Einen geliebten Menschen verlieren

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2Phasen der Trauerverarbeitung

Das Leben

eines lieben Menschen

ist zu Ende.

Es erscheint Ihnen,

als ob damit auch Ihr Leben

zu Ende gegangen sei.

Das Leben mit ihm ist zu Ende,

doch Ihr Leben geht weiter.

Sich von einem geliebten Menschen zu verabschieden, ist ein langsamer und lang andauernder Prozess, der nicht mit dem Begräbnis endet. Wir benötigen Zeit, bis wir die Trauer überwinden und die Endgültigkeit der Trennung akzeptieren können. Die Trauer ist nicht vergleichbar mit einer Krankheit, einer Grippe, bei der wir nur ein paar Medikamente nehmen und uns ausreichend Ruhe gönnen müssen. Die Trauer ist aktive Arbeit, die wir in Angriff nehmen müssen. Niemand kann uns die Arbeit abnehmen zu lernen, den Verlust anzunehmen. Niemand kann uns die Arbeit abnehmen, uns von dem geliebten Menschen zu verabschieden. Niemand kann uns die Arbeit abnehmen, Gewohnheiten, die wir mit dem geliebten Partner verbanden, aufzulösen. Niemand kann uns die Arbeit abnehmen, neue Gewohnheiten zu entwickeln. Der Trauer können wir nicht entgehen, indem wir gegen sie ankämpfen, sie in Drogen und Alkohol ersticken, sie zu vermeiden versuchen, oder abzuwarten, bis die Zeit sie heilt. Wenn wir gesund aus diesem Lebensabschnitt hervorgehen möchten, können wir die Trauer nur durchleben. Wenn wir sie zulassen und durchleben, werden wir sie überwinden.

Der Verlust eines Menschen konfrontiert uns mit Gefühlen, die wir uns vielleicht niemals zuvor zu fühlen imstande gesehen haben; Gefühle, von denen wir nicht wissen, woher sie kommen, geschweige denn, wie wir mit ihnen umgehen sollen.

Es liegt in unserer menschlichen Natur, dass wir das betrauern, was uns wichtig ist und was wir nicht mehr haben können. Wir haben keine Möglichkeit, etwas, was für uns von großer Bedeutung ist, loszulassen, ohne es nicht auch zu betrauern. Die Trauer teilt uns mit, dass sich etwas geändert hat in unserer Umgebung. Sie ist ein Warnsignal unseres Körpers und unserer Seele. Jeder Mensch hat seine eigene Zeit und seine eigene Art, wie er trauert. Bei jedem Ereignis, ob es Trennung, Umzug, Scheidung, Verlust des Arbeitsplatzes, Verlust der Gesundheit durch eine chronische Erkrankung, einen Unfall, Verlust der Jugend oder der Verlust eines Partners durch Tod ist, reagieren Körper und Seele. Sie geraten aus dem Gleichgewicht. Die Reaktionen unterscheiden sich darin, wie lange es bis zu einem neuen Gleichgewicht dauert und wie intensiv die Reaktionen selbst sind. Die Trauer über den Verlust eines Partners kann mehrere Jahre dauern. Dennoch gibt es Gemeinsamkeiten in dem, was wir erleben. Ich möchte Ihnen kurz die verschiedenen Phasen vorstellen, die wir auf dem Weg von der Trauer bis zu einem neuen Gleichgewicht durchlaufen – auch wenn Ihnen im Augenblick der Kopf nicht so sehr nach theoretischen Ausführungen steht. Sie können Ihre Gefühle dann besser verstehen und haben weniger Angst vor Ihren Reaktionen und Verhaltensweisen. Sie kommen sich dann nicht so unfähig vor und haben nicht mehr den Eindruck, „verrückt“ zu werden.

Der Tod ist demokratisch. Er kommt zu jedem. Er ist ein unausweichlicher Teil unseres Lebens – auch wenn er uns unfair erscheint.

