Seewölfe Paket 13

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Noch schöner wäre, wenn wir genug Pulver hätten, um sie alle drei gleichzeitig auf Grund zu setzen“, raunte Matt Davies.

Hasard beugte sich vor. „Das ist doch gar nicht unsere Absicht, Matt. Wir wollen Henry aus dem Hafen herauslocken und uns fair mit ihm schlagen. Wir werden ihm nur ein Zeichen geben, und das Zeichen wird er verstehen.“

„Klar, Sir“, brummte der Mann mit der Eisenhakenprothese. „Henry, dieser Bastard, würde nicht so fair sein, aber wir sollen uns ja nicht mit ihm vergleichen, oder?“

„So ist es“, sagte der Seewolf. „Wir sind Korsaren, keine skrupellosen Schlagetots und Sklavenhändler wie Henry und seine Bande.“

9.

Lord Henry, Selim, Fernand Marciaux und ihre fast dreißig Begleiter von der „Cruel Jane“, der „Grinta“ und der „Sans Pareil“ hatten sich in das Menschengewimmel der Altstadt begeben. Tim Scoby hatte sich den Sack aus Segeltuch auf die Schulter geladen, in den die von Dark Joe und Codfish gefesselte Dalida gesteckt worden war.

Sie hatten sie so fest verschnürt, daß sie sich nicht mehr regen konnte.

Der Islam verbot offiziell den Handel mit Sklaven unter Androhung schlimmster Strafen, doch auf dem Markt, der auf einem quadratischen Platz inmitten der eng zusammenstehenden Häuser bis tief in die Nacht hinein unterhalten wurde, fand Henry sehr schnell den richtigen Weg, um sich der Ägypterin zu entledigen.

Mechmed verhandelte nach einigem Herumfragen mit einem Feigen- und Olivenhändler, der ihm seinerseits eine offenbar sehr umständliche Erklärung gab, die von vielen heftigen Gesten begleitet war. Selim, Dobran, Firuz und einige andere Männer der Schebecke hörten mit zu, was er ihnen auf türkisch und auf arabisch auseinandersetzte.

„Er beschreibt, wie wir zu Dhalis Haus finden. Dieser Dhali scheint der richtige Mann für dich zu sein“, sagte Marciaux, der sich neben Lord Henry aufgebaut hatte.

Henry sah ihn verblüfft an. „Wie? Du verstehst diese verdammte Sprache?“

„Ziemlich gut. Ich fühle mich im Vorderen Orient so gut wie zu Hause.“

Sehr gut, dachte Henry, ganz ausgezeichnet. So können wir auf Mechmed als Dolmetscher gleich bei diesem Dhali verzichten, und keiner weint dem Hund auch nur eine Träne nach.

Er nahm Marciaux beiseite und teilte ihm mit, was er vorhatte, ohne daß Mechmed und seine vier Berber es hören konnten. Der Franzose lächelte. Ihm war egal, was Henry mit seinen Begleitern unternahm, Hauptsache, er erhielt seinen Proviant.

Henry indes war daran gelegen, auch Selim über seinen Plan zu unterrichten, um ihn im entscheidenden Moment nicht gegen sich zu haben. Immerhin war Selim ein Muselman wie Mechmed und Dalida, und er mochte sich auf gewisse Weise doch mit ihnen solidarisch fühlen.

Daher weihte Marciaux Selim heimlich über alles ein, während sie zu Dhalis Haus weitergingen, und er schwindelte ihm auf Henrys Bitte hin vor, daß Dalida und Mechmed ein Komplott geplant hätten, um sowohl Henry als auch Selim zu töten und mit ihren Besitztümern zu fliehen.

Selim tauschte einen Blick mit Marciaux. „Wenn das so ist, dann haben dieses Weib und die fünf Berber wirklich nichts Besseres verdient, als hier in Paphos verkauft zu werden. Bei Allah, ich habe den Verdacht, daß auch Jella, meine Geliebte, mich hintergeht.“

„Es ist nicht gut, Frauen an Bord eines Schiffes mitzunehmen“, sagte der Franzose. „Es hat sich noch nie ausgezahlt.“

„Ich habe einen halben Harem an Bord, um meine Männer bei Laune zu halten.“

„Keine schlechte Idee, aber früher oder später könnte es eine böse Überraschung geben, mein Freund. Nimm dich also in acht“, sagte der Franzose, der mit seinen Andeutungen zwar durchaus richtiglag, dem das Intrigieren aber auch angeboren war.

