Seewölfe Paket 13

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Schräg von achtern schob sich die „Isabella“ auf ihren Gegner zu, und immer noch flogen die Höllenflaschen und die Brandpfeile und sorgten drüben für Zustand. Smoky konnte jetzt die vorderen Drehbassen zünden. Er traf das Ruderblatt der „Jane“, so daß die Piratengaleone steuerlos in der See trieb.

„Klar zum Entern!“ schrie der Seewolf.

Er stand wieder auf der Back, hatte sich seinen Radschloß-Drehling umgebunden und hielt einen schweren Cutlass bereit.

Die Männer seines Enterkommandos versammelten sich hinter ihm.

„Sie sind schneller als wir!“ brüllte Tim Scoby Lord Henry vom Achterdeck aus zu. „Sie schaffen es, sie entern!“

„Drehbassen – Feuer!“ schrie Henry, der mit Selim auf dem Hauptdeck stand und selbst mithalf, die entstandenen Feuer zu löschen. Dort, wo sich die Kuhlgräting befunden hatte, klaffte ein gewaltiges Loch in den Planken, gerissen von der einen Flaschenbombe Ferris Tuckers, die die Luke des Frachtraums um ein Vielfaches erweitert hatte. Eine andere Flasche war weiter vorn eingeschlagen und hatte das halbe Vorkastell weggerissen.

Größer waren diesmal die Schäden, viel größer als bei dem Gefecht vom Vortag.

Scoby feuerte die beiden achteren Drehbassen auf die „Isabella“ ab und traf die Back, doch sofort erwiderte Smoky, der seine beiden Geschütze inzwischen nachgeladen hatte, die Schüsse. Scoby wurde getroffen und wie von einer unsichtbaren Faust nach vorn gestoßen. Er kippte über die Balustrade weg und schlug auf die Kuhl. Hier blieb er liegen und regte sich nicht mehr.

„Das Ruder ist zerstört!“ schrie Dark Joe, der kurz vorher den Platz des schwerverwundeten Rudergängers eingenommen hatte.

Henry schleuderte den Wasserkübel fort, den er gerade entleert hatte. Er winkte Selim zu, der nicht weit von ihm entfernt stand, und wies auf das Achterkastell. Selim verstand. Wenn sie zur Heckgalerie liefen, konnten sie von dort aus ein paar sichere Musketenschüsse auf die Gegner abgeben, die sich anschickten, die „Jane“ zu entern.

So liefen Henry und Selim Hals über Kopf in die Hütte – geradewegs in ihr Verderben. Die Türen der Kammern öffneten sich, plötzlich waren die Frauen im Gang und stachen mit Messern auf die beiden Männer ein – Dalida, Jella und die Türkinnen, insgesamt mehr als ein Dutzend.

Weil er sich Selim gegenüber nicht anders hatte verhalten können, hatte Lord Henry auch Jella und die Türkinnen im Hafen von Paphos zu sich an Bord genommen, doch er hatte ein unangenehmes Gefühl dabei gehabt. Er hatte ihnen befohlen, die Achterdeckskammern aufzusuchen und sich von dort nicht fortzurühren – und jetzt war das Komplott perfekt, jetzt kam zum Ausbruch, was seit Wochen geplant war, sowohl gegen Henry als auch gegen den türkischen Seeräuber.

Der Angriff erfolgte so unvermittelt, daß Henry und Selim sich nicht mehr verteidigen konnten. Stöhnend sanken sie zusammen.

Henry sah noch Dalidas Gesicht, ihre blitzenden dunklen Augen und hörte ihre Worte.

„Stirb, du elender Bastard! Du warst deiner Sache zu sicher und dachtest, leichtes Spiel mit mir zu haben. Dies ist nun meine Rache.“

Sie stieß noch einmal zu, dann beugte sie sich über ihn. Jella durchsuchte Selim, der mit weit von sich gestreckten Armen und Beinen im Gang lag. Sie förderte einen kleinen Lederbeutel zutage, in dem sie die Edelsteine, das Gold und die Perlen wußte, die Selim stets als seine Glücksbringer bei sich getragen hatte.

Dalida fand in einer von Henrys Taschen den Schlüssel zur Kapitänskammer. Sie lachte, richtete sich auf und lief den anderen Frauen voran. Sehr schnell hatten sie die Tür am Ende des Ganges erreicht und öffneten sie.

