Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht

Текст
0
Отзывы
Читать фрагмент
Отметить прочитанной
Как читать книгу после покупки
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

III. Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG (gesetzl. Richter)

51

S rügt außerdem, dass das BVerwG die Frage der Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit nicht gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV dem EuGH vorgelegt habe. Darin könnte ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG liegen. Dies setzt voraus, dass der EuGH als gesetzlicher Richter iSd Vorschrift zu sehen ist und das Gericht seine Vorlagepflicht (dazu 2.) willkürlich (dazu 3.) außer Acht gelassen hat.

1. EuGH als gesetzlicher Richter

52

Der EuGH ist gesetzlicher Richter iSd Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG, wie das BVerfG erstmals in der Solange II-Entscheidung entschieden hat. Dieser sei „ein durch die Gemeinschaftsverträge errichtetes hoheitliches Rechtspflegeorgan, das auf der Grundlage und im Rahmen normativ festgelegter Kompetenzen und Verfahren Rechtsfragen nach Maßgabe von Rechtsnormen und rechtlichen Maßstäben in richterlicher Unabhängigkeit grundsätzlich endgültig entscheidet“[44]. Zum gesetzlichen Richter iSd Grundgesetzes werde der EuGH durch die „funktionelle Verschränkung der Gerichtsbarkeit der Europäischen Gemeinschaften mit der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten“ sowie den Umstand, „dass die Gemeinschaftsverträge [. . .] Teil der innerstaatlich geltenden Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und von ihren Gerichten zu beachten, auszulegen und anzuwenden“[45] seien.

2. Verletzung der Vorlagepflicht

53

Das BVerwG müsste zudem seine Vorlagepflicht verletzt haben. Eine solche ergibt sich aus Art. 267 Abs. 3 AEUV. Nach der Rechtsprechung des EuGH muss „ein Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, seiner Vorlagepflicht nachkommen, wenn in einem bei ihm schwebenden Verfahren eine Frage des Unionsrechts gestellt wird, es sei denn, es hat festgestellt, dass die gestellte Frage nicht entscheidungserheblich ist, dass die betreffende unionsrechtliche Frage bereits Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof war oder dass die richtige Anwendung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt; ob ein solcher Fall gegeben ist, ist unter Berücksichtigung der Eigenheiten des Unionsrechts, der besonderen Schwierigkeiten seiner Auslegung und der Gefahr voneinander abweichender Gerichtsentscheidungen innerhalb der Union zu beurteilen“[46].

a) Entscheidungserheblichkeit

54

Entscheidungserheblich ist eine Frage dann, wenn es auf diese im Ergebnis ankommt. Dies wäre unproblematisch gegeben, wenn man die Verfassungsmäßigkeit des § 7 NRSG bejaht. Eine verfassungswidrige Vorschrift ist demgegenüber nichtig und braucht somit auch nicht dem EuGH vorgelegt zu werden. Da aber das BVerwG offensichtlich von der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift ausgegangen ist, kam es aus seiner Sicht auf die Vereinbarkeit mit Europarecht an. Verstieße die Norm nämlich gegen die Grundfreiheiten, wäre sie wegen des Vorrangs des Unionsrechts nicht anzuwenden.

b) Auslegung des Unionsrechts: Vereinbarkeit mit der Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV

55

Eine Vorlagepflicht bestünde allerdings nicht, wenn die Auslegung des Unionsrechts offenkundig wäre.

aa) Anwendungsbereich

56

Der persönliche und sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit müsste eröffnet sein. Die Niederlassungsfreiheit schützt die selbstständige wirtschaftliche Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedsstaat auf unbestimmte Dauer[47]. S ist als englische Limited eine juristische Person des Privatrechts aus einem EU-Mitgliedsstaat, die eine Niederlassung in Deutschland eröffnen und sich damit dauerhaft in das Wirtschaftsleben in Deutschland integrieren möchte. Insoweit bestehen gegen die Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit keine Bedenken.

