Depression und Burn-out überwinden

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Trost und Halt auf dem Weg aus der inneren Einsamkeit

Zum Verständnis:

Depressive Menschen leiden vor allem unter einem quälenden Gefühl von Niedergeschlagenheit und Einsamkeit, das sich anfühlt, wie wenn jemand von sich selbst abgeschnitten ist. Es ist das Gefühl von Gefühllosigkeit, das so unerträglich ist und kaum richtig benannt werden kann. Manchen hat es geradezu „die Sprache verschlagen“. Um da herauszukommen, braucht man einen langen Atem. In diesem Prozess sind Menschen auf Trost und Halt von außen angewiesen, denn dadurch lassen sich Zuversicht und Hoffnung schöpfen. Gerade Trost ist ein Faktor im Heilungsprozess, dem in unserer technisierten Medizin kaum Bedeutung beigemessen wird. Erfahren Menschen Trost, so schöpfen sie wieder Hoffnung. Auf diese Weise hören die Alarmreaktionen im emotionalen Gehirn sofort auf und es kommt zur Regeneration der seelischen Kräfte.

Eine Patientin berichtete mir, dass in ihrer Klinikzeit ein einziges Gespräch mit der Nachtschwester, in dem sie sich auf einer tiefen Ebene verstanden fühlte, dazu beitrug, dass sie keine Schlafmittel mehr brauchte. Psychodynamik ist eben stärker als „Pharmakodynamik“, was so viel heißt wie: Heilsame Beziehungen wirken stärker als jedes Medikament. Da Sie dieses Buch in die Hand genommen haben, nehme ich an, dass Sie daraus Trost und Bestärkung schöpfen möchten. Ich werde im Folgenden beschreiben, worum es sich dabei handelt.

Menschen mit Depression quält, unabhängig davon, ob sie allein oder mit jemand zusammen leben, ein Grundgefühl von tiefer innerer Einsamkeit. Selbst in der Umgebung liebevoller Familienangehöriger kommen Sie sich phasenweise vielleicht völlig verloren vor, denn keiner kann ganz genau nachfühlen, was Sie da gerade durchmachen. Außerdem schmerzt die Erkenntnis, dass Sie an dem guten Lebensgefühl Ihrer Mitmenschen gerade überhaupt nicht teilhaben können. Stattdessen haben Sie das Gefühl wie abgeschnitten zu sein von denen, die Ihnen sonst ganz vertraut sind. Hinzu kommt, dass Sie sich kaum für Ihre Außenwelt interessieren, da sich im Moment all Ihre Kräfte nach innen richten.

Die ungewohnten Stimmungsschwankungen sind beunruhigend für Sie. Vielleicht haben Sie das erste Mal in Ihrem Leben das Gefühl, sich nicht mehr auf sich selbst verlassen zu können, und Sie können das niemandem so recht mitteilen. Die Folge ist nicht selten Verzweiflung.

In dieser Situation brauchen Sie eine sichere und zuversichtliche Begleitung durch eine Person Ihres Vertrauens, die die fachliche Kompetenz im Umgang mit solchen Lebenssituationen hat. Sie übernimmt für eine gewisse Zeit die Funktion, Ihnen Trost, Halt, und ein Geländer zu bieten, an dem Sie sich während des Heilungsprozesses festhalten können. Gehen werden Sie alleine.

Der Begriff „Trost“ mutet in unserem modernen Medizinbetrieb, in dem es oft um gnadenlose Aufklärung geht, schon fast altmodisch an. Trost ist aber gerade am Anfang ein notwendiges Element des Heilungsprozesses. Ohne Trost zu erfahren, kann man als Depressiver leicht den Mut verlieren. Die typische Befürchtung ist, nie wieder ein normales Leben führen zu können. Auch wenn man Ihnen immer wieder versichert, dass das vorübergeht, können Sie es nicht glauben.

