Seewölfe Paket 13

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Nach einer Viertelstunde rührte sich da unten immer noch nichts.

Dan O’Flynn hob einen faustgroßen Brocken auf und verließ sich auf seine guten Augen. In jedem Fall sah er einen anderen zuerst, bevor der ihn entdeckte, und so stand er hinter dem Felsen auf, wog den Brocken in der Faust und schleuderte ihn hinunter.

„Wenn der trifft, dann weckt der Knall Tote auf, Kutscher.“

Der Stein traf und knallte auf das Vordeck. Dort sprang er ein paarmal hoch, polterte durch die Kuhl und donnerte an das Achterschott des Niederganges.

Das Geräusch war ekelhaft laut, und es pflanzte sich durch die Bucht fort, als die Felsen das Echo zurückwarfen.

Die beiden Seewölfe warteten mit angehaltenem Atem.

Nichts rührte sich auf dem halben Wrack. Niemand erschien an Deck, um sich nach dem Urheber des Kraches umzusehen. Auch ein zweiter Stein änderte nichts. Alles blieb still und ruhig.

Das Schiff war von seiner Besatzung einwandfrei verlassen oder aufgegeben worden. Der Teufel mochte wissen, wie lange es hier schon vor Anker lag.

Dan O’Flynn gab noch ein paar Minuten zu, wobei er die Schebecke scharf im Auge behielt. Dann erhob er sich, als sich unter ihnen immer noch nichts rührte.

„Kehren wir wieder um“, sagte er. „Das müssen wir sofort Hasard melden. Vielleicht sehen wir uns das Schiff einmal aus der Nähe an. Vielleicht gibt es da noch etwas zu holen.“

„Schätze lassen die Kerle sicher nicht unbewacht an Bord zurück“, meinte der Kutscher trocken. „Ebenso besteht natürlich die Möglichkeit, daß die Besatzung an einer Krankheit zugrunde gegangen ist. Womöglich finden wir nur Tote an Bord.“

„Das ist nicht auszuschließen“, sagte Dan beklommen.

Gleich darauf traten sie den Rückweg an.

7.

Bei den gefangenen Spaniern war ein Wunder geschehen.

Der spanische Grande hatte lange Zeit gelauscht, ob sich wirklich Wächter in der Umgebung versteckt hielten, doch nach einer Weile waren alle Geräusche erstorben, und es war totenstill.

„Die sind abgezogen“, sagte er. „Wir probieren es einfach, und dann werden wir sehen, ob jemand erscheint.“

Die Zwieback wurden aus dem einen Faß entfernt und auf den kahlen Boden gelegt. Dann wurde das Wasserfaß umgefüllt und geleert.

Danach hoben zwei Mann das relativ schwere Faß hoch und warfen es an die Felswand.

Das Faß zersplitterte, der Reif flog ab, die langen Dauben legten sich säuberlich nach allen Seiten auseinander.

Der Grande arbeitete verbissen weiter. Er wollte diesen Halunken schon beweisen, daß sie nicht einfach mit ihnen tun konnten, was sie wollten und sie als Sklaven auf den Märkten verkaufen.

Wenn ihnen die Flucht gelang, dann fanden sie auch in einem der Häfen mit Sicherheit ein Schiff, das sie mitnahm.

Sie legten die Dauben übereinander, bis sie einen handlichen Hebel hatten, den sie durch die Gitter schoben.

Dann drückten die drei Frauen und zwei Männer dagegen, und gaben all ihre Kraft her. Der erste Eisenstab verbog sich leicht, und nach einer kraftvollen Anstrengung und weiteren Bemühungen verbog sich auch der zweite.

Noch ein paarmal wurde angesetzt, weitergedrückt, die Dauben als Hebel benutzt.

Von den vermeintlichen Wächtern ließ sich immer noch keiner sehen. Es gab sie nicht. Sie hielten die Grotte für ausbruchsicher und waren abgezogen.

