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Kapitel 6

Eine Gesellschafts-Skizze, wie sie bald aussehen könnte, schließt das Buch ab.

Die Kapitel habe ich am Ende jeweils kurz zusammengefasst.

Spektrum – Kinderschutz weltweit

Danach folgt eine kurze Erweiterung der Thematik auf die Situation der Kinder international, die Themen der Überbevölkerung, der gesundheitlichen Bedrohungen von Kindern und wie wir gemeinsam Kinderrechte in der Welt umsetzen und sichern können. Hier sind insbesondere die UN und der Weltzukunftsrat mit Sitz in Hamburg sowie die Aktivitäten von Auma Obama im Weltzukunftsrat und ihrer Stiftung „Sauti Kuu“ sowie die von ihr angeregte Sansibar-Erklärung, wichtige und hoffnungsvolle Institutionen und Projekte, die die Augen nicht verschließen und viele gute Entwicklungen weltweit initiieren.

Nach der Danksagung folgen „Letzte Worte“, der QR-Code für eine Leser*innen-Botschaft und der Anhang mit diversen Informationen.

Wir haben an einigen Stellen im Buch (hauptsächlich in Kapitel 5) QR-Codes zum Scannen mit Ihrem Handy abgedruckt, die einzelne Themen noch einmal positionieren und unterfüttern. Sie können auch nach der Lektüre im Anhang in der QR-Code Liste ausgesucht und angeschaut werden.

Wir und andere haben Zuversicht und viele Ideen, von denen wir viele schon erfolgreich ausprobiert haben. Und ich denke, das macht vielen Lust darauf hin, in dieses menschliche, kooperative Handeln zu kommen und ein Leben mit mehr Zeit und Platz auch für Kinder zu gestalten. Viele der hier genannten Gestaltungsideen sind im Alltag praktikabel, Sie werden sie auf Ihre eigene Art und Weise aufgreifen, abwandeln oder ergänzen. Lassen Sie sich inspirieren und anregen!

Kapitel 1 GESUNDE HIRNENTWICKLUNG IN DEN ERSTEN LEBENSJAHREN

Kapitel 1 Gesunde Hirnentwicklung in den ersten Lebensjahren

„Das Kind bedarf keines Gestirns und keines Planeten; seine Mutter ist sein Planet und sein Stern!“ Paracelsus

1.1 Wachstumsbedingungen

Kinder sind großartig. Es ist jedes Mal ein Wunder, wenn ein Kind auf die Welt kommt. Und es hat schon ein Gehirn, das gut vorbereitet ist für das, was kommen könnte. Aber wie geht es dann wirklich weiter?

Das Gehirn z. B. wächst zwar deutlich in den ersten Monaten nach der Geburt, aber nicht in allen Bereichen einfach so von selbst, insbesondere die vordere Großhirnrinde braucht als Wachstumsstoff außer der Muttermilch noch liebevolle Zuwendung, Körperkontakt und Ansprache, dann reift es und kann ins Blühen kommen. Wie das?

Ein Beispiel aus dem Tierreich: Forscher waren erstaunt, dass eine Katzenbehausung mit einem Wurf mehrerer Katzen immer so sauber war. Dann sahen sie, dass die Katzenmutter die Kätzchen am Damm leckte und so z. B. den Urin auffing. Aber woher wusste sie, welches der Kleinen gerade Pipi machen musste?

