Weiterbildung an Hochschulen

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Zusammenarbeit und Transparenz

Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Trägern der Weiterbildung sollte verbessert werden, damit diese ihre gemeinsamen Interessen gegenüber den übrigen Bildungsbereichen und staatlichen Organen besser vertreten können. Entsprechend wäre es von Vorteil, wenn Vertreterinnen und Vertreter aller Hochschultypen (Universitäten, eidg. Technische Hochschulen, Fachhochschulen, Pädagogische Hochschulen) ihre Anliegen koordinieren und gegenüber den Organen des HFKG gemeinsam auftreten könnten. Der SVEB strebt seinerseits eine bessere Vernetzung der gesamten Weiterbildung in Form einer Weiterbildungskonferenz an, die den Dialog zwischen den Weiterbildungsakteuren (Fachverbände, Netzwerke) und den Sozialpartnern sowie Bund und Kantonen intensiviert. Weiterbildungsforschung und -entwicklung müssten im Rahmen der Ressortforschung des Bundes gefördert werden. Die neuen gesetzlichen Rahmenbedingungen – HFKG und WeBiG – bieten Bund und Kantonen sowie privaten Akteuren die Möglichkeit, Schwächen im System zu erkennen und neue Entwicklungen einzuleiten. Das setzt allerdings voraus, dass der Bund die unterschiedlichen Akteure einberuft und einen gemeinsamen Dialog initiiert.

Nötig ist vor allem eine sachliche Auseinandersetzung mit Fragen, die alle Akteure betreffen. Beobachtet man die bisherige Entwicklung, so stellt man fest, dass die verschiedenen Akteure der Weiterbildung sich oft gegenseitig kritisieren und Wettbewerbsverzerrungen vermuten, ohne darüber informiert zu sein, was effektiv zu welchen Bedingungen auf dem Weiterbildungsmarkt angeboten wird. Eine erhöhte Transparenz und eine bessere Datenlage könnten zu einer sachlicheren Diskussion führen. Das käme nicht nur dem Weiterbildungsmarkt im Sinne einer besseren Abstimmung der Akteure zugute, sondern auch den Teilnehmenden, für die es ebenfalls schwierig ist, sich im Angebot zu orientieren.

Hilfreich wäre außerdem ein Vergleich von verschiedenen Niveaus in der Weiterbildung. So existiert beispielsweise eine Fülle an Führungsseminaren und Lehrgängen, die für Arbeitgeber kaum einzuschätzen sind. Aus diesem Angebot eine für die eigenen Mitarbeitenden passende Weiterbildung zu wählen, ist ein schwieriges Unterfangen. Die Effizienz des Weiterbildungssystems könnte wesentlich gesteigert werden, wenn es gelänge, die Transparenz bezüglich der Anforderungen, Ziele und Programme zu erhöhen, den modularen Aufbau der Angebote zu fördern (was auch die Validierung von Kompetenzen erleichtern würde, siehe Kraus & Schmid in diesem Band) und ein Beratungssystem (vgl. Schlüter & Schilling in diesem Band) aufzubauen.

Absprachen zwischen den verschiedenen Trägern und Ämtern sind nur bedingt möglich. Entscheidend sind letztlich die Bedürfnisse der Teilnehmenden. Sie stehen beispielsweise vor folgenden Fragen: Wie viel von ihrem persönlichen Budget können und wollen sie investieren? Werden sie vom Arbeitgeber/von der Arbeitgeberin unterstützt? Wie sollen sie aus dem unübersichtlichen, vielfältigen Angebot das für sie Passende auswählen? Wie können sie sicher sein, dass die gewählte Weiterbildung auf dem Arbeitsmarkt anerkannt ist?

Forschungsbedarf

Der Mangel an Lehrstühlen für Weiterbildung bringt es mit sich, dass in der Schweiz wenig forschungsbasiertes Wissen für diesen Bereich, auch bezüglich Hochschulweiterbildung, zur Verfügung steht. Ungelöst ist auch trotz WeBiG das Problem der ungenügenden statistischen Datenlage zur Weiterbildung. Mit Ausnahme des Mikrozensus Aus- und Weiterbildung (BFS 2016) und der Betriebsbefragung (BFS 2011) führt der Bund keine systematischen Erhebungen zur Weiterbildung durch. So fehlen auch repräsentative Daten zu den Strukturen und Weiterbildungsanbietern.

