brot gibt es einen spanischen Cognac und zur Neutralisierung einen kräftigen Rotwein. Probieren Sie es mal. Sie werden diesen Abend nie vergessen. Genauso wenig, wie unsere unmusikalischen Nachbarn, die sich nichts aus Oldies machen. „I can’t get no satisfaction!“

Aber wenn ein hormonangestauter Mann seinen fünfzigsten Geburtstag feiert, kann man schon mal ein Auge und die Fensterläden zudrücken.

Als ich am Montagmorgen wider Erwarten wieder Leben in mir spürte, bat ich meine Marlboro-abhängige Frau, kein offenes Feuer zu machen, da Knoblauchdämpfe das Schlafzimmer zu einem unkalkulierbaren Risiko hatten werden lassen. Die seit zwanzig Jahren tadellos haltenden Tapeten sahen leichengrün und wellig aus, und die Kerze, die meine Frau vor dem Bild ihrer alles besser wissenden, toten Mutter aufgestellt hat, hatte sich übergeben. So sah es jedenfalls aus. Wobei sie sich verständlicher Weise dem Bild zugeneigt hatte.

Vorsichtig begab ich mich kriechend ins Bad, schaute mich wohlgefällig im erblindeten Spiegel an und sagte zu mir: „Gut siehst du aus! Erich, ich mag dich!“ Ich habe gelernt, jeden Tag positiv zu beginnen. Das verträgt aber nicht jede sakral geschlossene Ehe.

Für manche von männlichen Einkommen abhängigen Frauen ist ja der Tag schon versaut, wenn sie aufwachen und der überproportionierte Ehemann liegt immer noch zufrieden schnarchend mit einem glücklichen Traumlächeln neben ihnen.

Darum feiern Männer ihren fünfzigsten Geburtstag als Heldengedenktag. Wenn Frauen nur ein klein wenig von dieser positiven Energie hätten, bräuchten sie keinen Pudel im Schlafzimmer.

 

Manchmal kann man als Ehebruch-unerfahrener Mann seine Wirkung auf Frauen nicht mehr objektiv einschätzen. Als ich an diesem Morgen den gut gefüllten Metzgerladen von Stanislaus Blutrausch betrat, war dieser überladen mit schönen Frauen. Das eingemeindete Nachbardorf hat keinen Fleischerladen mehr, so dass alle fremden, willigen Frauen bei Wilma Blutrausch einkaufen. Samstags schicken sie auch ihre Männer zum Einkaufen, weil sie wissen, dass Wilma keine sexuelle Gefahr mehr für ihre Männer darstellt.

Normalerweise besteht in dem darmgefüllten Metzgerladen eine klare Hackfleischordnung. Bedient wird nach Eintreffen und nicht nach Schönheit oder BH-Größe. Selbst Kunigunde, die Frau des Bürgermeisters, wird nicht bevorzugt behandelt. Nur die Pfarrköchin, das horizontale Gewissen unseres bettlägrigen Dorfs, wird sofort abgefertigt. Dann hat sie genügend Zeit, in aller Ruhe kauend, die neuesten Tratschgeschichten von ihrem Stuhl in der Imbissecke zu erzählen.

Ich setzte mein strahlendstes Lächeln auf, grüßte mit einem Frauen stimulierenden „Guten Morgen“ und stellte mich dicht hinter die gut aufgepolsterte Bürgermeisterin.

Sie werden es nicht für möglich halten. Eine attraktive Frau nach der anderen nötigte mich, doch nach vorn zu gehen und mich bedienen zu lassen. Als ich mich weigern wollte, weil ich das Angebot von so wunderbaren Frauen nicht annehmen könne, wurde ich mit Gewalt durch halb nackte Oberkörper an die Theke geschubst. Ich muss einen unwiderstehlichen Eindruck auf diese unterforderten Frauen gemacht haben. Selbst Wilma zwinkerte mir mit ihren entzündeten Augen zu und gab mir noch eine halbe Fleischwurst umsonst in den Korb. Und da sage noch einer, ein Mann über fünfzig könne schöne Frauen nicht mehr allein durch seine antrainierte Persönlichkeit beeindrucken. Wenn ich meine Visitenkarten dabei gehabt hätte, hätte ich sie im Metzgerladen den lechzenden Frauen unauffällig unter das Mieder geschoben. Ich möchte nicht wissen, wie viele aufgewühlte Frauen in dieser schwülen Nacht mit einem weinenden Auge nicht eingeschlafen sind.