Der Grande, er war der schmalste von allen, zwängte sich als erster hindurch und hebelte von außen weiter, bis der Weg für alle frei war. Eine der Señoras hatte Schwierigkeiten, aber schließlich konnte sie sich auch hindurchzwängen und befand sich in Freiheit.

Draußen sanken sie sich stumm in die Arme und wollten ins Landesinnere gehen, um vorerst in Sicherheit zu sein.

Doch der Grande hatte noch eine Idee.

„Sie sollen noch ein Rätsel lösen“, sagte er. „Wir nehmen die Faßdauben mit und werfen sie unterwegs weg. Aber zuerst versuchen wir, die Gitter wieder so zu verbiegen, daß niemand die Flucht bemerkt, der außen vorbeigeht und einen Blick darauf wirft.“

„Dazu haben wir keine Zeit“, wandte der andere Spanier ein.

Aber die Zeit nahmen sie sich doch, setzten wieder die Dauben an und hebelten die eisernen Stäbe zurück.

Es sah aus wie vorhin, und man mußte schon ganz besonders scharfe Augen haben, wenn man erkennen wollte, daß der eine Stab noch leicht nach außen gebogen war.

Der Grande kicherte boshaft, dann klemmte er sich ein paar Dauben unter den Arm, verteilte die restlichen an die anderen und zeigte auf die weit entfernten Olivenhaine.

„Verhungern werden wir nicht, aber wir müssen uns auf ein paar unangenehme Tage vorbereiten. Wasser finden wir auf dieser Insel sicher genügend, und wilde Früchte gibt es auch. Notfalls kann sich der Mensch tagelang von Oliven ernähren.“

Diese Zukunftsaussicht war immer noch besser, als in dem stinkenden Verlies zu sitzen und darauf zu warten, bis man auf irgendeinem arabischen Markt verkauft wurde.

Sie sahen sich noch einmal nach allen Seiten um. An die Küste trauten sie sich nicht, denn da konnte noch das Schiff liegen, das sie hergebracht hatte.

Also marschierten sie ins Landesinnere und warfen unterwegs hin und wieder eine der Dauben weg.

Sie waren wieder frei, und das war ihnen mehr wert als alles andere auf der Welt.

„Also eine Mischung zwischen einer Schebecke und einer Feluke“, sagte Hasard, als er den Bericht der beiden Männer gehört hatte. „Und das Schiff ist ein Wrack?“

„Ein halbes Wrack. Zwei Masten fehlen, aber das Beiboot befindet sich noch an Bord. Wir haben Steine hinuntergeworfen, und nichts hat sich gerührt. Es ist also mit Sicherheit anzunehmen, daß es verlassen ist. Aber wie erklärt sich das mit dem Boot?“

„Da kann es mehrere Möglichkeiten geben“, meinte Hasard. „Sie können ein zweites Boot gehabt haben, mit dem sie zur nächsten Ansiedlung gesegelt sind. Piraten können sie überfallen und verschleppt haben. Oder sie sind geflüchtet und kehren erst später wieder zurück. Und – und – und …“

Niemand ahnte die unmittelbaren Zusammenhänge, keiner der Seewölfe wußte etwas von dem Sarazenen, ebensowenig war ihnen etwas über das Schicksal der Gefangenen und jetzt geflüchteten Spanier bekannt.

Die Geschichte lief auf zwei nebeneinanderliegenden Ebenen ab, die der eine nicht kannte, und von der der andere keine Ahnung hatte.

Aber in einem hatte der Sarazene recht: Auch diese Ungläubigen würde die Neugier packen, wenn sie das verlassene und wracke Schiff sahen, und der Profos sprach es auch aus.

„Vielleicht gibt es da was zu holen, Sir. Wir sollten uns den alten Kahn wenigstens einmal ansehen.“

Der Reiz, den gestrandete oder verlassene Schiffe ausübten, hatte nicht nur den Profos ergriffen, er packte auch Hasard und die anderen Seewölfe.

