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Die Ansiedlung auf dem Meeresgrunde

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Der fremde Taucher ging direkt auf Richard zu, brachte seinen Helm dicht an das Augenfenster desselben – und Richard sah in ein menschliches Gesicht, aber in ein solches mit so kreideweißen, starren Zügen, daß er sich davor entsetzte.

Jetzt nahm derselbe seinen Schalltrichter und setzte ihn an Richards Telephonvibrane.

„Wir müssen uns beeilen, um acht Uhr geht unser Zug nach Hause,“ erklang es mit Grabesstimme an Richards Ohr.

Die Gestalt wandte sich darauf und ging oder schwebte vielmehr davon. Richard stand vor Schreck an allen Gliedern zitternd da. Wäre ihm der allerungeheuerlichste Polyp oder sonst ein Ungetümbegegnet, er wäre nicht so maßlos bestürzt gewesen, als durch den Anblick dieses Menschen mit den Zügen einer Leiche, der ganz genau so ausgerüstet war wie er.

Oder war er es gar selbst? War der unheimliche Taucher etwa sein Doppelgänger, sein zweites Ich, das ihm der Himmel, ihn als Leiche zeigend, zur Warnung schickte?

Und dann diese Worte! Jetzt war es eine halbe Stunde vor acht Uhr. Um acht ging er nach Hause – in den Tod!

Nein, der Mann hatte ja von einem Zuge gesprochen, und hier gab es ja auch wirklich Eisenbahnzüge!

Richard überwand daher jedes Grausen und eilte dem noch sichtbaren Manne nach. Mochte er ihn führen, wohin er wollte!

Doch wieder blieb er starr vor Staunen stehen, obgleich das, was er jetzt sah, zu seiner Beruhigung dienen konnte.

Wie er um eine Ecke bog, befand er sich nämlich auf einem Bauplatze, auf dem gearbeitet wurde. Viele Taucher, und zwar alle in ganz demselben Kostüm, wie es Richard trug, rissen ein Haus ab und waren mit Spaten, Hacken und Brechstangen eifrig thätig, um die frei bekommenen Sand- und Marmorsteine, mächtige Quaderblöcke, mit leichter Mühe vor sich her zu wälzen und in einem Gebäude unterzubringen, das von der übrigen Umgebung seltsam abstach.

Es war ein langgestrecktes niedriges Haus im Gegensatze zu den anderen aus Eisen oder Stahl bestehend, aus dicken Platten zusammengenietet und nur mit einer Thür versehen, in welche auch die Schienenstränge hineinliefen. Drinnen sah Richard einige der großen Kugeln stehen, die jetzt allerdings kein Licht verbreiteten, sowie mehrere, ihm ganz fremdartig erscheinende Maschinen.

Jetzt war ihm alles klar, wenn es auch noch merkwürdig genug war. Es existierten Menschen, die, in Taucheranzügen lebend, anscheinend ähnliche oder vielleicht fast ganz genau dieselben Erfindungen gemacht hatten wie er. Und welch ein seltsamer Zufall! Auch sie hatten ihre Erfindungen ebenso geheim gehalten wie Richard! Aber sie waren doch schon viel weiter fortgeschritten als er; sie arbeiteten bereits auf dem Meeresboden und hatten, nachdem sie die versunkene Stadt entdeckt, eine Eisenbahn konstruiert und, den Verhältnissen unter dem Meere angepaßt, erbaut und schafften nun mittelst dieser die Steinquadern fort.

Und doch war das Rätsel noch nicht ganz gelöst. Gewiß, solche große Quadersteine sind als Baumaterial sehr geschätzt, und man scheut auch auf der Erdoberfläche keinen weiten Weg, um sie herbeizuschaffen – aber sind sie denn wirklich von solchem Werte, um deshalb Taucher auf den Meeresgrund zu schicken und Eisenbahnen zu ihrem Transporte zu konstruieren? Konnte man sie denn nicht mit Schiffen, welche man sich über diese Stelle legen ließ, an das Tageslicht befördern? Auf dem Meeresboden gab es doch auch noch ganz andere Sachen zu finden und zu heben, als Sandsteine von alten Häusern!

Oder – – nein, den Gedanken, der Richard jetzt durch den Kopf gezuckt war, ließ er schnell wieder fahren! Derselbe war so kühn gewesen, daß er darüber förmlich erschrak.