Das Wort „Trost“ ist nach Anselm Grün (2008) vom Wortstamm „treu“ hergeleitet und bedeutet „innere Festigkeit“. Jemand, der Trost spendet, hält also mit seiner eigenen inneren Festigkeit zu demjenigen, der da gerade durch tiefe Gefühle von Einsamkeit und Angst geht. Trost wirkt aber nicht als billiger Trost. Wer wirklichen Trost spendet, kann mit dem Erkrankten mitschwingen und traut ihm aufgrund seiner Erfahrung zu, dass er oder sie wieder gesund wird. Dadurch, dass jemand an Sie glaubt, kann sich das Gefühl der Zuversicht mit der Zeit auf Sie übertragen.

Halt und Orientierung, ähnlich einem stabilen Geländer, braucht der depressive Mensch ganz besonders, weil dieses Krankheitsbild in seiner Symptomvielfalt so komplex ist. Die Betroffenen können sich nicht mehr auf Gewohntes verlassen, da täglich neue Herausforderungen bewältigt werden müssen. Ein Therapeut hilft, zu sortieren, zu erklären und schlägt Werkzeuge vor, die helfen, auch mit schwierigen inneren Zuständen umzugehen. Sie werden sich selbst auf diese Weise immer besser verstehen und steuern können. Der Therapeut feiert auch Ihre kleinen Siege mit, die dazu motivieren, am Heilungsprozess dranzubleiben. Ein Therapeut setzt aber auch Grenzen und fordert dazu auf, selbst kreativ zu werden.

Sie können sich diesen Prozess ähnlich dem Entwicklungsprozess als Kind vorstellen. Ein Kind geht an der Hand seines Vaters oder seiner Mutter überall durch, wenn Mutter oder Vater dem Kind Sicherheit vermitteln. Aus Ihrer Kindheit erinnern Sie sich vielleicht noch daran, dass einmal jemand zu Ihnen gesagt hat: „Ich weiß, das ist jetzt nicht so einfach für dich, aber wir schaffen das, wir beide zusammen.“ Vielleicht ist es wichtig, dass Sie genau diese Erfahrung jetzt machen dürfen.

Mit einem Menschen Ihres Vertrauens, der Erfahrung und Zuversicht hat, lässt sich jede Krise mit der Zeit überwinden. Anfangs braucht es vielleicht häufigere Kontakte, manchmal auch tägliche kurze Telefonate, die Sicherheit geben. Später können die Abstände länger werden, da Sie Ihre Gefühle und Reaktionen immer besser einordnen und damit umgehen können. Sie gewinnen zunehmend Ihr Vertrauen zu sich selbst zurück. Die Krankheitssymptome mögen noch so schwer zu ertragen sein – wenn da jemand ist, der Sie und die Situation versteht, lassen sich immer Lösungen und neue Perspektiven finden. Und dadurch lösen sich die Symptome mit der Zeit auf.

Nicht umsonst wird der therapeutische Prozess oftmals als ein Nachreifungsprozess verstanden. Reifung und Wachstum sind jedoch Vorgänge, die man nicht durch Aktionismus erreichen kann, sondern dadurch, dass man günstige Rahmenbedingungen schafft: indem Sie aufhören, Ihre Empfindungen wie bisher unter Kontrolle zu halten oder durch Aktionismus zu überdecken. Jetzt geht es darum, zur Ruhe zu kommen und jede Anstrengung zu vermeiden. Trost und Halt finden Sie bei Menschen Ihres Vertrauens, bei Gleichgesinnten und erfahrenen Leidensgenossen. Mit der folgenden Übung können Sie aber auch in sich selbst Halt und Trost finden.

Meine Empfehlung:

Lehnen Sie sich einen Moment entspannt zurück, spüren Sie Ihre Füße auf dem Boden und erinnern Sie sich daran, wann und wo in Ihrem Leben es einmal eine Situation gegeben hat, die Ihnen Halt und Trost gespendet hat. Wer hat Ihnen einmal gutgetan? Das muss kein besonderes Ereignis gewesen sein, es kann sich sogar nur um eine kleine Geste handeln, ein Lächeln, einen Zuspruch, kleine Dinge, die Sie einmal angenehm berührt haben.

