Hüter der Schöpfung

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

General Philip Sheridan wurde die angebliche Äußerung vom „Töten aller Weißen“ hinterbracht. Man muss wissen, dass Sheridan der Ausspruch zugeschrieben wird, „nur ein toter Indianer ist ein guter Indianer“. Kein Wunder also, dass er General Crook in Fort Robinson beauftragte, mit aller Härte durchzugreifen und die Angelegenheit nicht nur aufzuklären, sondern „endgültig zu erledigen“. Bei Besprechungen mit anderen Lakota wurde sogar angedeutet, dass Crazy Horse General Crook selbst töten wolle. Daraufhin eskalierte die Situation völlig. Der General befahl aufgebracht, man solle Crazy Horse sofort verhaften. Versuche, das Missverständnis zu korrigieren, scheiterten an der Uneinsichtigkeit und Wut des Generals.

DAS ENDE

Als Crazy Horse zu einem Häuschen in Fort Robinson geführt wurde, folgte er zunächst bereitwillig – im Glauben, nun zur weiteren Verhandlung zu gehen. Erst als er durch die Tür trat, merkte er, dass es sich um ein Gefängnis handelte. Da drehte er sich um und zog ein Messer. Um ihn herum auf dem Vorplatz hatte sich ein Pulk aus vielen Männern, Soldaten und Indianern, gebildet. Irgendjemand schrie „Kill this son of a bitch“; der frühere Freund von Crazy Horse, Little Big Man, hielt ihn von hinten fest. Ein bis dato nie in Erscheinung getretener einfacher Soldat namens Gentles stieß Crazy Horse das Bajonett in den Leib, und zwar so unglücklich, dass er noch vor Mitternacht an diesem 5. September 1877 verstarb. In einem der Bücher über Crazy Horse steht zu seinem Tod treffend: „He had reached his awful destiny to be the last leader of the Sioux …“ – „Er hatte sein schreckliches Schicksal, der letzte Führer der Sioux zu sein, erreicht …“

Der Vater von Crazy Horse war beim Tod seines Sohnes dabei und sorgte später dafür, dass die sterblichen Überreste an einem geheim gehaltenen Platz in der Nähe des Wounded Knee, wahrscheinlich im Beaver Valley, bestattet wurden. Ein Gedenkstein in Fort Robinson weist noch heute auf die Stelle hin, an der Crazy Horse ermordet wurde.

Kurze Zeit nach seinem Tod flüchteten viele seiner Anhänger aus der Red Cloud Agency und gingen über die Grenze nach Kanada: Dort hatte Sitting Bull noch für einige Zeit eine freie Gruppe Lakota um sich versammelt. In den Vereinigten Staaten selbst lebten die Lakota nach dem Tod von Crazy Horse nicht mehr als freie Indianer, sondern ausschließlich in Reservaten.

DIE LAKOTA HABEN BIS HEUTE NICHT AUFGEGEBEN

Selbstverständlich gab es weitere nordamerikanische Indianervölker, die für ihre Freiheit kämpften. Zeitgleich mit den Lakota waren dies etwa die Apachen, deren Anführer Geronimo im Gebiet von New Mexiko und Arizona für seinen unbändigen Freiheitswillen und seine lange erfolgreiche Flucht berühmt ist. Er wurde erst 1886, nach Crazy Horse, bezwungen, ließ sich letztendlich aber freiwillig verhaften und ins Exil nach Florida bringen. Dort starb er Anfang des 20. Jahrhunderts, ohne seine Heimat je wiedergesehen zu haben.

Die Sioux jedoch haben offiziell niemals aufgegeben und zu keinem Zeitpunkt in die Annektierung ihrer Heimat eingewilligt. Auch nicht unter Druck – und den gab und gibt es reichlich. Die Lakota lehnen es bis heute ab, ihre heiligen Berge, die Black Hills in Süd-Dakota, zu verkaufen. Sie leben in Armut und Perspektivlosigkeit. Indianische Jugendliche begehen häufiger Selbstmord als andere Gleichaltrige: Die Sterberate der Lakota unter 25 Jahren ist dreimal so hoch wie in der Altersgruppe in den übrigen USA; die Wahrscheinlichkeit, am Alkohol zu sterben, ist sogar um 670% höher.