Die einzelnen Phasen der Trauerverarbeitung
1. Die Phase des Nicht-Wahrhaben-Wollens: Schock und Verleugnung

Diese Phase kann von einigen Stunden bis zu Monaten andauern. Der Betroffene hat die Nachricht des Todes erhalten, kann sie aber gefühlsmäßig noch nicht nachvollziehen. Er ist wie erstarrt, im Schock oder reagiert mit einem Gefühlsausbruch. Er macht Äußerungen wie: „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass er nicht mehr wiederkommt.”

2. Die Phase der aufbrechenden Gefühle

In ihr wechseln sich Gefühle der tiefen Verzweiflung, der Angst und Hilflosigkeit, der Einsamkeit, der Schuld, aber auch der Wut auf sich und den verstorbenen Partner ab. Gleichzeitig geht diese Phase einher mit massiven körperlichen Begleiterscheinungen: mit Appetitverlust oder Freßanfällen, Durchfällen, Verstopfung, Ruhelosigkeit, Schlaflosigkeit, Merkfähigkeits- und Konzentrationsstörungen. Diese Phase kann zwei Jahre anhalten, manchmal sogar länger, bis der Betroffene den Tod akzeptieren lernt.

3. Die Phase der langsamen Neuorientierung

In ihr findet sich der Trauernde langsam mit dem Verlust des Verstorbenen ab. Er nimmt alte Aktivitäten wieder auf oder beginnt, seinen Blick auf neue Aktivitäten zu lenken. Er denkt an die schönen, wie auch enttäuschenden Erfahrungen mit dem verstorbenen Partner und empfindet keinen starken Schmerz mehr. Er entwickelt ein neues Selbstwertgefühl.

4. Neues inneres Gleichgewicht

Der Mensch empfindet ein neues seelisches und körperliches Gleichgewicht. Er denkt dankbar, vielleicht auch ein klein wenig traurig an die gemeinsame Vergangenheit mit dem verstorbenen Partner und hat sich ein neues Leben ohne den verstorbenen Partner aufgebaut. Er hat einen neuen Sinn im Leben gefunden. Er hat eine positive Einstellung zu sich, seinen Fähigkeiten und der Zukunft entwickelt.

Die einzelnen Trauerphasen können sich überlappen, zusammenfallen und sich miteinander vermischen oder in einer anderen Reihenfolge, als hier beschrieben, verlaufen. Jeder muss jedoch diese einzelnen Phasen durchleben, wenn seine Wunde heilen soll und er sich einen neuen Lebenssinn aufbauen will.

Die Phasen der Trauerverarbeitung verlaufen nicht kontinuierlich. Es wird Fortschritte und Rückschritte geben. Nach dem Aufbrechen der Gefühle wird es täglich Schwankungen zwischen den verschiedenen Gefühlen geben. In der Phase 3 wird es manchmal etwa an besonderen Tagen wie dem Todestag, Weihnachten, Geburtstag, Hochzeitstag etc. Rückfälle in die Phase 2 geben. Doch sie werden vorübergehen.

Warum reagieren manche Menschen mit starker Trauer, während anderen gar nichts anzumerken ist?

Zunächst einmal kann man aus dem, wie andere nach außen wirken, wenig darüber aussagen, wie es in ihnen aussieht. Zum anderen bestimmen sehr viele unterschiedliche Faktoren, wie stark der einzelne den Verlust empfindet. Diese sind:

1. Die Beziehung zum Verstorbenen

War es die Großmutter, der Bruder oder der Partner, der verstarb? War in der Beziehung viel Wut und Hass auf den Verstorbenen, so kommen nach dem Tod viele Schuldgefühle auf um die Frage: „Habe ich genug getan?” Dies erschwert das Abschiednehmen und die Bewältigung der Trauer.

Waren beide Partner sehr abhängig voneinander? Spielte der Verstorbene eine nahezu unersetzliche Rolle in Sachen Arbeit, Freizeitgestaltung oder Sexualität? War der Verstorbene die einzige enge Bezugsperson für den Trauernden? Wie wichtig war der Verstorbene im Leben des Trauernden?

