Liebe im Exzess

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ZWEITER TEIL - D´Elmonts große Liebe

Die glücklichen Gesichter des frisch verheirateten Paares steigerten die Ungeduld des Chevalier Brillian, seine geliebte Ansellina wiederzusehen, so sehr, dass er wenige Tage nach der Hochzeit von den beiden Abschied nahm und nach Amiens fuhr; weil das Glück der Menschen aber selten von langer Dauer ist und Alovisa, deren höchste Freude darin bestand, ihren bezaubernden Gatten zu besitzen, sich dessen sicher wähnte und unterschätzte, was die Zukunft bringen könnte, wurde es Zeit für das Schicksal, das ihr lange genug hold gewesen war, nun an seinem Rad zu drehen und die Anmaßung zu bestrafen, die sich seiner Macht widersetzte.

Als sie eines Tages beim Dinner saßen, brachte ein Bote dem Count D´Elmont die Nachricht, dass Monsieur Frankville plötzlich so schwer erkrankt war, dass seine Ärzte um sein Leben bangten und er sofort mit dem Count zu sprechen wünsche. Dieser Gentleman war sein Vormund während seiner Minderjährigkeit gewesen, und die Sorgfalt und Treue, mit der diese Aufgabe erfüllt worden war, ließen den Count zu Recht die Aussicht bedauern, einen so guten Freund zu verlieren. Er machte sich unverzüglich auf den Weg und fand ihn so vor, wie der Diener es berichtet hatte, also in einem Zustand, der keine Hoffnung auf Besserung zuließ. Als Monsieur den Count in sein Gemach eintreten sah, wünschte er mit ihm allein gelassen zu werden, was die anderen sofort befolgten.

„Mein lieber Schützling.“ Er nahm den Count bei der Hand und drückte sie an seine zitternde Brust. „Ihr seht mich an der Schwelle zum Tod, doch das Wissen um Eure vielen Vorzüge und mein Vertrauen in Euch, dass Ihr mir nicht abschlagt, um was ich Euch gleich bitten werde, lassen mich den Gedanken daran einigermaßen ertragen.“

Der Count sicherte ihm seine Bereitschaft zu, jeden ihm aufgetragenen Dienst auszuführen, und ermunterte den alten Gentleman, mit seiner Rede fortzufahren.

„Euch ist nicht unbekannt, mein Lord“, sprach dieser also weiter, „dass mein einziger Sohn auf seinen Wunsch und mit meiner Zustimmung durch ganz Europa reist. Ich habe aber eine Tochter und bitte Euch, sie als Schützling anzunehmen. Da sie in einem Kloster erzogen wurde, ist sie bisher ganz unvertraut mit den Lustbarkeiten eines Hofes oder den Gesprächen der Beau Monde; ich möchte, dass sie , und ich habe nach ihr geschickt, um sie nach Paris zu holen; ich möchte, dass sie in die Gesellschaft eingeführt wird, wie es für eine junge Lady sich gehört, die ich niemals für die Zurückgezogenheit bestimmt habe. Ich weiß nicht, ob sie rechtzeitig hier sein wird, bevor ich meine Augen schließe, aber wenn Ihr mir versprecht, dass Ihr sie in Eurem Haus empfangt und ihrer schlichten und unerfahrenen Jugend nicht erlaubt, in jene Fallen zu tappen, die für die Unschuld täglich ausgelegt werden, und so weit für sie sorgt, dass weder sie noch das Vermögen, das ich ihr hinterlasse, an einen Mann weggeworfen wird, der ihrer nicht würdig ist – dann werde ich zufrieden sterben.“

D´Elmont versicherte ihm daraufhin mehrmals, seine Bitte zu erfüllen, und bot von sich aus an, falls Monsieur keiner anderen Person mehr Vertrauen entgegenbrächte, das vollständige von ihm hinterlassene Vermögen so lange zu verwalten, bis der junge Frankville zurückkehren würde. Der besorgte Vater freute sich außerordentlich über diesen Gefallen und dankte ihm in hochschätzenden und liebenden Worten; sie verbrachten noch einige Stunden damit, diese Angelegenheit in Einzelheiten zu besprechen, und vielleicht hätte es nicht so bald geendet, wäre nicht die Nachricht überbracht worden, dass die junge Lady, seine Tochter, am Tor angekommen war. Die Freude, die das Herz des alten Mannes dabei rührte, ist unbeschreiblich, und er erinnerte von neuem den Count daran, was dieser ihm in Bezug auf seine Tochter versprochen hatte.

