Ein beabsichtigter Mord mit unbeabsichtigten Folgen

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Ein beabsichtigter Mord mit unbeabsichtigten Folgen
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Denise Remisberger

Ein beabsichtigter Mord mit unbeabsichtigten Folgen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

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Impressum neobooks

1

Eines Nachmittags – sie war noch nicht mal beim zweiten Thermos Grüntee angelangt – entschied sich Pendragona zur Witwenschaft. Der gute Hans hing jetzt schon über drei Jahre lang an ihrem Rockzipfel, höchste Eisenbahn, ihn abzumurksen.

«Warum lässt du dich nicht einfach scheiden?», wollte Kenda wissen.

Kenda hatte Pendragona auf einer langweiligen Party kennen gelernt, wo niemand sich dazu aufraffen konnte, etwas Geistreiches oder Schräges von sich zu geben.

Es wurde nur herumgehangen, an den Bierflaschen genuckelt und gekifft. Darum fielen sie einander sofort auf: Sie waren anders.

«Mich scheiden lassen?», entgegnete Pendragona erstaunt. «Das lässt sich heute doch jede, die einigermassen weiss, was sie nicht braucht.»

«Na ja. Ich für meinen Teil stehe ja mehr auf Frauen und dachte eh nie ans Heiraten. Aber Mord?»

«Mord? Ach, eher die gute Tat des Jahres.»

Also schlug Pendragona ihrem Hans süsslich lächelnd vor, am nächsten Tag mit ihr eine schöne Wandertour zu unternehmen, in ein nettes Gebiet mit interessanten überhängenden Felsvorsprüngen, gut erreichbar vom gängigen Weg aus.

Nachdem die beiden am folgenden Morgen gestartet waren und schliesslich mühsam den Gipfel erreicht hatten, zögerte Pendragona den Abstieg so lange hinaus, bis es dunkel geworden war, ging voran, wies mit der Taschenlampe an den Wegesrand, auf ein paar seltene Gesteinsbrocken, liess ihn diese genauer untersuchen und beförderte ihren im nächsten Augenblick schon als Ex-Mann zu bezeichnenden Ehegemahl mit einem kurzen starken Stoss und ebensolchem Tritt ins Jenseits. Dann ging sie zufrieden heim.

2

Zwei Tage später, als Pendragona gerade dabei war, zuhause ein paar von Hansens Sachen wegzuräumen, läutete es an der Tür. Als sie öffnete, lehnte ein Typ an der Seitenwand, in einen grauschwarzen Wollmantel gehüllt, nicht dazupassende khakifarbene Militärhosen mit mehreren Seitentaschen darunter, schicke Lederschuhe in Schwarz an den Füssen, die weder mit dem Mantel noch mit der Hose harmonierten, und starrte sie gehässig an.

Seine schwarzen Locken ringelten sich um sein fein gemeisseltes Gesicht mit den dunklen spritzigen Augen. Sein Mund, eigentlich sinnlich geschwungen, war jetzt verkniffen mit fest aufeinander gepressten Lippen.

«Ja? Was wollen Sie?», fuhr ihn Pendragona böse an.

«Kriminalpolizei. Kapitaldelikte. Lapiedra. Ich möchte Ihnen ein paar Fragen stellen.» Er zückte seinen Dienstausweis.

«Was sie nicht sagen.» Sie würdigte das Plastikkärtchen keines Blickes und blieb mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen stehen.

Er begann mit den Füssen zu scharren, räusperte sich und wiederholte sein nicht besonders beeindruckendes Anliegen.

Sie liess ihn gnädig ein.

«Grüntee?»

«Ja gerne.» Er drückte sich schräg in die Sofaecke, sie setzte sich entspannt in die Mitte, während sie ihre Füsse auf das abgewetzte Tischchen davor stellte. Er streifte kurz mit dem Blick ihre nackten Beine unter dem schwarz-rot gestreiften Minijupe, bekam eine halbe Sekunde lang einen erhitzten Gesichtsausdruck, kontrollierte sich sofort wieder und begann mit seinem Interview.

«Hans Rabenstock ist ihr Ehemann?»

«Was macht einer mit spanischem Namen bei der Schweizer Polizei?»

«Ich bin eingebürgert.»

«Sie waren Asylant?»

«Nein. Meine Grosseltern arbeiteten schon hier, als ich noch nicht einmal geboren war», kam es gepresst zwischen den Zähnen hervor. «Ist Hans Rabenstock ihr Ehemann?»

«War.»