Es dauerte lange, bis jemand einmal den Gedanken umdrehte. Des Rätsels Lösung: Die Babykatzen pinkelten erst, wenn die Nieren über das Lecken angeregt wurden. Das Funktionieren der Nieren war nicht einfach so da. Jeder, der schon einmal ein verwaistes Katzenbaby aufgezogen hat, weiß, dass man außer der Gabe des Fläschchens auch noch immer den Damm mit einem feuchten Wattebausch etwas reiben muss, dann färbt es sich schnell gelb. Ohne diese Anregung sterben die Katzenbabys meistens, weil ihre Nieren nicht ins Funktionieren kommen. Beim Menschen ist es etwas anders, die entsprechende Anregung vieler Organe ist u. a. intensiver Druck auf die Haut und den ganzen Körper, wie es bei einer natürlichen Geburt im Geburtskanal stattfindet. Darum ist bei Babys, die durch Kaiserschnitte zur Welt kommen, der ausgeprägte initiale und wiederholte direkte enge Hautkontakt zur Haut der Mutter, ggf. der Hebamme zu Beginn besonders wichtig. Bei über den Geburtskanal geborenen Babys bleibt das natürlich im Weiteren ebenfalls wichtig.

Organe brauchen also passende Anregung und beim präfrontalen Gehirn (der Teil ganz vorne im Stirnbereich über den Augen) ist es die Kommunikation mit einer liebevollen Person, meist der Mutter, die zum Wachstum und zur Strukturierung führt und dabei und nur dann bestimmte wichtige Funktionen kräftig ausbildet. Und das zieht sich über die ersten sechs Jahre hin.

Hätten Sie es gewusst? Vielleicht sagen Sie, das ist doch normal. Für viele ist es das auch, für viele aber nicht (dazu später).

Bei einer solchen, wir sagen als Ärzte „gesunden“ Hirnentwicklung bildet sich auch eine Funktion aus, die wir als Selbststeuerung bezeichnen. Dies ist eine ganz wichtige Grundlage für eine spätere souveräne Mediennutzung.

Wir schauen uns dabei explizit an, wie es den Eltern geht, weil es Kindern meist gut geht, wenn es den Eltern gut geht. Denn die Eltern können es schaffen, dass sie selbst besser schlafen, mehr Zeit haben für sich und die Kinder und verlässlich sind. Hierfür sind oft klare Lebensentscheidungen notwendig. Notwendig deshalb, weil die Natur des Menschen und die Hirnentwicklung nicht verhandeln, sondern so sind, wie sie angeregt werden. Nichtbeachtung hat Folgen und das bedeutet leider viel zu häufig, dass die Kinder nicht zu ihrem vollen Potenzial heranreifen können.

Wie entsteht nun eine gesunde Selbststeuerung beim Menschen? Und was bedeutet es, wenn dies nicht gelingt?

Zur Beantwortung dieser Fragen wird uns das folgende Bild durch die Thematik begleiten. Wir beginnen mit der Hirnentwicklung des Säuglings/Kleinkindes in der Mitte des Bildes, gehen danach noch mal in die Situation im Mutterleib zurück und danach weiter zurück auf die Eltern vor der Empfängnis. Denn die Biografie eines Menschen beginnt bereits da. Danach kehren wir wieder zum Kleinkind zurück und schauen uns die weitere Entwicklung an.


Abb. 1: Phasen des Lebenslaufs von der Empfängnis bis zur Erwachsenenzeit

Die Abbildung beschreibt also die Phasen des Lebenslaufs von der Empfängnis bis in das Erwachsenenalter. Es wird dabei neben der kindlichen Hirnentwicklung (siehe gleich Abb. 2, S. 60) später noch viel um die Bedeutung von Lebensstil, Stress-Physiologie und Zellkern-Prozessen gehen für die Gesundheit, Bindungsfähigkeit, Lebenszufriedenheit und besonders auch die (spätere) Mediennutzung.

Da fragen Sie vielleicht, was hat der Umgang mit Smartphone, Internet, Virtual Reality mit dem Körper zu tun? Sehr viel, wie ich u. a. im Folgenden in der biografischen Reise von der Empfängnis und der Geburt bis ins Erwachsenenalter zeigen werde.

Schauen wir uns zuerst die gesunde, unbehinderte Hirnentwicklung an.

Wir nennen eine Gehirnentwicklung gesund, wenn sie dazu führt, dass das größtmögliche Potenzial zur Erreichung von Kompetenzen, Balance, Bewältigungskräften, Glücksempfinden und Resilienz ausgebildet werden kann.