Dhalis Haus stand ganz am Ende einer Gasse, die gerade so breit war, daß zwei Männer in ihr nebeneinanderher schreiten konnten. Dunkel war es hier, nicht eine einzige Lampe wies ihnen den Weg. Dhalis Haus schien auf den ersten Blick verlassen zu sein, doch auf Mechmeds Ruf hin schoben von innen her Finger, die wie eine Geisterhand anmuteten, den Perlenschnurvorhang der Tür beiseite.

Henry, Scoby, Joe, Codfish, Selim, Dobran, Firuz, Marciaux und zwei seiner Leute sowie die fünf Berber traten ein, alle anderen hielten draußen Wache.

Dhali entpuppte sich als ein großer, kräftig gebauter Mann in einem sandfarbenen Burnus. Den Turban hatte er sich recht unordentlich um den Kopf gewickelt, mit Besuch schien er um diese Stunde nicht gerechnet zu haben. Dennoch zeigte er sich hoch erfreut, als er von Mechmed erfuhr, was der Anlaß für das Auftauchen der vielen Männer war.

Er führte sie in einen Kellerraum. Hier wurden von zwei Dienern, die aus dem Nichts aufzutauchen schienen, Öllampen entzündet. Dhali wies mit einer einladenden Gebärde auf die Teppiche und Sitzkissen, die den ganzen Boden bedeckten.

Sie ließen sich nieder.

Dhali wandte Lord Henry sein breites, freundliches Gesicht zu und sagte: „Eins muß ich unseren Verhandlungen jedoch vorwegschicken. Falls ihr erschienen seid, um euch mehr zu nehmen als das, was ich euch anbiete, werdet ihr trotz eurer vielen Waffen kläglich versagen. Wie ihr seht, bin ich nicht allein im Haus, und in der gesamten Nachbarschaft habe ich viele Freunde. Es hat schon Männer gegeben, die in die Altstadt von Paphos eingedrungen, aber nicht wieder hinausgelangt sind.“

Henry lauschte Mechmeds Übersetzung, ohne mit der Wimper zu zucken. Als der Berber geendet hatte, entgegnete er: „Wir haben keine derartigen Absichten, Dhali. Wir wollen ein Geschäft abschließen, nichts weiter.“

„Dann sind wir Freunde“, sagte Dhali. „Zeigt mir eure Ware.“

Scoby lud den Sack ab und befreite Dalida daraus. Sie blickte mit geweiteten Augen um sich und gab wieder würgende Laute von sich.

Dhali erhob sich, trat zu ihr und betastete sie eingehend.

„Sie ist zu alt“, sagte er dann. „Und nicht fett genug für einen orientalischen Haremsbesitzer.“

Henry lachte. „Das glaubst du doch selbst nicht! Warte, ich zeige dir, welche Qualitäten sie hat. Tim und Joe, nehmt ihr die Fesseln ab, und zieht sie aus. Laßt ihr aber den Knebel, damit sie nicht schreien kann.“

Scoby und Dark Joe befolgten grinsend den Befehl und hielten die Frau fest. Dhali stand mit grüblerischer Miene vor ihr und rieb sich das Kinn.

„Zwölf spanische Piaster, nicht mehr“, sagte er schließlich.

„Dreißig“, sagte Henry.

„Das ist heller Wahnsinn. Fünfzehn, lautet mein höchstes Angebot.“

„Fünfundzwanzig.“

„Niemals.“

„Männer“, sagte Henry. „Zieht sie wieder an. Wir finden schon einen anderen Abnehmer für sie.“

Dhali fuhr herum und wedelte mit den Händen. „Was soll denn das? Laßt doch mit euch reden! Na gut, ich gebe euch achtzehn spanische Piaster. Das ist ein Vermögen für ein Weib mit so krummen, kurzen Beinen.“

Nach einigem Feilschen einigten sie sich auf zweiundzwanzig Achterstücke, und Dhali winkte einem seiner Diener zu, damit er die Münzen hole.

„Ich lasse die Frau noch heute nacht abholen“, sagte er. „Ich habe bereits einen Käufer für sie, einen syrischen Kauffahrer.“

„Und wie bringst du sie auf sein Schiff?“ wollte Henry von ihm wissen.

„So, wie ihr sie an Land geschafft habt“, erwiderte Dhali lächelnd.

„Hättest du auch für männliche Sklaven einen Abnehmer? Für gute, junge, kräftige Männer?“

„Vielleicht. Im Hafen liegt eine türkische Galeere. Vielleicht.“

Mechmed, der weiterhin recht arglos übersetzt hatte, sah Lord Henry plötzlich entgeistert an. Henry riß völlig unerwartet die Faust hoch und fällte den Berber mit einem einzigen Hieb gegen dessen Schläfe. Mechmed brach zusammen und blieb zu Dhalis Füßen auf dem Teppich liegen.

