Flug in den Weltraum

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

»Damit werden wir's sicher zwingen«, meinte Dr. Thiessen zuversichtlich.

»Ist auch unbedingt nötig!« unterstrich Grabbe die Bemerkung Thiessens. »Ein zweites Mal darf uns so ein Brocken nicht entkommen. Der erste hat schon genug Malheur in der Welt angerichtet. Wenn die Leute in USA um die Wahrheit wüßten, könnte unser Werk am Ende noch allerlei Schornsteine und Dächer bezahlen.«

Thiessen schaltete die Motoren ein; langsam gingen die Kuppelhälften Zoll um Zoll auseinander. Vier Augenpaare blickten gespannt nach der Kuppel hin. Nur ein leises Dröhnen der gewaltigen, durch Motorkraft bewegten Stahlmassen war vernehmbar, doch dann plötzlich ein hartes Scharren, wie wenn Metall auf Metall schleift.

Plötzlich stand das Netz straff nach oben gespannt und zerrte an den Haltetrossen. Noch bebend vom jähen Anprall zitterte schimmernd und glänzend eine Metallkugel in ihm, von seinen Maschen gefangen, gehindert an einem jähen Flug in unbekannte Ferne. Chefingenieur Grabbe und Dr. Thiessen eilten zu den in die Trossen eingeschalteten Dynamometern, um zu sehen, was deren Skalen anzeigten. Mit einem Zug von tausend Kilo war jede Trosse belastet; so groß war die Kraft, mit der die strahlende Kugel nach oben strebte.

Zum Scheitern wäre jeder Versuch verurteilt gewesen, sie einfach durch Menschenkraft von ihrem jetzigen Ort in das Laboratorium zu schaffen. Andere, stärkere Mittel mußten dafür in Anwendung kommen. Der Gewalt der Strahlkugel mußte eine noch größere Gewalt entgegengesetzt werden.

Schnell waren sich Grabbe und Thiessen darüber einig, was weiter zu geschehen hatte, und der Chefingenieur gab seine Anordnungen durch das Telefon. Nicht lange brauchte er zu warten. Motorendröhnen erklang, und über den Werkhof rollte einer jener riesenhaften Spezialwagen mit zwanzig Achsen heran, auf denen sonst die hundert und mehr Tonnen wiegenden stählernen Hochdruckkessel transportiert wurden.

»Das Wägelchen wird uns der Bursche nicht mit in die Luft nehmen«, sagte Grabbe, als das Mammutfahrzeug neben der Kuppel hielt. Alle an der Arbeit Beteiligten legten Schutzanzüge an.

Hilfstrossen wurden in das Netz eingeschäkelt und mit dem Chassis des Wagens fest verbunden. Schwere Kettenzüge traten danach in Tätigkeit und holten das Netz mit seinem Inhalt Zoll für Zoll von der Kuppel herunter, während die ersten nun entlasteten Stahldrahtseile gelöst werden konnten. Eine gute Stunde währte das Ganze, dann setzte sich der schwere Wagen in Bewegung, fuhr über den Hof und weiter in die Halle ein, in der sich das Laboratorium befand.

»So weit wären wir glücklich«, meinte Dr. Thiessen mit einem Seufzer der Erleichterung.

»Ich fürchte, mein lieber Thiessen, das dicke Ende kommt noch nach«, warf Grabbe ein. »Sobald wir das Netz lösen, saust uns der Brocken auch hier ab. Das Dach«, er deutete nach oben, »vermag keinen Widerstand zu leisten.«

»Man müßte die Kugel anbohren, während sie noch im Netz ist«, schlug Dr. Stiegel vor, »eine starke Bohrung, einen soliden zweizölligen Stahlbolzen durchgesteckt. Damit sollte man sie wohl festhalten können.«

»Gut gebrüllt, Löwe!« Chefingenieur Grabbe mußte trotz seiner Sorgen lachen. »Ihre Idee ist gar nicht so übel, aber wie wollen Sie die Bohrung herstellen, wenn Sie das Stück nicht in eine Bohrmaschine einspannen können?«

»Ich habe einen andern Vorschlag«, meldete sich Hegemüller zum Wort, »man braucht die Kugel nur eine halbe Drehung machen zu lassen, dann geht ihre Stoßkraft nicht mehr nach oben, sondern nach unten, und sie muß fest und unverrückbar auf dem Wagenboden liegenbleiben. Man könnte das Netz lüften und die Bohrung an Ort und Stelle vornehmen.«

