Seewölfe Paket 13

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7.

Verbissen hielt Lord Henry an seinem Vorhaben fest. Er forschte im Morgengrauen die Küste südlich des Kaps Kormakitis ab und hielt sich so dicht unter Land, daß sein Loggast unausgesetzt von der Galionsplattform der „Cruel Jane“ aus die Wassertiefe aussingen mußte. Die „Grinta“ segelte im Kielwasser der „Jane“, und allmählich bewegten sich die beiden Schiffe immer näher auf die Bucht von Pomos zu.

Doch im Nebel übersahen sowohl die Engländer als auch die Türken die Einfahrt der Bucht. Sie zogen daran vorbei, wandten sich, dem Verlauf der Ufer folgend, nach Westen und gelangten gegen Mittag zum Kap Arnaútis, jener Landzunge, die sich am weitesten westlich in die See schob.

Hier ließ Henry die Schebecke auf Rufweite heransegeln und hielt eine kurze Absprache mit Selim.

Selim betrat mit ziemlich überlegener Miene das Achterdeck seines Schiffes und spähte unter seiner rechten Hand, mit der er die Sonnenstrahlen abschirmte, zur „Jane“ hinüber.

„Was schlägst du vor, Selim?“ rief Mechmed, der sich wieder als Übersetzer betätigte, auf arabisch. „Wo sollen wir weitersuchen?“

„Ich kenne Zypern!“ schrie Selim zurück. „Der einzige Hafen, den die Hundesöhne anlaufen könnten, wäre Paphos.“

Mechmed übertrug dies ins Spanische, und Lord Henry, der neben ihm auf dem Quarterdeck der „Jane“ stand, sagte: „Wo liegt Paphos?“

Mechmed wandte sich wieder an Selim, und kurz darauf wußte Henry, daß sie den Hafen Paphos rund vierzig Meilen weiter südlich an der Westküste Zyperns vorfinden würden.

„Aber Killigrew könnte sich auch nach Osten gewandt haben!“ gab er zu bedenken.

„Das glaube ich nicht!“ rief Selim zurück. „Sein ursprünglicher Kurs lag nach Süden an, vergiß das nicht, Lord Henry! Bevor es zum Gefecht kam, segelte er direkt nach Süden, und er hätte die Westküste von Zypern passiert!“

„Du meinst, er will nach Nordafrika?“

„Vorstellen könnte ich es mir!“

„Was gibt es dort zu holen?“

„Nicht sehr viel mehr als Sand, aber Allah allein weiß, was ihn dorthin treibt!“ schrie der Türke. „Doch das soll nicht unsere Sorge sein! Laufen wir Paphos an, Henry, du wirst sehen, ich habe recht! Wahrscheinlich versucht der Bastard dort, seine Gefechtsschäden auszubessern und ein wenig Wasser und Proviant an Bord zu nehmen!“

„Gut!“ rief Henry ihm zu. „Ich bin einverstanden! Übernimm du jetzt die Führung!“

Selim verließ ohne ein weiteres Wort das Achterdeck und gab seinen Männern die erforderlichen Befehle. Etwas später glitten die beiden Schiffe wieder an der Küste entlang. Der anhaltend frische Wind aus Nordwesten blähte ihre Segel auf und verlieh ihnen gute Fahrt.

Paphos, dachte Lord Henry, ein Hafen, ein Markt, eine Absatzmöglichkeit für jede Art von Ware – das kommt meinen Plänen entgegen. Er blickte zu Tim Scoby, und Scoby grinste.

Er hatte schon begriffen, was in Henrys Geist vorging.

Noch vor Einsetzen der Dunkelheit langten sie in Paphos an. Selim führte die Verhandlungen mit den beiden Abgesandten des Hafenkapitäns, die zur Kontrolle mit einer Pinasse übersetzten. Er gab sich als türkischer Kauffahrer aus, der von seinem englischen Handelspartner begleitet wurde, und erklärte, daß sie am nächsten Tag große Einkäufe auf dem Markt von Paphos tätigen wollten. Die Kontrolle verlief schon in ihren Ansätzen lax, und die letzten Vermutungen der Delegierten, man führe sie vielleicht gewaltig an der Nase herum, wurden durch einen kleinen Beutel mit Perlen ausgeräumt, die Selim ihnen als „Gastgeschenk“ für den Hafenkapitän überreichte.

Selbstverständlich würden die Abgesandten den Beutel für sich behalten, statt ihn an ihren Vorgesetzten auszuhändigen, das war sozusagen Ehrensache. Genauso sicher war Selim aber auch, daß sie vorerst die Perlen nicht als die Fälschungen erkennen würden, die diese in Wirklichkeit waren.

