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Eine Nordpolfahrt

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Die Passagiere aber waren alle auf das Eis gegangen und nahmen – denn das war ja ihr Fach – Positur, indem sie sich mit Dolchen, Flinten, Pistolen und Aexten mörderlich bewaffneten. Auch der Heldentenor und der Komiker waren bewogen worden, ihr Sechsundsechzig einmal aufzugeben und sich an der Gruppe zu beteiligen. Ehe jedoch der Komiker ging, flüsterte er noch einmal heimlich mit dem sentimentalen Liebhaber, der den größten Photographenapparat besaß und die Gruppe aufnehmen wollte.

Auch er hatte sich natürlich in seiner Kabine mit einem Pelzanzuge bekleidet, und stellte sich als ernster Mann, der nichts auf solches Larifari giebt, bescheiden im Hintergrunde als der allerletzte auf.

„Bitte, recht freundlich – recht verwegene Gesichter – leben Sie in Ihre Augen mehr klappernde Todeskälte hinein – die Eisbären stillgestanden!“ kommandierte jetzt der sentimentale Liebhaber am Photographemapparat. „Halt, noch einem Augenblick – aber ja nicht verändern, so ist die Stellung ausgezeichnet!“

Er machte sich dann noch am Apparat zu schaffen, während die Eisbärenjäger unbeweglich standen und nicht wußten, warum sich die Mannschaft an Deck halb totlachen wollte.

Sie ahnten allerdings nicht, was hinter ihrem Rücken vorging. Der Komiker hatte nämlich schnell das Pelzkostüm wieder abgeworfen, und als er sich nur in Hose und Hemd befand, öffnete er auch noch letzteres auf der Brust, krempelte die Aermel hoch, setzte einen Strohhut auf und zog einen Fächer aus der Tasche, dabei sich fächerwedelnd rittlings auf einen Eisbären setzend. So wurde die Gruppe aufgenommen, und ehe sich die vorn wieder rühren durften, steckte der Komiker bereits abermals in der Pelzkleidung und stand harmlos hinter den anderen, die keine Ahnung davon hatten. Dieser Spaß sollte erst später beim Entwickeln des Bildes zum Vorschein kommen. –

Jetzt, da er nicht mehr vom Sechsundsechzig ganz in Anspruch genommen wurde, war in dem Komiker überhaupt der Schelm erwacht.

Er suchte ein Opfer, und er fand es.

Tiefsinnig stand er da, ein aufgehobenes Stück Eis betrachtend; plötzlich wendete er es hin und her, schüttelte mit dem Kopf und leckte daran. Daß er dabei von der Ballerina beobachtet wurde, wußte er natürlich.

„Was haben Sie denn da?“ fragte diese, neugierig nähertretend.

„Dieses Stück Eis,“ erklärte der Komiker feierlich, „ist ein seltener Fund – es ist wie meine Liebe.“

„Was wollen Sie denn damit sagen?“

„Es ist ein Stückchen Polareis, es ist unveränderlich. Es schmilzt nie.“

„Ach, gehen Sie weg!“

„Ich erkenne es an diesen Rillen. Herr Steuermann, was ist das?“

Der Gerufene, der zweite Steuermann, der natürlich eingeweiht war, kam heran.

„Ei der Tausend, das ist ja ein Stück Polareis!“ rief er. „Das ist hier ein seltener Fund. Würden Sie mir das Eis verkaufen?“

Leider vermochte der Steuermann nicht so unerschütterlich ernst zu bleiben wie der Schauspieler, doch konnte man sein Lächeln auch als freudestrahlendes Staunen auslegen.

Ungestüm riß ihm der Komiker das Eisstückchen aus der Hand.

„Nur eine Person hat Anrecht auf diesen Fund!“ schrie er, dann kniete er mit theatralischer Gebärde vor der Tänzerin nieder und bot ihr die Kostbarkeit da. „So treu und echt wie meine Liebe.“

„Ach gehen Sie! Ich werde Sie doch nicht berauben,“ wehrte die Ballerina verschämt ab.