Aber: Sie verkaufen sich nicht; sie nehmen nicht die Entschädigung von 105 Millionen US-Dollar an, die ihnen 1980 zugesprochen wurde. Eine Gruppe von Lakota hat vor wenigen Jahren, im Dezember 2007, sogar eine eigene Republik ausgerufen, die alten Verträge von 1851 und 1868 aufgekündigt und für null und nichtig erklärt.

Der von den USA betriebene Genozid scheint unaufhaltbar. Das Ende für die letzte Generation an Vollblut-Lakota hat begonnen. In den Reservationen leben weniger als hunderttausend Menschen mit mehr oder weniger Lakota-Blutanteil. Die Zukunft der Indianer Nordamerikas ist aufs Äußerste bedroht.

Kaum ein Volk steht so sehr wie die Lakota-Indianer für ein Leben im Einklang mit der Natur. Aber genau diese sind, nachdem schon andere Stämme des nordamerikanischen Kontinents vom Erdboden verschwunden sind, zusammen mit ihren ethnischen Genossen praktisch am Aussterben. Andere Völker existieren zumindest weiter, haben – vielleicht – die Chance auf eine Zukunft.

LEBEN IM EINKLANG MIT DER NATUR

Die Lakota waren die Menschen, die mit Tieren redeten, die sich aus der Natur nur das nahmen, was sie brauchten – wir spüren intuitiv ihre Weisheit in Bezug auf den Kosmos. Sie waren keineswegs dümmer oder weniger entwickelt als wir, das haben wir mittlerweile endlich erkannt. Sie zählten ein Jahr nicht, wenn es vorbei war. Für sie fängt es im Prinzip immer wieder von vorne an – sie denken zyklisch, wir denken linear.

Crazy Horse wollte alles so lassen, wie es ist. Das empfand er als Idealzustand, und dafür ist er in den Tod gegangen. Wir wollen den Fortschritt. Denn wir konnten und können mit der Natur nicht so leben, dass wir dabei alles haben, was wir brauchen.

NOTWENDIGE ÄNDERUNG UNSERER SICHTWEISE

Betrachten wir die Dimension der vorherrschenden ökologischen Gefahren, könnte man meinen, es bräuchte ein Wunder. Andererseits: Warum sollte eine Zivilisation wie die unsere es nicht schaffen, die Herausforderung der selbst verursachten Schädigung der Natur zu bewältigen?

Für lange Zeit hielten wir uns an ein rein mechanisches Weltbild – aus der Zeit der industriellen Revolution und ihrer Manufakturen. Es wird heute mehr und mehr durch eine biologisch und physikalisch relativierte Weltsicht ersetzt. Da sollte es kaum abstrus anmuten, bei der Lösung der ökologischen Frage die einfache Idee zu verfolgen, nicht nur nach Neuem und technisch noch Versierterem zu streben, sondern einfach weiter und tiefer in die Natur zu schauen. Das wird unsere Sichtweise der Welt mehr verändern als alles andere. Die Lakota haben niemals aufgegeben. Auch daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Und nicht aufgeben.

VERTRAUEN AUF INDIANISCHE WEISHEIT

Es ist naheliegend, wenn wir Menschen aus den Industrienationen uns unter dem Druck des drohenden Klimawandels und zur Neige gehender Ölreserven umschauen, wo, wann, wie und warum Menschen in völligem Einklang mit der Natur lebten. Seitdem ich dem indianischen Wissen vertraue, habe ich schon mehrmals erstaunliche Reaktionen von Tieren erlebt, wie sie mir z.B. einen Weg zeigten, den ich allein nie gefunden hätte. Und ich habe auf meinem Lehrweg gelernt, die Zeichen des Himmels zu lesen. Angesichts der massiven ökologischen Probleme und Herausforderungen, vor denen wir Menschen stehen, sollten wir von denen lernen, die sich am besten mit der Natur auskennen und seit jeher im Einklang mit ihr leben.


MEIN WEG ZU DEN LAKOTA UND IHREM WISSEN

Sicher war es ein Kindheits- oder Jugendtraum: einmal „echte“ Indianer zu sehen, einmal die Prärie zu besuchen, vielleicht sogar – ein ganz vermessener Wunsch, so schien es mir damals – mit Indianern zu sprechen. Dass dies tatsächlich einmal geschehen würde, dass ich solch engen Kontakt haben würde – das habe ich mir beim besten Willen nicht vorstellen können.

EINMAL INDIANER, IMMER INDIANER?