bb) Eingriff

57

Die Niederlassungsfreiheit verbietet zunächst die Diskriminierung gegenüber den Staatsangehörigen des Bestimmungsstaates. § 7 NRSG gilt aber unterschiedslos für Aus- und Inländer. Eine versteckte Diskriminierung ist anzunehmen, wenn durch eine an sich unterschiedslose Vorschrift faktisch Ausländer stärker betroffen werden, weil die Voraussetzungen der Norm sie stärker belasten[48]. Das Rauchverbot des § 7 NRSG erfasst alle Gewerbetreibenden im Gaststättengewerbe und verlangt EU-Ausländern wie S, die im Inland eine Gaststätte eröffnen, nicht mehr ab, als einem Inländer[49]. Eine Diskriminierung scheidet somit aus. Nach der Dassonville-Formel sind darüber hinaus jedoch alle Maßnahmen gleicher Wirkung verboten. Darunter fallen alle Handelsregelungen eines Mitgliedstaates, die geeignet sind, den zwischenstaatlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern[50]. Indem das Gaststättengewerbe einem Rauchverbot unterliegt und S seine Tätigkeit als Gaststättenbetreiber nicht einfach beliebig gestalten kann, stellt § 7 NRSG folglich eine wirtschaftshemmende Regelung dar, die die durch den AEUV verbürgte Niederlassungsfreiheit einschränkt.

Allerdings hat das BVerwG unter Hinweis auf die Keck-Rechtsprechung bereits einen Eingriff in den Schutzbereich verneint. Mit dieser Rechtsprechung hat sich der EuGH, zunächst bei der Warenverkehrsfreiheit, angesichts seines weiten Eingriffsbegriffes um eine Begrenzung des Schutzbereiches bemüht. Danach fallen „bestimmte Verkaufsmodalitäten“ dann nicht in den Schutzbereich der Warenverkehrsfreiheit, wenn sie für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben und außerdem den Absatz in- und ausländischer Waren in rechtlich wie tatsächlich gleicher Weise berühren[51]. Obschon dies der EuGH nur für die Dienstleistungsfreiheit ausdrücklich entschieden hat[52], dürfte sich der Grundsatz auch auf die anderen Grundfreiheiten anwenden lassen, soweit es sich um nichtdiskriminierende und marktverhaltensbezogene Vorschriften handelt[53]. Andererseits hat der EuGH zur Niederlassungsfreiheit lapidar entschieden, dass alle „nationalen Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen“, einer Rechtfertigungspflicht unterliegen[54]. Etwa bei Regelungen über Öffnungszeiten, die unter die Keck-Rechtsprechung fielen, hat er eine Beschränkung mit dem Argument abgelehnt, dass die jeweils geltend gemachten Behinderungen zu ungewiss und rein hypothetischer Natur seien. Dogmatisch sind diese Ausführungen allerdings nicht ausgereift: „Dieser Ansatz weist aber einen letztlich rein tatsächlichen Charakter auf, ist dogmatisch kaum konturiert und trägt damit insbesondere nichts zur Frage bei, ob und inwieweit die Grundfreiheiten tatsächlich darauf begrenzt sind, spezifische Behinderungen des grenzüberschreitenden Wirtschaftens in Frage zu stellen“[55]. Schwieriger zu bewerten ist die Frage, was bei der Niederlassungsfreiheit als Äquivalent zu den „Verkaufsmodalitäten“ anzusehen ist. Zu diesen gehören anerkanntermaßen Verkaufsbeschränkungen, etwa die Apothekenpflichtigkeit bestimmter Arzneimittel[56]. Mit einem solchen könnte man das Rauchverbot vergleichen. Wie ein Verkaufsverbot, das für sämtliche Waren (aus dem In- und Ausland) gilt, betrifft es alle Dienstleistungsanbieter gleichermaßen, erschwert also nicht den Zugang gerade von Ausländern. Andererseits könnte man dies gerade bei der Konzeptgastronomie auch anders sehen, wird es doch dem S durch die Vorschrift unmöglich gemacht, sich mit seinem (im Ausland erfolgreichen) konkreten Konzept auf dem deutschen Markt zu etablieren, so dass sich das Rauchverbot jedenfalls wie eine produktbezogene Vorschrift auswirkt. Dies spricht eher gegen eine Anwendung der Keck-Grundsätze.

