Einsamkeit überwinden

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Phase I: Die momentane, vorübergehende Einsamkeit

Die Einsamkeitsgefühle dauern nur kurze Zeit und sind eine Reaktion auf äußere Umstände. So könnte der Umzug in eine andere Stadt, der Arbeitsplatzwechsel, der Eintritt ins Rentenalter oder auch ein Wochenende, ein Urlaub allein, ein Krankenhausaufenthalt, der Verlust eines Menschen durch Scheidung oder Tod zu kurzfristigen Einsamkeitsgefühlen führen. Ausgelöst durch diese Ereignisse können wir von dem Kontakt mit anderen uns vertrauten Menschen abgeschnitten sein. Diese Phase der Einsamkeit ist nicht schädlich, sondern kann hilfreich sein, uns den neuen Umständen anzupassen. Sie deutet eine Veränderung in unserem Leben an, mit der wir uns erst arrangieren müssen. Sie motiviert uns zum Handeln.

Phase II: Der langsame Rückzug

Die Einsamkeit beginnt, sich zu manifestieren. Dies äußert sich im Verlust des Vertrauens in uns selbst und in andere. Wir verlieren langsam und schleichend die Fähigkeit, zu lächeln und Körperkontakt wie durch Händeschütteln und Umarmen aufzunehmen. Wir verändern langsam unsere Art, zu sprechen und uns zu unterhalten. Dies hat zur Folge, dass wir für andere keine attraktiven Gesprächspartner mehr sind.

Phase III: Die chronische Einsamkeit

Die Einsamkeitsgefühle dauern Monate oder Jahre. Alle unsere Fähigkeiten, Kontakt aufzunehmen und aufrechtzuerhalten, für andere attraktiv zu sein, Anerkennung anzunehmen und zu geben, sind verschwunden. Wir verlernen, anderen etwas zu geben. Andere erkennen, dass sie mehr Probleme als Freude mit uns haben, und meiden uns. So geraten wir in einen negativen Kreislauf. Wir können anderen weniger geben. Andere geben uns weniger und wir zweifeln noch mehr an uns usw. Unsere Fähigkeiten zu kommunizieren werden mangels Training immer weniger und wir fühlen uns immer mehr darin bestätigt, unwichtig und uninteressant zu sein. Schließlich ziehen wir uns vollkommen zurück oder treiben andere durch unsere Aggressivität und unseren Sarkasmus von uns weg. Wir werden apathisch und unfähig zu fühlen. Nicht selten setzen Menschen in dieser Phase ihrem Leben ein Ende.

Die momentane vorübergehende Einsamkeit werden wir niemals vollkommen aus unserem Leben ausschalten können. Und das ist gut so, denn sie gibt uns die Möglichkeit, unser Leben zu überdenken, zu uns zu finden und neue Aktivitäten zu entwickeln.

Die chronische Einsamkeit ist jedoch in keiner Weise hilfreich für uns und nimmt uns die Möglichkeit zur vollen Entfaltung unserer Persönlichkeit. Sie schließt uns aus von dem lebendigen Leben, das wir haben könnten. Sie ist ein Zeichen von Selbstentfremdung. Sie entsteht aus dem Bruch zwischen dem, was man ist, und dem, was man gerne wäre.

Wir wollen uns im Folgenden mit der Vorbeugung und Überwindung der chronischen Einsamkeit beschäftigen.

Woher kommt es nun, dass wir uns alle manchmal einsam fühlen, aber dass nicht jeder Mensch die Phase III, die chronische Einsamkeit erreicht? Wir haben gesagt, dass Lebensumstände keine ausreichende Erklärung hierfür abgeben können. Also schauen wir uns den zweiten Erklärungsansatz, die persönliche Einstellung näher an. Wir sind offensichtlich unterschiedlich empfänglich für die Einsamkeit. Aber woher kommt die unterschiedliche Empfänglichkeit?

Die Erklärung ist zwar einfach, aber um so schwerwiegender: Wissenschaftliche Untersuchungen haben gezeigt, dass die Empfänglichkeit für Einsamkeit durch bestimmte negative Einstellungen und Sichtweisen entsteht.

