Klausurenkurs im Öffentlichen Wirtschaftsrecht

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b) Irrelevanz der Wahl der falschen Rechtsgrundlage bei vergleichbaren Ermessenserwägungen

105

Die Behörde hat also mit § 59 GewO die falsche Rechtsgrundlage gewählt. Dies macht den Verwaltungsakt allerdings nicht ohne weiteres rechtswidrig[8]. Vielmehr kommt es im Ergebnis darauf an, ob die Behörde zutreffende Ermessenserwägungen angestellt hat. Um dies zu beurteilen, ist zunächst zu prüfen, wie die Behörde hätte vorgehen müssen: Wenn eine Reisegewerbekarte vorliegt, ist diese zunächst zurückzunehmen und erst dann gegen das Gewerbe einzuschreiten. Da die „fingierte“ Genehmigung genauso zu behandeln ist wie eine behördlich erteilte, gilt hier nichts Anderes. Allerdings wird gerade bei der fingierten Genehmigung eine konkludente Aufhebung für möglich gehalten. Jedenfalls dann, wenn die Behörde davon ausgeht, dass eine Genehmigung überhaupt nicht vorlag, sollte man die konkludente Aufhebung nicht am fehlenden Aufhebungswillen scheitern lassen[9].

Die getroffene Maßnahme ist jedoch nur dann rechtswidrig, wenn die tatsächlich angestellten Ermessenserwägungen unzutreffend gewesen wären. Auch eine erteilte Genehmigung kann unter den gleichen Voraussetzungen zurückgenommen werden, da § 59 ja gerade auf den Versagungsgrund des § 57 GewO verweist[10]. Weitere Ermessenserwägungen wären nur anzustellen, wenn bei der Rücknahme auch Vertrauensschutzgesichtspunkte eine Rolle spielen würden, die gem. § 48 VwVfG auch bei rechtswidrigen Verwaltungsakten in Betracht kommen.

c) Reisegewerbekartenfreiheit der Tätigkeit

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Allerdings könnte eine Besonderheit des Falles darin liegen, dass überhaupt keine Genehmigung erforderlich war. Es könnte sich um einen „rollenden Laden“ gehandelt haben, der gem. § 55a Abs. 1 Nr. 9 GewO keiner Reisegewerbekarte bedarf[11]: Inhaltlich erstreckt sich die Privilegierung nur auf den Vertrieb von Lebensmitteln und anderen Waren des täglichen Bedarfs. Der Vertrieb umfasst nach der Legaldefinition in § 55 Abs. 1 Nr. 1 GewO sowohl das Feilbieten von Waren als auch das Aufsuchen von Bestellungen von Waren. Lebensmittel sind insbes Produkte des Obst- und Gemüseanbaus, der Land- und Forstwirtschaft und der Fischerei sowie rohe Naturerzeugnisse[12]. Weil das Verbot des § 56 Abs. 1 Nr. 3b GewO nach Nr. 9 letzter Hs. keine Anwendung findet, dürfen auch Alkoholika jeglicher Art feilgeboten werden[13]. Hinzu kommen Waren des täglichen Bedarfs, die man typischerweise in einem Supermarkt finden würde. Dies können etwa Kurzwaren, Reinigungs- und Putzmittel, Kleintextilien und kleinere Gartengeräte sein[14]. Zur Definition der Waren des täglichen Bedarfs verweist die Gesetzesbegründung auf die Wochenmarktartikel nach § 67 Abs. 2 GewO. Nach § 67 Abs. 2 GewO können die Landesregierungen zur Anpassung an die wirtschaftliche Entwicklung und die örtlichen Bedürfnisse der Verbraucher durch Rechtsverordnung den Kreis der Waren des täglichen Bedarfs bestimmen[15]. Die Artikel der Marktordnung der Stadt K decken sich hier mit dem Angebot der S. Aufgrund dieser gesetzlich angeordneten Systematik genießt die S hier die Privilegierung des § 55a Abs. 1 Nr. 9 GewO. Sie bedurfte daher keiner Genehmigung.