In diesem Momente näherte sich ihm ein Taucher, ein sehr großer Mann. Wieder sah dieser erst durch das Fenster des Glockenhelmes in Richards Gesicht, wieder meinte Richard die starren, farblosen Züge eines Toten zu erblicken, dann setzte auch dieser Taucher seinen Schallbecher an Richards Helm.

„Mach’ zu, Sechsundzwanzig,“ erklang es drohend, „wir müssen die Steine noch hereinbekommen und verladen, um acht Uhr sollen wir abfahren, der Meister hat eine Depesche geschickt; heute abend soll über den Verräter zu Gericht gesessen werden.“

Diese Leichenzüge, diese starren Augen, diese Worte, mit furchtbar drohender Stimme gesprochen – sie ließen Richard wieder vor Furcht erschauern; zugleich aber wußte er auch, was er zu thun habe, um seinem Verhängnis zu entgehen.

Man hielt ihn für einen der Meeresbewohner, man nannte ihn Nummer Sechsundzwanzig, so mußte Richard also jetzt diese Rolle spielen und alles Weitere Gott überlassen! Nur jetzt durfte er sich nicht verraten, er mußte sich erst sammeln, vielleicht fiel ihm noch ein Ausweg ein.

So eilte er auf den Bauplatz, ergriff eine daliegende Hacke, hieb wie die anderen auf den Boden ein, untergrub den Untergrund, um ganze Mauern zum Sturze zu bringen, zog mit an den Drahtseilen, wenn die anderen daran zogen, und wälzte die abgebrochenen Steine in den Eisenschuppen.

Niemand von den Tauchern merkte, daß sich ein Fremder unter ihnen befand, und dennoch lag die Gefahr, als solcher erkannt zu werden, für diesen sehr nahe. Denn Richard beobachtete, wie sich die Taucher manchmal durch eine Fingersprache unterhielten, und wenn er jetzt mit diesen Zeichen etwas gefragt wurde und er vermochte nicht zu antworten, so war er verraten; ebenso freilich auch, wenn sich die richtige Nummer Sechsundzwanzig einstellte, der er ähnlich sehen mochte, wenn er als Ueberzähliger erkannt wurde!

Entdeckt

Während der Arbeit hatte Richard einen festen Entschluß gefaßt: er wollte an keine Flucht denken, sondern, wenn möglich, die ihm aufgedrängte Rolle weiterspielen und sich sonst den Tauchern auf eine andere Weise anzuschließen versuchen. Seine Wißbegierde ging über die Vorsicht, denn dessen war er sich bewußt, daß er unter Menschen gekommen war, die ein Geheimnis wahrten; wollte man doch heute abend über einen Verräter zu Gericht sitzen.

Als er wieder einen Stein nach dem Stahlhause, dem Bahnhofe, gewälzt hatte, wo die Quadern in den hohlen Kugeln verladen wurden, trat ihm ein Taucher entgegen, scheinbar ein Vorarbeiter, und machte vor ihm Fingerbewegungen, indem er immer ungeduldiger wurde, je länger er keine Antwort erhielt.

O weh, da kam schon die Entdeckung! Was würde nun aus Richard werden? Doch da stand schon ein anderer Taucher neben ihm, machte ein Fingerzeichen, und der Vorarbeiter nickte befriedigt im Glockenhelme mit dem Kopfe. Die Gefahr schien vorüber zu sein, wenngleich auch noch die Erklärung, weshalb dieses der Fall wurde, fehlte.

Jetzt setzte der zweite Taucher, der Richard diese Gefälligkeit erwiesen hatte, sein Sprachrohr an dessen Helm.

„Er hatte Dich nicht erkannt und wußte daher nicht, daß Du noch nicht ganz die Fingersprache beherrschst,“ erscholl es hohl. „Du sollst aufhören zu arbeiten und hineingehen, Du fährst mit dem ersten Wagen ab.“

Wie? Er sollte noch nicht ganz die Fingersprache beherrschen? Ah, so hielt man ihn anscheinend für einen Neuling! Das kam ihm sehr zu nutze, das konnte ihn retten.

Richard trat in das Innere des Hauses. Man gab ihm hier Winke, und er mußte sich durch eine Thür in den Hohlraum einer Kugel begeben und auf einem der sechs Sitze Platz nehmen, die nach Art der russischen Schaukeln angebracht waren, also im Kreise auf Flügeln lagerten.