Einsamkeit ist primär ein Zustand des Geistes. Er ist die Folge negativer, selbstschädigender Einstellungen.

Jeder Einzelne von uns macht sich selbst einsam. Jeder Einzelne ist selbst für seine Einsamkeitsgefühle verantwortlich. Einsamkeitsgefühle entstehen, wenn wir denken, dass wir hilflos, ausgeschlossen, ungeliebt, unfähig, minderwertig etc. sind. Einsamkeitsgefühle sind die Folge unserer Einstellungen, die wir zu uns selbst, zu unserer Lebenssituation und der Zukunft haben. Sie entstehen, wenn wir glauben, die Liebe und Anerkennung anderer unbedingt zu brauchen. Sie entstehen, wenn wir auf die Initiative anderer warten, uns mit Komplimenten, Lob und Zuspruch entgegenzukommen, und uns selbst zurückhalten, weil wir das Risiko fürchten. Sie entstehen, wenn wir es nicht wagen zu lieben, aus der Furcht vor Verletzung und Kränkung oder weil wir bereits gekränkt wurden.

Viele einsame Menschen geben sich selbst für ihre Einsamkeit die Schuld. Sie glauben, ihre Probleme seien unlösbar und ihre Zukunft sei hoffnungslos. Viele Menschen beschreiben das damit, dass sie sagen, sie seien einsam, weil sie ein mangelndes Selbstvertrauen oder Angst vor Fremden hätten.

Es wird in unserem Leben immer wieder Augenblicke geben, in denen wir allein sind und uns einsam fühlen. Wir werden alleine geboren, wir sind meist alleine in der Krankheit, werden alleine operiert, bekommen alleine unsere Kinder und wir sterben meist alleine. Ob wir in diesen Situationen auch Einsamkeit empfinden, hängt davon ab, welche Lebenseinstellungen wir haben. Ob wir uns noch weiter zurückziehen und selbst bemitleiden oder uns anderen Menschen gegenüber wieder öffnen, ist unsere eigene Entscheidung.

Nur weil jeder Mensch diese Entscheidung hat, kann ich dieses Buch schreiben. Nur deshalb kann ich Ihnen versprechen, dass Sie Ihre Einsamkeitsgefühle überwinden können. Einsamkeitsgefühle sind ein Signal Ihres Körpers, dass Ihr Leben nicht so läuft, wie Sie es haben möchten. Nutzen Sie dieses Signal als Ansporn, Ihr Leben zu verändern. Auch Sie haben die Fähigkeit, sich anderen gegenüber zu öffnen und die Welt als einen wunderbaren Ort mit Abenteuern, Freude, Liebe und Begeisterung zu erleben.

Das Geheimnis glücklicher Menschen, die alleine leben und sich nicht oder nur selten einsam fühlen, ist, dass sie mit sich selbst und ihrem Leben zufrieden sind. Eine liebende Frau, liebende Freunde oder Partner genügen nicht, Einsamkeitsgefühle zu verhindern. Solange Sie denken, dass Sie die Liebe nicht verdienen, weil Sie zu wenig attraktiv, intelligent etc. sind, werden die Einsamkeitsgefühle bei Ihnen zu Gast bleiben. Solange Sie sich nicht selbst einen Lebenssinn verschaffen, werden Sie sich einsam fühlen. Gleichgültig ob Sie verheiratet sind oder allein leben, können Sie Ihre Einsamkeit nicht verändern, indem Sie nur die Situation verändern. Die Kraft zur Überwindung Ihrer Einsamkeit liegt in Ihnen selbst, in Ihren Einstellungen zu sich, der Welt und der Zukunft.

3Wie entstehen Gefühle?

Bis jetzt haben wir festgestellt, dass Einsamkeitsgefühle dann entstehen, wenn Sie ganz bestimmte negative Einstellungen zu sich selbst, Ihrer Situation und der Zukunft haben. Einsamkeitsgefühle und Isoliertsein sind also die Folge und nicht die Ursache Ihrer negativen Gedanken.