Dr. Thiessen hob beschwörend die Hände. »Machen Sie lieber keine Vorschläge, Kollege Hegemüller. Ich bin felsenfest überzeugt, daß es auch diesmal wieder eine Katastrophe gibt, wenn wir nach Ihren Ratschlägen handeln.«

Dr. Hegemüller wollte den Beleidigten spielen, als ihm unerwartet in Grabbe ein Helfer erstand. »Ich meine, Herr Doktor«, wandte er sich an Thiessen, »der Vorschlag ist nicht so übel. Wollen wir das nicht doch einmal versuchen?«

Thiessen zuckte die Achseln. »Auf Ihre Verantwortung, Herr Grabbe. Ich sehe noch keinen Weg, wie Sie's machen wollen.«

»Sehr einfach, meine Herren«, begann Hegemüller mit neuem Unternehmungsgeist, »wir stützen die Kugel auf der einen Seite mit einer kräftigen Stahlrolle ab und ziehen das Netz mit den Kettenzügen ein Stück über sie hin, dabei muß sie sich ja drehen.«

Nach einer kurzen Debatte wurde der Vorschlag Hegemüllers angenommen. Was man dazu benötigte, war schnell beschafft. Nach dem Kommando Grabbes begannen sie gleichzeitig an den vier Kettenzügen zu arbeiten, ließen auf der einen Seite die Halteseile aus, zogen sie auf der anderen ebensoviel an, und langsam bewegte sich das Netz quer zur Wagenrichtung. Schon bald war es zu merken, wie der Zug der Kugel nach oben nachließ, während sie sich immer stärker gegen die Stahlrolle preßte. Dann plötzlich ein jäher Fall. Ein schwerer Schlag, der den Bau des mächtigen Kraftwagens in allen Fugen erzittern ließ. Die Kugel lag fest auf dem Chassis; locker war das Netz über ihr zusammengefallen.

Der Chefingenieur trocknete sich die Stirn. »Wieder ein Stück weiter! Das ist geglückt. Jetzt kommt Ihr Rezept an die Reihe, Herr Stiegel, jetzt wird gebohrt.«

»Also der Tragödie zweiter Teil«, versuchte Dr. Thiessen zu scherzen, »oder sagen wir lieber der Komödie zweiter Teil?«

»Das wird davon abhängen, wie die Geschichte ausgeht«, meinte Grabbe, »wir wollen alles, was in unseren Kräften steht, tun, damit es keine Tragödie wird.«

Das besorgte der Chefingenieur denn auch in einer Art und Weise, daß seine Vorsichtsmaßregeln sogar dem bedächtigen Dr. Thiessen fast übertrieben erschienen, denn mehr als vierundzwanzig Stunden brauchte er für die Vorbereitungen. Dann aber lag die Kugel sicher unterklotzt fest und unbeweglich da, während das Netz für alle Fälle immer noch in geringer Höhe über ihr ausgespannt blieb. Nun konnte eine Bohrvorrichtung angebracht werden, und langsam fraß sich ein handgelenkstarker Spiralbohrer in das Metall der Stahlkugel hinein.

Ohne Zwischenfälle verliefen die nächsten Arbeiten. Eine genau auf das Maß der Bohrung abgedrehte Stahlstange wurde durch die Kugel gesteckt. Kräftige Lager, auf einer viele Tonnen schweren Fundamentplatte montiert, nahmen die beiden Enden der Stange auf, und jetzt endlich hatte man die Stahlkugel sicher gefangen, konnte das Netz beiseite ziehen, konnte den ganzen Aufbau von dem Wagen herunternehmen und in Ruhe untersuchen, was sich da nun eigentlich in der Blitzröhre gebildet hatte.

Das Ergebnis bestätigte die Vermutungen Dr. Thiessens. Ziemlich genau bis zur Hälfte war das Metall stark strahlend geworden, zur anderen Hälfte bestand es aus einer inaktiven bleiähnlichen Substanz.

»Wie ein Apfel, der eine rote und eine grüne Backe hat«, meinte Grabbe vergleichsweise.

»Wie der Apfel, der Schneewittchen den Scheintod brachte«, führte Dr. Thiessen das Bild weiter, »in unserem Fall ist die strahlende die giftige Hälfte. Wir riskieren mehr als den Scheintod, wenn wir ihr unvorsichtig zu nahe kommen. Solange die Kugel fest lag, hatte es damit keine Gefahr; jetzt, wo wir sie drehbar gelagert haben, ist Vorsicht geboten.«

»Ja . . . Vorsicht!« Chefingenieur Grabbe hatte die Worte zerstreut und wie abwesend hingesagt. Über einen Zeichenblock gebeugt, war er dabei, zu skizzieren, Maschinenteile zu entwerfen und eine Konstruktion zu Papier zu bringen. Interessiert verfolgte Thiessen die Arbeit des Chefingenieurs. Er wollte etwas sagen, als Grabbe das Blatt von dem Block abriß und zusammenfaltete.

