Einen geliebten Menschen verlieren

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Wodurch kommt es zu krankhafter Trauer?

Wie schon gesagt, ist die Unterscheidung, wann wir von einer krankhaften Trauer und wann von normaler Trauer sprechen, schwierig. Ich möchte hier einige Faktoren aufzählen, die dazu führen können, dass wir in unserer Trauerarbeit steckenbleiben oder sie überhaupt unterbinden. Wird die Trauerarbeit nicht geleistet, so laufen wir Gefahr, seelisch und manchmal sogar körperlich krank zu werden.

Faktoren, die eine krankhafte Trauerverarbeitung begünstigen

1.Wir haben in unserem Kopf das Gebot: „Du musst in jeder Situation Haltung bewahren.” und stürzen uns in Aktivität. Durch das Wegschieben der Gedanken an den Toten und des Abschiednehmens können wir die Situation nicht ungeschehen machen und sie auch nicht annehmen lernen. Möglicherweise kommt es zu einem späteren Zeitpunkt dann zu einem Zusammenbruch, den man sich nicht erklären kann.

2.Der Tote kam durch eine in unserer Gesellschaft nicht akzeptierte Todesform zu Tode, etwa durch Freitod, sodass wir nicht offen über den Verlust sprechen können oder uns auch besonders stark mit Schuldgefühlen belasten. Auch eine vorgenommene Abtreibung kann zu einer krankhaften Trauerverarbeitung führen.

3.Die persönliche Beziehung zum Toten war durch Hass und negative Gefühle geprägt, sodass es nach dessen Tod zu keiner Trauerreaktion kommt. Wenn wir uns mit unseren Gefühlen des Hasses erleben, verurteilen wir uns dafür, „weil man um einen Toten ja Tränen vergießen sollte“.

4.Starke finanzielle Sorgen oder die Versorgung kleiner Kinder oder pflegebedürftiger Verwandter führen dazu, dass keine Zeit für das Abschiednehmen bleibt.

5.Wenn das soziale Umfeld bestehend aus Verwandten und Freunden oder Selbsthilfegruppen fehlt, weil in unserer Gesellschaft Familien sehr weit voneinander entfernt wohnen, oder weil wir von jeher schon isoliert lebten, kann der Trauerprozess erschwert werden.

6.Es gibt Kulturen, wie die südländischen Kulturen, die es dem Einzelnen ermöglichen, seine Gefühle stärker auszudrücken und zuzulassen. Die Erwartung unserer Gesellschaft, „stark und bald über die Trauer hinweg zu sein“, kann ebenfalls die Trauerarbeit behindern.

7.Aktueller Gesundheitszustand: Krankheit kann den Trauerprozess verlängern.

8.Berufliche Position und finanzielle Absicherung: Mangelnde finanzielle Absicherung und ein fehlender Arbeitsplatz können die Trauer verstärken.

9.Es sind mehrere Familienangehörige gleichzeitig gestorben oder kurz nacheinander, sodass wenig Zeit bleibt, von jedem intensiv und vollständig Abschied zu nehmen.

Um es nochmals zu wiederholen, die Grenzen zwischen normaler und krankhafter Trauer sind fließend. Wir können nicht sagen: „Wenn du bis zu dem Zeitpunkt immer noch bei dem Namen deines verstorbenen Partners weinst, dann ist das krankhaft.” Entscheidend ist, ob Sie den Eindruck haben, nicht darüber hinwegzukommen, obwohl Sie es möchten.

Ich will Ihnen Ihre Trauer weder wegnehmen noch verbieten. Ich möchte Ihnen nur sagen, dass Sie Ihre Trauer beeinflussen können. Trauer kommt nicht von alleine und geht nicht von alleine.