„Gut“, entschied der Seewolf nach einer Weile des Nachdenkens. „Dan sagt, die Schebecke sei nicht weit von unserem jetzigen Liegeplatz entfernt. Wir segeln oder pullen mit dem kleinen Boot hin. Mit der ‚Isabella‘ dahin zu segeln, wäre zu umständlich. Wir müßten erst Anker hieven, dann wieder Anker setzen, von den Segelmanövern ganz zu schweigen. Der Profos, Dan und Ferris gehen mit. Ben übernimmt das Kommando während meiner Abwesenheit. Noch ein Mann kann mit. Sten, du bist meist benachteiligt gewesen.“

„Aye, danke, Sir“, sagte der Schwede erfreut.

„Sollten wir wider Erwarten in spätestens zwei Stunden nicht zurück sein, dann geht die ‚Isabella‘ ankerauf und besetzt die Bucht, in der das Wrack liegt.“

„Da passiert nichts, Sir“, sagte Dan, doch der Seewolf winkte ab.

„Es bleibt dabei. Wir haben nicht nur schon Wunder erlebt, wir haben sogar blaue Wunder erlebt. Ihr riegelt also die Bucht ab. Ein Mann wird zu dem Wrack geschickt, um nachzuforschen. Geht etwas schief, nimmst du den Kahn unter Feuer, Ben. Alles verstanden?“

„Aye, aye, Sir! Und wenn ihr …?“

„Hast du nicht alles verstanden, Ben?“ fragte Hasard sanft.

„Doch, doch, natürlich.“

„Dann ist es gut. Diejenigen, die mitgehen, bewaffnen sich. Steckt genügend geladene Pistolen in die Bandeliere.“

Zwar wußte keiner, was da schiefgehen sollte, aber in ihrem langen, erfahrungsreichen Dasein hatten die Seewölfe schon genug haarsträubende Dinge erlebt, und so war die nötige Vorsicht nicht unbedingt Angst. Sie waren nur deshalb alle noch am Leben, weil sie diese Vorsichtsregeln immer befolgt hatten.

Die fünf Männer gingen ins Boot, beneidet von den anderen, die sich das geheimnisvolle Wrack auch zu gern aus der Nähe angesehen hätten. Aber Ben ließ sie nicht lange trauern.

„Verstaut die restlichen Fässer“, sagte er. „Wenn wir ankerauf gehen, will ich kein Durcheinander an Bord haben. Ihr werdet schon noch erfahren, was mit dem alten Kahn los ist.“

Das kleine Segel wurde gesetzt, und das Boot nahm schwerfällig Fahrt auf. Erst als sie aus der Bucht auf dem unruhigeren Wasser waren, ging es schneller.

Dicht an der Felsenküste ging die Fahrt entlang, vorbei an Klippen, an scharfen Zacken, die aus dem Wasser ragten, bis zur nächsten Bucht, in der es ein kleines Stück hellen Strand gab.

„Hinter den nächsten hohen Klippen ist es“, sagte Dan, der immer scharf Ausschau hielt und die Felsen weit oben musterte, ob da vielleicht Gesichter auftauchten.

„In Zukunft“, sagte Hasard, „sollten wir uns unsere unmittelbare Umgebung immer etwas genauer ansehen, um vor Überraschungen sicher zu sein, ganz besonders dann, wenn uns hohe Felsen die Aussicht versperren. Aus dieser Nachlässigkeit werde auch ich wieder etwas lernen, das weiß ich genau. In der Bucht könnte ja auch ein stark bewaffnetes Schiff liegen, das uns bemerkt hätte. Wir würden eine prächtige Zielscheibe abgeben.“

 

„Aus dem Ausguck war das jedenfalls nicht zu sehen, Sir“, sagte Stenmark entschuldigend.