cc) Rechtfertigung

58

Selbst wenn aber die Grundsätze der Keck-Rechtsprechung zu Unrecht herangezogen worden wären, könnte sich die Entscheidung im Ergebnis dann als richtig erweisen, wenn die Maßnahme jedenfalls gerechtfertigt ist. Eine Rechtfertigung kommt bei Maßnahmen gleicher Wirkung durch geschriebene (Art. 51, 52 AEUV) und ungeschriebene Rechtfertigungsgründe in Betracht. Da erstere offensichtlich ausscheiden, könnte sich eine Rechtfertigung nur aus zwingenden Gründen des Allgemeinwohls ergeben[57]. In Betracht kommt hier der Schutz des Rechtsgutes Gesundheit, insb auch bei Minderjährigen. Mit dem Nichtraucherschutzgesetz wollte der rheinland-pfälzische Gesetzgeber die Bevölkerung vor den Gefahren des Rauchens schützen und auch den Tabakkonsum bei Minderjährigen eindämmen[58]. Auch der EuGH misst sowohl dem Schutz der Volksgesundheit wie auch dem Minderjährigenschutz einen besonders hohen Rang bei. Angesichts dessen und vor dem Hintergrund der wissenschaftlich gesicherten Erkenntnisse über die Gesundheitsschädlichkeit des Passivrauchens ist der dadurch erfolgende Eingriff in die Niederlassungsfreiheit insoweit grundsätzlich gerechtfertigt.

 

Allerdings wäre möglicherweise aus den gleichen Gründen wie bei der Frage der Vereinbarkeit der Regelung mit Art. 12 GG (vgl oben) ein Schutzkonzept, das keine Ausnahmen für eine ausgewiesene Rauchergastronomie vorsieht, als europarechtswidrig anzusehen. Das gilt umso mehr, als der EuGH in verschiedenen Zusammenhängen sogar noch stärker als das BVerfG den Gedanken der System- und Folgerichtigkeit eines gesetzgeberischen Konzepts betont. Deshalb erschiene es durchaus denkbar, dass der EuGH für diesen Fall eine Ausnahmeregelung einfordern könnte. Dies gilt umso mehr, als der EuGH in den Entscheidungen zum Glücksspielrecht die Stimmigkeit des Gesamtkonzepts über die Grenzen der konkreten Normen und sogar der Gesetzgeber hinaus beurteilt hat[59]. Wollte man dies auf die vorliegende Konstellation übertragen, stünde vermutlich der gesamte Nichtraucherschutz auf dem Prüfstand. Die Inkohärenz würde dann nach Ansicht des EuGH bereits die Eignung der einzelnen Regelung in Frage stellen[60]. Diese Fragen bedürfen jedoch keiner abschließenden Entscheidung, da im vorliegenden Verfahren nur die Frage einer Vorlageverpflichtung zu prüfen ist. Nach der EuGH-Rechtsprechung darf ein innerstaatliches Gericht nur dann davon ausgehen, dass ein Fall vorliegt, in dem die richtige Anwendung des Unionsrechts derart offenkundig ist, dass kein Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt und deshalb die grundsätzliche Vorlagepflicht ausnahmsweise entfällt, wenn es überzeugt ist, „dass auch für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den Gerichtshof die gleiche Gewissheit bestünde. Nur dann darf das innerstaatliche Gericht davon absehen, diese Frage dem Gerichtshof vorzulegen und sie stattdessen in eigener Verantwortung lösen“[61]. Angesichts der Komplexität der Problematik lagen diese Voraussetzungen aber im vorliegenden Fall aus den dargelegten Gründen gerade nicht vor. Damit hätte das BVerwG den Fall gem. Art. 267 Abs. 3 AEUV dem EuGH vorlegen müssen.