Vielleicht werden Sie, liebe Leser, nun an dieser Stelle einwenden: „Sie haben gut reden. Ihnen geht es bestimmt viel besser. In meiner Lage muss ich mich doch einsam fühlen.“ Dann muss ich Ihnen erwidern, dass Sie einem Irrtum aufgesessen sind. Ihre Gedanken bestimmen Ihre Gefühle und Ihr Verhalten. Nicht umgekehrt. Damit Sie diesen Zusammenhang besser verstehen können, möchte ich Ihnen das ABC der Gefühle vorstellen.

Alle unsere Gefühle entstehen nach dem ABC der Gefühle. Stellen Sie sich vor, Sie sind auf einer großen Party eingeladen und sitzen mit Bekannten in einer Runde zusammen. Alle um Sie herum lachen und scheinen sich zu amüsieren. Sie fühlen sich einsam und ausgeschlossen. Woher mögen Ihre Einsamkeitsgefühle kommen?

Um dies herauszufinden, müssen wir wissen, was Sie in dieser Situation denken. Wenden wir deshalb das ABC der Gefühle auf dieses Beispiel an:

Unter A schreiben wir die Situation, in der Sie sich objektiv befinden:

ASituation: Was passiert?

Ich sitze mit Bekannten in einer Runde zusammen.

Sie lachen und unterhalten sich.

Unter B schreiben wir die Gedanken, die Sie in dieser Situation haben:

BGedanken: Was denke ich?

Zum Beispiel könnten Sie denken: Die anderen sind alle intelligenter als ich. Ich halte lieber meinen Mund. Niemand interessiert sich für mich. Wenn ich das Gespräch an mich reiße und mir fällt nichts mehr ein, dann bin ich blamiert. Die anderen reden nur dummes Zeug. Daran möchte ich mich nicht beteiligen.

Unter C schreiben wir Ihre Gefühle und das Verhalten, das Sie in dieser Situation zeigen:

CGefühle und Verhalten: Wie fühle und verhalte ich mich?

Ich fühle mich einsam und sage kein Wort.

Jeder einzelne Gedanke, der unter B aufgeführt ist, erklärt, warum Sie sich einsam fühlen und so verhalten. Wir können Ihre Gefühle erst verstehen, wenn wir wissen, wie Sie in dieser Situation denken. Ihre Gedanken sind der Schlüssel zu Ihren Gefühlen und Ihrem Verhalten. Schauen wir uns nun einmal an, wie die anderen, die sich amüsieren, denken könnten: Deren ABC der Gefühle könnte zum Beispiel so aussehen:

AWas passiert?

Ich sitze mit Bekannten in einer Runde zusammen.

BWas denke ich?

Das sind alles nette Menschen hier. Sie mögen mich und wir verstehen uns. Das war eine gute Idee, auf dieses Fest zu gehen. Es ist schön, sich über dieses Thema mit den anderen zu unterhalten. Ein gelungener Abend.

CWie fühle und verhalte ich mich?

Ich bin froh, zufrieden, selbstsicher und unterhalte mich. Auch hier erklären die Gedanken, warum sich die Bekannten gut fühlen. Sie bewerten die Situation positiv und haben demzufolge auch positive Gefühle.

 

Für jede Situation haben wir grundsätzlich drei Möglichkeiten der Bewertung, positiv, negativ und neutral, und damit auch drei Gefühlsbereiche, das heißt wir erleben positive, negative und neutrale Gefühle.

Deshalb kann es auf der Party auch Menschen geben, deren ABC der Gefühle folgendermaßen aussieht:

AWas passiert?

Ich sitze mit Bekannten in einer Runde.

BWas denke ich?

Bis jetzt ist es angenehm zuzuhören, was die anderen erzählen.

CWie fühle und verhalte ich mich?

Ich bin ruhig, gelassen und still.

Das ABC der Gefühle hilft uns, deutlich zu machen, dass wir uns unsere Gefühle selbst machen. Das, was passiert, können wir nicht mehr ändern, wenn es schon passiert ist. Aber wir haben immer die Chance, unsere Gedanken und damit unsere Gefühle zu verändern.

