Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht

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BVerfG, Beschluss v. 15.12.2016, Az. 2 BvR 222/11, Rn 32; BVerfGE 135, 155 = NVwZ 2014, 646, 657 Rn 183.

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BVerfG, Beschluss v. 15.12.2016, Az. 2 BvR 222/11, Rn 32; BVerfGE 135, 155 = NVwZ 2014, 646, 657 Rn 183; vgl BVerfGE 82, 159, 195 f; 126, 286, 316 f; 128, 157, 187 f; 129, 78, 106 f.

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BVerfGE 135, 155 = NVwZ 2014, 646, 657 Rn 184; vgl BVerfGE 129, 78, 107.

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BVerfGE 135, 155 = NVwZ 2014, 646, 657 Rn 184.

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BVerfGE 135, 155 = NVwZ 2014, 646, 657 Rn 185. vgl zu dieser Konstellation BVerfGE 82, 159, 196; 126, 286, 317.

[74]

BVerfG, Beschluss v. 15.12.2016, Az. 2 BvR 222/11, Rn 38 ff. Vgl demgegenüber früher BVerfG, NVwZ 2001, 1148, 1149: Unvertretbar sei eine Lösung nur, „wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind“. Zwischenzeitlich gab es eine uneinheitliche Rechtsprechung der beiden Senate; vgl dazu auch Finck/Wagner, NVwZ 2014, 1286. Die neuere Linie dürfte weitgehend zu den gleichen Maßstäben gelangen wie auch der EuGH, wobei zu beachten ist, dass auch die genauen Maßstäbe der acte-clair-Doktrin und vor allem die Differenzierung zwischen verschiedenen Konstellationen auch durch die Rechtsprechung des EuGH noch der Aufarbeitung bedürfen, dazu Piekenbrock, EuR 2011, 317, 336 ff.

[75]

Dazu zuletzt EuGH v. 19-10-2016, Rs. C-148/15 – „DocMorris“, EuZW 2016, 958; zur umstrittenen Relevanz der Keck-Rechtsprechung die unterschiedlichen Positionen von Reich, Oxford LJ 1999, 337; Epiney, NVwZ 2010, 1065; Brigola, EuZW 2012, 248; Dietz/Streinz, EuR 2015, 50. Zum „Drei-Stufentest“ des EuGH Leible/Streinz, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, AEUV Art. 34 Rn 85 ff. Allein dieses Meinungsspektrum belegt, dass diese Frage gerade nicht als geklärt angesehen werden kann. Im Vergleich dazu sah das BVerfG die Spielräume im Zusammenhang mit der vom BVerwG sehr weit verstandenen Cassis-Formel nicht als überschritten an, vgl BVerfG, NVwZ 2017, 615; zu diesen Fragen Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 62 ff.

Fall 3 Buy Pälzisch! – Probleme mit der IHK

Inhaltsverzeichnis

Vorüberlegungen

Gliederung

Lösung

61

L ist eine nach englischem Recht als private Kapitalgesellschaft gegründete Private Limited Company mit Hauptsitz in England und als solche seit 2013 ordnungsgemäß nach englischem Recht in das Register of Companies eingetragen. L hat 2016 eine Produktionsanlage für englisches Weingummi in Kaiserslautern errichtet und betreibt von dort aus einen Internet-Versandhandel nach ganz Kontinentaleuropa. Diese wurde als Zweigniederlassung ordnungsgemäß in das deutsche Handelsregister eingetragen und vom Finanzamt zur Gewerbesteuer veranlagt. Da den Kunden angesichts der Finanzmarktkrise der Appetit auf Weingummi vergangen ist, beträgt der Jahresumsatz 2016 allerdings nur 682,52 €.

Aufgabe 1:

Mit Schreiben vom 17.2.2017 begrüßt die örtlich zuständige IHK Pfalz in Ludwigshafen die L als neues Mitglied. L ist überrascht und erkundigt sich telefonisch nach den Konsequenzen. Ihr wird mitgeteilt, dass sie nicht nur nach § 2 IHKG automatisch Mitglied der IHK geworden sei, sondern auch gem. § 3 IHKG zu Kammerbeiträgen herangezogen werden müsse. Ein entsprechender Beitragsbescheid auf der Grundlage der Beitragsordnung sowie der von der Vollversammlung jährlich beschlossenen Wirtschaftssatzung vom 18.11.2014 werde nach endgültiger rechtlicher Prüfung noch folgen. Eine Beitragsbefreiung nach § 3 Abs. 2 IHKG komme trotz der geringen Einnahmen jedenfalls nicht in Betracht, da L ins Handelsregister eingetragen sei. Allerdings werde angesichts des geringen Umsatzes wohl nur der in der Beitragsordnung vorgesehene Mindestbeitrag von 50 € pro Jahr fällig. L sieht aber schon in der Pflichtmitgliedschaft einen unzulässigen Eingriff in ihre grundgesetzlich verbürgte Berufs- und Vereinigungsfreiheit sowie einen Verstoß gegen die Grundfreiheiten des AEUV. Erst recht diskriminiere sie die Heranziehung zu Kammerbeiträgen, vor allem der Umstand, dass eine Befreiung, anders als bei nicht im Handels- oder Genossenschaftsregister eingetragenen IHK-Zugehörigen, deren Gewerbeertrag oder Gewinn aus Gewerbebetrieb 5.200 € nicht übersteige, nicht in Betracht käme. Auch die Privilegierung als Existenzgründer werde ihr aus denselben Gründen versagt.

Wie ist die Rechtslage? Europäisches Sekundärrecht ist nicht zu prüfen.

Aufgabe 2:

Größer wird die Überraschung als L in den pfälzischen Tageszeitungen, auf Plakaten und in bundesweit ausgestrahlten Fernsehspots eine groß angelegte Kampagne der IHK Pfalz bemerkt, in der unter dem Motto „Buy Pälzisch!“ dazu aufgerufen wird, zur Stärkung der heimischen Wirtschaft nur noch regionale Produkte mit spezifischem Bezug zur Pfalz zu kaufen. L befürchtet, dass der Umsatz ihrer zwar in der Region produzierten, aber eben nicht typisch regionalen Weingummis dadurch weiter zurückgeht. Erst recht hat sie keine Lust, diese Kampagne auch noch mit den Kammerbeiträgen zu finanzieren. Dies verstoße nicht nur gegen die Grundfreiheiten, sondern auch gegen nationales Verfassungsrecht.

L begehrt daher beim Präsidenten der IHK Akteneinsicht, um sich ein genaues Bild von der Finanzierung der Kampagne machen zu können und fordert außerdem ein unverzügliches Einstellen der Werbemaßnahmen. Der Präsident der IHK lehnt beide Ansprüche ab. Mit der Kampagne wolle man die regionale Wirtschaft fördern, was ohne weiteres zu den Aufgaben einer Handelskammer gehöre. Ein Akteneinsichtsrecht bestehe schon deswegen nicht, weil es sich weder aus dem IHKG noch der Kammersatzung ergebe; die Kontrolle des Präsidiums obliege vielmehr der Vollversammlung insgesamt, die aber die Kampagne mit großer Mehrheit gebilligt habe. Weder IHKG noch Kammersatzung sähen ein ausdrückliches Akteneinsichtsrecht vor. Selbstverständlich habe man trotzdem die Vollversammlung ausreichend informiert. L sei zwar seit kurzem gewähltes Mitglied der Vollversammlung, könne aber gerade keine Rechte des Gesamtorgans geltend machen. Auch das Demokratieprinzip verlange kein ausdrückliches Einsichtsrecht des einzelnen Mitglieds.

Daraufhin erhebt L vor dem örtlich zuständigen VG Klage auf Einstellung der Werbekampagne und Akteneinsicht.

Wie wird das VG entscheiden?

Bearbeitungsvermerk:

Gehen Sie bei der Bearbeitung davon aus, dass das einschlägige IFG im vorliegenden Fall keinen Auskunftsanspruch gewährt.

Fall 3 Buy Pälzisch! – Probleme mit der IHK › Vorüberlegungen

Vorüberlegungen

62

Der Fall beleuchtet einen Dauerbrenner der verfassungsrechtlichen Diskussion näher, die „Selbstverwaltung der Wirtschaft“ durch die Kammern als öffentlich-rechtlich organisierte, berufsständische Einrichtungen[1]. Das Kammerrecht wird zum wirtschaftsrechtlichen Anwendungsbeispiel vieler aus dem Pflichtfachbereich vertrauter Grundprobleme. Gerade weil der Fall in hohem Maße Transferleistungen verlangt, ist er insgesamt als schwierig einzustufen.