3. Willkürmaßstab

59

Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG setzt aber nach der Rechtsprechung des BVerfG weiter voraus, dass die Vorlage willkürlich unterblieb[62]. Hierfür stellt das Gericht nicht auf die – verfahrensrechtliche – Frage, inwieweit die Prozessbeteiligten im Verfahren zur Frage der Vorlageverpflichtung substantiiert vorgetragen haben[63], sondern auf materielle Aspekte ab. Nach ständiger Rechtsprechung liegt Willkür dann vor, wenn „die Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsregel des Art. 267 Abs. 3 AEUV bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist“[64]. Damit sind freilich die an die Konkretisierung dieser „Willkür-Formel“ anzulegenden Maßstäbe noch nicht geklärt. Zwar hat das BVerfG[65] ausdrücklich anerkannt, dass „für die konkrete inhaltliche Bestimmung dessen, was im Einzelfall Willkür ist, auch das Gemeinschaftsrecht und die völkervertragliche Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland […] zu beachten sind“. Es betonte allerdings vor allem die verfassungsgerichtlichen Selbstbeschränkung. Die Frage nach dem gesetzlichen Richter bleibe eine solche des nationalen Rechts, die außerdem in allen Fällen der Vorlageverpflichtung nach gleichen Maßstäben geprüft werden und die Funktion des BVerfG beachten müsse. Genauso wenig wie eine Superrevisionsinstanz ist das BVerfG ein nationales oberstes „Vorlagen-Kontroll-Gericht“. Vor diesem Hintergrund unterscheidet es drei Konstellationen[66]: Eine „grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht“ liegt erstens vor, wenn das Gericht die Vorlagepflicht grundsätzlich verkennt, eine Vorlage also überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es die Frage für entscheidungserheblich hält und selbst Zweifel an der richtigen Beantwortung der Vorlagefrage hat[67]. Die zweite Fallgruppe liegt vor, wenn die Entscheidung „bewusst von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht“[68]. Beide Varianten sind hier nicht einschlägig. Es liegt vielmehr zur entscheidungserheblichen Frage der Übertragbarkeit der Keck-Rechtsprechung noch keine EuGH-Entscheidung vor. Hat das Gericht „die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des Gerichtshofs nicht nur als entfernte Möglichkeit (Unvollständigkeit der Rechtsprechung)“[69], sei Willkür nur dann anzunehmen, „wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschreitet“[70].

60

Dies sei dann nicht der Fall, wenn das entsprechende Gericht nach Auslegung und Anwendung des materiellen Unionsrecht entweder zu dem vertretbaren Ergebnis gelangt, dass „die Rechtslage entweder von vorneherein eindeutig („acte claire“) oder durch Rechtsprechung in einer Weise geklärt ist, die keinen vernünftigen Zweifel offenlässt („acte éclaire“)“[71]. Das Gericht muss für diese Beurteilung die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs auswerten und sich mit den entsprechenden Vorschriften des materiellen Unionsrecht vertraut machen[72] und für sein Ergebnis eine einleuchtende Begründung liefern[73]. In der Sache hat es damit die anzulegenden Maßstäbe gegenüber der früheren Willkürkontrolle erheblich verschärft[74]. Die Schwierigkeiten, die die Keck-Formel EuGH und Generalanwalt bereiten, hätten nach der traditionellen Willkürformel dazu geführt, dass man die Entscheidung als jedenfalls nicht unhaltbar ansehen und damit die Verletzung der Vorlagepflicht hätte verneinen können. Nach den neuen Maßstäben hätte sich das Gericht intensiv(er) mit der Frage auseinandersetzen und angesichts der Unklarheiten um die Keck-Rechtsprechung[75] dem EuGH die Gelegenheit zur Rechtsfortbildung geben müssen. Daher liegt im Ergebnis auch ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG vor.

Hinweis:

Selbstverständlich ist an dieser Stelle mit der entsprechenden Begründung auch das gegenteilige Ergebnis begründbar. Entscheidender als die Kenntnis der aktuellen Rechtsprechung ist Problembewusstsein.

Anmerkungen

[1]

Die Grundfreiheiten können daher nicht unmittelbar mit der Verfassungsbeschwerde verteidigt werden, BVerfGE 110, 141, 154 f; Hillgruber, Verfassungsprozessrecht, Rn 126a mwN.

[2]

BVerfGE 111, 307, 317.

[3]

Vgl BVerfGE 111, 307, 329 f.

[4]

Pieroth, in: Jarass/Pieroth, Art. 93 Rn 80; Kingreen/Poscher, Grundrechte Rn 1255, 1265; Sachs, Verfassungsprozessrecht, 2004, Rn 447. Die Frage partiell fehlender Grundrechtsfähigkeit (hinsichtlich der Deutschengrundrechte) wird nach dieser Auffassung frühestens für die Frage der Verfassungsbeschwerdebefugnis relevant. Insoweit aA Benda/Klein, Verfassungsprozessrecht, 2. Aufl 2001, Rn 426; Hillgruber/Goos, Verfassungsprozessrecht, Rn 104 ff, die (auch) auf die konkret erhobene Verfassungsbeschwerde abstellen. Diese Auffassung wird vor allem damit begründet, dass sich ja jedermann auf die Prozessgrundrechte berufen könne und deswegen beteiligtenfähig sei, verwischt jedoch die Grenzen zur Verfassungsbeschwerdebefugnis. Selbstverständlich sind in der Klausur beide Auffassungen vertretbar.

