Flug in den Weltraum

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»Ich freue mich auf die Arbeit der kommenden Wochen und Monate, meine Herren«, sagte Thiessen, während sie gemeinsam das Laboratorium verließen. »Mir schweben ganz neue Möglichkeiten vor. Ich will Ihnen nicht zu nahetreten, Kollege Hegemüller, aber ich muß lebhaft an die blinde Henne denken, die zuweilen auch ein Korn findet.«

Dr. Hegemüller unterdrückte die Antwort, die ihm auf den Lippen lag. Ich war nicht blind, mein Lieber, ging's ihm durch den Kopf. Ich habe genau gewußt, was ich wollte und was ich riskierte . . . und ich glaube, ich ahne auch einiges von den Möglichkeiten, von denen du jetzt sprichst.

* * *

»Warum tun Sie das?« fragte Saraku, als Yatahira nach dem Betreten ihres gemeinsamen Arbeitsraumes die Tür abschloß. Die Miene Yatahiras blieb unverändert, während er antwortete.

»Es hat uns schon öfter gestört, wenn bei den Feinwägungen unerwartet jemand die Tür öffnete. Die empfindliche Waage spricht auf die geringen, dabei unvermeidlichen Erschütterungen an. Die Meßergebnisse werden ungenau, das müssen wir vermeiden.«

Noch während er sprach, hatte Yatahira die vor kurzem gefundene Scherbe aus der Tasche gezogen und beschaute sie prüfend durch die Lupe.

»Es ist sehr wenig, Saraku«, begann er nach einer längeren Untersuchung. »Nur hauchdünn sitzt das Metall auf dem Glas. Es wird nicht leicht sein, das Mischungsverhältnis festzustellen.«

Saraku konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. »Nur so wenig?« begann er zögernd. »Draußen schien es mehr zu sein.«

»Das Tageslicht täuschte, Saraku. Wir sahen in der Sonne die Metallfläche schimmern, ohne die Feinheit der Schicht zu erkennen. Erst unter der Lupe konnte ich das feststellen. Nun müssen wir die geringe Menge, die uns zur Verfügung steht, für verschiedene Untersuchungen teilen.«

Yatahira griff nach einem Diamantenschneider, zog damit einen scharfen Riß über die Scherbe und brach ein Stückchen davon ab. »Mit dieser Probe wollen wir beginnen«, fuhr er fort und ging zu einem Regal mit Chemikalien, aus dem er nach längerem Wählen eine Flasche mit einer wasserklaren Flüssigkeit herausnahm.

»Sie wollen das Probestück mit flüssigem Kohlenwasserstoff behandeln?« fragte Saraku unsicher.

»Das will ich, Saraku. Es ist das nächstliegende Mittel, um den Zusatzstoff aus dem Metall herauszuwaschen.«

Mit methodischer Sorgfalt ging Yatahira daran, eine geringe Menge des Flascheninhaltes in eine gläserne Schale zu gießen und genau abzuwiegen. Bevor Saraku ihn daran hindern konnte, ließ er das kleine, von der größeren Scherbe abgesprengte Stückchen in die Schale fallen.

Unwillig blickte er auf, als Saraku die Schale mit einer Zange faßte und in einen starkwandigen Tiegel aus feuerfester Schamotte stellte.

»Warum tun Sie das?« fragte er.

»Ich halte Ihr Experiment für gefährlich. Das Lösungsmittel könnte den Prozeß in unerwünschter Weise beschleunigen . . .«

Er brach seine Rede jäh ab. An der Stelle, wo eben noch in dem Tiegel die gläserne Schale mit ihrem Inhalt gestanden hatte, brodelte eine feurigflüssige Masse und strahlte nach allen Seiten hin eine von Minute zu Minute unerträglicher werdende Hitze aus. Während Yatahira regungslos, wie versteinert auf den Tiegel starrte, eilte Saraku zu den großen Fenstern des Raumes und riß sie auf, sprang danach zur Schalterwand und ließ den Ventilator an. In kräftigem Schwall trieb das wirbelnde Flügelrad die heiße Luft ins Freie, während kühlere, frischere von außen her in das Laboratorium drang. Eine Linderung wurde merkbar, aber immer noch blieb es mit einigen vierzig bis fünfzig Grad drückend heiß im Raum, denn als ein Ofen von gewaltiger Heizkraft erwies sich der Tiegel mit seinem glühenden Inhalt. Yatahira, der langsam aus seiner Erstarrung erwachte, fühlte den Schweiß aus allen Poren brechen und riß sich Rock und Weste auf. Freute sich einen kurzen Augenblick der Linderung, um dann zu sehen, wie Saraku sich selbst in einen starken Bleischutz hüllte. Er wollte etwas sagen, wollte protestieren, als Saraku auch ihm die Schutzkleidung überwarf. Wie aus weiter Ferne vernahm er dessen Worte.