2. Die Persönlichkeit des Einzelnen

Wie stark das Leben eines einzelnen Menschen erschüttert wird, hängt von dessen Persönlichkeit ab. Hat er sein Leben rund um den Partner aufgebaut, nie alleine gelebt, sein Selbstwertgefühl nur über ihn aufgebaut? Hat er sich gedanklich schon damit befasst, dass der Tod eines Tages in sein Leben treten könnte? Akzeptiert er, dass es keinen Anspruch auf dauerhaftes Glück gibt im Leben? Glaubt er, dass er einen Verlust überwinden kann?

3. Das Alter des Verstorbenen

Ganz besonders schwierig ist es, sich mit dem Tod eines Kindes abzufinden, weil quasi ein Gesetz des Lebens „Man stirbt erst im Alter nach den Eltern” in Frage gestellt wird.

4. Alter und Geschlecht des Trauernden

Jüngere Frauen haben die größten Chancen, die Trauer zu bewältigen. Männer tun sich insbesondere in unserer Gesellschaft schwer, ihre Trauer einzugestehen.

5. Der Umstand des Todes

Kam der Tod plötzlich und unerwartet oder kam der Tod nach langer Krankheit? Wenn der Partner nach langer Krankheit stirbt, kann der Verlassene den Tod in Gedanken schon mehrmals vorweggenommen und den Schmerz schon zum Teil erlebt haben. Stirbt jemand nach langer schwerer Krankheit kann man sich auch damit trösten, dass der Tod eine Erlösung für den Verstorbenen sei.

Kam der Tod völlig überraschend durch Gewalteinwirkung, durch Unfall, Mord oder Selbstmord oder im Ausland, wo man den Leichnam nicht mehr sehen konnte?

Plötzliche Verluste sind meist schwerer zu betrauern, weil vieles unausgesprochen blieb und der Tod auch häufig starke finanzielle Einschränkungen mit sich bringt.

Viele sagen: Je schwerer der Verlust, je gewaltsamer und plötzlicher der Tod, desto schwieriger und schmerzlicher sei der Verlust und die damit verknüpfte Trauerarbeit.

6. Frühere Verluste

Hat der Betroffene sich früher schon eimal von Schmerz überflutet erlebt oder die Trauer nicht zugelassen? Hat der Betroffene schon einmal einen Verlust erlebt und betrachtet Verlust als Bestandteil des Lebens?

Für den Betroffenen ist sein Verlust der schmerzlichste und ungerechteste auf der Welt. Wir sehen tagtäglich in den Nachrichten Bilder von toten Menschen, die meist auf grausame Weise umgebracht wurden, manchmal auch die Bilder von klagenden und von Schmerz überwältigten Angehörigen. Wir lesen von Verstorbenen in der Zeitung. Doch tot ist nicht gleich tot. Unseren eigenen Verlust erleben wir am stärksten. Er begleitet uns die gesamte Zeit des Tages und nicht nur bis kurz nach den Nachrichten. Mit dem verstorbenen Partner haben wir uns Lebenspläne erstellt, tausende von schönen Erfahrungen gesammelt, ihn täglich um uns gehabt. Deshalb trifft uns dieser Tod um so härter. Unser Schmerz ist der schlimmste für uns. Wir brauchen uns nicht in einen Wettkampf zu begeben, welcher Schmerz mehr Berechtigung hat. Wir können nur unseren Schmerz fühlen und er ist das Ergebnis all unserer Erfahrungen und Wünsche mit diesem Menschen. Wir brauchen uns nicht für unseren Schmerz zu entschuldigen. Unser Verlust ist für uns der größte der Welt.