Auch die anderen Plätze wurden besetzt, dann die Thür geschlossen, nun schaukelten die Balancierstühle etwas auf und ab, jedoch nur dadurch, daß an den kleinen Fensterchen Gegendstände vorbeihuschten, und Richard gewahrte, daß sich die Kugel bewegte. Die in Achsen gelagerten Flügel mit den Sitzen machten die Rotation nicht mit.

Still und stumm saßen die sechs anderen Taucher in dem hell erleuchteten Coupé, an sich schon ein sehr merkwürdiger Anblick, und Richard wollte es kaum glauben, daß man sich in einer mit Wasser gefüllten Kugel befand.

Einer der Taucher griff zum Sprachrohr.

„Hast Du nun gesehen, Nummer Sechsundzwanzig, wie wir den Meeresboden beim Arbeiten beleuchten?“ fragte er.

Richard setzte seinen Schalltrichter an des anderen Helm und schrie ein „Nein“ hinein. Der Taucher lächelte darauf; aber es war ein gräßliches Lächeln in den totenähnlichen Zügen, die sich wie im Krampfe verzerrten.

„Wir elektrisieren das Wasser auf eine vom Meister erfundene Methode, sodaß es selbst leuchtend wird.“

Diese Erklärung war gewiß freundlich, doch Richard wurde trotz alledem die unheimliche Empfindung nicht los, daß er sich zwischen auferstandenen Toten befände, denen er nun mit Leib und Seele verfallen sei.

Was es mit dem Meister für eine Bewandtnis habe, das zu fragen, durfte er auch als vermeintlicher Neuling nicht wagen; überhaupt jede Frage war für ihn mit einem Risiko verbunden, oder er mußte sie recht geschickt stellen.

„Heute abend wird ein Verräter verurteilt?“ begann er wieder durchs Telephon.

Der andere Taucher zuckte bedauernd die Achseln.

„Nummer Neun wird schwerlich der lebenslänglichen Gefängnisstrafe entgehen,“ erwiderte er, „er hat es auch gewußt, als er seine Flucht antrat; er ist einer der Aeltesten, hat die Kolonie sogar mit begründen helfen. Alter schützt eben vor Thorheit nicht. Auf Flucht, die wir Verrat nennen, steht unerbittlich lebenslänglicher Arrest unter Aufsicht. Denn wir zwingen ja niemand zum Beitritt, freiwillig muß jeder sein Ehrenwort abgeben, bei uns für immer zu bleiben, nichts ist bei uns auf dem Meeresgrunde so heilig als der freie Wille. Hat er aber einmal diesem freien Willen entsagt, so gehört er uns mit Leib und Seele. Ueberdies ist die lebenslängliche Gefängnisstrafe nicht so schlimm, wie es wohl klingen mag, der Verurteilte wird nur in der Seeburg beschäftigt, darf sie nur in Begleitung verlassen und steht außerhalb derselben immer unter Aufsicht. Sonst bekommt er seine Strafe gar nicht zu fühlen. Doch aussteigen, wir sind da! Halt, erst wird die Kugel entleert.“

 

Richard hatte doch schon sehr viel erfahren. Die Freiheit des Willens wurde also heilig gehalten. Das war sehr wichtig. Jetzt dachte er gar nicht mehr an eine Flucht, wenn sie überhaupt noch möglich gewesen wäre.

Das Wasser floß aus der Kugel, einer nach dem anderen kroch durch das Thürchen, und Richard sah sich in einer großen, wasserfreien Halle stehen, die wahrscheinlich den Hauptbahnhof bildete.

Die Taucher schraubten jetzt die Helme los und entledigten sich ihrer Kostüme – und wieder war Richard starr vor Staunen, das aber gerade von der entgegengesetzten Empfindung als der früheren herrührte.

Als nämlich die Glockenhelme fielen, zeigten sich zwar sehr bleiche und auch ernste, dennoch aber milde, freundliche Gesichter von meist älteren Männern, die gar keine Aehnlichkeit mehr mit den früher gesehenen hatten, die so starr und verzerrt gewesen waren.

An letzterem war einfach das Helmfenster schuld gewesen. Von innen heraus sah man nämlich alles, wie es in Wirklichkeit war. Dahinter aber nahm das Gesicht den seltsamen, leichenhaften Ausdruck an, was Richard zufällig noch nicht gewußt hatte. Ebenso machte auch das Telephon unter Wasser die Stimme rauh und drohend.