Über ihnen war das Gebrüll der Männer der „Isabella“, die jetzt die „Cruel Jane“ zum Greifen nah vor sich hatten und die Enterhaken warfen. Dark Joe, Codfish, Firuz und die anderen Überlebenden eröffneten das Musketenfeuer auf die Streitmacht der Gegner, doch dies konnte die Seewölfe nicht zurückhalten. Sie sprangen auf das Achterdeck der „Jane“ hinüber und kämpften sich säbel- und entermesserschwingend nach vorn.

Dalida betrat Lord Henrys Kammer und öffnete einen der Wandschränke, in dessen Boden sie das Versteck der kleinen Truhe wußte. Henrys wohlgehüteter Privatschatz – jetzt gehörte er ihr. Sie lockerte die Bodenbretter und warf sie achtlos hinter sich in den Raum. Jella eilte ihr zu Hilfe, und gemeinsam hoben sie die Truhe heraus.

Plötzlich aber schrie eine der Türkinnen auf.

Dalida und Jella fuhren zu ihr herum.

In der Tür stand eine grauenerregende Gestalt: Mechmed, der Berber. Schwimmend hatte er im Hafen von Paphos die „Cruel Jane“ noch erreicht, trotz seiner verletzten Schulter. Er war durchs Hennegat gekrochen und in dem Ruderraum bewußtlos geworden. Erst bei Beginn der Schlacht war er wieder zu sich gekommen, hatte aber die Entwicklung der Dinge abgewartet, um nicht von Henry und dessen Leuten entdeckt und über Bord geworfen zu werden.

Jetzt, da er sicher sein durfte, daß Henry und Selim die Verlierer des Gefechts waren, erschien er, um sich an Dalida zu rächen.

Er hatte immer noch sein Messer. „Du hast meine Kameraden umgebracht!“ schrie er. „Stirb auch du!“ Damit stürzte er sich auf sie.

Jella versuchte, der Ägypterin beizustehen, doch Mechmed war schon über ihr und stach auf sie ein. Dalida sank neben Lord Henrys Schatztruhe zusammen. Mechmed fuhr wieder hoch und wirbelte zu den anderen Frauen herum.

Jella schleuderte ihr Messer, traf Mechmeds Brust und sah mit Genugtuung, wie er zusammenbrach.

„Öffnet die Truhe!“ fuhr sie die Türkinnen an.

Doch jetzt stürmten die Seewölfe, die inzwischen die Kuhl der „Jane“ erobert hatten, auch schon das Achterkastell.

Jella riß die Tür zur Heckgalerie auf.

„Fort!“ rief sie. „Ins Wasser! Es ist unsere einzige Chance! Diesmal verschonen sie uns nicht!“

Sie kletterte als erste über die Balustrade und ließ sich ins Wasser fallen, die anderen folgten ihr.

Hasard und Ben Brighton blieben an der Spitze ihrer kleinen Gruppe im Achterdecksgang stehen. Das Handgemenge auf der Kuhl war bereits entschieden und hatte damit geendet, daß Dark Joe, Dobran und Firuz ihr Leben gelassen hatten, während Codfish und etwa ein Dutzend anderer Männer von der Galeone ins Wasser gesprungen waren. Die Ratten verließen das Schiff – die „Jane“ gehörte den Seewölfen.

Erschüttert sah Hasard auf Selim hinunter, dann entdeckte er auch Henry.

Lord Henry war noch nicht tot. Auf allen vieren war er bis zu seiner Kammer gekrochen, drückte nun die nur angelehnte Tür auf und arbeitete sich weiter vor bis zu Dalida und Mechmed.

Auch Mechmed lebte noch.

Er erkannte Henry in den rötlichen und schwarzen Schleiern, die vor seinen Augen wallten, stieß ein heiseres Lachen aus und flüsterte: „Henry, du verfluchter Hund von einem Giaur. Du hast uns – verkauft – aber wir, Dalida und ich – wir sind dir wie Geister gefolgt.“

„Verrecke“, sagte Henry keuchend.

„Weißt du noch – Reagan …“

„Du hast ihn vor Elba ins Meer – gestoßen?“

„Ja. Ich war es.“

Henry war bei der Truhe angelangt und zog sich halb an ihr hoch. „Scoby hat es – immer behauptet. Jetzt ist er tot.“

„Wir alle – müssen sterben“, murmelte Mechmed.

„Dann stirb“, sagte Henry rauh.

Mechmeds Kopf sank zur Seite, seine Gestalt erschlaffte.

Hasard und Ben betraten die Kapitänskammer und sahen, wie Henry über seiner Schatztruhe zusammenbrach. Der Seewolf, der sich sofort über ihn beugte, konnte nur noch seinen Tod feststellen.