Jeder Mensch, der trauert, durchläuft verschiedene Phasen, bis er sich mit dem Tod eines Menschen „abgefunden“ hat. „Abfinden“, „darüber hinwegkommen“, „verkraften“ – das sind Begriffe, die wir in der Alltagssprache verwenden. Für viele haben sie einen Beiklang von „den Toten vergessen“. Das meine ich damit sicher nicht. Wenn ich von „abfinden“ spreche, dann meine ich, bis der Gedanke, mein Partner ist tot, ich kann nur noch das von ihm bekommen, was ich in meiner Erinnerung gespeichert habe, nicht mehr so stark schmerzt, sondern nur noch ein Gefühl von Traurigkeit und Bedauern auslöst. Vergessen werden wir nie können, was uns mit dem verstorbenen Menschen an schönen, aber auch kränkenden Erlebnissen verbindet. Das ist auch nicht unser Ziel, denn es sind wichtige Erfahrungen, die uns geprägt und beeinflußt haben. So wie wir jemandem verzeihen können und dann zwar noch das verletzende Ereignis im Kopf haben, aber es nicht mehr in uns nagt, so können wir auch Gefühle des Schmerzes und der Verzweiflung in Verbindung mit dem Tod eines Menschen verändern.

Nochmals gesagt, die einzelnen Trauerphasen sind nicht bei jedem Menschen von gleicher Dauer und Stärke. Es können Phasen übersprungen und wiederholt werden und der einzelne kann in einer Phase steckenbleiben. Ich halte es dennoch für hilfreich, die Phasen hier aufzuführen, weil das Wissen um diese Phasen Ihnen helfen kann, sich zu verstehen und auch Hoffnung zu schöpfen.

Wann ist die Trauerarbeit zu Ende?

Es gibt darauf keine sichere Antwort. Viele geben für den Verlust eines nahestehenden Menschen mindestens ein Jahr an, aber auch zwei Jahre seien keine allzu lange Zeit. Die meisten Untersuchungen zeigen, dass weniger als die Hälfte aller Frauen, die ihren Mann verlieren, am Ende des ersten Jahres „wieder sie selbst sind“ und am Leben richtig anteilnehmen. Witwen brauchen nach Ergebnissen dieser Untersuchungen meist drei bis fünf Jahre, um ihr Leben erneut zu stabilisieren. Überhaupt ist es müßig, darüber zu philosophieren, wann der Trauerprozess zu Ende ist. Es gibt keinen absoluten Zeitpunkt des Anfangs und keinen absoluten Zeitpunkt des Endes.

Veränderungen werden Sie daran bemerken, wie häufig Sie am Tag Schmerz empfinden und wie tief der Schmerz sein wird. Sie selbst werden merken, wann Sie wieder zu leben beginnen, wann Sie wieder in die Zukunft schauen können. Wenn die Gedanken an den Toten keinen Schmerz mehr bereiten, ist die Trauerreaktion beendet. Selbst dann wird es noch zu gelegentlicher Traurigkeit kommen, aber sie schmerzt dann nicht mehr so sehr. Wenn Sie wieder am Leben teilhaben und sich freuen können, ist sie für Sie zu Ende. Und wenn Sie drei, vier oder mehr Jahre benötigen, dann ist es eben die Zeit, die Sie für Ihre Trauerarbeit benötigen. Wir können keine zwei Menschen miteinander vergleichen. Wie schnell zwei Menschen ihren Verlust bewältigen, hängt von sehr vielen unterschiedlichen Faktoren ab wie etwa der Lebensgeschichte, der Persönlichkeit, der finanziellen Konsequenzen, der Lebensphilosophie und der Gesundheit. Sie können, wann immer Sie denken, es dauert für Sie zu lange, Unterstützung suchen in einer Selbsthilfegruppe, Beratungsstelle oder bei einem Psychotherapeuten.

Werde ich jemals wieder glücklich sein?

Es ist sehr gefährlich, aber auch unmöglich, auf diese Frage genaue Zeitangaben zu machen. Eines kann ich Ihnen jedoch mit Sicherheit sagen: Ja, Sie werden wieder glücklich sein können. Sie werden langsam vorwärtsgehen, ab und zu Rückschritte machen, aber es wird der Zeitpunkt kommen, wo Sie sich ein neues Gleichgewicht geschaffen haben. Es wird niemals mehr so werden wie früher, aber Sie werden sich eine neue Lebensperspektive aufbauen können. Jeder Mensch hat die Fähigkeit, sich auf neue Situationen einzustellen, sie anzunehmen und daraus das Beste zu machen. Sie brauchen hierzu jedoch Zeit und die richtigen Strategien. Wenn Sie sich vorstellen, wovon Sie alles Abschied nehmen müssen, und was Sie alles neu erarbeiten müssen, dann verstehen Sie, dass dazu keine Zeitangaben gemacht werden können. Wenn Ihr Partner stirbt, müssen Sie Abschied nehmen von der Zweisamkeit im Bett, der finanziellen Absicherung, davon, im Alter versorgt zu sein, von der Begleitung bei Festlichkeiten, beim Theaterbesuch, der handwerklichen Unterstützung im Haus, der Reisebegleitung, von Wünschen, was Sie in der Zukunft noch gemeinsam erleben wollten und noch von vielem mehr.