Zufrieden verließen die Zyprioten die Schebecke. Der Weg in den Hafen stand der „Grinta“ und der „Cruel Jane“ offen.

Gemächlich lavierten sie in der zunehmenden Dunkelheit zwischen den auf der Reede liegenden großen und kleinen Segelschiffen dahin, auf der Suche nach einem geeigneten Ankerplatz.

Selim nahm fest an, daß sich auf diesen Kauffahrern und Abenteurerschiffen – es waren Levantiner, Afrikaner, Griechen, Venezianer, Genuesen, Spanier und Portugiesen – die eine oder andere Besatzung befand, die mit ihm und seinen Männern schon Bekanntschaft geschlossen hatte. Viele Schiffe hatte Selim zwischen der Türkei, Zypern, Kreta, dem Libanon und Syrien überfallen. Doch jetzt, im ersterbenden Licht, war es unwahrscheinlich, von irgend jemandem als der entlarvt zu werden, der er tatsächlich war.

Lord Henry, der mit seiner Galeone näher an die Schebecke herangerückt war, hatte in dieser Beziehung weniger zu befürchten. Nie zuvor war er mit seiner Mannschaft so weit ins östliche Mittelmeer vorgedrungen. Er war vorher nur bis nach Sizilien gesegelt, um Fischerdörfer zu plündern und weiße Frauen als Sklavinnen an Bord seines Schiffes zu holen, aber hier – wer sollte ihn hier schon wiedererkennen?

Henry stand auf dem Achterdeck und blickte zu den weißen Häusern des Hafenviertels, hinter deren Fassaden sich – nur noch schwach zu erkennen – andere Bauten erhoben und die Hänge der Hügel emporzustreben schienen, die im Landesinneren hochwuchsen. Hier und dort flammten Lichter auf. Von den Hafenanlagen her waren jetzt bereits die Stimmen von Menschen zu vernehmen. Eine seltsame Duftmischung von Salz, Teer, Rauch und Fisch lag in der Luft.

Scoby und Dark Joe traten neben Henry. Codfish befand sich wieder im Großmars und hielt nach wie vor die Augen nach allen Seiten offen.

„Richtig orientalisch“, sagte Tim Scoby. „Hier müßte Dalida sich doch eigentlich wohl fühlen. Hier ist sie fast zu Hause.“

„Still“, warnte Henry. „Sie könnte uns hören.“

„Sie sitzt in ihrer Kammer“, brummte Dark Joe, „und versteht kein Wort.“

„Unterschätzt sie nicht“, sagte Lord Henry. „Sie hat ausgezeichnete Ohren und versteht inzwischen schon mehr Englisch, als ihr vielleicht denkt.“

„Ja, sie lernt schnell“, meinte nun auch Tim Scoby. „Wann bringen wir sie an Land? Und wann schaffen wir die verfluchten Berber von unserem Schiff?“

„Noch heute nacht.“

„Da wäre nur ein Problem, das mir eingefallen ist“, murmelte Dark Joe. „Wenn Mechmed weg ist, haben wir keinen Dolmetscher mehr, um mit Selim zu sprechen.“

„Auch auf Selim können wir bald verzichten“, meinte Henry. Er wollte gerade weiterreden, da gab Codfish über ihren Köpfen einen gedämpften Ruf von sich.

„Galeone an Steuerbord“, sagte er so laut, daß sie ihn gerade noch verstehen konnten. „Das ist Killigrews Schiff! Wir haben ihn!“

Tim Scoby dämpfte seinen Optimismus. „Mann, Codfish, siehst du denn nicht, daß er eine französische Flagge führt?“ rief er halblaut zum Großmars hinauf.

„Doch, aber …“

„Und er hat auch keine Drehbassen auf der Back und auf dem Achterdeck“, stellte Dark Joe nüchtern fest. „Also hast du dich getäuscht. Wäre ja auch zu schön gewesen.“

„Manchmal benehmt ihr euch wie die Narren“, sagte Henry verächtlich. „Killigrew wird seine Gründe haben, warum er hier nicht erkannt werden will. Er hat sich als Franzose getarnt und vorsichtshalber die Drehbassen abmontieren lassen. Aber seht euch die Galeone genau an. Hat sie nicht auffallend hohe Masten und niedrige Aufbauten? Ich will verdammt sein, wenn das nicht die ‚Isabella‘ ist.“

„Verflucht, es ist kaum noch was zu erkennen“, sagte Scoby. „Wir müssen schon näher an ihn heran, wenn wir ganz sicher sein wollen.“

„Es ist kein Ausguck in seinem Mars!“ meldete Codfish. „Ich schätze, er hat uns noch nicht richtig bemerkt. Seine Deckswache scheint zu schlafen – oder der Großteil der Besatzung ist an Land, und der Rest besäuft sich unter Deck.“

„Um auf den Sieg über uns anzustoßen“, sagte Lord Henry grimmig. „Aber die Freude verderben wir den Hunden. Nutzen wir unsere Chance aus, und pirschen wir uns mit den Booten an ihn heran.“

„Sofort?“ fragte Dark Joe.