d) Zwischenergebnis

107

Für das Ergebnis wurde dieser Fehler aber gerade nicht relevant. Vielmehr hat die Behörde sich ja gerade auf die Vorschrift gestützt, die anzuwenden gewesen wäre, wenn es nicht zu der (fingierten) Genehmigung gekommen wäre. Das Einschreiten hätte also tatsächlich wie geschehen nach § 59 iVm § 57 GewO erfolgen müssen. Es wurde lediglich die entgegenstehende Genehmigung nicht aufgehoben, die nach § 6a GewO fingiert wurde, aber ihrerseits rechtswidrig war, weil es sich um eine reisegewerbekartenfreie Tätigkeit gehandelt hat.

2. Unzuverlässigkeit

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Zu prüfen ist daher, inwieweit S unzuverlässig im Sinne von § 57 GewO gewesen ist. Die Unzuverlässigkeit des A ist infolge des Verkaufs verbotener Produkte zu bejahen. Es erscheint jedoch problematisch, ob dieses Verhalten der S zugerechnet werden kann. In jedem Fall zurechenbar ist das Verhalten von Vertretungsberechtigten bzw Betriebsleitern. Gegen diese kann nach § 59 iVm § 35 Abs. 7a GewO[16] ein eigenes Untersagungsverfahren durchgeführt werden, das allerdings akzessorisch zum Hauptverfahren ist und somit eine Untersagung gegen den Gewerbetreibenden voraussetzt. Bei sonstigen Dritten erfolgt keine unmittelbare Zurechnung deren Verhaltens; es kann sich jedoch die Unzuverlässigkeit des Gewerbetreibenden selbst daraus ergeben, dass er einem unzuverlässigen Dritten maßgeblichen Einfluss einräumt und nicht willens oder in der Lage ist, diesen Einfluss auszuschalten. Dies wird man hier in Person des A bejahen können. Die Entlassung des A könnte zwar aufgrund des Charakters der Untersagung aufgrund von Unzuverlässigkeit als Prognoseentscheidung begünstigend für die S berücksichtigt werden. Da es sich bei der Gewerbeuntersagung um einen Dauerverwaltungsakt handelt, wäre diese begünstigende Tatsache auch relevant. Allerdings verweist § 59 GewO auf § 35 Abs. 6 GewO, der ein Gestattungsverfahren vorsieht. Maßgeblicher Zeitpunkt der Beurteilung der Unzuverlässigkeit ist daher die letzte Behördenentscheidung (hier der Erlass der Untersagungsverfügung), nicht die letzte mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht. Die Entlassung des A ist bei Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Untersagung somit nicht mehr zu berücksichtigen[17].

3. Ergebnis

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Da für Ermessensfehler keine Anzeichen vorliegen, konnte die Behörde grundsätzlich aufgrund von § 59 iVm § 57 GewO die Untersagung verfügen. Im Ergebnis war die Maßnahme daher rechtmäßig.

Aufgabe 3: Ausschluss von der Teilnahme am Wochenmarkt
1. Rechtmäßigkeit des Ausschlusses von der Teilnahme am Markt (§ 70a GewO)

110

S wurde wegen fehlender Reisegewerbekarte und des Anbietens alkoholischer Getränke von der Teilnahme am Wochenmarkt ausgeschlossen. Die Rechtsgrundlage für einen solchen Ausschluss ist § 70a GewO oder die entsprechende landesrechtliche Bestimmung[18].

a) Keine Reisegewerbekartenpflicht für die Teilnahme am Wochenmarkt

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Wer eine erforderliche (gewerbebezogene) Erlaubnis nicht einholt, ist grundsätzlich unzuverlässig. Allerdings stellt sich die Frage, ob hier eine solche Erlaubnis überhaupt erforderlich ist. Schon aufgrund der Systematik der GewO hat die Festsetzung einer Veranstaltung ua zur Folge, dass die Vorschriften des Titels III keine Anwendung finden. Danach entfällt bei einer Teilnahme an einem nach Titel IV festgesetzten Markt die Reisegewerbekartenpflicht[19].

