Der Zukunftscode

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Rückwärts in der Zeit

Mit ein Grund dafür, warum es so aussieht, als ob die Zeit nur in eine Richtung, nach vorn, fließen kann, ist, dass wir gemeinhin viele sehr tief verwurzelte Vorstellungen davon haben, wie ein Ereignis ein anderes Ereignis beeinflusst. Vorstellungen, die auf einer wirklich guten Quelle basieren – immerhin scheint die physische Welt genau so zu funktionieren.9 Eines der grundlegendsten Konzepte, die wir aufgrund unserer Weltbeobachtungen entwickelt haben, ist die Kausalität – die Vorstellung, dass ein Ereignis A ein Ereignis B verursacht, wenn A in der Zeit vor B passiert und wenn A notwendig ist, damit B eintritt. Um zum Beispiel B (ein Omelett) herzustellen, müssen wir zunächst A (die Eier) aufschlagen und braten.

Schon mit einem halben Jahr erkennen Säuglinge, dass es einen normalen Ablauf der Ereignisse gibt, und beginnen, Vorstellungen über die Regeln von Kausalität und Zeit zu entwickeln. Sechs Monate alte Säuglinge langweilen sich, wenn ihnen wiederholt ein Video vorgespielt wird, in dem sich ein Ball auf einen anderen zubewegt, ihn anstößt und der zweite Ball wegrollt, als ob er vom ersten Ball in Bewegung versetzt worden wäre. Sie schauen weg, als wollten sie sagen: »Okay, ich hab’s kapiert. Erster Ball trifft zweiten Ball, zweiter Ball rollt weg. Jetzt zeig mir etwas Interessantes!«

Wenn die Forscher dann das Video umgekehrt, also rückwärts, abspielen, bekunden die Babys wieder Interesse – fast so, als würden sie sagen: »Warte mal, das ist interessant. Der zweite Ball bewegt sich jetzt rückwärts in der Zeit!«10

Natürlich ist es schwierig, das Verhalten von Babys zu interpretieren, und es könnte einfach so sein, dass sie sich über jedes neue Video freuen, das man ihnen vorspielt. Also zeigten die Forscher, die diese Studie durchführten, den Säuglingen ein weiteres, sehr ähnliches Video, in dem sie einen Zwischenraum zwischen den Bällen ließen, sodass sich die beiden Bälle nicht berührten. Der erste Ball bewegt sich immer noch und kommt zum Stillstand, und der zweite Ball rollt immer noch weg, nachdem der erste angehalten hat – aber es bleibt ein Zwischenraum, sodass es nicht so aussieht, als würde der erste Ball den zweiten anstoßen. Wieder sahen sich Babys das an, bis es sie langweilte. Anschließend spielten die Forscher auch dieses Video rückwärts ab, doch dieses Mal weckte das nicht das Interesse der Babys, wahrscheinlich, weil der umgekehrte Ablauf der Ereignisse aufgrund der fehlenden Kausalität kein Gefühl der Irritation erzeugte.11

Dass wir im Alltag laufend mit dem Konzept »Ursache« arbeiten, ändert nichts an der Tatsache, dass die physische Realität der Kausalität genau genommen nicht nachgewiesen werden kann. Sie können einen Ball milliardenfach mit einem anderen Ball zusammenstoßen lassen und zeigen, dass, wenn Ball A auf Ball B trifft, Ball A liegen bliebt und Ball B sich in die Richtung bewegt, in die Ball A rollte. Aber der Nachweis, dass es mehr als einen Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen gibt, konnte bisher noch nicht geführt werden. Der Mathematiker John von Neumann formulierte das folgendermaßen: »Es gibt gegenwärtig (noch) keinen Anlass und keine Entschuldigung dafür, von der Kausalität in der Natur zu reden – denn keine Erfahrung stützt ihr Vorhandensein …«12 Das Problem ist, dass man jedes Mal, wenn man versucht, eine Kausalität zwischen den Bällen A und B zu beweisen, unweigerlich an dem Gegenargument scheitert, dass nicht etwa Ball A die Bewegung von Ball B verursacht, sondern Ball A immer nur an der Stelle stehen bleibt, an der er Ball B berührt, und Ball B jedes Mal wegrollt. Mit anderen Worten, es liegt zwar definitiv eine Korrelation zwischen den beiden Ereignissen vor, aber eben keine eindeutige Ursache.

