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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 1

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Fing er an, auf seine alten Tage weich zu werden? Mitleid?

Nein, das war es nicht. Dieser unbeugsame Riese brauchte kein Mitleid, der nicht. Der würde höchstens in seiner unnachahmlichen Art amüsiert lächeln.

Was war es dann? Verdammt, was war es?

Und als Carberry es begriff, verfluchte er sich, darüber nachgedacht zu haben. Denn er hatte begriffen, daß für diesen Mann, den sie Seewolf nannten, andere Gesetze galten. Das Zuchtmittel mit der Neunschwänzigen war völlig sinnlos. Ja, genau das war es, es war sinnlos. Genausogut konnte man versuchen, einen Sturm mit einer Muskete aufhalten zu wollen. Auch der Sturm folgte seinen eigenen Gesetzen. Sturm war etwas, vor dem Carberry den gebührenden Respekt des gesalzenen Seemanns hatte, Respekt und Achtung. Man konnte mit ihm kämpfen, aber man mußte höllisch aufpassen.

Und dieser Seewolf war wie ein Sturm.

„Gehen wir“, sagte Hasard lächelnd – so, als gelte es, zu einem verrückten Tanz in einer Schenke aufzuspielen.

Der Profoß nickte und marschierte hinter dem Riesen her, der gebückt – um nicht an die Decksbalken zu stoßen – und dennoch geschmeidig voranging, vorbei an den sechs anderen Männern, die ihre Öllampen hochhielten und sich dann anschlossen.

Hasard enterte den Niedergang hoch und trat an Oberdeck. Geblendet schloß er die Augen. Das Wasser glitzerte und spiegelte Milliarden Lichtreflexe. Eine sanfte Dünung wiegte sich unter einem beständigen Nordwest, der die „Marygold“ mit Backstagsbrise über Backbordbug liegend unaufhaltsam nach Süden schob. Die Sonne, ein flammender Ball, stand im Südosten und bewegte sich auf den Mittag zu.

Hasard atmete tief durch, roch in den Wind und reckte sich auf. Ja, das war die salzige See – gestern von tobender, elementarer Zerstörungswut und heute ein sanftes Liebkosen. Eine Möwe segelte mit schrillem Schrei über das Schiff, ließ sich mit ausgebreiteten Schwingen treiben und äugte nach unten. Hasard sah ihr mit zusammengekniffenen Augen nach und beneidete sie, wie sie in die Sonne hochstieg, immer weiter, bis sie in der gelbflammenden Glut nicht mehr zu erkennen war.

Sie hatten alle Segel gesetzt: vorn unter dem Bugspriet die Blinde, am Vormast Fock und Vormarssegel, am Großmast Großsegel und Großmarssegel und am Besanmast das fast dreieckig geschnittene Lateinersegel mit der riesigen Gaffel.

Auf dem Deck des Achterkastells standen mehrere Gentlemen und starrten zu ihm hinüber. Unter ihnen auf der Kuhl, dem Deck zwischen Großmast und Vormast, drängte sich die Besatzung.

Auf der Steuerbordseite bei den Hauptwanten lauerte Gordon Brown, die Neunschwänzige in der Rechten, ein schmieriges, gemeines Grinsen im Gesicht.

Hasard ging langsam auf ihn zu, den Blick fest auf ihn gerichtet. Hinter sich hörte er den Profoß und die sechs anderen Männer.

„Er ist nicht gefesselt!“ brüllte Gordon Brown entsetzt und wich zurück.

„Auch nicht nötig“, sagte der Profoß hinter Hasard wütend. „Halt’s Maul, du Schreihals!“

Der Seewolf blieb vor Gordon Brown stehen und wartete. Er stand völlig zwanglos und frei, die Beine leicht gespreizt auf dem nach Backbord geneigten Deck. Die sanften Bewegungen des Schiffes balancierte er sich wie immer aus. Sie waren ihm von klein auf vertraut.

