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Die Rückkehr der Zeitmaschine

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Elftes Kapitel

Zeitreisender landet

Als ich die Tür aufstieß, prallte ich betroffen zurück. Es war heller Tag! Draußen blaute über schneebeglitzerten Tannen ein heiterer, windstiller Wintermorgen. Die Uhr wies tickend auf elf Uhr eins, und der Sekundenzeiger lief. Ich blickte auf den Abreißkalender: er zeigte den fünften Februar. Noch ganz benommen begab ich mich ins Turmzimmer: dort zeigte der Kalender in der Ecke den einunddreißigsten Dezember. Sonderbare Konfusion! Im Untergeschoß war es Nacht, im Obergeschoß Morgen, im Studierzimmer war ein anderer Tag als im Laboratorium und dort wieder ein anderer als im Turmzimmer.



Ich blickte in die andere Ecke. Und dort entdeckte ich etwas, das mich vor Freude fast wahnsinnig gemacht hätte. Denn dort stand, funkelnd im Morgenlicht, intakt und komplett – meine Zeitmaschine! Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte sie umarmt und geküßt. Ich fragte nicht viel danach, wie sie von der Hauswand zwei Stock hoch geklettert war, sondern bestieg sie und machte von ihr zum ersten und zum letzten Male einen vernünftigen Gebrauch: ich fuhr mit ihr in meine Heimatzeit.



So, das ist meine Geschichte.«



»Entschuldigen Sie«, sagte ich, »aber das ist nicht die

ganze

 Geschichte. Denn Sie haben mir noch immer nicht erzählt, wie Sie wieder zu Ihrer Maschine gekommen sind.«



»Aber das ist doch höchst verwunderlich, daß Sie darauf nicht schon längst von selber gekommen sind! Bei mir in meiner Depression und halb wahnsinnigen Verfassung war das noch einigermaßen verständlich. Aber Sie hätten doch die jedem Kind bekannte Erscheinung des Älterwerdens nicht übersehen dürfen. Jeder Mensch legt doch jeden Tag eine bestimmte Zeitspanne zurück: eben einen Tag. Hat einer zwanzig Jahre Zeitstrecke (zwei Zeitmeter) zurückgelegt, so bezeichnen wir ihn als zwanzig Jahre ›alt‹; dann wird er dreißig alt und so weiter. Hat einer um zwei Jahre mehr Zeit zurückgelegt als ein zweiter, so sagen wir, er sei um zwei Jahre ›älter‹; und hat dieser zweite selber zwei Jahre zurückgelegt, so sagen wir wiederum, er sei um zwei Jahre älter. Das ist doch bis zur Stupidität einfach. Nun, und so war auch ich täglich um einen Erdtag älter geworden und langsam nachgerückt. Das heißt: die Distanz zu meiner eigenen Zeit konnte ich nicht überwinden, die blieb selbstverständlich immer dieselbe; denn mit jedem Tag, den ich älter wurde, rückte auch meine Zeit um einen Tag vor. Aber meine Zeitmaschine konnte ich einholen, denn von deren Vollendung trennten mich nur knappe sechs Wochen. Hätte ich bei der Katastrophe eine höhere Geschwindigkeit gehabt, so wäre ich weiter geschleudert worden und hätte länger warten müssen. Es war also keineswegs gleichgültig, ob ich im Dezember 1904 landete oder im Zeitalter der Königin Anna, wie Sie vorhin annahmen. Denn dann hätte ich ja um zweihundert Jahre älter werden müssen, bis ich wieder zu meiner Maschine gekommen wäre.«



»Aber Sie vollendeten doch Ihre Maschine Mitte Jänner. Warum zeigte dann der Kalender im Laboratorium den fünften Februar und der im Turmzimmer den einunddreißigsten Dezember?«



»Auch das erklärt sich auf sehr primitive Weise. Der Kalender im Turmzimmer war ganz einfach ein alter Kalender, der nach Ablauf des Jahres 1904 nicht mehr erneuert worden war. Aber das Datum im Laboratorium stimmte. Es war tatsächlich der fünfte Februar. Denn erst an diesem Tage betrat ich den Raum. Ich hatte mich volle drei Wochen zu lange in dem vermeintlichen sechsten Dezember aufgehalten. Hätte ich das Laboratorium regelmäßig aufgesucht, so hätte ich mir diese Überzeit ersparen können. Und vor allem hätte ich mir meine ganze Verzweiflung ersparen können, denn dann hätte ich sofort erkennen müssen, daß mein Abenteuer zeitlich begrenzt war: auf etwa vierzig Tage. So aber waren einundsechzig Tage daraus geworden. Meine Zeit hielt also bereits beim vierten Juli. Um diesen zu erreichen, bedurfte ich bloß der kurzen Fahrt über hundertneunundvierzig Tage, die Differenz, die durch die Katastrophe entstanden war. Ich bin, wie gesagt, schon seit vorgestern hier, aber ich hatte wirklich kein Bedürfnis nach Geselligkeit.«



