Der Verletzte im Sinne des § 172 StPO bei Vermögensdelikten zum Nachteil von Kapitalgesellschaften

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III. Systematische Auslegung

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StGB und StPO verwenden den Begriff des Verletzten an vielen Stellen, ohne ihn zu definieren. Dies sollte nach dem Willen des Gesetzgebers stattdessen der Rechtsprechung überlassen werden.[17] In Rechtsprechung und Lehre besteht mittlerweile weitgehend Einigkeit darüber, dass der Verletztenbegriff in der StPO nicht einheitlich,[18] sondern je nach Sinn und Zweck des jeweiligen Regelungszusammenhangs zu bestimmen ist.[19] Dient die Antragsberechtigung in unterschiedlichen Verletzteninstituten demselben Zweck, sind demzufolge die jeweiligen Verletztenbegriffe in gleicher Weise auszulegen.[20] Im Folgenden sollen deshalb die Verletzteninstitute des Klageerzwingungsverfahrens, des Strafantrags, der Privatklage und der Nebenklage hinsichtlich ihres Telos“ miteinander verglichen werden. Soweit Übereinstimmungen bestehen, werden die jeweiligen Regelungsbereiche für eine vergleichende Auslegung des Verletztenbegriffs herangezogen.

1. Teleologische Vergleichbarkeit der Verletzteninstitute

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Die Regelungen des Strafantrags, der Privatklage, der Nebenklage und des Klageerzwingungsverfahrens verleihen dem Verletzten einer Straftat unterschiedlich ausgestaltete Mitwirkungsrechte im Strafverfahren. Die strukturelle Verschiedenheit der jeweiligen Institute steht jedoch einer Vergleichbarkeit in Bezug auf die Auslegung der Verletztenbegriffe nicht von vorneherein entgegen. Für sie genügt es, dass die Regelungsbereiche hinsichtlich des mit der Berechtigung des Verletzten verfolgten Zwecks übereinstimmen. Stellt sich heraus, dass ein oder mehrere Verletzteninstitute demselben Interesse des Verletzten dienen, wie es das Klageerzwingungsverfahren tut, besteht die für die systematische Auslegung notwendige teleologische Vergleichbarkeit.

a) Sinn und Zweck des Strafantragsrechts, §§ 77 ff. StGB

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Die große Mehrheit der unter Strafe gestellten Verhaltensweisen wird von Amts wegen, d.h. allein aufgrund behördlicher Entscheidung und somit unabhängig vom Willen des Verletzten oder einer sonstigen Person, verfolgt (sogenannte Offizialdelikte). Demgegenüber findet sich eine beachtliche Anzahl von Straftatbeständen, deren Verletzung nur geahndet wird, wenn eine bestimmte Person, in der Regel der Verletzte,[21] Strafantrag stellt.[22] Inhaltlich bedeutet der Strafantrag das Verlangen nach Strafverfolgung[23] und bildet eine Prozessvoraussetzung[24]. Unterlässt der Antragsberechtigte den Strafantrag und ergibt eine Prognose, dass ein solcher – aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen – auch nicht mehr wirksam gestellt werden wird, ist das Verfahren mangels Verfolgbarkeit der Tat einzustellen.[25] Eine Ausnahme besteht insoweit bei sogenannten bedingten Antragsdelikten.[26] Diese zeichnen sich dadurch aus, dass anstelle des Strafantrags die Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahen kann und in diesem Fall die Verfolgung unabhängig von der Stellung eines Strafantrags zulässig ist.[27] Die Befugnis, Strafantrag zu stellen, gibt dem Verletzten somit grundsätzlich die Möglichkeit, über die Einleitung bzw. Fortführung des Ermittlungsverfahrens zu disponieren.

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Zum Sinn und Zweck des Strafantragsrechts und insbesondere zum Grund für die Antragsberechtigung des Verletzten werden unterschiedliche Auffassungen vertreten.

aa) Einheitliche Ratio der Antragserfordernisse

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Vereinzelt wird angenommen, dass alle Vorschriften, die ein Strafantragserfordernis aufstellen, einem einheitlichen Zweck dienen.