Es gibt noch ein Foto im Familienalbum, da sitze ich auf einem Schaukelpferd, das weiß war mit grauen Tupfen. Ich liebte es heiß und innig und unternahm stundenlange „Ausritte in die Prärie“. Zu meinen frühesten Erinnerungen gehören Indianerfiguren, und beim Spielen wollte ich immer, dass die Indianer gegen die Cowboys gewinnen sollten. Natürlich verkleidete ich mich auch an Fastnacht manchmal als Indianer. Als Kinder spielten wir auf der Straße, im Park oder im Garten: Fußball, Verstecken, Räuber und Gendarm und natürlich immer wieder Cowboy und Indianer. In meiner Jugend gab es ja keine Spielkonsolen, geschweige denn das Internet mit all den sozialen Netzwerken, die heute schon für Kinder selbstverständlich sind.

Wie wohl viele Jungs in den 1960ern habe ich die Indianergeschichten von Karl May verschlungen, von den „Rothäuten“ und ihrem Leben in der Prärie war ich ebenso fasziniert wie Schulfreunde und Altersgenossen. Der edle Winnetou und seine Apachen hatten es mir immer schon eher angetan als Old Shatterhand und die anderen „Bleichgesichter“ in den Büchern Karl Mays. Aber da bin ich sicher kein Einzelfall. „Echte“ Indianer wie Sitting Bull oder Crazy Horse kannte ich nicht. Und später, als Erwachsener, verband ich mit dem Namen „Crazy Horse“ wie viele andere lediglich das berühmte Nachtclub-Varieté in Paris. Dass es da noch etwas anderes gab, nämlich den letzten Häuptling der Lakota, das entdeckte ich erst 1997, und auch erst, nachdem ich schon neun Jahre lang als fireman bei Archie Lame Deer gewirkt hatte.

LIEBE ZUR NATUR UND SCHUTZ DER UMWELT

Meine Mutter ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Nach ihren Erlebnissen im Krieg hatte sie den Glauben an Gott verloren – wichtiger war ihr jetzt die Natur, und sie hat uns Kindern immer vermittelt, wie wichtig die Natur und unsere Umwelt seien. Mein Vater spielte bei meiner Erziehung keine Rolle; er hatte die Familie verlassen, als ich drei Jahre alt war, und ich habe ihn erst mit fünfzehn Jahren wiedergetroffen.

Zu Hause wurde sehr darauf geachtet, möglichst natürlich zu essen – Dosenprodukte kannten wir so gut wie gar nicht, selbst wenn es sie natürlich hin und wieder mal gab. Meine Mutter hatte eigentlich immer einen Garten, in dem sie Gemüse und Obst erntete. Natürlich hatten wir auch Tiere und lernten so schon als Kinder – wie es in vielen Familien üblich war und ist –, Verantwortung für andere Lebewesen zu übernehmen.

 

Anfang der 1980er baute meine Schwester gemeinsam mit ihrem Mann das erste Biocenter Deutschlands auf, die „Biologische Insel“ in Brühl bei Mannheim. Sie zählten für den Bereich Naturkost und Gartenbau, aber auch mit baubiologischen Baustoffen und Farben für „Natur am Bau“ zu den ersten Öko-Pionieren.

Meine Berufswünsche lagen zunächst ganz woanders: Mich interessierte die Welt der Werbung, ich liebte schnelle Autos, meine Gitarre, Sport und Spaß, lebte in meiner Studentenzeit auch oft von Ravioli aus der Dose – kurzum: Ich war sicher nicht anders als meine Schul- und Studienfreunde, außer dass ich schon früh von Psychologie fasziniert war. Mein erstes Buch zu diesem Thema las ich bereits mit zwölf, und wenn ich mein weiteres Leben und meine berufliche Laufbahn betrachte, passte dieses Geschenk meiner anderen Schwester perfekt. Es war das Werk „Wie eine Meinung in einem Kopf entsteht“ von E. A. Rauter. Gut zehn Jahre später entdeckte ich die Bücher von Carlos Castaneda und fand darin neue Perspektiven für mein eigenes Leben. (Bei Castaneda handelt es sich aber um Fantasy. Das Thema stimmt, jedoch nicht die Methoden.)

Ökologisches Denken und Handeln kannte ich also schon in meiner Familie. In den Ferien jobbte ich in der „Biologischen Insel“. Damals lernte ich viele andere aus der ersten Zeit der ökologischen Bewegung kennen und mir wurden mehr und mehr die realen Umweltprobleme bewusst. Meinen Wunschberuf konnte ich, da war ich sicher, auch für ökologische Belange einsetzen. Die Idee war, die bis dato unbesetzten Nischen in Sachen Ökologie bei der Werbung, im Marketing und in der Unternehmensberatung zu füllen. Obwohl wir alle „eigentlich“ grün denken, handeln wir nicht danach. Ökologie ist also – da war und bin ich mir sicher – ein Marketingproblem.