„Fünf Messerstiche haben ihn getroffen“, sagte Hasard, als er sich wieder erhob und zu Ben umwandte. Soeben betraten auch Carberry, Ferris Tucker und die beiden O’Flynns den Raum. „Eine Verschwörung, wahrscheinlich von Dalida und Mechmed angezettelt. So hat er ein unrühmliches Ende gefunden, genau wie Selim.“ Er blickte Old Donegal Daniel O’Flynn an. „Und dein frommer Wunsch, Donegal, ist auch in Erfüllung gegangen.“

„Sollen wir die Beiboote der ‚Jane‘ abfieren, ehe der Kahn sinkt?“ fragte der Profos. „Sir, ich glaube, du willst die Überlebenden doch wenigstens vor den Haien bewahren, oder?“

„Ja. Fiert die Boote ab.“

„Die Truhe nehmen wir mit?“ erkundigte sich Dan.

„Selbstverständlich“, antwortete der Seewolf, dann bückte er sich, um Henrys Körper zur Seite zu räumen. „Los, helft mir!“

Keine Viertelstunde später waren sie von Bord der „Cruel Jane“ auf die „Isabella“ zurückgekehrt. Die Enterhaken wurden gelöst, die „Isabella“ gewann Abstand und segelte bald darauf nach Süden davon.

Die „Isabella“ geriet am darauffolgenden Morgen, dem 21. Dezember 1591, in einen jäh von Westen heraufziehenden Sturm und mußte an Zyperns südlicher Küste vorbei nach Osten ablaufen, um das Toben von Wind und Wasser abzureiten. Einen Tag und eine Nacht dauerte der Sturm an, und die Seewölfe wurden über den östlichen Landzipfel Zyperns hinaus auf die Küste des Libanons zugetrieben.

Ägypten und die Mündung des Nils waren immer noch fern …


1.

Auf der Höhe des fünfunddreißigsten Breitengrades, westlich von Kap Ibn Hani und östlich der Bucht von Famagusta, begann die Dünung nachzulassen.

Die „Isabella VIII.“ lief Südkurs, denn ihr Kapitän Philip Hasard Killigrew hatte es eilig, das geheimnisvolle Land Ägypten anzulaufen. Seine Neugier war immer stärker geworden, aber in letzter Zeit geriet auch immer wieder etwas dazwischen.

 

Diesmal war es eine Flaute, die sich ankündigte. Außerdem wuchsen aus der flaschengrünen See feine spinnige Arme, die wie Rauch in die Höhe zogen.

Old O’Flynn und der Profos Edwin Carberry hatten das bereits seit einiger Zeit geahnt. Beim alten O’Flynn juckte wieder einmal das Holzbein, doch er hielt sich mit seiner Prognose zurück, weil er die ständigen dummen Sprüche der anderen satt hatte.

Carberry starrte düster ins Wasser, dann kehrte sein Blick zurück und blieb an Old O’Flynn hängen. Und prompt erfolgte das, was den Alten augenblicklich in Braß brachte.

„Dein krummes Holzbein kannst du dir von Ferris zu Brennholz zersägen lassen“, motzte Ed. „Früher hat es so’n Scheißwetter immer angezeigt, aber heute habe ich nichts davon gehört. Sonst reißt du schon immer drei Tage vorher die Klappe auf.“

Old O’Flynns Augen zogen sich zusammen, sein Gesicht verkantete, und dann hatte er den Schlechtwetterblick drauf.

„Was weißt denn du narbiger Zwiebelfisch von meinem Holzbein!“ polterte er los. „Sage ich das vorher, dann glaubt mir kein Mensch, und alle grinsen dämlich. Sage ich es nicht, obwohl ich es gespürt habe, dann wird gemeckert. O Lord, was ist das nur für ein Schiff! Auf der ‚Empreß of Sea‘, da fuhren noch andere Kerle! Da gab es noch jede …“

„… Woche Milch und Honig, mit Rum und Branntwein. Und die Kakerlaken waren die Messejungen und haben euch bedient“, höhnte der Profos. „Und der Kapitän verteilte jede Woche einen Orden an den, der ins Wasser schiß, statt auf die Galion. Hör bloß mit dieser ‚Empreß‘ auf, oder wie der alte Kasten hieß, ich kann das wirklich nicht mehr hören.“

Beim alten O’Flynn löste dieses „Oder wie der alte Kasten hieß“ jedesmal Krämpfe und Zuckungen aus. Er wollte gerade zu einem geharnischten Protest ansetzen, als er sah, daß etliche Seewölfe sie grinsend umstanden und händereibend auf die Fortsetzung der Diskussion lauerten.