Mechmeds vier Kumpane griffen zu den Waffen, doch Codfish, Selim, Dobran, Firuz und Marciaux standen bereits hinter ihnen und schlugen ihnen die Kolben ihrer Pistolen auf die Köpfe, so daß auch sie zu Boden sanken.

Dhali hatte verwundert die Augenbrauen gehoben.

„Marciaux“, sagte Henry. „Erklär ihm bitte, daß ich zehn Piaster für jeden dieser Kerle haben will.“

Marciaux lächelte und wandte sich auf türkisch an den Sklavenhändler.

Dieser grinste und antwortete: „Vierzig Piaster für alle fünf, kein Stück mehr.“

„Na gut“, sagte Henry. „Einverstanden. Wir wollen hier keine Zeit mehr vertrödeln.“

Dhali blickte zu seinen Dienern, die vorsichtshalber ihre Säbel gezückt hatten. „Geht jetzt das Geld holen – zweiundsechzig Piaster. Beeilt euch, auf was wartet ihr noch?“

Lord Henry sah auf die ohnmächtigen Berber und auf die nackte Dalida, die sich immer noch unter Scobys und Dark Joes Griff wand. Endlich bin ich euch los, dachte er, endlich bereitet ihr mir keinen Ärger mehr.

Was er nicht wußte und nicht im entferntesten ahnte: Jella und die Türkinnen der „Grinta“ hatten die Schebecke verlassen und waren dem Trupp Männer heimlich mit dem zweiten Beiboot der „Grinta“ gefolgt. Die Deckswache hatten sie mit dem Hinweis täuschen und abspeisen können, Selim habe ihnen schon am Nachmittag die Erlaubnis gegeben, sich ein wenig im Hafen von Paphos umzutun.

Jetzt hatten die Frauen eine Seitengasse entdeckt, durch die sie ungesehen zu Dhalis Haus gelangten. Jella führte die Gruppe an, sie wollte Dalida befreien, weil sie sie als Verbündete brauchte – und weil Dalida die einzige außer Lord Henry war, die das Schatzversteck in der Kapitänskammer der „Cruel Jane“ kannte.

Lord Henry hatte es Dalida dummerweise verraten, als sie eines Nachts wie üblich zu ihm in die Koje gekrochen war. Es war ein schwacher Moment gewesen, und für diese Schwäche sollte er noch teuer bezahlen.

 

Plötzlich überstürzten sich die Ereignisse.

Am nördlichen Ufer des Hafens erhellte ein Feuerball die Nacht, der unter grollendem Donner und starker Rauchentwicklung auseinanderbrach.

Auf den Schiffen und am Kai wurden Rufe laut, die Türen der Kneipen und Spelunken öffneten sich und spien Gestalten aus. Alle Blicke richteten sich nach Norden, dorthin, wo Ben Brighton, Ferris Tucker, Al Conroy, Smoky und Stenmark für das von Hasard angeordnete Ablenkungsmanöver sorgten.

Auch die Ankerwache der „Grinta“ lief zum Schanzkleid der Backbordseite und spähte angestrengt zum Ufer hinüber, wo jetzt eine zweite heftige Explosion erfolgte. Aufgeregt redeten die Türken durcheinander und stritten sich darüber, was wohl die Detonationen hervorgerufen haben mochte.

Ben hatte drei Flaschenbomben mit langen Lunten am Ufer anbringen lassen. Jetzt, da die Zündschnüre abbrannten und die Pulverladungen der Flaschen hochgehen ließen, entfernte sich die Jolle bereits wieder und steuerte zur Reede, um bei Bedarf dem Seewolf zu helfen.

Der hatte seine Jolle zur Steuerbordseite der Schebecke gesteuert und war an der Bordwand längsseits gegangen, ohne daß die Ankerwache es bemerkte.

Die „Grinta“ lag am weitesten nach Südosten versetzt auf der Reede von Paphos und wandte ihre Steuerbordseite dem offenen Meer zu. Somit konnten die fünf Männer der „Isabella“ auch von der „Cruel Jane“, von der französischen Galeone oder von anderen Schiffen aus nicht beobachtet werden, und die Schebecke war also wegen ihrer Position das für das Unternehmen geeignete Schiff.