Der Prozess der Heilung ist wie eine Bergbesteigung. Es hilft Ihnen nicht, sich zu erinnern, wie schön es früher mit dem Verstorbenen auf dem Gipfel war. Jetzt sind Sie im Tal und, wenn Sie wieder auf den Gipfel wollen, müssen Sie aufsteigen und die Mühen in Kauf nehmen. Sie beginnen im Tal bei Schmerz, Wut, Angst, Einsamkeit und steigen langsam höher. Ein manches Mal müssen Sie wieder ein Stück absteigen, weil der Weg im Moment für Sie noch zu steil und unbegehbar ist. Sie werden ein manches Mal denken, nie höher zu gelangen. Aber Sie können an den Gipfel gelangen. Wie lange Sie bis zum Gipfel brauchen werden, kann ich nicht sagen, aber ich kann sagen, dass andere Menschen auch schon auf den Gipfel gelangt sind. Am Gipfel erwartet Sie eine neue Lebensperspektive, wieder Lebensfreude und die Fähigkeit, den Blick nach außen in die Umwelt zu lenken. Manche Menschen bleiben im Tal und klagen das Schicksal an, warum sie nach unten mussten. Andere bedauern sich und hoffen, dass sie jemand hochzieht. Wiederum andere bleiben mitten auf der Strecke stehen und weigern sich, höher zu klettern. Doch es gibt auch diejenigen, die Tag für Tag ihre Arbeit tun, um aus dem Tal herauszukommen. Sie nehmen die Mühen auf sich, weil es sich lohnt, wieder einen Überblick und Ausblick zu haben. Wollen Sie mit mir den Berg besteigen?

Es gibt keine Abkürzung auf dem Weg zum Gipfel, aber einen ausgetrampelten Pfad, auf dem schon viele Tausende gegangen sind. Ich kann Sie begleiten, jedoch nicht für Sie gehen.

Wann Sie unbedingt therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen sollten

•Wenn Sie sich ständig damit beschäftigen, dass Sie nicht mehr weiterleben möchten, und über eine Methode des Freitodes nachdenken oder gar schon Vorbereitungen dafür treffen.

Es ist natürlich, wenn Ihnen Gedanken, sich das Leben zu nehmen, durch den Kopf gehen. Doch, wenn Sie sich dauernd damit beschäftigen, sollten Sie die Chance wahrnehmen, sich mit einer anderen Person darüber zu unterhalten, ob wirklich alles ausweglos ist. In den ersten Phasen der Trauer sind wir häufig so verwirrt in unseren Gedanken, dass wir unsere Lage als ausweglos ansehen, obwohl sie es gar nicht ist.

 

•Wenn Sie aus Ihrem Schmerz herauskommen möchten, aber keinen Weg sehen, dorthin zu gelangen.

•Wenn Sie nicht in der Lage sind, sich adäquat um sich selbst zu kümmern, beispielsweise sich überhaupt nicht gesund ernähren oder der Körperhygiene keinerlei Beachtung mehr schenken.

•Wenn Sie länger als vier Wochen Beruhigungsmittel und Schlafmittel nehmen, zu viel Alkohol trinken, zu viel essen oder zuwenig essen.

•Wenn Sie gerne Unterstützung bei der Trauerarbeit haben möchten, beispielsweise jemanden, dem Sie von Ihrem Schmerz erzählen können, ohne den Kommentar zu hören: „Du musst jetzt allmählich darüber hinwegkommen.”