«Sie wissen, dass er tot ist?»

«Aber sicher, ich stand ja daneben, als er vom Felsen abstürzte.»

«Wieso haben Sie das nicht bei der Polizei gemeldet?»

«Ach, ich dachte, die werden ihn auch alleine finden.»

«Haben wir», tönte es knurrig. «Wieso ist er gestürzt?»

«Ich nehme an, er hat einen Schritt zu viel gemacht und ist abgerutscht. Er wollte unbedingt noch den Sonnenuntergang auf dem Berg erleben, darum war es schon dunkel beim Abstieg.»

«Aha. Wie nah standen Sie bei ihm, als es passierte?»

«Vielleicht einen Schritt entfernt. Ich hatte ihm den Rücken zugekehrt.»

«Aha. Sie konnten es also nicht kommen sehen?»

«Nein. Wie denn?»

«Na gut. Fürs Erste habe ich keine Fragen mehr.»

Sie begleitete ihn zur Tür. Im Türrahmen drehte er sich nochmals zu ihr um, funkelte sie erzürnt an, machte einen drohenden Schritt auf sie zu und sagte: «Ich komme wieder.»

Sie lächelte spöttisch zu ihm auf, machte ebenfalls einen Schritt auf ihn zu, sodass sie seinen Duft nach Rauch in den Haaren riechen konnte und sprach mit gelassener Stimme: «Aber gern doch.»

Er verzog seinen Mund ärgerlich, drehte sich zackig um und ging.

Sie schloss leise kichernd ihre Türe.

3

Am folgenden Abend ging Pendragona in ein Konzert. Sie sauste auf ihrem Velo Richtung Volkshaus, stieg am Trottoirrand ab und wollte das Fahrrad friedlich nach vorne zu einem Velobügel schieben.

Plötzlich sprang ein schwarzhaariger Schwarzgekleideter mit Handy am Ohr aus dem Nichts und hörte bei ihrem Anblick auf zu sprechen. Raum und Zeit waren nicht mehr existent und irgendwo in der Herzgegend knallte es.

Pendragona schob ihr Velo heftig zitternd weiter, schloss es unter zweimaligem Schlüsselrunterfallen endlich ab und torkelte auf die Haupttüre zu.

Als sie auf dem Weg dorthin einen Blick im Rücken spürte und sich umdrehte, blickte sie in die schlitzohrig lachenden Augen des Band-Schlagzeugers der Gruppe, die sie bald hören würde, der augenscheinlich ausgeschickt wurde, um zu prüfen, ob sie auch wirklich ins Konzert wollte.

 

Der Nicht-ins-Handy-sprech-Typ lehnte sich immer wieder aus einer Seitentüre, um nach Pendragona zu schauen, die lesend und gelegentlich aufschauend am Eingang Schlange stand.

Als die Türe endlich aufging, rannte sie an die vorderste Front und erhaschte noch den letzten Stehplatz, genau vor dem Bass.

Leider befand sich zwischen dem Metallgestell, an das sie sich anlehnte, und der Bühne ein guter Meter Abstand.

Irgendwie fehl am Platz an solch einem alternativen Ort.

Nach einer etwas verkaterten Vorband traten sie auf, die französische Punk-Rock-Band mit den politisch-poetischen Texten.

Und wer begab sich nach vorne ans Mikrophon? Der Handy-Typ. Das war also der Sänger gewesen? Hatte sie das vorhin verdrängt? Den Schlagzeuger hatte sie doch auch erkannt.

Auf alle Fälle sah er sich kurz das Publikum an, fand sie nicht in der Menge und verzog seinen schönen Mund verbittert.

Kaum hatte sie gedacht, ob er eigentlich blind sei, riss er sich zusammen, blickte jede einzelne Person von links nach rechts in der ersten Reihe genau an, entdeckte sie endlich, schoss einen Blitzblick auf sie ab, schloss die Augen mit seligem Lächeln im Gesicht und begann zu singen.

Immer wieder hüpfte er dem Bassisten genau vor die Nase, um in Pendragonas Augen zu versinken, bis der arme Verdeckte ihm und Pendragona so böse Blicke zuwarf, dass diese Hüpferei wieder eingestellt werden musste.

Pendragona fühlte sich wie im siebten Himmel und radelte dann schluchzend nachhause, weil sie wusste, dass sie ihn nie wieder sehen würde. Trotzdem schrieb sie ihm einen langen Brief an die Adresse des Schlagzeugers, welche sie auf der neuesten CD beziehungsweise im Internet fand.

