Osteopathie und Swedenborg

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WISSENSCHAFTLICHE ANSCHAUUNGEN

Bevor Swedenborg seine theologische Berufslaufbahn einschlug, entwickelte er eine eigene Kosmologie, von einer Theorie der Teilchen bis hin zu einer Theorie des Sonnensystems und des ganzen Universums. Das spätere Werk konzentrierte sich jedoch auf eine Theorie des menschlichen Körpers. Swedenborg studierte die Anatomie intensiv und umfassend, wobei sein Interesse stets der Verbindung von Seele und Körper galt. Obgleich er seine wissenschaftlichen Unternehmungen zugunsten theologischer Studien fallen ließ, widersprechen seine theologischen Werke seinen wissenschaftlichen Anschauungen nicht. Sie ergänzen vielmehr sein wissenschaftliches Werk und dehnen es aus bzw. gehen darüber hinaus. Seine anatomischen Vorstellungen wurden bereits im biografischen Abschnitt berührt und weitere werden detaillierter beschreiben, wenn sie mit denjenigen von A. T. Still und W. G. Sutherland verglichen bzw. diesen gegenüber gestellt werden. Zunächst folgt jedoch ein Überblick über einige wissenschaftliche Schlüsselkonzepte.

Was das Studium des Gehirns angeht, war Swedenborg ein Pionier. Er beschrieb das Gehirn auf eine Weise, die erst Jahrhunderte später Wertschätzung fand. Er entwickelte eine exakte funktionelle Theorie des Kortex, wie sie erst im nachfolgenden Jahrhundert von der Neurowissenschaft ‚entdeckt’ wurde. Er beschrieb die im frontalen Bereich des Gehirns lokalisierten Funktionen ebenso wie die somatotopische Anordnung der Muskelkontrolle im Cerebrum. Er beschrieb Neuronen, die er als sphaerula bzw. cerebellula bezeichnete, und verfolgte deren Axone und Funktionen durch den gesamten Körper. Er beschrieb sogar die deutlich unterschiedenen Funktionen der Gehirnhälften, wobei Verstehen und Intellekt die linke Hemisphäre bestimmen. Diese Konzepte wurden vom naturwissenschaftlichen Mainstream ebenfalls erst ein Jahrhundert später ‚entdeckt’.132

Für die vorliegende Arbeit ist es jedoch seine Perspektive darauf wichtiger, welche Rolle das Gehirn als Vermittler zwischen Körper und Seele sowie als beseelender und vereinender Akteur im Körper spielt. Bereits in seinen anatomischen Werken skizzierte er eine frühe Theorie unterschiedlicher Grade und wendete diese auf Seele, Mentales und Körper an. Er erkannte das Gehirn als den Sitz des Mentalen und betrachtete es als Verbindungsglied zwischen Seele und Körper. Er entwickelte eine Theorie des Gehirns als belebendes bzw. beseelendes Organ des Körpers. Er unterstellte, dass diese Beseelung zwei Aspekte umfasse: einerseits, dass das Gehirn eine beseelende Kraft für den gesamten Körper zur Verfügung stelle, die durch eine geistige Flüssigkeit oder Essenz übermittelt werde und welche direkt die zerebrospinale Flüssigkeit und indirekt den übrigen Körper beseele. Und andererseits, dass das Gehirn sich in Expansion und Kontraktion bewege und so die beseelende Kraft mittels der zerebrospinalen und der geistigen Flüssigkeit sowie durch Verbindungen der Faszien und entsprechende mechanische Verbindungen bewege. Er erkannte das Gehirn als das größte Einzelorgan des Körpers, welches in bedeutender Weise an der Interaktion von Seele und Körper beteiligt sei, ein Organ des menschlichen Geistes selbst.133

Swedenborg schilderte ferner, dass die Bewegung des menschlichen Gehirns im ganzen Körper durch Flüssigkeit und Verbindungen der Faszien übermittelt werde. Dies wird sehr viel detaillierter in den Abschnitten besprochen, die Swedenborgs Anschauungen zum Gehirn mit Sutherlands kranialem Konzept vergleichen. Zusammenfassend erkannte Swedenborg, dass sich die Dura mater reziprok zum Gehirn bewege und die Gehirnbewegung direkt an die Schädelknochen weitergebe sowie indirekt über neurofasziale Verbindungen an Pleura, Peritoneum, alle Organe und den Körper als Ganzes. Er erörterte ebenfalls eine auf Flüssigkeit beruhende Verbindung im Körper, die von der geistigen Flüssigkeit bezeichnet werde. Diese belebe die zerebrospinale Flüssigkeit und affiziere umgekehrt rhythmisch den übrigen Körper, wodurch alle Bewegungen im Körper koordiniert und vereinigt würden, und die darüber hinaus auch noch das Blut beseele. Er beschrieb, dass diese rhythmische Bewegung oft mit der respiratorischen Bewegung der Lungen korreliere.134