„Nicht auf meine Kosten“, fluchte der Alte. „Ich bin doch nicht euer Jonas. Schert euch zum Teufel, ihr triefäugigen grinsenden Kombüsenwanzen!“

„Sieht wirklich schlecht aus“, meinte der ehemalige Karibik-Pirat Sam Roskill, als Old O’Flynn erbost davonhumpelte und auf dem Achterdeck Stellung bezog. „In spätestens einer Stunde haben wir den Nebel so dick wie Hafergrütze.“

„Nebel und Flaute, das sind mir die zwei liebsten Dinge“, grollte der Profos. „Ein Schiff ohne Wind ist gar nichts, und ein Schiff im Nebel ist erst recht gar nichts. Und alles beides zusammen, das ist so gut wie absolut überhaupt nichts, falls du das kapierst.“

„Das ist ’ne echte Weisheit“, murmelte Sam. „Und wenn wir jetzt noch kein Wasser hätten, dann wären wir echt absolut überhaupt gar nichts mehr.“

„Und wenn wir jetzt“, sagte hinter ihnen Ben Brighton spöttisch, „auch kein Schiff mehr hätten, und wir selbst auch nicht da wären, dann befände sich hier nur noch ein großes Loch in der Erde, in das zwei kluge Philosophen bis zur Hölle stürzen würden.“

Carberry kratzte sich grinsend sein Amboßkinn, während Sam Roskill verlegen auf die Planken starrte.

„Tucht die Lady auf“, sagte Ben. „Der Wind ist eingeschlafen, falls ihr das bei eurer geistreichen Unterhaltung bemerkt habt. Aber tucht sie so auf, daß wir nicht viel Arbeit haben, wenn es wieder weitergeht.“

„Aye, aye“, sagte Carberry.

Als er sich jetzt wieder umsah, war die See träge und fast spiegelglatt. Nur an vereinzelten Stellen kräuselte sich noch unmerklich das Wasser. Doch die „Isabella“ lief keine Fahrt mehr.

Auf dem Achterdeck laschte Pete Ballie das Ruder fest und hob entsagungsvoll die Schultern.

„Wir befinden uns in einer lausigen Ecke“, sagte der Seewolf, der die Hände auf die Schmuckbalustrade stützte und an den aufgegeiten Segeln vorbei nach vorn ins Wasser sah.

„An Backbord haben wir Festland, die syrische Küste, und an Steuerbord nimmt uns die Insel Zypern den Wind. Hoffentlich dauert die Flaute nicht tagelang an.“

Er schlug mit der Faust auf den Handlauf und wandte sich um.

„Sobald man einen festen Plan hat, geht etwas schief“, murmelte er ärgerlich.

„Wird schon nicht lange dauern, Sir“, meinte der Rudergänger Pete Ballie. „Notfalls können wir uns ja selbst aus der Kalme rudern, falls es länger dauert.“

„Bis morgen früh lassen wir uns treiben, länger nicht“, sagte der Seewolf. „Dann wird das große Boot abgefiert, und wir rudern auf Südkurs weiter.“

Von der Aussicht war keiner sonderlich begeistert, aber von der Aussicht, hier tagelang liegen zu bleiben, erst recht nicht. Dann war etwas Knochenarbeit schon besser.

Im Logbuch der „Isabella“ wurde als Datum der dreiundzwanzigste Dezember im Jahre des Heils 1591 eingetragen.

Nur der verdammte Nebel stieg immer stärker aus dem Wasser. Waren es zuerst nur winzige Dunstwolken gewesen, so wuchsen jetzt vorn und achtern, an Backbord und Steuerbord überall dichte Wände auf, die pulsierend über das Wasser krochen.

Achteraus stand eine dunstige Bank, die in sich quirlte und brodelte, als würde sie von unsichtbaren Händen geschoben.

Die Nebelbank näherte sich rasch, die ersten Fetzen hüllten das Achterdeck ein und ließen die Leute darauf wie Gespenster erscheinen.

Alles wurde still und verschwamm in den Konturen, selbst die Stimmen waren nur noch gedämpft zu hören.

Der Gambianeger Batuti starrte über den Handlauf des Schanzkleides, kniff die Augen zusammen und musterte das Wasser, wo er einen dunklen Punkt zu sehen glaubte.