[5]

StRspr, vgl BVerGE 12, 6, 8; 18, 441, 447; 64, 1, 11.

[6]

Inländisch ist also nach der hier vertretenen Auffassung ungeachtet der (möglicherweise „ausländischen“) Rechtsform eine juristische Person, die ihren Sitz, dh ihr faktisches Verwaltungszentrum, im Inland hat. Teile des Schrifttums hatten bisher weitergehend verlangt, dass die (inländische) juristische Person auch nicht von Ausländern beherrscht wird, vgl Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 19 Rn 22 mwN.

[7]

Zu dieser „Anwendungserweiterung des deutschen Grundrechtsschutzes“ ausf BVerfGE 129, 78, = NJW 2011, 3428, 3430 ff.

[8]

Vgl näher zum Beschwerdegegenstand Pieroth/Schlink, Grundrechte Rn 1233; aA Hillgruber/Goos, Rn 92. Dass die Aufspaltung in unterschiedliche „Streitgegenstände“ (für die dann auch in der Tat jeweils getrennt die Zulässigkeit der VB zu prüfen wäre, vgl Hillgruber/Goos, Rn 92a) nicht weiterführt, belegen die Ausführungen des BVerfG zu solchen Fällen, in denen sich die Verfassungsbeschwerde ausdrücklich auf die letztinstanzliche Entscheidung beschränkt. Hier entnimmt das BVerfG ggf der Begründung, dass sie sich auch gegen den im Verfahren aufrecht erhaltenen Ausgangsbescheid und die Entscheidungen der Vorinstanzen richtet, vgl BVerfGE 6, 386, 387; 54, 53, 64 ff. Würde es sich um einen nicht vom Antrag erfassten Streitgegenstand handeln, wäre dies prozessrechtlich unzulässig. Die tlw abweichende Argumentation in BVerfGE 19, 377, 389 ist nur mit der damaligen besonderen Lage in Berlin (Besatzungsvorbehalt) zu erklären. Beschränkt sich die materielle Prüfung gar wie hier bei der Urteilsverfassungsbeschwerde auf die Verfassungsmäßigkeit der zugrunde gelegten Norm (s. Rn 43), kann dies erst recht nicht als anderer Streitgegenstand gedeutet werden. Klausurtaktisch ist es nicht empfehlenswert diese Frage zu vertiefen.

[9]

BVerfGE 89, 155 LS 7; s. auch Streinz, Europarecht Rn 247.

[10]

BVerfGE 22, 293, 295 ff; Streinz, Europarecht Rn 245. Für die Prüfung der vom BVerfG in Anspruch genommenen erweiterten Kompetenzen bei sog „ausbrechenden Rechtsakten“ besteht hier kein Anlass, vgl dazu Mager, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim, EUV Art. 19 Rn 93 ff.

[11]

Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 151 ff mwN.

[12]

Vgl auch Kingreen/Poscher, Grundrechte Rn 1265, 130 ff mwN. BVerfG, NJW 2011, 3428 hatte diese Frage nicht zu entscheiden, da eine Verletzung des Art. 14 GG gerügt wurde. Es ist aber selbstverständlich vertretbar, diese Frage bereits iRd Verfassungsbeschwerdebefugnis zu erörtern.

[13]

BVerfGE 64, 1, 11.

[14]

Aber auch hinsichtlich der Norm läge die Voraussetzung vor: Das Rauchverbot ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, ohne dass es eines behördlichen Umsetzungsakts oder einer sonstigen hoheitlichen Maßnahme bedarf. Damit wäre auch eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde zulässig (davon gehen ohne weitere Begründung zB auch aus BVerfG, NVwZ 2011, 294; VerfGH RP, LKRZ 2010, 216).

[15]

Ausf zu den unterschiedlichen Begründungsansätzen Schenke, in: Kopp/Schenke, § 152a VwGO Rn 17 ff. Zum Verhältnis von Verfassungsbeschwerde und Anhörungsrüge Schenke, aaO Rn. 16c; Thiemann, DVBl 2012, 1422 jeweils mwN.