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Maiwald ist etwa der Auffassung, dass allen Antragsdelikten gemein sei, dass sie typischerweise innerhalb individueller Beziehungen zwischen Täter und Opfer begangen würden.[28] Diese Situation eröffne die Möglichkeit, das durch die Straftat hervorgerufene „Gefühl der Unsicherheit und des Gefährdetseins“ der Allgemeinheit schon durch eine Versöhnung zwischen Täter und Opfer[29] zu beseitigen, ohne dass es dazu eines Strafverfahrens bedürfe.[30] Stellt der Verletzte Strafantrag, sei dies ein – formalisierter – Ausdruck von ausgebliebener Versöhnung.[31] Unterbleibt eine Antragstellung, sei davon auszugehen, dass dem Täter verziehen wurde; der Rechtsfrieden sei restituiert und eine Bestrafung entbehrlich.[32] Beispielhaft nennt Maiwald die Strafantragsdelikte der Sachbeschädigung, des Hausfriedensbruchs und der Körperverletzung. Da sich diese Tatbestände dadurch kennzeichneten, dass sich ihr Unrecht in einer Schädigung des Betroffenen erschöpfe, komme es dem Täter in der Regel darauf an, gerade dieser Person einen Nachteil zuzufügen. Es sei daher wahrscheinlich, dass im Vorfeld der Tat ein sozialer Kontakt zwischen Täter und Verletztem bestanden haben müsse, aus dem der Entschluss des Täters hervorgegangen sei, dem Opfer zu schaden.[33] Demgegenüber beruhten Offizialdelikte, wie etwa Diebstahl, Betrug und Hehlerei typischerweise auf einem egoistischen Motiv, zumeist in Form der Bereicherungsabsicht. Dem Täter komme es in der Regel nicht auf die Person des Opfers an, weshalb eine individuelle Beziehung zwischen beiden nicht die kriminologisch typische Situation sei. Dementsprechend reiche eine Versöhnung zwischen Täter und Opfer nicht aus, um die entstandene Unsicherheit der Allgemeinheit zu beseitigen, weshalb die Verfolgung nicht von einem Strafantrag des Verletzten abhängig sei.[34] Eine Ausnahme bildeten Vermögensdelikte zu Lasten von Angehörigen und anderen dem Täter nahestehenden Personen (§ 247 StGB). In solchen Fällen sei wiederum von einem Näheverhältnis zwischen Täter und Verletztem auszugehen, welche das Strafantragserfordernis rechtfertige.[35]

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Einen ähnlichen Ansatz vertritt M.-K. Meyer. Auch sie sieht die Gemeinsamkeit der Antragsdelikte in der typischerweise bestehenden persönlichen Beziehung zwischen Täter und Opfer.[36] Im Gegensatz zu Maiwald wird die Stellung des Strafantrags jedoch nicht bloß als Zeichen des Scheiterns einer individuellen Versöhnung mit dem Täter verstanden. Vielmehr bekunde der Antragsteller durch sie, dass ihn die Tat derart intensiv getroffen habe, dass er die Grundlagen für ein friedliches Zusammenleben als nachhaltig gestört empfinde.[37] Diese Wahrnehmung einer Rechtsfriedensstörung sei für den Menschen als soziales Wesen nicht nur eine individuelle, sondern sie spiegele zugleich das Empfinden der Allgemeinheit wider.[38] Der Verletzte repräsentiere dementsprechend mit seiner Entscheidung, einen Strafantrag zu stellen bzw. zu unterlassen, die gesamte Rechtsgemeinschaft. Wird er tätig, sei dies Ausdruck einer fortdauernden Störung des allgemeinen Rechtsfriedens. Andernfalls sei das Gegenteil der Fall und es könne auf Strafverfolgung verzichtet werden.[39]

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Andere Autoren weichen zum Teil im Detail von den beiden genannten Auffassungen ab, führen die einheitliche Ratio der Antragsdelikte aber ganz überwiegend ebenfalls auf den Gedanken zurück, dass das Unterlassen des Strafantrags das Fehlen einer strafrechtlich relevanten Störung des Rechtsfriedens indiziere.[40]

bb) Differenzierende Einteilung der Antragserfordernisse

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Die überwiegende Ansicht in der Literatur unterteilt die Antragserfordernisse in Bezug auf die Zweckrichtung dagegen in drei Gruppen.[41]

(1) Erste Gruppe: Schutz des berechtigten Geheimhaltungsinteresses des Opfers

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Die erste Gruppe bildeten solche Antragsdelikte, die typischerweise die Geheim- bzw. Intimsphäre des Verletzten berühren.[42] Hier habe dieser oftmals ein Interesse daran, dass bestimmte persönliche Sachverhalte nicht in einem Strafverfahren thematisiert werden. Durch das Strafantragserfordernis werde diesem Interesse grundsätzlich der Vorrang vor dem staatlichen Strafanspruch gewährt.[43] Die Beurteilung, ob der in der möglichen Offenbarung privater Informationen liegende Nachteil im Einzelfall durch das Interesse an strafrechtlicher Verfolgung des Täters aufgewogen wird, solle dem Verletzten zustehen.[44] Dieser Gruppe werden beispielsweise die §§ 182 Abs. 5, 205, 355 Abs. 3 StGB zugeordnet.