„Sofort. Gebt Selim ein Zeichen, damit er Bescheid weiß.“

Lord Henry bemannte seine beiden Beiboote. Selim, Dobran, Firuz und fünf andere Männer der „Grinta“ schlossen sich ihnen mit einem dritten Boot an, nachdem die Schebecke genau wie die Galeone auf der Reede vor Anker gegangen war.

Es fiel ihnen nicht schwer, sich an die mutmaßliche „Isabella“ heranzupirschen. Auf der Reede herrschte ein beständiges Auf und Ab von Booten und kleinen Segelschiffen, Leute gingen an Land, Leute kehrten an Bord ihrer Schiffe zurück. Die Piraten mischten sich unter sie und gelangten auf diese Weise ungehindert und offenbar auch völlig unbeobachtet zum Heck der Galeone.

Kein Namenszug stand auf dem Heckspiegel des großen Dreimasters, genau wie bei der „Isabella“ des Philip Hasard Killigrew. Henry, der vor Selim als erster am Ruderblatt aufenterte, glaubte auch zu erkennen, wo die Lecks, die sie dem Feind im Gefecht beigebracht hatten, repariert worden waren.

Nur die Achterlaterne der Galeone brannte, in der Kapitänskammer herrschte Dunkelheit. Diese Tatsache verstärkte die Annahme der Freibeuter, der größte Teil der Mannschaft könne sich an Land befinden, höchstwahrscheinlich, um sich in den Spelunken und Bordellen des Hafenviertels von Paphos auszutoben. Stimmen waren nirgends an Bord zu vernehmen, es herrschte Totenstille.

Henry kletterte über die Balustrade der Heckgalerie und näherte sich der Tür, die von außen in die Kapitänskammer führte. Er fand sie unverschlossen vor. Sehr unvorsichtig, dachte er, Killigrew, du bist dieses Mal zu übermütig.

 

Selim schloß sich ihm an, als er die Tür öffnete und in den dahinterliegenden Raum schlüpfte. Scoby und Dark Joe krochen eben über die hölzerne Brü-stung, dann stiegen auch Dobran und Firuz auf die Galerie.

Vorsichtig tasteten sich Henry und Selim durch die Kammer des Kapitäns voran. Sie forschten nach der Tür, die zum Achterdecksgang führte. Von dort aus würde es ihnen ein leichtes sein, aufs Hauptdeck zu gelangen und das gesamte Schiff zu besetzen und zu vereinnahmen. Besser konnte es nicht kommen, größer konnte Lord Henrys und Selims Triumph über die verhaßten Korsaren nicht sein.

Tim Scoby und Dark Joe befanden sich jetzt auch in der Kammer. Henry hatte soeben die gesuchte Tür entdeckt – da flammte Licht auf. Sie fuhren herum und griffen zu ihren Waffen.

Zu spät! In der Raumecke der Backbordseite standen drei Männer, und jeder hielt zwei Pistolen auf die Eindringlinge gerichtet. In ohnmächtiger Wut erkannte Henry, daß er in eine Falle getappt war.

Die Fremden hatten das Licht derart rasch zu entzünden vermocht, weil sie sich eines Tricks bedient hatten, der ebenso simpel wie wirkungsvoll war: Über eine bereits brennende Öllampe hatten sie für kurze Zeit einen Holzkübel gestülpt, dessen glatter Rand sauber und fugenlos mit den Planken abschloß. Die Luft im Kübel reichte lange genug aus, um die kleine Flamme der Lampe nicht zum Erlöschen zu bringen. So hatte der eine Mann, der jetzt mit zwei Miqueletschloß-Pistolen auf Scoby und Dark Joe zielte, nur schnell den Kübel anzulüften brauchen, um für die gewünschte Helligkeit zu sorgen.

Der Anführer des Trios und Kapitän des Schiffes indes schien der größte der drei zu sein, der durch eine zwar phantasievolle, in vielen Details aber der Uniform französischer Kapitäne ähnelnde Kleidung hervorstach.