Während sie diese ebenso liebevolle wie traurige Unterredung führten, kam die unvergleichliche Melliora herein. Die Überraschung und der Kummer über den Zustand ihres Vaters (wovon sie erst erfuhr, als sie das Haus betrat) hinderten sie daran, etwas anderes außer ihn selbst zu beachten; sie warf sich am Bettrand auf die Knie und tränkte seine Hand, die er nach ihr streckte, mit Tränen, und ihre Worte, spontan und unzusammenhängend wie sie waren, zeugten von einem Feingefühl, das ihren Verstand nicht weniger als ihre Zärtlichkeit bekundete und erkennen ließ, dass kein Umstand etwas daran ändern könnte, dass sie die lieblichste Person auf der Welt war. Als der erste Ansturm ihrer Trauer vorüber waren und sie mit einiger Mühe überredet werden konnte, sich aus ihrer Haltung zu erheben, sagte ihr Vater:

„Das Leid, das ich in dir fühle, mein liebes Kind, würde meine Qualen noch verstärken, wäre da nicht glücklicherweise ein Mittel, das mir Linderung verschafft. Glaube nicht, dass du Waise wärest, wenn du mich verlierst, denn dieser ehrenwerte Lord wird deine Tränen trocknen. Darum ist meine letzte Weisung an dich, dass du dich der Gefälligkeit würdig erweist, die er uns gewährt, indem er dich als…“

Er hätte fortgefahren, doch seine Ärzte (die sich im Nebenzimmer beraten hatten) hielten ihn davon ab, als sie wieder hereinkamen. Count D´Elmont nahm die zauberhafte Melliora bei der Hand, führte sie ans Fenster und sprach tröstende Worte zu ihr; die Sanftheit seiner Stimme und seine anmutige Art (beide die ständigen Begleiter seiner Rede, diesmal jedoch in besonderem Maße), veranlassten Melliora, ihre Augen auf ihn zu richten; aber leider war er kein Objekt, das man gefahrlos anschauen konnte, und trotz ihres trauernden Zustandes fand sie etwas an seiner Gestalt, das ihre Trauer zerstreute; eine Art schmerzhaftes Vergnügen, eine Mischung aus Überraschung und Freude und Zweifel durchströmte sie in einem Augenblick. Die Worte ihres Vaters schienen ihr anzudeuten, dass sie die hinreißende Person, die vor ihr stand, mit einem liebevolleren Begriff als dem des Vormundes benennen könnte, und das Benehmen und Aussehen und die Redeweise von D´Elmont vermochten sie in diesem Glauben nur zu bestätigen. Denn nun begann dieser Unnahbare die Macht der Schönheit zu spüren, und sein so lange unempfängliches Herz streckte in einem Augenblick die Waffen; gleich der erste Anblick von Melliora erregte ihn in einer ganz neuen Weise, er fühlte ihre Trauer wie eine eigene und hätte Tränen mit ihr weinen können, doch als ihre Blicke sich trafen, schien der Gott der Liebe all seine Blitze zu einem einzigen mächtigen Feuer zu vereinen, und bewundernd erkannten sie gegenseitig ihre Vollkommenheit; und obwohl in D´Elmont der allmächtige Pfeil die Liebe zuerst entfachte, bevor ihre Trauer ihr freistellte, einen Blick auf ihn zu werfen, machte die Zartheit ihrer Seele diesen kleinen Rückstand wett, und nur schwer lässt sich sagen, wessen Leidenschaft die stärkere war. Sie vernahm seine Beileidsbekundungen und Zusagen einer unverbrüchlichen Freundschaft mit einem Entzücken, das sich in ihrer Miene nur zu offen spiegelte und den Count noch stärker entflammte. Während ihre Blicke hin- und hergingen, als würde jeder mit dem anderen wetteifern, wer die glühendsten Strahlen aussendet, hörten sie vom Bett ein unheilvolles Raunen, und einer der Männer, die dort standen, gab ihnen ein Zeichen, herbeizukommen.

Die Ärzte hatten Monsieur Frankville in einem viel schlechteren Zustand vorgefunden als dem, bevor sie ihn verlassen hatten, und tatsächlich trennten ihn nur noch wenige Augenblicke von jener unergründlichen Welt; die Sprache versagte ihm, und er konnte von seiner Tochter nur noch mit den Augen Abschied nehmen, die einmal sanft auf ihr ruhten und ein andermal flehentlich auf dem Count, um ihn auf seine Fürsorgepflichten einzuschwören; dann wieder richteten sie sich nach oben, um den Himmel als Zeugen für das in D´Elmont gesetzte Vertrauen anzurufen.