[16]

Die Entlastung des BVerfG war ausdrücklicher Zweck der Regelung, die auf eine Entscheidung des BVerfG zurückgeht, vgl BVerfG, NJW 2003, 1924; dazu auch Schenke, in: Kopp/Schenke, § 152a VwGO Rn 1 f.

 

[17]

Dazu ausf Kingreen/Poscher, Grundrechte Rn 1304 ff; zur vorliegenden Konstellation Schenke, Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, 1587, S. 59.

[18]

BVerfGE 97, 228, 252; s. auch Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG Art. 12 Rn 5.

[19]

BVerfGE 97, 228, 253; 105, 252, 265; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG Art. 12 Rn 13.

[20]

Selbstverständlich sind wie bei Art. 19 Abs. 3 GG auch hier beide Auffassungen vertretbar; man sollte die Frage allerdings nach einheitlichen Maßstäben beurteilen. Auch Art. 19a LV RP erstreckt die Deutschengrundrechte auf EU-Ausländer. Das BVerfG hat diese Frage allerdings bisher offen gelassen, vgl etwa BVerfG NJW 2016, 1436.

[21]

S. auch Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 126. Soweit der Prüfungsmaßstab bei der VB bereits als Problem der Zulässigkeit behandelt wurde, kann man sich kurz fassen und auf das Gesetz als den eigentlich entscheidenden Eingriff abstellen. Wer dort (nur) auf das letztinstanzliche Urteil abstellt, muss spätestens an dieser Stelle auf den begrenzten Prüfungsmaßstab eingehen, aber eben auch erkennen, dass die gesetzlichen Regelungen selbstverständlich voll auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft werden.

[22]

BVerfGE 7, 377, 401 f; Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG Art. 12 Rn 27.

[23]

Vgl zu den Gesetzgebungskompetenzen im Öffentlichen Wirtschaftsrecht Ruthig, in: Hendler/Hufen/Jutzi, Landesrecht RP, § 6 Rn 1 ff; aA Rossi/Lenski, NJW 2006, 2657, 2659 f; Siekmann, NJW 2006, 3382, 3384.

[24]

Degenhart, in: Sachs, GG Art. 125a Rn 6.

[25]

Degenhart, in: Sachs, GG Art. 74 Rn 52.

[26]

S. mwN Degenhart, in: Sachs, GG Art. 74 Rn 84; Rossi/Lenski, NJW 2006, 2657 ff.

[27]

So etwa ausdrücklich mit Bezug zum Rauchverbot Degenhart, in: Sachs, GG Art. 74 Rn 85; Siekmann, NJW 2006, 3382, 3383 f; Zuck, DÖV 1993, 936, 939. Dass Nr. 19 auch die Prävention erfasst, ist unstreitig, s. nur Degenhart, in: Sachs, GG Art. 74 Rn 85 mwN.

[28]

So auch Scheidler, BayVBl. 2010, 645; für Rheinland-Pfalz Krist, LKRZ 2008, 452. Ausf zu weiteren möglichen Kompetenztiteln Rossi/Lenski, NJW 2006, 2657 ff; Siekmann, NJW 2006, 3382 ff; als Klausurfall (Bundesgesetz) Betzinger/Wöhler, NdsVBl. 2009, 59.

[29]

S. etwa BVerfGE 7, 377, 405 f; 93, 362, 369; 103, 1, 10.

[30]

BVerfGE 81, 156, 186.

[31]

BVerfGE 77, 84, 106.

[32]

Nach Auffassung des Deutschen Krebsforschungszentrums in Heidelberg (DKFZ) gibt es keine anderen Gewerbebetriebe mit einem vergleichbaren und dabei leicht vermeidbaren Gesundheitsrisiko, vgl www.tabakkontrolle.de.

[33]

Ebenso die Entscheidungen des BVerfG, NJW 2008, 2409 und 2701 sowie dem folgend RhPfVerfGH, LKRZ 2008, 454. Vgl auch BVerfG, NVwZ 2010, 1289 zum neuerlichen strikten Rauchverbot in Bayern.

[34]

BVerfG, GewArch 2009, 450 im Anschluss an BVerfGE 121, 317.