 

Männer und Trauer

Trauer ist nicht auf ein Geschlecht beschränkt. Männer durchlaufen genau die gleichen Phasen wie Frauen. Und doch gibt es einen Unterschied. Unsere Gesellschaft gesteht Männern nicht zu, gefühlsbetont zu sein. Männer dürfen meist nicht weinen und laut schluchzen, ohne als Schwächling angesehen zu werden. Man erwartet von ihnen, sich schneller „abzufinden“. Sie haben sich äußerlich stärker unter Kontrolle. Die Umwelt wird unsicher, wenn ein Mann plötzlich weint. Der Mann wird von seinen Kollegen schneller wieder in Kontakt mit einer Frau gebracht, auch abgelenkt von seinen Gefühlen und Gedanken. Männer wollen meist mit anderen Männern nicht über ihre Gefühle reden, was ihnen dann wiederum das Gefühl von Einsamkeit erzeugt. Männern fällt es ebenfalls schwer, einen anderen Mann anzurufen, um mit ihm etwas zu unternehmen. Obwohl sie genauso lang zum Trauern brauchen wie Frauen, heiraten sie wesentlich schneller wieder. Das hängt zum einen damit zusammen, dass die Frau in der Partnerschaft für das emotionale Wohlbefinden zuständig ist, es mehr verwitwete Frauen als Männer gibt und zum anderen die sexuellen Bedürfnisse bei Männern meist schneller wieder aufkommen. Die schnelle Heirat vor Vollendung der Trauerarbeit kann jedoch zu einer unglücklichen Beziehung führen, beispielsweise wenn der Mann seine neue Partnerin ständig mit seiner verstorbenen Frau vergleicht.

Verliert eine Familie ihr Kind, kommt es häufig zu Konflikten zwischen Mann und Frau, wenn der Mann trauert, indem er nie mehr den Namen des Kindes erwähnt, während seine Frau am liebsten ununterbrochen über den Verlust sprechen möchte. Während die Frau ihre Trauer mit Weinen zum Ausdruck bringt, stürzt sich der Mann womöglich in die Arbeit. Keiner hat Verständnis für die Art des Trauerns vom anderen und besonders die Frau gewinnt den Eindruck, ihrem Mann mache der Verlust nichts aus und er lasse sie allein in ihrer Verzweiflung.

Die Zeit heilt keine Wunden

Es gibt Menschen, die jahrzehntelang trauern und kein neues inneres Gleichgewicht erreichen. Die Zeit kann nicht unsere Gedanken, Erinnerungen und unerfüllten Wünsche verändern. Wenn wir tagtäglich mit unserem verstorbenen Partner reden und so tun, als ob er mit uns den Alltag teilt, dann wird die Zeit keinen Abschied bewirken. Wenn wir tagtäglich denken, wie schön es doch wäre, wenn unser Partner noch da wäre, und dass es ungerecht ist, dass wir ihn verloren haben, dann können wir unsere Wut und Sehnsucht zwanzig Jahre und mehr aufrecht erhalten. Die Zeit allein heilt keine Wunden. Was wir mit der Zeit anfangen, ist bedeutend für die Heilung. Wenn wir denken, wir beweisen unsere Liebe, indem wir möglichst lange trauern, ist die Zeit kein Hilfsmittel. Wenn wir denken, wir könnten Versäumtes wiedergutmachen, indem wir uns schuldig fühlen und trauern, kann die Zeit uns nicht heilen. Wir müssen die Zeit, jeden einzelnen Augenblick der Zeit benutzen. Wir müssen unsere Gedanken von dem Partner lösen. Der Trauerprozess muss aktiv durchlebt werden. Wir brauchen die Zeit, um unseren Schmerz, unseren Ärger, unsere Ängste zu verspüren. Wir brauchen Zeit, um wieder genießen zu können, ohne uns schuldig zu fühlen. SIE müssen die Zeit nutzen, damit sie heilsam für SIE sein kann. Trauern benötigt Zeit, aber wir können das Trauern durchleben und abschließen. Am Ende können wir die Einstellung entwickelt haben, dass es traurig ist, so wenig gemeinsame Zeit mit dem Partner zur Verfügung gehabt zu haben, aber dass wir dankbar sind, diese Zeit überhaupt geschenkt bekommen zu haben. Wir werden den Verstorbenen nicht vergessen, aber uns neu orientieren.