»Ich habe es befürchtet, Yatahira. Es ist ein Glück, daß Sie nur eine winzige Probe in das Lösungsmittel warfen. Der Atomzerfall geht rapide vor sich. Wir wissen nicht, wie stark die so schnell zerfallende Materie strahlt. Wir müssen uns schützen, wenn wir diese Stunde überleben wollen.«

Es strahlt, es strahlt unfaßbar stark . . . Erst auf die Worte Sarakus hin kam dem anderen der Gedanke. Sorgfältig hüllte er sich in den schweren, bleigefütterten Stoff und barg auch sein Gesicht hinter einer starken Bleiglasmaske. Noch unerträglicher wurde die Wärme dadurch. Am offenen Fenster, wo die Frischluft Kühlung brachte, suchte er Zuflucht, und Saraku folgte ihm dorthin. Unbeweglich und stumm standen sie dort lange Zeit, vor den Augen das Bild des glühenden Tiegels, in den Ohren das Brodeln der glühenden Masse und das tiefe Brummen des Ventilators. Besorgt überflogen ihre Blicke den Raum, ob nicht die strahlende Glut an irgendeiner Stelle das Holzwerk entzünden und Unheil stiften konnte. Sie wußten nicht, wie viele Minuten, wie viele Viertelstunden darüber verstrichen, hörten hin und wieder die Werkuhr eine neue Stunde schlagen, nur von dem Gedanken bewegt, daß jetzt keiner von ihren Kollegen hierherkommen möchte, bis schließlich nach langem Harren und Bangen eine Erleichterung über sie kam. Schwächer wurde die Glut in dem Tiegel, schwächer auch die drückende Hitze in dem Raum. Mattrot glimmte es jetzt noch aus dem Schamotteblock, bis bald auch das letzte Leuchten erlosch und nur noch eine leichte Wärme verriet, daß dort noch immer Energie frei wurde.

Tief aufatmend streifte Yatahira die Gesichtsmaske ab und warf den Bleimantel von den Schultern.

»Ein gefährlicher Stoff«, sagte Saraku mit einem scheuen Seitenblick auf den Tiegel. »Was wollen Sie jetzt tun, Yatahira?«

»Den Rest der Probe nach Nippon schicken, Saraku. Wir haben hier nicht die Ruhe, auch nicht die Zeit, den Stoff zu untersuchen. Doktor Hidetawa in Tokio wird das besser können.« Er ging zu seinem Arbeitstisch und griff nach einem Schreibblock. Hastig jagte die Feder in seiner Hand über das Papier. Zeile für Zeile legte er die Geschichte der mysteriösen Scherbe fest, schrieb nieder, unter welchen Begleitumständen sie in ihre Hände kam und was sie selbst mit einem winzigen Stückchen davon erlebten.

Die Miene Sarakus ließ erkennen, daß er mit dem Vorgehen des anderen nicht ganz einverstanden war. »Ich hoffte, Yatahira«, begann er nach kurzem Überlegen, »daß wir das Stück analysieren und daraus Nutzen für unsere Arbeit ziehen würden.«

Fast schroff unterbrach ihn Yatahira. »Es kommt nicht darauf an, wer den Nutzen zieht; nur darauf, daß es auf die beste Art geschieht, und das wird bei Hidetawa der Fall sein.«

* * *

Am nächsten Morgen nach dem Ausflug zum Memorial Highway war Henry Watson bei seiner Morgentoilette. Er mußte sich sputen, wenn er noch rechtzeitig zu seiner Arbeitsstätte kommen wollte, und merkte im letzten Augenblick, daß er in der Eile beinahe das Wichtigste vergessen hätte. Er ging zu dem Stuhl, über den er am vergangenen Abend seinen Rock gehängt hatte, steckte das Notizbuch mit dem Protokoll über den gestrigen Vorfall zu sich und wollte dann den Metallbrocken aus der Rocktasche herausnehmen.