[35]

BVerfG, NJW 2008, 2409. Allerdings hatte lediglich Bayern mit dem Gesundheitsschutzgesetz (GSG) v. 20.12.2007 (BayGVBl. S. 919) ein striktes Rauchverbot ohne Ausnahmetatbestände erlassen, das vom BVerfG ausdrücklich gebilligt worden ist, s. BVerfG, NJW 2008, 2701 m. Aufs. Bäcker, DVBl. 2008, 1179. Diese wurde dann zunächst gelockert (zur Verfassungsmäßigkeit dieser Regelung BVerfG, NVwZ 2010, 38), anschließend jedoch in dem durch einen Volksentscheid beschlossenen neuen Gesundheitsschutzgesetz v. 23.7.2010 (BayGVBl S. 314) wiederhergestellt; zu dessen Verfassungsmäßigkeit BVerfG, NVwZ 2010, 1289.

[36]

BVerfG. NVwZ 2011, 294 zu einer bayer. Shisha-Kneipe. Ebenso VerfGH Bayern in seiner Eilentscheidung v. 24.9.2010, NVwZ-RR 2010, 946 ff.

[37]

S. auch Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 146 f; speziell zu Rheinland-Pfalz Ruthig, in: Hendler/Hufen/Jutzi, Landesrecht RP, § 6 Rn 20 f. Der wesentliche Inhalt der Norm (Nichtraucherschutzgesetz RP v. 5.10.2007 (GVBl. S. 188) idF des Änderungsgesetzes v. 26.5.2009 (GVBl. S. 205), auf den sich die Ausführungen im Text beziehen, wurde im Sachverhalt wiedergegeben; vergleichbare Ausnahmeregelungen finden sich in allen Bundesländern, die kein uneingeschränktes Rauchverbot erlassen haben; die Unterschiede im Detail spielen für die verfassungsrechtliche Argumentation zum Kohärenzgebot keine Rolle.

[38]

Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 146.

[39]

Sie geht auf eine Vereinbarung zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung und dem Bundesverband des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes vom 1.3.2005 zurück und wurde damit begründet, dass für kleinere Lokale eine Trennung von Raucher- und Nichtraucherbereichen „in aller Regel nicht sinnvoll“ sei.

[40]

Vor allem auf diese Erwägung haben die Antragssteller ihre Popularklage (Az.: Vf. 12-VII-10 v. 24.9.2010) gegen das strikte bayerische Nichtraucherschutzgesetz, das auch keine Ausnahme von dem Verbot bei sog. Shisha-Cafés oder sonstigen Raucherkneipen zulässt, gestützt.

[41]

S. VerfGH Berlin, GewArch 2008, 410; VerfGH Saarland, LKRZ 2008, 117 ff.

[42]

So schon das Minderheitsvotum von Bryde (Rn 172 ff): Das Mehrheitsvotum versage dem Gesetzgeber einen ausbalancierten und differenzierten Nichtraucherschutz und zwinge mit dem absoluten Rauchverbot zu einer unverhältnismäßigen Extremlösung, die die Gefahr paternalistischer Bevormundung berge; zustimmend Gröschner, ZG 2008, 400.

[43]

Dazu Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 148 mwN.

[44]

BVerfG, NJW 1987, 577, 578.

[45]

BVerfG, NJW 1987, 577, 578.

[46]

EuGH, Slg 1982, 3415, 3431 = NJW 1983, 1257.

[47]

S. EuGH, Slg 1995, 4165 –„Gebhard“; Bröhmer, in: Calliess/Ruffert, Art. 49 AEUV Rn 13.

[48]

EuGH v. 8.5.1990, Rs. C-175/88 – „Biehl“, Rn 14, Slg 1990, I-1789.

[49]

Friauf, in: Friauf, GewO, § 1 Rn 152 f. Grundlegend zur faktischen Diskriminierung bei der Niederlassungsfreiheit EuGH v. 28.4.1977, Rs. C-71/76 – „Thieffry“, Rn 13 f, Slg 1977, 765.

[50]

EuGH v. 11.7.1974, Rs.C-8/74 – „Dassonville“, Rn 5, Slg 1974, 837.

[51]

EuGH v. 24.11.1993, Rs. C-268/91 – ,,Keck“, Slg I-1993, 6097.

[52]

EuGH v. 10.5.1995, Rs. C-384/93 – ,,Alpine Investments“, Slg 1995, I-1141.

[53]

Dazu Streinz, Europarecht Rn 840 f.; zurückhaltender Müller-Graf, in: Streinz, AEUV Art. 56 Rn 88.