Zwei Formen der Trauerverarbeitung

Wir können zwei Arten der Trauerverarbeitung unterscheiden: die normale Trauer und die krankhafte Trauer.

1. Die normale Trauerverarbeitung

Die Trauer ist keine Krankheit sondern eine angemessene Reaktion auf einen erlittenen Verlust. Dieser Verlust kann der Verlust einer Arbeitsstelle, des Wohnortes, der Gesundheit, eines Partners durch Scheidung oder Tod, der Jugend oder eines Kindes durch Auszug sein.

Sie ist notwendig und lebenserhaltend. Verlieren wir den Partner durch Tod, lösen wir uns in der Trauer schrittweise von all den gemeinsamen Dingen, die wir mit dem Toten in der Vergangenheit teilten, und finden dann zu einer neuen Lebensperspektive, neuen Rollen und Aufgaben zurück oder wählen uns neue Aufgaben.

Mir fällt an dieser Stelle immer das Bild zweier Bäume ein, die sich gegenseitig stützen und deren Wurzeln, Äste und Blattwerk miteinander vernetzt sind. Fällen wir nun den einen der Bäume, so muss der andere Baum ein neues Gleichgewicht finden. Der verbliebene Baum hat nun die Aufgabe, sich selbst fest im Boden zu verankern, seine Äste so auszudehnen, dass der verbliebene Platz ausgefüllt ist. Selbst wenn wir einen jungen Baum daneben pflanzen, kann dieser so schnell den abgeholzten Baum nicht ersetzen. Wenn wir gemeinsam unser Leben aufgebaut haben, gemeinsame Kinder haben, uns gegenseitig Unterstützung und Achtung gegeben haben, eine gemeinsame Wohnung eingerichtet haben, gemeinsam gegen die Widrigkeiten der Welt gekämpft haben, gemeinsam Enttäuschungen erlebt, Streitereien befriedet haben, dann laufen nach dem Verlust eines Partners all diese Gewohnheiten wie die Äste des Baumes, der sich abstützen will, ins Leere. All unsere Gedanken, die den Partner einschlossen, haben kein Ziel mehr. Das Gefühl des Verlustes und des Schmerzes signalisiert uns, dass unser Gleichgewicht nicht mehr stimmt. Nach dem ergebnislosen Bestreben, den Partner wiederzufinden und zurückzugewinnen, müssen wir lernen, zunächst ohne den Partner zu leben, und schließlich gelangen wir an den Punkt, wo wir anders leben als zu Zeiten des Partners.

Wir haben bei der Bewältigung des Verlustes vier Aufgaben zu lösen:

1. Wir müssen den Verlust akzeptieren.

Wir müssen lernen, die Tatsache zu akzeptieren, dass der Mensch, den wir lieben, tot ist und nicht zurückkehren wird. Wir müssen akzeptieren, dass ein Wiedersehen des Toten zumindest in diesem Leben nicht möglich ist.

2. Wir müssen den Trauerschmerz erfahren.

Wir müssen den seelischen und körperlichen Schmerz, den der Tod mit sich bringt, akzeptieren und durchleiden. Ein manches Mal steht dem die gesellschaftliche Forderung im Wege, Trauer sei ungesund und krankhaft, und es wird versucht, den Trauernden vom Kummer abzulenken und aufzumuntern.

3. Wir müssen uns ohne Partner ein neues Leben aufbauen.

Wir müssen uns auf eine veränderte Umwelt mit neuen Rollen und Aufgaben einstellen. Wir formulieren neue Lebensziele und wagen es, neue Fertigkeiten zu erlernen.

4. Wir müssen uns für andere Menschen öffnen.

Wir müssen uns von dem Verstorbenen gefühlsmäßig lösen, um uns in einer anderen Beziehung emotional einbringen zu können.

