Jürgen Klopp

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Der Letzte hat einen Plan





Die Spieler des Tabellenletzten hatten zwar immer noch wenig Punkte, aber jetzt schon mal einen Plan, die meisten zum ersten Mal in ihrer Karriere. »Jeder wusste, was auf seiner Position zu tun war. Wenn du einen Fehler gemacht hattest, konntest du sicher sein, dass ein Mitspieler auf seiner vorgegebenen Position zur Absicherung stand, und dass eigentlich nichts passieren konnte. Das war das Allerwichtigste«, so Hock. Um diese Sicherheit zu erreichen, mussten sie allerdings deutlich mehr laufen als zuvor. Die intelligenten Mainzer Profis sahen die Situation nicht als Belastung. Es gab doch die einmalige Chance, als Schlusslicht einfach nur noch zu gewinnen, erklärt Hock. Diese Chance nutzten sie auf eindrucksvolle Weise. Nach der Winterpause kamen sie rasch aus der Abstiegszone weg. In der Rückrundentabelle wurde Mainz Erster, in der Gesamtrechnung landeten sie auf Platz elf.



In knapp einem halben Jahr hatte Wolfgang Frank den Klub verändert. Er redete nun offen vom Aufstieg in die Erste Liga und forderte von Präsident Harald Strutz, das Bruchwegstadion auszubauen, obwohl die Kapazität von 13.000 Zuschauern bis dahin so gut wie nie ausgeschöpft worden war. Sein Ehrgeiz machte auch vor der Persönlichkeitsentwicklung seiner Spieler nicht Halt. In den Teamsitzungen nahm das Mentaltraining immer breiteren Raum ein. Einige, die daraus ihren Nutzen ziehen konnten, hörten ihrem Trainer weiterhin aufmerksam zu. Andere, die darin für sich keinen Wert sahen, fühlten sich gegängelt. »Im Nachhinein muss man sagen: Dieses Gezwungene hat nicht funktioniert. Du kannst niemanden zum Mentaltraining bringen, wenn er nicht will. Damit bewirkst du eher das Gegenteil«, sagt Christian Hock.



Die ausufernden Mentalsitzungen änderten nichts daran, dass die Mainzer Profis immer noch von der Wirksamkeit des intensiven Trainings überzeugt waren. Doch Wolfgang Frank machte es ihnen immer schwerer, nach der Belastung auch mal abzuschalten. Zu Jahresbeginn 1997 waren zehn Tage Trainingslager auf Zypern angesetzt, die der Trainer voller Begeisterung über die guten Trainingsbedingungen und angesichts vereister Plätze in Mainz auf dreieinhalb Wochen ausdehnte. »Er war verbissen und hat nicht die Balance gefunden, um uns zu sagen, dass wir zwischendurch mal ruhiger machen konnten. Man war praktisch drei Wochen unter Hochspannung. Das hat an uns gezehrt«, so Hock.



Zweimal verloren die mental ausgebrannten Mainzer nach ihrer Rückkehr aus Zypern, als Wolfgang Frank aus heiterem Himmel seinen Rücktritt erklärte. Seine Spieler, allen voran Jürgen Klopp, versuchten, ihn umzustimmen. Der Trainer aber blieb seiner konsequenten Linie auch beim Abschied treu. Er war durch niemanden mehr zum Bleiben zu überreden.



2013, im Alter von erst 62 Jahren, starb Wolfgang Frank in Mainz an den Folgen eines Gehirntumors. Nicht nur Klopp verlor damit einen seiner größten Förderer und inspirierenden Impulsgeber für seine eigene Trainerkarriere.







Die Generation Frank





So viel Fußball wie unter Wolfgang Frank war selten. Viele Spieler, die in Mainz bei den langen Teamsitzungen des Verfechters der Viererkette dabei waren, sind nach ihrer Profikarriere Trainer geworden. »Das ist ganz sicher kein Zufall«, sagt Christian Hock. »Wir haben uns so intensiv mit Taktik beschäftigt, dass der Schritt dahin, eine Mannschaft zu trainieren, nicht mehr weit war.« Neben ihm und Jürgen Klopp gehören Torsten Lieberknecht (Cheftrainer von zunächst Eintracht Braunschweig, später MSV Duisburg), Jürgen Kramny (in Verantwortung unter anderem beim VfB Stuttgart und Arminia Bielefeld), Sven Demandt (Nachwuchstrainer bei Borussia Mönchengladbach, danach Chefcoach von Wehen Wiesbaden, Rot-Weiss Essen und SpVg Frechen), Peter Neustädter (trainierte die U23-Mannschaft von Mainz 05 in der Regionalliga, danach bei TuS Koblenz und der U17 von Wehen Wiesbaden) sowie Uwe Stöver (erst Nachwuchs- und Amateurtrainer beim FSV Mainz 05, dann beim 1. FC Kaiserslautern, später Sportdirektor bei verschiedenen Klubs) zur Generation der Mainzer Wolfgang-Frank-Schüler.