Ein anderer kann zwar über die Situation bestimmen, aber niemals über unsere Gefühle. Wir bestimmen selbst über unsere Gefühle, indem wir die Situation in ganz bestimmter Art und Weise bewerten.

Das ABC der Gefühle hier noch einmal im Überblick:

ASituation: Was passiert?

BGedanken?: Was denke ich?

CGefühl und Verhalten: Wie fühle und verhalte ich mich?


Gleichgültig, ob Sie es wollen oder nicht, verarbeitet und bewertet Ihr Gehirn in jedem bewussten Augenblick Ihres Lebens jedes Ereignis als positiv, negativ oder neutral.

Als Maßstab für seine Bewertung vergleicht Ihr Gehirn ein Ereignis mit allen in Ihrem Leben jemals gemachten und gespeicherten Erfahrungen. Haben Sie noch kein vergleichbares Ereignis erlebt, richtet es sich in seiner Bewertung nach dem Erlebnis, das noch am ehesten vergleichbar ist. Auch das Wissen, das Sie sich angelesen haben, wertet das Gehirn als Erfahrung. Je nach Ihrer Bewertung reagiert Ihr Körper mit positiven Gefühlen wie Freude und Begeisterung, mit neutralen Gefühlen wie Ruhe und Ausgeglichenheit oder mit negativen Gefühlen wie Angst, Ärger, Einsamkeit, Depression. Auch wenn Sie sich Ihrer Gedanken nicht bewusst sind, denken Sie etwas. Ihre Gedanken steuern Ihr bewusstes Verhalten und Ihre Gefühle. Mit dem Erlernen der Sprache beginnen Sie, die Ereignisse in Ihrem Leben als gut/schlecht oder neutral für Sie selbst zu bewerten. Ihre Eltern und andere Bezugspersonen vermitteln Ihnen einen Begriff davon, was gut und böse ist. Sie bringen Ihnen diese Bewertungen und Normen mit Hilfe von Belohnung, Bestrafung, Nichtbeachtung etc. bei. Der Erziehungsprozess ist dann abgeschlossen, wenn Sie selbst die gleichen Maßstäbe wie Ihre Eltern anlegen und eine Situation als negativ oder positiv einschätzen, ohne dass Ihre Eltern Sie daran erinnern müssen.

Je häufiger Sie eine Situation als gut oder schlecht bewerten, desto eher wird die Bewertung automatisch, das heißt Sie erhalten den Eindruck, nichts zu denken und nur zu fühlen. Von Geburt an haben wir lediglich die Fähigkeit, alle Gefühle zu empfinden, mitbekommen. Wie häufig wir Angst, Ärger, Freude, Depression, Einsamkeit, Ekel etc. empfinden, bestimmen unsere Bewertungen, die wir im Laufe unseres Lebens erworben haben.

Ein Beispiel für das Erlernen von Bewertungen ist zum Beispiel das Erlernen eines Ekelgefühls bei Schmutz. Kleine Kinder nehmen alles in den Mund, was sie in ihre Finger bekommen. Sie haben noch kein Ekelgefühl gegenüber Schmutz erlernt. Wenn die Eltern jedesmal, wenn das Kind Schmutz in die Hände oder den Mund nimmt, mit Tadel, Schlägen etc. reagieren, wird das Kind lernen: Schmutz ist schlecht und eklig.

Gleichzeitig mit dieser Bewertung wird das Kind ein Ekelgefühl entwickeln. Als Erwachsener werden Sie sich kaum noch dieser Gedanken bewusst sein, sondern nur noch auf Ihr Gefühl hören. Es wird Ihnen ganz normal erscheinen, bei Schmutz Ekelgefühle zu haben.