Als er danach griff, stäubte der feste Wollstoff in der Umgebung der Rocktasche wie mürber Zunder auseinander, und das Zeitungspapier, in das er seinen Fund gestern eingeschlagen hatte, wirbelte in Form einer weißen Staubwolke auf.

Watson versuchte, sich mit Gewalt zu logischem Denken zu zwingen. Eine zerstörende Kraft mußte von diesem geheimnisvollen Metall ausgehen. Mit dem geübten Blick des Physikers erkannte er auch, daß sie nicht nach allen Richtungen hin gleichmäßig wirkte. Nur nach der Außenseite hin waren Anzugstoff und Zeitungspapier zermürbt, während sie nach innen hin keine Spur einer Zerstörung zeigten.

Halb im Unterbewußtsein ging Watson der Gedanke durch den Kopf, daß er gestern viel Glück hatte, als er das Metallstück gerade so und nicht anders herum in seine Tasche steckte. Wer weiß, so wanderten seine Gedanken weiter, was geschehen wäre, wenn diese unheimliche Kraft den langen Tag über nach der anderen Seite hin auf seinen Körper gewirkt hätte . . . Wie durch eine Ideenassoziation . . . fast zwangsläufig kam ihm im gleichen Augenblick auch die Erinnerung an jene Strahlungen, die von Röntgenröhren und radioaktiven Substanzen ausgehen und manchem Forscher Siechtum und vorzeitigen Tod gebracht haben. Diesmal hatte das Unheil nur ein Kleidungsstück betroffen, aber die Art der Zerstörung ließ über die Gefährlichkeit der Kräfte, die hier im Spiele waren, keinen Zweifel zu.

Als Watson mit seinen Überlegungen bis zu diesem Punkt gekommen war, brachte er den Metallbrocken mit großer Vorsicht wieder an seine alte Stelle, faltete den so schwer beschädigten Rock zusammen und schob ihn in seine Aktentasche. Sorgsam trug er die Tasche während des Weges zu dem Carnegie Building der Howard-Universität so, daß die gefährliche Seite des Metallstückes von seinem Körper abgewandt war.

Die letzten Beobachtungen und Überlegungen in seiner Wohnung hatten doch so viel Zeit in Anspruch genommen, daß er verspätet zum Dienst kam. Seine erste Frage im Institut war nach Robert Jones.

»Mr. Jones ist bei Professor O'Neils«, wurde ihm geantwortet.

Ohne sich weiter aufzuhalten, griff Watson wieder nach seiner Aktentasche, ging über den Flur und klopfte an O'Neils' Tür . . .

 

»Da kommt er ja!« unterbrach Jones sein Gespräch mit Professor O'Neils. »Jetzt werden Sie das Corpus delicti selber sehen, Herr Professor. Pack aus, Henry!«

Watson öffnete die Aktentasche und zog den zusammengewickelten Rock heraus.

»Was bringen Sie da?« fragte O'Neils und zog die Brauen in die Höhe.

»Was ist das, Henry?« fragte auch Jones. »Warum schleppst du den alten Rock mit?«

»Um Ihnen etwas Interessantes zu zeigen, Herr Professor.« Watson breitete das Kleidungsstück auf der Tischplatte aus und wies auf die zerzunderten Stellen, während er weitersprach. »Sehen Sie sich den Stoff an. Die Struktur der Wollfäden ist vollständig zerstört. Nicht einmal Schwefelsäure hätte das vermocht, aber dieses Metall hat es fertiggebracht. Auch das Papier fällt wie Staub auseinander.« Er wischte mit der Hand darüber, und unter einer grauweißen Staubschicht kam das Metall des Brockens zum Vorschein.

»Ah, das ist bemerkenswert«, meinte O'Neils und vertiefte sich in das Protokoll, das Watson und Jones am vorangegangenen Tag über ihren Fund abgefaßt hatten. Als er mit der Lektüre fertig war, schnitt er das Blatt aus dem Notizbuch heraus und klebte es in ein neues Protokollbuch.

»So, meine Herren«, sagte er, nachdem das geschehen war, »jetzt wollen wir weiteruntersuchen. Kommen Sie mit in das Laboratorium. Wir wollen den Stoff gemeinsam analysieren.«

Für die nächsten Stunden ging es jetzt in dem Laboratorium in Washington ganz ähnlich zu wie achtzehn Stunden vorher an Dr. Thiessens Arbeitsstätte in den Gorla-Werken, denn hier wie dort erregten die gefundenen Resultate immer wieder Verwunderung und Kopfschütteln. Weiter ergab die Untersuchung, daß es sich bei der merkwürdigen Substanz um einen bleiähnlichen, radioaktiven Stoff handelte, der in einem ganz außergewöhnlich lebhaften Zerfall begriffen war und unaufhörlich Protonen, Neutronen und Elektronen mit einer bisher noch niemals beobachteten Geschwindigkeit ausschleuderte.