„Sah aus wie Schiff kleines“, sagte er zu dem Deckältesten Smoky. „Aber Batuti auch können irren. War noch weit weg. Kann sein, ist auch dickes Nebel gewesen.“

„Ich sage es trotzdem dem Profos“, meinte Smoky. „Vorhin haben wir zwar nichts gesehen, aber möglich ist alles. Und in diesen Ecken wimmelt es nur so von Piraten.“

Smoky meldete die Beobachtung dem Profos weiter, und der nahm sie nicht etwa auf die leichte Schulter.

„Möglich, daß einer schon vorher in der Nebelbank trieb“, meinte er. „Es ist zwar unwahrscheinlich, daß er mit uns kollidiert, aber es könnten Piraten sein, die sich ganz bewußt anschleichen, falls sie uns entdeckt haben.“

Etwas später wußte auch der Seewolf Bescheid.

Die „Isabella“ war jetzt wie in dichten Qualm gehüllt. Um sie herum herrschte eine geradezu beängstigende Totenstille. Hin und wieder war nur leicht ein unterdrücktes Räuspern zu hören.

Der Seewolf ging zur Kuhl hinunter und blickte über das Schanzkleid. Vergeblich versuchte er mit seinen Augen den zähen Brei zu durchdringen. Er sah nur quirlige Wolken, die an der Bordwand hochwallten und über das Schiff krochen.

„Nicht mehr glasen!“ befahl er. „Laßt Wachen verstärkt vorn und achtern aufziehen und ladet eure Pistolen. Zwei Mann gehen sich je an der Backbord- und Steuerbordseite entgegen. Gebt mir auf das kleinste fremde Geräusch acht. Daß wir vorhin nichts gesehen haben, bedeutet nicht, daß wir allein sind. Der Nebel war eine vorzügliche Tarnung für einen, der uns vielleicht gesehen hat.“

Bewaffnete Wachen zogen auf, während andere sich am Schanzkleid postierten und nach unten blickten. Wenn außer dem Nebel auch nichts zu sehen war, eine Gestalt würde man doch bemerken, sobald sie an Bord kletterte, und das sicherte den Seewölfen doch einen gewissen Vorteil.

Einmal, gut eine Stunde später, entstand in dem quirligen Dunst eine schnurgerade Lücke, die die Sicht auf fast eine Meile freien Wassers zuließ.

Dann begann sich die Lücke wieder zu schließen, von zwei Seiten wurde die Gasse aufgefüllt, und minutenlang entstand eine neue, die sich ebenfalls gleich darauf schloß.

Auch als zwei Stunden vergangen waren, rührte sich nichts. Wenn es wirklich ein fremdes Schiff in der Nähe gab, dann hatte es die „Isabella“ ebenfalls aus den Augen verloren und würde den Weg durch den Nebel nicht finden.

Kurz vor Mittag verteilten sich einige Schwaden. Die Sonne löste den Nebel unmerklich auf und schuf wieder jene Stellen, wo man das freie Wasser sehen konnte.

Batuti hatte sich nicht getäuscht. Das was er zu sehen geglaubt hatte, lag etwa drei Kabellängen vor ihnen auf dem Wasser, als wäre es dort festgefroren.

Es war eine kleine Feluke. Still und friedlich lag sie da. An Deck war niemand zu sehen.

2.

Hasard blickte durch das Spektiv, dann wandte er sich fragend an den Waffen- und Stückmeister Al Conroy: „Drehbassen einsatzbereit, Al?“

„Aye, Sir. Mit Grobschrot geladen. Wenn der Bursche schlechte Gedanken hat, fliegt ihm eine Menge Blei um die Ohren. Glaubst du, die Kerle haben sich eine List ausgeheckt, Sir?“

„Du meinst, wie sie die Araber uns kürzlich beschert haben?“

„So ähnlich, Sir.“

„Es ist nicht ausgeschlossen, aber für viele Leute ist die Feluke eigentlich zu klein. Sie sieht eher wie ein Händlerschiff aus, wie eins dieser Dinger …“

Hasard sprach nicht weiter, er überlegte, aber es fiel ihm nicht mehr ein, wo sie so ein ähnliches Ding einmal gesehen hatten. Jedenfalls war es nur eine sehr flüchtige Begegnung gewesen, und sie war sicherlich auch unwichtig. Feluken dieser Art gab es hier ja viele, und sie begegneten ihnen immer öfter.

Als das Spektiv absetzte, sah er auf der alten Feluke eine Bewegung.

Ein Mann erschien an Deck, dann ein zweiter, ein dritter. Einer der Kerle, er war in Türkenhosen gekleidet, deutete mit der Hand zur „Isabella“. Daraufhin erschienen noch zwei Männer an Deck, die ebenfalls angestrengt herüberblickten.

