Seewölfe Paket 13

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„Die Feluke hat achtern eine Art Schacht neben dem Ruderblatt. Dort schwimmt der Delphin hinein, klopft viermal mit der Schnauze gegen das Holz und wartet darauf, daß sich irgendwo an Deck ein Luk öffnet. Jedesmal, wenn er klopft, wirft ihm einer der Händler einen Fisch durch den Schacht. Dann bin ich hineingeschwommen und habe auch geklopft. Und tatsächlich rutschte wieder ein Fisch runter. Der Schacht ist so groß, daß der Delphin bequem darin Platz hat.“

Der Profos legte seine großen Hände auf den Handlauf des Schanzkleides, dann drehte er sich halb herum und musterte die beiden.

„Stehen mir schon die Haare zu Berge?“ fragte er freundlich.

„Nein, Mister Carberry.“

„Das wundert mich eigentlich“, meinte er trocken. „Nach Donegals Erzählungen passiert mir das nämlich immer, und jetzt fangt ihr mit derselben Tour an und erzählt mir Schauergeschichten. Da ist doch eure Phantasie wieder einmal mit euch durchgegangen. Ein Delphin, der an ein Boot klopft und dann Fische kriegt. Und in dem Schacht schläft er anschließend und hält sein Nikkerchen, was? Wenn ihr den alten Carberry anpflaumen wollt, dann fangt es gefälligst anders an!“

„Es stimmt aber ganz genau“, sagte Philip. „Ich habe das auch alles aus der Nähe gesehen. Der Delphin ist dressiert, der gehorcht dem Händler wie ein Hund.“

„Und wozu soll das alles gut sein?“ fragte Ed.

„Das wissen wir nicht, Sir.“

Shane blickte die beiden Jungen nachdenklich an und ließ sich das alles noch einmal in seiner bedächtigen und ruhigen Art durch den Kopf gehen.

„Was es mit dem Delphin auf sich hat, weiß ich auch nicht, Ed“, sagte er, „aber der Schacht, von dem die Jungen sprachen, der könnte einem raffiniert durchdachtem Plan entsprechen.“

Dem Profos dämmerte es bereits, und so nickte er und ließ Shane weitersprechen.

„Nehmen wir einmal an, diese Kerle sind tatsächlich Piraten oder Schnapphähne und geben sich nur als Händler aus, die harmlos über die Meere ziehen. Liegen sie jetzt bei einem Schiff, so wie bei uns, dann können die Kerle ihr Schiff heimlich verlassen, ohne daß wir es bemerken. Dann bohren sie uns das Schiffchen an, oder klemmen das Ruderblatt unauffällig fest, ohne daß wir etwas davon sehen. Genauso heimlich können sie achtern oder vorn oder von einer der Seiten aufentern. Ebenso unauffällig erreichen sie ihre Feluke wieder, und keiner merkt etwas. Wenn wir dann lossegeln, feuern sie ihren Brandtopf ab und nutzen die allgemeine Verwirrung aus, um uns zu übertölpeln. Das sind nur einige Beispiele, ich kann dir noch mehr aufzählen.“

Der Profos starrte den ehemaligen Schmied von Arwenack nachdenklich an.

„Ja, das ist eine verdammt gute Überlegung“, meinte er dann. „Zu was sonst sollte der Schacht wohl sein? Und vielleicht – ich weiß, das hört sich verrückt an, bringt der Delphin die Kerle unter Wasser schnell und unauffällig an ihr Ziel, wenn er so gut dressiert ist. Wir sollten sehr gut aufpassen, denn ich traue den Kerlen nicht mehr über den Weg.“

Carberry blickte auf die Zwillinge, nickte ihnen zu und ging zur anderen Seite hinüber. Dort starrte er aus mißtrauisch zusammengekniffenen Augen zu der Feluke und suchte das Wasser ab.

Aber nur der Delphin zog seine Kreise, sonst war nichts zu sehen, das seinen Verdacht erregte.

Es war zwar eine reichlich abenteuerliche und waghalsige Theorie, die sie da aufgestellt hatten, überlegte er, aber wenn dieser Ibrahim wirklich ein raffiniertes Schlitzohr war, dann durfte man ihm solche Tricks auch ruhig zutrauen.