Hinweis:

Sofern das Marktrecht des Titel IV wie in Rheinland-Pfalz durch ein Landesmarktgesetz ersetzt wird, stellt sich außerdem die Frage, welche Konsequenzen das auf das Verhältnis von Markt- und Reisegewerbe hat. Ginge man davon aus, dass ein Landesmarktgesetz die Anwendbarkeit des Titels III der GewO nicht sperren kann, läge ein Fall des Reisegewerbes vor. Allerdings ist zu berücksichtigen, dass aufgrund der Föderalismusreform das bisher „einfachgesetzliche Trennungsprinzip“ der GewO „Verfassungsrang“ erhielt. Indem es nunmehr über die Gesetzgebungskompetenz entscheidet, sollte es damit sicherlich nicht seiner praktischen Bedeutung beraubt werden. Für diese Auffassung sprechen aber vor allem systematische Gründe. Das Marktrecht ist gerade keine Spezialform des Reisegewerbes, sondern eine eigenständige Form der Gewerbeausübung. Auch die Schutzbedürfnisse unterscheiden sich. Wer den Markt gezielt aufsucht, rechnet mit der Kontaktaufnahme durch die Gewerbetreibenden. Daher bedarf im Ergebnis auch die Teilnahme an landesrechtlich festgesetzten Märkten keiner Reisegewerbekarte[20].

b) Besonderheiten bei Alkoholausschank

112

Die Reisegewerbefreiheit gilt allerdings für gaststättenspezifische Leistungen nur eingeschränkt. Speisen und alkoholfreie Getränke können zum Verzehr an Ort und Stelle auf festgesetzten Märkten nach § 18 Abs. 1 S. 1 LMAMG (§ 68a GewO) ohne Reisegewerbekarte angeboten werden; in den anderen Fällen, also vor allem für den Alkoholausschank, gelten nach Satz 2 die allgemeinen (gaststättenrechtlichen) Vorschriften[21]. Allerdings erscheint es unverhältnismäßig wegen des Alkoholausschanks die Teilnahme am Markt zu untersagen; es würde genügen auf das Erfordernis einer gaststättenrechtlichen Erlaubnis oder einer Gestattung (§ 12 GastG) hinzuweisen und allenfalls (vorübergehend) das Sortiment entsprechend zu begrenzen.

 

2. Ergebnis

113

Im Ergebnis war der Ausschluss vom Wochenmarkt daher rechtswidrig.

Anmerkungen

[1]

Zu den hier nicht relevanten prozessualen Fragen Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 276 f.

[2]

So oder ähnlich die allgemeine Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, vgl BVerwG, NJW 1977, 772; Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 214 ff jeweils mwN. S. zu Personengesellschaften als Gewerbetreibende Ruthig, in: Ruthig/Storr, 4. Aufl 2015, Rn 265 ff.

[3]

Marcks, in: Landmann/Rohmer, GewO § 14 Rn 54.

[4]

Zu diesem Kernanliegen der „Strohmannproblematik“ Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 236. Im Ergebnis spielt die „Strohmannproblematik“ daher nur bei § 35 GewO eine Rolle.

[5]

Dazu näher Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 276 f.

[6]

Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 255.

[7]

Näher dazu Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 268; Storr, in: Pielow, GewO § 6a, Rn 14.

[8]

BVerwG, NVwZ 1990, 673.

[9]

Vgl allgemein Kopp/Ramsauer, VwVfG § 48 Rn 29 Fn 70; enger (konkludente Aufhebung nur, wenn sich die Behörde der fingierten Genehmigung bewusst ist, U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, § 42a Rn 60; OVG Münster, NVwZ 1993, 76. Die Genehmigungsfiktion beruht auf der Dienstleistungsrichtlinie, aus der sich jedoch keine Anforderungen an die Aufrechterhaltung „rechtswidrig fingierter“ Genehmigungen ergeben, vgl U. Stelkens, aaO Rn 62; aA Comils, in: Schlachter/Ohler, Dienstleistungsrichtlinie, Art. 13 Rn 27; Ziekow, WiVerw 2008, 176, 187. Dies gilt umso mehr, wenn eine Genehmigung tatsächlich nicht erforderlich ist.