Dieser Mann hatte dichte schwarze Haare und ein glattes, sonnengebräuntes Gesicht. Der Blick seiner dunklen Augen strafte eine gewisse Weichheit in seinen Zügen Lügen: Er war ein durch und durch harter Mann, couragiert und entschlossen, zu keinem Kompromiß bereit.

Oder?

„Verdammt und zugenäht!“ keuchte Dark Joe entsetzt. „Wir haben uns doch getäuscht. Es ist nicht das Schiff des Seewolfs.“

Der große, gutaussehende Mann in der Phantasieuniform trat hinter ihn und stieß ihn zu Tim Scoby, der schon fast Henry erreicht hatte. Dann drückte er die Tür zu und verriegelte sie.

Draußen hieben Dobran, Firuz und die anderen nachdrängenden Männer mit ihren Fäusten gegen das Holz der Tür.

„He!“ sagte Codfish laut. „Was soll denn das, Henry? Ist das ein fauler Scherz, oder was ist los?“

„Engländer?“ fragte der Kapitän der Galeone auf französisch. „Leider spreche ich Ihre Sprache nicht, Messieurs.“ Er entfernte sich wieder aus der Nähe der Tür für den Fall, daß einer der Draußenstehenden auf die Idee verfiel, einen Schuß auf den Riegel abzufeuern. Er blickte zu Lord Henry. „Verstehen Sie mich, mon ami? Nein?“

„Nein“, antwortete Henry und fuhr auf spanisch fort: „Aber vielleicht können wir uns auf spanisch unterhalten.“

„Unterhalten?“ fragte der Franzose in reinem Kastilisch. „Bueno, sehr gut. Ich hoffe, wir können das kleine Mißverständnis beseitigen und eventuelle Auseinandersetzungen verhindern.“ Seine Augen wurden plötzlich schmal. „Sie haben uns überfallen und wollten uns ausplündern, aber zum Glück hatten wir von Anfang an, seit Ihrem Auftauchen, ein waches Auge auf Sie. Vorsichtshalber verhielten wir uns ruhig und …“

„Hören Sie, Capitán“, fiel Henry ihm ins Wort. „Unser Unternehmen galt gar nicht Ihnen.“

Kalt sagte der Franzose: „Das hat mir schon mal jemand gesagt, der von meinem Schiff fasziniert war und es sich unter den Nagel reißen wollte. Heimlich stieg er an Bord, aber jetzt lebt er leider nicht mehr.“

„Henry, Tim, Joe!“ rief Codfish auf der Galerie. „Wir brechen jetzt die Tür auf!“

Der Franzose sah immer noch Lord Henry an. „Was immer der Mann dort draußen plant, überzeugen Sie ihn davon, daß es sinnlos ist. Überzeugen Sie ihn schnell, denn wenn er noch länger so herumschreit, ist es mit meiner Geduld gleich vorbei.“

„Codfish“, sagte Henry. „Verhaltet euch ruhig. Unternehmt nichts.“

„Was ist passiert?“

„Wir haben eben Bekanntschaft mit der Schiffsführung geschlossen“, sagte Henry nicht ohne Galgenhumor. „Aber es könnte sein, daß wir uns einigen.“

„Herrgott, Henry …“

„Bleibt da draußen stehen, und rührt euch nicht vom Fleck, verdammt noch mal!“ rief Henry.

Der Franzose hob seine rechte Pistole – ein kostbares Radschloßmodell – noch ein wenig höher und zielte jetzt auf Henrys Stirn. „Wenn das ein fauler Trick ist, um uns reinzulegen, gibt es Zunder. Leider verstehe ich kein Wort Englisch, wie ich schon sagte. Und ich würde es auch bedauern, wenn es hier, im Hafen von Paphos, tatsächlich eine Schießerei geben sollte. Ich habe nämlich noch das eine oder andere in diesem gastlichen Städtchen vor, aber das kann ich nur in die Tat umsetzen, wenn ich mich ganz ruhig und gesittet verhalte.“ Plötzlich wurde der Ton seiner Stimme wieder frostig. „Falls einer von euch aber Widerstand leistet, zögere ich nicht, euch der Reihe nach umzulegen.“

Lord Henry räusperte sich. Es war eine höchst unangenehme Sache, auf so kurze Distanz direkt in die Mündung einer Pistole blicken zu müssen.