Als ich meiner nach Knoblauch und kaltem Rauch duftenden Frau von dem tollen Erlebnis erzählt habe, führte sie das Verhalten der Frauen auf meinen widerlichen Knoblauchgestank zurück. Frauen! Wenn Sie nicht selbst im speichelfördernden Mittelpunkt stehen, erfinden sie die unglaublichsten Geschichten, um dem umliebten Mann seinen Erfolg mies zu reden. Ich weiß, was ich erlebt habe. Das kann mir auch in meinem nächsten Leben keiner mehr nehmen. Die weit geöffneten, tränenden Augen dieser hungrigen Frauen werde ich nie vergessen.

Übrigens, Horst hat mir erzählt, er habe das gleiche Erlebnis beim Bäcker gehabt. Er habe beim Bäcker Mehlwurm Höhlenbrötchen geholt. Wenn Sie mein letztes Buch gelesen haben, wissen Sie, dass diese delikaten Brötchen so heißen, weil sie durch einen leichten Druck in der Achselhöhle des Mehlwurms ihre abschließende Gestalt und den unverwechselbaren krautigen Geschmack erhalten.

Knoblauch soll ja ein idealer Testosteronträger sein. Und vernachlässigte Frauen reagieren darauf mit nicht berechenbaren Emotionen. Horst hat erzählt, er habe nicht einmal bezahlen müssen, so freundlich sei er aus dem hormonbegierigen Bäckerladen hinauskomplimentiert worden. Männer, esst Knoblauch und die Frauen fressen euch aus der Hand. Es ist ja allgemein bekannt, dass Frauen besser riechen als schmecken. Männer waschen sich weniger als sie riechen.

In der sich abnutzenden Ehe verwischen sich dann die Gegensätze. Den Männern schmeckt das parfümierte Essen nicht mehr, und die desillusionierten Frauen können ihre Männer nicht mehr riechen, nicht einmal, wenn diese sich gewaschen haben.

Vielen Männern wird ja erst bei der Frage: „Willst du diese Zufallsbekannte lieben und ehren, bis dass der Tod euch scheidet?“, bewusst, dass es hier um Leben und Tod geht. Aber dann ist es zu spät. Vor allem, wenn die Schwiegermutter bei der Trauung in der Handtasche einen geladenen Colt mitführt und jeden wissen lässt, dass sie damit eine Fliege von der Wand schießen könne, von einem männlichen Sperma an der Schlafzimmertür gar nicht zu reden.

Max Stangenfresser, der im OP arbeitet und dessen Frau zwei Zentner wiegt, sagt, er habe auch „ja“ gesagt. Aber gedacht habe er, lieber Gott, wie lange lebt die denn noch?

Die Eheformel müsste der modernen Zeit angepasst werden. Der Pfarrer könnte doch auch fragen: „Willst du die neben dir drohende, äh, stehende Frau Leuchtturm-Schnarchberger die nächsten zwölf Jahre? ... bei guter Führung zehn Jahre ...“

Dann hätte man doch noch etwas von seinem Leben.