Dass Franks Nachfolger Reinhard Saftig und Dietmar Constantini die Viererkette nach einer Schamfrist Viererkette sein ließen, kam bei den Profis gar nicht gut an. Der Kern der Mannschaft war sich sicher, dass es mit dem System von Wolfgang Frank besser gelaufen wäre. Auch Jürgen Klopp und Christian Hock. »Wir hatten und haben da ähnliche Vorstellungen«, sagt Letzterer.



Davon war allerdings wenig zu sehen, wenn der rechte Verteidiger und linke Offensivspieler im Trainingsspiel aufeinander trafen. Die Zweikämpfe zwischen Christian Hock, 1,74 Meter, gegen den 17 Zentimeter größeren Jürgen Klopp, boten den wenigen Trainingskiebitzen in Mainz beste Unterhaltung. Der eine klein und wendig mit einem starken linken Fuß, der andere eher wegen seiner Kopfballstärke und Laufbereitschaft zum Profi geworden, als wegen seiner Technik. »Wir haben uns häufiger quer über den Platz angepöbelt«, erinnert sich Hock. »Der Kloppo konnte sehr impulsiv sein.«



Im Sommer 2005 erklärte sich Jürgen Klopp dazu bereit, von den Redakteuren des Fußballmagazins

RUND

 an einen Lügendetektor angeschlossen zu werden, um persönliche Fragen zu beantworten.

6

 Auf Nachfrage räumte er dabei auch seinen heftigsten Ausraster ein. »Ich habe, kurz bevor ich Trainer wurde, Sandro Schwarz, einem sehr guten Freund von mir, eine Kopfnuss verpasst. Der hat mich im Training zweimal umgehauen. Ich stehe auf, sehe nur sein Gesicht vor mir, und dann liegt er auf dem Boden. Ich wollte sterben, nur noch sterben, so furchtbar unangenehm war mir das.«








»Lange Bälle und dann einen Kopfball, dass es kracht«





Wolfgang Frank sah als Hauptgrund für die schon damals emotionalen Ausbrüche seines Rechtsverteidigers dessen Wut über die eigene Limitiertheit mit dem Spielgerät an. »Er ist auch manchmal auf dem Feld ausgerastet, weil er so viele gute Ideen im Kopf hatte, die er mit seinen fußballerischen Fähigkeiten nicht umsetzen konnte. Das hat ihn manchmal so geärgert, dass ich ihn zur Seite nehmen musste«, erinnerte sich Frank

7

. Im Rückblick wähnte sich der Spieler Jürgen Klopp im früheren britischen Fußball besser aufgehoben. »Da hätte ich vielleicht Karriere gemacht. Lange Bälle und dann einen Kopfball, dass es kracht«, vermutete er bereits 2002.

8



Von Rot-Weiss Frankfurt war er noch als Stürmer zum Bruchweg gekommen. Um den Sprung aus der dritten Liga in den Profibereich zu schaffen, half ihm seine Schnelligkeit. Im Steigerwaldstadion in Erfurt lief er im August 1991 immer richtig. Als erster Mainzer schoss er vier Tore in einem Zweitligaspiel. Wie so viele Angreifer rückte er weiter nach hinten, je länger die Karriere dauerte. Josip Kuze setzte Jürgen Klopp bereits im rechten Mittelfeld ein, unter Wolfgang Frank kam »Kloppo« dann endgültig auf der rechten Abwehrseite an. Zwischen 1990 und 2001 stehen 325 Spiele und 52 Tore in seiner Statistik. Mehr Zweitligaspiele hat beim FSV Mainz 05 keiner gemacht. Jürgen Klopp war in dieser Spielklasse, die es rustikaleren Spielertypen traditionell leichter macht, die Idealbesetzung.