Ohne irgendeine Möglichkeit zu beweisen, dass ein Ereignis tatsächlich ein anderes verursacht, dafür von dem Wunsch beseelt, über Ursachen und Zeit zu sprechen, treffen wir einfach eine Vereinbarung darüber, was wir meinen, wenn wir sagen, dass ein Ereignis ein anderes verursacht. Und dabei müssen wir es belassen, ohne darauf zu bestehen, dass unsere Vereinbarung eine Art Reflexion der physischen Realität darstellt. Für unsere Zwecke sagen wir also, dass ein Ereignis A ein Ereignis B verursacht, wenn Ereignis A notwendig ist, damit Ereignis B eintritt. Beachten Sie, dass die Reihenfolge der Ereignisse in dieser Definition nicht erwähnt wird. Das ist Absicht! Ereignis A verursacht Ereignis B, wenn Ereignis B Ereignis A benötigt, um zu geschehen. Punkt.13

Angenommen, Ereignis A verursacht (nach unserer Definition) Ereignis B, dann können wir sagen, dass, wenn Ereignis A in der Zeit vor Ereignis B liegt, Ereignis A Ereignis B drückt oder schiebt. Laut unserer Definition jedoch kann Ereignis A auch nach Ereignis B eintreten. In diesem Fall sagen wir, dass Ereignis A Ereignis B aus der Zukunft zieht. Natürlich können sowohl Druck als auch Zug gleichzeitig stattfinden.

Lassen Sie uns diese Idee eines gleichzeitigen Drückens (Push) und Ziehens (Pull) an Julias präkognitivem Traum illustrieren, als sie während ihres Studiums auf der Suche nach einer passenden Wohnung war. In ihrem Wachleben hatte sie die Erfahrung, sich an einen Traum von einer schönen Wohnung zu erinnern. Weil sie nicht wissen konnte, dass ihre Nachbarin Maureen eine Wohnung hatte, die sie zu vermieten beabsichtigte, und weil sie diese Nachbarin nur flüchtig kannte, hätte Julia ohne den Traum Maureen wohl niemals nach einer Wohnung gefragt. Also könnten wir zu dem Schluss gelangen, dass der Traum Julia dazu bewog, ihre Nachbarin nach einer Wohnung zu fragen und schließlich den Mietvertrag zu unterschreiben.

Okay, aber ganz offensichtlich wurde bereits der Traum selbst durch ein zukünftiges Ereignis verursacht – und zwar von der realen Erfahrung, von der Erdgeschosswohnung in dem Duplex zu hören, das obere Stockwerk zu besichtigen und über die Möglichkeit informiert zu werden, die Wandfarben auszuwählen, wenn sie den Mietvertrag noch am selben Tag unterschreibt. Also könnten wir annehmen, dass dieses zukünftige Ereignis im wachen Leben Julia dazu gebracht hat, davon zu träumen.

Und da haben wir es. Sobald Sie anfangen, Ereignisse in der Zeit auf diese Weise zu betrachten, kann fast jede Erfahrung, ob präkognitiv oder nicht, als Druck (Push) oder Zug (Pull) betrachtet werden – in beide Richtungen in der Zeit. Sie lassen eine Kaffeetasse fallen, und sie zerbricht auf dem Boden. Hätten Sie die Tasse nicht fallen gelassen, wäre sie nicht zerbrochen. Aber da sie nun einmal auf dem Boden zerbrochen ist, müssen Sie sie fallen gelassen haben. Hat das Zerbrechen Sie dazu gebracht, sie also gezogen, die Tasse fallen zu lassen? Oder hat das Fallenlassen das Zerbrechen gedrückt? Oder beides? Es ist fast wie die klassische Frage, was zuerst da war – die Henne oder das Ei.14

Für unsere langen Ausführungen über Ursachen und alle Dinge A und B gibt es ein paar wichtige Gründe. Erstens möchten wir, dass Sie von der Vorstellung ablassen, die Zeit müsste, nur weil sie gemäß Ihrer täglichen Wacherfahrung in eine Richtung fließt, auch in der physischen Welt in diese Richtung fließen. Zweitens, dass Sie erkennen, wie schwer es ist, den Unterschied zwischen einem Push in Richtung Zukunft und einem Pull aus der Zukunft herauszufinden. Und schließlich sollen Sie erkennen, dass jedes einzelne Ereignis, das Sie erleben – vom Zähneputzen über eine Präsentation bei der Arbeit bis dahin, Ihre Kinder zu schimpfen, weil sie ihre Zimmer nicht aufgeräumt haben –, als Kausalschleife existieren könnte, in der Vergangenheit und Zukunft anscheinend gleichzeitig drücken und ziehen.