2. Die krankhafte Trauerverarbeitung

„Krankhafte Trauerverarbeitung“, dieses Wort klingt scheußlich, und ich verwende diesen Begriff höchst ungern. Er begegnet uns immer wieder in medizinischen und psychologischen Büchern und deshalb will ich ihn aufgreifen. Es ist schwierig, zu formulieren, wann Trauer angemessen und wann sie krankhaft ist. Ich persönlich würde es am liebsten so definieren: Trauer ist nicht mehr hilfreich, wenn wir länger leiden, als wir möchten, wenn wir unsere Ziele im Leben nicht mehr verwirklichen können und wir unsere Gesundheit nicht mehr erhalten wollen. Bei der krankhaften Trauerverarbeitung können wir eine der vier oben genannten Aufgaben nicht bewältigen.

1. Wir scheitern schon an der ersten Aufgabe, indem wir den Verlust leugnen. Wir weigern uns, zu glauben, dass der Partner wirklich tot ist. Immer mal wieder liest man in der Zeitung, dass ein Angehöriger über Jahre neben dem toten Körper seines Partners schläft. Wir leben in der Vergangenheit und suchen uns keine neue Lebensperspektive. Wir belassen beispielsweise das Zimmer so, wie es der Verstorbene verlassen hat. Aus dem Zimmer wird ein Altar, zu dem wir täglich pilgern. Alles, so zu belassen, wie es war, verhindert die Heilung.

Für eine bestimmte Zeit ist dieses Verhalten verstehbar. Wenn es sich jedoch über Jahre hinzieht, ist es krankhaft. Eine andere Form des Leugnens ist es, die Bedeutung des Verlustes zu verringern, indem wir den Partner abwerten. „Mir fehlt er nicht.” „Er war in Wirklichkeit kein guter Partner”, sind dazugehörige Äußerungen. Alles, was an den Partner erinnert, wird sofort weggeworfen. Um es nochmals zu betonen, für eine kurze Zeit ist es vollkommen normal und verstehbar, auf ein Wiedersehen zu hoffen und den Tod zu verleugnen.

2. Wir leugnen den Schmerz und unterdrücken ihn durch Ablenkung, durch Geschäftigkeit, Ausschalten der Erinnerung an den Toten, Ortswechsel, Ruhelosigkeit, Tabletten und Alkohol. Uns fehlen jegliche Trauersymptome. Wir ziehen uns nicht zurück, zeigen keine Traurigkeit und keine Tränen. Wir wechseln sofort nach dem Tod den Arbeitsplatz, verkaufen das Haus, stürzen uns sofort in die nächste Partnerschaft. Wir versuchen, dem Schmerz zu entrinnen, was jedoch langfristig zu schwerwiegenden Folgen führt, wie beispielsweise zu psychosomatischen Beschwerden und Erschöpfungszuständen.

3. Wir weigern uns, neue Fertigkeiten zu erwerben und die Rolle des verstorbenen Partners zu übernehmen. Wir bleiben in unserer Hilflosigkeit und in unserem Schmerz stehen und weichen den Anforderungen der Welt aus. Wir trauern chronisch. Wir denken an Selbstmord oder nehmen uns sogar das Leben.

4. Wir lassen Wut auf den verstorbenen Partner nicht zu oder quälen uns auf Dauer mit Schuldgefühlen.

5. Wir lassen uns nicht mehr auf eine neue intensive Beziehung ein, sondern halten an der früheren Bindung fest.

Des Weiteren spricht man von einer krankhaften Trauerreaktion,

•wenn die Trauer übertrieben lange anhält und wir den Eindruck haben, „nicht mehr wir selbst zu sein“;

•wenn die Trauerreaktion übertrieben ist und wir stark verzweifelt und überwältigt sind;

•wenn die Trauerreaktion verschoben wird, d.h. nicht zu dem Zeitpunkt ausgelebt wird, wo sie auftritt;

•wenn wir unfähig sind, unsere alltäglichen Pflichten zu bewältigen;

•wenn wir verstärkt zu Alkohol und Drogen greifen;

•wenn latent Selbstmordgefahr besteht.