Der Profos schärfte seinen Männern ein, die Feluke genau im Auge zu behalten und vor allem darauf zu achten, ob sich unter Wasser etwas regte.

Doch das war nicht festzustellen. Die Feluke lag längsseits, und wenn jemand durch den Schacht stieg, dann war er fast augenblicklich unter dem Schiffsrumpf der „Isabella“, ohne daß ihn jemand bemerkte.

Also traf der Profos vorsichtshalber weitere Anordnungen. Ein paar Seewölfe sollten sich ständig ablösen, ins Wasser steigen und hin und wieder einmal tauchen. Auch dem Ruderblatt sollten sie ihre ganz besondere Aufmerksamkeit widmen.

4.

Die restlichen Waren wurden an Bord gehievt, und damit war das Geschäft eigentlich abgeschlossen.

Der Händler bedankte sich mit großen Worten und gestenreichen Verbeugungen, denn fast jeder hatte etwas gekauft, was er glaubte, dringend zu brauchen.

„Allah möge über euch wachen, Herr“, dienerte er, und klopfte Ferris und Hasard immer wieder auf die Schultern.

Die beiden ahnten noch nichts von dem kleinen Geheimnis der Feluke. Zwar hatten sie es ein paarmal klopfen gehört, irgendwo im Schiff, aber das konnte einer der Seeleute sein, der etwas zimmerte oder arbeitete. Aufgefallen war es jedoch nicht.

„Herr, die Kalme wird noch andauern“, sagte Ibrahim. „Ihr solltet weiter nach Osten in den Wind rudern, ein paar Meilen zur syrischen Küste hinüber, dort könnt ihr mit Sicherheit wieder weitersegeln.“

„Das werden wir vermutlich auch tun, vielen Dank“, sagte der Seewolf.

Ibrahim verbeugte sich ein letztes Mal.

„Allah sei mit euch und euren Männern, Herr. Wir werden ebenfalls nach Osten rudern, bis der Wind unser Segel füllt.“

Als Hasard und Ferris aufenterten, drückten die Männer die Feluke von der Bordwand ab und griffen zu den Rudern. Ganz langsam entfernte sich das Händlerschiff, und die Kerle winkten hin und wieder noch einmal freundlich.

Mit ihnen verschwand auch der Delphin.

„In denen haben wir uns doch getäuscht“, sagte Hasard. „Dieser Ibrahim ist nichts weiter als ein schlitzohriger Küstenhändler, der trotz seiner billigen Preise ein gutes Geschäft getätigt hat.“

„Da ist noch etwas, Sir“, sagte der Profos. „Deine Söhne haben sich die Feluke einmal unter Wasser angesehen und sich auch näher mit dem Delphin befaßt, und das ist nun wirklich merkwürdig.“

Zuerst hörte Hasard mit unbewegtem Gesicht zu, dann richtete sich sein Blick nachdenklich auf die entschwindende Feluke, und seine Lippen preßten sich zusammen.

Er teilte die Theorie von Big Old Shane augenblicklich, denn zu was sonst sollte der ganze Aufwand dienen? Natürlich, das war es. Dieser Ibrahim kundschaftete zuerst alles aus, versuchte, das uneingeschränkte Vertrauen zu erwerben und schlug dann zu, wenn keiner mehr daran dachte.

Daß der Delphin die Männer schneller ans Ziel brachte, hielt Hasard anfangs für unwahrscheinlich, doch auch diese Theorie hatte etwas für sich, und man konnte sie nicht ohne weiteres einfach von der Hand weisen.

„Verdammt noch mal“, sagte er andächtig. „Dieser Kerl ist einer der gerissensten Gauner, die ich je kennengelernt habe. Ich bin ganz sicher, daß wir ihm noch einmal begegnen, rein zufällig natürlich, damit keiner Verdacht schöpft. Habt ihr den Schiffsrumpf abgesucht?“

Batuti, der die Feluke als erster entdeckt hatte, nickte.