»Und jetzt verstehe ich auch«, setzte ich eifrig hinzu, »warum die kleine Zeitmaschine trotz richtiger Adressierung nicht ankam. Sie war nämlich falsch adressiert! Als Ihr Telegramm eintraf, war es der zehnte Mai. Ich hätte daher die Maschine nicht in den

sechsten

 Dezember schicken sollen, sondern in den

zw

ö

lften

. Denn dort befanden Sie sich damals gerade.«



»So ist es«, nickte der Zeitreisende, »und Sie trifft, wie gesagt. nicht der geringste Vorwurf.«



»Aber Sie auch nicht!« rief ich ärgerlich. »Schuld ist die Unintelligenz und Rückständigkeit des Menschengeschlechts. Warum hat nicht schon Stephenson zugleich mit dem Dampfroß das Zeitroß erfunden? Und warum hat Marconi nicht herausbekommen, wie man drahtlos in die Vergangenheit telegraphieren kann? Denn es gibt doch auch

negative

 Elektrizität. Also —«



Der Zeitreisende winkte düster ab.



»Das ist jetzt vorbei«, sagte er. »Aber«, fügte er mit resigniertem Lächeln hinzu, »eine kleine Nebenentdeckung habe ich doch gemacht. Wenn man nämlich mit der Zeitmaschine ganz langsam fährt, so kann man mit der Camera bewegliche Bilder aufnehmen.«



»Seien Sie nicht böse«, erwiderte ich, »aber dazu braucht man keine Zeitmaschine. Eine ähnliche Erfindung ist von den Brüdern Lumière schon vor Jahren gemacht worden.«



»Aber mit meiner Zeitmaschine geht die Sache doch unvergleichlich besser.«



»Sicherlich. Aber welchen Sinn sollten solche Zeitphotographien haben? Für wissenschaftliche Zwecke wird das Verfahren schon seit längerem angewandt – ich las erst jüngst wieder davon in einer biologischen Fachzeitschrift. Und für das große Laienpublikum haben doch solche photomechanischen Experimente nicht das geringste Interesse.«



»Na, egal«, sagte der Zeitreisende müde. »Jedenfalls: was von alledem zurückbleibt, ist eine gigantische Blamage. Die Wissenschaft hat wieder einmal ein klägliches Fiasko erlitten. Und das weiß ich: ich werde das mißglückte Ding nie wieder benützen. In die Vergangenheit nicht, aber auch nicht in die Zukunft. Denn was gibt›s schon dort? Übertechnik oder Untertechnik! Savoryidioten und Kataraktidioten! Und überhaupt: wie lächerlich ist dieser ganze ›Eroberungsdrang des Forschers‹! Wenn man immer nur äußere Eroberungen in der Welt macht, ob im Raum oder in der Zeit oder in welcher Dimension immer, so versäumt man dabei, die einzige Eroberung zu machen, die sich lohnt, ja, die überhaupt möglich ist: die des eigenen Ich.« —



»Verzeihen Sie«, sagte ich, »aber haben Sie nicht heute abend schon einmal etwas Ähnliches gesagt? Oder nein: es war Miss Gloria.« —



»Möglich«, sagte der Zeitreisende und hüllte sich in Rauchwolken.



Schluß

Eine naheliegende Korrespondenz

Mr. Anthony Transic



London



… und so brauche ich Ihnen wohl nicht nochmals zu versichern, zu wie tiefem und dauerndem Danke ich Ihnen verpflichtet bin. Trotzdem scheinen mir einige wenige Punkte noch der Aufklärung bedürftig, und ich bitte Sie daher, nicht ungehalten zu sein, wenn ich, durch Ihre große Liebenswürdigkeit ermutigt, einige ergänzende Fragen an Sie richte.



Erstens: Es ist vollkommen klar, warum die Maschine Mr. Mortons bei seinem Start am vierten Mai 1905

nicht

 funktionierte. Ebenso klar ist es, warum sie bei seinen Rückfahrten aus den Jahren 1995 und 2123

funktionierte

. Hingegen ist es nicht klar, warum sie am siebten Mai versagte. Denn da war sie doch schon mit Vorsprung geladen, besaß also eine genügende Energie, um den Widerstand zu überwinden.