»Später, Doktor Thiessen«, winkte er ab, »mir ist da eine Idee gekommen. Jetzt ist die Sache noch nicht spruchreif. In den nächsten Tagen wollen wir weiter darüber beraten.«

Als Grabbe bereits die Türklinke in der Hand hatte, wandte er sich noch einmal um. »Was ich noch sagen wollte, Herr Thiessen, lassen Sie die Strahlkugel in die Stahlkammer Ihres Laboratoriums bringen. Ich möchte sie gegen neugierige Augen geschützt wissen.«

* * *

3

In kühner Wölbung stemmt sich im Boulder Cañon des Colorado-Flusses eine riesige Sperrmauer dem Druck der gestauten Wasser entgegen. Wer auf ihrer Krone entlangwandern will, der muß schwindelfrei sein. Nach der einen Seite zwar wogt nur wenige Meter unter seinen Füßen die unabsehbare Fläche des Stausees, nach der anderen Seite fällt sein Blick in eine grausige Tiefe, denn zu doppelter Domhöhe wächst das Betonmassiv der Sperrmauer aus dem felsigen Grund des Cañons empor.

Um die zehnte Vormittagsstunde trat Mac Gray, einer von den Dammwärtern, seinen gewohnten Kontrollgang an. Gemächlich schritt er auf der Mauerkrone dahin, während seine Blicke abwechselnd nach links und rechts gingen. Bald ruhten sie prüfend auf den Pegelschächten auf der Seeseite, bald wieder überflogen sie die Landseite des Sperrdamms. Glatt und grau erstreckte sich das Betonmassiv hier in leichter Schräge nach unten, bis es in der dämmrigen Tiefe des Cañons verschwamm.

Mac Gray war eine nachdenkliche Natur mit einem leichten Hang zur Philosophie, und auch jetzt während seines Weges über die vierhundert Meter lange Dammkrone gingen ihm allerlei Betrachtungen durch den Kopf. Was für ein pompöses Bauwerk, sinnierte er. Nur hier konnte so etwas entstehen . . . Spielzeug sind die ägyptischen Pyramiden dagegen. Ein Denkmal für die Ewigkeit hat sich der alte Präsident hier errichtet . . . noch nach fünftausend Jahren wird die Hoover-Talsperre stehen . . .

 

Ein Sausen und Zischen, das von Sekunde zu Sekunde stärker wurde, riß den Dammwärter aus seinen Gedanken. Er schaute in die Höhe und wandte den Kopf nach allen Richtungen, um die Ursache des Geräusches zu erspähen. Vergeblich blieb sein Bemühen; nichts Besonderes vermochte sein Auge an dem tiefblauen Frühlingshimmel zu entdecken, während das zischende Pfeifen bereits so gewaltig aufklang, daß er sich unwillkürlich die Ohren zuhielt.

Dann war es ihm, als ob zu seiner Linken ein jäher Blitz vom Himmel niederzuckte. Kein Donner folgte dem Blitz, nur ein dumpfer, klatschender Schlag, und dann sah Mac Gray auf der Landseite des Dammes, etwa fünfzig Meter unter der Krone, einen runden, silbrig schimmernden Fleck, dessen Durchmesser er auf etwa dreißig Fuß schätzte. Eine Zeitlang blieb er stehen, benommen von dem überraschenden Ereignis, dann stieg er vorsichtig auf einer der schmalen eisernen Leitern, die in mäßigen Abständen an der Dammwand angebracht waren, in die Tiefe hinab, um sich den so plötzlich entstandenen Fleck aus der Nähe zu besehen. Bis auf wenige Meter konnte er herankommen und gewann den Eindruck, als ob eine Metallfolie fest auf den Beton des Dammkörpers aufgeklebt oder aufgespritzt wäre. Näheres konnte er infolge der Entfernung nicht feststellen. Eilig kletterte er wieder nach oben und eilte über den Kronenweg zum anderen Cañonufer hin, um im Büro über das Geschehene Meldung zu machen.

Wenn er erwartet hatte, mit seiner Meldung auf Unglauben zu stoßen, so war das ein Irrtum. Ruhig, ohne ihn zu unterbrechen, hörte der Oberinspektor des Dammes sich den Bericht bis zu Ende an.