Swedenborg beschrieb die Qualität und Verteilung des Bluts als Grundlage der Gesundheit. Er betrachtete das Blut als wichtigste Flüssigkeit, welche die Funktionen der Seele im Körper ausführe, jeden Teil des Körpers ernähre, dem ganzen Körper diene und diesen unterstützte. Er erforschte die Zirkulation des Blutes in Studien des Herzens und zur arteriellen und venösen Zirkulation, schrieb ebenfalls über die Lymphflüssigkeit und ihre Funktion sowie darüber, wie diese wechselseitig auf die gastrointestinale und zirkulatorische Funktion bezogen ist.135

Swedenborg entwickelte ein Flüssigkeitsmodell der Gesundheit, das mit der Beseelung des Gehirns beginnt, welches vitalisierte Flüssigkeit aussende, die durch das Nervensystem zum Rückenmark und zum Rest des Körpers fließe und sich strukturell und funktionell mit Blutgefäßen, Lymphbahnen und Faszien verbinde. Dadurch würden sämtliche Flüssigkeiten und Strukturen des Körpers belebt. Er betonte in diesem Zusammenhang stets die Rolle der Blutversorgung und -qualität und erkannte, dass das Leben des Körpers von einem balancierten Blutfluss abhängig ist.

Swedenborg schloss eine Einschätzung der Faszien in sein Paradigma ein, und er entwickelte eine holistische Perspektive ausgehend von der integrativen Bedeutung der Faszien, von der Dura mater über die Pleura und das Peritoneum bis hin zum gesamten Bindegewebe, durch das alle Organe des Körpers verbunden sind. Tatsächlich beschrieb er in seinen anatomischen Werken alle Organe des Körpers im Detail. Dazu gehört auch die Analyse, wie die intrinsische rhythmische Bewegung jedes Organs durch die Beziehungen zu den Faszien und Flüssigkeiten beeinflusst wird, sodass sich alle Bewegungen mit dem zugrunde liegenden, vereinigenden Rhythmus der Belebung durch das Gehirn mittels Flüssigkeit und Faszien harmonisieren und ein integrales Ganzes bilden. Swedenborg sprach besonders die zugrunde liegende belebende Funktion an, die sich in der Bewegung der folgenden Organe offenbare: Herz, Lungen, Ösophagus, Magen, Därme, Leber, Milz, Nebennieren, Nieren, Harnblase und ebenso der Lymphbahnen sowie der Sinnesorgane wie Augen, Nase und Haut. Diese Überlegungen stehen den Konzepten und Prinzipien der osteopathischen Philosophie sehr nahe, so wie sie im späten 19. Jahrhundert bekannt wurden. Das wird noch an späterer Stelle in dieser Studie zu untersuchen sein.136

Bereits während seiner anatomischen Studien hatte Swedenborg das Konzept des Körpers als Mikrokosmos entwickelt, ein kleines Universum, welches das größere Universum spiegele. Er hatte ebenfalls das Konzept der Entsprechung zwischen verschiedenen Graden der Aktivität entwickelt, sowohl innerhalb des Körpers als auch jenseits seiner in Gestalt der geistigen bzw. natürlichen Ebene der Existenz. Diese Ideen wurden in Swedenborgs theologischen Schriften in anspruchsvollerer Form erweitert.137

Swedenborg berührte in seinen wissenschaftlichen und theologischen Schriften Anschauungen zu Gesundheit und Krankheit, obwohl er diese niemals in einer einzelnen Abhandlung erörterte. In seinen wissenschaftlichen Schriften beschrieb er die gesundheitsfördernde Beziehung der Seele, sofern sie ungehindert in den Körper einfließe, wobei Körper und Geist durch das Mentale zu einem entsprechenden integrierten Ganzen vereinigt würden, zusammen gehalten über die Verbindung des Körpers durch die Matrix des Gehirns und des belebten Nervensystems – und sekundär durch den Blutkreislauf. Er schloss dieses Paradigma in seine theologischen Schriften ein, obgleich er sich stärker auf die Entsprechung der Verbindung der Lungen zu Körper, Mentalem und Geist mit den Gedanken, dem Verstehen und der Urteilskraft sowie des Herzens mit den Leidenschaften, dem Willen und der Intention konzentrierte.138