Vollziehen Sie jetzt, in diesem Moment, nach, was für ein Gefühl das bei Ihnen ausgelöst hat. Wie hat sich Ihr Körper angefühlt? Was haben Sie gedacht? Und dann lassen Sie die Empfindungen bewusst auf sich wirken und im Körper ausbreiten. Ähnlich wie in der realen Situation können Sie den Zustand im Hier und Jetzt abrufen und bei sich verankern. Falls Ihnen gerade keine solche Situation einfällt, fantasieren Sie sich selbst eine ideale Situation und das zugehörige Körpergefühl. Für unser Gehirn macht das keinen Unterschied. Es kommt nur auf die Empfindungen und Reaktionen im Gehirn an, die dadurch ausgelöst werden. Dieses innere Bild kann zu einer wichtigen Ressource werden, die Sie immer nutzen können, wenn Ihnen danach ist.

Der bekannte Arzt und Psychotherapeut Irvin D. Yalom berichtet in einem seiner Filme, wie ein Arzt ihm als kleinem Jungen einmal seine Hand auf den Kopf gelegt und ihm tröstend die Haare „gewuschelt“ habe, als er bei dem Herzinfarkt seines Vaters völlig alleingelassen war und große Angst hatte. Dieses tröstende Erlebnis war so tiefgehend, dass es zu dem frühen Entschluss führte, Arzt zu werden.

Ich selbst erinnere mich wie heute an den verstehenden Blick und ein wissendes Nicken meiner damals bereits sehr alten Atemtherapeutin, Frau Goralewski in Berlin, die mich tief in meiner Seele berührte und mir, der damals verunsicherten Studentin, vermittelte: „Ich weiß, wer du wirklich bist! Ich verstehe dich.“ Dieser Blick in meine Seele war mit entscheidend dafür, die tiefe Bedeutung von Trost und Zuspruch für Menschen in Not zu verstehen. Öffnen Sie sich für Trost spendenden Zuspruch! Er tut Ihnen gut.

Sie müssen jetzt nichts können!

Zum Verständnis:

Erinnern wir uns noch einmal an die neurobiologischen Ursachen für die depressive Stimmungslage: Durch andauernden Alarm im limbischen System kommt die Produktion der Neurotransmitter dem Bedarf nicht mehr hinterher. Die so wichtigen Botenstoffe, die für eine stabile Motivation und Stimmung, für Frustrationstoleranz und Offenheit im sozialen Kontakt sorgen, fehlen. Auch die Nebennierenrinde ist in Mitleidenschaft gezogen. Der Körper wird überflutet mit Adrenalin, was ein ständiges Gefühl von Unruhe oder Blockiertheit erzeugt. Indem Sie aufhören, sich anzustrengen oder sich selbst Druck zu machen, tragen Sie dazu bei, dass Ihr System aus diesem Notstand herauskommt.

Vielleicht haben Sie – schon seit Jahren – die Empfehlung bekommen, gegen ihre depressiven Stimmungen anzukämpfen und sich auf keinen Fall in depressive Stimmungen hineinfallen zu lassen, sondern stets die Kontrolle über ihr Erwachsenen-Ich zu behalten. Häufig haben Sie als Betroffene genau das schon viel zu lange versucht. Stattdessen ist es gerade jetzt wichtig, nichts können zu müssen und nichts tun zu müssen. Das bedeutet nicht, den ganzen Tag nur noch auf dem Sofa zu liegen, sondern ganz bewusst ein Gefühl dafür zu bekommen, wann es gut ist, von sich selbst etwas zu fordern, und wann genau das Gegenteil besser ist.