„Es war mein Fehler, reine Nachlässigkeit. Und jetzt ist das Thema erledigt.“

„Da, hinter den Felsen geht es hinein“, sagte Dan.

Das Boot schwenkte ab nach Steuerbord und bewegte sich zwischen den Felsen zielsicher hindurch. Dann wurde das Segel weggenommen, und Hasard ließ das Beiboot treiben.

Ganz am Ende der Bucht lag die Schebecke mit den verstümmelten Masten und dem teilweise verwüsteten Deck.

Nichts rührte sich, alles blieb still.

„Du hast recht, Dan“, sagte der Schiffszimmermann. „Halb Schebekke, halb Feluke. Ein prächtiges Schiff, ein schnelles Schiff, und es sieht trotz der Verwahrlosung schnittig aus. Wenn der alle Lateiner hochzieht, segelt er uns spielend davon.“

„Dafür taugt er in hoher See nicht“, sagte Hasard. „Dem Schiff fehlt der nötige Tiefgang.“

Immer näher glitten sie heran, und jetzt wurde es ganz offensichtlich, daß die Schebecke verlassen war. Dazu hatte man wahrscheinlich ein weiteres Boot benutzt, das an Deck mitgeführt worden war.

Jeder musterte dicht vor der Bordwand noch einmal das Schiff.

Es strömte einen eigenartigen Geruch aus, denn es roch nach vermoderten Gewürzen, nach Olivenöl, Knoblauch und Rosenwasser, als seien alle Planken davon durchtränkt worden. Auch ein ferner Hauch von Pfefferminz lag unsichtbar über dem Schiff.

Die Männer sahen sich an, und jeder stellte sich insgeheim die Frage, was sich hinter diesen Planken der Schebecke wohl befinden mochte. Lagen da Tote herum, hatte ein Gemetzel stattgefunden?

Das Deck sah ganz danach aus, obwohl das Blut fehlte. Aber das konnte auch Regen wieder abgewaschen haben.

Ein Tau hing von der Bordwand hinunter, einladend baumelte es dicht über dem Wasser.

Der Seewolf schwang sich hinauf und war mit einem schnellen Satz an Deck. Ihm folgten Dan, der Profos, Ferris Tucker und schließlich der Schwede Stenmark.

Kaum standen sie an Deck, als Dan den Arm hob.

Ein leises Schaben war zu hören, aber gleich darauf erstarb das Geräusch wieder.

„Habt ihr das gehört?“ fragte Dan leise. „Es schien von da hinten zu stammen, dort, wo der Niedergang ist.“

„Das war das Holz“, sagte Ferris und sah sich um. „Das Holz arbeitet immer.“

Ihre Schritte hallten laut, als bewegten sie sich über einen riesigen Klangkörper.

Ferris Tucker fand das ungewöhnlich. Er blieb an der Gräting stehen und sah in den finsteren Raum darunter. Tief unter ihm roch es modrig und nach fauligem Wasser. Aber der Raum war leer, das erkannte er, nachdem sich seine Augen an das Dämmer gewöhnt hatten.

„Da unten liegt etwas“, sagte er. „Sieht aus wie ein Tuchfetzen.“

„Das wird ein alter Lappen sein“, meinte Dan, beugte sich jedoch auch darüber und sah nach unten. In dem Raum stand noch ein wenig Wasser, und darin lag der bunte Fetzen.

„Hilf mir mal“, sagte Ferris und hob die Gräting an. Mit vereinten Kräften hoben sie sie heraus und legten sie zur Seite.

An einem Tau ließen sie sich hinunter, um nachzusehen, was es mit dem Tuchfetzen auf sich hatte. Am Süll des Luks standen Hasard, Carberry und Stenmark. Der Seewolf hielt seinen Radschloßdrehling in der Faust und musterte das Deck von vorn bis achtern.