„Scheint so, als hätten sie uns jetzt erst bemerkt“, sagte Big Old Shane, der ehemalige Waffenschmied der Feste Arwenack.

„Ja, das scheint so“, sagte Hasard, „sie können aber auch nur so tun als ob. Ich traue den Kerlen nicht einmal so weit, wie ich sie sehen kann.“

„Sarazenen“, murmelte Ben. „Vielleicht sind auch ein oder zwei Türken dabei. Hast du mal die Waffe gesehen?“

„Eine Holzschleuder, um griechische Feuertöpfe zu verschießen“, sagte der Seewolf. „So ein kleines Biest kann uns ganz schön gefährlich werden. Diese Feluke ist wie ein kleiner giftiger Skorpion mit einem tödlichen Stachel.“

Er blickte wieder durch das Spektiv und suchte nach Qualm, der ankündigte, daß die Kerle einen dieser teuflischen Brandsätze vorbereiteten, er konnte jedoch nichts entdekken.

Dafür sah er eine recht abenteuerliche Gestalt auf der Feluke, die sich von den anderen bunten Figuren deutlich abhob.

Dort stand ein Mann, der eigentlich in keine Kategorie paßte, weil er einfach nicht einzuordnen war.

Fraglos war es ein Araber, und er erinnerte Hasard an eine Mischung aus edlem Scheich, buntem Abenteurer, tollkühnem Piraten und listigem Halsabschneider.

Niemand an Bord ahnte, daß sie diesem eigenartigen Glücksritter schon einmal begegnet waren. Sie hatten es nur nicht bemerkt, denn die Feluke gehörte Ali Abdel Rasul, dem geheimnisvollen Mann aus Ägypten, Syrien, Alexandria, oder woher auch immer er stammen mochte.

Ali Abdel Rasul war der „Isabella“ gefolgt, so unauffällig, wie es seinen Künsten entsprach, denn viele Stimmen hatten ihm etwas geflüstert, tausend Augen hatten die „Isabella“ gesehen, und viele hundert Ohren hatten etwas gehört.

Und das alles hatte Rasul in sich aufgesogen wie ein durstiger Schwamm. Außerdem hatte er mit der „Isabella“ noch eine Abrechnung offen, von der die Seewölfe nicht das Geringste ahnten.

Ebensowenig ahnte der Seewolf, daß dieser Mann hinter ihm her war, sehr viel Zeit hatte, und daß Ali Abdel Rasul mal als Bettler, mal als Arzt, mal als Händler und mal als Pirat auftrat. Er war ein Mann der tausend Verkleidungen, und er sollte einer der ersten sein, der die „Isabella“ und ihre Crew in die Knie zwang.

Aber das war an diesem Tag vor Weihnachten noch alles offen.

„Ein merkwürdiger Kerl“, sagte Hasard und reichte das Spektiv an Ben Brighton weiter. „Wie würdest du ihn einschätzen?“

Nach einer Weile hob Ben ratlos die Schultern.

„Ich weiß es nicht genau“, sagte er. „Ein Schlitzohr, ein Galgenstrick, ein Abenteurer auf jeden Fall. Sein Bart erinnert mich an einen Scheich. Scheint auf jeden Fall der Kapitän dieser seltsamen Leute zu sein.“

Er hatte gerade zu Ende gesprochen, als zwei Männer auf der Feluke plötzlich die Arme hochrissen und etwas herüberbrüllten. Auf die Entfernung war das jedoch kaum zu verstehen.

Dafür hatten es die Zwillinge verstanden.

 

„Sie entbieten uns ihren Gruß, Dad, Sir“, sagte Hasard junior. „Und sie sagen, daß Allah uns beschützen möge.“

Hasard blickte mißtrauisch in die Runde. Überall sah er Gesichter, in denen der gleiche mißtrauische Ausdruck stand. Da gab es keinen, der sich vorbehaltlos über diesen Gruß freute. Jeder seiner Männer vermutete ein abgekartetes Spielchen, zumindest eine boshafte Teufelei oder eine ausgeklügelte List.

Diese Feluke war keinem geheuer, sie wußten alle nicht so richtig etwas mit ihr anzufangen.

„Und wenn sie uns zehnmal ihren Gruß entbieten und freundlich sind“, sagte Hasard. „Seid auf der Hut. Die Kerle haben etwas vor, die liegen nicht von ungefähr hier. Sobald einer an der Feuerschleuder herumhantiert, kriegen sie was aufs Fell gebrannt.“

„So schnell legt uns keiner mehr rein“, brummte Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann. „Und seht mal ganz genau hin: Der Äppelkahn liegt tief im Wasser, tiefer als normal jedenfalls. Und ihr wißt, daß wir so eine miese Tour gerade noch heil überstanden haben.“

Daran entsannen sie sich nur noch allzu deutlich, und ein zweites Mal passierte das mit Sicherheit nicht.