 

Die oben erwähnten Ratschläge sind gerade im Familien- und Freundeskreis oft gängige „Rezepte“, um die eigene Angst (der Ratgebenden) vor solchen seelischen Befindlichkeiten abzuwehren. Meist sind sie gut gemeint, manchmal auch sinnvoll, oft aber eine Überforderung und vor allem jetzt: kein guter Ratschlag. Was können Sie selbst also zu Ihrer Entlastung beitragen?

Viele Betroffene erzählen mir, wie wohltuend es für sie ist, wenn sie die Erlaubnis bekommen, nichts tun zu müssen. Dazu gehört manchmal, einfach nur auf dem Boden zu sitzen und nur wahrzunehmen, dass es ganz still ist. Andere halten sich mit leichten Spaziergängen am liebsten in der Natur auf. Menschen im Arbeitsprozess können zum Beispiel darauf achten, dass sie keine Höchstleistungen von sich erwarten, sondern einfach nur das Notwendigste schrittweise abarbeiten. Die Seele sucht nach Ausgleich. Wenn Ihr System diesen Ausgleich bekommt, werden Sie ganz von selbst wieder aktiver, indem Sie Ihre Belastung steigern oder mehr Kontakt nach außen aufnehmen. Entscheidend ist, sich nicht einfach passiv „hängen zu lassen“, sondern sich ganz bewusst in eine entspannte, anstrengungslose Verfassung zu bringen oder etwas zu tun, was Ihrer Verfassung gemäß ist.

Vielen Betroffenen ist es peinlich, sich wegen einer seelischen Krise krankschreiben zu lassen. Sie kommen sich unnütz vor und haben das Gefühl, anderen nur noch zur Last zu fallen. Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie schlimm sich jedes Eingeständnis anfühlt, gerade nicht einsatzfähig zu sein. Ja, das ist schwer auszuhalten, nichts mehr „bringen“ zu können, aber Ihr entschiedenes Ja zu all dem, was jetzt ist, wird Ihnen helfen zu heilen. Es gibt Gründe für Ihren derzeitigen Zustand, für den Sie nur bedingt etwas können. Fangen Sie an, sich selbst wertzuschätzen, mit all dem, was jetzt ist! So kommt Ihre Seele zur Ruhe und kann sich Schritt für Schritt erholen.

Nichts zu können oder nichts von sich zu verlangen ist kein Rückzug in die Resignation, im Gegenteil: Die Depression ist ähnlich wie ein Verpuppungsstadium im Tierreich. Im „Kokon“ eines geschützten Raumes spart Ihr gesamtes System wertvolle Energie, um innere Kräfte zu mobilisieren. Nach außen hin geschieht nichts Großartiges, denn Anzeichen der Genesung sind sehr subtil. Und doch ist genau dieser innere Ruhezustand so notwendig, um aufzutanken und Körper, Geist und Seele wieder in Einklang zu bringen. Wenn die Zeit reif ist, werden Sie aus diesem Zustand langsam auftauchen. Ich kann Ihnen versichern, Sie werden danach alles, was wirklich für Ihr Leben wichtig ist, ganz leicht aufholen. „Ja, im Moment geht noch nicht viel“ – genau dieses Eingeständnis der eigenen geringen Kraft ist etwas sehr Wertvolles.

Wenn Sie also merken, dass es Ihnen schwerfällt, Ihre Hausarbeit zu machen, dass jede Aktion sich anfühlt, als hätten Sie Blei in den Knochen, dann sagen Sie Ja dazu: „Ja, so ist es gerade!“ Sie werden feststellen, dass Sie sich dadurch schon etwas leichter fühlen. Der Druck ist weg und Sie können schauen, was gerade möglich ist. Tun Sie die Dinge Schritt für Schritt und so gut Sie können. Eine Kleinigkeit geht immer. Allein dadurch, dass Sie den Druck herausnehmen, werden Sie viel mehr schaffen, als Sie gedacht haben. Sie werden dadurch Ihr Alarmsystem zunehmend außer Gefecht setzen und Ihr emotionales Gehirn wird sich erholen.