So schnell sie konnten, befestigten Hasard, Shane, Dan, Blacky und Matt acht Höllenflaschen an der Bordwand des Piratenseglers, und zwar dicht über der Wasseroberfläche. Sie benutzten Segeltuchstreifen und Leim, der von Dan O’Flynn mit einem dicken Pinsel aus Sauborsten aufgetragen wurde, um die Flaschen anzubringen und vor einem verfrühten Herunterfallen zu bewahren.

Dann zündeten sie die Lunten, legten wieder ab und pullten nach Südosten davon. Erst nach gut fünfzig Yards beschrieben sie mit der Jolle einen Halbkreis und wandten sich nach Norden, um sich mit Ben und den anderen zu treffen und dann zur „Isabella“ zurückzukehren.

Am Nordufer flog die dritte Höllenflasche mit einem Donnerhall auseinander. Immer noch galten alle Blicke dem rätselhaften, beängstigenden Ereignis. Am Kai liefen immer mehr Menschen zusammen. Reiter der Stadtgarde verließen das Hafenviertel, um zum Platz des Geschehens zu jagen. Ein paar Boote setzten sich von den Piers aus in Bewegung – und Selims Ankerwache bemerkte immer noch nicht, daß es an der Steuerbordseite des Zweimasters „Grinta“ knisterte und schwelte.

Dann gingen die acht Höllenflaschen fast gleichzeitig hoch und rissen ein gewaltiges Loch in den Bauch der Schebecke. Von Selims Piraten gerade erst wieder notdürftig instand gesetzt, empfing sie ihren entscheidenden, vernichtenden Schlag: Das Wasser flutete rauschend in den offenen Rumpf, das Schiff neigte sich zur Seite und begann zu sinken.

Keiner der Seeräuber war ernstlich verletzt, nur waren drei von ihnen bei der Explosion sogleich übers Schanzkleid weg ins Wasser katapultiert worden. Die anderen sprangen jetzt von Bord und schwammen mit ihren Kumpanen entsetzt zur „Cruel Jane“, die ihnen am nächsten ankerte.

Im Nu war im Hafen der Teufel los, doch niemand sah die beiden Jollen, die sich in rascher Fahrt um die Landzunge herum entfernten und zurück zur „Isabella VIII.“ glitten.

10.

Lord Henry, Selim, Marciaux und ihre Begleiter hatten Dhalis Haus verlassen und waren unterwegs zum Hafen, um ein für Marciaux’ Zwecke geeignetes Warenhaus zu finden und auszuplündern. Als jedoch die Explosionen ertönten, liefen sie entsetzt zum Kai und wohnten von hier aus fassungslos dem Untergang der Schebecke bei.

„In die Boote!“ schrie Selim. „Wir müssen retten, was noch zu retten ist!“

In Windeseile kletterten sie in ihre Boote und pullten auf die Reede hinaus, übersahen jedoch das zweite Beiboot der „Grinta“, das an einer Pier vertäut war.

Jella und die Türkinnen hatten unterdessen unbeobachtet und unbehelligt durch einen Seiteneingang Einlaß in Dhalis Haus gefunden. Dhali und seine Dienerschaft eilten gerade verwirrt in die Gasse nach draußen, lauschten dem Donnerschlag der großen Explosion und sahen den Feuerblitz, der aus dem Rumpf der „Grinta“ über dem Hafen aufstieg.

Jella entdeckte die Treppe, die in den Keller hinunterführte, und sah unten, im Gewölbe, Licht brennen. Sie ahnte, daß Dalida dort zu finden war, und zögerte nicht, die Stufen hinunterzueilen. Sie hatte eine Pistole gezückt, die sie von Bord der Schebecke mitgenommen hatte. Ihre Gefolgschaft war ebenfalls mit Pistolen und Messern bewaffnet.

Dalida, immer noch halb nackt, war an eine Säule des Gewölbes gefesselt worden. Mechmed und die vier Berber lagen nach wie vor bewußtlos am Boden. Sämtliche Wächter hatten das Gefängnis verlassen und befanden sich oben bei Dhali und den anderen Hausbewohnern in der Gasse.

Jella schnitt Dalida von der Säule los und befreite sie von dem Knebel. Rasend vor Wut entriß die Ägypterin der Libanesin das Messer und stürzte sich damit auf die Berber.