Der Profoß stieg den Niedergang zum Achterkastell hoch und blieb vor einem untersetzten, rotbärtigen Mann stehen.

„Der Delinquent ist bereit, Sir“, meldete er.

Der rotbärtige Mann nickte.

„Dann tun Sie Ihre Pflicht, Profoß.“

Hasard starrte zum Achterkastell hoch und glaubte zu träumen.

Dieser untersetzte Mann dort oben mit dem scharfgeschnittenen kühnen Gesicht und den grauen Augen war niemand anderes als Francis Drake, der legendäre Drake, der den machthungrigen Spaniern seinen privaten Krieg erklärt, in der Karibik seine tollkühnen Raids durchgeführt und spanische Schatzschiffe gekapert hatte.

Dort oben stand er und schaute kühl und gelassen auf den Seewolf hinunter.

Hasard hätte sich in den Hintern beißen können, aber er tat etwas anderes, und es durchdrang das ganze Schiff vom Heck bis zum Bug und stieg hoch zu den Segeln und Masttoppen. Er legte den Kopf in den Nacken und schickte eine donnernde Lachsalve auf die Reise. Sie drang von tief unten aus seinem mächtigen Brustkasten und grollte wie eine Sturmflut über das Deck der „Marygold“.

Die Seeleute standen mit glotzenden Augen und verblüfften Gesichtern da.

Francis Drake runzelte die Stirn, wirkte etwas konsterniert und wandte sich an den Profoß.

„Muß das sein, Carberry?“

Der zuckte hilflos mit den Schultern und verstand überhaupt nichts mehr.

„Soll – soll ich ihn mal fragen?“ fragte er lahm.

„Fragen Sie ihn.“

Hasard wischte sich die Tränen aus den Augen und schnappte japsend nach Luft, als der Profoß den Niedergang hinunterstiefelte und sich vor ihm aufbaute.

Dieser lange Kerl gab ihm Rätsel über Rätsel auf. Er blickte hoch in die lachenden blauen Augen und sagte: „Bist du übergeschnappt, was, wie? Sollst die Neunschwänzige kriegen und lachst dich vorher halbtot. Ist das eine Art? Der Kapitän verlangt eine Erklärung – und jetzt laß dir was einfallen, du Himmelhund!“

Hasard deutete eine Verbeugung an und lächelte.

„Meine Empfehlung an Sir Francis Drake, und ich bitte um sein Verständnis. Ich kam nach Plymouth, weil ich gehört hatte, daß der Kapitän Männer braucht. Ich wollte bei ihm anheuern und mich zur Verfügung stellen. Jetzt bin ich bei ihm an Bord, wurde zweimal dafür zusammengeschlagen und stehe noch dazu unter der Anklage wegen versuchter Meuterei!“ Er knuffte dem Profoß die Rechte in die Seite und schrie: „Ist das ein Witz, Profoß, oder ist das keiner?“

Der Mund Carberrys zuckte, wurde breiter, immer breiter, in seine Augen trat ein heiteres Funkeln – und dann lachten die beiden Männer aus vollem Hals und schlugen sich abwechselnd auf die Schultern.

Der nächste, der loskicherte, war Donegal Daniel O’Flynn. Er steckte die anderen an, und die „Marygold“ geriet aus den Fugen, als der Lachchor der Männer einsetzte.

Von allen Schiffen, die auf den Weltmeeren fuhren, war die „Marygold“ in diesen Minuten sicherlich das fröhlichste Schiff, das es je gegeben hatte.

Francis Drake hielt sich den wackelnden Bauch und stöhnte.

Nur einer lachte nicht: Gordon Brown.

Und noch einer – ein dunkler Mann mit dunklen Augen und dunklen Haaren. Er stand gleichgültig zwischen den Seeleuten, denn er war taubstumm und konnte nicht verstehen, warum die anderen lachten und sich wie wildgewordene Affen aufführten.