„Batuti alles gucken, vorn bis achtern“, versicherte er treuherzig. „Keine Mann gesehen. Ruder ist in Ordnung, und keiner hat an Schiff gebohrt.“

Der schwarze Mann aus Gambia hatte aufgepaßt wie ein Luchs, und ihm wäre auch nichts entgangen. Aber auf der Feluke hatte sich nichts gerührt.

„Gut, Batuti“, sagte Hasard. „Ich kann mich auf dich verlassen. Dieser Kerl hat uns erst einmal ausgekundschaftet, aber erfahren hat er eigentlich nicht viel. Ich weiß nicht, ob ihm das genügt, aber ganz sicher vermutet er Schätze bei uns an Bord, und so wird er mit Sicherheit eine zweite Begegnung herbeiführen, und dann müssen wir verdammt gut aufpassen, daß er uns nicht überrumpelt. Dem Burschen traue ich einfach alles zu. Übrigens ist so eine Art Schacht eine hervorragende Sache, um Gegner zu überrumpeln. Niemand sieht etwas, und wer glaubt schon an einen Überfall, wenn sich im Wasser ein Delphin tummelt, den der Kerl für seine hinterhältigen Absichten miß-braucht?“

Sie dachten über das merkwürdige Händlerschiff nach. Ibrahim ahnte natürlich nicht, daß sie ihn durchschaut hatten, und das war für die Seewölfe immerhin ein großer Vorteil, den sie bei Gelegenheit zu nutzen gedachten.

„Heute bleiben wir hier liegen, wenn sich kein Windchen rührt“, sagte Hasard. „Aber morgen früh nehmen wir das große Boot als Vorspann und rudern nach Osten.“

Etwas später befaßte Hasard sich wieder einmal mit den geheimnisvollen Karten, doch es kam nicht viel dabei heraus.

Auf der Feluke rieb sich Ali Abdel Rasul grinsend die Hände.

„Dieses Schiff ist mehr wert als alles, was ich kenne“, sagte er zu seinem Vertrauten Moshe. „Und ich werde es überwachen und hüten wie meinen Augapfel, denn was ich über diesen Mann gehört habe, grenzt schon an Mystik. Er wird genau nach meinem Plan handeln, Moshe, ob er will oder nicht. Ich werde ihn ganz bewußt dahin leiten, daß er mir ahnungslos zu Diensten ist. Dieser Seewolf ist kein Mann wie jeder andere, er ist ein besonderer Kerl, und er reagiert so, wie ich mir das vorstelle. So wird er mein Werkzeug werden, mit dessen Hilfe ich mir alles das hole, was ich schon immer holen wollte. Und er wird auch die Schmach teuer bezahlen, die er mir am Bild des Minotaurus angetan hat.“

„Ja, Herr“, sagte Moshe, „ich weiß, daß du das schaffst, was du dir vornimmst. Wir hätten ihn allerdings auch blitzartig überfallen können, er weiß nicht, welche Möglichkeiten wir haben.“

„Nein, das weiß er nicht. Aber ein Überfall bringt uns nichts weiter als blutige Nasen, denn du hast diese Männer gesehen, die erbarmungslose Kämpfer sind. Mit Gewalt erreichst du nur mit einer großen Übermacht etwas, aber mit List und Tücke erreichen wir mehr. Ich weiß, daß ich ihn kriege, aber ich muß noch mehr über ihn und das prächtige Schiff erfahren, dann kann ich meine Pläne genauer ausrichten. Du wirst jetzt dafür sorgen, daß der Delphin das Schiff nicht aus den Augen verliert. Er soll immer Fühlung mit der Galeone halten und uns die Richtung angeben, so wie wir es schon einmal getan haben. Ihr alle, Moshe, werdet reich belohnt werden, sobald mein Traum in Erfüllung geht.“

 

„Ja, Herr“, sagte Moshe heiser und von der Aussicht, nicht mehr „arbeiten“ zu müssen, schon fast krankhaft begeistert.

Dann kümmerte sich Moshe um den Delphin, den er abgerichtet und fast zwei Jahre lang dressiert hatte. Zuvor hatte er es mit einem anderen versucht, aber der war nicht halb so klug wie jener, der ihr ständiger Begleiter war. Dieser hier war fast ein Genie. Er hatte sich so an die Feluke und ihre Männer gewöhnt, daß er höchstens mal für einen Tag verschwand, dann aber pünktlich wieder erschien und sie begleitete.