1.2. Phasen der Hirnentwicklung in den ersten Lebensjahren
1.2.1 Ich/Du-Entwicklung

Jedes Kind kommt mit einem großen Vorrat an Gehirnzellen und Vernetzungen zwischen den Hirnzellen auf die Welt. Das Gehirn wartet nun neben guter Ernährung, besonders der Muttermilch, auf passende Reize als Anregung für verschiedene Hirnbereiche zum Weiterwachsen, Ausgestalten und strukturierender Verstärkung von Vernetzungen zur Ausbildung von Funktionen und Kompetenzen.

Menschliche Babys sind sogenannte physiologische Frühgeburten, d. h. sie können ja noch nicht wie andere Tiere gleich nach der Geburt stehen, gehen usw., sondern müssen sich ihre Welt angepasst und gut geschützt zunehmend erobern. Dafür brauchen sie eine gute Umhüllung, in der es Anregung, Begleitung und Antwort gibt. Mit anderen Worten, nach dem inneren Uterus braucht es noch einige Zeit einen äußeren Uterus, der mitwächst. Das Baby ist mit dieser Umhüllung noch lange eins, ungetrennt und wie im Uterus durch die Nabelschnur jetzt aus dieser Hülle ernährt.

Die Umhüllung ist im Beginn die Mutter. Sie nährt mit ihrer Milch, mit dem Hautkontakt, ihrem Geruch und ihrer Stimme, die jedes Mal wiedererkannt werden, ihrer Bewegung beim Tragen, ihrem dabei wieder hörbarem Herzschlag und mit ihrem Anteil an stimmlicher und sinnlicher, liebevoller zugewandter Kommunikation. Und sie ist da in der Welt des Neugeborenen.

Der Psychoanalytiker Heinz Kohut hat ein schönes Bild dafür gefunden: Das Baby sieht „den Glanz im Auge der Mutter“, also ihre Freude und ihren Stolz. Das zu erleben ist für das Neugeborene und Baby die Basis der sicheren Bindung.

Ein Baby ist zwar eine physiologische Frühgeburt, aber kein gänzlich unbeschriebenes Blatt. Die neun Monate im Uterus haben ihm vielfältige Wahrnehmungen, Zustände und Erfahrungen erwirkt in der uterinen Kommunikation mit der Mutter und ihrer im Uterus ankommenden Stoffwechsel- und Erlebniswelt. Auf dieser Grundlage kommuniziert das Baby mit der Mutter weiter.

In Baby-Videos über die Kommunikation von Baby und Mutter, dem Baby-Talk, wie einige sagen, hat man festgestellt, dass beide meist etwa den gleichen Anteil an der Kommunikation haben. Mal sagt das Baby etwas und die Mutter wendet sich zu und antwortet, dann nimmt sich einer der beiden eine Pause und wendet sich kurz ab, mal sagt die Mutter etwas und das Baby wendet sich zu.

 

Das können die Babys, der Frankfurter Psychoanalytiker Martin Dornes hat sie folgerichtig „kompetente“ Säuglinge (sein Buch: „Der kompetente Säugling“) genannt. Und sie brauchen diese Kommunikation (über einen diesbezüglichen Mangel später).

Im Baby-Talk ist es dabei übrigens sehr wichtig, dass eine Aktivität des Babys prompt beantwortet wird, da es nur dann die Antwort als durch eigenes Agieren hervorgerufen erlebt. Dies ist im Prozess der Herausbildung eines sicheren Empfindens von Selbstwirksamkeit besonders wichtig. Natürlich kann nicht jede Regung des Babys sofort beantwortet werden, aber wenn es wach ist, ist es oft möglich, wenn man selbst in der Präsenz ist.