»Was kann das gewesen sein, Mr. Dickinson?« schloß der Dammwärter seine Mitteilungen.

»Vermutlich auch ein Sprengstück von dem Meteoriten, old chap«, erwiderte der Oberinspektor, und als er aus dem Mienenspiel Mac Grays erkannte, daß er danach noch ebenso schlau war wie vorher, ließ er sich zu einer genaueren Erklärung herbei.

»Sie haben sicher schon mal etwas von Meteoriten gehört. Sie müssen wissen, Mac Gray, das sind so Bummler aus dem Weltenraum, die gelegentlich auf die alte Erde niederstürzen. So ein Ding ist kürzlich in unserer Atmosphäre in viele Fetzen zerplatzt. An den verschiedensten Stellen sind Brocken davon zu Boden gefallen. Die erste sichere Beobachtung hat man in Washington gemacht. Es war zwar nur ein Bröckchen, das da einem Spaziergänger in seinen Suppentopf fiel, aber der Mann war zufälligerweise ein Naturforscher. Er hat das Stück untersucht und einen dicken wissenschaftlichen Bericht darüber geschrieben. Daher wissen wir genau Bescheid über die Sache.«

Mac Gray machte ein ungläubiges Gesicht. »Sollte das möglich sein . . .?« meinte er, als Dickinson mit seiner Erklärung fertig war.

»Es stimmt, Sir, Sie können sich darauf verlassen. Ich habe mir alles genau gemerkt«, sagte Dickinson weiter. »Seitdem sind noch an verschiedenen anderen Stellen in den Staaten Splitter dieses Meteoriten niedergefallen. Das letzte Mal ist es auf einer Farm in Nebraska geschehen. Jetzt scheinen wir einen Brocken davon abbekommen zu haben. Na, unser Damm ist solide, dem wird's nicht schaden. Heute nachmittag will ich mal 'rausgehen und mir die Sache selber ansehen.«

Damit war die Angelegenheit einstweilen erledigt, und von anderen Geschäften in Anspruch genommen, kam Mr. Dickinson auch am Nachmittag nicht dazu, den Sperrdamm zu besichtigen.

Am nächsten Vormittag machte Mac Gray wieder seinen Kontrollgang und verhielt den Schritt, als er die Stelle seines gestrigen Erlebnisses erreichte. Das Aussehen des Fleckes an der Sperrmauer hatte sich geändert. Der metallische Glanz war schwächer geworden und hatte einer dunkleren Färbung Platz gemacht. Eigenartig schwammig und rissig, ähnlich wie Tuffstein sah der Beton dort aus. Der Dammwärter kniff die Lider zusammen, um schärfer zu sehen; ein Zweifel war kaum noch möglich – im Bereiche des Fleckes und noch ein Stück darunter war die Sperrmauer ohne Zweifel feucht.

Nässe an der Außenseite? Es gab Mac Gray einen Stich, als er es feststellen mußte, und noch schneller als am vergangenen Tag eilte er diesmal ins Büro. In Hast sprudelte er hervor, was er beobachtet hatte. Ein etwas verwirrter Bericht wurde es, und der Oberinspektor brauchte einige Zeit, um daraus klug zu werden. Dann aber sprang er auf, griff nach seinem Hut und ging zusammen mit Mac Gray zu der Sperrmauer hin.

Nicht viel mehr als eine Viertelstunde war verstrichen, seitdem Mac Gray dort seine Beobachtung gemacht hatte; aber das Bild hatte sich in dieser kurzen Zeit bedeutend weiter verändert. Rund zehn Meter dick war die Sperrmauer an jener Stelle, an der sich der Fleck befand. Durch die ganze Mauerstärke hindurch mußte der Beton eine weitgehende Umwandlung erfahren haben, denn an zahlreichen Stellen spritzten Wasserstrahlen aus der Wand und wurden von Sekunde zu Sekunde fast zusehends stärker. Und jetzt – Dickinson und Mac Gray waren noch etwa hundert Meter entfernt – brachen unter dem Wasserdruck schwere Brocken aus dem Betonmassiv. Polternd rollten sie in die Tiefe, während die Wasserstrahlen, eben noch fingerdick, im Augenblick Arm- und Schenkeldicke gewannen.