Doch der Komiker fuhrt fort:

„Zum ewigen Andenken an diese Stunde. Nehmen Sie das Eis und tragen Sie’s auf dem Herzen.“

Dankbar lächelnd nahm die Tänzerin nunmehr das Geschenk, wickelte es vorsichtig in Papier und steckt es in die Tasche.

Die Geschichte mit dem Polareis machte schnell die Runde, aber es wurde ganz verschieden erzählt; obwohl nämlich die Schauspieler sich alle untereinander kannten, gab es doch einige sogenannte Dumme darunter, die die Geschichte ganz anders erfuhren, und zum Unglück für diese machte der Kapitän der Gesellschaft auch jetzt noch ein Experiment vor.

Er zeigte zwei hohlgeschliffene Gläser, deren Ränder genau aufeinander paßten, also ungefähr wie Uhrgläser aussahen, jedoch viel größer waren, füllte den Hohlraum in einem Eimer mit Wasser und entfernte darauf, nachdem dieses schnell gefroren war, die Gläser, um nun bei der hochstehenden Sonne das konvexe Eisstück als Brennglas zu benutzen und sich im Brennpunkt seine Cigarre anzuzünden und so weiter.

Dieses Experiment ist für einen Knaben, der Unterricht in der Physik genossen hat, kein Wunder, und man kann es natürlich auch bei uns machen. Aber hier gab es mehrere Personen, die außer sich vor Staunen waren.

„Das ist auch echtes Polareis,“ mußte der zweite Steuermann auf Anstiften der Komikers erklären, und dem Kapitän wurde krampfhaft zugeblinzelt. „Dieses Eis, auf dem wir stehen, ist ordinäres, das schmilzt wieder, weil es jenseits des achtzigsten Breitengrades gefroren ist. Was aber hier friert, das ist echt.“

„Dunnerlitzchen,“ meinte der Millionär pfiffig, „da könnte man doch ein Geschäft machen! Wenn wir nun ein paar Fässer mit Wasser gefrieren ließen und die mitnähmen?“

„Zu spät,“ bedauerte der Steuermann achselzuckend, dem es doch etwas bange wurde, „wir treiben beständig, soeben haben wir den achtzigsten Breitengrad passiert.“

Da brummte der Komiker ärgerlich vor sich hin, aber er wußte Rat, denn, „Polareis, echtes Polareis, ein ganzer Haufen!“ jubelten zehn Minuten später einige Matrosen auf einem mit Eisstücken bedeckten Platze.

Doch nur zweie waren es, die noch darauf hereinfielen. Die Ballerina suchte sich die schönsten Stücke aus und legte sie in einen Samtkasten, indem sie schon jetzt von Ringen und Armbändern mit eingesetztem, echten Polareis schwärmte, und Ludwig brachte gar seinen wasserdichten Koffer angeschleppt, den er ausgeräumt hatte, und nicht nur die Matrosen, sondern auch alle Künstler und selbst seine Braut waren liebevollst bereit, ihn mit Eisstücken vollzupfropfen.

„Polareis ist auch gut für Rheumatismus,“ meinte plötzlich ein Matrose.

„Wirklich?“

„Ja, und auch für Zahnschmerzen. Wenn echtes Polareis in die Koje gethan wird und man alles damit vollpackt, braucht man sich nur darauf zu legen, sich ordentlich zuzudecken, ein tüchtiges Feuer anzumachen – und Rheumatismus und Zahnschmerzen sind weg.“

„Ach nee! Das muß ich probieren!“

Witz besaßen die Matrosen ja auch; aber sie mußten jetzt doch die fürchterlichsten Anstrengungen machen, um nicht herauszuplatzen, und konnten gar nicht begreifen, wie die Schauspieler so unerschütterlich ernst zu bleiben vermochten.

Im Triumph wurde endlich der schwere Koffer nach dem Schiffe getragen, und wenn Herr Ludwig das Rezept gegen Rheumatismus schon heute abend probierte, konnte man ja morgen etwas erleben.

So ging es den ganzen Tag weiter, ein Witz folgte dem anderen, und als die Freiwächter endlich die Koje aufsuchten, thaten ihnen die Köpfe vor Lachen weh, und auch Richards Kopf war davon nicht ausgenommen.