Gegen Ende der Karriere kam auch der schnelle Klopp nicht umhin, den ruppigen Routinier zu geben. Ein Profi, der gelegentlich austeilen konnte, aber auch schmerzhaft einstecken musste, wie eine Anekdote mit Bernd Hollerbach in der Hauptrolle belegt. Der Mittelfeldspieler, seinerzeit Profi beim FC St. Pauli, geriet mit Jürgen Klopp am Hamburger Millerntor aneinander. Der erinnerte sich 2002 lebhaft: »Wir fuhren einen astreinen Konter und Hollerbach hat mir an der Mittellinie einen Pferdekuss im Oberschenkel verpasst, dass ich fast gestorben wäre. Eine Ungerechtigkeit, die niemand gesehen hat, und alle haben mich als Simulanten ausgepfiffen.«

9

 Am Lügendetektor von

RUND

 verkabelt, spinnt er die Anekdote nach Zweitligaart weiter. »Nur Holler und ich kannten die Wahrheit. Das hat dazu geführt, dass ich Hollerbach im nächsten Spiel auf dem Platz auch ein paar Dinge gezeigt habe.«



Christian Hock gelingt es ebenso wenig wie seinem ehemaligen Mitspieler, diese Zeit mit dem mildernden Abstand von knapp zwanzig Jahren fußballerisch zu verklären. »Du hattest zwar viel Platz auf dem Feld, aber von hinten liefen dir die Manndecker hinterher, um dir in die Hacken zu hauen.«



Aus dem Kuhfellstuhl schaut Hock immer mal wieder auf den Tisch zu seinem iPhone. Er darf einen Anruf nicht verpassen. Seine sechsjährigen Zwillinge wollen ihm erzählen, wie es heute in der neuen Schule und nachmittags im Reitstall gewesen ist. Die Familie lebt in der Nähe von Wiesbaden, doch jeden Tag die 460 Kilometer hin- und zurück nach Kassel zu fahren, will Hock nicht. »Wenn ich etwas mache, dann richtig.«








Frank folgt auf Hock





In Kassel wird zwar Profifußball gespielt, aber die Regionalliga hat Mühe, diesen Anspruch mit der Wirklichkeit zu vereinbaren. Die Klubs bekommen einen Bruchteil der Fernseheinnahmen eines Bundesligisten, dennoch trainieren die Fußballer zweimal am Tag. Nach dem Spiel bei Wormatia Worms ist einer von Hocks Spielern auf dem Platz zusammengebrochen. Zum Glück war der Mannschaftsarzt der Wormser in der Nähe und konnte helfen. Um Geld zu sparen, müssen sie bei Hessen Kassel ihren Arzt bei den Auswärtsspielen zu Hause lassen.



Der Unterschied, ob man eine Mannschaft in der Champions League oder in der vierten Liga trainiert, ist groß. Das Meiste aber ändert sich nicht. Der Erfolg oder Misserfolg wird am Trainer festgemacht, der hilflos an der Seitenlinie steht, wenn darüber bisweilen Kleinigkeiten entscheiden. Wie der Job einen auffrisst, aber wie man sich nach diesem Job sehnen kann, wenn man entlassen wurde. Auch das ist vergleichbar. Einige Wochen nach unserem Gespräch wurde Christian Hock in Kassel beurlaubt. Die Mannschaft und er waren von Kasseler Fans angefeindet worden. Hock hatte sogar eine Morddrohung bekommen.

 



Mit Wehen Wiesbaden war er 2007 fünf Spieltage vor Saisonende in die Zweite Liga aufgestiegen. Er brauchte zwingend die Fußballlehrer-Lizenz, um weiterarbeiten zu können. Montags bis donnerstags war er beim Lehrgang in Köln. Es kam vor, dass er seine Mannschaft am Freitag zum ersten Mal in der Woche sah und sie am selben Tag schon um 18 Uhr zum Spiel antrat. Fast alle, die mit dieser Doppelbelastung klarkommen mussten, haben sich aufgerieben. Ihm ging es nicht besser. Er wurde entlassen. Den Fußballlehrer machte er zu Ende, die meisten seiner ehemaligen Lehrgangskollegen sind derzeit arbeitslos. Sein Nachfolger in Wehen wurde: Wolfgang Frank. »Ein komisches Gefühl« sei das gewesen, erinnert sich Hock.