[54]

EuGH, Slg 1995, I-4165, 4197, Rs. C-55/94 – „Gebhard“; s. auch Classen, EuR 2004, 416.

[55]

Classen, EuR 2004, 416, 418.

[56]

EuGH v. 11.12.2003, Rs. C-322/01 – ,,Doc Morris“, Slg 2003, I-14887 = NJW 2004, 131. Ebenso sogar für ein Verkaufsmonopol von Apotheken für Babynahrung EuGH v. 29.6.1995, Rs. C-391/92 – „Kommission/Griechenland“, Rn 11 ff, Slg 1995, I-1621.

[57]

Diese ungeschriebene Schranke ist erstmals in EuGH v. 20.2.1979, Rs. C-120/78 – „Cassis de Dijon“, Rn 8, Slg 1979, 649, 662 eingeführt worden. Sie findet ihre aktuelle, leicht veränderte Fassung in EuGH v. 26.6.1995, Rs. C-368/95 – „Vereinigte Familiapress/Bauer Verlag“, Rn 8, Slg 1997, I-3689, 3713. Die Anwendung dieser allgemeinen Grundfreiheitendogmatik auf die Niederlassungsfreiheit behandelt EuGH v. 31.3.1993, Rs. C-19/92 – „Kraus“, Rn 32, Slg 1993, 1663. Ausführlich zur Cassis-Rechtsprechung und den Reaktionen des Schrifttums Kingreen, in: Calliess/Ruffert, AEUV Art. 34 – 36 Rn 80 ff.

[58]

LT-Drs. 15/1105, S. 7 und 11 f.

[59]

S. vor allem EuGH, NVwZ 2010, 1409 – „Markus Stoß“; EuGH, NVwZ 2010, 1422 – „Carmen Media Group“; zusammenfassend der Schlussantrag des GA v. 27.10.2011 – C-72/10 – „Costa und Cifone“. Vgl auch Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 69 f; Streinz, Europarecht, Rn 847.

[60]

S. schon EuGH v. 6.11.2003 – Rs. C-243/01- „Gambelli“, NJW 2004, 139, 140, Rn 65 und 67.

[61]

EuGH, Slg 1982, 3415, 3430. S. dazu auch Roth, NVwZ 2010, 345, 347.

[62]

BVerfG, NJW 1988, 1456: „Durch eine Maßnahme, Unterlassung oder Entscheidung eines Gerichts wird der gesetzliche Richter mithin nur dann entzogen und damit Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG verletzt, wenn diese Maßnahme, Unterlassung oder Entscheidung auf Willkür beruht (BVerfGE 19, 38, 43; 29, 198, 207; 31, 145, 169. Dies gilt auch, wenn ein Gericht die Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht, das über eine bestimmte Rechtsfrage zu entscheiden hat, außer Acht lässt“ (st Rspr seit BVerfGE 29, 198, 207.

[63]

So aber EGMR v. 13.2.2007 – 15073/03, EuGRZ 2008, 274 (276) – John/Deutschland zum Maßstab bei Art. 6 Abs. 1 EMRK: keine Willkür der Nichtvorlage, wenn der Betroffene keinen hinreichend substantiierten Antrag stellt, dh die Vorlage weder ausdrücklich beantragt noch eine ausdrückliche und präzise Begründung für die behauptete Notwendigkeit einer Vorabentscheidung gibt; vgl auch Roth, NVwZ 2010, 345.

[64]

BVerfG, Beschluss v. 15.12.2016, Az. 2 BvR 222/11, Rn 28; vgl BVerfGE 126, 286, 315 f; 128, 157, 187; 129, 78, 106; 135, 155 = NVwZ 2014, 646, 657 Rn 180.

[65]

BVerfG, NJW 1988, 1456, 1457.

[66]

Dazu BVerfGE 135, 155; s, auch BVerfG, Beschluss v. 20.02.2017, Az. 2 BvR 63/15 (juris); BVerfG, Beschluss v. 15.12.2016, Az. 2 BvR 222/11.

[67]

Vgl BVerfGE 82, 159, 195 f; 126, 286, 316 f; 128, 157, 187 f; 129, 78, 106 f; 135, 155, 232.

[68]

BVerfGE 135, 155 = NVwZ 2014, 646, 657 Rn 182.

[69]

Другие книги автора