Nichts könnte wehmütiger sein als dieser stumme Abschied, und Melliora, deren unsicheres Gemüt nie zuvor einen solchen Schock erlitt, fehlte die Kraft, eine Szene so furchtbar wie diese zu ertragen; sie fiel auf das Bett, nachdem ihr Vater seinen letzten Atemzug tat, um dort mit der gleichen Reglosigkeit wie er zu verharren. Dieser Anblick rührte das Herz des Count mit unbeschreiblichem Schmerz; er nahm sie in seine Arme und unterstützte die anderen in ihren Bemühungen, sie wieder zu sich zu bringen, mit einer so wilden Miene und am ganzen Leib zitternd vor Schrecken, dass sie, wären sie nicht zu beschäftigt gewesen, leicht bemerkt hätten, dass sein Beweggrund von viel mächtigerer Natur war als der des Mitgefühls. Als Melliora wieder zu Bewusstsein kam, zogen die anderen sie von ihrem Vater weg, an den sie sich geklammert hatte, und trugen sie in ein Nebenzimmer. Man ging zu Rate und hielt es für angemessen, sie aus diesem Haus fortzubringen, wo alles sie an ihren Verlust erinnern würde. Dann ließ der Count die Diener von Monsieur Frankville herbeirufen, um ihnen den letzten Wunsch ihres Herrn zu erklären; er ordnete auch an, einen Bericht über alle Angelegenheiten in sein Haus zu bringen, wo er unverzüglich, wie ihrem Vater versprochen, die Fürsorge für ihre junge Herrin übernehmen würde. Wäre Melliora nicht schon aus einem anderen Grund bekümmert, so hätte diese Erklärung genügt, um sie unglücklich zu machen; sie fühlte sich dem Count bereits auf die zärtlichste Weise verbunden und war nicht so unverständig, um nicht zu bemerken, dass er von ihr in ähnlicher Weise beeindruckt war. Nun aber erwachte sie wie aus einem Traum voller freudiger Versprechungen, und in der gleichen Stunde, welche die Geburt ihrer Leidenschaft sah, setzte eine ebenso große Verzweiflung ein, die ihre gerade erst aufkeimende Hoffnung zerstörte.

In der Tat war die unglückselige Lady in einem außerordentlich beklagenswerten Zustand; sie hatte soeben einen lieben und zartfühlenden Vater verloren, der immer aufmerksam für sie gesorgt hatte, und war ohne einen anderen Verwandten, der ihr Trost oder Rat hätte spenden können; auch keinen Bekannten oder Freund hatte sie in Paris, außer neuerdings den Count, den in Anspruch zu nehmen ihr aber gefährlich erschien, denn ihn zu lieben war ein Frevel; sie konnte aber nicht anders als ihn lieben. Mit jedem Gedanken wuchs ihre Verwirrung und ihr Unvermögen, sich zu etwas zu entschließen; tausend Mal beschwor sie den Tod, ihr Erleichterung zu verschaffen, dieser bleiche Tyrann aber floh die Verfolgerin; mit den Übeln des Daseins war sie noch nicht lange vertraut und musste, wenn auch unwillentlich, wie der Rest der Menschheit ihren Teil des Leidens ertragen.

 

Nachdem D´Elmont den Dienern einige Anweisungen gab, ging er zu dem Sofa, wo sie in regloser Melancholie saß, wenngleich innerlich stark aufgewühlt; er bot ihr seine Hand mit der Bitte, sie aus diesem Haus der Trauer führen zu dürfen.

„Ach!“, sagte sie. „Warum sollte ich fliehen, wenn ich mein Unglück doch mit mir trage? Wie elend ich doch dran bin...“

Hier verstummte sie und brach in eine Flut von Tränen aus, die aus so lieblichen Augen quoll, dass jeder Betrachter wie unter einem magnetischen Einfluss gleichfalls weinte; D´Elmont wusste aber, dass sie so nicht zu trösten war; er trocknete schnell seine Tränen und bat sie einmal mehr, das Haus zu verlassen.

„So erlaubt mir meine Rückkehr zum Kloster“, antwortete sie, „denn was mache ich in Paris ohne meinen Vater?“

„Auf keinen Fall, Madame“, sagte der Count schnell. „Denn das widerspräche den Absichten und letzten Wünschen Eures Vaters. Glaubt mir, lieblichste Melliora...“

Er nahm sie bei der Hand und ließ ein paar Tränen darauf fallen, die er nicht zurückhalten konnte.