[10]

Allgemein zu dieser Problematik Schulz, in: Mann/Sennekamp/Uechtritz, VwVfG, § 47 Rn 23.

[11]

Dazu auch Ruthig, in: Ruthig/Storr Rn 346 f.

[12]

Die Gesetzesbegründung verweist auf § 1 LMBG, vgl Schönleiter, in: Landmann/Rohmer, GewO § 55a Rn 58; vgl OVG Münster, GewArch 1987, 59. Allerdings ist das LMBG im Jahre 2005 durch das LFGB ersetzt worden. Maßgeblich ist deshalb nunmehr § 2 Abs. 2 LFGB, der seinerseits auf die Definition in Art 2 VO (EG) 178/2002 verweist.

[13]

Rossi, in: Pielow, GewO § 55a Rn 20.

[14]

Schönleiter, in: Landmann/Rohmer, GewO § 55a Rn 58. Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks 10/1125, S. 11) sollen die rollenden Läden gerade solche typischen Versorgungsfunktionen übernehmen.

[15]

S. zu Beispielen aaO § 67 Rn 22.

[16]

Dazu Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 300 ff.

[17]

Näher dazu Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 289 ff; Brüning, in: Pielow, GewO § 35, Rn 59; Schenke, GewArch 2015, 473.

[18]

Eine solche Vorschrift existiert derzeit nur in Rheinland-Pfalz. Dort ist daher an Stelle der GewO (ohne sachliche Änderungen) § 16 Abs. 1 LMAMG; vgl dazu Ruthig, in: Hendler/Hufen/Jutzi, Landesrecht RP § 6 Rn 10 f. Zum Verhältnis zwischen § 70a GewO und §§ 35, 59 GewO vgl näher Storr, in: Pielow, GewO § 70a, Rn 14 ff.

[19]

Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 369 mwN.

[20]

Dazu näher Ruthig, in: Ruthig/Storr, Rn 349 mwN; zum gegenteiligen Ergebnis gelangt Bickenbach, LKRZ 2014, 265, 268.

[21]

Vgl dazu näher Storr, in: Pielow, GewO, § 68a Rn 14 ff. Nach § 1 Abs. 2 GastG unterliegt der Alkoholausschank im Reisegewerbe weiterhin dem GastG, s bereits Metzner, GastG § 1 Rn 140. In Rheinland-Pfalz gilt das GastG fort, in den anderen Bundesländern ist an dieser Stelle das jeweilige LGastG heranzuziehen.

Fall 5 Maximale Sicherheit

Inhaltsverzeichnis

Vorüberlegungen

Gliederung

Lösung

114

1. Teil

Die in Dublin nach irischem Recht gegründete und als rechtsfähige Gesellschaft ordnungsgemäß registrierte „Maximum Safety Private Company Limited by Shares“ (MS Ltd.) sieht in Deutschland glänzende Geschäftsaussichten für den Schutz von Juwelier- und Handygeschäften vor Ladendiebstählen und hat deshalb ihr Geschäftsgebiet auf Deutschland ausgedehnt. Sie hat im Jahr 2013 Geschäftsräume in der rheinland-pfälzischen kreisfreien Stadt S gemietet und lässt die Zweigniederlassung durch den angestellten deutschen Betriebsleiter B führen. 20 festangestellte Mitarbeiter der MS Ltd. betätigen sich im hochdotierten Auftrag interessierter Geschäftsinhaber als Ladendetektive, die in den Geschäften unauffällig die Kundschaft beobachten und im Fall eines Ladendiebstahls nach der vollendeten Wegnahme von Gegenständen und nach Passieren der Kassenzone den Dieb ansprechen.