Anstatt einer Antwort von ihrer grossen Liebe erhielt sie im Traum von einer blonden vollbusigen Französin die unfreundliche Aufforderung, deren Freund gefälligst in Ruhe zu lassen.

Natürlich dachte Pendragona trotzdem noch einen ganzen Monat bittersüss an ihn, während sie seine Musik in ihren Ohren hämmern liess und seinen von ihr geträumten Kosenamen vor sich hinflüsterte, «chat rouge».

4

Nach einer hauptsächlich dem Entsorgen von Hansens Hausrat gewidmeten Woche, beschloss Pendragona, für ein, zwei Tage in Urlaub zu fahren. Natürlich meldete sie Herrn «Kriminalpolizei. Kapitaldelikte. Lapiedra.» nichts davon.

Was für eine Wohltat, die Welt und sich selber von diesem Langweiler Hans befreit zu sehen. Die lähmenden Ausdünstungen seines zubetonierten Geistes hatten ihr wie einer Fliege im Spinnennetz langsam, aber sicher, den Lebensatem abgesaugt. Jetzt konnte sie ihre Lungen wieder füllen, mit Kraft und Erneuerung.

Sie wollte in die Alpen, in die Einsamkeit, in die tiefen schattigen Wälder, fernab von allem Menschlichen.

Sie liess also Eisenbahn, Gondelbahn, Alprestaurant und gekennzeichnete Wanderwege hinter sich und streifte lautlos auf schmalen Wildwechseln durch die nach Harz duftenden Baumwelten, durchquerte absolut stille Lichtungen, umrundete verwunschene, zum Innehalten einladende Weiher in sumpfiger Einfassung und erreichte vor der Dämmerung eine Höhle.

Sie legte ihren Rucksack ab und ging wieder nach draussen, um Brennholz zu suchen.

In der Höhle zurück, brach sie kleine Ästchen von den grösseren ab, stellte diese aneinander gelehnt auf, entzündete sie und legte die grösseren darüber.

Nicht, dass sie damit kochen wollte. Das Feuer diente nur der Wärme.

Als es langsam gemütlich wurde in der kleinen Höhle, packte sie ein paar belegte Brote mit Sesam aus und einen Thermos Grüntee.

Gerade, als sie den ersten Bissen im Mund genüsslich kauen wollte, ertönte hinter ihr eine tiefe Stimme aus dem Nichts: «Ein Glas Wein gefällig?»

Sie schluckte den Bissen ungekaut hinunter, während sie in einem Schwung aufsprang, zum Kampf bereit.

Was sie erblickte, war ein Paar lächelnde Augen, welche in ihren ein ganz eigenes Echo auslösten. Sie setzte sich wieder hin, da sie diese grosse Person für ungefährlich hielt.

«Sind Sie der Förster?», wollte sie streng wissen.

«Oh nein», antwortete er charmant, «ich bin der Räuber».

«Aha. Bitte», lud sie ihn mit einer auffordernden Geste zum Sitzen ein. Sein langer schwarzer Ledermantel schwang ihm leicht um die langen Beine, als er sich glücklich niederliess.

Pendragona schaute immer noch missmutig, als er den Wein einschenkte und ihr ein Glas reichte. Sie schnupperte misstrauisch daran und nippte dann kurz.

Während sie ihn beobachtete, wie er da mit grossen, im Feuerschein schillernden Augen über sein Glas hinweg himmelte, eine grosse Hand in seinen borstigen Wollknäueln von Haaren, fragte sie zweifelnd: «Räuber? Was rauben Sie denn so?»

«Ach, ich raube dem Land die Rechtsextremen.»

«Will heissen?»

«Na ja, ich lauere ihnen auf, den Jungen in ihren Bomberjacken und den Alten mit ihren Jagdgewehren, brate ihnen eins über und rolle sie einen Abhang hinunter.

Damit es so aussieht, als wäre ihnen ein grosser Brocken Stein auf den Kopf gefallen, rolle ich noch etliche davon hinterher.»

«Aha.» Er wurde ihr immer sympathischer.

«Wie heissen Sie?», fragte er sanft.

«Pendragona. Und Sie?»

«Nennen Sie mich Donostia, das ist der baskische Name für San Sebastián, ein Städtchen mit Kampfgeist.»

«Wo hatten Sie sich eigentlich vorher versteckt?»

«Na, in der anschliessenden Höhle hinter diesem Vorsprung dort. Übrigens nett eingerichtet», winkte er mit einem ganzen Gartenzaun.