„… dass ich mindestens ebenso sehr darunter leide wie Ihr. Meine dankbare Seele schätzt Monsieur Frankville für all seine wunderbare Fürsorge und Güte so sehr, dass sein Tod, wie mir scheint, mich gleich zweifach zum Waisen gemacht hat. Doch Tränen sind fruchtlos, um seinem nun kalten Lehm wieder Leben einzuhauchen, deshalb müssen die Liebe und die Pflicht, die ich ihm im Leben schuldete, in seinem Andenken und durch eine getreue Ausführung seines Willens in anderer Weise erfüllt werden; und weil er mich für würdig befand, die höchst verantwortungsvolle Aufgabe der Sorge für Melliora zu übernehmen, wird sie sich hoffentlich von den Absichten ihres Vaters leiten lassen und darauf vertrauen, dass D´Elmonts Seele, obwohl sie ihn nicht kennt, zur Freundschaft fähig ist.“

Er sprach nun leiser.

„Freundschaft? Sagte ich das? Dieser Ausdruck ist zu banal, um eine Begeisterung wie die meine zu beschreiben, die Fürsorge, die Zärtlichkeit, die Treue, die liebevolle Zuneigung von Eltern, – von Brüdern, – von Ehegatten, – von Liebenden, alles vereint in einem! Ein großes Unaussprechliches! Und das alles zusammen habe ich! Für Melliora!“

Sie antwortete darauf nur mit Seufzern; er wiederholte jedoch seine Bitte und drängte auf die Einhaltung der väterlichen Befehle, also gab sie endlich bei und stieg in seine Kutsche, die während seines ganzen Aufenthaltes vor der Tür gewartet hatte.

Während der Fahrt ließ er nichts ungesagt, von dem er glaubte, dass es zu ihrem Trost beitrüge, doch sie litt unter einem Kummer, der ihm gegenwärtig fremd war, und seine Konversation, die sie überaus faszinierte, vergrößerte ihre Not eher noch als sie zu mindern: Jedes Wort und jeder Blick von ihm waren Dolchstöße in ihr Herz, und trotz der Liebe zu ihrem Vater und ihrer aufrichtigen Trauer über seinen plötzlichen Tod war sie nun davon überzeugt, dass die Vollkommenheit des Count D´Elmont sie am tiefsten verwundete.

Zuhause bei sich angekommen, stellte er sie Alovisa vor und berichtete ihr kurz, was geschehen war. Er wies sie an, die Lady mit allen Zeichen der Höflichkeit und Güte zu behandeln.

Dann ließ er die beiden Ladies unter sich, indem er vorgab, Geschäftliches erledigen zu müssen, in Wahrheit aber verlangte es ihn ungeduldig nach einer Gelegenheit, über dieses Erlebnis nachzudenken. Seine Betrachtungen waren allerdings weitaus unerfreulicher als zuvor; laute Seufzer entwichen ungewollt seiner Brust; und Mellioras Bild erglänzte im hellsten Licht und befeuerte sein Verlangen, das doch unmöglich zu erfüllen war; jetzt, in dieser traurigen Erfahrung, wurde ihm klar, was es bedeutet, zu lieben und zu verzweifeln. Er bewunderte sie! Er betete sie an! Und er begehrte sie, sogar ganz wahnsinnig! Und doch hatte er zu viel Ehrgefühl und zu viel Dankbarkeit im Andenken an Monsieur Frankville und zu viel aufrichtige Ehrfurcht vor der lieblichen Ursache seines Unbehagens, um eine Idee zu entwickeln, die seine neue Leidenschaft vorantreiben könnte. Was hätte er jetzt nicht darum gegeben, unverheiratet zu sein? Wie oft verfluchte er den Augenblick, der Alovisas Verliebtheit ans Licht brachte? Und wie viel öfter noch seinen eigenen Ehrgeiz, der ihn antrieb, einen Vorteil daraus zu schlagen, und ihn Hals über Kopf in eine Hochzeit stürzte, bei welcher die Liebe, der vornehmste Gast, fehlte? Inmitten dieser quälenden Gedanken erinnerte er sich an die unglückliche Amena, und er kam nicht umhin, die Gerechtigkeit des Verhängnisses anzuerkennen, das ihm nun genau die Qualen auferlegte, die er ihr verursacht hatte. Eine tiefe Reue ergriff seine Seele, und Alovisa, für die er immer nur Gleichgültigkeit empfand, stieß ihn nun ab; er sah in ihr ganz zutreffend die Urheberin von Amenas Unglück, und für diese Ehrlosigkeit verabscheute er sie. Betrachtete er sie aber als Schranke zwischen sich und Melliora, dann kam sie ihm vor wie sein böser Geist, und er konnte den Gedanken, sie lieben zu müssen, wenn auch nur in Maßen, oder zumindest so zu tun, als liebte er sie, nicht akzeptieren.