Als das Gelächter und Lachen verebbte, trat der Kapitän drei Schritte vor und stützte die Hände auf die Schmuckbalustrade, die den Querabschluß des Decks auf dem Achterkastell bildete.

„Das Urteil wird revidiert“, sagte er. In seinen grauen Augen blitzte Heiterkeit. „Fünf Schläge mit der Neunschwänzigen – als Lektion, daß ein Mann sein Ziel gerade und nicht auf Umwegen ansteuern soll.“

„Aye, aye, Sir“, sagte der Profoß. „Aber wenn ich mir eine Bemerkung erlauben darf, Sir, er wollte doch freiwillig in Ihre Dienste ...“

„Tun Sie Ihre Pflicht, Profoß“, sagte der Kapitän knapp.

„Aye, aye, Sir.“

Hasard hatte bereits sein Hemd ausgezogen und es Donegal Daniel O’Flynn zugeworfen.

„Er muß noch gefesselt werden“, nörgelte Gordon Brown.

„Er wird nicht gefesselt!“ fuhr ihn der Profoß an. „Und jetzt bring es hinter dich, du bist doch so wild darauf.“

Hasard drehte sich ruhig zum Steuerbordhauptwanten und legte die Hände auf die Webleine. Sein Rücken war straff und gespannt.

Und Gordon Brown schlug zu. Er hatte die Neunschwänzige mit beiden Händen gepackt und drosch sie mit sadistischer Lust auf den breiten nackten Rücken – gezielt fünfmal auf dieselbe Stelle, die bereits beim zweiten Mal als blutiges Band aufplatzte. Das Blut brachte ihn zur Raserei, und er holte zum sechsten Hieb aus, ein irres Grinsen im Gesicht.

Der Profoß sprang dazwischen und rammte ihn zur Seite.

„Fünf Schläge!“ stieß er hervor. „Und keinen mehr, oder hattest du die Absicht, gegen den Befehl des Kapitäns zu handeln?“

Gordon Brown keuchte und wischte sich über das schweißige Gesicht, das wieder eine Grimasse aus Wut und Haß war.

„Hol Mac Pellew, du Wanze!“ raunzte ihn der Profoß an. „Er soll Salbe und Verbandszeug mitbringen.“

„Etwa für den da?“ maulte Gordon Brown.

Der Profoß ballte seine Rechte. Sein narbiges Gesicht lief dunkelrot an.

Gordon Brown wandte sich rasch um und trottete zur Kombüse. Mac Pellew, Koch auf der „Marygold“, konnte nicht nur Geflügel rupfen, Schweine abstechen, Brei kochen oder Kakalaken jagen. Er war der Feldscher und Bader an Bord, zog Zähne, amputierte Knochen, nähte zerfetzte Hautlappen mit dünnem Kabelgarn und versorgte Verletzte und Kranke. Er war ein Genie – auf seine Art, aber durch und durch grämlich.

Er schlurfte heran, und wie immer hatte sein Gesicht jenen Ausdruck, der verkündete, daß alle Bürde dieser Welt ausschließlich auf seinen Schultern lastete.

Hasard hatte sich längst ein paar Kübel Salzwasser über den Rücken gegossen.

„Salz heilt, was, wie?“ sagte er zu dem Profoß und grinste.

Und der grinste zurück.

5.

Fünf Tage danach war Philip Hasard Killigrews Rücken völlig verheilt. In diesen fünf Tagen war der Mann aus Cornwall, den einige respektvoll „Seewolf“ nannten, Deckältester geworden, das heißt, er war unumschränkter Herrscher über das Schiffsvolk.

Diese Position barg unter Umständen mehr Macht, als sie der Kapitän hatte. Titel und Rang eines Deckältesten waren in keiner Musterrolle vorgesehen, aber auf jedem Schiff gab es im Vordeck einen Mann, der dort das Regiment führte. Allzuoft war es derjenige, der die härtesten Fäuste hatte und sich mit ihnen den nötigen Respekt verschaffte.

