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Eine Nordpolfahrt

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Auf einem freien, aber von Schneehügeln geschützten Platze wurden nun vier Zelte aus gemustertem Segeltuche aufgeschlagen, und da ein Sack Kohlen das nötige Feuer lieferte, kochte und briet man, während die noch immer Abenteuerlustigen einstweilen und die Jagd gingen und auch wirklich zwei Eisfüchse erlegten, an und für sich schon deshalb überglücklich, konnten sie doch nun am Lagerfeuer noch mehr renommieren, wie sie die Eisbären immer nur nicht hatten schießen wollen. Dann wurde gegessen, hinterher noch mehr getrunken, und endlich verteilte man sich in den Zelten und vergrub sich unter warme Decken.

Denn es war ja Juli, die heißeste Jahreszeit, wo die Sonne auch noch in solcher hohen Breite ihre Macht ausübte. Brachte sie dabei auch Eis und Schnee kaum zum Schmelzen, so kam das doch nur von den unter den oberen Schichten gelagerten kompakten Massen, die jede Wärme sofort aufsogen.

Außerdem sorgte noch der reichlich genossene Grog und Punsch, daß die Schläfer nichts von der Kälte spürten.

Nur drei hatten sich noch nicht in Morpheus’ Arme geworfen: der Heldentenor und der Komiker spielten erst noch ein paar Partien Sechsundsechzig, und der Baß braute sich aus den letzten Resten den letzten Punsch.

Vor dem Einschlafen hatte Richard Zeit, über seine Erfahrungen nachzudenken.

Er dachte lebhaft an das Tagebuch des amerikanischen Polarforschers Doktor Kane über seine Nordpolexpedition 1852–1855.

Dieser berühmte Gelehrte und Kapitän, der schon manche Expedition geleitet hatte, zeigte bei der Wahl der Mannschaft für seine letzte, große Reise eine ganz besondere Eigentümlichkeit, die damals sehr befremdete. Er sah nämlich den Matrosen weniger auf kräftige, robuste Gestalten, auch nicht auf gute Zeugnisse, ferner brauchten sie noch gar kein Polarmeer gesehen zu haben; noch weniger nahm er Walfischjäger, sondern nur erfahrene und verwegene Männer, und mochten sie auch ein verkommenes und geldgieriges Gesindel sein, aus denen er dann nur die heiteren Naturen und Witzbolde auswählte, die nebenbei auch starke Esser sein mußten.

Mit diesen hat er dreimal hintereinander auf dem 83. Breitengrade bei einer Kälte von 60 Grad überwintert, eine Leistung, die bis heute noch keine andere Polarexpedition hat nachmachen oder aushalten können. Erfroren und sonst verunglückt sind wohl mehrere von seiner Mannschaft, aber kein einziger ist ihm am Skorbut gestorben, und diese Ausdauer, für welche es gar keine Worte giebt, schreibt er allein dem tollen Humor zu, den er an Bord seiner ‚Avanca‘ beständig herrschen ließ. So mußten während der halbjährigen Winternächte Komödien aufgeführt werden, die die Matrosen selbst verfaßten, und auch ein Witzblatt wurde herausgegeben, mit dem Titel ‚der Eisblick‘, für welches die Matrosen Beiträge liefern mußten. Diese geschriebenen Zeitungen liegen noch heute gebunden im New-Yorker Museum für Länderkunde.

Die Eskimos

Wieder waren nach dem Erwachen am anderen Tage acht Stunden vergangen, und mit der Lustigkeit war es jetzt doch vorbei.

Verdrießlich schlichen die Polarreisenden einher, der Achsenkopf des Nordpols war schon längst weggeworfen worden, der Scherz schon längst verstummt.

Nur der Heldentenor sprach; er schimpfte wie ein Rohrspatz beständig über den Bremer Lloyd, und ob das etwa ein Vergnügen wäre, für das man bezahlt hätte; sonst jammerten nur noch die Damen, sie klagten über die Füße, außerdem aber sagte niemand mehr einen Mucks, und der Komiker schleifte erst recht mit tief gesenktem Kopfe seinen Spazierknüppel hinter sich her.

Konnte man es ihnen verdenken? Sie hatten genug Strapazen überstanden, und übrigens war es auch nicht anders, als wenn eine Gesellschaft verwöhnter Stadtmenschen auf der Chaussee acht Stunden zu Fuß marschieren muß. Da läßt zuletzt ein jeder den Kopf hängen.

Aber schließlich waren es doch noch die alten; bald tauten sie wieder auf.