Er konnte das Gefühl nicht definieren, das ihn beschlichen hatte, seit sie sich an Deck dieser fremden Schebecke befanden. Vermutlich war es sein Instinkt, der ihn warnte und sich nicht unterdrücken ließ, obwohl keinerlei Gefahr im Verzug war. Auch wenn er nach oben in die Felsen blickte, konnte er nichts erkennen.

Ferris und Dan gingen über aufgequollene Planken zwischen denen noch dreckiges Wasser stand.

Dann bückte sich Dan nach dem Lappen und hob ihn auf. Dicht daneben blinkte etwas, und als er es näher in Augenschein nahm, erkannte er einen vergoldeten Knopf.

Er warf beides nach oben, wo Hasard es begutachtete. Dann sahen sie sich noch weiter in dem Raum um.

Ferris Tucker zeigte auf das Schott. Dan kam es so vor, als wirke sein Gesicht verkniffen und mißtrauisch.

„Hier, Dan, sieh mal. Bis hierher stand das Wasser in dem Raum. Das sieht man noch deutlich an dem Dreckrand, der sich abgesetzt hat. Etwa bis zur Brusthöhe.“

„Kein Wunder, wenn der Kahn fast entmastet ist. Der muß ja auch eine Menge Wasser gezogen haben.“

Ferris ging nicht darauf ein. Er suchte noch weiter die aufgequollenen Planken ab und wurde wieder fündig.

Wieder war es ein Fetzen Tuch, schmutzigweiß und an den Rändern mit Spitzen verziert, die in Fransen herabhingen.

„Verdammt, das sind doch Überreste von Frauenkleidern“, sagte Dan. „Wie ist denn das möglich?“

Weil sich nichts mehr finden ließ, enterten sie wieder auf.

„Ja, das sind einwandfrei Frauenkleider gewesen“, sagte der Seewolf. „Auch der vergoldete Knopf gehört zu einem Kleid. Und es sind ebenso einwandfrei spanische Frauen gewesen, die das hier einmal trugen. Es kann noch gar nicht so lange her sein.“

Ein Geheimnis lag über der Schebecke. Daß sie keinem Spanier gehörte, stand mit Sicherheit fest. Die Seeräuber der Barbareskenstämme bevorzugten diese Schiffe, und der Geruch, den das ganze Schiff ausströmte, ließ auch keinen Zweifel offen, daß es irgendwelchen arabischen Piraten gehören mochte.

„Soviel ich weiß“, sagte Hasard, „werden hier weiße Sklaven auf den arabischen Märkten gehandelt. Es ist gut möglich, daß dieses Schiff welche an Bord hatte, und das waren der Kleidung nach bestimmt Spanier.“

Ferris Tucker beteiligte sich nicht an der Unterhaltung, aber er benahm sich reichlich seltsam, wie Stenmark nach einem verwunderten Blick feststellte.

Der Schiffszimmermann spähte erneut in den Raum hinunter, dann ging er zur Backbordseite, hielt den Blick starr auf die Planken gerichtet und kehrte wieder zurück. Genauso verfuhr er, als er sich der Steuerbordseite näherte. Wieder kehrte er bis an den Raum zurück und sah aus zusammengekniffenen Augen hinunter.

Hasard fiel das eigenartige Gebaren jetzt auch auf, denn Ferris begann die Prozedur zu wiederholen. Schließlich blieb er kopfschüttelnd am Süll stehen.

„Was ist los, Ferris?“

„Die Maße stimmen nicht überein“, sagte Ferris Tucker. „Das ist es, was mich so wundert.“

„Welche Maße stimmen nicht?“

Ferris deutete nach unten, dann zur Bordwand.

„Wenn man sein ganzes Leben lang mit Holz- und Schiffbau zu tun hat“, sagte er, „dann geht einem das in Fleisch und Blut über. Dann hat man das im Gespür. Den Außenmaßen der Schebecke nach müßte der Frachtraum breiter sein, mindestens ein Yard breiter.“

„Sie könnten zur Verstärkung ein weiteres Schott eingezogen haben“, meinte Stenmark, aber Ferris widersprach.