Gleichgültig ob Ihnen das ABC der Gefühle glaubhaft erscheint oder nicht, Sie haben in Ihrem Leben bis jetzt immer danach gefühlt und gehandelt. Mit einem einzigen Unterschied:

Sie haben Ihren Blick bis jetzt wahrscheinlich immer auf Ihre Gefühle gelenkt und nicht auf Ihre Gedanken. Und wenn man seinen Blick nur auf das Auftauchen und Verschwinden bestimmter Gefühle lenkt, bekommt man den Eindruck, die Situation oder andere Menschen würden unsere Gefühle bestimmen.

Zeugen dieser falschen Schlussfolgerung sind zum Beispiel folgende Redewendungen:

•„Du machst mich ärgerlich.“

•„Es kommt einfach über mich.“

•„In der Situation muss ich mich so fühlen.“

•„Er verletzt mich/kränkt mich.“

•„Das jagt mir Angst ein.“

•„Sie macht mich traurig.“

•„Am Wochenende fühle ich mich immer einsam.“

•„Wenn ich glückliche Paare sehe, muss ich mich als Versager fühlen.“

•„Wenn man allein ist, muss man sich einsam fühlen.“

Wir können heilfroh sein, dass jeder von uns selbst ganz allein dafür zuständig ist, wie er sich fühlt und verhält. Stellen Sie sich einmal vor, die Situation oder andere könnten tatsächlich über Ihre Gefühle bestimmen. Ihnen blieben dann nur zwei Möglichkeiten zu reagieren: die Resignation oder der Versuch, den anderen zu verändern. Sehr viele Menschen, die sich als Opfer anderer Menschen sehen, wählen den Weg der Resignation. Sie betäuben ihre negativen Gefühle mit Drogen, Alkohol oder Medikamenten. Andere wiederum sind aggressiv und zynisch oder kritisieren ständig andere Menschen, weil sie sich ihnen ausgeliefert oder unterlegen fühlen. Auch der Rückzug von anderen Menschen und die Isolation sind meist die Folge davon, dass sich Menschen gefühlsmäßig anderen Menschen ausgeliefert sehen.

Die Einsamkeitsgefühle sind Ausdruck davon, dass Menschen sich selbst nicht mögen und deshalb Angst davor haben, von anderen abgelehnt zu werden. Gleichzeitig haben sie Angst davor, anderen Zuwendung zu geben. Der Schlüssel zum Verständnis der Einsamkeit und zur Befreiung aus der Einsamkeit sind die Einstellungen zu sich selbst und zu anderen.

Denkanstoß

Stellen Sie sich einen wunderschönen Vogel vor, der in einem unverschlossenen Käfig sitzt. Er sitzt dort den ganzen Tag und fühlt sich einsam und verlassen. Zu Beginn seines Käfigdaseins hat er noch gesungen und war an seiner Umwelt interessiert, aber jetzt sitzt er fast nur noch apathisch in einer Ecke des Käfigs. Der Vogel weiß nicht, dass er gleichzeitig Gefangener und Wärter ist. Die Tür ist unverschlossen und er kann jederzeit in die Freiheit fliegen, wann immer er es möchte. In seinem Innern ist die Fähigkeit erhalten geblieben, zu fliegen. Aber der Vogel bleibt sitzen und bedauert sich. Manchmal wird er ein kleines bisschen aktiver und man spürt seine innere Energie – dann, wenn er auf die Menschen schimpft, die ihn in den Käfig getrieben haben und ihn scheinbar gefangenhalten. Er hätte die Chance, die große weite Welt wiederzusehen, aber gleichzeitig bedeutet die Welt für ihn auch eine Gefahr. Wenn er das Risiko eingehen würde, seinen Käfig zu verlassen, würde er seine Angst verspüren, verletzt zu werden und sich zu stoßen. Er würde sich auch dem Vergleich mit anderen Vögeln aussetzen. So bleibt der wunderschöne Vogel lieber im Käfig sitzen, der ihm Schutz bietet, und hadert mit seinem Schicksal. Alles, was er tun müsste, um sein Leben zu verändern, wäre, seine inneren Fähigkeiten zu nutzen und das Risiko einzugehen, sich ein paar Beulen zu holen. Gewinnen könnte er die Freiheit und die Möglichkeit, Neues zu entdecken. Sitzen Sie auch in einem unverschlossenen Käfig, der gleichzeitig Begrenzung ist und Schutz bietet?