„Señor Capitán“, sagte er. „Ich meine es ehrlich. Soeben habe ich meinen Männern den Befehl gegeben, sich still zu verhalten. Sie können eine Stunde warten, daß etwas geschieht – sie werden sich nicht bewegen.“

Der Franzose warf einen Blick durch die Bleiglasfenster ins Freie. Hätte Codfish ihn durch einen Schuß erledigen wollen, so wäre dies jetzt die beste Gelegenheit gewesen, denn er stand genau auf der anderen Seite und sah den großen, dunkelhaarigen Mann in aller Deutlichkeit vor sich.

Mit einem kleinen Ruck wandte sich der Franzose wieder zu Henry um. „Es scheint zu stimmen, was Sie sagen, denn sonst wäre ich jetzt vielleicht schon ein toter Mann.“

„Mut haben Sie, das muß man Ihnen lassen.“

„Was wollten Sie also hier, auf der ‚Sans Pareil‘?“ fragte der Franzose. Er schien sich durch Henrys Bemerkung nicht im geringsten geschmeichelt zu fühlen.

„Wir suchen Philip Hasard Killigrew, den Seewolf“, erklärte Henry. „Wir sind seit den Kapverdischen Inseln hinter ihm her und haben ihn quer durchs Mittelmeer verfolgt, von den Balearen über die Toskana und Kampanien bis nach Rhodos. Gestern haben wir seine Spur endlich wiedergefunden, aber dann ist er uns wieder entwischt, und so suchen wir ihn jetzt auf Zypern.“

Der Franzose stieß einen überraschten Pfiff aus. „Den Seewolf? Ja, ist denn das die Möglichkeit? Ausgerechnet in dieser Ecke der Welt soll er herumspuken? Nun, ich habe schon von seiner ‚Isabella‘ gehört – und von all den tolldreisten Raids, die er durchgeführt haben soll. Manchmal ist er auch mit Jean Ribault zusammen, einem Landsmann von mir, wie ich vernommen habe, aber das wohl vorwiegend in der Karibik.“

„Diesen Ribault kenne ich nicht“, sagte Lord Henry. „Aber eines solltest du dir merken, Amigo: Dein Schiff sieht der ‚Isabella‘ verdammt ähnlich.“

„Du bist nicht der erste, der dies sagt.“

„Gibt es in Paphos viel zu holen?“

„Warum willst du das wissen?“

„Ich habe dir etwas vorzuschlagen“, sagte Henry. „Einen ausgezeichneten Vorschlag, den du dir anhören solltest. Übrigens – mein Name ist Lord Henry.“

„Lord? Ist das nicht ein hoher englischer Adelstitel?“

„Ja“, antwortete der Freibeuter und lachte. „Ich habe ihn mir selbst verliehen, damit die, die mit mir zu tun gehabt haben, mich nicht wieder vergessen.“

„Und wie lautet dein Nachname?“ erkundigte sich der Franzose, der sehr bereitwillig auf das von Henry angestimmte Du einzugehen schien.

„Den kennt keiner – nicht einmal ich selbst.“

„Nun gut. Ich heiße Fernand Marciaux. Um deine Frage zu beantworten: Ich brauche dringend Proviant, Wein und andere Kleinigkeiten, die ich mir hier zu holen gedenke.“

„Ohne dafür zu bezahlen?“

„Versteht sich.“

„Du bist also kein biederer Kauffahrer?“

„Gott bewahre. Aber das hast du dir sicher schon gedacht. Heute nacht gehen meine Männer und ich an Land. Wir haben vor Zypern schon ein wenig Thunfisch aufgetrieben, ein kleiner Überfall, zu dem wir die französische Flagge gehißt hatten. Aber du begreifst, daß wir nicht nur von Fisch leben können.“

„Allerdings. Es gibt Besseres“, sagte Henry. „Und was der Seewolf an Bord seiner Galeone hat, ist mehr wert als Brot, Fleisch und Wein. Läßt dich das nicht neugierig werden?“

„Und ob.“

„Aber was verbindet dich mit diesem Ribault?“

„Nichts, rein gar nichts. Ich halte es weder mit ihm noch mit Killigrew, wenn es das ist, was du meinst.“

Lord Henry tat einen Schritt auf ihn zu. „Killigrew hat Schätze an Bord: Gold, Silber, Perlen und Diamanten von unermeßlichem Wert. Mein Freund Selim und ich könnten noch einen dritten Verbündeten brauchen.“

„Um den Seewolf rund um Zypern zu suchen und zu stellen?“

„Genau das, Marciaux.“

Der Franzose steckte seine Pistolen weg und gab seinen Männern ein Zeichen, seinem Beispiel zu folgen. Dann streckte er Henry die Rechte entgegen. „Wenn das so ist, sind wir uns schon jetzt einig, Lord Henry. Wir sind mit von der Partie.“

Lächelnd ergriff Henry die ihm dargebotene Hand und drückte sie. Er hatte einen Mitstreiter gefunden, einen Beutejäger und Galgenstrick von erstklassigem Format.