Durch das Finanzamt erfährt die Stadtverwaltung von S im Dezember 2016, dass die MS Ltd. seit zwei Jahren die Lohnsteuer für die Beschäftigten nicht abgeführt hat. Insgesamt belaufen sich die Steuerschulden auf 350 000 €. Bei der Prüfung des Vorgangs stellt die Stadtverwaltung mit Entsetzen fest, dass die MS Ltd. für ihre Tätigkeit zu keinem Zeitpunkt eine Genehmigung beantragt hat. Die Stadtverwaltung leitet daraufhin ein Untersagungsverfahren ein und fordert die MS Ltd. zur Stellungnahme auf. Die MS Ltd. trägt durch einen Anwalt vor, die Art ihrer Tätigkeit in S sei nicht genehmigungspflichtig. Sie sei in Irland als Bewachungsunternehmen registriert. Eine weitere Erlaubnispflicht in Deutschland sei mit den Grundfreiheiten des Unionsrechts nicht zu vereinbaren, weshalb sie einen Erlaubnisantrag nicht gestellt habe und nicht stellen werde. Wegen der steuerlichen Angelegenheiten möge man sich direkt an B wenden, da dieser aufgrund der Regelungen seines Anstellungsvertrages – was zutrifft – für die korrekte Abführung der Lohnsteuer verantwortlich gewesen sei.

Die Behörde untersagt durch Bescheid vom 14. Februar 2017 der MS Ltd. gestützt auf § 15 Abs. 2 GewO die Fortsetzung des Betriebs und ordnet die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Die MS Ltd. habe das Bewachungsgewerbe ohne die erforderliche Erlaubnis betrieben und zeige sich hinsichtlich der Erlaubnispflicht nach wie vor uneinsichtig. In Anbetracht der Uneinsichtigkeit der MS Ltd. bestehe kein anerkennenswertes Interesse an der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs.

Die MS Ltd. will gegen die Verfügung vom 14. Februar gerichtlich vorgehen. Auf welchem Weg und mit welchen Erfolgsaussichten?

2. Teil

Zudem leitet die Stadtverwaltung gegen die MS Ltd. ein auf § 35 GewO gestütztes Untersagungsverfahren ein mit dem Ziel, die weitere Beschäftigung des B als Betriebsleiter zu unterbinden. Parallel leitet sie ein Verfahren gegen B ein. Am 16. Februar 2017 ergeht ein an B gerichteter Bescheid, nachdem ihm Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Mit der Verfügung wird B jede Tätigkeit als Leiter eines Betriebs und jede Tätigkeit als selbstständiger Gewerbetreibender für das Bewachungsgewerbe oder ein anderes Gewerbe iSv § 35 GewO untersagt. Wegen der steuerlichen Verfehlungen müssten künftige Betriebsleitungen durch B verhindert werden. Andererseits sei nicht auszuschließen, dass B versuchen werde, in die Selbstständigkeit auszuweichen. Deshalb müssten derartige Tätigkeiten des B vorsorglich unterbunden werden. Im Verfahren gegen die MS Ltd. ergeht hingegen zunächst kein Bescheid.

B fragt den Anwalt R, ob der Bescheid vom 16. Februar rechtmäßig ist.

Bearbeitervermerk:

Unionales Sekundärrecht, insb. die Richtlinie 2005/36/EG über die Anerkennung von Berufsqualifikationen vom 7.9.2005, ist nicht zu prüfen.