»Halt!«, könnten Sie jetzt rufen und fragen, was genau eine Kausalschleife ist.

Kreise in der Zeit

Eine Kausalschleife (auch bekannt als »geschlossene Zeitschleife« oder »Prädestinations-Paradoxon«)15 ist eine Folge von Schleifenereignissen, bei denen ein Ereignis ein anderes Ereignis verursacht, das wiederum das erste Ereignis zu verursachen scheint. Kurz gesagt, jedes Ereignis in der Schleife ist eine der Ursachen für das nächste Ereignis und mindestens eines der späteren Ereignisse verursacht ein früheres Ereignis.16

Möglicherweise ist das Verständnis der allgemeinen Idee von Kausalschleifen eine Grundvoraussetzung, wenn man verstehen will, wie Präkognition funktionieren könnte. Aber das Problem mit Kausalschleifen ist, dass sie einen dazu verleiten können, alles als Kausalschleife zu betrachten, was einen leicht in den Wahnsinn treiben kann. Nehmen wir das Beispiel mit der herunterfallenden Kaffeetasse. Natürlich können wir sagen, dass das Fallenlassen der Kaffeetasse ein Ereignis ist und das Zerbrechen der Tasse auf dem Boden das andere. Aber was ist mit der ursprünglichen Handlung, dem Hochheben der Tasse? Und dann ist da noch das Auffegen der Splitter. Vielleicht sind das ja die eigentlichen Push-Pull-Ereignisse. Oder warum nicht noch einen Schritt weiter zurück in die Vergangenheit und einen vorwärts in die Zukunft gehen? Was, wenn Sie einen Kaffee trinken und die Scherben auffegen wollten, damit Sie hinterher eine unzerbrechliche Plastiktasse in Ihrem Küchenschrank finden? Vielleicht hat ja das Finden der Plastiktasse den ursprünglichen Wunsch nach einer Tasse Kaffee nach vorn gezogen?

Man kann dieses Spiel endlos weitertreiben, gerät dabei allerdings schnell auf Abwege. Sie könnten anfangen, sich zu fragen, ob nicht Ihre Geburt Ihren Tod drückt und Ihr Tod Ihre Geburt zieht? Sie können ein Ereignis zu einem beliebigen Zeitpunkt nehmen, ein paar um diesen Punkt auf der linken und rechten Seite der Zeitachse herumliegende Ereignisse auswählen und daraus eine Kausalschleife basteln, die zu dem passt, wie Sie die Dinge sehen. Doch diese Art des Denkens führt schnell zu dem, was wir als »Fantasiedenken« bezeichnen.

 

Wenn Sie dem Fantasiedenken zuneigen und gleichzeitig versuchen, die Präkognition zu verstehen, können Sie sich jeden Traum und jeden Gedanken, den Sie haben, vornehmen und versuchen, das zukünftige Ereignis zu finden, das diesen Traum oder Gedanken zieht. Ein Beispiel: In der Nacht vor einer Flugreise träumen Sie, dass Sie in einem Flugzeug sitzen und das Flugzeug abstürzt. Am nächsten Tag steigen Sie in das Flugzeug, das dann zu Ihrer großen Erleichterung doch nicht abstürzt. Doch weil Sie überzeugt sind, dass Ihr Traum präkognitiv war, suchen Sie in den Nachrichten wie besessen nach Meldungen über Flugzeugabstürze. Schließlich stürzt vier Monate später irgendwo ein Flugzeug ab, und Sie schlussfolgern, dass das der Flugzeugabsturz war, von dem Sie geträumt haben, obwohl es keine anderen Parallelen zwischen Ihrem Traum und dem Absturz gibt. Fantasiedenken mag für die Kreativität von entscheidender Bedeutung sein, bei der Entwicklung Ihrer präkognitiven Fähigkeiten ist es nicht hilfreich. Selbst in der Vorwärtsrichtung der Zeit lassen sich die meisten Ursachen und Wirkungen nicht so einfach nachvollziehen. Der Versuch, Kausalschleifen für alles Mögliche zu konstruieren, ist sinnlos und, wichtiger noch, unnötig.