ANFANGS EIN UNBEKANNTES WAGNIS: WERBUNG FÜR UMWELTSCHUTZ

Noch während meines Studiums probierte ich das aus und gründete 1984 die erste Werbeberatung ausschließlich für ökologische Produkte. Der erste Kunde war mein Schwager, der Jahre später die Firma „Pro Clima“ gründete und der Erste war, der Energiesparen am Bau umsetzte. Sein Unternehmen ist heute international erfolgreich. Ich wollte aber nicht nur vereinzelte kleine Ökobetriebe sehen, ich wollte von Anfang an den ganzen Markt. Mir war klar, dass ich dies nur erreichen kann, wenn sich die allgemeine Ansicht über Umweltschutz ändert. Einzelne Firmen, selbst wenn es große Unternehmen sein sollten, waren zwar interessant. Aber sie würden kein Umdenken in den Köpfen der Menschen bewirken. Mein Ziel war es, an die Wurzel des Übels zu kommen – und das war die Industrie, die die Chance und Möglichkeiten ökologischer Produkte als zu gering einschätzte und daher in diesem Bereich erst gar nicht tätig wurde. Wenn wir alle jedoch überhaupt eine Chance haben sollten, unsere Umwelt zu retten, müssten solche Produkte möglichst schnell im Markt platziert werden. Dafür interessierte sich damals keine Werbeagentur.

PSYCHOLOGIE UND WERBUNG: „MEINE“ KOMBINATION

Schon früh in meiner Jugend hatte ich mich für Psychologie interessiert und letztendlich dann in Sozialpsychologie promoviert. Vorausgegangen waren zwei Semester des Studiums der Mathematik und Volkswirtschaftslehre sowie Soziologie mit dem Schwerpunkt Wirtschaftspsychologie. Seit Beginn meiner beruflichen Tätigkeit in der Marktforschung und als Marketingberater hatte ich mich immer wieder mit Umwelt- und Naturschutz beschäftigt, und ich stieß – beispielsweise als Lehrbeauftragter an der Universität Mannheim zur Marktforschung für ökologische Produkte oder in Studien für etwa die CMA („Centrale Marketing-Gesellschaft der deutschen Agrarwirtschaft“) – auf das Thema, das mein Leben heute mehr denn je bestimmt: das bewusste Wahrnehmen der Umwelt, das sich nach und nach in fast allen Bereichen unserer Gesellschaft findet.

Veröffentlichungen und Studien zur Ökologie in der Werbung und zum Kaufverhalten von Konsumenten waren in meiner Arbeit da beinahe eine logische Weiterentwicklung, vor allem bei der Erforschung ökologieorientierten Kaufverhaltens: Nachhaltigkeit (engl. sustainability) beispielsweise beim Bauen und Wohnen unter anderem in der Projektarbeit für den internationalen Verband „natureplus“, der das gleichnamige internationale „Bio-Siegel der Bau- und Wohnprodukte“ vergibt. Nach dem Ende dieses Projekts, im März 2009, führte ich meine seit vielen Jahren angesammelten Forschungsarbeiten in einer Dissertation zusammen.

NETZWERK AUS UNTERNEHMEN, WERBUNG UND WISSENSCHAFT

Selbst wenn mein Alltagsleben zunächst gleich blieb: Auf beruflicher Ebene unterstützte ich die ersten Jahre (und auch später, wann immer ich konnte) konsequent ökologische Produkte. Nach und nach ergab sich in 25 Jahren ein Netzwerk aus Unternehmen, Marketingexperten und Wissenschaftlern, die gemeinsam für Ökologie und Nachhaltigkeit standen. Beispielsweise mit Professor Hans-Peter Dürr, der an der Uni Mannheim 1996 den Festvortrag anlässlich der „Einführung des Wahlpflichtfachs Ökologie in Studiengängen der Wirtschaftswissenschaften“ hielt. Das war eine Innovation, der erste Studiengang dieser Art. Ich habe dann im Wintersemester 1996/97 den ersten Lehrauftrag „Marketingforschung für ökologische Produkte und Projekte“ erhalten. 1998 hielt ich auf dem jährlichen Weltkongress für Markt- und Sozialforschung von ESOMAR ein Referat und präsentierte eine Kongresspublikation zum Thema Ökologie – damals in meinem Bereich, dem Marketing, noch ziemlich allein auf weiter Flur (meine Vorträge bei der ESOMAR in den Jahren 1991 und 1992 waren zu anderen Themenbereichen). Warum interessieren sich die entsprechenden Fachleute nicht stärker für dieses Thema? Ganz einfach, weil sich damit bis dato kaum ein Geschäft machen ließ.