Heute wird ja jede zweite gegnerisch geschlossene Ehe wieder geschieden. Das kommt nur durch die aggressive Werbung. Früher hat eine berechnende Frau im entscheidenden Moment dem leicht angetrunkenen Mann breitbeinig ins Ohr geflüstert: „Ich will ein Kind von dir!“

Das war ja mit einem kleinen Aufwand noch machbar. Heute stöhnen sie im Fernsehen mit oral geöffnetem Geburtshelfer: „Ich will ein Haus mit dir.“ Und da sagt der plötzlich ernüchterte Mann: „Hoppenla! Das sind 300.000 Euro! Das sind ein 106er Flachbildschirm und dreißigtausend Kästen Bier. Das muss wohl überlegt sein.“

Gut, ich gebe zu, es gibt auch labile Männer, die Probleme haben, wenn ihnen die gefärbten Haare ausfallen und die Frauen minderwertige Blicke auf sie werfen. Aber diese kränklichen, bedauernswerten Männer sind bei uns im Dorf in der Minderzahl. Die meist einfach gehaltenen Männer schauen nicht hin, wenn eine bekannte Frau aus dem Dorf mitleidig schauend an ihnen vorbeigeht. Vor allem, wenn die gichtgeizige Frau dafür bekannt ist, dass ihr unverschuldet verheirateter Mann im „Bären“ Schulden machen muss, um seinen Durst löschen zu können. Dabei weiß doch jeder, dass ein durstiger Mann seinen Mann nicht stehen kann. So löst eine nicht gelöschte Lawine die andere aus, und zum Schluss bleibt dem verwahrlosten Mann als einziger Trost der gesponserte Rausch und die Pilzmarie.

Wenn Sie meine Bücher gelesen haben, wissen Sie, dass die Pilzmarie mit einer endlosen Geduld, einer Schachtel Zigaretten und einem Eimer Wasser auf dem Fensterbrett auf verirrte Heimkehrer wartet. Sobald der seine liebende Frau suchende bärige Mann unter ihrem Fensterbrett stehen bleibt, weil ein anziehender Geruch von Schwarzwälder Schinken und dem gleichnamigen Kirsch – die Pilzmarie schüttet immer ein paar Tropfen davon aufs Fensterbrett und hängt eine Speckschwarte ans Fensterkreuz – ihn zum sinnierenden Verweilen einlädt, schüttet sie ihm das eiskalte Brunnenwasser über den Kopf und zwingt ihn mit den reinziehenden Worten „jetzt aber raus aus den nassen Klamotten“, ins sich entblätternde Schlafzimmer einzutreten. Der Kirsch erledigt dann den Rest. Gustav, ihr Mann, trinkt inzwischen im „Bären“ so viel Kirschwasser, dass er gefahrlos nach Hause gehen kann. Dabei sagt er laut in kyrillischen Buchstaben die örtliche Uhrzeit an, damit die Pilzmarie weiß, was die biologische Uhr geschlagen hat.

Aristoteles Blutrausch, unser einäugiger Metzger, ist stolz auf seine nahtlose Ganzkörperbehaarung. Nach seinem fünfzigsten Geburtstag musste er feststellen, dass an seinen auch für Fremde sichtbaren Stellen nicht nur die Haare grau wurden, sondern auch büschelweise von seinem gewaltigen Kopf fielen. Sie müssen sich einen Gorilla, einen ausgewachsenen Silberrücken, mit Glatze vorstellen, um sich ein Bild von dem Schrecken machen zu können, der seine Frau Wilma traf, als sie Aristoteles das erste Mal ohne seine Metzgermütze sah.

Dazu muss man wissen, dass sich Wilma zu Beginn ihrer verwurstelten Ehe fast ekstatisch in Aristoteles’ Haare gekrallt hat. Es war eine Leberwurstliebe, die jeder Gorilla-Ehe Konkurrenz gemacht hätte.

Wenn der Silberrücken in höchster Erregung seine Brunftschreie ausstieß, hat sich sogar die Pfarrköchin eingeschüchtert ins Bettflaschen-vorgewärmte Fastenbett verzogen. In der lauschigen Nachbarschaft hat man den Kindern Ohrstöpsel in die Ohren getan und die empfangsbereiten Frauen haben ihren schlecht behaarten Männern heimlich Haarwuchsmittel ins Bier geschüttet.

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