Swedenborg zufolge gibt es zwei Kategorien von Krankheitsursachen: innere und äußere. Äußere Ursachen entstünden auf Seiten des Körpers und der natürlichen Welt und beträfen Flüssigkeiten und Fasern, insbesondere die Nervenfasern und den Blutkreislauf des Körpers, die sich umgekehrt als Krankheit offenbarten. Krankheiten entstünden im Körper und flössen hin zum Gehirn und beeinflussten das Einströmen des Geistes in den Körper. Dies vermöge jedes Organ des Körpers und ebenso das muskuloskelettale System zu betreffen. Innere Ursachen entstünden auf der Seite von Mentalem und Geist. Sie flössen vom Geist zum Gehirn und in den Körper. Dies erstrecke sich von schwächeren oder mittleren Problemen wie Kummer, Ärger oder Fresssucht bis hin zu ernsteren Krankheiten, die sich auf geistige Krankheiten bezögen sowie auf deren ungesunde Offenbarungen. Swedenborg beschrieb ein beständiges Einströmen und die Entsprechung zwischen Geist und Mentalem. Fehlende Kommunikation zwischen ihnen verursache Disharmonie und Krankheit. Er verstand das geistige Wachsen als Verbesserung der Gesundheit auf allen Ebenen einschließlich des Körpers. Doch Krankheit könne auch durch externe Ursachen entstehen, die umgekehrt Disharmonie zwischen Körper, Mentalem und Geist auslösen könnten. Zusammengefasst: Swedenborg betrachtete die Gesundheit als balanciertes Einströmen des Geistes und des Mentalen in das entsprechende körperliche Gefäß. Krankheiten entstünden durch äußere Ursachen des Körpers oder innere Ursachen des Mentalen und des Geistes.139

 

4. DIE FRÜHE VERBREITUNG VON SWEDENBORGS IDEEN
DIE VERBREITUNG VON SWEDENBORGS IDEEN IM EUROPA DES SPÄTEN 18. JAHRHUNDERTS

Das Interesse an Swedenborgs Überlegungen endete nicht mit seinem Tod im Jahr 1772. Während der nächsten Jahrzehnte entwickelte sich in Schweden, Deutschland, Frankreich und Russland ein starkes Interesse an seinen Gedanken. Die Bewegungen in diesen Ländern zogen Nachfolger an, welche die Schriften Swedenborgs in ihre jeweiligen Sprachen übersetzten. Die Entwicklung dieser Bewegungen verlief unterschiedlich, einige blühten auf, andere gingen unter, manche konzentrierten sich ausschließlich auf Swedenborgs Ansichten, andere mischten sie mit anderen zeitgenössischen Bewegungen wie dem Magnetismus oder der Freimaurerei. Obgleich diese Bewegungen bedeutenden Einfluss in einigen Teilen der Welt hatten, galt dies im besonderen Maße für England.140

Swedenborg versuchte niemals, Nachfolger anzuziehen oder eine Organisation zu etablieren, die seine Anschauungen vermittelte. Er war der Ansicht, dass seine Ideen und Lehren allmählich die bestehenden Kirchen und die Gesellschaft von selbst durchdringen würden, insofern es zu großen Umdenkprozessen käme. Es würde sich eine Gesellschaft bilden, in der eine neue Spiritualität wachse. Er sagte voraus, dass eine ‚neue Kirche’ aus den alten Kirchen seiner Tage entstehen werde. Mit diesem Begriff bezeichnete er keine besondere Organisation, sondern er verstand die neue Kirche eher so, dass sie aus denjenigen bestehen werde, welche die Anschauungen, die in seinen Schriften enthalten waren, akzeptierten und sie in ihrem eigenen Leben anwendeten, indem sie eine geistige Beziehung zu ihrem Schöpfer entwickelten und geistig wüchsen. Swedenborg verbreitete seine theologischen Schriften an viele Kirchenführer und Universitäten in Europa. In England präsentierte er allen Bischöfen der anglikanischen Kirche und den Mitgliedern des Oberhauses Exemplare. Die anglikanische Kirche war sehr viel toleranter gegenüber abweichenden religiösen Ideen als die lutherischen Kirchen, die Schweden und Deutschland kontrollierten.141