Dieser erste Prozess der Menschwerdung von der Empfängnis bis zur neurophysiologisch verankerten Erkenntnis, dass es ein neu entdecktes, tatsächlich gewordenes „Ich“ und auch ein davon unterscheidbares „Du“ im Ich/Du-Verbund gibt, dauert etwa 1000 Tage. Das sind 1000 Tage kommunikativer Umhüllung, die ein Kind als Startkapital braucht, zuerst im Uterus, danach in der Umhüllung. „1000 Tage“ klingt lange und ist doch so schnell vorbei, die Eltern unter Ihnen werden mir beipflichten.

In dieser Zeit hat durch die Kommunikation Baby/Mutter der untere Stirnlappen des Gehirns großartig reagiert, hat sich tatsächlich vergrößert und das kleine Kind hat für sich langsam erfahren, dass es zweierlei gibt, ICH und DU (unterscheidbar, aber als WIR zusammengehörig und noch eingebettet ist, neurophysiologisch verankert). Wir nennen diesen Gehirnteil den unteren präfrontalen Cortex. Diese Entwicklung braucht eben eine gehörige Zeit und immer wiederkehrende verlässliche liebevolle Kommunikation.

Wenn es so läuft, ist die Grundlage für eine sichere Bindung des Kindes an die Mutter gelegt und diese Sicherheit bedeutet auch ein Urvertrauen für das Sein in dieser Welt, jetzt und später.

Phasen der Gehirnentwicklung


Abb. 2: Phasen der Gehirnentwicklung in den ersten Lebensjahren

Die ersten zwei Lebensjahre sind also entscheidend für die Ausbildung einer sicheren Bindung beim Kind. Sie entsteht durch die verlässliche dyadische Kommunikation inkl. Körperkontakt zwischen Kind und Mutter.

Sollte die Mutter, aus welchen Gründen auch immer, nicht für das Kind verfügbar sein, müssen der Vater oder die Oma oder eine andere möglichst konstant präsente empathiefähige Person diese Aufgabe der ersten zwei Jahre bestmöglich erfüllen. Auch das kann gelingen, wenn diese Personen in der Lage sind, eine dyadische, gut umhüllende Kommunikation herzustellen.

Eine zeitweilige Trennung von der Mutter oder Hauptperson setzt keine Schäden, wie wir heute wissen, aber in dieser Zeit ist es auch wichtig, dass eine andere empathiefähige Person da und präsent ist. Trennung ist aber auch etwas, was behutsam gelernt werden muss, weil es im Alltag zwangsläufig immer wieder stattfindet. Dabei lernt das Kind auch, dass die Mutter immer wieder kommt. Es ist dafür besser, wenn die Mutter sich nicht wegschleicht, sondern auf die nun präsente Person verweist und sich kurz verabschiedet. Dabei sollte die „Ersatz“-Person bekannt und vertraut sein und die Trennung im Beginn eben kurz. Später sind dabei auch sogenannte Übergangsobjekte wie ein Schal der Mutter oder ein Stofftier, mit dem gemeinsam gespielt wurde, hilfreich in der Zeit der Trennung. Aber Trennung sollte in der ersten Zeit eben etwas zeitlich sehr Begrenztes sein.

Vorerst in dieser Phasendarstellung gehe ich davon aus, dass die Mutter für ihr Baby einfach da ist.

Unter dieser Kommunikation wächst und reift der untere präfrontale Kortex zur allmählichen und sicheren Wahrnehmung von Ich und Du.

Eine sichere Bindung ist nun Voraussetzung für die nächsten Phasen der Entwicklung der Impulskontrolle und einer später darauf aufbauenden Selbststeuerung (siehe Abb. 2).

Natürlich können und werden weitere Personen im Haushalt wie der Vater oder Partner der Mutter, Geschwister und Großeltern und andere nahestehende Personen die Kommunikation der Mutter mit dem Baby/Kleinkind ergänzen oder kurzphasig ersetzen. Dies ist insbesondere gut möglich, wenn die Stimmen und Gesichter wie beim Vater und Geschwistern, vielleicht auch Großeltern durch Zusammenleben oder häufigen Kontakt schon bekannt sind.