„Dazu gibt es keinen Grund. Die Schebecke ist aus gutem starken Holz gebaut, da zieht man kein unnötiges Schott nachträglich ein.“

„Und was vermutest du?“ fragte Hasard.

„Bisher noch gar nichts, denn ich sehe den Sinn dahinter nicht. Aber es kann in dem Raum eine Kammer geben für Schmuggelgut oder ähnliche Diebesbande, einen geheimen Raum wie ihn auch der Schwarze Segler des Wikingers hat.“

Hasard maß das nach, es war ihm nicht aufgefallen, was Ferris mit bloßem Auge entdeckt hatte und fand es bestätigt. Der Raum verbarg etwas, das stand fest.

Noch einmal ließ sich Ferris hinunter, besah sich die Wände, klopfte mit den Fäusten dagegen, und entdeckte auch eine Stelle, die hohl klang, aber sie lag so weit unten, daß sie als Versteck sinnlos erschien.

Nirgendwo ließ sich jedoch eine heimlich eingebaute Tür erkennen, so exakt der Zimmermann auch alles absuchte. Schließlich gab er es auf und enterte an Deck.

„Sehen wir mal vorn nach“, entschied Hasard, nachdem die Suche nichts eingebracht hatte. „Zwei Mann bleiben an Deck, die anderen beiden gehen mit mir.“

„Wir können inzwischen schon achtern nachsehen“, sagte Carberry.

„Nein, ihr bleibt an Deck, du und Stenmark“, entschied Hasard.

Im Vorschiff gab es zwei Schotts, ähnlich denen der „Isabella“, wo das eine zur Kombüse führte.

Auch hier führte das eine zur Kombüse, während das andere einen Niedergang aufwies, der mit sechs Stufen nach unten führte.

Die Kombüse sah so aus, als sei sie seit einigen Tagen nicht mehr benutzt worden. Auch hier war ein wenig Seewasser eingedrungen. Der Duft war allerdings unbeschreiblich, denn es roch nach vergammelten Essensresten und durchdringend nach fauligen Kräutern. Töpfe, Tiegel und Pfannen waren verdreckt, verklebt und schmierig, was Hasard zu der Bemerkung veranlaßte: „Wenn in diesem Saustall mein Schiffskoch Essen zubereiten würde, dann würde ich ihn zur Abschreckung an die Rah hängen.“

Sie schlugen das Schott wieder zu, trotzdem legte sich der Geruch nach fauligen Gewürzen über das ganze Schiff. Er schien durch das Holz nach außen zu dringen.

Der nächste Raum. Der Geruch hing pestilenzartig darin, und im ersten Augenblick zuckte Hasard zurück, denn es erinnerte ihn an den Pesthauch, der aus offenen Gräbern wehte.

„Mann“, sagte Dan O’Flynn, „da liegen bestimmt Leichen.“

Der Raum war fast dunkel. Hasard stolperte über ein baumwollenes Tuch und fluchte leise, denn im ersten Augenblick glaubte er einen menschlichen Körper zu berühren.

Dan ging ein paar Schritte zurück, und öffnete das Schott noch weiter, das wieder halb zugefallen war. Jetzt drang das Tageslicht etwas besser herein.

Für eine Unterkunft war der Raum fast komfortabel, fand Hasard. Hohe Kojen waren auf beiden Seiten eingebaut, und es gab sogar eingebaute Schapps mit Ornamenten und Arabesken verziert.

„Hier scheinen die Abmessungen ebenfalls nicht zu stimmen, Sir“, ließ sich Ferris Tucker vernehmen. „Auch dieser Raum müßte eigentlich etwas breiter sein. Aber vielleicht hat das Schapp viel Tiefe.“

Er öffnete eins der Schapps, dessen Tür sich knarrend drehte. Es war leer, außer einem schmuddeligen Hemd, das auf dem Boden lag.

