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Eine Nordpolfahrt

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Richard entwarf schnell einen Rettungsplan, und zwar folgenden: Die Passagiere sollten sich über die Eisdecke an Land begeben und den Weg über die nur zwei Meilen breite Insel zu Fuß zurücklegen. Drüben auf der anderen Seite war dann das Meer frei, und kam der Dampfer glücklich durch diese enge Gasse, so war alles gut. Falls aber der Dampfer stecken blieb, sollte die Mannschaft schnell noch, so viel als möglich, Proviant und so weiter an Land bringen, und zertrümmerte er schon vorher, nun, dann waren die Passagiere dem Tode auch nicht verfallen. Es war ja jetzt Sommer, und die Inseln wurden von Eskimos bewohnt, diese würden schon für ihren Unterhalt sorgen und sie bei Zeiten in ihren Kajas nach dem Festlande bringen. Doch das war ja die Annahme des schlimmsten Falles.

Der Kapitän eines Passagierdampfers ist für die Sicherheit seiner Passagiere mehr verantwortlich als für das Schiff. Deshalb wollte Richard an dem Marsche über Land teilnehmen, auch sollten die Gesellschaft sechs mit Proviant beladene Matrosen begleiten.

Klappernd vor Kälte, weil sie den warmen Salon in ihrer alltäglichen Kleidung verlassen hatten, standen die Künstler da und blickten nach dem wüsten, von Schnee und Eis bedeckten Lande, das völlig vergletschert und zerrissen war, und auf dem Eisgeschiebe mächtige Berge bildeten.

Ach, die Aermsten! Zwei deutsche Meilen zu Fuß zu laufen, ist für einen des Gehens ungewohnten Menschen eine ganz ansehnliche Leistung, und sie konnten sich ungefähr denken, was es bedeuten würde, in dieser pfadlosen Eiswildnis zwei Meilen zurückzulegen. Mit dem gewöhnlichen Marschtempo war es nichts. Sie hatten ja auch schon Beschreibungen von Polarforschern gelesen, und einigen war daher bekannt, daß man in diesen Regionen bei einem Marsche auf die deutsche Meile vier bis fünf Stunden rechnet, und noch dazu unter welchen ungeheuerlichen Strapazen!

Mitleidig blickte Richard auf sie. Aber er konnte ihnen nicht anders helfen.

Der Heldentenor erfaßte die Sachlage zuerst. Er griff mit der zitternden Hand an die Gurgel und stieß einige unartikulierte Laute aus.

„Und deswegen jagen Sie uns erst aus der Kajüte,“ fragte er, „um uns hier lange Rede zu halten? Ich hole mir ja einen Katarrh, der mich zeit meines Lebens zum Brüllaffen macht. Na, denn man los, Männecken, lassen Sie mal unsere Stiebeln schmieren. Komm, Anton, wir spielen einstweilen unsere Partie zu Ende.“

Anton ging, und der Komiker schloß sich ihm an. Richard blickte ihnen nicht mehr mitleidig, sondern fassungslos nach. Jetzt aber machte sich auch bei den anderen der Eindruck seines Vorschlages in Worten Luft.

„Dort über das Land sollen wir laufen? – Zwei Meilen weit? – Ach, wie reizend! – Herr Kapitän, giebt’s dort auch Eisbären zu schießen? – Sind auch wirklich Eskimos darauf? – Können wir da nicht einmal übernachten? – Machen wir auch ein Picknick? – Mein bester, liebster Kapitän, ein Picknick!“

So scholl es wirr durcheinander. Der Kapitän war vollkommen geschlagen.

Die Vorbereitungen wurden schnell getroffen, und bald standen die sechs Matrosen mit dem auf Schlitten verpackten Proviant, die Gewehre über der Schulter, auf dem Eise zum Abmarsch bereit. Die Künstler aber hüllten sich in ihre Pelzkostüme, und auch die unverbesserlichen Spielratten wurden dazu getrieben.

„Wir stehen drei zu fünf,“ sagte der Heldentenor, als er das Spiel beendet hatte und aufstand.