Die Türkinnen sammelten Dalidas Kleidungsstücke vom Boden auf. Jella lief zu Dalida, zerrte an ihrem Arm und zischte: „Hör auf damit! Wir müssen schleunigst verschwinden. Willst du, daß sie uns hier ertappen und niederprügeln?“

Dalida richtete sich von Mechmed auf. „Nein. Aber diese Hunde haben geduldet, daß Henry mich verkaufte, mehr noch, Mechmed hat Henry gut zugeredet. Tod – Tod allen Verrätern und Bastarden! Ich will mich auch an Dhali rächen und …“

„Nein. Du kommst mit.“ Jella zerrte sie an der Hand mit sich fort. Sie verließen das Gewölbe, gefolgt von den Türkinnen. Erst als sie in der kleinen Seitengasse waren, konnte Dalida sich wieder ankleiden.

„Was haben diese Explosionen zu bedeuten?“ fragte sie keuchend.

„Ich weiß es nicht“, erwiderte Jella. „Aber ich fürchte, sie haben mit unseren Schiffen zu tun. Wir müssen so schnell wie möglich zum Hafen und nachsehen, was es damit auf sich hat.“

So eilten sie durch das Gewirr von Gassen zum Hafen hinunter, ehe Dhali die Flucht der Ägypterin entdeckte.

Mechmed erwachte aus seiner Ohnmacht und verspürte einen brennenden Schmerz in der linken Schulter. Stöhnend richtete er sich auf. Er drehte sich um und sah entsetzt auf seine vier Kumpane, die aus tiefen Wunden bluteten.

Er untersuchte sie, dann erhob er sich wieder und taumelte zur Treppe. Er zog sein Messer, das Dhalis Diener ihm noch nicht abgenommen hatten.

Tot, dachte er erschüttert, alle vier tot, und Dalida ist fort. Sie ist die Mörderin, nur sie kann es sein.

Im Erdgeschoß des Hauses drückte er sich in einen Alkoven, als er Stimmen vernahm. Der Sklavenhändler und seine Diener kehrten zurück. Was immer sich im Hafen abspielen mochte, es berührte ihn nicht weiter, da er seine persönliche Sicherheit nicht gefährdet sah.

Mechmed sah die Männer zum Greifen nah an sich vorbeischreiten, doch sie entdeckten ihn nicht im Dunkel des Alkovens. Er überlegte, ob er sich auf Dhali stürzen sollte, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Gegen die Übermacht der Diener kam er nicht an, zumal er verletzt war und Schwindelgefühle und würgende Übelkeit verspürte.

Dalida, dachte er voll Haß, du hast auch mich erstechen wollen, du wolltest mich töten, aber es ist dir nicht gelungen. Rache, Rache, Rache!

Die Männer stiegen in den Keller hinunter. Mechmed verließ den Alkoven und hastete aus dem Haus. Er lief die Gasse entlang und war kurz darauf zwischen den Menschen verschwunden, die vom Markt aus zum Hafen eilten, um nachzusehen, welche Bewandtnis es mit den Explosionen und mit dem Geschrei hatte.

Dhali blieb im Keller seines Hauses wie vom Donner gerührt stehen. Mit einem einzigen Blick erkannte er die Lage.

„Vier tot, zwei entflohen“, murmelte er bestürzt.

Dann fuhr er zu seinen Dienern herum.

„Ihr Hunde!“ brüllte er sie an. „Das ist eure Schuld! Ich habe mehr als sechzig Piaster verloren, für nichts und wieder nichts! Dafür peitsche ich euch aus, bis ihr Allah um Vergebung anfleht!“

Dalida, Jella und die Türkinnen nutzten das allgemeine Durcheinander im Hafen aus, um in das Beiboot der Schebecke zu steigen und zur „Cruel Jane“ zu pullen. Während Lord Henry, Selim, Marciaux und die anderen Piraten in ihren Booten noch an der Unglücksstelle verharrten und hilflos und voll ohnmächtigem Zorn zusehen mußten, wie die „Grinta“ endgültig unterging und auf den Grund der Reede sank, erreichten die Frauen die Galeone des Engländers und enterten über eine Jakobsleiter an Bord.

„He!“ rief einer der Männer der Deckswache ihnen zu, als er sie auf dem Hauptdeck erscheinen sah. „Was wollt ihr denn hier?“

Dalida stand zwischen den Türkinnen, der Mann konnte sie im Dunkeln unmöglich erkennen. Die anderen Männer der Wache hatten sich auf der Back versammelt und blickten zu dem Platz, an dem die Schebecke eben noch geankert hatte.

Jella hob in einer verzweifelten Gebärde die Arme. „Wir waren an Land, aber zur ‚Grinta‘ können wir ja nicht mehr zurück. Wohin sollen wir denn wohl sonst als zu euch?“

„Ja, wir müssen euch wohl aufnehmen“, brummte er. „Wartet auf Henry, er wird euch sagen, was mit euch wird.“

Die Frauen blieben vor dem Achterkastell stehen. Dalida gelang es, unbemerkt durch das Schott ins Innere zu schlüpfen und sich in einer der Kammern zu verstecken.