Bitte begleiten Sie mich noch ein Stück auf dem Weg zum Gipfel. All das, was Sie verspüren – Ihren Schmerz, Ihre Angst, Ihre Verzweiflung, Ihre unendliche Einsamkeit, die Sehnsucht, aber auch die Wut sind uns Menschen eigen. Wir werden mit der Fähigkeit geboren, um einen Verlust zu trauern. Wir werden aber auch geboren mit der Fähigkeit, einen Verlust anzunehmen und zu überwinden.

Zwei Bäume im Park

Zwei große Bäume stehen dicht beieinander in einem Park. Sie kennen sich schon seit frühester Jugend. Die Äste des einen Baumes ragen in die Krone des anderen. Beide haben sich gegenseitig hervorragend einander angepasst. Im Frühjahr entfalten sich zur gleichen Zeit die ersten Blätter. Da, wo die einen Äste sich weiter ausdehnen, hält sich der andere Baum zurück. Beide nehmen Rücksicht aufeinander. Im Herbst machen sich beide für den Winter bereit.

Sie schützen sich gegenseitig vor starkem Wind. Der eine Baum gewährt dem anderen Schatten. Sie holen sich aus dem Boden ihr Wasser und teilen es sorgfältig. So haben sich beide gemeinsam entwickelt, sind alt geworden und haben schon viele Jahresringe gemeinsam aufgebaut.

Eines Tages schlägt der Blitz in einen der Bäume ein und fällt diesen. Er wird wortlos von Waldarbeitern abtransportiert. Der andere Baum bleibt alleine zurück. Er kann einfach nicht glauben, dass sein geliebter, treuer Nachbar nicht mehr da sein soll. Wo sie sich doch für den nächsten Winter schon so viel vorgenommen hatten. Er wünscht, einfach nur einen bösen Traum geträumt zu haben, und morgen nach dem Aufwachen sei alles wieder in Ordnung. Doch am nächsten Morgen ist er immer noch allein. Er schaut suchend umher, doch er kann seinen Nachbarn nirgendwo entdecken. Er fühlt sich nackt und hilflos. Jetzt erst wird ihm bewusst, dass er all die Jahre vom anderen Baum Schutz geboten bekommen hatte. Er bemerkt, dass er auf der Seite, die dem anderen Baum zugewandt war, schwächer entwickelt ist. Die Äste sind kürzer und weniger dicht mit Blättern übersät. Ja, er muss sogar aufpassen, sich nicht nach der anderen Seite zu neigen und umzufallen. Der Wind fährt ihm garstig in die schwache Seite.

Wie schön wäre es doch, wenn sein Nachbar noch da wäre. Er beginnt zu hadern, warum der Blitz ausgerechnet in seinen Nachbarn einschlagen musste. Es gibt doch noch mehr Bäume im Park. Er hat Angst vor dem langen, harten Winter, den er jetzt alleine durchstehen muss. Er seufzt, fühlt sich sehr einsam.

Warum konnte der Blitz denn nicht sie beide treffen? Nie mehr würde er so einen Nachbarn finden, mit dem er alles teilen könnte. Nie mehr könnten er und sein Nachbar über gemeinsame schöne Stunden sprechen, die sie beide erlebt hatten. Hätte er am Ende seine Äste weiter zu seinem Nachbarn hinstrecken sollen, dass der Blitz auch ihn hätte treffen können? So quält er sich mit Schuldgefühlen, Ängsten und Verzweiflung. Die Sonne scheint wie immer und sendet ihre wärmenden Strahlen, doch er verspürt sie nicht. Es wird Winter und er verbringt die Zeit alleine. Er überlegt, ob dies wohl der Sinn des Lebens sei.

Eines Nachts, als er wieder einmal grübelte, kam ihm die Idee, dass er sich im nächsten Frühjahr sehr anstrengen könnte, besonders die Äste seiner schwachen Seite wachsen zu lassen. Er könnte versuchen, die leeren Stellen, die der Nachbar mit seinen Ästen ausgefüllt hatte, zu füllen. Er hatte ja jetzt mehr Platz, sich auszubreiten. Er musste keine Rücksicht mehr nehmen und hatte Nahrung für zwei.