Der Trainer Jürgen Klopp war eine Notlösung. Christian Heidel, damals Manager des Zweitligisten FSV Mainz 05, fand an Fastnacht 2001 keinen Nachfolger für Eckhard Krautzun, nur den Klopp, der als Spieler seine beste Zeit hinter sich hatte. Klopp sollte Mainz ein Spiel coachen, dann zwei, und dann noch ein paar – Jahre. Mit Aufs und Abs, die Aufs überwiegen. Ein Besuch im Büro von Christian Heidel, der Klopp ein guter Freund wurde.










von Roger Repplinger





Als Spieler ganz ordentlich – als Trainer außergewöhnlich





Mit hoch gekrempelten Hosen stehen Kinder im Fastnachtsbrunnen. In dem Becken des Brunnens liegt kein Münzgeld, sondern die Alufelge eines VW. Eine Mutter hält ihren Kleinen so ins Wasser, dass dies seine Zehen kitzelt. Das gefällt ihm. Vor dem Eiscafé »de Covre« sitzen Pärchen, essen Erdbeer-Becher mit Sahne, und haben diesen Gesichtsausdruck: »Den Tag heute hat uns der liebe Gott geschenkt, und es ist der letzte in diesem Jahr. Dann wird es dunkel.« Im mittleren Teil des etwas schlauchartigen Platzes stehen rote Steinbänke, auf einigen sitzen Männer in einem undefinierbaren Alter und zeigen den festen Willen, die Schönheit der Welt, die heute ihr Maximum erreicht, durch das Saufen aus Tetra Paks zu steigern.



Ein Herr Friedl verspricht auf Zetteln, die an Laternenpfählen hängen, geistige Fitness bis ins hohe Alter durch Bridge, »das faszinierende Kartenspiel zu viert«. Das Wehrbereichskommando sitzt in einem der vorbildlich restaurierten alten Häuser, die im Zweiten Weltkrieg stehen geblieben sind, das Landesamt für Denkmalpflege, die Industrie- und Handelskammer Rheinhessen und das »Unterhaus«, ein renommierter Veranstaltungsort für Kleinkunst, auch.








Schillerplatz





Der Chef, der dem Platz den Namen gegeben hat, ist auch da: der junge Friedrich Schiller, mit den Augen des späten 19. Jahrhunderts gesehen und in Bronze gegossen, in der Pose des Dichterfürsten. Aber im Grunde gehört der Platz den Narren, denn er befindet sich in Mainz. In einem schlauen Buch steht geschrieben, dass sich an der Stelle, wo früher das »Café Neuf« stand, in dem im März 1905 acht junge Männer den FSV Mainz 1905 gründeten, eine Wetterstation befinden soll. Von der Wetterstation ist nichts zu sehen, an das Café erinnert nichts mehr.



Erinnerung ist keine objektive Abbildung der Vergangenheit, das bekommen ja nicht mal die Historiker hin. Bei der Erinnerung spielt eine Rolle, wie derjenige, der sich erinnert, die Ereignisse, um die es geht, damals bewertet hat, und wie er sie heute bewertet, und wie er seine damalige Bewertung heute einschätzt. Hat er seinen Frieden gemacht? War das überhaupt notwendig?



Wenn alle in Mainz, die sich erinnern, den Trainer loben, kann der vom 28. Februar 2001 bis 30. Juni 2008 nicht alles falsch gemacht haben.








Heidels Büro





Im Büro von Christian Heidel in der Geschäftsstelle des FSV Mainz im Dr.-Martin-Luther-King-Weg erinnert manches an Jürgen Klopp. Fotos an der Wand, aber vor allem Heidels Enthusiasmus, die Freude, die es ihm macht, über seinen Freund Klopp zu sprechen, mit dem er »vor zwei Tagen zuletzt telefoniert« hat. Heidel redet schnell, die Worte perlen aus ihm wie das Wasser aus dem Fastnachtsbrunnen, so viel hat er zu sagen. Der Spaß, den er mit seinen Erinnerungen hat, hat was mit dem Spaß zu tun, den ihm die Arbeit mit Klopp gemacht hat.



Heidel lacht viel, lächelt, grinst, wenn er nur dran denkt. Es macht ihm mindestens so viel Spaß, sich heute dran zu erinnern, wie es damals Spaß gemacht hat, es zu erleben. Entscheidend für die Entwicklung des FSV Mainz 05 von einem stets vom Abstieg bedrohten Zweitligisten zu einer respektablen Bundesligamannschaft, war Wolfgang Frank. Wichtig für die Entwicklung des als Fußballer nicht eben reich beschenkten, rauen rechten Verteidigers Jürgen Klopp zu einem Meistertrainer, war Wolfgang Frank. Der Fußballlehrer kommt mitten in der Saison 1995/96 zum scheinbar sicheren Zweitliga-Absteiger FSV Mainz. Die Mainzer haben eine desolate Vorrunde gespielt, sie sind die schlechteste Mannschaft der Zweiten Liga. So schlecht zu sein, ist nicht gut, aber es ist so schlecht, dass man da was probieren kann, probieren darf oder gar muss.