 

Der bisherige Deckälteste war ein solcher Mann, aber er hatte kampflos kapituliert. Wer einen Carberry zusammenschlug, gegen den war kein Kraut gewachsen. Smoky – so hieß der Mann – hatte nicht die Absicht, sich die Knochen zerbrechen zu lassen.

Hasard wuchs in die Stellung des Decksältesten hinein, ohne sie angestrebt zu haben. Es ergab sich ganz von selbst. Er verfügte über Autorität, ohne sich dessen bewußt zu sein. Bei den Segelmanövern war er der erste an Deck, in den Wanten kletterte er wie ein Affe – geradezu schwerelos –, und an den Rahen hangelte er sich spielerisch entlang, wenn dies odes jenes klariert werden mußte.

Die Männer auf der „Marygold“ erkannten neidlos an, daß dieser Seewolf der beste Seemann war, dem sie jemals begegnet waren.

Wenn er das Ruder auf seiner Wache übernahm, lief die „Marygold“ wie Samt und Seide. Er hatte ein Gespür für Wind und Welle und steuerte die „Marygold“, als sei sie ein rohes Ei.

Stand er am Ruder – ein Auge auf die Segel gerichtet, das andere auf Kurs und Kompaß, dann blieb hinter dem breiten Heck der „Marygold“ ein Kielwasser zurück, das wie mit dem Lineal gezogen zu sein schien.

Manchmal stiefelte Francis Drake mit auf den Rücken verschränkten Händen auf dem Achterdeck hin und her und warf ab und zu einen nachdenklichen Blick auf den großen Mann am Ruder. Und wenn er die schnurgerade Spur des Kielwassers betrachtete, die sich achteraus in der Unendlichkeit der See verlor, dann nickte er vor sich hin, aber er sagte nichts.

Seit der „Lektion“ hatten sie kaum ein Wort miteinander gewechselt, und Hasard würde den Teufel tun, den Kapitän anzusprechen. Er war dort, wo er hingewollt hatte – Arwenack war ein ferner Traum hinter dem Horizont. Daß er sein Leben nicht als Decksmann beschließen würde, war für Hasard so selbstverständlich wie seine jetzige freiwillige Unterordnung an Bord der „Marygold“.

Nur einmal hatte der Kapitän erwogen, ihn als Gefechtsrudergänger in ’die Musterrolle aufzunehmen. Er hatte das mit Ben Brighton, dem Bootsmann, besprochen, der achtern Wache ging, während der Seewolf am Ruder stand.

„Verzeihung, Sir“, hatte Hasard gesagt, „an den Kanonen oder beim Entern tauge ich bestimmt mehr als am Ruder.“

„Und wo oder bei wem, mein junger Freund, sollten Sie dieses Handwerk gelernt haben?“ hatte Francis Drake gefragt und dabei etwas spöttisch, wie es seine Art war, gelächelt.

„Bei meinem Vater, Sir.“

„Und wer ist Ihr Vater?“

„John Killigrew aus Falmouth, Sir.“

Die spöttische Miene war sehr schnell weggewesen und Überraschung gewichen.

„Etwa Sir John Killigrew von Arwenack?“

„Genau der.“

„Hm.“ Der Kapitän hatte sich geräuspert und noch etwas gesagt, was nun wiederum Hasard in Erstaunen versetzte.

„Merkwürdig“, hatte er gesagt.

Was daran merkwürdig sein sollte, kapierte Hasard nicht, aber er verbiß sich die Frage und war damit zufrieden, daß der Kapitän die Sache mit dem Gefechtsrudergänger auf sich beruhen ließ. Er war wieder schweigend auf dem Achterdeck hin und her marschiert, anscheinend tief in Gedanken versunken.

Am achten Tag nach ihrem Auslaufen aus Plymouth fiel der Mann, der sich an Bord als Kutscher von Sir Anthony Abraham Freemont vorgestellt hatte und so auch allgemein genannt wurde, von der Großsegelrah und klatschte brüllend ins Wasser.