ZUFALL ODER SCHICKSAL? BEGEGNUNG MIT DEN LAKOTA

Im Frühjahr 1988 bekam meine Schwester, die ja in der Öko- und Healthfood-Szene sehr aktiv war, auf irgendeinem Weg ein kopiertes Blatt mit der Ankündigung in die Hand, ein Lakota-Indianer würde an einen abgelegenen Ort in Österreich kommen und dort ein Wochenendseminar halten. Es war Zufall – oder doch nicht? Unser gemeinsames Interesse an Natur, Psychologie, Spiritualität und Ökologie und mein spezielles Interesse an Indianern ließ uns spontan nach Österreich fahren. Meine Schwester war schon Jahre zuvor einige Male in den USA gewesen, sie war Schülerin von Harley Swift Deer Reagan.

Der Lakota in Österreich – das war Archie Lame Deer. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt keine Ahnung, wer er war. Ich wusste nur: Da ist etwas, das mich bis ins Innerste berührt. Das ist meine Welt.

VERTRAUEN AB DER ERSTEN SEKUNDE

Ich werde oft gefragt, wie sich zwischen Archie Lame Deer und mir (und später mit anderen Medizinmännern der Lakota) ein so außergewöhnliches Vertrauensverhältnis aufbauen konnte. Dazu kann ich nur sagen: Es bestand von Anfang an. Es war sofort ein familiäres Gefühl da, sofort Freundschaft. Lame Deer fragte mich schon am zweiten Tag nach unserem Kennenlernen, ob ich sein Feuermann (fireman) werden würde. Ein paar Wochen später sagte er, ich müsse mit nach Süd-Dakota kommen.

HARLEY SWIFT DEER REAGAN

Der Cherokee-Halbblut Harley Swift Deer Reagan unternahm Anfang der 1980er-Jahre den Versuch, das indianische Wissen um Psychologie in sogenannte Medizinräder (s. Seite 205) zu fassen. Swift Deer ist in der europäischen Esoterikszene bekannt. Er hatte europäische Sonnentänze initiiert, die allerdings von der Originalversion abweichen. (Einige Überzeugungen und Methoden von Swift Deer kann ich auf keinen Fall unterstützen.)

Egal, wo ich war, mit welchen Lakota ich zusammentraf: Ich wurde immer herzlich aufgenommen, stets sprach man mit mir ohne Vorbehalt. Archie nahm mich schon nach dem ersten Sonnentanz, bei meiner ersten Reise zu den Lakota 1988, mit zum Ältestenrat.

Ich möchte aber ausdrücklich betonen, dass einige andere ebenfalls solch ein Vertrauensverhältnis haben, vielleicht sogar noch tiefer und bestimmt noch familiärer. Der Unterschied zu mir ist: All diese Freunde haben andere Berufe und stehen nicht im fachlichen Austausch mit Verbänden der Ökologie und in der Industrie.

FEUERMANN UND „COMMUNICATOR“

Archie Fire Lame Deer war einer der spirituellen Führer der Lakota und ein wichtiger Vermittler zwischen „roter“ und „weißer“ Welt. Er gab mir meine erste geweihte Adlerfeder.


Von Archie Fire Lame Deer erhielt ich meine erste geweihte Adlerfeder.