Mitten in diese Überlegungen hinein platzte sein Diener mit einem Brief, den die Post gerade geliefert hatte. Der Count erkannte sofort die Handschrift von Amena und fühlte große Verlegenheit und Reue, als er diese Zeilen las:

´An den allzu bezaubernden und verräterischen D´Elmont.

Mit der Hoffnung, der Angst und der Eifersucht ist es nun vorbei! Jeder Zweifel ist verflogen! Ihr seid mir für immer verloren! Und meine treulose, glückliche Rivalin triumphiert in Euren Armen angesichts meiner Vernichtung! – Ich brauche Euch kein Glück zu wünschen, denn die Eile, mit der Ihr die Ehe besiegelt habt, und der über das Übliche hinausgehende Prunk, mit dem die Feier begangen wurde, zeigen mir, dass Ihr mit Euren Umständen überaus zufrieden seid und dass zukünftige Freundschaftsbekundungen einer so elenden Person wie Amena von Euch mit der gleichen Missachtung aufgenommen würden wie die früheren Bekundungen ihrer Leidenschaft. – Schändliche Erinnerung! Ach, könnte ich sie nur auslöschen! – Diese Stunden voll zärtlicher Selbsttäuschung aus dem Buch der Zeit streichen! Vergessen, dass ich diesen lieblichen falschen D´Elmont jemals sah! Dass ich jemals seiner sanft überredenden Stimme lauschte! Und dass ich dachte, seine Liebe sei ein kostbarer Schatz, der mein Unglück aufwiege – Mein Vater schreibt, dass Ihr verheiratet seid und dass ich nach Paris zurückkehren und mich wieder so vergnügt und heiter geben soll wie früher. Ach je! Wie wenig kennt er doch das Herz seiner Tochter? Und wie unmöglich kann ich ihm darin gehorchen? Kann ich denn an Euch als Alovisas Gatte denken, ohne zugleich daran, dass Ihr einst der Liebhaber von Amena wart? Kann eine Liebe wie die meine, so wild, so leidenschaftlich und so zärtlich, jemals zu einem ruhigen und kalten Gleichmut herabsinken? Kann ich die liebevollen Zärtlichkeiten Eurer ehelichen Freuden sehen, mit denen Ihr nicht zurückhalten könnt, nicht einmal vor mir, und dabei nicht platzen vor Neid? Nein, dieser Anblick würde mich völlig aus der Fassung bringen, und ich könnte aus Verzweiflung etwas Gewaltsames tun, das uns allen schadet. – Darum ziehe ich mich für immer zurück und nehme von allen Entzückungen und Freuden meiner Jugend dauerhaften Abschied. – Von allem Prunk und Glanz des Hofes. – Von all dem, was die irrige Welt Glück nennt. – Vom Vater, von Freunden und von Verwandten, von allem, was mir lieb ist. – Die Vorstellung von Euch aber können nicht einmal diese geweihten Mauern und eisernen Tore draußen halten; egal ob ich schlafe oder wache, Ihr seid immer bei mir; Ihr mischt Euch in meine feierlichsten Andachten; und während ich zum Himmel bete, dass ich nicht mehr an Euch denken möge, erhebt sich ein schuldiges Vergnügen in meiner Seele und widerspricht meinen Gelübden! Ich bekenne so viele Sünden, doch der gleiche Atem, der meinem geistlichen Vater sagt, dass ich Eurem Andenken abschwöre, spricht Euren lieben Namen voller Entzücken aus. Ja – Grausam! Undankbar! – Treulos, wie Ihr seid, liebe ich Euch immer noch – liebe Euch in einem so unendlichen Maße, dass ich jetzt, wie mir scheint, beflügelt von Eurem Zauber (und alles bereuend, was ich gesagt habe), sogar jene Momente meines Verderbens wiederholen würde! – Habt Mitleid mit mir, D´Elmont, wenn Ihr Menschlichkeit habt. – Urteilt selbst, welche Qualen meine Seele durchleiden muss, wenn ich mit all dieser Liebe und dieser Sehnsucht beschließe, Euch nie wieder zu sehen. Alles wird nun vorbereitet für meine Aufnahme in den heiligen Orden (der Himmel weiß, wie ungeeignet ich dafür bin), und in wenigen Tagen werde ich den Schleier anlegen, der mich für immer von der Welt ausschließt; darum sollte eine Antwort, wenn diese verstörten Zeilen ihrer würdig sind, schnell erfolgen, oder sie wird mir nicht zu Händen kommen. Vielleicht mich auch nicht mehr lebend antreffen. – Ich kann nicht mehr – Lebt wohl (Ihr lieber Zerstörer meiner Seele)

Auf ewig Lebewohl, Amena.