Wie unter einem hypnotischen Zwang legte der Oberinspektor die letzte Wegstrecke zurück. Als er oberhalb der Stelle, an der die Katastrophe unaufhaltsam ihren Fortgang nahm, anlangte, war aus den einzelnen Strahlen bereits ein mächtiger Wasserfall geworden. Aus einer fast runden Öffnung, die ziemlich genau der Größe jenes früheren Metallfleckens entsprach, brach das Wasser des Stausees unter gewaltigem Überdruck heraus. In breitem Schwall und Gischt stürzte es an der Außenseite des Dammes hinab; schon strömte dreihundert Meter tiefer auf der Talsohle ein breiter Fluß dahin und umspülte rauschend und schäumend die Fundamente der gewaltigen Kraftwerke. Die waren auf festem Fels gegründet und aus Eisenbeton errichtet. Würden sie dem nagenden Angriff der entfesselten Wasser standhalten, oder würden sie unterwaschen werden, zusammenbrechen und mit ihnen die kostbaren Maschinen, die an dieser Stelle aus dem Kraftwasser der Sperre eine halbe Million Pferdestärken erzeugten?

Das waren Fragen, die Mr. Dickinson bewegten, während er mit zusammengekniffenen Lippen in die Tiefe starrte.

Die Augen Mac Grays gingen indes in die Ferne. Auf eine weite Strecke hin ließ sich von der Krone des Sperrdammes aus der Lauf des Cañons verfolgen, ließ sich beobachten, wie der so plötzlich entstandene reißende Strom auf dem Boden der Schlucht weitereilte, und nun kamen auch dem Dammwärter Gedanken, die ein Handeln verlangten. Er rief den Oberinspektor an, schrie endlich so laut, daß der aus seiner Versunkenheit erwachte.

»Das untere Tal ist bedroht! Wir müssen telegrafische Warnung geben, Mr. Dickinson!«

»Ja, telegrafische Warnung, Mac Gray . . . Zehn Milliarden Kubikmeter brechen aus der Sperre . . . es wird im unteren Tal eine Überschwemmung geben!« Zuerst noch langsam und eintönig, dann immer kräftiger und schneller hatte der Oberinspektor die Worte gesprochen. Jetzt war er ganz Leben und Tatkraft. So schnell, daß Mac Gray Mühe hatte, ihm zu folgen, eilte er zu seinem Büro zurück und vergaß in der Hast, die Tür hinter sich zu schließen. Der Dammwärter, der wenige Sekunden später eintrat, fand ihn bereits am Morseapparat sitzend und sah die Stromtaste in seiner Hand vibrieren.

Schon spielte der Draht und gab die Flutwarnung talabwärts an alle die neuen Farmen und Siedlungen, alarmierte das Land bis tief hinein nach Kalifornien.

* * *

»Die Idee ist wieder mal genial; das muß man unserem verehrlichen Herrn Chefingenieur lassen!«

»Ja, mein Lieber, gelernt ist gelernt«, meinte Thiessen zu dieser Bemerkung Dr. Stiegels, »Sie dürfen nicht vergessen, daß Grabbe erst auf dem Umweg über den Maschinenbau zur Physik gekommen ist und vorher ein paar Jahre als Konstrukteur tätig war. Seine Entwürfe haben Hand und Fuß, das kann ihm niemand bestreiten. Ich bin gespannt, wie die Anlage arbeiten wird.« Dies Gespräch fand während einer kurzen Arbeitspause statt und galt den Zeichnungen zu einem Strahlmotor, die auf einem Tisch in dem Laboratorium Dr. Thiessens ausgebreitet waren.

»Eigentlich doch verblüffend einfach, die ganze Sache«, gab Hegemüller seine Ansicht zum besten, während er mit dem Finger die Linie auf der Zeichnung verfolgte. »Herr Grabbe setzt die Strahlkugel einfach in eine Art Schlitten, der sich in einer Gradführung hin- und herbewegen kann wie der Kolben einer Dampfmaschine im Dampfzylinder. Dann hat er hier noch eine Steuerung vorgesehen, welche die Kugel am Ende jedes Hubes um 180 Grad um ihre Achse dreht. Es ist sonnenklar, daß die Anlage laufen muß wie eine Dampfmaschine . . . mit dem Unterschied, daß an Stelle des Dampfdruckes die Strahlungskraft tritt. Warum sind wir eigentlich nicht selber auf die Idee gekommen, Herr Thiessen?«

»Ja warum, mein lieber Hegemüller? Warum haben die Gegner des Kolumbus das Ei nicht eingeknickt, als sie es auf die Spitze stellen sollten? Einer muß die Idee immer zuerst haben, und nachher wundern sich die andern, daß sie nicht selber darauf gekommen sind. Trösten Sie sich, Kollege; wir werden bei unseren Arbeiten noch auf andere Aufgaben stoßen, an denen Sie Ihren Witz versuchen können.«

»Wann werden die Teile für den Strahlmotor in unser Labor kommen?« wünschte Dr. Stiegel zu erfahren.