Teil II Beziehung zu sich selbst knüpfen

„Wer mit sich selbst klarkommt, findet auch Freunde“, so könnte man den Inhalt der folgenden Kapitel aus Teil II zusammenfassen. Ganz im Gegenteil zu der Meinung der meisten einsamen Menschen ist der Kontakt zu anderen nicht die Lösung ihrer Einsamkeitsprobleme. Die Isolierung und Abgesondertheit von anderen hat ihre Ursache in der persönlichen Einstellung des Einzelnen zu sich selbst. Und bevor der Einzelne seine negativen Einstellungen zu sich selbst nicht grundlegend verändert hat, kann er keine dauerhafte erfolgreiche Beziehung zu anderen knüpfen.

Deshalb wollen wir uns in Teil II zunächst damit befassen, wie Sie sich selbst sehen und welchen Einfluss Ihre Meinung über sich auf Ihre Gefühle hat.

Dann werden Sie die Möglichkeit haben, eine größere Selbstachtung aufzubauen. Ich werde Ihnen helfen, eventuelle Widerstände und Blockaden gegen eine Veränderung abzubauen und den Umlernprozess zu verstehen. Die Veränderung Ihres Selbstbildes wird Ihnen nicht ganz leicht fallen, da Sie es schon sehr lange in Ihrem Kopf haben.

4Die Liebe zu sich selbst

Keine Angst, lieber Leser. Ich will Sie nicht davon abbringen, Kontakt mit anderen Menschen oder Zweisamkeit statt Einsamkeit anzustreben. Ich persönlich halte es für sehr erstrebenswert, sein Leben und seine Erfahrung mit anderen Menschen zu teilen. Ich glaube, dass es für uns Menschen sehr wichtig ist, den Kontakt mit anderen anzustreben.

Aber der 1. Schritt aus der Einsamkeit ist nicht der Schritt auf den anderen Menschen zu. Der erste Schritt aus der Einsamkeit ist der Schritt auf sich selbst zu. Ohne Kontakt und Achtung vor der eigenen Person ist kein langfristiger und intensiver Kontakt zu anderen Menschen möglich. Ohne mit sich selbst zufrieden zu sein, kann niemand anderer Sie auf Dauer zufrieden machen. Ohne gelernt zu haben, alleine sein zu können, sind Sie nicht wirklich bindungsfähig. Nur wer mit sich selbst allein zufrieden ist, wer von seinen Stärken und Schwächen weiß, wird sich auf andere Menschen einstellen können.

Für den Augenblick ist es deshalb wichtig, die krampfhafte Suche nach dem Partner aufzugeben. Lassen Sie zu, dass Sie im Augenblick alleine sind. Lassen Sie zu, dass Sie im Augenblick keine Freunde haben. Lernen Sie, eine erfüllende Beziehung mit sich selbst aufzubauen. Dann werden Sie in einem zweiten Schritt auch eine erfüllende Beziehung zu anderen aufbauen können – sofern Sie es dann noch möchten. Falls Sie sich in einer Partnerschaft befinden, ist es für den Augenblick gut, dass Sie an sich selbst arbeiten und die Beziehung zu sich selbst knüpfen.

Es gibt zwei Wege, mit Einsamkeit umzugehen: sie zu „heilen“ oder sich mit ihr zu arrangieren. Sich mit der Einsamkeit zu arrangieren, bedeutet, sich an das Gefühl zu gewöhnen, ohne daran unterzugehen. Es bedeutet, sich so wenig wie möglich zu ändern. Einsamkeit zu heilen, bedeutet, sich innerlich und äußerlich zu verändern. Es bedeutet, aufzuhören, sich selbst abzulehnen. Es bedeutet, sich selbst anzunehmen, lernen, zu kommunizieren und attraktiv zu sein. Entscheiden Sie sich jetzt, wie Sie mit Ihrer Einsamkeit umgehen möchten. Ich nehme an, dass Sie die Einsamkeit überwinden möchten, sonst hätten Sie sich wahrscheinlich nicht dieses Buch gekauft.