Gesundes Mißtrauen bedeutete an diesen Küsten das halbe Leben.

Der Nebel verzog sich weiter, und auf der Feluke riß wieder einer der seltsamen Kerle die Arme hoch und begrüßte die Seewölfe wie alte Freunde, als hätten sie nichts anderes erwartet, ausgerechnet hier auf die Crew zu treffen.

Acht Mann hatten sie jetzt zu Gesicht bekriegt, und dann tat sich auf der Feluke etwas. Da sich immer noch kein Lüftchen rührte, wurden drüben Riemen an Deck gebracht, eingehängt in armstarke Rundsein, und gleich darauf setzte sich die Feluke schwerfällig in Bewegung.

Vier Kerle pullten im Stehen, so ähnlich, als würden sie eine große Gondel über das Wasser treiben.

„Mut haben sie ja, das muß man ihnen lassen“, sagte Hasard, als die Feluke Kurs auf die „Isabella“ nahm. „Besetzt die Drehbassen und haltet auch zwei Culverinen schußbereit. Stückpforten hoch, sobald sie dicht dran sind.“

Ferris Tucker und Al Conroy hatten außerdem noch zwei Flaschenbomben zurechtgelegt.

Egal wie, aber mit einer List kamen die Kerle nicht an Bord, eher ging die Welt unter.

Langsam trieb die Feluke näher heran. Auf dem Deck waren überall freundliche lächelnde Gesichter zu sehen. Die Orientalen verbeugten sich, grüßten höflich, priesen Allah und wünschten den Seewölfen ein langes Leben.

Der Mann mit dem kühn geschnittenen Gesicht und dem scharf ausrasierten Oberlippen- und Kinnbart verneigte sich besonders tief.

Plötzlich sprach er zum Erstaunen aller spanisch. Hasard glaubte, nicht richtig zu hören.

„Allah sei mit euch, Senor“, sagte er laut. „Die Sonne möge ewig auf Seine Majestät Philipp den Zweiten scheinen, und sein Leben möge erfüllt sein von Glück und Freude.“

Wieder erfolgte eine respektvolle Verneigung, und die Blicke Hasards und Rasuls kreuzten sich für den Bruchteil einer Sekunde.

Hasard sah in kohlschwarze Augen, in ein kühnes Gesicht und gestand sich ehrlich ein, daß er den Mann nicht unsympathisch fand, wenn sich auch seine Seele nicht ausloten ließ. Hinter diesen Augen lauerte etwas, das nicht zu definieren war.

Der Seewolf beugte sich etwas weiter vor, zeigte zwei schneeweiße Zahnreihen und lächelte dünn.

„Meinetwegen kann es auf Philipp den Zweiten den ganzen Tag Kastanien regnen“, sagte er auf englisch. „Und wenn ihr nur noch ein Yard näher heranrudert, geht unser großer Böller los!“

Schlagartig wurde die Feluke gestoppt. Hasard sah unter dem arabischen Kopfputz des Mannes ebenfalls weiße Zähne blitzen.

Dann haute es ihn fast um, als Rasul sich wieder verneigte und in einwandfreiem Englisch antwortete.

„Vergebt mir Unwissendem tausendmal, o Herr. Möge die Sonne sich von dem spanischen König abwenden und von nun an das edle Haupt Eurer ehrwürdigen Königin Elisabeth bescheinen. Auch Ibrahim kann sich mal irren, denn ich hielt euch für Spanier.“

Schlitzohriger Bastard, dachte Hasard amüsiert. Hängst deinen Kopfputz immer in den Wind.

„Was wollt ihr von uns?“ fragte er direkt, ohne auf die lauen Höflichkeitsfloskeln einzugehen.

„O Herr, ich bin Ibrahim, der syrische Händler, euer ergebenster Diener. Ich möchte euch die Köstlichkeiten des Orients offenbaren, meine Waren vor euch ausbreiten und euch zum Kauf verlocken.“

„Ein einfacher Händler, der über die Meere fährt, um fremden Schiffen seine Waren zu verkaufen?“ fragte Hasard spöttisch.

