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DER TOTE KAPITÄN IM WALD - Kostenlose Leseprobe

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»Dann war das gar keine einheimische Schlange?« Schäringer sah sich nervös um, als könnte sich ganz in der Nähe eine Giftschlange über den Waldboden auf ihn zu schlängeln.

»Korrekt. Eine derartig toxische Wirkung entfalten nur die Gifte exotischer Schlangen, die in Australien, Afrika, Südostasien, im Süden des nordamerikanischen Kontinents und in Südamerika beheimatet sind. Genaueres kann ich ihnen allerdings nicht sagen, schließlich bin ich nur Rechtsmediziner und nicht auch noch Giftschlangenexperte. Wir werden eine Blutprobe entnehmen und an die Toxikologische Abteilung der Medizinischen Klinik des Klinikums rechts der Isar in München schicken. Dort kann dann die Zusammensetzung des Gifts analysiert werden, und mit etwas Glück erfahren wir, mit welcher Schlange wir es hier zu tun haben. Allerdings kann ich Sie in einer Hinsicht schon einmal beruhigen. Eine exotische Giftschlange, deren Gift derartige Wirkungen verursacht, dürfte in unserer gemäßigten Klimazone in der freien Natur keine große Überlebenschance haben. Sie brauchen also keine Angst zu haben, dass das Vieh noch irgendwo hier herumkriecht.«

Schäringer bemühte sich, seine Erleichterung nicht allzu deutlich zu zeigen. Das Kribbeln, das er am ganzen Körper gespürt zu haben glaubte, als kröche eine Schlange an ihm hoch, verging wieder so rasch, wie es gekommen war. Er schauderte, aber Schlangen hatte er eben noch nie ausstehen können.

»Dann wurde der Mann nicht hier gebissen?«

»Vermutlich nicht. Aber dazu kann Ihnen wahrscheinlich Ihr Freund Krautmann mehr erzählen. Ich bin hier ohnehin fertig und werde mich verabschieden. Ich muss nämlich noch nach Hause, um mir etwas anderes anzuziehen. Ich war gerade beim Joggen, als ich über den Leichenfund informiert wurde, und hatte keine Zeit mehr, mich umzuziehen. Kommen Sie am besten am späten Nachmittag in die Gerichtsmedizin, dann kann ich Ihnen schon etwas mehr über den Leichnam sagen. Das toxikologische Gutachten dürfte allerdings noch etwas länger dauern.«

»Können Sie mir wenigstens sagen, wie lange der Mann schon tot ist?«

Der Pathologe zuckte die Schultern, während er sich mit knackenden Gelenken aufrichtete und von der Leiche abwandte. »Schätzungsweise 4 bis 5 Stunden«, antwortete er. »Krautmann!«, sagte er dann laut. »Ihr Typ wird verlangt.« Er legte zwei Finger grüßend an die Stirn und stapfte davon. »Einen schönen Tag noch allesamt.«

Schäringer richtete sich ebenfalls auf, sah dem davoneilenden Gerichtsmediziner dabei zu, als dieser das Absperrband anhob und sich ungelenk darunter bückte, und wartete dann, bis Christian Krautmann, der Leiter der Abteilung Spurensicherung und -auswertung, zu ihm kam.

»Und? Was habt ihr bis jetzt gefunden?«

»Nicht viel.«

»In diesem frühen Stadium der Ermittlungen gebe ich mich auch mit dem Wenigen zufrieden, das du mir sagen kannst. Also schieß los!«

Krautmann runzelte die Stirn, während er kurz überlegte. »Zunächst einmal konnten wir auf diesem Untergrund keinerlei Fußspuren finden. Es gab auch weder weggeworfene Zigarettenkippen noch anderen Müll. Man könnte fast meinen, gestern wäre eine Schulklasse hier gewesen und hätte für ein Umweltschutzprojekt jeglichen Abfall eingesammelt. Allerdings kommen an dieser Stelle ohnehin kaum Leute vorbei.«

»Außer ihm«, sagte Schäringer und machte eine Kopfbewegung in Richtung des Mannes von der Forstverwaltung, der noch immer auf dem Baumstumpf saß, mit seinem Hund sprach und ihn streichelte. Er sah aber eher so aus, als bräuchte der Mensch Trost und Zuspruch und nicht das Tier.