Viele Betroffene beschreiben ihre Krankheitsphase als eine besondere Zeit, in der sie ihr Leben so intensiv erlebt haben wie noch nie zuvor. Sehr gut ist, wenn Sie von einem Experten ihres Vertrauens begleitet werden, der die „Zeichen der Zeit“ versteht und Sie in Ihrem Bemühen unterstützt.

Meine Empfehlung:

Die nachfolgende Übung hilft Ihnen, sich für einen Moment auf sich selbst zu besinnen und sich angenommen und beschützt zu fühlen. Falls Sie mögen, legen Sie sich eine gemütliche Decke um und lassen Sie sich an einem ruhigen Ort nieder. Sie können die Anleitung aber in jeder Haltung erst einmal lesen.

Die Kontaktübung

Legen Sie eine Hand auf den Brustkorb und die andere Hand auf den Bauch. Spüren Sie den angenehmen Kontakt Ihrer Hände auf Ihrem Körper. Vielleicht können Sie die feinen Atembewegungen wahrnehmen. Nehmen Sie den Kontakt von Gesäß und Rücken zu Ihrer Sitzgelegenheit, den Kontakt Ihrer Füße zum Boden, den Kontakt zu Ihrer Kleidung wahr und folgen Sie mit den Händen den natürlichen Atembewegungen Ihres Körpers. Wenn es geht, spüren Sie den Schutz, den Ihnen Ihre eigenen Hände vermitteln, und sagen Sie zu sich etwa Folgendes: „Ganz ruhig, alles gut, ganz geborgen, das wird wieder…“ Falls Ihnen Tränen kommen, lassen Sie sie zu. Tränen sind unser natürliches Stressventil. Sie sind Ausdruck von Gefühlen und Zeichen innerer Bewegtheit. Depression ist eher die Stagnation von Gefühlen. Die verträgliche „Dosis“ von Gefühlen werden Sie mit der Zeit selbst herausfinden.

Ich nenne diese Übung gerne die „Kontaktübung“, denn sie hilft, den in der Depression verlorenen Kontakt zu sich selbst wieder herzustellen, auch wenn das nur für kurze Zeit gelingen mag. Sie können diese Übung auch ganz dezent als kleine Geste überall einschieben, wo Sie sind. Sie wird Ihnen helfen, immer wieder zu sich zu kommen und sich von innerem Druck zu entlasten.


Foto Dr. Reinhard Bauß

„Kontaktübung“

Schlafprobleme „in den Griff“ bekommen

Zum Verständnis:

In der Depression haben Menschen oft große Angst vor dem Einschlafen. Die Erfahrung, immer wieder grübelnd wach zu liegen, zermürbt und kann bedrohlich werden. Schlafstörungen sind keine Kleinigkeit, auch wenn da immer wieder lapidar behauptet wird: „Sie müssen nicht schlafen!“ Man muss genau verstehen, welche Mechanismen da wirksam sind, damit der Schlaf sich wieder ganz natürlich einstellen kann. Schlaf ist ein physiologischer Bewusstseins- und Stoffwechselzustand, den man nicht herbeizitieren kann. Der Körper, genauer gesagt: das Gehirn, muss das Kunststück fertigbringen, vom hohen Erregungsniveau des Wachzustands in den Einschlafmodus abzusinken. Und dazu braucht es ganz bestimmte Bedingungen: ausreichende Müdigkeit, Sicherheit und Geborgenheit und einen gelösten Zustand von Körper, Geist und Seele. Ein Kunststück für Menschen in der Krise!

Abgesehen von diesen rein physiologischen Vorgängen ist der Schlaf ein empfindliches seelisches Phänomen. Nicht umsonst wird der Tod in der Literatur als „des Schlafes Bruder“ bezeichnet. Einschlafen setzt voraus, dass der Mensch die Zuversicht hat, auch wieder aufzuwachen. Gerade dieses Vertrauen haben aber viele an Depression Erkrankte gerade verloren.