Die Boote der Piraten näherten sich der „Jane“ und der „Sans Pareil“. Marciaux war mit zu Henry in die Jolle gestiegen und saß neben ihm auf der Heckducht.

„Glaubst du wirklich, daß es das Werk des Seewolfs war?“ fragte er.

„Ich bin davon überzeugt!“ stieß Henry voll Wut hervor. „Wir müssen sofort auslaufen und ihn fassen, bevor er wieder flieht. Dieser gemeine, feige Bastard!“

„Was wird aus Selim und dessen Leuten?“

„Wir nehmen sie an Bord der ‚Jane‘. Und was wirst du tun, Marciaux?“

„Ich begleite dich“, erwiderte der Franzose. „Meine Galeone ist gut bestückt, es wäre doch gelacht, wenn wir den Seewolf nicht gemeinsam schlagen würden.“

Lord Henry hatte zwar erkannt, wer der Urheber des Attentats auf die Schebecke war, doch in einem Punkt irrte er sich: Der Seewolf floh nicht vor ihm. Zwei Meilen von Paphos entfernt lag die „Isabella“ jetzt mit aufgegeiten Segeln beigedreht in der See und wartete auf den Gegner – und diesmal hatte Hasard die Hecklaterne anzünden lassen, damit Henry und Selim ihn auch sofort fanden.

Es war eine offene Herausforderung zum Kampf, und der Gegner nahm sie an. Um sechs Glasen vor Mitternacht erkannte Gary Andrews, der nach wie vor im Großmars der „Isabella“ stand, daß sich von Nordosten zwei Galeonen näherten und Kurs auf sie nahmen.

Gefechtsbereit war die „Isabella“ nach wie vor. Hasard ließ zunächst das Großsegel, die Fock und die Blinde setzen und lief mit langsamer Fahrt, über Steuerbordbug segelnd, auf den Feind zu.

Er enterte mit Ben Brighton die Back und blieb neben Smoky stehen, der sich an den vorderen Drehbassen postiert hatte.

Shane war mit Pfeil und Bogen im Hauptmars verschwunden, Batuti hatte den Vormars geentert. Old O’Flynn hatte wieder die achteren Drehbassen übernommen, sein Sohn war auf die Kuhl hinuntergestiegen, um den Männern an den Culverinen zu helfen. Carberry rief seine letzten Anweisungen. Bill und die Zwillinge standen als Ladenummern an den Culverinen bereit, sie würden von einer Station zur anderen laufen, wenn die ersten Schüsse abgegeben waren und nachgeladen werden mußte.

„Noch einen Strich weiter Backbord, Pete!“ rief Ben Brighton Pete Ballie zu.

„Aye, Sir! Ein Strich Backbord!“

Hasard blickte zu den heransegelnden Galeonen, die jetzt für jedermann mit dem bloßen Auge zu erkennen waren.

„Na prächtig“, sagte er. „Henry hat mit dem Franzosen offenbar ein Bündnis geschlossen. Sie rücken beide an, um uns den Garaus zu bereiten. Bestimmt hat Henry bei seinem neuen Freund den Appetit angeregt und ihm erzählt, bei uns gebe es immense Schätze zu holen, bei deren Anblick jedem die Augen übergehen.“

„Der Franzose ist gut armiert, Sir!“ rief Gary Andrews. „Er hat mindestens zwölf Stücke auf jeder Seite.“

„Fein“, sagte der Seewolf mit einem kühlen Lächeln. „Wir führen die Hundesöhne ein wenig an der Nase herum. Erst sollen sie glauben, daß wir mitten zwischen ihnen hindurchsegeln wollen. Dann tun wir so, als wollten wir weiter anluven, um die überragende Position im Kampf zu gewinnen.“

 

„Das sollte doch auch unser Bestreben sein“, sagte Ben Brighton.

„Ich habe eine andere Taktik.“

„Du willst vor den Wind gehen?“

„Ja. Sag Ferris, daß wir die Höllenflaschen erst im allerletzten Moment einsetzen. Diesmal feuern wir zuerst unsere Kanonen ab.“

„Aye, Sir.“ Ben verließ die Back und kehrte zu Old O’Flynn, Ferris Tucker und Pete Ballie auf das Achterdeck zurück.

Hasard verweilte noch auf der Back.