Die leichte Wellenbewegung, die von ihrem Becken in ihre Füsse strömte, nahm er mit einem glitzernden Blick zur Kenntnis.

«Darf ich Sie einladen, dorthin?»

«Ja.» Sie bemühte sich, neutral und gelassen zu tönen, hatte aber ihre Mühe dabei.

Sie löschten das Feuer, schlüpften durch eine schmale Öffnung im Felsen, und Donostia verankerte eine von Eisenscharnieren gehaltene und mit Gummi eingefasste Steinplatte so im Fels, dass die Enden dicht anschlossen.

Das Erste, was ihr auffiel, war ein Knüppel, aus Holz gefertigt, mit einem Griff aus Metall, der seltsam weit aus dem Holz herausragte. Als sie näher trat, sah sie, dass das Metall nicht alleine den Griff ausmachte, sondern eine momentan aus dem Holz herausgezogene Eisenstange war.

«Handlich», meinte sie trocken.

«Eigenkonstruktion», betonte er überflüssigerweise.

In einer Ecke stand ein Kohlebecken auf einem Dreibein aus Messing, welches angenehme Wärme verbreitete.

Auf dem Boden lagen farbenfrohe Wollteppiche und an den Wänden hingen gemusterte Tücher. Ein Gestell mit Schubladen, ein Tisch mit einem Stuhl und ein Bettrost, alles aus hellem Holz, sowie eine dicke Matratze auf dem Rost schmückten die Höhle.

Hinter einem neuerlichen Vorsprung plätscherte Wasser über eine Felskante, welches in einer Spalte gegenüber verschwand. Neben dem Wasserfall stand eine bestückte Seifenschale und ein Shampoo, neben dem Abfluss ein Desinfektionsmittel und eine WC-Bürste. Dort war dann wohl kauern angesagt, so wie in manchen Autobahnklos.

Auf Bodenhöhe befand sich eine Öffnung im Gestein, die von Menschenhand gemacht schien. Auf alle Fälle liess sie Sauerstoff und ein bisschen Licht herein.

Pendragona drehte sich beeindruckt um die eigene Achse, während Donostia verlegen auf den Boden schaute.

«Wollen wir uns setzen?», schlug er vor.

Sie setzten sich aufs Bett und tranken mehr Wein, während Pendragonas Kribbeln sogar im Kerzenschein sichtbar wurde. Donostia sass auf dem Bett und rührte keinen Finger, schaute nur, wartete.

Ihre Finger zuckten und strichen schliesslich sanft über seine Lippen, gleiteten in seinen Mund und liessen sich von seiner Zunge liebkosen. Er nahm ihre Hand in seine und küsste ihren Mund, wobei er ihren Hals mit der anderen Hand streichelte.

Die Kleider landeten eins nach dem anderen auf dem Boden, Haut wurde mit dem Mund erforscht, mit den Fingerkuppen erspürt, Worte ins Ohr geflüstert. In einem Sternenmeer badend verschmolzen Körper und Seelen, als ob sie sich wiedererkannt hätten, nach einer langen Reise der Einsamkeit.

«Ich muss gehen», sprach Pendragona leise in die Decken und machte Anstalten aufzustehen. Ihre Uhr zeigte sieben Uhr, vermutlich morgens.

«Die Gondelbahn fährt heute aber nicht», tönte es versuchsweise zurück.

«Ich komme ja wieder, mein Süsser», lachte sie.

«Ach so, na gut, eigentlich fährt die Gondelbahn heute doch.»

Pendragona löste sich aus dem festen Griff Donostias, zog sich an, nötigte ihn, ihr die Felsentüre zu öffnen, was er äusserst widerwillig tat, und gab ihm einen langen Abschiedskuss.

«Ich könnte mich aufs Entführen verlegen», kam es rau von Donostia.

«Und wer erlöst uns dann von den Rechten?»

«Na gut, ich könnte beides machen.»

«Überfordere dich nicht.»

«O.K. Wann kommst du wieder?»

«Wenn der Mond wieder so steht wie jetzt.»

«So lange noch.»

«Du hast ja Arbeit.»

«Vielleicht», tönte es unlustig.

Sie gab ihm noch einen langen Kuss und hüpfte dann endgültig davon.

Zuhause angekommen, liess sie sich ein heisses schaumiges Bad einlaufen und schwelgte dann darin, bis sie fast einschlief. Dann kochte sie sich Gemüse-Spaghetti und ging früh zu Bett.

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