Die erste englische Übersetzung wurde 1750 auf Swedenborgs eigene Kosten gedruckt. Er erkannte das religiös tolerante Klima Englands als möglicherweise fruchtbaren Boden, in dem die Pflanze seiner neuen theologischen Ideen gedeihen könnte. Während der 1760 er traf Swedenborg mehrere begeisterte Anhänger und korrespondierte mit ihnen. Er gab ihnen die Erlaubnis, weitere seiner Werke ins Englische zu übersetzen. Diese Nachfolger hatten unterschiedliche kirchliche Hintergründe, darunter die anglikanische Kirche und die Bewegung der Quäker.142

Während der 1770 er gab es in England zwei bedeutende swedenborgianische Gelehrte, die dort sehr aktiv wurden und zwei Typen des Swedenborgianismus repräsentierten. Der erste war Reverend John Clowes, MA, ein Priester der anglikanischen Kirche. Er konvertierte 1773 zu Swedenborgs Theologie und begründete 1778 die erste Gesellschaft der Neuen Kirche. Clowes und seine Nachfolger verließen die anglikanische Kirche jedoch nicht. Sie glaubten, dass die swedenborgianischen Ideen sich in der bestehenden Kirche verbreiten würden, sodass es keine Notwendigkeit gäbe, sich von ihr zu trennen. Sie glaubten, dass eine neue Kirche durch die Wiedergeburt der alten Kirche entstehen werde, da diese die neuen Lehren umfassen werde. Clowes blieb in der bestehenden Kirche, lehrte Swedenborgs Anschauungen und übersetzte seine Werke über 61 Jahre lang. Wurde er kritisiert, erhielt er vom Bischof Unterstützung und durfte seine Arbeit fortsetzen. Seine Gruppe wurde als nicht-separatististische Neue Kirche bekannt.143

Der bedeutendste Konvertit in England war jedoch ein enthusiastischer junger Mann außerhalb der Gruppe, Robert Hindmarsh. Hindmarsh war Sohn eines methodistischen Predigers und gewerblicher Drucker. 1782 lieh ihm ein Freund ein Exemplar von De coelo et ejus mirabilibus, wodurch er zu einem brennenden Anhänger und Unterstützer von Swedenborgs Ideen wurde. Bereits im folgenden Jahr gründete Hindmarsh eine kleine Londoner Lesegruppe, um Swedenborgs Schriften zu verbreiten. Sie wurde schnell größer und erklärte die Übersetzung und Veröffentlichung von Swedenborgs theologischen Schriften zu ihrer Aufgabe. Es wurden wöchentliche Treffen vereinbart, eine Studiengruppe gegründet und Hindmarsh fungierte über viele Jahre hinweg als Leiter dieser Gruppe.144

Der Ton der Londoner Gruppe Hindmarshs war anders als der von Clowes’ Gesellschaft in Manchester. Viele Nachfolger in Hindmarshs Londoner Versammlung hatten einen methodistischen oder baptistischen Hintergrund. Der methodistische und baptistische Klerus stand den Ideen Swedenborgs sehr kritisch gegenüber und tolerierte sie nicht, anders als dies bei der anglikanischen Kirche der Fall war. Einige der ersten Angriffe auf frühe Swedenborgianer gingen vom Gründer des Methodismus, John Wesley, selbst aus. Obgleich er anfänglich an Swedenborgs Anschauungen interessiert war, wurde er diesen gegenüber nach weiterem Studium kritischer. Er akzeptierte falsche Berichte über eine Geisteskrankheit Swedenborgs, darunter irreführende Geschichten über Swedenborgs erratisches Verhalten in London. Später zeigte sich, dass es für diese Geschichten keine Beweise gab und dass sie unwahr waren. Dennoch hielten sie sich über zehn Jahre in methodistischen Kreisen, bis sie öffentlich widerlegt werden konnten. Ihr Echo kann auch heute noch in manchen Geschichtsschreibungen gefunden werden. Wesley war also keineswegs glücklich, dass sechs seiner Prediger die junge methodistische Kirche verließen und zur entstehenden swedenborgianischen Versammlung konvertierten. Einer von ihnen war James Hindmarsh, der Vater von Robert Hindmarsh. Methodistische und baptistische Prediger, welche die Lehren Swedenborgs akzeptierten, wurden als Häretiker betrachtet und schnell aus ihren Positionen entfernt oder sie wurden nicht mehr entlohnt. Robert Hindmarsh und seine Gruppe beschlossen, dass sie nicht innerhalb einer der existierenden ‚alten Kirchen’ verbleiben konnten und sich daher separieren mussten, um eine neue Kirche zu bilden, die theologisch, philosophisch und politisch unabhängig von jeder anderen Organisation wäre. So gründeten sie 1788 ihre erste Gesellschaft als separatistische ‚Neue Kirche’.145