Das Baby wird auch, wenn es wach ist, Zeiten für sich brauchen, in der es seine Hände, Arme und Beine zunehmend kennenlernt und alles um sich herum genau und immer wieder untersucht, wie es sich anfühlt in der Hand und im Mund. Diese Zeiten soll man natürlich nicht stören. Auf die Situation z. B. in Kitas und das Zusammenspiel zwischen Kita bzw. Tagesmutter und Eltern komme ich später.

Oxytocin

Die Entwicklung einer sicheren Bindung wird physiologisch begleitet durch die Ausschüttung von Oxytocin, dem Bindungshormon, beim Neugeborenen und bei der Mutter. Dies beginnt bei der Geburt und bekommt einen kräftigen Impuls beim Stillen und ganz besonders beim direkten intensiven Hautkontakt. Dadurch entsteht ein Oxytocin-Level, der im weiteren Leben die Bindungsfähigkeit weiter ausbildet und insbesondere durch körperliche Nähe und Hautkontakt immer wieder angeregt wird, tatsächlich eine verlässliche Ressource im späteren Erwachsenenleben. Übrigens hat der Vater selbst eine gute Bindungsfähigkeit, steigt auch bei ihm der Oxytocin-Level, insbesondere, wenn er auch Hautkontakt mit dem Kind hat.

Die Bedeutung des autonomen vegetativen Nervensystems als weitere zentrale biologische Basis der Bindungsfähigkeit beschreibe ich nach der Phasendarstellung.

Babys, die direkt nach der Geburt von der Mutter getrennt wurden und ohne sie bzw. ohne konkrete Bezugsperson im Waisenhaus ohne empathische Begleitung aufwuchsen, können später als Kinder und Jugendliche auch bei Aufnahme/Adoption in warmherzige Familien sichere Bindungen schlechter aufbauen sowie weniger Glück aus Begegnungen ziehen. Sie bleiben eher distanziert und misstrauisch. Die Fähigkeit zur Ausschüttung von Oxytocin ist bei ihnen entsprechend deutlich vermindert. Bindungsarbeit, etwa in erlebniszentrierten psychotherapeutischen Gruppen, kann hier auch noch nachträglich moderate Verbesserungen in der Bindungsfähigkeit erzielen.

Impulsgesteuert

Das Baby ist in diesen ersten 2 Jahren von Basisimpulsen gesteuert. Es meldet sich lautstark, wenn es Hunger hat, der Stuhlgang drückt, die Haut im Windelbereich gereizt ist oder ein Bedürfnis nach Wärme und konkret spürbarer Umhüllung und Getragenwerden da ist. Auch Schmerzstillung und Trost soll sofort erfolgen. Allen Basisimpulsen ist gemeinsam, dass sie keinen Aufschub dulden. Das Baby schreit eben sonst solange, bis das Bedürfnis gestillt oder das unangenehme Gefühl weg ist.

Einige Eltern meinen, dass ein Kind mit 2 Jahren unartig ist, wenn es wild oder wütend agiert, weil es seinen „Willen“ nicht bekommt. Das ist aber eine Annahme, die aus hirnphysiologischer Sicht grundfalsch ist. Ein Zweijähriges kann noch keine Impulskontrolle haben, weil die sich erst in der Folgezeit im Gehirn strukturell ausbildet.

Daher wirken Bestrafungen in diesem Alter traumatisch, weil das Kind ja nichts anderes machen kann und dadurch in ungeheuren unlösbaren Stress gerät. Stattdessen gilt es, sich feinfühlig in das Kind hineinzuversetzen, damit die „Wut“ des Kindes dann als eigene Kraft im Kind spürbar wird und mit Anregung durch die Eltern für anderes zur Verfügung steht.