Lehnen Sie sich jetzt in Ihrem Sessel zurück und gestehen Sie sich ein, dass Sie einsam sind. Ihre Einsamkeit ist das Ergebnis bestimmter Vorstellungen, die in Ihrem Kopf herumschwirren.

Einsame Menschen lehnen sich selbst mehr ab, als es jemals ein anderer tun würde. Sie erwarten, dass sie von anderen abgelehnt werden, und geben anderen erst gar nicht die Chance, ihre eigene Meinung zu ihnen zu bilden. Es ist, als ob sie eine Wette mit sich selbst abgeschlossen hätten, dass sie nicht gemocht werden, und sich dann dementsprechend verhalten, dass sie die Wette gewinnen und möglichst viele Freunde verlieren müssen. Einsame Menschen haben ganz charakteristische Grundeinstellungen, die sie in die chronische Einsamkeit hineinführen und verhindern, dass sie wieder herauskommen.

Diese negativen Grundeinstellungen greifen ihr Selbstwertgefühl an und machen es dem Einzelnen schwer, Kontakte zu knüpfen und eine intensive Beziehung zu anderen Menschen zu entwickeln.

Viele einsame Menschen haben ein sehr geringes Selbstwertgefühl und leiden unter Depressionen. Sie vergleichen sich permanent mit anderen und ziehen daraus die Schlussfolgerung, ein Versager und minderwertig zu sein. Sie sehen sich als unattraktiv, dumm, hässlich etc. und fühlen sich demzufolge nicht liebenswert. Sie haben perfektionistische Erwartungen an sich selbst, wie sie sein sollten, um beim anderen überhaupt ankommen zu können. Im Stillen glauben sie von sich, keinen Partner und keine Freunde finden zu können. Sie verlangen von sich, jede Situation ohne Angst und Nervosität bewältigen zu können, und setzen sich unter Druck, anderen gegenüber keine Schwäche zu zeigen. Sie erwarten von einer Partnerschaft dauerhafte Verliebtheit und Begeisterung. Bei Konflikten und Auseinandersetzungen geraten sie in Panik. Sie haben Angst, eigene Gefühle zu offenbaren, weil der andere sie ihrer Ansicht nach ablehnen würde. Aus Angst vor einer Trennung schlucken sie häufig Enttäuschungen und Ärger hinunter. Einsame Menschen haben eine starke Angst vor Ablehnung und vermeiden es häufig, sich diesem Risiko auszusetzen. Sie haben die Einstellung, zu ihrem Glück einen Partner zu benötigen, und vernachlässigen sich völlig, wenn sie alleine sind. Häufig erscheinen einsame Menschen auch sarkastisch und kritisieren, obwohl sie im Grunde genommen Nähe suchen. Sie stellen perfektionistische Forderungen an den Partner. Sobald der andere von diesen Forderungen abweicht, wird er für sie uninteressant und sie werten ihn ab.

 

Schauen Sie sich die nun folgenden negativen Einstellungen an. Sie sind besonders charakteristisch für die Menschen, die im Augenblick noch keinen Partner haben. Suchen Sie nach den Gedanken, die Ihnen vertraut sind. Für Menschen, die in einer Partnerschaft leben und einsam sind, trifft nur ein Teil der folgenden Einstellungen zu. Deren charakteristische Einstellungen und Gefühle sind Minderwertigkeitsgefühle, perfektionistische Forderungen an den Partner, Forderungen der dauernden Liebe und Zuwendung. Angst vor Kritik und Ablehnung, Angst vor dem Alleinsein, Angst, sich zu öffnen und seine Gefühle zu zeigen, Abwertung des anderen, das Gefühl, in der Partnerschaft/Freundschaft gefangen zu sein. Im Verlauf des Buches werde ich verstärkt auf diese Einstellungen eingehen, die eine intensive Beziehung blockieren oder verhindern, dass man Kontakte zu anderen aufnimmt.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?