„Der Abstand schrumpft schnell zusammen“, sagte er zu Smoky. „Uns trennen jetzt nur noch höchstens zweitausend Yards von Henry, Selim und dem Franzosen.“

„Glaubst du, daß Selim an Bord der ‚Jane‘ ist?“

„Mit seiner ganzen Mannschaft. Ich nehme an, er glüht vor Haß und Vergeltungssucht.“

„Achtung!“ schrie Gary. „Es tut sich was!“

Und da blitzte es auf der Back der „Cruel Jane“ auch schon hellrot auf. Eine Drehbassenkugel raste heran und schlug vor der „Isabella“ ins Wasser – gut und gern fünfzig Yards entfernt.

„Die Kriegserklärung“, sagte der Seewolf. Er drehte sich um und rief seinen Männern zu: „Kurs halten! Marssegel und Besan setzen!“

Die Männer wiederholten die Befehle, dann wurden die Geitaue des Großmars-, des Vormars- und des Besansegels gelöst. Straff spannte sich das Tuch, die „Isabella“ beschleunigte und rauschte mit steiler Bugwelle auf den Gegner zu.

„Anbrassen und höher an den Wind!“ schrie Hasard. „Zwei Strich Backbord!“

„Braßt an, ihr müden Barsche!“ brüllte der Profos. „Los, zeigen wir diesen Bastarden, wie wendig wir sind!“

Es krachte wieder, diesmal an Bord des Franzosen. Die zweite Kugel heulte auf die „Isabella“ zu und verschwand dicht vor ihrem Vorsteven mit einem hallenden Klatscher in den Fluten.

„Soll ich darauf antworten?“ fragte Smoky.

„Nein. Warte ab. Sieh mal, sie gehen auf unser Manöver ein“, erwiderte der Seewolf. „Sie luven an und gehen auf Kurs Westnordwest, um uns den Weg abzuschneiden. Darauf habe ich nur gewartet.“ Wieder wandte er sich der Kuhl zu und rief: „Abfallen jetzt und auf Kurs Ostnordost! Neun Strich Steuerbord!“

Pete legte Hartruder Steuerbord, die Crew stürzte an die Brassen und Schoten, um die Stellung der Rahen zu ändern. Die „Isabella“ fiel außerordentlich schnell vom Wind ab und lief, noch schneller werdend, in Lee auf den Franzosen zu, der, auf gleicher Höhe mit der „Jane“ segelnd, jetzt fast heran war.

Plötzlich hatte Hasard ihn genau vor den Mündungen der Backbord-Culverinen.

„Die vorderen vier Kanonen – Feuer!“ schrie er.

Fernand Marciaux erkannte genau wie Lord Henry und Selim das Vorhaben des Seewolfs zu spät. Er versuchte noch, wieder abzufallen, doch die „Sans Pareil“ ging zu langsam herum und zeigte der „Isabella“ immer noch ihre Bordwand und damit viel Angriffsfläche, als sich beide Schiffe auf entgegengesetztem Kurs begegneten.

Schon donnerten die 17pfünder der „Isabella“.

„Feuer!“ schrie nun auch Marciaux, doch zum genauen Zielen blieb seinen Geschützführern keine Zeit mehr.

Die Seewölfe hingegen hatten das richtige Maß genommen: Drei der vier losorgelnden Kugeln trafen die „Sans Pareil“, rasierten ihr das halbe Galion samt Bugspriet und Blinde weg, knickten ihren Fockmast an und nahmen ein Stück des Kuhlschanzkleides mit. Einer von Marciaux’ Decksleuten wurde außenbords befördert. Sein Todesschrei gellte durch die Nacht.

Die Kugeln der „Sans Pareil“ lagen zu kurz und rissen nur gischtende Wasserfontänen aus der See hoch.

„Feuer!“ tönte es wieder an Bord der „Isabella“, und jetzt spuckten die achteren vier Backbordgeschütze Feuer, Eisen und Rauch aus.

Marciaux ließ wutentbrannt die letzten Kanonen der Backbordseite zünden. Diesmal hatte er mehr Glück und brachte der „Isabella“ ein kopfgroßes Loch in der Bordwand und einigen Schaden am Schanzkleid bei.

Doch größer war die Zerstörung auf der „Sans Pareil“. Auch die zweite Salve der „Isabella“ saß. Die „Sans Pareil“ erbebte, Holz- und Eisentrümmer wirbelten, die Männer schrien, Verwundete wälzten sich auf dem Oberdeck.