Der Bedarf an Weiterbildungsforschung wird in den nächsten Jahren weiter ansteigen. Der Bund sollte für eine bessere Datenbasis sorgen. Priorität wird das Steuerungswissen haben, das zur Entwicklung des Weiterbildungsbereichs benötigt wird, darunter eine repräsentative Anbieterstatistik für den gesamten non-formalen Bereich inklusive Hochschulweiterbildung, die nachfrageorientierte Finanzierung, die Entwicklung bei den Abschlüssen inklusive CAS/DAS/MAS sowie die Einordnung von Weiterbildungsabschlüssen in ein Niveausystem. Erschwerend ist hier, dass die Hochschulen bisher nicht bereit waren, sich mit ihren Weiterbildungsangeboten im non-formalen Bereich zu verorten. So wollen sie ihre non-formalen Abschlüsse beispielsweise in den für formale Abschlüsse konzipierten Qualifikationsrahmen der Hochschulen und nicht in den NQR einordnen. Zukünftig braucht es Überlegungen zur Frage, wie das in der Schweiz entwickelte und im Ausland kaum bekannte System von CAS/DAS/MAS international positioniert werden kann. Ähnliche Fragen stellen sich bezüglich der Einordnung von Branchen- und Verbandszertifikaten in den NQR.

Als kleines Land ist die Schweiz auf internationale Kooperationen angewiesen. Bisher mangelt es bei den Schweizer Hochschulen an Forschungsressourcen in diesem Bereich. Umso erfreulicher ist es, dass die Pädagogische Hochschule der Fachhochschule Nordwestschweiz (PH FHNW) und die Pädagogische Hochschule Zürich (PH Zürich) je eine Professur eingerichtet haben, um die wissenschaftliche Reflexion zur Weiterbildung in der Schweiz voranzutreiben.

Literatur

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Erik Haberzeth Wissenschaftliches Wissen und berufliche Erfahrung vermitteln Herausforderung einer wissenschaftlichen Weiterbildung

Die Weiterbildung durch Hochschulen kann als ein besonderer Typ von Weiterbildung begriffen werden, der nicht nur über eine rein formale institutionelle Zuordnung definiert ist (sprich: in Verantwortung der Hochschulen), sondern der sich auch durch ein bestimmtes inhaltliches, wissenschaftliches Anspruchsniveau auszeichnet. Es geht um die Nutzung und Thematisierung wissenschaftlicher Wissensbestände als Inhalte in Lernangeboten. Gleichzeitig zählen Praxisrelevanz und der Problembezug zu den zentralen Leitprinzipien hochschulischer Weiterbildung, also eine Orientierung der Angebote an den (beruflichen) Handlungsproblemen und dem (beruflichen) Erfahrungswissen, den Erwartungen und Interessen ihrer Adressatinnen und Adressaten. Wittpoth (1990, S. 31) bezeichnet das Praxisfeld wissenschaftlicher Weiterbildung als »Nahtstelle« zwischen den beiden Rationalitätsformen des wissenschaftlichen Wissens und der berufspraktischen Erfahrungen und Erwartungen. Während »die Praxis« legitime Ansprüche an konkrete Lösungen für berufliche Herausforderungen stellt, die auch unter Handlungsdruck funktionieren, gehören zur wissenschaftlichen Logik eine kritische Einstellung und Distanz: Grundlegende Handlungsprämissen werden problematisiert, und ihre Gültigkeit wird hinterfragt, naheliegende Lösungen werden nicht unbedingt akzeptiert, sondern alternative Interpretationen gesucht, ein breiterer Erklärungshorizont wird aufgespannt.

Für eine Didaktik wissenschaftlicher Weiterbildung deutet sich in dem Anspruch, wissenschaftliches Wissen und (berufs-)praktisches Erfahrungswissen zu vermitteln, ein Spannungsfeld und eine Herausforderung für die Lehrtätigkeit an: Wie kann der Umgang mit grundsätzlich divergierenden Rationalitätsformen von Wissen von den Lehrkräften gestaltet werden? Wie Lehrkräfte real mit dieser Vermittlungsaufgabe umgehen, ist empirisch bislang kaum untersucht worden – auch nicht in dem dafür eigentlich prädestinierten Feld wissenschaftlicher Weiterbildung (Ausnahme z. B. Heufers & El-Mafaalani 2011).

In diesem Beitrag wird auf der Grundlage einer eigenen empirischen Erhebung im Feld der Weiterbildung für Weiterbildner (vgl. Haberzeth 2009, 2010), in der Lehrkräfte zu ihrer Kurs- und Seminarplanung und im Besonderen zu ihrem Umgang mit Wissen qualitativ interviewt wurden, die Frage diskutiert, wie Lehrkräfte mit dieser Vermittlungsaufgabe angemessen umgehen können und welche Reflexionskategorien hierfür zur Verfügung stehen. Vorgeschlagen wird die Perspektive einer reflexiven Wissensvermittlung, die jenseits einfacher und unterkomplexer Gegenüberstellungen von Theorie und Praxis reflexive Anforderungen an die didaktische Deutungsfähigkeit und das Handeln der Lehrkräfte stellt.