Zweitens: Der Zeitreisende erklärte, seine Maschine nie wieder besteigen zu wollen. Aber seitdem sind nahezu drei Jahre vergangen, und es sieht fast so aus, als hätte er seitdem seinen Entschluß geändert. Die Zeit vermag ja viel, selbst der Schneckengang unserer geringfügigen Erdzeit. Es wäre doch auch jammerschade, wenn Mr. Morton seinen Apparat, der sich ja für die Zukunft – zumindest für die nahe – sehr gut bewährt hat, nicht gelegentlich zu kleinen Entdeckungsfahrten benützte. Und ich vermute stark, daß er sich derzeit auf einer solchen befindet. Denn was sollte »

gone on a journey

« bei ihm anderes bedeuten? Daß er zu einem Naturforscherkongreß oder auf die Löwenjagd gefahren ist, ist ihm doch nicht gut zuzutrauen.



Drittens – aber das ist eigentlich eine Privatangelegenheit —: Was ist aus Gloria geworden? Haben die beiden ›sich gefunden‹, wie man zu sagen pflegt?



Gerne hätte ich mich bei Ihnen mit einem besonders interessanten Bericht aus Wien revanchiert, aber mir fällt nichts ein. Der Kaiser nimmt noch immer zum Gabelfrühstück ein Glas saure Milch und zum Mittagessen ein halbes Huhn, und das Parlament beschäftigt sich noch immer mit der böhmischen Sprachenfrage. Die Metternich veranstaltet noch immer Wohltätigkeitsakademien, und das Burgtheater spielt noch immer Komtessenstücke. Peter Altenberg trägt jetzt Sandalen.



Ich muß mich darauf beschränken, Sie meiner besonderen Ergebenheit zu versichern.



Friedell



Hrn. Egon Friedell



Wien



Sehr geehrter Herr,



Ihre erste Frage zeigt eine eingehende Beschäftigung mit dem Gegenstand, die wiederum auf ein lebhaftes Interesse schließen läßt. Ich bin daher gern bereit, sie zu beantworten. Da ist nämlich Mr. Morton ein Lapsus passiert, wie sie bisweilen auch den größten Gelehrten unterlaufen. Er hatte die Erdzeit errechnet, indem er

s

 durch

t

 dividierte: 40.000 Kilometer durch 86.400 Sekunden. Das ergab weniger als eine halbe Kilometersekunde. Aber er hatte ganz übersehen, daß die Erde eine erheblich größere Leistung an Zeitenenergie vollbringt. Denn sie dreht sich ja nicht bloß um ihre eigene Achse, sondern auch um die Sonne, indem sie in

3651/4

 Tagen 936 Millionen Kilometer zurücklegt, das sind fast dreißig Kilometer in der Sekunde. Das bedeutet zwar immer erst den zehntausendsten Teil eines Zeitmeters; aber andrerseits sind 19.710 Meter plus 463 Meter (die Zeitenenergie der Achsendrehung, die natürlich dazugerechnet werden muß), also 30.173 Meter in der Sekunde doch 651/6 mal soviel als das Energiequantum, das Mr. Morton angenommen hatte. Also war sein Ansatz viel zu niedrig und Gloria hatte instinktiv das Richtige getroffen, als sie ihm riet, einfach weiterzufahren.

 



Was nun diese anlangt, so ist Ihre Anfrage in der Tat

sehr

 privat! Und außerdem: was glauben Sie denn eigentlich? Ich schicke Ihnen einen wissenschaftlichen Expeditionsbericht, und Sie verlangen eine Liebesgeschichte mit happy end! Ich referiere Ihnen über Formeln und Gleichungen, die aufgehen (oder auch nicht aufgehen), und Sie erwarten, daß zwei sich kriegen! Es scheint, daß bei Ihnen in Wien alles mit einem ›

G’spusi

‹ enden muß: so nennt man ja wohl bei Ihnen einen Flirt, wie mir Laura erzählt hat, die zwar aus Dresden stammt, aber den Wiener Dialekt sehr gut beherrscht. Übrigens haben Gloria und der Zeitreisende selbstverständlich geheiratet.



Und dies enthält zugleich die Beantwortung der dritten Frage:



Mr. Morton befindet sich gegenwärtig auf der banalsten und interessantesten aller Reisen: nämlich auf der Hochzeitsreise. Er forscht derzeit, wie Ihr überspannter Peter Altenberg sagen würde, in den Meeraugen seiner jungen Gattin. Wie es dazu kam? Ja, das ist nun wirklich ein Roman; aber den erwarten Sie nicht von mir, denn über Romane denke ich ähnlich wie Mr. Wells.



anz ergebenst



Transic



Epilog

Wie hat ein Gentleman sich in diesem Falle zu verhalten?