8.

Längst hatte die „Isabella VIII.“ Kap Arnaútis und Kap Drepanum im Westen Zyperns hinter sich gebracht und näherte sich jetzt der Hafenstadt Paphos. Gary Andrews, der sich zu dieser Stunde als Ausguck im Großmars befand, konnte in der Ferne bereits die glitzernden Lichter erkennen.

Kambos hatte dem Seewolf die Lage des Hafens genau beschrieben und ihn auch auf die Besonderheiten der Inselküste hingewiesen, ehe sie sich getrennt hatten. Beim Abschied hatten dem alten Mann tatsächlich die Tränen in den Augenwinkeln gestanden. Er hatte sich von der Art, mit der Hasard sich für sein Wohlergehen eingesetzt hatte, überwältigt gezeigt.

„Es hätte wohl nicht viel gefehlt, und Kambos wäre wieder mit uns an Bord der ‚Isabella‘ gegangen“, sagte Ben Brighton, der neben Hasard auf dem Achterdeck stand. „Der Ruf des Abenteuers lockt auch ihn, nicht wahr?“

„Und ob. Er würde auch so manchen jüngeren Mann glatt in die Tasche stecken, trotz seiner hin und wieder auftretenden Herzschwäche.“

„Der Kutscher sagt, er könne hundert Jahre alt werden.“

„Bestimmt. So gesehen, ist unser Freund Kambos ein medizinisches Wunder.“

Ben lachte leise. „Ja, der Kutscher hat nicht schlecht über ihn gestaunt. Und Kambos hat noch ein Kunststück vollbracht. Er ist selbst Donegal sympathisch geworden, und das will was heißen. Na ja, was soll’s, jetzt ist er jedenfalls in den Schoß seiner großen Familie zurückgekehrt. Dorthin gehört er, und wenn wir mal wieder nach Zypern kommen, wissen wir, daß wir in Pomos ein ganzes Dorf voller Freunde vorfinden.“

„Ja. Ich habe über diesen rätselhaften Franzosen nachgedacht.“

„Auch darüber, wo Lord Henry und Selim stecken könnten?“

„Auch das. Der Teufel soll mich holen, wenn diese Kerle nicht alle drei in Paphos gelandet sind.“

„Das wäre wirklich ein unerhörter Zufall“, sagte Ben.

„Und eine günstige Gelegenheit, ihnen ein bleibendes Andenken an uns zu verschaffen.“

Ben grinste plötzlich. „Unsere Leute haben sowieso schon gesagt, daß sie ganz versessen darauf sind, der ‚Jane‘ und der ‚Grinta‘ noch mal zünftig Lebewohl zu sagen.“

„Ja“, sagte Big Old Shane, der jetzt vom Ruderhaus aus zu ihnen trat. „Ich finde, das kannst du ihnen nicht verwehren, Hasard.“

Der Seewolf drehte sich langsam zu ihm um. Wäre es hell gewesen, hätte man die tausend kleinen Teufel sehen können, die plötzlich in seinen eisblauen Augen tanzten. „Mit anderen Worten, ihr Kerle seid ganz versessen darauf, euch gehörig den Hintern zu versengen?“

„Aye, Sir.“

„Dann statten wir dem Hafen von Paphos einen kurzen Besuch ab“, sagte Hasard. „Mal sehen, ob wir mit unseren Vermutungen recht behalten.“

„Aber sicher wird der Hafen von den Zyprioten bewacht“, gab Ben zu bedenken. „Es wäre schade, wenn man uns Schwierigkeiten bereiten würde.“

„Schwierigkeiten sind dazu da, umgangen zu werden“, sagte der Seewolf. „Im Dunkeln dürfte es uns nicht schwerfallen, sämtliche Posten der Hafenmeisterei zu meiden. Hölle, wir machen so was doch nicht zum erstenmal!“

 

„Ich kann mir schon lebhaft vorstellen, was du planst“, meinte der graubärtige Riese.

„Dann mal raus mit der Sprache, Shane“, sagte Hasard aufmunternd. „Nur zu, Vorschläge werden von der Schiffsführung bereitwillig aufgenommen.“

„Wir könnten uns mit einer Jolle in den Hafen schleichen.“

„Und weiter?“

„Weiter wären da die Höllenflaschen, die Ferris und Al inzwischen schon wieder gebastelt haben.“

„Wie viele Schiffe kann man damit auf den Grund der Reede setzen?“ fragte Ben.