Charakter wissenschaftlicher Weiterbildung

In einer konzeptionell-programmatischen Perspektive ist die Frage, was das Spezifische der Weiterbildung durch Hochschulen ist, anders zu beantworten als in einer praktisch-empirischen – wie Jürgen Wittpoth festhält. Mit Blick auf die Angebote der Hochschulen sei es, so Wittpoth, oftmals schwierig, einen Unterschied zu den Angeboten anderer Anbieter zu erkennen. Es habe sich auch in diesem Segment eine Nachfrageorientierung durchgesetzt, wonach das angeboten werde, was die Adressaten oder der Markt goutiere (vgl. Wittpoth 2005, S. 17).

Konzeptionell-programmatisch hingegen haben die Angebote der wissenschaftlichen Weiterbildung einen engen Wissenschaftsbezug. In ihnen wird wissenschaftliches Wissen angeboten, welchem aufgrund einer besonderen Reflexivität sowie Begriffs- und Methodenstrenge ein gehobener Wahrheitsanspruch zukommt. In von Hochschulen praktizierter Weiterbildung geht es »um Perspektiven und Inhalte, die sich im wissenschaftlichen Diskurs zu bewähren haben« (Wittpoth 2005, S. 17). Während in berufspraktischen, handlungsorientierten Diskursen eher ein instrumenteller Blick vorherrscht, also danach gefragt wird, wie etwas – eine berufliche Aufgabe, Problemstellung etc. – zum besseren Funktionieren gebracht werden kann, zeichnet sich der wissenschaftliche Diskurs idealiter eher durch Reflexivität aus: Zwar kann es auch hier um »Lösungen« für Probleme gehen, aber zunächst werden diese Probleme selbst problematisiert, es wird gefragt, ob etwas überhaupt funktionieren kann, warum dies so ist und welche (auch unerwünschten) Effekte bei Lösungsversuchen eintreten können. Dieser »Eigensinn« wissenschaftlicher Weiterbildung macht letztlich das Aufklärungs- und Innovationspotenzial dieses Weiterbildungstyps aus (vgl. Wittpoth 2005, S. 18).

Fließende Übergänge zwischen Theorie und Praxis

Gleichzeitig wäre eine dichotome, starre Gegenüberstellung von Wissenschaft/Theorie und Praxis/Erfahrung unterkomplex und nicht weiterführend (worauf auch Wittpoth verweist) – schon gar nicht für die didaktische Frage, wie Lehrkräfte mit der Vermittlungsaufgabe umgehen. Auf Systemebene zeigt sich einerseits, dass wissenschaftliches Wissen keinesfalls ausschließlich in Hochschulen oder Forschungseinrichtungen produziert wird (vgl. Faulstich 2015). Auch Unternehmen oder Bildungsanbieter sind zum Beispiel über die Beteiligung an Projekten in die Wissenschaftserzeugung einbezogen. Hochschulen sind nicht mehr ausschließlich die »Theoretiker« der Erzeugung von Wissen. Zudem bauen »Praktiker« selbst ein Erfahrungswissen und Kompetenzen auf, die externen Beobachtern oft unzugänglich bleiben, aber wertvoll sind, weil sie verallgemeinerbares, abstrahiertes wissenschaftliches Wissen kontextbezogen konkretisieren und fundieren können.

Andererseits ist die Wissenschaft sich selbst gegenüber viel umfassender reflexiv geworden. Sie macht sich selbst zum Gegenstand und erkennt die Vorläufigkeit und auch Interessengebundenheit ihrer »Befunde« (vgl. Faulstich 2015, S. 9). Es geht zwar immer noch um Wahrheit als Anspruch, aber was als Wahrheit zu gelten hat und wie man dazu kommt, ist höchst umstritten. Lineare Fortschrittsmodelle erweisen sich als Trugschluss. Zudem würde es fehlleiten, eine Einheitlichkeit von Wissenschaft zu unterstellen. Sicherlich besteht eine Einigkeit über übergreifende Anforderungen an Wissenschaft wie Transparenz, Begriffsklarheit und Nachvollziehbarkeit. Aber schon die Frage, wie diese Prinzipien konkret ausgelegt werden, ist wissenschaftlich umstritten. An der Nahtstelle wissenschaftlicher Weiterbildung treffen also nicht zwei abgrenzbare Blöcke – Theorie versus Praxis – aufeinander, sondern es ist von einer wechselseitigen Durchdringung und entsprechend von einem Kontinuum auszugehen, das die jeweilige Differenziertheit von Theorie und Praxis sichtbar und Übergänge deutlich werden lässt. Zudem ist die Differenz von Wissenschaftswissen und praktischem Erfahrungswissen nicht hierarchisch, sondern qualitativ zu denken.