Der Rudergänger hatte nicht aufgepaßt und vergessen, anzuluven, als eine Bö in die Segel gefahren war und die „Marygold“ fast flachgelegt hätte. Sie hatte sich nach Backbord geneigt, und der Kutscher war an der Rah, an der ein Fall klariert werden sollte, entlanggerutscht, hatte sich für einen Augenblick noch an der Rahnock zappelnd festhalten können und war dann wie ein Mehlsack in die Tiefe gestürzt.

Hasard stand nicht am Ruder, er hatte Freiwache und war gerade mit grimmiger Miene damit beschäftigt, einen Riß in der Hose von Donegal Daniel O’Flynn zu nähen.

Als der Schrei ertönte und die „Marygold“ nach Backbord krängte, saß er vor der Kombüse auf einer umgestülpten Pütz.

Dan hatte zugeschaut, um die Bootsmannsnaht zu lernen, mit der Hasard die Hose flickte.

Hasard war mit einem Satz auf den Beinen, mit drei Sprüngen am Schanzkleid, sah den Kutscher mit rudernden Armen nach achtern wegtreiben und jumpte mit einem Hechtsprung über das Schanzkleid ins Wasser.

Hinter ihm an Bord schrillten Kommandos, die Mannschaft der Wache eilte an die Schoten und Brassen, und die „Marygold“ ging hoch an den Wind klar zum Wenden.

Hasard schwamm wie ein Hund, allerding mit abwechselndem Armschlag. Seine Beine schlug er dabei gestreckt auf und ab. Auf diese Art schwamm er bereits seit seinem fünftem Lebensjahr. Von Bord der „Marygold“ sah es aus, als schlängle sich ein planschender Aal durchs Wasser, ein Aal mit zwei Armen, die wirbelnd abwechselnd weit nach vorn griffen und den langen Körper durchs Wasser zogen.

Der Profoß und der Kapitän standen mit offenen Mündern an der Heckgalerie und starrten dem durchs Wasser schießenden Riesen nach, der direkt auf den wild um sich schlagenden Kutscher zusteuerte.

„Wie der schwimmt“, murmelte der Kapitän, „haben Sie so etwas schon mal gesehen, Carberry?“

Der schüttelte den Kopf.

„Nein, Sir. Aber bei dem Seewolf wundert mich nichts mehr.“

„Seewolf?“

„Sie nennen ihn so – seit er vor der ‚Bloody Mary‘ mit Evarts’ Leuten förmlich Ball gespielt hat. Evarts erzählte, dieser Himmelhund habe London-Jack nur mal so eben mit dem kleinen Finger ins Hafenwasser befördert, und mit Tom Smith sei er im Kreis gerannt.

„Im Kreis gerannt?“

Der Profoß nickte.

„Ja, Sir. Er hatte Tom Smith an den Beinen fest im Griff. Dann hat er sich immer schneller im Kreis gedreht und mit Tom Smith alles um sich herum weggesäbelt. Und dann ist ihm Tom Smith aus den Stiefeln gerutscht und davongeflogen – wegen des Schwungs, verstehen Sie, Sir? Da muß soviel Kraft dahintergesteckt haben, daß Tom Smith glatt mit dem Kopf voran durch einen Fensterladen gerast ist …“

„Carberry“, sagte der Kapitän, und seiner Stimme waren die Zweifel anzuhören.

„Bestimmt, Sir, dieser Seewolf ist ein ganz verdammter Satansbraten. Unten in der Vorpiek hat er mir doch glatt einen Augbolzen aus dem Spantholz gewuchtet. Mit dem Ding und der Kette hat er dann die Ratten bearbeitet, da lagen zwei …“

„Carberry“, mahnte der Kapitän. „Was ist denn mit Ihnen los? Bewundern Sie den Mann?“

Der Profoß räusperte sich und starrte über das Wasser. Die „Marygold“ war Überstag gegangen. Die Stimme des Bootsmanns schallte über das Deck.