PS. Ich dränge Euch nicht, mir zu schreiben; Alovisa (ich wünschte, ich müsste sie nicht Eure Frau nennen) hielte das vielleicht für unter Eurer Würde und entließe Euch nur ungerne so lange aus ihren Umarmungen. – Wenn Ihr aber doch von Ihr loskommen könnt, – Doch Ihr wisst am besten, was zu tun ist – Verzeiht die Ruhelosigkeit einer verzweifelten Unglücklichen, die nicht aufhören kann zu lieben, auch wenn sie von nun an aufhören muss, Euch das zu sagen – Nochmals, und für immer,

Adieu.´

Hätte dieser Brief D´Elmont einen Tag früher erreicht, wäre die Wirkung auf seine Seele wahrscheinlich gering gewesen, doch seine Liebesfähigkeit war so vollständig verändert, dass ihn das, was ihm vorher lächerlich und vielleicht auch verachtenswert erschienen wäre, jetzt mit Reue und Schmerz erfüllte. Er las ihn noch mehrmals durch und fand darin so viele Beweise einer aufrichtigen und beständigen Zuneigung, dass er Mitleid mit ihr zu empfinden begann, begleitet von einer Liebe wie zwischen Verwandten, aber nicht mehr. Die hinreißende Melliora hatte sein ganzes Verlangen auf sich gezogen, sonst wäre es nicht unmöglich gewesen, dass Alovisa Amenas Konkurrenz nach der Heirat noch mehr hätte fürchten müssen als davor.

Die Lady, die ihren geliebten Gatten für einige Stunden nicht gesehen hatte, verlor die Geduld, bat Melliora um Verzeihung dafür, sie allein zu lassen, und lief zur Ankleidekammer, wo sich der Count befand. Der Leser kann sich vielleicht vorstellen, wie unwillkommen sie ihm nun war; er empfing sie also nicht so, wie er es sonst zu tun pflegte. Die Heiterkeit, die für gewöhnlich in seinen Augen funkelte und amouröses Verlangen zugleich bekundete und erweckte, war einer mürrischen Düsterkeit gewichen; er sah Alovisa kaum an, und wenn doch, dann mehr mit Zorn als mit Liebe. Obwohl er es zu verbergen versuchte, war sie, wie alle wahrhaft Liebenden, zu scharfsichtig, um diesen Wandel nicht zu bemerken; sie beachtete es aber nicht, sondern küsste und umarmte ihn wie immer, wenn sie ungestört zusammen waren, und bat ihn, seine einsame Vergnügung zu verlassen, um sie beim Trösten der leidenden Lady zu unterstützen, die er mitgebracht hatte. Ihre Zärtlichkeiten machten ihn aber noch wütender, was ihre Verwunderung über sein Verhalten wiederum steigerte; und tatsächlich war es ab dem Moment, in dem sie die Ankleidekammer betrat, um ihre Seelenruhe geschehen.

Nachdem sie ihn mit viel Mühe überredet hatte, mit ihr zu Melliora zu gehen, zeigte er sich beim zweiten Anblick seines Schützlings wieder so verzaubert, dass Alovisa sicher in sein Herzensgeheimnis eingedrungen wäre, hätte sie sich nicht an ein Fenster zurückgezogen, um sich von der Verwirrung zu erholen, in welche die Kälte ihres Gatten sie gestürzt hatte; dass sie in diesem kritischen Augenblick sein Verhalten nicht beobachtete, gab ihm Gelegenheit, seine Miene und Redeweise unter Kontrolle zu bekommen, damit kein Verdacht über die Wahrheit aufkam.