1988, kurz nachdem ich ihn in Österreich kennengelernt hatte, fuhr ich mit seiner Familie durch den Westen der USA nach Süd-Dakota, zum Sonnentanz der Lakota. Dort bot mir Archie an, das Zeremonialfeuer zu hüten und den Medizinmännern als Feuermann oder Feuerhüter (fireman) zu assistieren (dazu mehr im dritten Kapitel). Archie sagte: „You are our communicator, the fireman is the communicator. Pay attention well.” – „Du bist unser Sprachrohr, der Feuerhüter ist der Kontaktmann. Pass gut auf.“

Nach diesem Sonnentanz kam ein Sonnentänzer zu mir und sagte: „Now you are one of us, for the rest of your life.“ – „Nun bist du einer von uns, für den Rest deines Lebens.“ Und humorvoll, wie die Lakota nun mal sind, sagte er dazu: „If you want it or not.“ – „Ob du willst oder nicht!“

Als Archie mich zum Feuermann berief, hat er vor allen auf Indianisch zum Himmel gebetet und geweint. Ich weiß heute, dass das das einzige Mal in einem situativen Zusammenhang wie diesem war. In den Folgejahren führte ich mit Archie an verschiedenen Plätzen Seminare und Zeremonien durch, bis ich – im Frühjahr 1997, ebenfalls durch Archie Fire Lame Deer – meine Initiation zum Heyoka erleben durfte. Niemand kann „einfach so“ Medizinmann, Feuermann oder Ähnliches werden, ohne einen anderen Medizinmann zum Lehrer und vor allem einen Lehrweg zu haben. Dieser Weg dauert lange und ist nicht einfach. Bei mir dauerte es zunächst neun Jahre, bis ich das zweite Mal den Auftrag erhielt, der diesem Buch zugrunde liegt. Nämlich das Wissen der Lakota zu erklären. Und mein Weg ist heute noch nicht zu Ende.

Selbst nach neun Jahren war ich noch nicht bereit, meine Aufgabe „offiziell“ anzunehmen: Spirituell war so viel geschehen, alle Ereignisse waren so beeindruckend, dass ich damit erst einmal allein fertig werden musste. Ich beschloss, das „Amt“ des communicators zunächst einmal nicht öffentlich auszuüben, sondern im Hintergrund zu wirken und alles geheim zu halten. Was ich aber zumindest bei den Lakota nicht geheim halten konnte, war mein spirituelles Erlebnis beim Sonnentanz im Jahr 1988: die Begegnung mit Crazy Horse.

DIE RÜCKKEHR VON CRAZY HORSE

Als ich 1988 – damals war ich sozusagen noch ein ahnungsloser junger Mann – beim Sonnentanz von Archie Fire Lame Deer als Feuerhüter diente, kam am dritten Tag ein Mann auf einem großen weißen Pferd mit kreisförmigen grauen gesprenkelten Flecken angeritten. Er trug eine einfache schwarze und knielange Kutte mit einer weißen Kordel, die Kapuze über den Kopf. Der Anblick erinnerte mich an die Mönchskutte der Gnostiker. Der Mann stieg ab, blickte unbeirrt auf den Tanzplatz und lief an mir vorbei. Beiläufig fragte er mich auf Englisch, ob ich auf sein Pferd aufpassen könne. Dann ging er schnurstracks dorthin, wo die Lakota die Zeremonie durchführten. Alle diese Dinge lernte ich erst viele Jahre später zu verstehen. 1988 schaute ich nur zu, ohne um die Symbolik zu wissen. Ohne zu begreifen, was da wirklich geschah. Als Nächstes sah ich, wie der Mann von Archie Fire Lame Deer aus dem Kreis getrieben wurde, und zwar exakt vom Osten des Platzes aus, am äußeren Rand des Runds. Der Mann war dabei leicht nach vorn gebeugt und hielt seine Arme auf der Brust verschränkt (etwa so, wie es bei Beerdigungen der Fall ist) – und er lief rückwärts. Lame Deer schwang bedächtig und konzentriert einen Adlerflügel auf eine bestimmte Art vor ihm. An der Nordstelle legte der Mann an Tempo zu, griff sich dann vom Altar im Westen, wo Lame Deer einige Pfeifen und andere Gegenstände aufgestellt hatte, die Pfeife mit dem schwarzen Kopf. Sie war spiralförmig geschnitzt mit etwa sieben Windungen und sah perfekt gedrechselt aus, war aber ansonsten ohne Zierrat.

Danach rutschte er – ebenfalls rückwärts – auf Knien in die rechte der beiden Schwitzhütten vor dem Tanzplatz, in die Hütte von Archie Fire Lame Deer. Der „Mann in Schwarz“ setzte sich nahe der kleinen Tür der igluförmigen Hütte auf den 14. Platz (in der symbolischen Anordnung steht dieser für den Nagi, der die Totenseelen symbolisiert). Er hatte die Pfeife bei sich, nahm einen rotbraunen Lederbeutel und stopfte sie mit dem kleinen Finger der rechten Hand statt mit einem hölzernen Stopfer. Erst später fand ich heraus: Genauso machte es Crazy Horse, das weiß man aus alten Erzählungen und Augenzeugenberichten. Etliche Jahre danach entdeckte ich in einem Buch des amerikanischen Autors und Herausgebers Richard G. Hardoff eine Zeichnung von Crazy Horse und wusste sofort: Das ist der Mann, den ich gesehen hatte.