»Ich wundere mich nicht, daß dieses Bombardement Ihrem Rock schlecht bekommen ist«, sagte O'Neils, während er das Ergebnis der Messungen niederschrieb. »Protonen, die fast mit Lichtgeschwindigkeit in den Raum spritzen, müssen verheerend auf die Umgebung wirken. Auch für die Gewichtsdifferenz sehe ich jetzt die Möglichkeit einer Erklärung. Die abgeschleuderten Protonen üben auf das Metall natürlich einen Rückstoß aus . . . Wir haben es hier mit einer Art von Atomrakete im kleinen zu tun, das scheint mir jetzt ziemlich sicher zu sein . . . Aber noch bleibt die Frage offen: Wo stammt das Stück her?«

»Vielleicht aus dem Weltraum?« Jones wiederholte damit die Vermutung, die er bereits gestern Watson gegenüber geäußert hatte.

»Wäre es nicht möglich«, fuhr er fort, »daß wir ein Sprengstück von einer Sternenkatastrophe vor uns haben? . . . daß dieser Brocken hier als der Zeuge eines fernen Weltunterganges nach einem Flug von tausend oder zehntausend Jahren zu unserer Erde kam?«

O'Neils schüttelte den Kopf. »Impossible, my dear! Dafür ist seine Form zu regelmäßig. Eine Bearbeitung durch Menschenhand ist unverkennbar. Ein Meteorit müßte anders aussehen. Das Stück scheint durch irgendwelche Gewaltwirkung aus einer größeren Platte herausgerissen worden zu sein.«

Die Äußerung O'Neils' gab Watson Veranlassung, mit seiner Theorie herauszukommen. Er vertrat die Meinung, daß es von den rotierenden Teilen eines Flugkörpers abgeschleudert worden sei, traf dabei aber auf den lebhaften Widerspruch von Jones und O'Neils.

»Ein Flugzeug war nicht zu sehen, Henry«, unterbrach ihn Jones, »wir hätten auch etwas von ihm hören müssen, wenn es dagewesen wäre!«

»Mag es dagewesen sein oder nicht«, mischte sich O'Neils wieder ein, »jedenfalls bestehen die Teile eines Flugzeuges nie und nimmer aus einem derartig radioaktiven Stoff, wie wir ihn hier vor uns haben. Ihre Hypothese ist nicht haltbar, Mr. Watson.«

»Zum Teufel, wo stammt der verdammte Brocken her?« murmelte Jones vor sich hin.

Professor O'Neils sprach weiter. »Es ist ein Erzeugnis von Menschenhand, also muß das Stück von einer menschlichen Arbeitsstätte herstammen. Das ist doch unbestreitbar?« fügte er wie fragend hinzu. Watson und Jones nickten schweigend Zustimmung.

»Dann wäre weiter aufzuklären, wie das Stück so hoch in die Luft gelangte«, führte O'Neils seine Schlußkette weiter. »Eine Idee, meine Herren! Es könnte durch eine Explosion hochgeschleudert worden sein . . . jawohl! Das ist die einzige Möglichkeit. Wir müssen Erkundigungen einziehen, ob und wo in der Umgebung von Washington eine Explosion stattgefunden hat. Wenn wir das erfahren, werden wir dem Ursprung dieses Stückes auch auf die Spur kommen.«

Professor O'Neils hatte seine Folgerungen logisch aufgebaut und war mit seinen Vermutungen auch ziemlich dicht an die Wahrheit herangekommen. Nur darin war ihm ein Irrtum unterlaufen, daß er an eine Explosion in der Nähe von Washington dachte. Aber freilich war es dem Brocken, der da harmlos und unscheinbar vor ihm auf dem Tisch lag, ja auch nicht anzusehen, daß er bereits einen Flug von viertausend Meilen hinter sich hatte, als er in den Vernon Hills eine Konservenbüchse und einen Teller zerschlug. Es sollten noch Wochen vergehen, bevor Professor O'Neils die richtige Fährte fand.