Die kleine Gesellschaft war weit davon entfernt, sich miteinander wohl zu fühlen; alle drei hatten ihre eigenen Sorgen und ließen sich nur ungern davon ablenken. Zu vorgerückter Stunde führte Alovisa Melliora in ein für sie vorbereitetes Gemach und zog sich in ihr eigenes zurück in der Hoffnung, sie würde, wenn der Count zu Bett käme, den Grund für seine Verstimmung vielleicht herausfinden. Sie täuschte sich aber, denn er sprach nicht mit ihr, und als sie ihn mit tausend kleinen Tricks zu einer Antwort bewegte, zeigte ihr diese doch nur, wie bedrückt er war; über was, bliebt aber ein Rätsel für sie.

 

Bei Tagesanbruch stand er auf, schloss sich in seine Ankleidekammer ein und ließ sie in größter Bestürzung zurück. Dass diese Wandlung auf den Tod von Monsieur Frankville zurückging, konnte sie sich nicht vorstellen; sie wusste aber von keinem anderen unglücklichen Ereignis. Endlich fiel ihr ein, dass einer der Diener einen von der Post an seinen Herrn zugestellten Brief erwähnt hatte, und begann über alles nachzusinnen, das vom Schicksal gelenkt eine Bedrohung bedeuten könnte, fand aber immer noch keine Lösung. Sie blieb nicht lange im Bett, sondern legte sich ihre Kleider schneller als sonst an und nahm sich vor, ihn auf eine Weise zur Rede zu stellen, die ihr Gewissheit verschafft. Als sie die Tür aber verschlossen fand und von Neugier getrieben durch das Schlüsselloch blickte, sah sie ihn abwechselnd einen Brief lesen und einen Brief schreiben, als wäre dieser eine Antwort auf jenen. Einem plötzlichen Einfall folgend entfernte sie sich leise, ohne an die Tür zu klopfen, und begab sich zu einem benachbarten Zimmer, von wo sie jeden sehen konnte, der die Ankleidekammer verließ oder betrat. Sie musste nicht lange warten, bis der Count läutete und sofort ein Diener zu ihm eilte und bald mit einem Brief wieder herauskam. Sie sprach ihn nicht gleich an aus Sorge, ihr Gatte könne sie hören, folgte ihm aber die Treppe hinab und rief ihm, als er unten ankam, mit gedämpfter Stimme zu, er solle auf sie warten. Der Bursche musste gehorchen, und da sonst niemand zugegen war, befahl sie ihm, ihr den Brief auszuhändigen. Aus Angst oder aus Treue zu seinem Herrn weigerte er sich so höflich wie nur möglich, sie war aber entschlossen, an den Brief zu gelangen, und als sie mit Drohungen nicht durchkam, verfiel sie aufs Bitten und dann aufs Bestechen; schließlich, als sie ihm versprach, nichts davon auszuplaudern, ließ er sich erweichen. Sie hatte kaum die Geduld, den Brief nicht zu öffnen, bevor sie ihr Gemach erreichte. Dass er an Amena adressiert war, erfüllte sie mit Abscheu und Eifersucht, und man kann sich kaum vorstellen und noch weniger in Worte kleiden, wie die Wut in ihr schäumte, als sie diese Worte las.

´An die liebliche Amena.