Und Ali nutzte diese Anhänglichkeit rigoros aus, wie es seiner durchtriebenen Natur entsprach.

Sehr spät am Nachmittag rührte sich ein Lufthauch. Ein kaum merkbarer Hauch fächerte über das Wasser, das für Augenblicke so aussah, als krabbelten Milliarden Ameisen darüber hinweg.

„Hoch die Lappen!“ schrie der Profos. „Auf Stationen, ihr schlafmützigen Kanalratten. Gleich zieht der dickste Orkan auf, und ihr triefäugigen Miesmuscheln steht pennend an Deck.“

Des Profoses Worte waren wieder einmal stark übertrieben, aber er dachte an die Schinderei, die ihnen mit dem Boot als Vorspann bevorstand, und daran dachten die anderen natürlich auch. Sogar der hitzköpfige Luke Morgan gab keine Widerrede und enterte auf, als würde tatsächlich gleich ein Orkan über sie hereinbrechen.

Aber der winzige Hauch verwehte schon wieder, und in die Stille hinein drang Carberrys lästerliches Fluchen.

Jeder lauerte auf den nächsten Windatem, doch der erfolgte erst sehr viel später und kräuselte erneut das Wasser.

Old O’Flynn besann sich auf alte Taktiken, wie man den Wind herbeizaubern konnte, und griff auf den Trick zurück, heimlich und ungesehen am Fockmast zu kratzen.

Aber das wiederum kratzte den Windgott nicht. Er ließ sich gnädig dazu herab, nur für kurze Zeit seinen Atem leicht über das Wasser zu blasen.

Immerhin nahm die „Isabella“ Fahrt auf, wenn auch der Bart vor dem Bug ausblieb und kein Kielwasser schäumte. Aber sie setzte sich in Bewegung und ging schwerfällig auf Ostkurs.

Ein anderer hatte den nötigen Wind, und er brauchte ihn auch dringend und bitter, denn er mußte vor den Türken auskneifen, die ihn erbarmungslos scheuchten und jagten, um ihm den Rest zu geben.

Dieser andere war Henk Kruger, ein dunkelblonder Holländer, einsneunzig groß, ein Kerl wie ein Bär, mit einem breiten Kreuz, gewaltigen Pranken und wasserblauen Augen, die unablässig mit dem Spektiv die See achteraus absuchten.

Da der Handel nicht so viel einbrachte wie die Piraterie, hatte sich Henk Kruger darauf verlegt, kleinere Städte zu überfallen und rigoros auszuplündern. Bisher war das auch meist gutgegangen, doch gestern hatte ihn das Pech verfolgt, und wenn er jetzt seine Viermastgaleone „Goekoop“ ansah, dann stand ihm die nächtliche Szene deutlich vor Augen, und die Erinnerung kehrte zurück.

In der Nacht vor Weihnachten schob sich die „Goekoop“ abgedunkelt und fast lautlos auf Karatus zu, die kleine Stadt im Golf von Iskenderun, nordöstlich von der Insel Zypern.

Das Städtchen schlief in tiefer Ruhe, und auch auf den paar türkischen Schiffen rührte sich nichts.

„Die haben nicht einmal Wachen aufgestellt“, flüsterte Henk seinem kampferprobten Steuermann van Hall zu. „Verdammt, die fühlen sich wohl absolut sicher. Wir gehen nach der alten Taktik vor. Boote in den Hafen, Häuser stürmen und anzünden, mitnehmen, was mitzunehmen ist, und dann ein paar. Breitseiten hinein.“

Vorsichtig tastete sich die „Goekoop“ weiter zum Land hin, ging an den Wind und begann etwas später zu kreuzen.

Zwei große Boote wurden abgefiert bei einem Kreuzschlag, der sie nicht von der Stelle brachte. Henk und seine rauhen Gesellen gingen in die Boote, schnappten ihre Waffen und pullten auf das schlafende Städtchen in stockfinsterer Nacht zu.

An dem schmalen Strandstreifen war kein Mensch zu sehen. Die Häuser waren kaum zu erkennen, im Hafen selbst herrschte unnatürliche Ruhe.