* * *

2

Dr. Thiessen konnte sich zwar auf die Verschwiegenheit seiner Assistenten verlassen, aber außer diesen hatte auch Chefingenieur Grabbe die Explosion mit angesehen und es für seine Pflicht erachtet, Professor Lüdinghausen darüber Bericht zu erstatten. So kam es, daß Thiessen bereits am Morgen des nächsten Tages von dem Professor zu einer Unterredung gebeten wurde.

»Da haben wir die Bescherung«, meinte er mit einem Seitenblick auf Hegemüller, während er den Hörer wieder auf die Gabel legte. »Grabbe hat Ihre Heldentat natürlich nicht für sich behalten. Jetzt werde ich wohl von Lüdinghausen eine bessere Standrede zu hören bekommen.«

Er streifte den weißen Kittel ab und machte sich zum Gehen bereit, als Hegemüller ihn bat: »Ich möchte Sie begleiten, Herr Doktor Thiessen.«

Thiessen schüttelte den Kopf. »Sie sind nicht gerufen worden, sondern ich. Seien Sie zufrieden, daß Sie nicht mitzukommen brauchen.«

»Ich habe die Geschichte aber eingerührt und will sie auch vertreten«, bestand Dr. Hegemüller auf seiner Absicht. »Und im übrigen bin ich der Meinung, daß die Sache gar nicht so schlimm werden wird. Ich glaube, daß Professor Lüdinghausen gute Miene zum bösen Spiel machen wird, wenn er unsere Resultate sieht. Das Protokollbuch hier müssen wir selbstverständlich mitnehmen und am besten auch gleich noch die Metallprobe.«

»Sie können recht haben«, meinte Dr. Thiessen nach kurzer Überlegung. »Es ist vielleicht am besten, wenn wir die Sache gleich zusammen abmachen. Kommen Sie in Gottes Namen mit.«

Professor Lüdinghausen blickte ein wenig befremdet auf, als Thiessen und Hegemüller zusammen in sein Arbeitszimmer traten.

»Ich hatte nur Sie gebeten, Herr Thiessen«, eröffnete er die Unterhaltung. »Glauben Sie, daß wir Herrn Hegemüller für unsere Besprechung nötig haben?«

Bevor Thiessen noch etwas sagen konnte, ergriff Hegemüller das Wort.

»Ich habe den Zwischenfall oder meinetwegen auch Unfall, über den Sie Aufklärung wünschen, Herr Professor, verursacht und bin bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen.«

Lüdinghausen wußte nicht recht, ob er ärgerlich werden oder lachen sollte. Im Grunde genommen mochte er den munteren, diensteifrigen Dr. Hegemüller ganz gut leiden, aber er konnte es natürlich nicht ungerügt lassen, wenn er in seinem jugendlichen Tatendrang das Forschungsinstitut gefährdete. So setzte der Professor denn eine Amtsmiene auf, während er zu sprechen begann. »Sie sagen, daß Sie den Vorfall verursacht haben, Herr Hegemüller. Wäre das Wort ›verschuldet‹ nicht vielleicht richtiger dafür? Zweifellos ist dieses bedauerliche Vorkommnis doch auf einen Verstoß gegen die Vorschriften zurückzuführen. Ist das nicht auch Ihre Meinung, Herr Doktor Thiessen?«

»Ich kann es nicht leugnen«, erwiderte Thiessen. »Herr Hegemüller ist von den Vorschriften abgewichen . . .«

»Also es war so, wie ich's vermutete«, unterbrach ihn Lüdinghausen.

»Jawohl, Herr Professor, aber der Erfolg dieses Versuches ist ein derartiger, daß er das Wagnis vollauf rechtfertigt.«

Und nun schlug Thiessen das Protokollbuch auf und begann Zahlen und Werte vorzulesen, von denen Lüdinghausen immer stärker gefesselt wurde.

»Aber das ist ja großartig, meine Herren«, rief er, als Thiessen mit seinem Vortrag zu Ende war. »Dann sind Sie ja tatsächlich ein bedeutendes Stück vorwärtsgekommen. Auf welchem Wege ist Ihnen das gelungen?«

»Ich habe die Menge des Zusatzstoffes verzehnfacht.« Hegemüller stieß die Worte schnell hervor. Für eine kurze Weile war Lüdinghausen sprachlos, dann begann er langsam zu sprechen.