„Ein armer, einfacher Händler, Herr, so ist es, der sieben nichtsnutzige Bastarde mit sich führt, die er ernähren muß.“

Wieder erfolgte eine Verneigung, dann zeigte Ibrahim, wie Rasul sich nannte, auf die „sieben nichtsnutzigen Bastarde“, die grinsend und freundlich an Deck standen.

Hasard suchte den Köder, aber noch fand er ihn nicht. Dieser schillernde Taugenichts war mit Leim beschmiert, von oben bis unten, das war ihm längst klar, nur kam er nicht dahinter, ob hier wirklich ein Köder auslag, oder ob es sich um einen ganz besonders gewieften orientalischen Schacherer handelte, einen fahrenden Kaufmann, der die Leute einseifte und übers Ohr haute.

Dieser Kerl war eine Herausforderung für ihn, er strahlte etwas Schlitzohriges aus und konnte ebensogut ein ehrlicher Kumpel wie betrügerischer Schnapphahn und Beutelschneider sein.

„Und jetzt möchtet ihr an Bord, um eure Köstlichkeiten vorzuführen?“ fragte der Seewolf ironisch.

Daß dieser Mann eine unerkannte Gefahr in sich barg, bewies ihm allein das sorglose Grinsen seiner Leute. Selbst der mißtrauische Profos amüsierte sich, und auch Old O’Flynn schien Sympathien für diesen Schnapphahn zu empfinden.

Ibrahim verstand es jedenfalls ganz hervorragend, die Wachsamkeit der Seewölfe einzulullen, und das gab Hasard sehr zu denken.

„Nein, o Herr!“ Ibrahim tat entrüstet. „Nie würden wir wagen, euer Schiff zu betreten. Wir sind nichtsnutzige, armselige und unwürdige Händler, die durch den Verkauf von Waren bescheiden leben. Wir möchten euch bitten, unsere Waren anzusehen, denn ganz sicher werdet ihr einiges brauchen können. Und ich kann versprechen, daß ich fast alles liefere, was ihr wünscht, Herr.“

In Hasards Gesichtsausdruck lag immer noch jener spöttische Zug, denn er glaubte dem Kerl nicht und hielt ihn für einen Märchenerzähler, der sie ablenken wollte, um in aller Ruhe eine Teufelei auszuhecken.

Dabei dachte der Seewolf unwillkürlich an den Gaukler, der sie damals reingelegt hatte, und an andere Kerle, die es ebenfalls auf ähnliche listige Weise versucht hatten.

Unwillkürlich zuckte er leicht zusammen, als sich weit hinter der Feluke etwas aus dem Wasser hob. Es schnellte hoch, verschwand aber sofort wieder, und erst im letzten Augenblick erkannte Hasard, daß es ein vorwitziger Delphin war, der wieder auf Tiefe ging.

„Wie wär’s denn mit Aladins Wunderlampe?“ fragte der Moses Bill grinsend. „So etwas würde ich gern kaufen.“

Ibrahim lachte leise und zeigte wieder sein prächtiges schneeweißes Gebiß.

„Ich sagte ‚fast alles‘, junger Herr. Aber Wunderlampen und fliegende Teppiche hat selbst Ibrahim nicht anzubieten. Aber ihr könnt Messer, reichverzierte Dolche, Pistolen, Lampenöl, Tonkrüge, und was der Dinge mehr sind, sehr billig erwerben.“

Der Sarazene blieb hartnäckig. Er wollte den Seewölfen mit aller Gewalt etwas verkaufen.

Was, fragte sich Hasard, wenn der Kerl nun wirklich ein ganz harmloser Händler war, der sein Dasein durch den Verkauf von Waren an Seeleute fristete? Mußte man deshalb immer gleich das allerschlimmste annehmen?

Ja, verdammt, das mußte man, die Erfahrung hatte das überreichlich gelehrt und immer wieder bewiesen, und er ärgerte sich insgeheim, daß er diesen Ali Baba, diesen Gaukler Aladin, oder wie immer der Kerl heißen mochte, schon als harmlos einzustufen begann.

Ungerührt und mit orientalischer Hartnäckigkeit pries er seine Waren weiter an. Dann ließ er die Feluke so drehen, daß der Blick auf einen achteren Raum fiel, der kostbar ausgestattet war. Hasards Kapitänskammer nahm sich dagegen fast schäbig aus.

Boden und Wände waren mit Teppichen belegt und behängt. Von der Decke baumelten Öllampen, über den Teppichen waren Krummschwerter und Dolche angebracht. Da gab es Wasserpfeifen, Tonkrüge, kostbare Stoffe, Silberwaren und arabische Teetische aus gehämmertem Messing.