»Die Lieferung ist für morgen früh fest zugesagt«, beantwortete Thiessen die Frage. »Herr Grabbe ist mächtig hinterher gewesen und will auch morgen bei der Montage zugegen sein. Wenn alles gut geht, wird die Maschine morgen mittag laufen können.«

»Morgen früh?« Hegemüller krauste die Stirn. »Morgen früh werde ich dabei nicht mittun können; da erwarte ich die Steinzeugkörper für neue Blitzröhren und würde auch den Kollegen Stiegel gern als Hilfe für den Zusammenbau haben.«

»Wird sich nicht machen lassen, Herr Hegemüller«, wehrte Thiessen ab. »Ihre Röhren laufen Ihnen nicht weg. Wir brauchen alle Hände für die Montage des Strahlmotors. Wenn der glücklich läuft, können wir später mit vereinten Kräften an die neuen Röhren gehen. Immer hübsch eins nach dem anderen, Herr Kollege.« Nach einigem Knurren und Brummen gab sich Hegemüller mit dem Bescheid Thiessens zufrieden.

»Was sagen Sie übrigens dazu, daß unsere beiden Japaner, die Herren Yatahira und Saraku, uns heute früh verlassen haben, um nach Tokio zurückzukehren?« fragte er unvermittelt.

Dr. Thiessen zuckte die Achseln. »Da ist nicht viel dazu zu sagen. Ihre Rückkehr in die Heimat war ja schon seit längerem eine beschlossene Sache. Trotzdem schien mir Lüdinghausen, mit dem ich gestern darüber sprach, etwas befremdet darüber zu sein.«

»Aber der Abschied soll doch in Frieden und Freundschaft stattgefunden haben«, bemerkte Dr. Stiegel dazwischen.

Thiessen nickte. »Das schon, Herr Stiegel. Aber eine leichte Verstimmung scheint doch auf beiden Seiten vorhanden gewesen zu sein. Ich halte es nicht für unmöglich – es ist freilich nur eine Vermutung von mir –, daß die beiden Herren irgendwie Witterung von unseren Fortschritten bekommen haben.«

»Das ist gänzlich ausgeschlossen, Herr Doktor Thiessen«, platzte Hegemüller mit seiner Ansicht heraus, »wir haben uns von niemandem in die Karten gucken lassen, haben auch zu niemandem ein Wort über unsere Arbeiten gesprochen.«

»Gewiß, mein Lieber –«, Thiessen drohte ihm mit dem Finger, »– aber ein bißchen Feuerwerk und Knallerei haben Sie sich geleistet. Glauben Sie, daß die Herrschaften aus dem Fernen Osten nicht auch Augen und Ohren haben? Sehr scharfe sogar, das kann ich Ihnen versichern. Erst das beschädigte Glasdach, danach unsere Arbeiten in der Schleudergrube . . .«

»Die hatten wir doch sicher eingezäunt«, unterbrach ihn Hegemüller.

»Versuchen Sie doch mal, fünf Minuten lang logisch zu denken«, wies ihn Thiessen zurecht. »Plötzlich wird um die Schleudergrube, die bis dahin frei und offen dalag, ein Zaun errichtet. Was wird man daraus schließen? Natürlich doch nur das eine, daß in der Grube Versuche gemacht werden, die geheimbleiben sollen. Zugegeben, Herr Hegemüller?«

Wenn auch widerstrebend, gab Dr. Hegemüller die Richtigkeit dieser Behauptung zu. »Daß in der Schleudergrube nur Versuche gemacht werden, bei denen man mit Explosionen rechnen muß«, führte Thiessen seine Schlußkette weiter, »ist allgemein bekannt. Daß die Arbeiten diesmal von uns gemacht wurden, konnten die Japaner ohne besondere Schwierigkeiten in Erfahrung bringen, und nun steht die Frage offen, was mußten sie daraus schließen? Nun, wenn Sie es nicht sagen wollen, will ich es Ihnen sagen. Sie konnten und mußten nur den einzigen Schluß ziehen, daß wir mit unseren Versuchen zu der Grenze gekommen sind, wo der Atomzerfall eine gefährliche Stärke annimmt, während sie selber immer noch mit verhältnismäßig harmlosen Mischungen experimentierten. Berücksichtigt man weiter, daß wenige Stunden vorher Professor Lüdinghausen noch zu größter Vorsicht und einem langsamen schrittweisen Vorgehen gemahnt hat, so ist es mir wenigstens durchaus verständlich, daß die Japaner sich düpiert fühlten und den Entschluß faßten, nach Hause zu fahren, wo sie nach eigenem Belieben weiterexperimentieren können.«

 

»Wenn Sie es so auffassen . . . hm, ja . . . freilich, dann . . . ja dann könnte es am Ende so gewesen sein«, stimmte Hegemüller zögernd zu.