Im Folgenden möchte ich Ihnen Strategien aufzeigen, die auch Ihnen wieder zu einem erholsamen Schlaf verhelfen.

Ängste, Grübeleien und innerer Druck halten das Gehirn vom Schlafen ab. Die Dunkelheit der Nacht aktiviert dazu noch unsere tiefen „Kinderseelenängste“. Wenn wir sie nicht ernst nehmen und beruhigen, kann der Körper sich nicht entspannen und der Geist kommt nicht wirklich zur Ruhe.

Menschen mit langwierigen Schlafproblemen haben nur ein Ziel: sofort wieder schlafen zu können. Wenn Menschen mir von ihren Schlafstörungen erzählen, geht es erst einmal darum, diesen Druck, unbedingt schlafen zu müssen, herauszunehmen. Denn sonst wird der Schlafplatz zum Kampfplatz. Und so kann niemand schlafen. Manchmal kommt man um ein schlafförderndes Medikament, zum Beispiel ein Antidepressivum, nicht herum. Oft reicht die bereits erwähnte kleine Dosis Amitriptylin zur Beruhigung Ihres Nervensystems aus. In leichteren Fällen reicht ein Präparat mit hoch dosiertem Lavendelöl, einem Angst lösenden Mittel, oder mit Baldrian und Hopfen aus. Seien Sie vorsichtig mit der gut gemeinten Verschreibung von Benzodiazepinen durch Ihren Arzt. Das Suchtpotenzial ist verheerend. Es gibt Besseres! Wichtiger als starke Medikamente ist die begleitende Zuversicht eines Gegenübers, das Halt und Sicherheit vermittelt. Vielleicht kann Ihnen dieser Text ein wenig dabei helfen.

Nach meiner Erfahrung ist das größte Problem die „Angst, dass das mit dem Schlaf nie wieder besser wird“. Ich versichere Ihnen, auch Ihr Schlaf wird wieder besser, wenn Ihre Seele aus dem Alarmzustand herauskommt! Zunächst kommt es also darauf an, die Angst zu beruhigen. Ja, das ist nicht so ganz einfach, wenn einem die Kontrolle über das eigene Leben gerade abhandengekommen ist. Doch ist es nicht erstaunlich?: Ihr Herz schlägt mit großer Beständigkeit, Ihr Atem kommt und geht und Ihre Füße können einen Schritt nach dem andern gehen. Darauf verlassen wir uns jetzt!

Ich werde Ihnen einige Tipps geben, wie Sie günstige Rahmenbedingungen für guten Schlaf schaffen können. Und dann, aber nur dann, hilft tatsächlich das Wissen: Ich muss nicht schlafen. Wenn Sie ruhig und entspannt im Bett liegen und dabei sanft und ruhig atmen, erholen Sie sich auch ohne Schlaf. Es schadet nicht, wenn Sie ein paar Nächte nicht oder wenig schlafen. Die unten dargestellte spezielle Entspannungstechnik wird Sie in der Nacht angenehm beschäftigen, sodass Sie zur Ruhe kommen und schließlich auch einschlafen. Zunächst aber ein paar wichtige Informationen:

Der Schlaf ist so gut, wie der Tag war. Nach einem chaotischen Tag kann auch ein Gesunder nicht gleich in den Schlaf finden, erst recht nicht ein Mensch in der Krise. Müdigkeit entsteht durch Einwirkung von Melatonin. Das ist ein Botenstoff im Gehirn, der am Abend, wenn es dunkel wird, aus Serotonin gebildet wird. Unter dem typischen Serotoninmangel während einer Depression wird also weniger Melatonin produziert. Man kann jedoch durch morgendliche Bewegung draußen in der Sonne oder durch Aktivität wie tägliche Arbeit die Serotoninproduktion anregen, sodass Sie abends auch leichter müde werden. Wichtig ist also, dass Sie morgens aktiv sind und gegen Abend zur Ruhe kommen, damit Ihr System schon vor der Nacht herunterfährt. Auch wenn viele behaupten, man solle den ganzen Tag über aktiv sein, um schlafen zu können, halte ich davon nichts. Das fördert nur den sowieso schon vorhandenen Übererregungszustand im Gehirn. Besser ist eine Ruhezeit am frühen Nachmittag, um das System zu beruhigen und der Seele „Verdauungszeit“ zu geben. Wer sich den ganzen Tag ablenkt, um sich nicht zu spüren, „muss“ nachts wach liegen, um sich seinen Sorgen und Ängsten zu widmen. Tun Sie das also am Nachmittag!

In der Depression ist es gut, sich auf das Einschlafen sorgfältig vorzubereiten. Ähnlich wie ein Kind brauchen Sie ein ganz individuelles Einschlaf- oder Übergangsritual. Rituale geben uns Halt und Sicherheit, da sie in immer gleicher Weise dabei helfen, den einen Zustand – das Wachsein – zu beenden und in den andern Zustand – das Schlafen – hinüberzugleiten. Schließen Sie den Tag deshalb in Frieden ab, indem Sie vielleicht noch einmal Revue passieren lassen, was gewesen ist. Lassen Sie los, was schiefgegangen ist. Seien Sie dankbar für das, was gelungen ist. Ja, das ist sehr, sehr wichtig: Seien Sie dankbar für jeden winzigen Lichtblick des Tages! Schön ist, wenn Sie etwas in ein Tagebuch schreiben, falls Sie dabei keinen Druck empfinden. Oft hilft das Schreiben dabei, sich besser von Ereignissen zu distanzieren. Außerdem macht es müde!

Gestalten Sie Ihren Schlafplatz so, dass Sie sich dort besonders geborgen fühlen und entspannen können: ein schönes Kissen, wohltuende, entspannende Farben, zum Beispiel Dunkelblau, eine kuschelige Decke … Folgende Maßnahmen sind zusätzlich förderlich: ein warmes Fußbad oder ein Bad in der Badewanne mit Meersalz und vor allem mit Melissenextrakt, einem alten, bewährten Mittel nach Kneipp. Im Schlaf sinkt unsere Körperkerntemperatur, während unsere Beine und Arme wärmer werden. Nicht zu heiße Bäder haben genau diesen Effekt! Auch das leichte Einmassieren von warmem Sesamöl im Bereich Ihres Magens, der Gegend des „Sonnengeflechts“, den Sie anschließend mit einem Tuch und einer leichten Wärmflasche abdecken, wirkt sehr beruhigend. An medikamentöser Unterstützung kann man Kombinationspräparate mit Baldrian schon am Nachmittag und zusätzlich abends einnehmen.

Wichtiger als alle Medikamente ist jedoch folgender Punkt: Menschen, die sich müde ins Bett legen und nach kurzer Zeit hellwach im Bett sitzen, haben zu wenig Leib-Seele-Kontakt. Wer sich nicht genug spürt, mag nicht in den Schlaf abtauchen: Viel zu „gefährlich“! Man könnte ja plötzlich ganz „verschwinden“. Es ist also wichtig, dass Sie sich vor dem Schlafen noch einmal sehr bewusst dieses Leib-Seele-Kontaktes versichern. Sie können das tun, indem Sie sich mit einer Decke auf den harten Boden legen oder auf dem Boden „wälzen“, sich bewusst spüren und dabei die Muskeln entspannen. Ich nenne diesen Vorgang gerne die „Schlabberpuppen-Übung“. Wichtig ist, sich dabei etwa Folgendes zu sagen: „Ja, ich spüre mich, ich spüre den Boden unter mir. Er hält mich. Ich muss mich nicht zusammenhalten. Ich bin sicher und geborgen.“ Sich selbst noch einmal bewusst mit den Händen zu beruhigen hilft sehr, diesen Kontakt zu verinnerlichen. Auch alle Übungen zur Entspannung sowie das Klopfen nach Dr. Klinghardt, das im Kapitel über den Leib-Seele-Kontakt beschrieben wird, sorgen für einen Erregungsausgleich. Insbesondere das Lösen von Kreuzworträtseln oder Sudokus ist wirkungsvoll, da die ständigen Bewegungen der Augen in der Horizontalen und Vertikalen das Gehirn in die Balance bringen und ermüdend wirken.