Kein Wort wurde gesprochen. Jeder wußte, was er zu tun hatte, denn es war nicht die erste Stadt, die sie überfielen.

Kurz vor den Häusern stieß Henk Kruger seinen Kumpan Zantkuyl unsanft an und deutete nach rechts. Zantkuyl verstand und zog seine Schnapphähne nach rechts hinüber, während Henk und seine Spießgesellen die linke Seite übernahmen.

Dann ging es blitzartig los. Dem ersten Haus wurde der Rote Hahn aufs Dach gesetzt, im zweiten wurden die Türen eingerannt. Pistolen krachten, Musketenfeuer ertönte.

Innerhalb weniger Lidschläge war der Teufel los, und Menschen stürzten schreiend, verängstigt und voller Panik aus den Häusern.

Henks Leute stürmten in die Häuser und begannen sie zu plündern. Anschließend wollten sie das Haus ebenfalls in Brand stecken.

Da erklang ein überlautes Donnern und Wummern, das sie verstört zusammenfahren ließ.

„Das waren nicht unsere Culverinen!“ brüllte der Holländer. „Verflucht, da ist was passiert!“

Er rannte aus dem Haus und sah die Bescherung. Einen Augenblick wirkten er und seine Kumpane wie erstarrt.

Die Türken feuerten. Die scheinbar schlafenden Mannschaften standen auf ihren Stationen und jagten der „Goekoop“ eine Breitseite nach der anderen hinüber.

Gerade als Henk Kruger zum Strand laufen wollte, schlug es zweimal hintereinander auf der „Goekoop“ ein. Splitter flogen nach allen Seiten, vor dem Schiff stiegen Fontänen aus dem Wasser, und zu allem Übel hauten die paar Mann, die an Bord geblieben waren, auch noch mit der Galeone ab.

Kruger warf seine Muskete weg. Sein Gesicht war vor Wut, Überraschung und Enttäuschung zur Fratze verzerrt.

„In die Boote!“ brüllte er mit überschlagender Stimme. „Wer nicht schnell genug in den Booten ist, bleibt hier.“

Jetzt waren es Krugers Leute, die von blinder Panik erfaßt wurden und um ihr Leben rannten.

Wer zurückblieb oder es nicht mehr schaffte, der fiel den Türken in die Hände, und was dann mit ihnen geschah, konnte sich jeder an den Fingern einer Hand abzählen. Nicht nur, daß man sie ohnehin hängte, sie hatten vorher noch einiges durchzustehen, denn der Haß der Türken auf die Piraten würde übermächtig sein.

Wieder erhielt die Galeone einen Treffer. Sie lief jetzt fast raumschots vor den Türken davon, die Segel gesetzt hatten und die Verfolgung aufnahmen.

Am Strand herrschte das Chaos. Jetzt brannten zwei Häuser, in ihrem Widerschein hasteten Leute durcheinander. Dadurch, daß die türkischen Schiffe das Feuer eröffnet hatten, faßten die Bewohner auch wieder den Mut, sich gegen die Piraten zu wehren.

Laut brüllend vor Angst, der Meute in die Hände zu fallen, stürmten Krugers Kumpane ins Wasser, warfen sich in die Boote und rissen das Segel hoch. Die anderen griffen zu den Riemen und stießen das Boot ab.

Aber nicht allen gelang die Flucht.

Die Türken holten sie ein. Sie stachen und schlugen mit allem, was sie gerade zur Hand hatten, auf Krugers Leute ein, und gleich darauf gab es die ersten Toten.

Immer noch stürzten welche herbei, wurden aber am Strand von der aufgebrachten Menge erschlagen oder so verletzt, daß sie nicht mehr weiterlaufen konnten.

Kruger fiel es nicht im Traum ein, sich um die Verletzten zu kümmern, wenn er nicht selber erschlagen werden wollte. Jeder trug das Risiko selbst, denn jeder erhielt ja auch einen angemessenen Teil der Beute.

Aber ihm selbst segelte die „Goekoop“ weg, wenn er sich nicht höllisch beeilte.