Frank I





Wolfgang Frank, Jahrgang 1951, war einst Mittelstürmer unter anderem beim VfB Stuttgart und Borussia Dortmund und trotz 172 Zentimeter Größe ein guter Kopfballspieler. Vor seiner Mainzer Zeit war er als Trainer in der Schweiz und bei Rot-Weiss Essen tätig, damals in der Zweiten Liga. Mit RWE stand Frank 1994 im Pokalfinale, das allerdings mit 1:3 gegen Werder Bremen verloren ging.



Frank will beim FSV was Neues machen. »Wenn du Letzter bist, musst du was anders machen«, sagt Heidel. In der Winterpause kündigt Frank an: »Wir spielen jetzt 4-4-2, ohne Libero.« Heidel denkt: »Oh Gott, oh Gott, ohne Libero, auch das noch«, und: »Darauf kommt es jetzt auch nicht mehr an.« Die Spieler lassen sich auf Franks Ideen ein. Der lässt statt Manndeckung das Verschieben im Raum üben. Revolution machen immer diejenigen, die nichts zu verlieren und manches zu gewinnen haben. Das ist nicht nur im Fußball so. Frank betritt Neuland in Deutschland. Im Württembergischen Fußballverband gibt es einen Trainer, Helmut Groß, der seinen jungen Kollegen die Raumdeckung nahebringt, aber im Profifußball traut sich das bis dahin kaum jemand. Deutschland ist Libero-Land

10

.



Frank fängt ganz von vorne an: Pressing sollen seine Jungs spielen, den Gegner beim Spielaufbau stören, die gegnerischen Verteidiger angreifen, den Ball erobern, dann ist der Weg zum Tor nicht so weit. Franks erster Sieg: Er gewinnt die Mannschaft.



In Deutschland wird bei der Fußball-Berichterstattung häufig der Fehler in den Vordergrund gestellt, wenn, wie im Februar 2011, ein Mittelfeldspieler wie Bastian Schweinsteiger den Ball an Kevin Großkreutz verliert, der Lucas Barrios ins Spiel bringt, der ein Tor macht. Für das Umzingeln, das Pressing, die Leistung der Mannschaft, die gegen den Ball

11

 spielt und Schweinsteiger zum Fehler zwingt, fehlt der Blick. Solche Ballgewinne zeichnen modernen Fußball aus. Frank weiß das, Klopp weiß es von ihm.








Dennis Weiland im »Café Raab«





Ein solches Spielsystem funktioniert nur, wenn alle mitmachen, auch die Stürmer. »Einen kannst du vielleicht raus lassen«, schränkt der frühere Mainzer Mittelfeldspieler Dennis Weiland, 37, ein, der im »Café Raab« sitzt. Es ist Klopps Mainzer Lieblingscafé. Wir nehmen ein paar Tassen aufgeschäumte Milch, in denen ein Espresso schwimmt. Nicht weit davon entfernt steht Klopps Haus im angenehmen Mainzer Stadtteil Gonsenheim. Die Straße runter ist der Wald, in dem die Mainzer Spieler Kondition trainiert haben.



Unter Wolfgang Frank machen bei Mainz alle mit, wenn gegen den Ball gearbeitet wird. In Ulm auch. In Ulm, in der Dritten Liga, gibt es seit 1997 noch so einen Verrückten. Der heißt Ralf Rangnick. Im DFBPokal 1997/98 müssen die Mainzer mit ihrem Trainer Dietmar Constantini zum Drittligisten SSV Ulm 1846 und werden mit 4:1 verhauen. Bei Mainz ist Klopp nicht im Aufgebot. Klopp kommt mit Constantini nicht klar. Heidel denkt: »Die Ulmer, die spielen so, wie wir gerne spielen würden.« Und dann fällt ihm der Name dieses »Ungarn« nicht ein, »so ein Kleiner«, bei Ulm vorne im Sturm. War kein Ungar, der Ungar bei Ulm war der athletische Innenverteidiger Tamás Bódog, der das 1:0 macht und später bei Mainz spielt, der Kleine im Sturm war Dragan Trkulja, ein säbelbeiniger Serbe, der gegen Mainz zwei Tore vorbereitet und eines macht. Spielte Pressing, der Trkulja.



Wolfgang Frank übt mit den Mainzern Anfang 1996 die Raumdeckung, das Verschieben, das Pressing. Dann spielen die Mainzer eine