 

Meine Empfehlung:

Ich möchte hier die Kurzform einer Übung aus dem Sounder Sleep System® vorstellen, die sich bei vielen Betroffenen bewährt hat. (Vgl. Literaturverzeichnis, Krugmann 2014) Sie trägt zur Beruhigung des Gehirns und des Nervensystems bei und gleichzeitig vermittelt sie ein Gefühl von wohliger Geborgenheit und Kontakt zu sich selbst.

Das „Atemsurfen“

Feine kontrollierte Bewegungen führen, wenn sie zusammen mit sanfter Atem- und Körperwahrnehmung verbunden werden, zu hemmenden Impulsen im Gehirn und zu einer Beruhigung des vegetativen Nervensystems. Ein wohlig entspanntes Gefühl stellt sich ein und Sie können leichter in den Schlaf sinken.

Wenn Sie in Ihrem Bett liegen, spüren Sie erst einmal nur die Unterlage und das Gefühl, „von der Erde getragen“ zu sein. Legen Sie eine Hand auf Ihr Herz und die andere auf Ihren Bauch und nehmen Sie den Kontakt und die Wärme Ihrer Hände bewusst wahr. Verbinden Sie sich mit dem Gefühl zu sich selbst. Achten Sie auf den wärmenden Kontakt mit Ihrer Bettdecke und das sanfte Auf und Ab Ihrer Atembewegungen.

Nun drücken Sie beim Ausatmen immer mal wieder ganz leicht mit den Daumen (!) gegen den Brustkorb und die Bauchdecke, so, als würden Sie jeweils eine „Aus-Taste“ drücken. Auf diese Weise beruhigt sich Ihr Atem und Sie werden ruhiger. Sie können auch abwechselnd mal oben, mal unten drücken. Oder Sie lassen die Hände einfach so liegen und sagen etwas Freundliches zu sich selbst, zum Beispiel: „Ich liege hier ganz sicher und geborgen. Ich bin ganz bei mir.“ Auf diese Weise können Sie in Ihrem Bett angenehm ruhen, auch ohne zu schlafen. Nach einer Nacht, die Sie in tiefer Ruhe mit einem sanften Atem verbracht haben, sind Sie garantiert nicht „wie gerädert“. Sie brauchen also keine Angst zu haben!

Flechten Sie am Tage immer einmal kleine Sequenzen dieser Übung – auch im Sitzen – in den Alltag ein, denn dann wird Ihnen dieses Gefühl des wohligen Kontakts zu sich selbst vertraut und der innere Stresstonus nimmt ab. Und noch etwas: Scheuen Sie sich nicht, wie die Kinder ein Kuscheltier oder einen symbolischen Gegenstand mit in Ihr Bett zu nehmen, und sei es ein hölzerner Stab, den ein Mann nachts neben sich legte und der ihm die Festigkeit gab, die ihm gerade fehlte. Das ist nicht albern, im Gegenteil: Ihre Seele braucht jetzt die Erinnerung an Dinge, die Halt vermitteln. Bilder von innerem Frieden und Schutz oder religiöse Vorstellungen sind ebenfalls hilfreich. Sie werden sehen, wenn Sie neues Vertrauen zu sich selbst gewonnen haben, wird sich Ihr Neurotransmittersystem erholen und Sie werden wieder leichter in den Schlaf sinken.