Differenzierung von Wissensformen

In Hinblick auf didaktisches Handeln kann es trotzdem sinnvoll sein, analytisch unterschiedliche Wissensformen zu unterscheiden, um deren jeweilige prinzipielle Leistungsfähigkeit, aber auch deren Grenzen in den Blick zu bekommen (vgl. z. B. Dewe 1986; Keiner 1999). Es lassen sich drei Formen des Wissens unterscheiden und anhand unterschiedlicher Aspekte wie Funktion, Struktur, Begründung, Bezugskriterien, Leistungen und Grenzen näher kennzeichnen (vgl. Abb. 1).


Abbildung 1: Formen des Wissens (nach Vogel 1999 und Haberzeth 2010, S. 59)

Demnach dient Alltagswissen der Bewältigung von alltäglichen Problemen und Routineangelegenheiten (z. B. Erziehung durch Eltern), ist unsystematisch und zusammenhangslos, muss sich vor allem in der Praxis bewähren und hat seine Grenzen bei Krisen alltäglichen Handelns. Professionswissen beschreibt Wissen, das vorausgesetzt ist, um in einem Beruf kompetent handeln zu können. Es entspricht insbesondere dem Konsens über professionell übliche und anerkannte Verfahren, auch wenn diese von der Wissenschaft möglicherweise problematisiert werden. Wissenschaftliches Wissen zielt auf eine systematische Erfassung eines Gegenstandsbereichs (z. B. Recht, Politik) und baut dazu einen systematischen Zusammenhang von Wissensbeständen auf. Konstitutiv ist der Wahrheitsbezug, ungeachtet praktischer Verwertungsmöglichkeiten. Diese Wissensform hat zwar einen höheren Gewissheitsgrad, weil sie methodisch kontrolliert erzeugt wird, gleichzeitig ist sie aber auch unsicherer, weil sie immer wieder infrage gestellt und revidiert wird. Dabei sind die Grenzen zwischen den Wissensformen keinesfalls scharf, und es lassen sich Durchdringungen feststellen: So ist zum Beispiel wissenschaftliches Wissen übergreifend von Belang. Alltagswissen ist zum Teil schon wissenschaftssprachlich gefasst und von Versatzstücken wissenschaftlichen Wissens durchdrungen. Und berufliches Handeln in modernen Berufen ist auch gekennzeichnet durch Bezüge auf Wissenschaftswissen.

Eine solche analytische Unterscheidung kann dabei helfen, spezifische Leistungen von Wissensformen in den Blick zu bekommen: Im beruflichen Handeln bauen sich professionelles Erfahrungswissen und Kompetenzen auf, die Handlungsfähigkeit auch unter Druck und in komplexen beruflichen Situationen ermöglichen. Sie basieren auf vielfältigen, nicht nur kognitiven, sondern auch sinnlichen und emotionalen Erfahrungen. Eine solche Erfahrungsmöglichkeit bleibt externen wissenschaftlichen Beobachtern zumeist verschlossen. Von daher kann professionelles Erfahrungswissen verallgemeinertes, abstraktes wissenschaftliches Wissen kontextbezogen konkretisieren und fundieren sowie reflexive Handlungsfähigkeit in komplexen Situationen sichern.

Wissenschaftswissen bietet dagegen vor allem das Potenzial, Selbstverständlichkeiten des beruflichen Handelns zu hinterfragen und als Nicht-Selbstverständlichkeiten aufzudecken. Seine zentrale Funktion für die Berufstätigkeit ist, »die professionellen Standards, Beurteilungsschemata, Relevanzkriterien als nicht-selbstverständliche beurteilen und diskutieren zu können« (Vogel 1999, S. 39). Zudem könne nach Wittpoth (1997) wissenschaftliches Wissen Irritationen auslösen und als Ressource genutzt werden, als ein »Spiegel«, in dem man »die von sich selbst gezeichneten Bilder kontrollieren kann« (ebd., S. 63). Gerade dann, wenn »eingeschliffene Deutungsmuster ins Leere laufen«, wenn der Alltag zum Problem werde, könne Wissenschaftswissen eine aufklärende Funktion haben und Erklärungsangebote dafür liefern, warum das berufliche Handeln nicht gelinge.