»Ich bin sicher, Kollege Hegemüller, daß es so ist, und offen gesagt, bin ich über die Abreise der Japaner durchaus nicht traurig. Es ist ja eine ganz schöne Sache um die internationale wissenschaftliche Zusammenarbeit; doch warum sollen wir dabei immer die Gebenden sein und die anderen die Empfangenden?«

»Na, jetzt sind wir nach der Abreise der Japaner ja wieder ganz unter uns«, mischte sich Dr. Stiegel in das Gespräch. »Jetzt kann Kollege Hegemüller nach Herzenslust Explosionen veranstalten.«

»Aber ich schneide ihm die Ohren ab, wenn er sich's etwa untersteht«, sagte Thiessen mit Entschlossenheit.

Schon im Laufe der kommenden Nacht wurden die von Grabbe in Auftrag gegebenen Maschinenteile angeliefert, und unmittelbar danach ging ein Dutzend Werkleute unter der Leitung eines Obermonteurs daran, sie zusammenzusetzen. Als der Chefingenieur Grabbe in Begleitung von Dr. Thiessen am nächsten Morgen in das Laboratorium kam, war alles bis auf den Einbau der Strahlkugel bereit.

Jetzt galt es zunächst, die Kugel mitsamt ihrer schweren Festhaltevorrichtung aus dem Sicherheitsraum zu der neu aufgestellten Maschinerie hinzuschaffen, eine Aufgabe, die mit Hilfe einiger Kettenzüge schnell bewältigt wurde. Dann aber kam der kritische Punkt. Um die Kugel in den Schlitten der Maschine hineinzubringen, mußte man sie von der Festhaltevorrichtung lösen. Über eine kurze Wegstrecke nur, über kaum ein Meter war sie frei zu transportieren, aber wenn etwas schiefging, konnte auf diesem kurzen Wege Unheil genug geschehen.

»Lieber Kollege«, sagte Thiessen nach einem langen nachdenklichen Blick zu Dr. Hegemüller, »wollen Sie mir einen großen Gefallen erweisen?«

Eilfertig sprang Hegemüller herbei. »Aber gewiß! Gern, Herr Thiessen, womit kann ich Ihnen dienen?«

»Tun Sie mir die Liebe, Kollege, gehen Sie auf ein halbes Stündchen ins Kasino. Lassen Sie sich eine Tasse Kaffee und die Morgenzeitungen geben. Ich rufe an, wenn wir Sie wieder brauchen.«

Hegemüller war offensichtlich gekränkt und versuchte zu protestieren, doch Thiessen ließ sich nicht erweichen.

»Ich bitte Sie dringend darum«, bestand er auf seiner Anordnung, »ich will die Montage mit Schmidt und Lange allein fertigmachen.«

Mit verdrossener Miene verließ Dr. Hegemüller den Raum. »Der scheint eingeschnappt zu sein«, sagte Grabbe, als Hegemüller draußen war. »Warum haben Sie ihn jetzt weggeschickt?«

»Selbsterhaltungstrieb, Herr Grabbe. Der Kollege Hegemüller ist fleißig und tüchtig und ein guter Kerl, aber bisweilen ein wenig zu . . . sagen wir mal . . . impulsiv . . . oder meinetwegen auch zu quecksilbrig. Wir haben ein paar kritische Minuten vor uns, da ist's mir lieber, wenn er nicht dabei ist.«

Diese Minuten kamen in der Tat, und obwohl Grabbe auch hier wieder durch besondere Vorrichtungen bestmöglich vorgesorgt hatte, waren sie reichlich kritisch. Ein Bleiblock, dessen Vorderseite halbkugelig ausgedreht war und der von einem halben Dutzend schwerer Flaschenzüge sicher gehalten war, wurde an die Kugel herangebracht, bis sie, durch den Strahlungsdruck gehalten, sicher in seiner Höhlung ruhte. Mit kräftigen Hammerschlägen konnte nun der schwere Bolzen, der sie bisher festgehalten hatte, herausgeschlagen werden, und dann kam das kurze Stückchen Weg zu dem Maschinenschlitten hin.