 

Ich erinnere mich, dass ich dachte: Der arme Mann wird einfach vom Platz getrieben, und keiner kümmert sich um ihn. Also ging ich hin, fragte, ob ich ihm helfen könne, worauf ein sehr bestimmtes „Oh yes“ kam und er folgende Anweisungen erteilte: „Bring me four stones and two buckets of water and cedar from the bush down there!“ – „Oh ja. Bring mir vier Steine und zwei Eimer Wasser und Zeder von dem Busch da drüben!“ Sein Befehlston ärgerte mich. Ich dachte mir: „Erst bin ich freundlich, und dann kommandiert der mich so herum.“

Trotzdem wunderte ich mich: Denn üblicherweise werden viel mehr Steine für Schwitzhütten genommen, außerdem sind zwei Eimer Wasser recht viel zum Aufgießen für nur vier Steine. Ich merkte allerdings zu meinem Erstaunen, dass in diesem Moment noch genau vier heiße Steine im Feuer lagen.

Als der Mann fertig war und die Pfeife fertig geraucht hatte, saß er auf dem 15. Platz der symbolischen Anordnung der Schwitzhütte (das ist Sitschun, der Platz des Intellekts). Dann kroch er rückwärts wieder aus der Schwitzhütte, kam direkt auf mich zu, nahm meine rechte Hand in seine beiden Hände, die sich warm anfühlten. Die Pfeife hatte er unter den Arm geklemmt und er sprach zu mir, während er meine Hand schüttelte. Es war eine Sprache, die nicht Lakota war und nicht englisch, und auch beides nicht rückwärts gesprochen, wie es Heyoka manchmal tun. Ich weiß nur, dass es unendlich freundlich und lieb klang.

Ich schaute auf seinen Mund und sah nur schwarz. Keine Zähne, keine Zunge. Er war innen leer, er hatte kein Fleisch und kein Blut.

Ich sah, aus seiner Sicht unten links vorn, wie sich eine Art weicher Zahn bildete. Während ich darauf schaute, begann der Zahn sich in eine Art Wolke zu verformen, die schließlich in einen Spiralnebel überging, der zum Schluss so aussah wie unsere astronomischen Aufnahmen der Milchstraße.

Als er aufhörte zu sprechen, meinte ich: „I don‘t know who you are, but you are ok.“ Ich hatte mich einfach gefreut, dass er sich zum Schluss anscheinend doch noch bedankte, und ich war außerdem irgendwie beeindruckt, ohne wirklich zu wissen, wovon eigentlich.

Der Mann ging dann zu seinem Pferd und setzte sich rücklings darauf. Das Pferd trottete weg, während er die Pfeife in seinen verschränkten Armen hielt und mich traurig anschaute – so wie jemand, der sich verabschieden muss.


Kurz darauf lief ein Sonnentänzer aufgeregt vom Tanzplatz zu mir her und rief: „This was a spirit, this was a spirit.“ – „Das war ein Geist, das war ein Geist!“ und: „You will never forget that day!“ – „Du wirst diesen Tag niemals vergessen!“ Ich beschloss trotzdem, zunächst einmal kein Aufheben um dieses Erlebnis zu machen, und meinte: „Keep cool.“ Es ist aber wirklich so, wie der Sonnentänzer sagte: Ich habe das nie vergessen, aber viele Jahre lang darüber kein Wort verloren.

WAS CRAZY HORSE GESUNGEN HAT

Der „Mann in Schwarz“ hatte allein mit mir als fireman eine Zeremonie mit nur zwei „Türen“ gemacht. Er öffnete also lediglich zweimal zwischen den Gebeten die kleine Tür der indianischen Saunakirche (üblich sind mindestens vier „Durchgänge“). Seine Lieder und Gebete haben sich mir eingeprägt.