Obgleich es einigen Austausch zwischen den beiden neuen Gruppen, der nicht-separatistischen und der separatistischen Neuen Kirche gab, entfernten sie sich im Verlauf ihres weiteren Wachstums voneinander. Die Separatisten bildeten eine eigene Organisation mit eigener Priesterschaft und eigener Gottesdienstordnung und sie verhandelten über solche Fragen wie die Rolle der Priester und der Laien in der sich entwickelnden besonnenen Form der organisierten Neue Kirche. Obgleich beide Bewegungen die neue Welt beeinflussten – beide verfügten in Nordamerika über Priester und Laien –, hatten die Separatisten den größeren Einfluss, insbesondere durch eines ihrer Mitglieder unter den Pionieren, James Glen.146

DIE SWEDENBORGIANER DER NEUEN WELT IN DEN 1780ERN BIS 1840ERN

James Glen wurde in Glasgow geboren. Er erhielt seinen Abschluss an der dortigen Universität und hatte sich auf die Sprachen Latein, Griechisch und Hebräisch spezialisiert. Später studierte er außerdem Arabisch, Französisch, Niederländisch und Deutsch. Als junger Mann von 20 Jahren reiste er als Matrose auf einem Schiff nach Südamerika, wo er sich in eine Schönheit des Landes verliebte. Er kehrte nach England zurück, erhielt durch den Gouverneur eine große Landkonzession und begann, eine prosperierende Plantage aufzubauen. (Später fühlte er sich durch seine swedenborgianischen Überzeugungen dazu angehalten, seine Sklaven freizulassen.) Glen war Mitglied der Londoner Gesellschaft der Neuen Kirche und ein begeisterter Unterstützer von Swedenborgs Anschauungen. Er reiste 1784 nach Philadelphia, um dort eine neue Bewegung der Neuen Kirche zu begründen. Er schaltete hierzu in der Pennsylvania Gazette eine Notiz und bewarb darin einen Vortrag, den er in einer lokalen Buchhandlung über Swedenborgs Ideen halten wollte. Der Vortrag war ein Erfolg und zog bedeutendes Interesse in der gebildeten Klasse Philadelphias an. Glen hielt mehrere weitere Vorträge, vermehrte das Interesse für Swedenborgs Überlegungen vor Ort und entschloss sich zu einer Vortragsreise, auf der er nach Boston und in andere Gegenden von Pennsylvania, Virginia und Kentucky reiste. Viele zukünftige Führer der Neuen Kirche in Nordamerika waren bei diesen ersten Vorträgen anwesend.147

Kurz nachdem Glen wieder in seine Heimat Südamerika zurückgekehrt war, kam eine Schiffsladung mit englischen Übersetzungen von Swedenborgs Büchern in Philadelphia an, die von London auf Vermittlung Robert Hindmarshs geschickt worden war. Ein Lesezirkel, der sich bald mit enthusiastischen Konvertiten in der Stadt gebildet hatte, traf sich regelmäßig. Zu dieser Gruppe gehörte eine Reihe gut ausgebildeter Personen, darunter auch Francis Bailey, ein Drucker aus Pennsylvania. Er war der Herausgeber des Freeman’s Journal und Freund eines anderen Druckers aus Philadelphia, Benjamin Franklin. Die Swedenborgianer in Philadelphia beschlossen, der beste Weg, Swedenborgs Ideen zu verbreiten, sei derjenige der Publikation. 1787 begann Bailey damit, englische Übersetzungen von Swedenborgs Schriften zusammen mit John Clowes’ Buch, das Swedenborgs Anschauungen darstellte (Ein zusammenfassender Blick auf die himmlischen Lehren) zu verbreiten. Er brachte den ersten Band der Wahren christlichen Religion heraus, gedruckt für diejenigen, die ihn per Subskription unterstützten. Einer davon war Benjamin Franklin. Zwei andere Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung waren ebenfalls Subskribenten: Robert Morris und Thomas McKean. Bailey folgten weitere enthusiastische Drucker, die Swedenborgs Schriften über das Land verbreiteten. Ein reicher Kaufmann aus Philadelphia gründete zur Unterstützung einen Buchladen, um Swedenborgs Werke abzugeben und pflegte sie beim Verkauf seiner Stoffballen innerhalb des Landes und nach Übersee148 an seine Kunden kostenlos mitzuschicken.