Wir werden uns mit dem Fantasiedenken – und wie man es vermeiden kann – in Teil 2 sehr viel ausführlicher befassen. Für den Moment genügt es zu sagen, dass das Verständnis des allgemeinen Konzepts der Kausalschleifen Ihnen zwar dabei helfen kann, über die Möglichkeit der Präkognition nachzudenken, echte Präkognition aber nicht dasselbe ist wie eine Kausalschleife. Würden Sie sich in einer Kausalschleife befinden, könnten Sie sich zwar vorstellen, dass Sie von der Zukunft gezogen werden, Sie wären sich dessen aber nicht bewusst. Während einer echten präkognitiven Erfahrung hingegen ist sich ein Teil von Ihnen der Anziehungskraft bewusst. Eine solche Erfahrung beschränkt sich nicht auf die kausale Anziehung – sie ist wie eine Botschaft aus der Zukunft. Wenn Sie eine echte Vorahnung haben, geht diese mit Gedanken, Gefühlen oder Verhaltensweisen einher, anhand derer Sie erkennen, dass ein Teil von Ihnen so etwas wie eine Botschaft aus der Zukunft erhalten hat. Diese Botschaft ist das Entscheidende, denn wenn Sie von der Zukunft in die Vergangenheit kommunizieren können, wenn auch nur zu sich selbst, können Sie sich möglicherweise wenigstens auf die Zukunft vorbereiten – wenn nicht diese sogar beeinflussen.17

Um zu veranschaulichen, wie Vorahnungen Ihnen helfen können, sich auf die Zukunft vorzubereiten, hat Julia Mossbridge zwei Traumexperten interviewt, die unabhängig voneinander Träume über den bevorstehenden Tod eines geliebten Menschen beschrieben haben. Der eine, Dr. Stanley Krippner, der für seine Arbeit über telepathische und präkognitive Träume bekannt ist, erzählte Julia von zwei präkognitiven Träumen über den Tod seines Vaters, die er in seinen Vierzigern hatte. Im ersten Traum sah er einen Leichenwagen, der vor seinem Elternhaus vorfuhr. Der Fahrer nahm seinen Vater, seinen Nachbarn und den Vater eines Klassenkameraden mit. Die ersten beiden – sein Vater und sein Nachbar – starben einige Monate nach dem Traum. Der Vater des Grundschulkameraden starb innerhalb eines Jahres nach dem Traum. Der zweite Traum ereignete sich nur wenige Wochen vor dem Tod seines Vaters und einen Monat nach dem ersten Traum. Dr. Krippner sagt, dass er sich noch an die lebhaften Bilder dieses zweiten Traums erinnert, in dem seine Mutter mit einem verzweifelten Gesichtsausdruck im Schaukelstuhl im Wohnzimmer saß. Weil er zu der Zeit bereits um den Nutzen der Präkognition als Werkzeug zur Vorbereitung auf die Zukunft wusste, hatte er beide Träume in sein Traumtagebuch aufgenommen. Sein Vater hatte sich noch kurz vor seinem tödlichen Herzinfarkt seinem alljährlichen medizinischen Check-up unterzogen und vom Arzt den Bescheid bekommen, dass er in bester Verfassung sei.

Bei der zweiten Traumexpertin handelt es sich um Magloire Aguirre, die einen Master in Transpersonaler Psychologie hat und als zertifizierter Coach in der kolumbianischen Hauptstadt Bogota arbeitet. Wie Krippner führt Aguirre ein Traumtagebuch, und mindestens elf der Träume, die sie darin notiert hat, beziehen sich auf den Tod ihres kerngesunden Vaters bei einem Fahrradunfall im Jahr 2010. In einem dieser Träume sah sie ihren Vater ohne Kopf, in einem anderen ging sie zu einem Familientreffen mit vielen Verwandten, hatte aber Angst, ihren Vater nicht wiederzusehen, in einem dritten tröstete sie ihre Familie, weil ihr Vater gestorben war, dann hatte sie in einem Traum starke Emotionen und das übermächtige Gefühl, einen geliebten Menschen verloren zu haben, im nächsten erhielt sie von ihrer Mutter vier schwarze Blusen zum Anziehen, in einem weiteren Traum sah sie einen Fahrradfahrer, der stürzte und um den sie sich sehr sorgte, und schließlich erblickte sie im Traum das dunkle und leere Zimmer ihres Vaters in seinem Haus. Magloire schickte Julia alles, was sie über die elf Träume, in denen sich der Tod ihres Vaters angekündigt hatte, niedergeschrieben hatte.