Charakteristikum des Kammerrechts ist die gesetzlich angeordnete Pflichtmitgliedschaft[2]. Zu messen ist diese nicht nur an den Grundrechten (im Ergebnis nach hM Art. 2 Abs. 1 GG), sondern für Angehörige aus anderen Mitgliedstaaten auch an den Grundfreiheiten[3]. Damit befasst sich der Teil 1, bei dem deswegen erneut die Grundrechtsberechtigung mit Auslandsbezug relevant wird (insb zu Art. 19 Abs. 3 GG schon Fall 2; dort auch zur Einkleidung als Verfassungsbeschwerde und deren Verzahnung mit der Prüfung von Unionsrecht). Während die Zwangsmitgliedschaft nach bisheriger Rechtsprechung mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist, stellt sich die Lage nicht nur hinsichtlich der Grundfreiheiten komplexer dar, als die Rechtsprechung suggeriert. In seiner jüngst ergangenen Entscheidung hat das BVerwG die Pflichtmitgliedschaft in der IHK bestätigt[4].

Gerade weil die Zwangsmitgliedschaft als solche nicht in Frage gestellt wird, verlagern sich die Streitigkeiten vom Grundsätzlichen auf die Einzelfragen im Zusammenhang mit der Tätigkeit der IHK: Mitglieder wenden sich gegen die Kammerbeiträge, Dritte gegen die (wirtschaftliche) Betätigung[5], vor allem aber suchen auch enttäuschte Mitglieder um Rechtsschutz nach. Mit letztgenannter Konstellation befasst sich der zweite Teil. Außer den eher lückenhaften Maßstäben des IHKG wird auch hier das Verfassungs-, aber zunehmend auch das Unionsrecht relevant. Die IHK ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts Teil der mittelbaren Staatsverwaltung und als solche an Grundfreiheiten und Grundrechte gebunden, wie das Beispiel einer von der IHK organisierten Werbekampagne illustriert[6]. Während Dritte bei Empfehlungen oder Werbekampagnen einen Folgenbeseitigungs- und Unterlassungsanspruch nur dann haben, wenn sie in ihren Rechten beeinträchtigt werden[7], steht Kammermitgliedern nach der Rechtsprechung ein mitgliedschaftlicher Unterlassungsanspruch bei jeder Aufgabenüberschreitung zu, ohne dass sie eine Rechtsverletzung durch die konkrete Maßnahme geltend machen müssten[8]. Denkt man diesen Ansatz konsequent zu Ende, kann mit diesem Anspruch auch die Verletzung anderer Grundrechte und vor allem auch der Grundfreiheiten geltend gemacht werden, die ja ebenfalls (insbesondere in Verbindung mit dem Gesetzesvorbehalt) für die Kammer kompetenzbegrenzende Wirkung entfalten. Das Verhältnis dieses „kammerrechtlichen“ Unterlassungsanspruches zum allgemeinen öffentlich-rechtlichen Unterlassungsanspruch ist nicht abschließend geklärt (s. Rn 81).

 

Außerdem bestehen im Innenverhältnis organschaftliche Mitgliedschaftsrechte, die mit dem der Kommunalverfassungsstreitigkeit vergleichbaren Organstreitverfahren geltend gemacht werden können. Die Reichweite solcher Ansprüche ist allerdings umstritten und ihre Existenz wurde vom BVerwG abgelehnt[9]. Richtigerweise sind derartige Ansprüche auf Partizipation allerdings notwendiges Korrelat zur Pflichtmitgliedschaft[10].

Anmerkungen

[1]

Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 205 f. Ausf Kluth, Handbuch des Kammerrechts, 2. Aufl 2011.

[2]

Anders geregelt ist demgegenüber die Pflichtmitgliedschaft in Sicherungseinrichtungen, die ausländischen Unternehmen gerade verschlossen ist, ohne dass die Rspr darin eine Diskriminierung erblickt, vgl BVerwG, NJW-RR 2011, 1250 zu Sicherungsfond für Lebensversicherungen (§ 124 Abs. 1 VAG).

[3]

Als aktuelle Fälle insbesondere BVerwG, NVwZ 2017, 70; VGH BW DÖV 2017, 258; vgl außerdem OVG Koblenz, GewArch 2011, 326 (IHK); OVG Bautzen, DStR 2011, 2020 (Steuerberaterkammer); s. auch Kirchberg, NJW 2009, 1313. Zur Verfassungsmäßigkeit der Zwangsmitgliedschaft BVerfG, NVwZ 2002, 335; BVerwG, NVwZ-RR 2010, 882; s. auch Kluth, NVwZ 2002, 298; Löwer, GewArch 2000, 89.

[4]

BVerfG v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13.

[5]

Die Rechtsprobleme entsprechen denjenigen des öffentlichen Wettbewerbsrechts, s. den Überblick bei Schöbener, in: Kluth, Handbuch des Kammerrechts, 2. Aufl, § 14 Rn 115 ff.