1826 hatte sich die Gesellschaft in Philadelphia zu einer Kirche entwickelt, die ihren ersten Kirchenbau errichtete. Die Versammlung in Philadelphia verbreitete entsprechend der Tradition von Hindmarsh und der Londoner Gesellschaft die neue Lehre schnell weit und breit in Neuengland, in den mittleren Staaten am Atlantik und in westlicher Richtung über die Appalachen. Die Gruppe in Philadelphia bildete eine heterogene Mischung aus Presbyterianern, Quäkern und Hugenotten. Als andere Gesellschaften sprossen, hatte jede ihren eigenen Charakter und Hintergrund. Einige Mitglieder brachten lutherische, presbyterianische oder römisch-katholische Einflüsse mit, andere waren vorwiegend baptistisch geprägt und wieder andere episkopal oder methodistisch. Weitere englische Vertreter der Neuen Kirche, sowohl von der separatistischen als auch der nicht-separatistischen Bewegung, kamen im amerikanischen Nordosten an und trugen zu weiteren neuen Versammlungen bei, allen voran in Boston und New York.149

Wie andere junge Bewegungen war auch die swedenborgianische eine eklektische Mischung unterschiedlichster Menschen. Einige bildeten parallele Überlegungen und Aktivitäten aus, andere bewegten sich in sehr verschiedene Richtungen. Das Sprichwort, dass ‚Swedenborg für viele Leute vieles bedeutete’, hat sich immer wieder und an vielen Orten als wahr erwiesen. Die Swedenborgianer in England waren komplexer als der bloße Gegensatz von Separatisten und Nicht-Separatisten. Obwohl die Fraktionen klein waren, verfügten sie doch schon bald über eigene Untergruppen. Während die Differenzen in Hindmarshs Londoner Gruppe überwunden wurden und sich ein fairer Umfang in Einheit ausbildete, entwickelten sich die Ideen der Gruppe in Manchester in sehr verschiedene Richtungen. Einige hielten sich ebenso eng an Swedenborgs Anschauungen, wie es die Londoner Gruppe tat. Andere versuchten sich im Magnetismus und anderen populären Methoden und mischten diese mit der Lehre Swedenborgs. Eine dieser Bewegungen spaltete sich ab, was 1791 zu einem Schisma führte. Diese radikale neue Bewegung entstand in Clowes’ Gesellschaft. Sie wurde von einem Vikar von Clowes geleitet, dem Reverend William Cowherd. Entgegen Clowes’ Bitten, doch innerhalb der bestehenden Kirche zu verbleiben, verließ Cowherd mit seinen Anhängern die Neue Kirche, um seine eigene Version des Swedenborgianismus zu fördern, die Vegetarismus, gänzliche Alkoholabstinenz und andere Ideen enthielt, die im Konflikt zu den Anschauungen Swedenborgs standen (Swedenborgs Schriften schreiben weder Vegetarismus noch Alkoholabstinenz vor). Diese Fraktion spaltete sich schließlich vom bestehenden Swedenborgianismus ab und wählte den Namen ‚Bibelchristen’ als Eigenbezeichnung. Wahrscheinlich bestand die häretischste Anschauung Cowherds aus der Sicht der Swedenborgianer in der Ansicht, dass die Bibel weitere verborgene Wahrheiten enthalte, die nicht von Swedenborg entdeckt worden seien, die Cowherd aber für die Bibelchristen erschloss und es ihnen so ermöglichte, eine neue Lehre zu entwickeln.150

 