Fernand Marciaux war entsetzt, einen solchen Auftakt der Schlacht hatte er nicht erwartet. Er ließ weiter abfallen und versuchte, der „Isabella“ nachzustellen, doch die lag jetzt bereits platt vor dem Wind und lief – mit noch schnellerer Fahrt – nach Südosten. Ihre beiden achteren Drehbassen dröhnten und entsandten noch einen Eisengruß an Marciaux, der dem ramponierten Galion den Rest besorgte.

Die „Isabella“ lief der allmählich auf Südkurs gehenden „Sans Pareil“ also davon, halste und luvte wieder an. Somit segelte sie jetzt in westlicher Richtung.

Lord Henry ließ fluchend vom Wind abfallen und steuerte ebenfalls nach Süden, dann aber, als er die neue Absicht des Gegners erkannte, wieder nach Südwesten.

Hasard ging auf Nordwestkurs, und somit befanden sich die beiden Erzfeinde jetzt auf Kollisionskurs. Dann aber schwenkte die „Isabella“ überraschend noch weiter herum und ging über Stag. Statt die „Cruel Jane“ von Luv her anzugreifen, wie Lord Henry und Selim fest angenommen hatten, zog sie hart am Vorschiff der „Jane“ vorbei, drehte bis nach Nordosten und rauschte in Lee dicht, sehr dicht an den vor Wut aufschreienden Freibeutern vorbei.

„Feuer!“ brüllte Lord Henry.

„Feuer!“ rief auch der Seewolf.

Die inzwischen nachgeladenen Backbordgeschütze wummerten und rollten zurück. Die volle Breitseite jagte zur „Jane“ hinüber und schien sich mit deren Breitseite zu kreuzen – und dann bohrten sich die Kugeln auf beiden Seiten mit Krachen und Splittern ins Schiffsholz.

Hasard und seine Männer lagen flach auf den Decksplanken und schützten ihre Köpfe mit den Händen. Trümmerteile prasselten auf sie nieder, aber niemand wurde schwer verletzt, nur hier und da gab es ein paar Kratzer, Beulen und Prellungen.

Hasard sprang wieder auf, lief von der Back auf die Kuhl und schrie: „Shane, Batuti, die Pulverpfeile! Ferris!“

Darauf hatten Shane, der Gambia-Mann und der Schiffszimmermann der „Isabella“ nur gewartet. Die Flaschen flogen torkelnd durch die Luft, die Brandpfeile mit den pulvergefüllten Schäften sirrten, und auf das Einschlagen der 17-Pfünder-Kugeln folgte eine ganze Serie von Explosionen an Bord der „Jane“.

Die „Isabella“ lief jetzt von der „Jane“ ab, befand sich mit einemmal wieder auf einer Höhe mit der „Sans Pareil“ und hatte sie in Lee liegen. Sofort ließ der Seewolf die komplette Steuerbordbatterie abfeuern, und so glitt die „Isabella“ nun doch als feuerspeiende Festung mitten zwischen den beiden Gegnern hindurch.

In Paphos wurde der Kanonendonner sehr wohl vernommen, doch kein Schiff lief aus, um in die Schlacht einzugreifen. Man fragte sich zwar, warum dort draußen so erbittert gekämpft wurde, aber niemand wollte seine Haut zu Markte tragen, nicht für einen windigen Franzosen oder für einen großen, groben Engländer oder für einen zwielichtigen Türken – oder für noch jemand anders, der in Paphos auf Zypern überhaupt nicht bekannt war.

Marciaux ließ das Feuer der „Isabella“ zwar noch erwidern, doch dann verzog er sich nach Süden, denn er hatte die Nase voll. Alles war anders gelaufen, als er sich ausgemalt hatte, ein Sieg war nur noch unter größtem Einsatz an Männern und Material zu erringen. Doch selbst für all das, was Henry ihm versprochen hatte, waren ihm sein Schiff und seine Mannschaft zu schade.

Fernand Marciaux, der einen Pakt genauso schnell brach, wie er ihn einging, verschwand mit seiner „Sans Pareil“ in der Nacht. Er hatte schon genug Verwundete und Tote zu verzeichnen. Es würde viel Arbeit verursachen, die Galeone wiederherzurichten, aber als ein noch schlimmeres Übel empfand es der Franzose, daß seine Leute und er in den nächsten Tagen nun wohl doch nur Thunfisch essen mußten.

Die „Isabella“, fast so schwer angeschlagen wie die „Sans Pareil“, luvte wieder an, lief um das Heck der „Cruel Jane“ herum und griff Lord Henry und Selim von Luv her an, ehe diese so weit herummanövriert hatten, daß sie die Steuerbordkanonen abfeuern konnten.