Krautmann sah kurz hinüber, ehe er zur Bestätigung nickte. »Horst Eichhammer, Forstwirt bei der Bayerischen Forstverwaltung. Kam heute früh hier vorbei, weil er in der Nähe einen Wildschutzzaun überprüfen wollte. Sein Hund fand den Leichnam und machte vermutlich einen Mordslärm. Seit Eichhammer den Toten gesehen hat, ist er mit den Nerven am Ende. Immerhin schaffte er es noch, 110 zu wählen und ein paar halbwegs verständliche Angaben zu machen. Aber seit ich hier bin, sitzt er nur dort auf dem Baumstumpf und hadert mit der Welt.«

»Konnte er wenigstens sagen, ob ihm irgendetwas Ungewöhnliches aufgefallen ist? Hat er jemanden gesehen? Ich meine, außer dem Toten.«

»Negativ. Er hat heute früh hier im Wald weder jemanden getroffen noch etwas Ungewöhnliches bemerkt.«

»Dr. Mangold deutete an, dass der Tote nicht hier gebissen wurde und seit 4 bis 5 Stunden tot ist. Konntest du feststellen, wie lange er schon hier liegt?«

»Da hast du ausnahmsweise Glück, Franz. Dafür kannst du dich beim Wettergott bedanken, der uns heute Nacht einen kurzen, aber heftigen Regenschauer bescherte. Der Regen, der vor ungefähr drei Stunden aufhörte, hat auch den Boden unter der Leiche vollständig durchnässt. Die Leiche selbst ist dagegen kaum nass geworden, wenn man davon absieht, dass ihre Kleidung dort, wo sie auf dem nassen Boden liegt, feucht wurde und sich ein bisschen Morgentau auf ihr abgesetzt hat. Sie wurde also frühestens vor drei Stunden hier abgelegt, nachdem es zu regnen aufgehört hatte.«

Schäringer nickte nachdenklich. »Sonst noch was?«

»Ja. Ist dir aufgefallen, dass die Kleidung des Toten muffig riecht?«

»Nein. Aber so nah wollte ich auch gar nicht an ihn ran.«

»Außerdem haben wir Kugeln aus Zedernholz in den Außentaschen der Kapitänsjacke gefunden.«

»Um sie vor Motten zu schützen.«

»Richtig.«

»Dann handelt es sich bei der Kleidung des Toten vermutlich nur um ein Kostüm, eine Verkleidung also.«

»Gut möglich.«

»Kam mir sowieso von Anfang an komisch vor, dass ein toter Kapitän hier mitten im Wald liegt, wo es weit und breit keine Schifffahrt gibt. Aber warum sollte jemand ausgerechnet jetzt, Ende Mai, verkleidet herumlaufen? Fasching ist doch schon längst vorbei.«

»Für solche Fragen bin ich gar nicht zuständig, Franz. Das musst schon du herausfinden. Frag mich was anderes!«

»Na gut. Seine Ausweispapiere hatte unser Kapitän nicht zufällig dabei?«

Krautmann hob die Augenbrauen, obwohl die Distanz zu seinem zurückweichenden Haaransatz inzwischen zu groß geworden war, als dass sie diese noch weiter als zur Hälfte überwinden konnten, und schüttelte den Kopf. »So viel Glück hatten wir heute leider nicht. Kein Ausweis, kein Führerschein, nicht einmal eine Brieftasche. Im Grunde hatte er außer den Klamotten, die er trägt, absolut nichts bei sich.«

»Wäre ja auch zu schön gewesen, wenn man uns ausnahmsweise die Arbeit erleichtert hätte. Hast du schon seine Fingerabdrücke?«

Der Leiter der Spurensicherung schüttelte den Kopf. »Ich wollte warten, bis der Doc seine erste Untersuchung beendet hat. Nachdem er ja jetzt weg ist, werde ich als Nächstes die Fingerabdrücke der Leiche sichern und dann ihre Hände eintüten, damit etwaige Spuren unter seinen Nägeln beim Transport in die Gerichtsmedizin nicht verloren gehen.«

»Viel Spaß dabei«, sagte Schäringer.

»Danke.«

»Ach, übrigens. Lutz war noch nicht da, oder?«

»Nein, aber der kommt doch in der Früh immer zu spät, oder?«

Schäringer nickte. »Sag mir auf jeden Fall Bescheid, wenn du mit den Abdrücken einen Treffer erzielt hast.«

»Natürlich. Mach's gut.«

»Servus.«

Während Krautmann sich abwandte, um zum Spurensicherungskoffer zu gehen und die Utensilien zu holen, die er zur Abnahme der Fingerabdrücke benötigte, entfernte sich Schäringer ebenfalls von der Leiche. Er sah sich um, doch momentan gab es hier für ihn nicht mehr viel zu tun. Er überlegte, ob er auf Lutz Baum warten sollte, um ihn noch kurz hier am Tatort über die Gespräche mit dem Rechtsmediziner und dem Leiter der Spurensicherung in Kenntnis zu setzen.