„Schrickt weg die Schoten, ihr Bastarde – willig, willig, Mann, gib doch lose in den verdammten Tampen, hopp-hopp …“

„Ja“, sagte der Profoß sehr leise, „ich bewundere ihn.“ Er beugte sich weit über die Galerie, um den Mann voraus im Wasser beobachten zu können.

Die „Marygold“ war in einem weiten Bogen herumgeschwungen und segelte raumschots auf die beiden Männer im Wasser zu.

„Na bitte“, sagte er und deutete voraus.

Hasard hatte den Kutscher erreicht, und der schnellte sich gerade wie ein zappelnder Fisch aus dem Wasser, umarmte den Seewolf und verschwand mit ihm unter der Oberfläche. Sekunden später tauchte der Kopf des Seewolfes wieder auf. Er schien nach unten zu greifen, etwas festzuhalten, dann legte er sich auf den Rücken, zog zwischen den Beinen den Kutscher zu sich heran und schob ihn sich auf die Brust.

„So sicher wie ein Säugling an der Mutterbrust“, sagte der Profoß vor sich hin.

Diesmal räusperte sich der Kapitän und verfolgte, wie Hasard den Kutscher mit dem linken Arm festhielt und mit dem rechten rückwärts schwamm – auf die „Marygold“ zu.

„Lassen Sie beidrehen, Profoß“, sagte der Kapitän.

„Aye, aye, Sir.“

Carberry verschwand von der Heckgalerie, raunzte den Rudergänger an, jetzt, verdammt noch mal, Kurs zu halten und brüllte vom Achterkastell Ben Brighton zu, die Segel gegenzubrassen, um das Schiff zum Stehen zu bringen.

Ben Brighton zeigte klar und lüftete seine Decksmannen an, Vor- und Großsegel backzubrassen. Auf diese Weise wurde die Vortriebskraft der Segel aufgehoben, die „Marygold“ verlor an Fahrt und trieb schließlich seitwärts, und zwar so, daß sie Hasard mit dem Kutscher auf ihrer Leeseite hatte.

Hasard schwamm mit dem Kutscher dichter an die „Marygold“ heran und griff nach der Jakobsleiter, die Brighton über die Leeseite hatte wegfieren lassen. Der Bootsmann wollte hinuntersteigen, um Hasard zu helfen, aber der winkte ab.

Er griff nach dem untersten Querholm, zog sich heran, wartete eine Welle ab, die ihn anhob, und enterte mit dem Kutscher unter dem linken Arm an der Jakobsleiter hoch. Das geschah so mühelos, als habe Hasard sein ganzes Leben nichts anderes getan, als tagtäglich halbbesoffene Kerle an Bord zu hieven.

Er stieg mit dem Kutscher über das Schanzkleid, sprang mit ihm an Deck, legte ihn übers Knie und schüttelte ihn wie einen Bettsack.

Der Kutscher ächzte und hustete, spuckte Wasser, röchelte und brüllte schließlich, daß Hasard aufhören solle.

Hasard stellte den Mann auf die Füße und blickte ihn aus zusammengekniffenen Augen an.

„Hör zu, Kutscher“, sagte er. „Wenn man oben im Mast ist, hält man sich mit der einen Hand fest. Die andere ist für die Arbeit da. Wer diese Regel außer acht läßt, ist entweder ein Trottel oder lebensmüde. Ist das klar?“

Der Kutscher hustete und spuckte über das Schanzkleid.

„Lebensmüde bin ich eigentlich nicht“, sagte er.

„Dann bist du ein Trottel“, sagte Hasard. „Außerdem hat einer, der schwimmen kann, bessere Chancen, zu überleben, wenn er mal ins Wasser fällt. Aber wem sag ich das!“

Der Kutscher nieste, und das enthob ihn einer Antwort. Außerdem stieg der Profoß aufs Mitteldeck. Unter dem Arm hatte er eine Flasche.