»Sie dürfen diesen Versuch nie wieder in Ihrem Laboratorium machen, Herr Doktor. Ich verbiete es Ihnen hiermit ausdrücklich.«

»Aber wir müssen den Versuch wiederholen«, verteidigte sich Dr. Hegemüller, »wir wollen den Stoff in größeren Mengen herstellen. Wir werden auch noch andere Mischungsverhältnisse erproben müssen . . .«

»Zugegeben, Herr Doktor Hegemüller. Ich verschließe mich der Tatsache nicht, daß weitere Versuche notwendig sind. Sie müssen gemacht werden, und sie sollen auch gemacht werden. Aber das darf dann nur an einer Stelle geschehen, an der etwaige Explosionen keinen größeren Schaden anrichten können.« Lüdinghausen überlegte eine kurze Zeit und wandte sich dann an Thiessen: »Wie denken Sie über unsere neue Schleudergrube? Ich würde sie Ihnen für Ihre Versuche zur Verfügung stellen.«

»Sehr gut, Herr Professor! Die Schleudergrube ist der richtige Ort dafür. Sie ist ja an Explosionen gewöhnt . . . nur . . . allerdings . . .«

»Haben Sie Bedenken?« fragte Lüdinghausen.

»Wir können bei unseren Versuchen keine Zuschauer brauchen, Herr Professor. Die Grube liegt offen da. Jeder, der vorbeikommt, könnte uns bei unseren Arbeiten beobachten.«

»Wenn es nichts weiter als das ist, Herr Thiessen!« Lüdinghausen machte eine wegwerfende Bewegung. »Lassen Sie sich von unseren Zimmerleuten einen ordentlichen Zaun um die Grube setzen, dann werden Sie ungestört und unbeobachtet arbeiten können.«

Thiessen und Hegemüller schickten sich bereits an, das Zimmer zu verlassen, als Lüdinghausen sie zurückhielt und noch einmal zur größten Vorsicht ermahnte.

»Ich bitte mir aus, Herr Doktor«, wandte er sich an Hegemüller, »daß Sie mir nicht etwa während der Versuche in der Grube herumkriechen. Sie müssen mit Fernsteuerung arbeiten und während der kritischen Minuten in sicherer Deckung bleiben. Sorgen Sie bitte dafür, Herr Doktor Thiessen, daß das auch geschieht.«

»Na also!« sprudelte Hegemüller los, als sie draußen waren. »Habe ich Ihnen nicht gleich gesagt, daß der Professor für unsere Sache zu haben sein wird? Eine geniale Idee von ihm, uns die Schleudergrube zur Verfügung zu stellen. Jetzt können wir nach Herzenslust weiterarbeiten.«

»Aber mit größter Vorsicht bitte, mein Lieber«, sagte Dr. Thiessen mit einem leichten Seufzer. »Ihnen traue ich es zu, daß Sie auch die bombenfeste Schleudergrube kleinkriegen, wenn man Ihnen nicht scharf auf die Finger sieht.«

Die Schleudergrube war eine kreisrunde, etwa zwanzig Meter tiefe und ebenso breite Grube, deren senkrechte Wände mit einer gut meterstarken Schicht aus Eisenbeton ausgekleidet waren. Ursprünglich war sie für Materialprüfungen und Festigkeitsuntersuchungen angelegt worden. Beispielsweise ließ man in ihr Schwungräder und ähnliche Maschinenteile mit immer größeren Umdrehungsgeschwindigkeiten rotieren, bis sie schließlich unter dem Einfluß der übermächtig werdenden Zentrifugalkraft zerrissen. Thiessen hatte also mit seiner Bemerkung recht, daß diese Grube an Explosionen gewöhnt sei.

Jetzt wurde sie die Arbeitsstelle für seine gefährlichen Experimente. Schon erhob sich um sie herum ein dichter hoher Zaun, und eine aus kräftigen Bohlen gezimmerte Baracke wuchs schnell aus dem Boden. In ihr befanden sich die elektrischen Einrichtungen für die Fernbedienung der großen Blitzröhren, die in der Grube selbst aufgestellt wurden. Und dann begannen zwischen Dr. Thiessen und seinen Leuten die Besprechungen über den nächsten Versuch.

»Ich habe die Zusatzmenge verzehnfacht«, hatte Hegemüller sowohl Thiessen wie Professor Lüdinghausen erklärt. Aber das war nur eine Schätzung gewesen. Jetzt schlug Hegemüller für den ersten Versuch eine Verzwölffachung der Zusatzmenge vor, aber Dr. Thiessen hatte noch genug von der ersten Explosion im Laboratorium.