„Eins ganz bestimmt.“

„Das würde mir genügen“, sagte Hasard. „Los, Shane, geh auf die Kuhl und frage, wer sich freiwillig zu unserem Stoßtrupp meldet. Wir sind gleich da, und ich will nicht mehr Zeit verlieren, als unbedingt erforderlich ist.“

Dalida wand sich unter dem Griff von zwei Männern der „Cruel Jane“. Lord Henry, Scoby, Dark Joe, Codfish und die anderen, die soeben an Bord der Galeone zurückgekehrt waren, schritten mit fragenden Mienen über das Hauptdeck auf den Platz vor der Querwand des Achterkastells zu, wo die Ägypterin festgehalten wurde und der größte Teil der Deckswache sie und ihre Bezwinger umringte.

„Platz da!“ herrschte Henry sie an. „Was ist geschehen?“

„Sie hat versucht, in deine Kammer einzubrechen“, erklärte einer der Piraten. „Beim Henker, fast hätte sie es geschafft. Vielleicht dachte sie, sie würde dort Gold und Silber finden, wer weiß. Jedenfalls haben wir sie auf frischer Tat ertappt.“

„Sie wollte eine meiner Waffen“, sagte Henry, um die Gedanken seiner Leute sofort von dieser Vermutung abzulenken. „Sie will mich töten.“

„Das ist nicht wahr!“ stieß Dalida zornig hervor.

Henry betrachtete sie. Natürlich hatte Dalida den Schmuck haben wollen, den er heimlich beiseite geschafft hatte, ehe ihm der Seewolf den Schatz der Medici wieder abgenommen hatte, jene unendlich kostbare Sammlung von Kleinodien, die Henry für sich ganz allein beanspruchte und von der nicht einmal Scoby und Dark Joe etwas wußten. Niemand hatte seiner Meinung nach das Recht, den Inhalt dieser Schatztruhe, die er gut versteckt hatte, mit ihm zu teilen, nur ihm stand es zu, jede Beute so aufzuteilen, wie er es für richtig hielt.

„Dalida“, sagte er. „Was du für mich empfunden hast, ist nicht mehr. Dein Haß kennt keine Grenzen. Du bist durch und durch schlecht. Also wird es Zeit, daß wir uns trennen.“

„Er betrügt euch!“ schrie sie den anderen Männern zu – auf englisch, so gut sie es konnte. „Er hat euch hintergangen! Durchsucht seine Kammer!“

„Was sagt sie?“ fragte Codfish. „Das versteht ja kein Mensch.“

„So gut, wie wir dachten, kann sie doch noch nicht Englisch sprechen“, meinte Tim Scoby verächtlich.

Dalida wiederholte auf spanisch, was sie gegen Henry vorgebracht hatte, doch nur Lord Henry beherrschte das Spanische, die anderen kannten nur ein paar Brocken davon.

„Stopft ihr das Maul“, sagte Henry. „Knebelt sie. Fesselt sie, wenn es nötig ist. Wir bringen sie an Land. Dort treffen wir uns mit Selim und dessen besten Leuten – und mit unserem neuen Verbündeten, Fernand Marciaux.“ Er erklärte kurz, was sich an Bord der „Sans Pareil“ zugetragen hatte, und schloß: „Wir helfen ihm, sich den nötigen Proviant zu besorgen. Das ist sozusagen eine Freundschaftsgeste von mir. Anschließend verlassen wir Paphos wieder und begeben uns auf die Suche nach der ‚Isabella‘.“

Dalida wollte schreien, doch Scoby war hinter sie getreten und steckte ihr einen Knebel in den Mund, dessen Sitz er durch ein Tuch festigte, das er hinter ihrem Hals zusammenknotete. Sie strampelte mit den Beinen und versuchte, die Männer zu schlagen, aber die lachten nur und hielten sie an den Armen und Beinen fest.

Mechmed, der Schwarzgekleidete, der hagere, knochige Mann, dem alle miß-trauten und den viele mit „Satan höchstpersönlich“ verglichen, war lautlos neben Henry getreten.

Nie hatte Mechmed Dalida leiden können, immer hatte er ihr Zusammensein als Zwang erduldet. Es hatte Zeiten gegeben, in denen sie aufeinander angewiesen waren, doch er wußte genau, daß sie ihn stets gern übervorteilt hätte.

„Du hast recht“, sagte er auf spanisch zu Lord Henry. „Sie ist durch und durch schlecht. Du befreist dich von einer heimtückischen Giftschlange, Lord Henry.“

Dalida gab würgende Laute von sich, als habe sie etwas Wichtiges mitzuteilen, doch Henry dachte nicht daran, sie von dem Knebel zu erlösen.