Als Erstes sang er das sogenannte Lied der Pfeife. So viel Lakota kannte ich damals schon und so viele gebräuchliche Lieder hatte ich gehört, um das zu erkennen. Danach folgte ein Lied mit zwei Strophen, das mir in der Länge dem zu entsprechen scheint, was als persönliches Lied von Crazy Horse überliefert ist. Dieses Lied wurde Crazy Horse gemäß Überlieferung von einem Geist gebracht, der sich dann in ein Kaninchen verwandelte und weghoppelte – in den Jahren zwischen 1860 und 1870. Es wurde über die dunkle Zeit gerettet. Auch Archie lernte es, hat es übersetzt und dann in seiner Biografie darüber berichtet.

Mein Freund, Sie werden wiederkehren. Überall auf der Erde Kehren sie wieder. Uralte Lehren der Erde, Uralte Lieder der Erde, Sie kehren wieder.

Mein Freund, sie kehren wieder.

Ich gebe sie dir,

Und durch sie

Wirst du verstehen,

Wirst du sehen.

Sie kehren wieder

Auf der Erde.

Dieses Lied, das ich in der Schwitzhütte selbst hörte, machte mir später, vor allem nach der Lektüre seiner Biografie, die enge Verbindung zu Crazy Horse bewusst. Und es rückte mir meine Aufgabe wieder ins Bewusstsein.

Nach diesem Lied sang der Mann in der Kutte noch ein drittes, das ich nicht kannte. Ein Medium vermutete später, es sei das Lied der Liebe gewesen. Er sang alle drei Lieder eher schüchtern und unsicher, zumindest zu Beginn.

Die ganze Erscheinung, die gesamte Rückkehr von Crazy Horse dauerte etwa eine Dreiviertelstunde. Zum Zeitpunkt dieses Erscheinens hatte ich noch keine Ahnung, was das alles bedeuten sollte. Erst viel später erkannte ich die Bedeutung, an die ich heute glaube, nein, von der ich weiß, dass sie richtig ist: Es gibt Gott, den Großen Geist, wirklich, und unsere Gebete werden gehört, egal ob es fünf Minuten oder fünfzig Jahre dauert. Für mich war es eine Erlösung und ein überraschendes Geschenk. Es ist ein Unterschied, ob man so etwas liest und glaubt oder aber tatsächlich erlebt. Die Alltagssorgen werden dadurch nicht kleiner, aber die meisten Fragen sind beantwortet, und die Angst vor dem Tod verschwindet.


Zeichnungen nach Aussagen von Zeitzeugen von Crazy Horse, so wie er wirklich ausgesehen hat, bei ca. 174 cm Körpergröße und 70 kg Körpergewicht

ZEUGEN FÜR DIE RÜCKKEHR VON CRAZY HORSE

Über zweihundert Menschen haben den Mann bei seinem Auftritt 1988 gesehen, aber niemand außer mir und Archie so nah von Angesicht zu Angesicht. Archie berichtete später, auch er habe das Universum in seinem Mund gesehen, aber auch in seinen Augen. Niemand hatte den „Mann in Schwarz“ jedoch in der Schwitzhütte erlebt, bei der ich Feuermann war. Dass der Mann in der schwarzen Kutte mit stahlblauen Augen kam und zum Schluss aber braune hatte, dass er die Kutte für das Schwitzbad gar nicht auszog und trotzdem keinen Schweißtropfen auf der Stirn hatte und dass die weiße Kordel, die mit nur einer, also keiner doppelten Schlaufe gebunden war, selbst nach dem Kriechen und Sitzen in der Schwitzhütte kein bisschen verrutscht war – das alles hatte ich bemerkt und erinnere mich daran. Ebenso wie die modernen Basketball-Kniestrümpfe mit zwei blauen und dazwischen einem roten Ringelstreifen, die er trug, dazu jedoch keine Schuhe.

Ein junger Amerikaner, mit dem ich nach dem Sonnentanz zusammen mit meinem Feuermannlehrer Bradford durch die USA fuhr, hatte die Szene zwischen mir und dem Mann in der Kutte ebenfalls gesehen. Ich fragte ihn, wer und was das wohl war, und er meinte: „May be he has blessed you!“ – „Vielleicht hat er dich gesegnet!“

Bei späteren Erzählungen im kleinen Kreis lernte ich hie und da ein Fragment an Wissen dazu, zum Beispiel, dass manche Indianer, sogenannte Heyoka, oft vom Tanzplatz verbannt würden. Es gab auch die klare Aussage, dass ich den Mann eines Tages wiederfinden werde. Aber so richtig gab mir niemand eine Erklärung.

WIE KONNTE CRAZY HORSE 111 JAHRE NACH SEINEM TOD WIEDERKOMMEN?