Die Tiefe betrug bestenfalls eine Elle, mehr nicht.

Ferris klopfte dagegen. Es klang hohl, hohl von oben bis unten.

Er sah Hasard an, legte den Finger auf die Lippen und deutete mit dem Kopf nach oben.

Als sie an Deck standen, schloß Ferris das Schott und lehnte sich dagegen. Der Profos und Stenmark traten näher heran.

„Mit diesem Kahn stimmt etwas nicht“, sagte Ferris energisch. „Es gibt mir zuviel Hohlräume. Du wirst dich erinnern, Sir, daß auch wir so etwas schon einmal entdeckten. Ich werde das Gefühl nicht los, daß wir von etlichen Augen belauert werden.“

„Du glaubst, in dieser Schebecke haben sich Leute verborgen, die nur darauf warten, um über uns herzufallen?“

„So ist es, das glaube ich jedenfalls.“

„Aber das ist Quatsch, Ferris“, sagte Dan. „Wir haben das Schiff lange beobachtet, und es hat sich nichts darauf gerührt. Mag ja sein, daß es hier zahlreiche Verstecke gibt, aber so lange werden die Kerle doch wohl nicht warten.“

„Ich habe auch so ein unbestimmbares Gefühl“, erklärte Hasard. „Aber es ist möglich, daß man uns längst gesehen, vielleicht unsere Ankunft bemerkt hat, und da haben sich die Kerle entsprechend darauf vorbereitet. Sie rechnen ganz sicher damit, daß wir das angeschlagene Schiff sehen und es untersuchen. Das ist aber alles nur bloße Theorie.“

„Wenn wir erst die Beweise kriegen, ist es zu spät“, meinte der Schwede Stenmark. „Ich glaube auch, daß man uns einen Köder vorgelegt hat, nach dem wir schnappen sollen.“

Hasard ging weiter, den Niedergang zum Achterdeck hoch. Einmal glaubte er, ein feines Knistern zu hören, aber das konnte wirklich vom Holz stammen und war ganz natürlich.

Das Achterdeck war kahl, wie leergefegt, ein Teil der Schmuckbalustrade, die es zur Kuhl hin abschloß, war zersplittert.

Unter dem Niedergang befanden sich ebenfalls zwei Kammern. Die Schotten waren geschlossen.

„Bleibt mal da unten“, sagte er, „ich sehe mich nur ein wenig um. Haltet die Augen offen.“

Es, war ein merkwürdiges Gefühl, über dieses Schiff zu laufen und zu ahnen, daß man in einer tödlichen Falle saß, die jeden Moment zuschnappen konnte. Ebensogut war alles harmlos, und niemand lauerte ihnen auf, wer konnte das schon sagen!

Hasard ging bis zum verlängerten Grätingdeck und blieb lauschend stehen.

 

Blitzschnell drehte er sich um, denn er glaubte erneut, ein leises Geräusch zu hören. Wie hastiges Trappeln klang es. Aber von seinen Leuten hatte sich keiner bewegt.

Auf der Kuhl stand Ferris Tucker in angespannter Haltung, neben ihm Dan, der mit zusammengekniffenen Augen alles musterte, und Stenmark, der sich gerade bückte und ein langes Holzstück aufhob.

Mit ein paar schnellen Schritten war er an dem einen Schott zum Vordeck und klemmte das Holzstück so fest, daß sich das Schott nicht von innen öffnen ließ.

Dann kehrte er zurück, die Pistole in der Faust, nach allen Seiten mißtrauisch sichernd.

Wieder hörte Hasard auf dem Achterdeck das leise Scharren.

„Achtung!“ brüllte er laut.

Dann war auch schon die Hölle los.