So begann er, all seine Energien darauf zu verwenden, die Lücke, die sein Nachbar hinterlassen hatte, allmählich auszufüllen. Ganz vorsichtig ließ er neue Äste wachsen. Es dauerte, aber er hatte ja Zeit. Und manches Mal war er sogar ein kleines Bißchen stolz darauf, alleine gegen die Kälte und die Winde anzukämpfen. Er wusste, dass es nie mehr so sein würde wie früher – aber wenn der Nachbar jetzt noch einmal kommen würde oder gar ein neuer Nachbar, hätte er nicht mehr so viel Platz zur Verfügung wie früher. Eines wusste er genau. Er würde den alten Nachbarn nie vergessen, denn er hatte ja die ersten fünfzig Jahresringe mit ihm gemeinsam verbracht. Zu jedem Jahresring konnte er gemeinsam erlebte Geschichten erzählen. Zu den letzten drei Jahresringen hatte er zu erzählen, wie er gelernt hat, allein zu leben, seinen Ästen eine neue Richtung zu geben und seinen Platz im Park neu zu gestalten.

3Wie Kinder trauern

Kinder trauern anders als Erwachsene. Wie Kinder mit dem Tod umgehen, ist abhängig von deren Alter. Kinder empfinden den Tod auch als schmerzhaft, aber ihnen fehlt, abhängig vom Alter, der Begriff von Zeit und Endgültigkeit. Außerdem haben sie bis zu einem bestimmten Alter noch magische Vorstellungen vom Tod.

Als mein Vater starb, war ich gerade zehn Jahre alt. Mein Vater hatte eine lange Leidenszeit hinter sich und ich hatte irgendwie gespürt, dass er sterben würde. In der Zeit vor seinem Tode weinte ich häufig in der Schule. Als mich einmal eine Lehrerin darauf ansprach, sagte ich ihr, mein Vater liege im Sterben. Nach seinem Tod machte ich mir über ein Jahr lang Schuldgefühle, weil ich dachte, er wäre gestorben, weil ich das in der Schule erzählt hätte. Ich entwickelte für mich ein Ritual, das ich jeden Abend im Bett durchführte, um meinen „Fehler“ wiedergutzumachen. Ich erlebte meine Mutter als sehr verzweifelt und hilflos, sodass ich ihr nichts davon erzählte. Nach dem Tod meines Vaters schlief ich jahrelang im Ehebett neben meiner Mutter. Fast jede Nacht wachte ich mit der Angst auf, sie könnte auch sterben. Ich lauschte so lange, bis ich ihren Atem vernahm, dann konnte ich erst wieder einschlafen. Bis zu meinem Studium kämpfte ich bei jedem Abschied von einem Menschen, und sei es auch nur für einen längeren Urlaub, mit den Tränen und fühlte mich verlassen. Auf der einen Seite hasste ich es, wenn meine Mutter immer wieder weinte und an den Vater erinnerte, auf der anderen Seite war ich selbst auch sehr traurig. Ich kämpfte gegen meine Gefühle und die meiner Mutter an. Ich wollte sie nicht traurig sehen und auch wieder Spaß im Leben haben. Manchmal gab ich dem Vater die Schuld, dass die Mutter so traurig war.

Ich habe an mir erlebt, dass ich mich bis weit in mein Erwachsenenleben hinein immer wieder schmerzlich mit dem Tod meines Vaters auseinandersetzen musste. Auch heute gibt es noch viele Augenblicke, in denen ich an ihn denke oder traurig bin, dass er nicht an meinem Leben teilhaben kann. Doch meine Gefühle ihm gegenüber haben sich verändert. Ich kann heute liebevoll an ihn denken, ohne zu weinen, aber auch mein Leben gestalten, ohne immer an ihn zu denken.

Der Verlust eines Elternteiles in der Kindheit muss in jedem Lebensabschnitt während des Heranwachsens erneut betrauert werden. Wenn Kinder nicht angemessen um den Verlust eines Familienmitgliedes trauern, kann es im späteren Leben zu Störungen wie Angst vor enger Bindung, vor einer Schwangerschaft, vor Depressionen kommen.

Der Verlust eines Elternteils

Die folgenden Angaben sollen lediglich als grobe Orientierungshilfe dienen. Wenn Sie Ihren Partner und Ihre Kinder ein Elternteil verloren haben, müssen Sie Ihre Kinder beobachten und selbst merken, was sie im jeweiligen Alter verstehen und was nicht.