Er fluchte lange und ausdauernd, half noch einem Kerl ins Boot, der es gerade noch geschafft hatte, und segelte dann mit dem Boot um sein Leben.

Das zweite Boot jagte ebenfalls der Galeone nach.

Diesmal saß ihnen die Angst im Nacken, denn die Türken waren schnell und wendig und verstanden es auch, die Galeone bei der Flucht systematisch zusammenzuschießen.

Kruger knirschte mit den Zähnen, als ein weiterer Treffer erfolgte und wiederum Splitter über die voraussegelnde Galeone prasselten.

Auf dem Schiff, das Hals über Kopf vor den aufrückenden Türken flüchtete, konnte nicht gebraßt werden, denn niemand war da, um die Segel zu bedienen.

Sie konnten nur von Glück reden, daß sie achterlichen Wind hatten, sonst wäre ein Auskneifen unmöglich gewesen. Leider aber hatten auch die Türken achterlichen Wind, und sie feuerten aus allen Rohren, die sie hatten, drehten ihre Schiffe immer wieder so, daß sie Schußposition hatten, oder feuerten mit Kettenkugeln aus den Drehbassen.

Die „Goekoop“ war nur ein finsterer Schatten, der durch die Nacht jagte. Die Türken waren hell in blendende Blitze getaucht und holten langsam auf.

Dann hatten sie offenbar auch die beiden flüchtenden Boote bemerkt, denn dicht neben Krugers Boot heulte etwas pfeifend und orgelnd ins Wasser. Eine Fontäne spritzte auf und überschüttete sie mit Wasser.

„Schneller, ihr Säcke!“ brüllte der holländische Riese. „Pullt, bis ihr verreckt, gebt euer Bestes, sonst geben es euch die Türken. Und dann verreckt ihr erst recht!“

Zantkuyl und van Hall hatten jeder längst selbst schon zu den Riemen gegriffen und pullten, was sie konnten. Schweiß lief ihnen über die Gesichter, die Riemen tauchten so schnell ein, daß man sie kaum noch sah, und angefeuert wurden sie von Kruger, der ihnen in den schrecklichsten Farben ausmalte, was geschehen würde, wenn die Türken sie erwischten.

Einen Augenblick spielte er mit dem Gedanken, die „Goekoop“ einfach sich selbst zu überlassen, und mit dem Beiboot allein weiterzusegeln. Irgendwo und irgendwie würden sie schon wieder ein Schiffchen ergattern. Doch dann überlegte er, daß sie hier nicht weit gelangten, denn die Türken würden sie auch in den Beibooten jagen. Daher ließ er den Gedanken wieder fallen.

Weiter trieb er mit lauter Stimme seine Leute an. Das Boot wurde noch schneller, denn diesmal beschrieb Kruger seinen Kumpanen, was die Türken ihnen alles abschneiden würden, angefangen bei den Ohren bis zur Nase und weiter südlich.

„Die Beiboote lassen wir sausen!“ schrie er. „Sobald wir an der Bordwand sind, wird aufgeentert. Kanonen besetzen, den Türken Feuer geben und die Segel nachtrimmen.“

Nur noch ein paar Yards trennten sie jetzt von der rasch dahinsegelnden Galeone. Die drei Türken lagen höchstens noch zwei Kabellängen zurück und schickten eine Kugel nach der anderen zur „Goekoop“, die sich langsam in Trümmer verwandelte.

Sie konnte nicht voll ausgesegelt werden, doch das würde sich bald ändern, sowie sie wieder an Bord waren.

Ein letzter Riemenschlag, da erreichte das Boot die Bordwand und knallte dagegen. Riemen wurden achtlos ins Wasser geworfen, und schon enterten die ersten an Tauen wie die Affen auf.

Kruger stürmte nach achtern, stolperte über einen der Länge nach ausgestreckten Mann, fluchte laut und ordinär und ging sofort auf seine Station.

Befehle wurden gebrüllt, es wurde ein wenig angebraßt, und die schwer angeschlagene Galeone ging auf Südkurs. Etwas später traten die achteren Drehbassen in Aktion. Erst jetzt wurden die Türken etwas vorsichtiger und versuchten, die europäische Galeone in die Zange zu nehmen.