 

»Nein, mein lieber Hegemüller«, gab er nach einigem Hin und Her seine Entschließung bekannt, »wir nehmen wieder das Zehnfache. Außerdem werde ich diesmal den Regelschalter bedienen und nur ganz allmählich Spannung auf die Blitzröhre geben. Leichtsinnige Feuerwerkerei wollen wir uns doch besser ersparen.«

Dr. Hegemüller mußte sich wohl oder übel fügen, sosehr der Entscheid seines Chefs ihm auch gegen den Strich ging. Zu seinem Leidwesen besorgte Thiessen auch zusammen mit Dr. Stiegel selbst die Abwägung der Substanzen, so daß ihm die Möglichkeit genommen war, dabei etwas mehr von dem Zusatzstoff in die Mischung zu bringen. Achselzuckend stand er dabei, als die neue Kathode diesmal in Form einer größeren Kugel gepreßt und in die gewaltige Blitzröhre eingesetzt wurde. Es war gut, daß Thiessen nicht hören konnte, was Hegemüller bei sich dachte, denn es wäre nicht sehr schmeichelhaft für ihn gewesen. Lendenlahme Geschichte! Keinen Mut hat die Gesellschaft! So werden wir niemals vom Fleck kommen! Lächerlich die ganze Sache! Solche und ähnliche Gedanken gingen Hegemüller durch den Kopf, bis die Stimme Thiessens ihn aus seinen Betrachtungen riß.

»Kommen Sie, Herr Hegemüller, hier unten sind wir fertig, jetzt geht's in die Baracke.« Und als er dieser Aufforderung nicht schnell genug folgte, fühlte er sich von Thiessen beim Arm genommen und mit sanfter Gewalt zu der eisernen Leiter gezogen, die vom Boden der Schleudergrube nach oben ins Freie führte.

Dann standen sie zu dritt in der Baracke, und Dr. Thiessen begann zu schalten und zu regeln. Das tiefe Brummen eines Transformators erfüllte den Raum; ein Hebel wurde umgelegt und gab der elektrischen Energie den Weg auf die Röhre in der Schleudergrube frei; unter der Hand Thiessens bewegte sich ein Rheostat, und der Zeiger eines Spannungsmessers glitt langsam über die Zahlen einer Skala. Die Hand ständig am Schaltergriff, verfolgte Thiessen das allmähliche Ansteigen der Spannung und der Stromstärke, bereit, den Hebel sofort herauszureißen, sowie sie unzulässig hohe Werte annehmen würden. Auch die Blicke von Stiegel und Hegemüller hingen an den Zeigern der Meßinstrumente. Keiner von den dreien sprach ein Wort, bis Dr. Thiessen nach langem Schweigen den Mund öffnete.

»Ich denke, noch fünf Minuten, dann wird die Aktivierung der Substanz vollend...« Er brach jäh ab, denn plötzlich war der Zeiger des Strommessers auf Null zurückgefallen, während von draußen her ein schwaches, erst zischendes, dann pfeifendes Geräusch in den Raum drang. Mit einem Ruck riß er den Hauptschalter heraus und eilte, gefolgt von Stiegel und Hegemüller, ins Freie, nach dem Rand der Schleudergrube hin.

Wo noch vor kurzem die große Blitzröhre gestanden hatte, lagen ein paar verstreute Glassplitter. Sonst war von der Röhre nichts mehr zu sehen. Verschwunden war auch die massige Kathodenkugel, in Unordnung lagen die Stromleitungen, die zu der Röhre führten, auf dem Boden. So stellte sich der Befund von außen dar, und so blieb er auch, als sie in die Grube hinabstiegen und eine genaue Untersuchung anstellten.