„Vom Kapitän“, sagte er, ohne Hasard direkt anzusehen. „Ohne dich wäre der Kutscher ja wohl abgesoffen, was, wie?“

Hasard sagte gar nichts. Er schielte auf die Flasche, dachte an den andalusischen Schlaftrunk von dem feisten Nathaniel Plymson und wurde mißtrauisch.

Der Profoß verfolgte Philip Hasards Blick zur Flasche und streichelte sie.

„Schottischer“, sagte er und kriegte lüsterne Augen, „der Kapitän hat da so seine Quellen.“

Er spähte hastig über die rechte Schulter. Aber auf dem Achterdeck stand nur Ben Brighton. Der Kapitän war nicht zu sehen.

„Soll ich mal probieren?“ flüsterte er hoffnungsvoll. „Ich meine, das Zeug ist bestimmt gut, und der Kapitän will euch bestimmt nicht vergiften, ganz bestimmt nicht, aber vielleicht sollte ich doch …“

„Sauf!“ sagte Hasard kurz und bündig.

Das wüste Narbengesicht strahlte vor Entzücken und war drauf und dran, die Moral zu untergraben. Die Decksleute glotzten begehrlich.

Hasard sah es noch rechtzeitig und räusperte sich.

„Kommando zurück“, sagte er. „Vielleicht sollten wir drei mal in der Kombüse nachsehen, was Mac im Topf hat.“

Carberry starrte ihn verblüfft an, dann begriff er und nickte hastig.

„Aye, aye, Sir!“ Diesmal sagte er es tatsächlich und merkte es noch nicht einmal. Und dem Bootsmann rief er zu: „Zurück auf den alten Kurs, Ben, oder dachtest du, wir wollen beigedreht hier überwintern, was, wie?“

„Aye, aye“, sagte Ben Brighton, „zurück auf den alten Kurs.“

Der Profoß schnaufte und marschierte über das Deck zur Kombüse. Hasard und der Kutscher folgten ihm und zogen eine nasse Spur über das Oberdeck.

„Verschwinde!“ sagte der Profoß zu Gordon Brown, der damit beschäftigt war, ziemlich sinnlos in einem Kessel herumzuscheuern, der bereits blank wie der Mond war.

„Mac hat gesagt, ich soll den Kessel scheuern“, erklärte Gordon Brown giftig. „Soll ich den nun scheuern, oder was soll ich?“

Der Profoß zog Gordon Brown von der Backskiste, auf der er gesessen hatte, und schob ihn nach draußen.

„Melde dich beim Stückmeister“, sagte er. „Die Kanonen müssen gereinigt werden. Da kannst du auch scheuern. Laß den Kessel hier, du Idiot. Den brauchst du bei den Kanonen nicht.“

Gordon Brown kehrte wieder um und knallte den Kessel auf die Backskiste. Sein Gesicht war Gift und Galle.

 

Hasard stoppte ihn. Mit seiner leisen, gefährlichen Stimme sagte er: „Vergiß nie, was ich dir unten in der Vorpiek angekündigt habe. Irgendwann zahle ich zurück, und dann wirst du erkennen, daß dein verbrannter Hintern das Paradies war.“

Gordon Brown zischte ab wie eine Rakete.

Mac Pellew rührte miesgrämig in einem Topf und sagte über die Schulter: „Der Brown ist ein blöder Hund, außerdem quatscht er dauernd auf den Taubstummen ein.“

„Der versteht doch gar nichts“, sagte Carberry verdutzt.

„Eben“, sagte der Koch.

„Was heißt das?“ fragte der Profoß grollend.

„Das heißt, daß er einen gefunden hat, der ihm nie widersprechen wird, wenn er seinen Quatsch faselt“, sagte der Koch mit einer Miene, die allen Jammer dieser Welt ausdrückte. „Was wollt ihr hier überhaupt?“

„Einen zwitschern“, erwiderte der Profoß, „und die beiden Wasserleichen trocknen.“

„Wer einen zwitschert, ist des Teufels“, sagte der Koch.