Krugers Kumpane waren jetzt auch aus dem zweiten Boot alle an Bord. Die Beiboote trieben in der See und blieben achteraus. Eins knallte einem Türken vor den Bug und zersplitterte, während das andere achteraus verschwand.

Ob Kruger Treffer erzielte, konnte er nicht feststellen, aber er glaubte schon, wenigstens den einen erwischt zu haben. Nur war kein Erfolg zu sehen.

Dafür sah es auf seinem Schiff immer schlimmer aus. Die Kuhl war aufgerissen, in zwei Großsegeln klafften Riesenlöcher, und eine Rah hatte einen Knacks weg.

Zum Glück standen noch die Masten, doch nach einer knappen Stunde erwischte es den Besan mitsamt der Besegelung, und sie hatten alle Hände voll zu tun, ihn über Bord gehen zu lassen, damit er nicht zum bremsenden Hindernis wurde.

Die Türken blieben hartnäckig hinter ihm, und jetzt, als er wegen des fehlenden Besans langsamer wurde, da holten sie auch langsam wieder auf.

Dann half Kruger einer jener Zufälle, an die er nicht im Traum gedacht hätte.

Im Südwesten tauchte eine Nebelbank auf.

 

Der holländische Pirat atmete erleichtert auf und wandte sich an van Hall.

„Los, bring die Kerle auf Trab. Brassen, bis ihnen die Knochen abfallen. Wenn wir die Nebelbank erreichen, können wir mit etwas Glück darin verschwinden.“

„Ja, das ist unsere einzige Chance.“

Kruger drehte sich um und warf einen Blick durch das Spektiv. Die türkischen Verfolger waren nur als unbestimmte Schatten zu erkennen, aber es waren beileibe nicht nur die drei, die sie vorhin gesehen hatten.

„Wie viele Schiffe haben uns verfolgt?“ fragte er gepreßt.

„Drei oder vier.“

„Jetzt sind es acht oder neun, verdammt. Da haben sich noch ein paar dazugestellt. Ich glaube fast, wir sind in eine vorbereitete Falle gelaufen.“

Der Holländer war nervös und unruhig, und die Angst saß ihm im Nakken, denn er war sicher, daß er diesem gestaffelt aufsegelnden Türken-Geschwader kaum noch entgehen konnte. Da mußte die Nebelbank schon sehr lang und ausgedehnt sein.

Verdammt, sie hatten ihm eine Falle gestellt, das war sicher. Sie kannten ihn und hatten ihn erwartet, denn es war nicht die erste türkische Stadt gewesen, die er geplündert hatte.

Immer wieder blickte er achteraus, aber er konnte nicht genau feststellen, ob die Türken schon aufgeholt hatten. Fast schien es so, als seien sie näher aufgesegelt.

Der fehlende Besan verminderte ihre Geschwindigkeit, und noch immer feuerten die Türken, und noch immer schlug es hin und wieder neben, hinter oder auf der Galeone ein.

Dann erreichte die Galeone die ersten wabernden Nebelfetzen, die der Wind vor ihr her trieb, und. Kruger atmete erleichtert auf, als er die Schatten hinter sich kaum noch erkannte.

Er ließ Südost laufen und grinste hart. In dem Augenblick, als er zu van Hall etwas sagen wollte, gab es einen wummernden Knall, ein Pfeifen war zu hören, und gleich darauf folgte ein brüllender Einschlag. Instinktiv ließ sich Kruger auf die Planken des Achterdecks fallen und legte schützend die Arme um seinen Kopf. Van Hall tat es ihm nach und krallte sich in die Planken.

Es hörte sich so an, als fräße sich eine wütende zischende Schlange durch das Schiff. Dicht neben Kruger rissen Planken auf. Die schwere Eisenkugel wühlte sich wie ein Maulwurf weiter durch die Planken und fetzte alles zur Seite. Wie ein aufgerissener Schützengraben sah das Achterschiff nach diesem Treffer aus.

Aber jetzt waren sie in der Nebelwand und wurden unsichtbar.

Kruger sah nicht mehr, daß die Türken eine neue Formation bildeten und auseinanderfächerten, damit ihnen dieser verdammte Giaur nicht entging.