„Meine Herrschaften, wollen Sie nicht etwas Mundproviant mitnehmen?“ fragte der Kapitän. „Es geht auf Schlitten zwar davon genügend mit, aber es ist doch besser, wenn ein jeder etwas bei der Hand hat!“

„Jawohl, Fourage wird mitgenommen!“ hieß es jetzt allgemein. Diese Idee fand großen Beifall. Wenn Richard dabei aber an Rucksäcke gedacht hatte, in denen man die Lebensmittel auf dem Rücken mit sich schleppte, so irrte er sich. Die Künstler nämlich ließen sich nur zwei dünne Brotscheiben schneiden, schmierten Butter darauf, belegten sie mit Schinken und anderem Aufschnitt. Das war ihr Proviant für einen Marsch durch die Polarregion.

„Wir sind fertig!“ ertönte es endlich in der Runde.

Jetzt fühlte sich Richard doch veranlaßt, den Passagieren den Ernst der Situation, den sie gar nicht begreifen wollten, klar zu machen. Doch es war alles vergeblich. Diese Menschen schienen für etwas Ernstes gar nicht empfänglich zu sein.

„Haben Sie denn gar nichts mitzunehmen? Bedenken Sie doch, das Schiff kann untergehen mit allem, was darauf ist, also auch mit Ihren Sachen!“ mahnte er schließlich.

„Was, so steht die Sache?!“ hieß es da allgemein, und nun erst wurden Rufe des Schreckens laut, es entstand ein wirres Durcheinander, und ein jeder stürzte noch einmal in seine Kabine, um jedoch bald wiederzukehren. Zuerst erschien die Primadonna mit einem Ansichtspostkartenalbum, dann die Ballerina mit einem Bündel Liebesbriefe, hierauf der sentimentale Liebhaber, der aus irgend einem geheimnisvollen Grunde seinen Sommerüberzieher über den Arm gehängt hatte; endlich der Baß, der in jeder Hand eine Flasche Cognak trug, und der Heldentenor, der die Spielkarten eingesteckt hatte, während der Komiker mit seinem Spazierknüppel sichtbar wurde, den er zärtlich in beide Arme nahm – und so hatte jeder nach dem gegriffen, was ihm das Wertvollste auf Erden dünkte. Zu verlieren hatten ja diese Menschen alle nichts, und die Damen trugen das wenige Geschmeide, das sie auf die Reise mitgenommen, bereits bei sich.

Mit mehr wollten die Herrschaften sich nicht belasten. Ihre Bequemlichkeit ging überhaupt über alle Begriffe. Sie waren alle leidenschaftliche Jäger – besonders deshalb, weil die meisten noch keiner Jagd beigewohnt hatten – aber sie waren sogar zu faul, um die Schießprügel zu tragen. Auch diese mußten wie die Schneeschuhe auf den Schlitten verladen werden. Anderen Menschen hätte es vielleicht Vergnügen bereitet, in stolzem Selbstbewußtsein die Büchse unter den Arm zu nehmen und sich selbst als Polarjäger zu bewundern. Diese Schauspieler aber, die jeden Abend in allen nur möglichen Rollen auf der Bühne auftraten und bewundert wurden, waren über so etwas erhaben.

„Wir sind bereit, in den Tod zu gehen!“ erscholl es da plötzlich im Chor.

Wo aber war der Millionär? Man brauchte nicht lange auf ihn zu warten, denn da kam er soeben angekeucht, indem er den centnerschweren Koffer mit echtem Polareis hinter sich herzog.

Ah, das war ein genialer Gedanke, der sofort auf volles Verständnis bei den Herren Künstlern stieß! Ein Gewehr hätten sie nicht geschleppt, aber dieser Koffer mit Polareis, ja, das war etwas ganz anderes, da war doch ein Witz dabei. Der durfte nicht einmal auf den Schlitten gelegt werden, der war für sie gleichsam zur heiligen Bundeslade geworden. So wurden denn sofort zwei Zeltstangen durch die Traghenkel gesteckt, und vier Schauspieler nahmen die Enden derselben über die Schulter.

Die Reise über das Eis nach dem etwa hundert Meter entfernten Lande wurde jetzt angetreten; kein ernster Abschied von dem Schiffe erfolgte. Wie die Kinder fingen die Passagiere an über das Eis zu schlittern, indem ein ernster Wettstreit sich darüber entspann, wer es am weitesten könnte, dann balgten sie sich im Schnee, oder warfen einander mit Schneebällen endlich entwickelte sich eine förmliche Schlacht zwischen zwei Parteien, und so wurde die Gesellschaft noch von den Matrosen gesehen, als der Dampfer schon in den Engpaß einsteuerte und darin verschwand, um vielleicht seinem Untergange entgegenzugehen.