[6]

Der Fall ist insoweit angelehnt an EuGH v. 17.6.1981, Rs. C-113–80 – „Buy Irish“, Rn 21, Slg 1981, 1625. Zu allgemeinpolitischen Stellungnahmen BVerwGE 137, 171 = NVwZ-RR 2010, 882; zur Verkehrspolitik („Stuttgart 21“) VG Stuttgart, NVwZ 2011, 895.

[7]

Ausf Schöbener, in: Kluth, Handbuch des Kammerrechts, 2. Aufl, § 14 Rn 218 ff. Zum Anspruch auf Austritt aus dem privatrechtlichen Dachverband, sofern dieser seine Kompetenzen überschritten hat vgl BVerwG NVwZ 2017, 70.

[8]

Auch dazu Schöbener, in: Kluth, Handbuch des Kammerrechts, 2. Aufl, § 14 Rn 95 ff.

[9]

BVerwGE 120, 255, das ein Akteneinsichtsrecht des einzelnen Kammermitglieds abgelehnt hat; weiter zuvor OVG Münster, NVwZ 2003, 1526. S. auch Schöbener, GewArch 2008, 329; ders., in: Kluth, Handbuch des Kammerrechts, 2. Aufl, § 14 Rn 113 f.

[10]

BVerfG v. 12.7.2017 – 1 BvR 2222/12 u. 1106/13 prüft das Demokratieprinzip allerdings ausschließlich im Kontext der Rechtfertigung der Beitragspflicht. Minderheitenrechte werden darauf beschränkt, dass Minderheitenrechte „nicht willkürlich vernachlässigt werden“ und eine „institutionelle Majorisierung“ ausgeschlossen sein muss (aaO Rn 128). Die Fachgerichte werden zu überlegen haben, welche konkreten Folgerungen daraus zu ziehen sind.

Fall 3 Buy Pälzisch! – Probleme mit der IHK › Gliederung

Gliederung

63


Aufgabe 1: Vereinbarkeit der Pflichtmitgliedschaft mit Grundrechten und Grundfreiheiten
A. Die Zwangsmitgliedschaft
I. Die einfachrechtlichen Voraussetzungen
II. Vereinbarkeit mit den Grundrechten
1. Sachlicher Schutzbereich: Das einschlägige Grundrecht
a) Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsfreiheit)
b) Art. 9 Abs. 1 GG (Vereinigungsfreiheit)
c) Art. 2 Abs. 1 GG (Allgemeine Handlungsfreiheit)
2. Persönlicher Schutzbereich: Grundrechtsberechtigung
3. Rechtfertigung
a) Formelle Verfassungsmäßigkeit des § 2 IHKG
b) Materielle Verfassungsmäßigkeit des § 2 IHKG
III. Die Vereinbarkeit mit den Grundfreiheiten
1. Einschlägige Grundfreiheit
2. Eingriff: Maßnahme gleicher Wirkung
3. Rechtfertigung: zwingende Gründe des Allgemeininteresses
B. Der Kammerbeitrag
Aufgabe 2: Der Streit um Werbekampagne und Akteneinsicht
A. Die Klage auf Unterlassung der Werbekampagne
I. Die Zulässigkeit einer verwaltungsgerichtlichen Klage
1. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
2. Statthafte Klageart
3. Klagebefugnis
4. Klagegegner, Beteiligten- und Prozessfähigkeit
5. Zuständigkeit des Gerichts
6. Zwischenergebnis
II. Die Begründetheit
1. Der Unterlassungsanspruch
2. Kompetenzüberschreitung aufgrund einer Missachtung der einfachgesetzlichen Vorgaben
3. Kompetenzüberschreitung wegen Grundfreiheitenverstoßes
a) Grundfreiheiten als Maßstab von Maßnahmen der mittelbaren Selbstverwaltung
b) Einschlägige Grundfreiheit: der Schwerpunkt der Maßnahme
c) Eingriff und Rechtfertigung
4. Verstoß gegen die Berufsfreiheit
a) Schutzbereich/Eingriff
b) Rechtfertigung
5. Fazit
B. Der Anspruch auf Auskunft bzw Akteneinsicht
I. Die Zulässigkeit der Klage (Organstreitverfahren)
1. Verwaltungsrechtsweg
2. Statthafte Klageart
3. Klagebefugnis
4. Klagegegner, Beteiligten- und Prozessfähigkeit
II. Die Begründetheit der Klage
1. Keine ausdrückliche Regelung
2. Ableitung aus der Organstellung

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