Nachdem sie mit Magloire über ihre Träume gesprochen hatte, erstellte Julia eine Grafik mit der Anzahl der relevanten Träume in jedem Monat bis zum Tod ihres Vaters am 3. Juli 2010 (siehe Abbildung 1). Dabei handelt es sich natürlich um keine gründliche, wissenschaftlich belastbare Studie. Julia hat die Träume nicht aufgenommen, als sie passiert sind. Und wie Magloire berichtete, fielen ihr diese Träume erst auf, als sie nach dem Tod ihres Vaters ihre Traumtagebücher durchging – zum Zeitpunkt der Träume hatte sie nicht gedacht, dass ihr Vater sterben würde, und sie anders interpretiert. Doch wenn wir Magloires rückwirkende Traumanalyse für bare Münze nehmen, zeigt sich, dass die relevanten Träume im Schnitt an Häufigkeit zunahmen, je näher der Todestag ihres Vaters rückte. Genau das wird in Studien sowohl über spontanes präkognitives Träumen als auch aus Labortests der Präkognition berichtet – die Häufigkeit der Vorahnungen nimmt mit dem Herannahen des vorhergesagten Ereignisses zu.18


Abb. 1 Die Träume von Magloire Aguirre in fünf Dreimonatszeiträumen bis zum Todestag ihres Vaters. Dies war keine kontrollierte Studie; Magloire bestimmte die Traumrelevanz nachträglich. Die Abbildung soll lediglich veranschaulichen, dass die Häufigkeit der relevanten Träume zunahm, je näher der Tod ihres Vaters rückte.

Magloire ist glücklich, dass sie ihre Träume hatte, denn sie glaubt, dass sie ihr geholfen haben, sich auf den Tod ihres Vaters vorzubereiten, zumindest unbewusst. Sie möchte ihre Erfahrungen mit der Welt teilen, damit andere ihre Träume ernst nehmen und die Punkte verbinden, und sei es nur, um sich auf etwas Wichtiges vorbereiten zu können, das jenseits ihrer Kontrolle liegt.

Wenn wir in die Arbeit eintauchen, ein Positive Precog zu werden (Teil 2), werden wir die Bedeutung der Aufzeichnung von Vorahnungen aller Art näher erläutern. Im Moment ist es nur wichtig, darauf hinzuweisen, dass es in diesem Fall so war, als würde die Zukunft sowohl Dr. Krippner als auch Magloire nach vorn ziehen, damit sie die hilfreiche Botschaft empfangen konnten, dass es an der Zeit war, sich auf ein emotionales und schwieriges Ereignis vorzubereiten.

Pulls aus der Zukunft im Labor

Wir haben über Kausalschleifen als konzeptionelle Idee gesprochen. Ein Beispiel für etwas, das wie eine Kausalschleife aussieht – eine, die im Labor demonstriert wurde –, ist das sogenannte »Delayed-Choice-Experiment« aus dem Bereich der Quantenforschung. Dies ist kein Buch über Physik, und wir sind keine Physikerinnen, also sehen Sie es uns nach, wenn wir das Konzept hier nur skizzieren.19

Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Physiker. Sie beschließen, ein Lichtteilchen aus einer Photonenquelle auf zwei Detektoren abzuschießen und dieses zu messen. Die Entscheidung darüber aber, wie Sie das Photon messen, treffen Sie erst dann, wenn das Teilchen bereits so viel seines Weges zurückgelegt hat, dass es seinen Kurs nicht mehr ändern kann und eigentlich an einem bestimmten der beiden Detektoren auftreffen muss. Das Eigenartige an der Sache ist, dass diese »verzögerte Wahl«, wie Sie das Photon messen, tatsächlich zu beeinflussen scheint, auf welchem der beiden Detektoren es am Ende erscheint. Was dies zu einer Kausalschleife macht, ist der Umstand, dass Sie Ihre Entscheidung zu einem Zeitpunkt getroffen haben, an dem das Teilchen nicht mehr in der Lage war, »umzukehren« und seinen Kurs zu ändern. Mit anderen Worten: Allem Anschein nach beeinflusst Ihre zukünftige Entscheidung die Vergangenheit des Teilchens – fast so, als würde das Photon »wissen«, dass Sie in der Zukunft eine bestimmte Entscheidung treffen werden, und entsprechend seinen Kurs wählen.20

Eine Gruppe von Physikern, die diese sogenannten retrokausalen – sprich rückwirkenden – Effekte über eine große Entfernung im Weltraum nachwies, schrieb dazu: »Kein naives realistisches Bild ist mit unseren Ergebnissen vereinbar … Es erscheint daher angeraten, solche Bilder ganz aufzugeben.«21 Wir sollten also die Vorstellung aufgeben, dass Ursachen in der Zeit stets und ausschließlich in Vorwärtsrichtung wirken und nur dann auftreten können, wenn sich die beeinflussten Objekte in ein und demselben Raumgebiet aufhalten. Welche Schlüsse aber können wir aus den Erkenntnissen der Quantenphysiker für Menschen mit präkognitiven Erfahrungen ziehen? Nun, zum Beispiel könnten wir uns mit dem Gedanken anfreunden, die herkömmlichen Vorstellungen von Raum und Zeit über Bord zu werfen und das mit der Erkenntnis zu kombinieren, dass manche biologischen Prozesse auf Quanteneffekten basieren, die mit der Möglichkeit dieser Art der Retrokausalität konsistent sind. 22 Die eigentliche Debatte über diese Frage überlassen wir den Physikern und wissenschaftlichen Fachzeitschriften, doch wir hoffen, dass Sie nach unserer kurzen Zusammenfassung dieser Ideen anfangen zu erkennen, dass die physische Zeit womöglich nicht genau das ist, wofür wir sie lange gehalten haben – falls Sie das nicht sowieso schon längst tun.

Was bedeutet diese Art des Denkens für diejenigen von uns, die keine Quantenphysiker sind? Sie bedeutet, dass, obwohl sich Ursachen laut unseren alltäglichen Wacherfahrungen in der Regel in der Zeit nur in die Push- beziehungsweise Vorwärtsrichtung bewegen, es bei genauerer Betrachtung jedoch auch verborgene physische Pulls – Zugkräfte – aus der Zukunft zu geben scheint. Und dass es möglich ist, diese Kräfte bereits heute und mit unserem Körper zu nutzen.

Möchten wir damit sagen, dass wir unter Umständen auf physische Hinweise in unserem Wachleben hören oder eine »Traumerinnerung« an einen Unfall nutzen können, um ihn zu vermeiden? Ja, das möchten wir. Aber halt, würde das nicht bedeuten, dass die Kausalschleife zusammenbricht? Das zukünftige Ereignis würde doch gar nicht eintreten, weil wir es dank unserer Vorahnung verhindert hätten!

Wir sind uns einig – hier liegt ganz offenkundig ein Paradoxon vor. Glücklicherweise jedoch gibt es mindestens zwei Möglichkeiten, diesen Widerspruch aufzulösen: den »Many-Futures-Ansatz« (was man mit Viele-Zukünfte-Ansatz übersetzen könnte) und den »Near-Miss-Ansatz« (etwa: Beinahe-passiert-Ansatz). Niemand weiß, ob solche Kausalschleifen-Paradoxien durch einen, keinen oder beide dieser Ansätze gelöst werden können. Aber da Kausalschleifen nun einmal auftreten, muss es zwangsläufig eine Lösung für die offenkundigen Paradoxien geben. Also werden wir uns jetzt etwas ausführlicher mit dem Many-Futures- sowie dem Near-Miss-Ansatz beschäftigen. Allerdings werden wir, obgleich beide Ansätze ihre Wurzeln in der Physik haben, hier der Frage nachgehen, inwieweit sie sich auf die Präkognition beziehen, nicht auf die Physik.

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