Ihr klagt mich der Grausamkeit an, zerschmettert mich aber zugleich mit Eurer. Wie schändlich, wie niederträchtig bin ich in Eurer Meinung geworden, wenn Ihr glaubt, ich könne glücklich sein, wenn Ihr im Elend lebt? – Kann ich die Kostbarkeiten des Hofes genießen, während Ihr ins Kloster gesperrt seid? – Soll ich der Welt erlauben, einen solchen Schatz wie Amena zu verlieren? Wegen des Verbrechens des unwürdigen D´Elmont – Nein, nein, schöne verletzte Sanftmut! Kehrt zurück und segnet das Auge jedes Betrachters! Strahlt wieder in Eurem natürlichen Glanz, unverdunkelt vom Leid, ein Stern der Schönheit und ein Leuchtzeichen der Liebe. – Und wenn meine unglückselige Gegenwart einen Schatten auf die Pracht Eures Feuers wirft, dann werde ich für immer von hier gehen. – Obwohl ich mir wünschte, Ihr würdet mir zuweilen einen Blick auf Euch gestatten und in Eurem gütigen Einfluss Zeichen eines künftigen Glücks erkennen lassen. – Ja, Amena, ich würde zu Euren Füßen meine Reue hinausseufzen und wenigstens versuchen, Verzeihung für meine Untreue zu erlangen. – Denn es stimmt, was Ihr gehört habt. – Ich bin verheiratet. – Aber, ach Amena!, das Glück ist nicht immer zu Gast auf einer Hochzeit. – Und doch kann ich Euch vielleicht eine Freundin nennen. – Und Euch vielleicht lieben, aber in anderer Weise als ich einst vorgab, es zu tun; und glaubt mir, dass die Seelenliebe, weil sie so selten ist, besonders bei meinem Geschlecht, die feinste und vornehmste von allen Leidenschaften ist, und solch eine Liebe soll auf immer Eure sein. Sogar Alovisa, die Euch das übrige geraubt hat, kann mir nicht gerechterweise übelnehmen, dass ich Euch diesen Teil gebe. – Ihr staunt sicher über meinen Sinneswandel, aber er ist aufrichtig, ich bin nicht mehr der fröhliche, unstete D´Elmont, und wenn Ihr nach Paris kommt, werdet Ihr mich vielleicht in einer Verfassung finden, die eher Euer Mitleid als Eure Missbilligung verdient. Was soll ich sagen, Amena? Mein Verbrechen ist meine Strafe, ich habe mich gegen die Liebe und gegen Euch vergangen und bin, falls das möglich ist, ebenso elend dran wie ich schuldig bin. In Reue zerrissen und gepeinigt von – ich kann nicht – darf es nicht nennen – aber es ist etwas, das man nicht anders als die äußerste Grausamkeit meines Schicksals bezeichnen kann. – So eilt, um mir Mitleid und Trost und Rat zu geben, wenn Ihr (wie Ihr sagt) trotz allem etwas von Eurer früheren Liebe für diesen undankbaren Mann bewahrt habt,

D´Elmont.´

„Undankbar, in der Tat“, schrie Alovisa außer sich vor Wut und Eifersucht. „Oh dieser Schurke! – Was für ein Unglück! Von welchem Unheil schreibt Ihr da? Welches Unglück war Gast auf Eurer Hochzeit? Ich bin die Einzige, die unglücklich dran ist! Niederträchtiger Betrüger!“

Dann, wie um etwas zu entdecken, dass ihre Empörung noch steigern könnte, begann Alovisa den Brief noch einmal zu lesen, und tatsächlich, je mehr sie über die Sinn dieser Zeilen nachdachte, desto höher schlugen die Wellen ihres Zorns, bis ihre Vernunft gänzlich die Kontrolle verlor: Sie zerriss den Brief in tausend kleine Stücke und verfuhr mit ihren Haaren und Kleidern nicht viel gnädiger. Möglicherweise hätte sie in ihrer rasenden Wut ihr Versprechen an den Diener vergessen und einen Teil davon an ihrem Gatten ausgelassen, wäre ihre Dienerin nicht für das Ankleiden hereingekommen mit der Meldung, der Count sei außer Haus gegangen und habe eine Notiz hinterlassen, dass er nicht vor dem Abend zurück sei. Alovisa hatte sich aufs Bett geworfen und die Vorhänge zugezogen, um ihren verstörten Zustand zu verbergen, den sie aus Stolz geheim halten wollte; daher schickte sie die Frau wieder weg mit den Worten, sie würde sie rufen, wenn sie etwas bräuchte. Alovisa war zu klug, um bei jeder Gelegenheit zum Schaden ihres Seelenfriedens ihren Leidenschaften freien Lauf zu lassen, und sie wusste sie sehr gut zu verschleiern, wenn das für ihre Absichten von Vorteil war.

Als die Wogen ihrer Wut sich soweit geglättet hatten, dass sie wieder nachdenken und den Zustand ihrer Gefühle gegenüber dem Count überprüfen konnte, erkannte sie schnell, dass unter allen Erwägungen diese die beste war, dass trotz des Unrechts, dessen sie ihn für schuldig hielt, sie nichts tun sollte, das ihm einen Vorwand für einen Streit liefern könnte. Sie hielt es für ausreichend, seinen Brief abgefangen und gelesen zu haben, und zweifelte nicht daran, dass Amena, weil sie sich das Ausbleiben einer Antwort sehr zu Herzen nähme, niemals mehr nach Paris zurückkäme. Sie beschloss also, ihre bisherigen Liebkosungen nicht einzustellen und sich auch nicht in der geringsten Weise unhöflich zu verhalten; durch dieses Benehmen wäre er, so stellte sie sich vor, nicht nur offener und ungeschützter für die sorgfältige Überwachung, die sie all seinen Worten und Handlungen angedeihen lassen wollte; sie würde ihn, so glaubte sie, auch dahin bringen, einen Sinn für ihre Güte und seine Undankbarkeit zu entwickeln.

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