Ebenso haben viele Eltern Sorge, dass sie ihr Kind zu sehr verwöhnen, wenn sie in den ersten beiden Jahren immer sehr konkret auf ihre Bedürfnisse eingehen. Auch diese Sorge ist unbegründet, vielmehr wird so die Grundlage gelegt, dass ein Kind später mit seinem vollen Potenzial und Urvertrauen neugierig die Welt erkunden kann. Durch eine Erziehung, die den Kindern schon zu früh das Ertragen von Frustrationen abverlangt, werden die Kinder in ihrer Entwicklung gehemmt und zwar auch ganz konkret auf Gewebeebene mit einem Rückgang der Vernetzung der Hirnzellen untereinander.

Manchmal weinen Babys zur Bewältigung möglicher wiedererinnerter, intrauterin oder durch die Geburt erlittener traumatischer Erfahrungen, wie Pränatal-Experten es ins Spiel bringen. Auch in solchen Fällen, wo es nicht primär um das Stillen von Bedürfnissen geht, gilt es das Baby nicht weinend liegenzulassen, sondern ihm das Weinen auf dem Arm der Mutter oder betreuenden Person zu ermöglichen. Ein Baby regelmäßig länger weinen zu lassen ohne liebevolle Umhüllung (auch in bester Erziehungsabsicht) wirkt in den ersten zwei Lebensjahren meist erneut traumatisch.

Im dritten Lebensjahr

Jetzt also erst einmal zurück zur weiteren Gehirnentwicklung im dritten Lebensjahr. Hier entwickelt sich allmählich die Impulskontrolle sowohl körperlicher als auch emotionaler Impulse, die Vorphase zur späteren Selbststeuerung. Was passiert da im Gehirn?

1.2.2 Impulskontrolle

Im dritten Lebensjahr sind die verlässliche, liebevolle Kommunikation und das Da-Sein von Mutter, Vater, Oma oder einer anderen verlässlichen und empathiefähigen Person weiterhin unabdingbar. Der Kommunikationskreis wird dann meist erweitert, aber die sogenannte dyadische Kommunikation wird von der Hauptperson oder beim Zusammenleben auch durch mehrere Personen wie Mutter, Vater und Geschwister weitergeführt und muss auch bei Fremdbetreuung ermöglicht werden.

Auf der Grundlage der sicheren Bindung wird das Kleinkind im Alltag zunehmend herangeführt, dass eine Sofortbefriedigung nicht immer gleich möglich ist, insbesondere bei mehreren Kindern im Haushalt bzw. auch bei z. B. einer Tagesmutter. Aber die Stillung der Bedürfnisse wird nicht lang anhaltend versagt. Für das Gehirn bedeutet das, dass ein Impuls manchmal eine gewisse Zeit aufgehoben werden muss, bevor die Lösung erfolgt. Diese Herausforderung ist ein Reiz für den oberen Anteil des Stirnlappens und dieser wächst darunter ebenfalls großartig und lernt den Impuls eine Weile zu beherbergen, ohne dass das Kind in allzu großen Stress oder Verzweiflung gerät. Dies gelingt aber nur richtig gut, wenn das Kind sich sicher und aufgehoben fühlt.

Diesen Teil des Stirnlappens im Gehirn nennt man den oberen präfrontalen Kortex (siehe Abb. 2 auf Seite 60).

Beide Teile, also der untere und der obere präfrontale Kortex, müssen gut angeregt und ausgebildet sein, damit die nächste Herausforderung, nämlich die Selbststeuerung, begonnen werden kann.

Die Anforderungen, auch das Setzen von Grenzen im sozialen Miteinander familiär, ggf. bei der Betreuung durch eine Tagesmutter oder auch in einer Kita, haben jetzt ab dem dritten Lebensjahr in ansteigendem, aber immer angemessenem Maße wichtige Bedeutung. Das Kind beginnt jetzt an Herausforderungen im Spiel oder bei der Rahmensetzung durch die Eltern seine Selbstwirksamkeit und seine aktuellen Grenzen wahrzunehmen und in seiner Impulskontrolle zu wachsen.