Ebenso wirkte der Swedenborgianismus auf viele Menschen, die an keine bekannte swedenborgianische Gruppe gebunden waren. Dies geschah oft durch künstlerische und literarische Einflüsse. Solche freien Denker halfen dabei, Swedenborgs Lehren in unterschiedlicher Ausprägung zu verbreiten, wobei auch sie gelegentlich seine Ideen mit denen anderer vermischten. Als Beispiele aus England lassen sich etwa William Blake und Samuel Taylor Coleridge nennen. Sie lasen und erörterten Swedenborgs Bücher. Dabei reklamierten sie das Recht, mit einigen seiner Anschauungen nicht übereinzustimmen, aber sie bauten viele von Swedenborgs Konzepten und Paradigmen in ihr eigenes Denken, in ihr Werk und ihren eigenen Einfluss ein.151

Solche Muster eines swedenborgianischen Einflusses setzten sich fort und traten erneut auf, als Swedenborgs Anschauungen sich nach Nordamerika verbreiteten. Es bestand weiter eine institutionelle separatistische Neue Kirche, die aus Mitgliedern bestand, die Swedenborgs Ideen eng anhingen. Sie betrachteten diese als bedeutender als andere. Manche gingen gar davon aus, dass seine theologischen Werke das Alte und Neue Testament der Bibel erklärten und gleiche Autorität wie diese besäßen. Der nicht-separatistische Impuls bildete daneben weiterhin einen bedeutenden Einfluss der Ideen Swedenborgs innerhalb anderer kirchlicher Traditionen und Gemeinschaften und bei Geistlichen, insofern sie diese Konzepte in ihren eigenen Zusammenhängen annahmen und anpassten. Die Ausprägung hierbei unterschied sich zwischen Quäkern, kongregationalistischen und universalistischen Gruppen stark. Einige Quäker und universalistische Kirchen sind seit 1848 im Wesentlich swedenborgianisch geworden.152

Ebenso gab es außerhalb der kirchlichen Traditionen stehende Menschen, die begeisterte Swedenborgianer wurden, sowie andere freie Denker, welche die obigen Unterschiede verwischten und dennoch eine wichtige Rolle bei der Verbreitung von Swedenborgs Anschauungen spielten. Diese Strömungen lassen sich etwa durch die Klassifikation in Separatisten, Nicht-Separatisten und Kirchenungebundene einordnen.153

Der Begriff ‚swedenborgianisch’ kann problematisch sein. Genauso, wie Swedenborg für viele Menschen vieles sein konnte, umfasst auch der Begriff ‚swedenborgianisch’ viele recht verschiedene Bedeutungen und Bezüge. Einige Autoren benutzten den Begriff, um sich auf die Anhänger der formalen separatistischen Versammlungen der Neuen Kirche zu beziehen, mithin Mitglieder der organisierten und institutionalisierten Neuen Kirche. Andere wendeten den Begriff auf diejenigen an, die weiter in ihren kirchlichen Traditionen verblieben, dabei Swedenborgs Ideen studierten und sie verbreiteten, so wie die Nicht-Separatisten (in vielen Ländern).

Eine weitere Gruppe bildete diejenige, die Scott Trego Swank als ‚Freie Geister’ bezeichnete. Bei diesen Swedenborgianern handelte es ich um Menschen, die in Swedenborgs Schriften sehr belesen waren, oft selbst Wissenschaftler und Geistliche, und die in dem einen oder anderen Punkt mit der organisierten Neuen Kirche nicht übereinstimmten. Die Gründe schwankten zwischen Kritik an einer organisierten Priesterschaft und theologischen Gründen, insofern sie weitere Ideen aufgefasst und integriert hatten, die von außerhalb des Swedenborgianismus kamen, wie etwa vom Magnetismus. Im Allgemeinen waren swedenborgianische ‚Freie Geister’ gegen Gruppenbildung, aber obgleich ihrer antiinstitutionellen Einstellung doch auch mit der Neuen Kirche verbunden. Wie Swank notierte, war ein entscheidendes Thema der Freien Geister die Neigung zum Schreiben, Herausgeben und Veröffentlichen von Zeitschriften, Broschüren und Büchern. In den 1840ern bis 1860ern war diese Eigenschaft der Freien Geister am offensichtlichsten.154