In Gefahr

Als der neue Tag anbrach, wenigstens der Uhrzeit nach gerechnet, war die Lage eine noch kritischere geworden.

Hinter dem Dampfer, nach Süden, wohin er mußte, war das Wasser nämlich total durch eine Eisbarriere gesperrt, und wenn auch vor ihnen das Treibeis gebrochen war und der Dampfer sich wohl durchwinden konnte, so ging es dort doch nach Norden, und außerdem drohten daselbst auch Eisberge mit ihrer Umarmung. Trotzdem mußte dieser Weg gesteuert werden, und so setzte sich denn der Dampfer nochmals nach Norden in Bewegung, indem er sich vorsichtig zwischen Eisbergen, die eine bittere Kälte ausstrahlten, hindurchwand oder Eisbrücken auswich oder sich festrannte und wieder freimachte, schließlich in offene Wasserstraßen hineinfuhr und wieder umkehren mußte. So ging das fort, ohne daß ein Ausweg gefunden wurde. Immer sorgenvoller wurde des Kapitäns Gesicht.

Endlich kam im fernen Osten Land in Sicht. Es waren langgestreckte, sehr große Inseln, die auf der Seekarte noch nicht einmal Namen und nur Nummern führten. Die Bücher schilderten sie als von Füchsen und Eisbären, im Sommer auch von Eskimos bewohnt; die Meeresströmungen an der Küste waren günstiger.

Da kam ein schwedischer Walfischjäger, der hier überwintern wollte, und teilte mit, daß dort ein Ausgang frei sei, den er soeben passiert habe; man gelange auf diesem Wege nach Süden in ein offenes Meer. Aber der Dampfer solle sich beeilen, das Packeis treibe von zwei Seiten, und in wenigen Stunden könne der Gang gesperrt sein.

Dorthin wurde nun gesteuert, und in der That gewahrte man, als man in die Nähe des Landes kam, den freigewordenen Gang. Was man aber dann erblickte, veranlaßte eine sofortige, ernste Unterredung zwischen den Offizieren, worauf der Kapitän in die Kajüte ging und die Passagiere mit ernsten Worten bat, sich an Deck zu begeben, da es sich um Leben und Tod handle.

„Was, wir gehen doch nicht unter?“ erklang es jetzt erschrocken von allen Seiten, und alle Gesichter, bis auf wenige, verfärbten sich.

„Aber der Stich gehört wenigstens noch mir!“ schrie trotzdem der Heldentenor.

Der Kapitän beruhigte sie und versicherte, so schlimm sei es noch nicht, er müsse jetzt nur einen Vorschlag machen, dazu sollten sich die Herrschaften an Deck begeben.

Alle folgten seiner Aufforderung, und der Anblick, der sich ihnen nun bot, war geradezu ein fürchterlicher, wenigstens für einem Seemann. Für die Augen der Künstler allerdings war er nur ein imposanter, und Rufe des Staunens wurden überall laut.

Zwei treibende Eisbänke, die durch Wind und Flut in zwei entgegengesetzte Richtungen getrieben worden waren, hatten sich einander genähert und alle Eisberge, die sie unterwegs getroffen hatten, eingeklemmt und vor sich hergeschoben, sodaß letztere nur einen Engpaß von großartiger und furchtbarer Erhabenheit bildeten, der aus Domen, Kirchen, Palästen und den wunderbarsten Formationen bestand, die oft nur so weit voneinander entfernt waren, daß der Dampfer kaum noch durchzukommen schien.

 

„Wie herrlich! Wie großartig! Wie reizend! Nee, is das aber hübsch!“ so klang es durcheinander.

„Hier müssen wir aber durch!“

„Na los denn, rutschen Sie durch! Und da haben Sie uns erst solche Angst gemacht?“

Richard erklärte ihnen nun, um was es sich handle. Durch mußte das Schiff allerdings – vorausgesetzt nämlich, daß es nicht stecken blieb und gleich von vornherein zerdrückt oder zermalmt wurde, denn die kleinste Erschütterung konnte ja einen solchen Eiskoloß zum Sturze bringen und damit den Dampfer vernichten.