„Himmeldonnerwetter, kommt denn nicht bald ein Wirtshaus?“ schrie nämlich plötzlich der sentimentale Liebhaber, und der Komiker seufzte in solch kläglicher Wehmut, daß Richard laut auflachen mußte:

„Ich möchte, ich läge zu Hause in den Federn!“

Der Kapitän tröstete ihn nun damit, daß sie jede Stunde das offene Meer erreichen müßten, wo hoffentlich ihr Dampfer kreuzen würde.

„Hoffentlich?“ entgegnete der Mime. „Und wenn er nicht kreuzt? Ich habe die ganze Geschichte satt, ich gehe nach Hause, ich nordpolexpeditioniere nicht mehr.“

Sie erkletterten nun wieder einen Eisgletscher.

Da fiel plötzlich einer der Herren auf die Knie nieder und hob die Arme empor, und während die meisten seinem Beispiele folgten, warf sich der Komiker mit einem Krach auf den Rücken, strampelte mit den Beinen in der Luft und rief:

„Heiliger Bimbam, sei gepriesen! Das Meer – das offene Meer – und dort schwimmt der Kahn mit unseren Betten!“

So war es in der That. Es zeigte sich ein eisfreies Meer, auf dem der Dampfer langsam an der Küste entlang fuhr. Die Aufmerksamkeit der Passagiere wurde jedoch von ihm wieder abgelenkt, denn jetzt rief Richard, auf eine Reihe von Schneehaufen aufmerksam machend, die sich in der Nähe der Küste erhoben:

„Die müssen wir erst noch besuchen,“ hieß es nun allgemein. Verschwunden war mit einem Male alle Müdigkeit, der Humor kehrte mit voller Kraft wieder, und man ordnete sich, während es soeben zu schneien begann, der Komiker mit dem Taktstocke voran, abermals zum Zuge.

„Ein Lied,“ kommandierte der Komiker, „ein Marschlied, das die Beine in Bewegung bringt und zu der Situation paßt. Eins – zwei …“

Da erscholl es im Chor unter dem Schnee ausstreuenden Himmel der Eiswüste:

„Der Mai ist gekommen,

Die Bäume schlagen aus,

Da bleibe, wer Lust hat,

Mit Sorgen zu Haus.“

Wahrlich, die sich vor den Schneehütten ansammelnden Eskimos hatten wohl noch keinen so vollendeten Gesang zu hören bekommen, wenngleich sie auch deshalb Maul und Nase nicht aufsperrten.

„Halt! Stillgestanden! Richt’t Euch!“ kommandierte endlich wiederum der Komiker, indem er seinen Knüppel präsentierte und auf den nächsten Eskimo zutrat, der allerdings, was man an seiner Kleidung nicht zu erkennen vermochte, eine Frau war. Doch die Eskimos waren schon mit Menschen in Berührung gekommen und zeigten nichts weiter als Staunen, was in der That bei solchen seltsamen Gästen ganz gerechtfertigt war.

„Wie heißt diese Stadt?“ fragte der Komiker, nach den Schneehütten deutend.

Die Frau grinste.

„Giebt’s hier ein Hotel?“

Keine Antwort.

„Seid Ihr schon entdeckt? Auch nicht? Bist Du ein sogenannter Eskimo, mein Junge? Aha, das ist ja eine Frau! Wie heißt Du denn, meine schöne Eskima?

Er kitzelte sie bei diesen Worten unter dem Kinn und die ‚Eskima‘ grinste weiter.

„Speak you english? Parlez-vouz français? Hol’s der Geier, was redet Ihr denn hier für eine Sprache? Aha, parlare italiano? Wie ist’s denn mit einem bißchen Arabisch? Kennst Du das Land, wo die Citronen blühn? Ooch nich? Sanskrit? Kritschikratschipffftschlumhokuspokus?“

Vielleicht war bei diesen Fragen ein Wort dazwischen, das mit einem Eskimolaut Verwandtschaft hatte, kurz und gut, die Frau begann plötzlich zu reden. Da kauderwälschte der Komiker noch eine Antwort und wandte sich dann wieder um mit einer Handbewegung, als wenn er sagen wollte:

„Na, seht Ihr’s nun, daß ich eskimoisch kann?“

Nun war’s aber genug mit den Anstrengungen der Matrosen, sie begannen zu lachen, daß die Eiswüste wiederdröhnte, und alle anderen stimmten ein; die Eskimos aber schienen nur darauf gewartet zu haben, lachen zu dürfen, denn dieses Völkchen lacht ja überhaupt so gern und freut sich über jede Kleinigkeit; sie hüpften und tanzten herum, klatschten sich auf die Schenkel und wälzten sich vor Lachen im Schnee – warum, das wußten sie nicht, das war ja auch ganz gleichgültig – und auch Richard lachte so – daß er darüber erwachte und sich lachend im Bette seines Schlafzimmers befand.