Eine letzte Gruppe von Swedenborgianern setzte sich aus Begeisterten von Swedenborgs Anschauungen zusammen, die an überhaupt keiner kirchlichen Organisation teil hatten. Diese nicht-konfessionellen Menschen wurden vom Historiker Robert C. Fuller als ‚kirchenfern’ bezeichnet. Er verstand Kirchenferne in Nordamerika als solche Menschen, die sich selbst persönlich als stark spirituell einstuften, aber keiner besonderen kirchlichen Gruppe angehörten. Während des 19. Jahrhunderts gab es viele kirchenferne Swedenborgianer. Dabei handelte es sich naturgemäß um eine eklektische Gruppe, die Swedenborgs Ideen in unterschiedlichem Grade aufnahm und dabei zwischen gründlichem Studium und umfassender Anwendung einerseits, gelegentlichem oder sehr begrenztem Gebrauch einiger weniger Konzepte unter Ausschluss des Restes andererseits oszillierte. Viele vermischten Swedenborgs Überlegungen in hohem Maße mit anderen Ideen. Einige dieser Personen vertraten auch sehr bunte Konzepte und bezeichneten noch solche Ansichten als swedenborgianisch, die doch tatsächlich im Widerspruch zu Swedenborgs Lehren standen. Dennoch wurden sie in einigen Geschichtsbüchern unter dem Begriff ‚swedenborgianisch’ geführt.155

Aus historischer Sicht stellt sich die Situation noch um einiges verwirrender dar. Viele Personen aus diesen identifizierbaren swedenborgianischen Strömungen (Separatisten, Nicht-Separatisten, freie Geister und Kirchenferne) interagierten und beeinflussten sich wechselseitig ebenso, wie sie auf die allgemeine Öffentlichkeit einwirkten. Die Leser seien bei der Erforschung der Geschichte des Swedenborgianismus also gewarnt: Der Begriff ‚Swedenborgianer’ wird in sehr breitem Kontext verwendet und auf eine heterogene Mischung von Personen bezogen, die verschiedenste Anschauungen und Aktivitäten repräsentieren. Die Schriften Swedenborgs umfassten einen derart weiten Skopus von Ideen, darunter in den Bereichen Wissenschaft, Philosophie, Kosmologie und allen Aspekten der Religion, dass es durchaus nachvollziehbar ist, wieso sein Werk ‚vieles für viele Geister’ wurde. Nicht zuletzt im Nordamerika des 19. Jahrhunderts war das der Fall.156

Ein Beispiel für den Austausch zwischen verschiedenen Gruppen fällt etwa ins Philadelphia des Jahres 1817. Die Neue Kirche in Philadelphia folgte dem separatistischen Pfad, der von Hindmarsh und der Londoner Gesellschaft begründet worden war und stand über Jahrzehnte mit Hindmarsh in Kontakt. Diese Gruppe in Philadelphia war nicht besonders glücklich, als eine Gruppe von 41 Bibelchristen unter Führung von Reverend William Metcalf, dem Nachfolger von Reverend William Cowherd aus dem nahen Manchester eintraf. Diese liberale Gruppe überlebte und wuchs unabhängig von der eher konservativen Neuen Kirche in Philadelphia. Metcalf lehrte den spirituellen Wert des Vegetarismus und der Abstinenz und schrieb ausführlich darüber. Schließlich wurde er in der Mäßigungsbewegung aktiv und ein homöopathischer Arzt sowie Gründungspräsident der Nordamerikanischen Vegetarischen Gesellschaft. Die Bibelchristen waren stärker als die Mitglieder der Neuen Kirche sozial aktiv. Sie unterstützten aktiv die Abschaffung des Kriegs, der Todesstrafe und der Sklaverei.157

Die Neue Kirche begann in den kultivierten Städten des Ostens, wo sie vor allem Intellektuelle ansprach. Diese Gemeinschaften bestanden hauptsächlich aus berufsbezogenen Gruppen wie Geistlichen, Ärzten, Lehrern, Rechtsanwälten und Literaten. Swedenborgs philosophischer Ansatz, seine übergreifende Kosmologie, seine der Wissenschaft entnommenen Veranschaulichungen (insbesondere aus der Anatomie) sowie seine menschenfreundliche und rationale Theologie mit der Betonung des persönlichen geistigen Wachsens und sein Bruch mit der Orthodoxie der ‚alten’ christlichen Kirchen erschien diesen Menschen als der Beginn eines neuen und aufgeklärten Zeitalters. Zudem waren viele seiner Schriften in lateinischer Sprache verfügbar, die viele gebildete Menschen aus diesen Berufen ohne Weiteres lesen konnten.158