Kinder im Alter von 2 bis 3 Monaten

Wenn Kinder in diesem Alter ihre Mutter verlieren und ihre Bedürfnisse werden weiterhin erfüllt, kommt es nicht zu einem starken Knick in der Entwicklung. Unmittelbar nach dem Tod der Mutter muss eine andere Person jedoch die Aufgabe übernehmen, das Kind mit Essen, körperlicher Nähe und Zuwendung zu versorgen.

Kinder im Alter zwischen 6 Monaten und 1 Jahr

In diesem Alter können die Kinder schon zwischen einzelnen Personen unterscheiden, sodass die Befriedigung ihrer Bedürfnisse nicht ohne weiteres auf eine andere Person übertragen werden kann.

Kinder zwischen 1 und 4 Jahren

In diesem Alter beginnt das Interesse der Kinder am Tod zu wachsen. Manchmal stellen sie Fragen wie: „Friert die Oma im Winter in ihrem Grab?”, oder: „Wann kommt die Omi wieder?”, immer und immer wieder. Kinder verstehen unter dem Tod einen vorübergehenden Zustand des Schlafens. Sie haben noch keinen Begriff davon, dass alle Menschen sterben müssen. Sie empfinden dennoch in diesem Alter schon Trennungsängste. In diesem Alter tauchen bereits Schuldgefühle auf, den Tod verursacht zu haben. Wichtig ist deshalb zu erklären, dass der Elternteil oder ein anderes Familienmitglied nicht gestorben ist, weil das Kind böse war. Redewendungen wie: „Omi ist eingeschlafen.“, sind nicht hilfreich, weil Kinder so nicht lernen können, mit dem Tod umzugehen. Die Kinder nehmen alles wörtlich und denken, Omi wacht auch wieder auf. Wichtig sind Rituale des Abschiednehmens – auch wenn es sich nur um den Tod des Hamsters handelt.

Kinder im Alter von 5 bis 9 Jahren

Kinder in diesem Alter verstehen schon, dass jemand gestorben ist. Sie stellen Fragen wie: „Wie ist das, wenn man tot ist?”, oder: „Muss Papi auch sterben?” Sie wissen jedoch noch nicht, dass das bedeutet, er kommt nie mehr wieder. Sie können noch nicht verstehen, dass man so lange traurig sein muss, wie es vielleicht die Eltern sind. Oft wird ihre Trauerreaktion wieder durch das Nicht-Wahrhaben-Wollen des Verlustes unterbrochen. Sie glauben daran, dass sie die magische Kraft besitzen, dass der Tote wieder zurückkehrt.

Wenn Eltern ihnen den Tod damit erklären, dass der Tote „eingeschlafen“ ist, „von uns gegangen ist“ oder „wir ihn verloren haben“, bekommen sie die Idee, er würde wieder aufwachen, wiederkommen können oder wiedergefunden werden. Es können auch Ängste auftreten: „Wenn ich einschlafe, könnte ich auch sterben.”, sodass das Kind abends nicht mehr ins Bett will. Die Redewendung: „Er ist im Himmel und schaut dir zu.” kann dazu führen, dass das Kind sich ständig beobachtet fühlt.

Manchmal erklären die Kinder sich den Tod auch damit, dass sie nicht lieb genug waren, und quälen sich mit Schuldgefühlen. Deshalb ist es wichtig, Kindern zu erklären, dass der verstorbene Elternteil nicht gestorben ist, weil ein Kind nicht brav war.

In diesem Alter ist es auch empfehlenswert, das Kind mit zur Beerdigung zu nehmen. Zuvor sollte man dem Kind erklären, was auf der Beerdigung passiert. Auf diese Weise kann das Kind erleben, dass der Elternteil wirklich tot ist, und besser Abschied nehmen. So können auch Phantasien vermieden werden, was auf der Beerdigung passieren könnte. Wenn das Kind sich weigert, mit auf die Beerdigung zu gehen oder dort zu bleiben, dann sollte man es nicht dazu zwingen.

Es ist wichtig, den Kindern im Laufe ihres Heranwachsens zunehmend mehr Informationen über den verstorbenen Elternteil zu geben.

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