„Mann, hör auf mit dem Gejammere. Außerdem zwitschern wir mehr als einen, also sind wir nicht des Teufels.“ Er zog den Korken heraus und schnüffelte an der Flaschenöffnung. „Das ist was“, murmelte er, leckte sich die Lippen, bezwang sich aber und reichte Hasard die Flasche. „Hier, du Sohn einer Kanonenkugel, nimm einen zur Brust.“

Hasard gab die Flasche dem Kutscher, der klappernd und zitternd an dem breiten Herd stand, etwas weiß um die Nase, und sichtlich überfordert schien. Er hatte den Schluckauf, und als er die Flasche an den Mund setzte, schepperte das Glas gegen seine Zähne.

„Ach du meine Güte“, sagte der Profoß und half ihm, die Flasche zu halten. „Nun mal hinein mit dem Schottischen, hopp-hopp!“

Der Kutscher, trank, schluckte, trank, schluckte. Als er die Flasche absetzte, blies er die Backen auf, wurde hochrot und kriegte Froschaugen.

„Gleich platzt er“, sagte der Profoß gemütlich, „in dem Schottischen sind nämlich Feuer und Eisenspäne drin.“

„Uiiii!“ sagte der Kutscher und platzte nicht, sondern holte tief Luft. Und dann wurden seine Froschaugen weniger quellend, dafür aber begehrlich.

Der Profoß nahm ihm schnell die Flasche weg und drohte mit dem Finger.

„Langsam, Junge, langsam. Jetzt ist erst Hasard dran. Schließlich hat er dich ja rausgefischt, was, wie?“ Er hielt dem Seewolf die Flasche hin. „Und jetzt ran an den Schottischen, du Satansbraten.“

Hasard gurgelte und spürte das Feuer, das ihm in den Magen rann und Wärme verbreitete.

Als nächster trank der Profoß, dann Mac Pellew, der ein alter Heuchler war und mehr als drei Schlucke soff, dann wieder der Kutscher, dessen Kopf zu glühen begann, darauf Hasard, der zu der Ansicht gelangte, es könnten ruhig noch ein paar mehr außenbords fallen, und wieder der narbige Carberry. Die Flasche kreiste zwischen den vier Männern.

Der Schrei Donegal Daniel O’Flynns, der als Ausguck im Großmars hockte, war grell und mißtönend.

„Segel ho! Steuerbord voraus!“

Der Profoß war wie der Blitz aus der Kombüse. Hasard verkorkte die Flasche und verstaute sie unter seinem Hemd.

„Lösch das Kombüsenfeuer, Mac“, sagte er zu dem Koch. „Jetzt geht’s rund!“

Der nickte griesgrämig.

„Immer die gleiche Scheiße. Wenn man mal einen zwitschert, kommt der Don dazwischen.“

„Was für’n Don?“ fragte der Kutscher und bremste einen Schluckauf.

„Der Don ist der Spanier“, sagte der Koch. „Jetzt werden gleich Messer gewetzt, und das Pulver wird auf die Pfannen geschüttet.“

„Kämpfen wir jetzt?“ fragte der Kutscher begierig.

„Was der fragt!“ Mac Pellew blickte gottergeben zur Decke hoch. „Meinst du, wir segeln hier herum, um Möweneier zu sammeln? O nein, der alte Francis sammelt Prisen – schöne, fette spanische Prisen. Und weißt du, warum?“

„Nein“, sagte der Kutscher.

„Weil er ein wilder Hecht ist und Silber braucht, um neue Schiffe auszurüsten. Denn gegen die Dons kämpft man nicht mit einem Schiff, sondern braucht eine Flotte. Verstehst du das, du Sohn eines Hammels?“

„Verstehe“, sagte der Kutscher und rülpste donnernd.