»Herrgott im Himmel, wo ist die Kathode geblieben?« stöhnte Thiessen. »Eine solche Menge Metall kann sich doch nicht einfach verflüchtigen . . . spurlos verschwinden . . . Wie ist das möglich? . . . Die Sache ist nicht zum Lachen«, fuhr er Hegemüller an, dem die Schadenfreude auf dem Gesicht stand. »Machen Sie lieber einen vernünftigen Vorschlag.«

»Ich schlage vor, Herr Doktor Thiessen«, sagte Hegemüller, ohne sich aus seiner Ruhe bringen zu lassen, »daß wir den Versuch wiederholen, aber die Schutzkuppel über der Grube schließen. Dann wird uns keine Kathode mehr abhanden kommen.«

* * *

George Brewster, der Führer des Fischkutters »Lady Jane«, Heimathafen Halifax, steckte die Nase in den Wind, der von Minute zu Minute mehr auffrischte, und versuchte, sein Gesicht zu einem nicht ganz geglückten Lachen zu verziehen. Den Anlaß dazu gab der Nordwest, der den Nebel in dichten Schwaden vor sich herfegte und hier und dort bereits ein Stück blauen Himmels sichtbar werden ließ. Zusehends wich der Nebel. Schon ließ sich auf größte Entfernung die weite Fläche des Nordatlantiks überblicken; wohl an die hundert andere, der »Lady Jane« nicht unähnliche Boote wurden auf ihr sichtbar. Überall kamen mit dem weichenden Nebel Leben und Bewegung in die Fischerflotte auf den Neufundland-Bänken hinein. Winden begannen zu knarren, Spieren wurden ausgeschwungen, und bald hier, bald dort sank ein Netz in die Tiefe.

Mit leisem Schleifen glitten auf der »Lady Jane« die Drahtseile, an denen das Schleppnetz hing, von den Windentrommeln, während gleichzeitig der Anker aufgeholt wurde.

»Gutes Fangwetter nach dem verdammten Nebel, Chief«, meinte der Steuermann O'Benira und ging ans Ruderrad, da der Kutter unter dem Druck seiner Segel Fahrt zu machen begann.

»Wollen's hoffen, Steuermann.« Captain Brewster sagte es, während er vom Achterdeck dem Netz nachschaute, das an den Drahtseilen durch die See schleifte. »Können's erst wissen, wenn wir tieferes Wasser vor uns haben. Wollen vorerst auf Südostkurs bleiben.«

In steter Fahrt verfolgte der Kutter seinen Kurs durch die Grenzzone, in der kalte polare Wassermassen mit der warmen Golfströmung zusammentreffen, jenes Gebiet der reichen Fischgründe. Bald mußte es sich nun zeigen, ob das Netz der »Lady Jane« Beute faßte.

Schon schien es praller zu werden, schien stärker an den Trossen zu zerren, als ein pfeifendes, zischendes Geräusch Captain Brewster in die Höhe blicken ließ. Von oben, vom blauen Himmel her, kam etwas Blankes, Schimmerndes in sausender Fahrt, schlug, wenige Meter von Steuerbord der »Lady Jane« entfernt, in die See und verschwand in der Tiefe.

»Damned, Chief!« O'Benira schüttelte sich die Tropfen ab, mit denen das blinkende Ding ihn beim Aufschlag aufs Wasser bespritzt hatte. »War verflucht nahe! Hätte uns totschlagen können!«

»Hättest dir was darauf einbilden können«, unterbrach Brewster seinen Steuermann. »Habe mal irgendwo gelesen, daß nur alle zweihundertfünfundzwanzig Jahre einmal ein Mensch von einem Meteor erschlagen wird. Wäre danach ein Leckerbissen für unsere Statistiker geworden, O'Benira.«

»Danke für die Auszeichnung. Habe keine Verwendung dafür. Ist mir lieber, daß ich das Ding nicht auf den Kopf bekommen habe«, brummte der Steuermann vor sich hin.

»Mir auch, O'Benira. Könnte dich jetzt schlecht entbehren. Will den Vorfall eben mal ins Logbuch eintragen. Wird vielleicht den einen oder anderen von unseren Sternkiekern interessieren.«

Der Captain ging unter Deck, um sein Vorhaben auszuführen, während der Steuermann am Ruder blieb. Hin und wieder warf O'Benira einen Blick nach achtern auf das Netz, das die Fahrt des Kutters bereits merklich zu bremsen begann. Mit Befriedigung schloß er daraus auf einen guten Fang und verfiel dann für längere Zeit ins Sinnieren, bis Captain Brewster wieder auf Deck kam.

»Habe mir's inzwischen überlegt, Steuermann«, begann er, »könnte die Sache eigentlich nach Halifax funken . . . Teufel, was ist das?! Wo kommen die toten Fische her?« Er deutete dabei nach achtern.

O'Benira drehte sich um und staunte im nächsten Augenblick ebenso wie Brewster. Fische, tot oder doch zum mindesten betäubt, trieben in unzählbarer Menge auf der Oberfläche des Wassers.