Kaum ein Meter war die Strecke lang, aber Dr. Thiessen behauptete später, sie sei ihm meilenlang vorgekommen. Gewaltig zerrte der Bleiblock unter dem Druck der Strahlkugel an den Flaschenzügen. Nur mit äußerster Vorsicht konnten diese Millimeter um Millimeter angezogen werden. Ein einziger Fehlgriff . . . nur eine Kleinigkeit zuwenig oder zuviel an der einen oder anderen Seite, und es drohte die Gefahr, daß der Block aus seiner Richtung kam, daß die Kugel dadurch frei wurde und mit elementarer Gewalt ihre eigene Bahn verfolgte. Nur ein knappes Meter betrug die Weglänge, aber es dauerte fast eine halbe Stunde, bis sie glücklich überwunden war und die Kugel langsam in den Schlitten hineinglitt. Das Schwerste war damit überstanden, doch längst nicht alles getan. In einem Schneckentempo holten die Flaschenzüge die Kugel Millimeter um Millimeter in den Schlitten hinein, bis sie endlich nach atemberaubenden Minuten dessen Mitte erreichte, bis Grabbe und Thiessen gemeinsam den neuen Stahlbolzen einschieben konnten, der sie nun sicher mit dem Schlitten verband.

»So! Die kommt uns nicht mehr weg!« Thiessen sagte es, während er den Hammer aus der Hand legte, mit dem er soeben den Bolzen eingetrieben hatte. Grabbe war indessen damit beschäftigt, jene Steuerung einzubauen, die bereits am vergangenen Tage die Bewunderung von Dr. Stiegel erregt hatte. Eine überraschend einfache Idee lag ihr zugrunde; handelte es sich doch nur darum, am Ende jedes Hubes die Kugel um ihren Bolzen zu drehen. Nun mußte es sich zeigen, ob sich auch betriebsmäßig bewähren würde, was auf dem Papier so überzeugend wirkte. Die letzte Schraube hatte Grabbe angezogen; nun trat er einen Schritt zurück, um sein Werk noch einmal zu überschauen. Schmuck und blinkend stand die Maschine da, aber sie rückte und rührte sich nicht.

»Was ist das?« fragte Dr. Stiegel. »Warum läuft der Motor nicht?«

»Weil er auf dem toten Punkt steht, Kollege«, beantwortete Thiessen die Frage und griff in die Speichen des Schwungrades. Mit Gewalt wuchtete er daran, drehte es um einige Zoll weiter, und dann kam plötzlich Leben in die bis dahin tote Maschinerie. Erst langsam noch, doch gleich danach schnell und immer schneller begann sich das Schwungrad unter der treibenden Kraft der Strahlkugel zu drehen. Schon waren seine dahinwirbelnden Speichen nicht mehr einzeln zu erkennen, waren zu einer schimmernden durchsichtigen Scheibe geworden.

Dr. Thiessen blickte auf den Tourenzeiger. »Der Motor geht uns durch«, wollte er rufen, als Grabbe schon nach dem Regelrad der Steuerung griff. Ein paar Drehungen daran, und der Motor mäßigte sein Tempo und lief, wie es vorgesehen war, mit dreihundert Umdrehungen in der Minute. Hin und her jagte der Strahlkolben in dem Zylinder, in blinkendem Spiel drehte sich das Schwungrad um seine Achse. Regelmäßig wie ein Uhrwerk arbeitete die Steuerung. Lange Zeit standen Grabbe und Thiessen vor der Maschine, ohne ein Wort zu sprechen, bis endlich der Chefingenieur das Schweigen brach.

»Man müßte ihre Kraft ausnutzen«, meinte er jetzt zu Dr. Thiessen. »Ich will sehen, daß ich eine dazu passende Dynamomaschine bekomme.«

»Wissen Sie, was wir dann hier in unserem Labor haben würden?« fragte Thiessen und gab gleich selbst die Antwort auf seine Frage. »Wir hätten hier das erste durch Atomenergie betriebene Elektrizitätswerk. Unser Laboratorium würde in der Geschichte des menschlichen Fortschritts einen besonderen Platz einnehmen. Noch nach Jahrzehnten, ja nach Jahrhunderten würde man es nun als die Stätte betrachten, von der ein neues Zeitalter seinen Ausgang nahm.«

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?