Siebenundzwanzig Jahre waren seit meiner Korrespondenz verflossen, und ich hatte den Zeitreisenden, die Zeitmaschine, Mr. Transic und das sonderbare Protokoll beinahe vergessen. Da stieß ich eines Tages, als ich in alten Schubladen stöberte, wieder auf den Faszikel. Und da kam mir der Gedanke, ob ich es nicht vielleicht doch der Öffentlichkeit übergeben sollte? Es gewährt doch immerhin einen nicht uninteressanten Einblick in die Schicksale eines originellen Forschers und seiner kühnen Versuche. Und auch aus mißglückten Experimenten kann die Wissenschaft mancherlei profitieren. Und deshalb scheint mir Mr. Mortons ›Reise in die Vergangenheit‹ der Beachtung derer nicht unwürdig, die die nüchterne und bisweilen fast lederne Schilderung der Abenteuer, denen ein wissenschaftlicher Gedanke ausgesetzt ist, für ein fruchtbringenderes Lesestück halten als so manches kunstvolle Luftgewebe aus ›Dichter‹-Phantasien, hinter denen nichts

steckt

 als die Zügellosigkeit eines überreizten Vorstellungslebens. In diesem Punkte bin ich sogar mit der unausstehlichen Miss Hamilton einer Meinung.



Auch die ungeschickte Form scheint mir keinen beachtenswerten Einwand zu bilden. Es ist wahr: der gute Mr. Transic ist nicht einmal ein begabter Reporter, geschweige denn ein Erzähler. Und auch Mr. Mortons Bericht ist keine aufgebaute und abgestufte Darstellung, sondern der wirre Monolog eines in fixen Ideen denkenden Spezialisten. Aber sowohl er wie Mr. Transic haben vor vielen Erzählern, die zu glänzen und zu spannen verstehen, eine große Tugend voraus: sie lassen nichts aus und flicken nichts ein, sie verschieben und vertuschen nichts. Das ist für Zwecke der Erkenntnis völlig ausreichend; und mehr wäre hier sogar weniger. Wem dies nicht genug dramatisch ist, der gehe ins Kino.



Aber bin ich berechtigt, Tatsachen preiszugeben, die geeignet sind, Personen von ernstem Wollen und edler Gesinnung in bedenklicher Weise bloßzustellen?



Von den Beteiligten scheint mir Mr. Wells die wenigste Rücksicht zu verdienen, und zwar aus mehreren Gründen. Erstens hat er den groben Brief der Miss Hamilton veranlaßt. Zweitens hat er eine ›Weltgeschichte‹ geschrieben und ich eine ›Kulturgeschichte‹. Aus diesem Anlaß hat ein englischer Kritiker geäußert, ich sei der deutsche Wells. Wenn Mr. Wells das gelesen hat – und Menschen, die etwas drucken lassen, lesen alles, was über sie gedruckt wird, auch wenn sie das Gegenteil beteuern —, so ist er natürlich seitdem mit jenem Flegel von Kritiker verfeindet. Und seine Animosität hat sich – obgleich ich bloß die passive Zufallsursache dieses Affronts war, aber so sind nun einmal die Menschen – sicher auch auf mich übertragen. Ferner ist die deutsche Übersetzung seines Geschichtswerks miserabel und die englische Übersetzung des meinigen ausgezeichnet, so ausgezeichnet, daß ich sogar schon daran gedacht habe, sie ins Deutsche zurückzuübersetzen; und auch das dürfte ihn gereizt haben. Da spielt es also schon gar keine Rolle mehr, ob ich ihn noch etwas mehr gegen mich einnehme. Endlich drittens: Mr. Wells hat den Ehrgeiz, Geschichte »von einem Laien für Laien« zu schreiben, und ich ebenfalls, indem ich der Ansicht bin, daß das bisherige geringe Interesse für Kulturgeschichte hauptsächlich daher kommt, daß sie von Kulturhistorikern verfaßt wurde. Nun kann es aber – und ich bin neidlos und objektiv genug, dies einzuräumen – keinem Zweifel unterliegen, daß das Geschichtswerk des Mr. Wells noch unwissenschaftlicher ist als das meinige und sich bei mir trotz ehrlichem Streben nach Ungeschichtlichkeit mehr Sachliches und Fachliches eingeschlichen hat als bei ihm; daher er auch den weit