Fall 5 Maximale Sicherheit › Vorüberlegungen

Vorüberlegungen

115

Die zweiteilige Klausur ist sehr anspruchsvoll. Der erste Teil ist prozessual in einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eingekleidet. Hier muss erkannt werden, dass ein Antrag nach § 80 Abs. 5 S. 1 Alt. 2 VwGO schon dann erfolgreich ist, wenn die formellen Voraussetzungen einer Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO nicht vorliegen. Das Schwergewicht des 1. Teils liegt allerdings im materiellen Recht. Während von den Bearbeiter/innen nicht mehr als Grundkenntnisse zum Tatbestand des genehmigungsbedürftigen Bewachungsgewerbes verlangt werden, ist das Genehmigungserfordernis an den unionalen Grundfreiheiten, hier: der Niederlassungsfreiheit, zu messen. Die Grundfreiheiten bleiben jedenfalls solange maßstäblich, wie der europäische Gesetzgeber nicht die Zugangsvoraussetzungen zu bestimmten Gewerben sekundärrechtlich harmonisiert – wie dies beispielsweise mit der Dienstleistungsrichtlinie (RL 2006/123/EG) geschehen ist, die nach Art. 2 Abs. 2 lit. k allerdings nicht für das private Sicherheitsgewerbe gilt. Bislang wurde mit der Richtlinie 2005/36/EG erst ein System der wechselseitigen Anerkennung von Befähigungsnachweisen geschaffen, aber an mitgliedstaatlichen Genehmigungserfordernissen nicht gerüttelt.

Der 2. Teil der Klausur ist vor allem eine „Knobelarbeit“, die Sorgfalt und Genauigkeit verlangt. Zu prüfen sind mehrere auf § 35 Abs. 7a GewO gestützte Verfügungen, die – der Praxis entsprechend – in einem formellen Verwaltungsakt zusammengefasst sind. Hier muss zunächst ermittelt werden, welche Ermächtigungsgrundlage für die jeweils dem Betriebsleiter untersagte Tätigkeit verfügbar ist. Dabei ergeben sich im Zusammenspiel von § 35 Abs. 7a und Abs. 1 S. 1 und 2 GewO die verschiedensten Kombinationsmöglichkeiten. Des Weiteren muss herausgearbeitet werden, in welchem Verhältnis ein Einschreiten gegen den Betriebsleiter zu einer Untersagung gegenüber dem Gewerbetreibenden steht (personelle Akzessorietät). Zudem muss das Verhältnis der verschiedenen Untersagungen gegenüber dem Betriebsleiter (sachliche Akzessorietät) bestimmt werden.

 

Fall 5 Maximale Sicherheit › Gliederung

Gliederung

116


1. Teil: Vorgehen der MS Ltd. gegen den sofort vollziehbaren Bescheid
A. Zulässigkeit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO
I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs
II. Statthafte Rechtsschutzform
III. Beteiligungsfähigkeit der MS Ltd.
IV. Antragsbefugnis
V. Einlegung eines Widerspruchs
VI. Allgemeines Rechtsschutzbedürfnis
B. Begründetheit eines Antrags nach § 80 Abs. 5 S. 1 VwGO
I. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung
1. Zuständige Behörde
2. Verfahren
3. Form
II. Interessenabwägung
1. Ermächtigungsgrundlage
2. Formelle Rechtmäßigkeit
a) Zuständigkeit
b) Verfahren
c) Form
3. Materielle Rechtmäßigkeit
a) Tatbestandliche Voraussetzungen
b) Erlaubnisfreiheit wegen Niederlassungsfreiheit?
aa) Form
bb) Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit
cc) Eingriff in die Niederlassungsfreiheit
dd) Rechtfertigung der Beschränkung
c) Ermessen
4. Besonderes öffentliches Vollzugsinteresse
5. Ergebnis
C. Gesamtergebnis zum 1. Teil
2. Teil: Rechtmäßigkeit des an B gerichteten Bescheids
A. Ermächtigungsgrundlage
B. Formelle Rechtmäßigkeit
I. Zuständigkeit
II. Verfahren
III. Form
C. Materielle Rechtmäßigkeit
I. Einleitung eines Verfahrens gegen die MS Ltd.
II. B als mit der Leitung des Betriebs beauftragte Person
III. Akzessorietät hinsichtlich der untersagten Tätigkeiten
IV. Unzuverlässigkeit des B im Hinblick auf die untersagten Tätigkeiten
V. Erforderlichkeit
VI. Ermessen
D. Gesamtergebnis zum 2. Teil

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