„Ich bringe sie jetzt an Land“, sagte Henry, „und verkaufe sie auf dem Markt in der Altstadt. Dabei könntest du mir als Vermittler dienlich sein, Mechmed.“

„Ich begleite dich nur zu gern, o Herr.“

„Nimm auch deine vier Freunde mit, wir können sie gebrauchen. Wir wollen ein Lebensmittellager plündern. Je mehr Männer wir sind, desto besser ist es.“

Mechmed verneigte sich halb, richtete sich wieder auf und ging zu seinen vier Kumpanen, die etwas abseits am Schanzkleid standen. Wenn Dalida, die Verräterin, erst von Bord ist, schlägt unsere Stunde, dachte er. Dann wird Allah uns helfen, diese Giaurs zu töten und das Schiff an uns zu reißen.

Die „Isabella VIII.“ ankerte nördlich der Landzunge, die sich, von Nordosten nach Südwesten verlaufend, vor die Reede von Paphos schob. So konnte sie von der Stadt und vom Hafen aus nicht entdeckt werden.

Beide Jollen lösten sich von der Bordwand des Schiffes und glitten unter zügigen Riemenschlägen am Ufer der Landzunge entlang. In der ersten saßen Hasard, Big Old Shane, Dan O’Flynn, Blacky und Matt Davies, in der zweiten Ben Brighton, Ferris Tucker, Al Conroy, Smoky und Stenmark, der Schwede.

Old O’Flynn hatte für die Zeit von Hasards Abwesenheit das Kommando an Bord der „Isabella“ übernommen. Gefechtsbereit lag die Galeone im Wind und schwojte leicht an ihrer Ankertrosse, bereit, im Bedarfsfall sofort wieder Segel zu setzen und dem Stoßtrupp zu Hilfe zu eilen.

Ben Brighton bewegte sich mit seinem Boot weiterhin am Ufer entlang, als die Landzunge gerundet war. Er wußte, was er zu tun hatte. Hasard hingegen drückte die Ruderpinne herum und ließ seine Jolle zur Reede gleiten. Hier herrschte nach wie vor reger Bootsverkehr, so daß die fünf Männer überhaupt nicht auffielen und von keiner Seite behelligt wurden.

Keine Kontrolle fand statt, die Seewölfe hatten es verstanden, alle Posten, die sich an Land oder zu Wasser befinden mochten, zu umgehen.

Dan O’Flynn ließ auf Hasards Wink hin den Riemen los und kletterte zum Bug. Blacky übernahm es, für ihn mitzupullen. Dan hielt nach allen Seiten Ausschau, während seine Kameraden das Boot weiter voranbrachten.

Kurze Zeit später hatte er als erstes der gesuchten Schiffe die „Cruel Jane“ entdeckt.

„Also doch“, murmelte der Seewolf. „Wir haben recht gehabt mit unserer Annahme. Henry ist an uns vorbeigesegelt, als wir vor Pomos lagen. Er hat uns wegen des Frühnebels nicht entdeckt. In der Annahme, daß wir Zypern wohl im Westen runden würden – nicht im Osten, was viel langwieriger wäre –, hat er bis hierher die ganze Küste abgesucht und jetzt wohl eine Ruhepause eingelegt.“

„Die wir ihm natürlich nicht gönnen“, raunte Blacky.

„Selim ist bestimmt noch mit ihm zusammen“, flüsterte Matt Davies. „Weit kann seine verfluchte Schebecke nicht sein.“

„Da liegt sie!“ zischte Dan plötzlich. „Steuerbord voraus – nur eine Kabellänge von der ‚Jane‘ entfernt.“

„Gut“, sagte der Seewolf. „Aufpassen jetzt. Wenn die Ankerwache uns entdeckt, sind wir geliefert.“

„Aye, Sir“, wisperte Big Old Shane. „Ob wir den Franzosen, diesen Thunfisch-Klauer, wohl auch antreffen?“

„Achtung“, sagte Dan mit verhaltener Stimme. „Da vorn ankert ein großer Dreimaster, der unserer Old Lady verteufelt ähnlich ist. Ich will einen Schwabber fressen, wenn er das nicht ist.“

Hasard hob den Kopf und blickte an Dans Schulter vorbei zu dem Schiff mit den hohen Masten und den flachen Aufbauten. „Ich glaube, das Opfer brauchst du nicht zu bringen, Dan. Nach allen Beschreibungen, die wir über den Burschen haben, muß er es wirklich sein. Na schön, damit hätten wir sie also alle drei beieinander.“