(2) Zweite Gruppe: Schutz enger persönlicher Beziehung zwischen Täter und Opfer

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§ 247 StGB bestimmt, dass ein Diebstahl nur auf Antrag verfolgbar ist, wenn der durch die Tat Verletzte ein Angehöriger, der Vormund oder der Betreuer des Täters ist oder mit diesem in häuslicher Gemeinschaft lebt. Zahlreiche Vorschriften verweisen auf § 247 StGB und erweitern damit dessen Anwendungsbereich über die §§ 242 ff. StGB hinaus auf weitere Vermögensdelikte wie etwa die §§ 246, 248c, 259, 263, 266 StGB. Der durch § 247 StGB bezweckte Schutz der besonderen persönlichen Beziehung zwischen Opfer und Täter bilde somit die zweite Gruppe von Antragserfordernissen. Dem Opfer solle ermöglicht werden, den durch die Tat verursachten sozialen Konflikt mit dem Täter auf außerstrafrechtlichem Wege zu lösen und damit die Gefahr einer Zerrüttung der persönlichen Beziehung zum Täter infolge des Strafverfahrens zu vermeiden.[45]

(3) Dritte Gruppe: Bagatelldelikte

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Die dritte Gruppe von Antragserfordernissen zeichne sich schließlich durch die Geringfügigkeit des verwirklichten Unrechts aus.[46] Ein Verhalten, das zwar einen Straftatbestand erfüllt, dessen Unrechtsgehalt aber wertungsmäßig an der Grenze zur Straflosigkeit liegt, solle nur dann verfolgbar sein, wenn der Geschädigte sein Interesse an der Strafverfolgung durch einen Strafantrag besonders zum Ausdruck bringt. Weit verbreitet ist die Ansicht, dass der Grund für das Antragserfordernis in solchen Fällen in der Entlastung der Strafverfolgungsbehörden bzw. der Entkriminalisierung bagatellhafter Straftaten liege.[47] Zum Teil wird auch vertreten, dass darüber hinaus ein berechtigtes Genugtuungsinteresse des Verletzten geschützt werde.[48] Zu dieser Gruppe sollen unter anderem die §§ 123 Abs. 2, 194, 230, 248a, 248b Abs. 3, 288 Abs. 2, 303c StGB, § 109 UrhG zählen.

 

cc) Kritik an der These der einheitlichen Ratio der Antragserfordernisse

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Gegen die These eines einheitlichen Telos“ der Antragserfordernisse spricht zunächst, dass die Prämisse Maiwalds und M.-K. Meyers, den Antragsdelikten liege typischerweise eine besondere Täter-Opfer-Beziehung zugrunde, nicht überzeugt. Dies räumt Maiwald zum Teil schon selbst ein.[49] Es ist fernliegend, eine besondere Personengebundenheit bei Delikten wie etwa § 303 StGB, §§ 106-108 UrhG oder § 17 Abs. 2 UWG anzunehmen.[50] Umgekehrt ist es auch in Fällen von Offizialdelikten nicht ungewöhnlich, dass Täter und Verletzter in einem engen Verhältnis zueinander stehen.[51] Entgegen der Ansicht Maiwalds[52] belegt auch die Entstehungsgeschichte des Strafantragsrechts nicht, dass ihr Zweck allein in der Ermöglichung einer informellen Versöhnung zwischen Täter und Opfer liegt. Bereits vor Inkrafttreten der RStPO im Jahre 1979 sahen die Verfahrensordnungen einiger Partikularstaaten Strafantragserfordernisse bezüglich bestimmter Delikte vor.[53] Eine einheitliche Begründung für ihre Einführung kann den jeweiligen Gesetzesmaterialien jedoch nicht entnommen werden. Die Motive lassen sich stattdessen in die oben dargestellten drei Klassifizierungen einteilen, wobei zusätzlich der Gedanke der Verzeihung durch das Tatopfer bei unterbleibender Antragstellung herangezogen wird.[54] Auch die Motive zum StGB für den Norddeutschen Bund, welches, mit leichten Modifikationen, im Jahre 1871 als RStGB in Kraft trat, enthalten unterschiedliche Begründungen. So wird zum einen angenommen, dass bei Antragsdelikten das öffentliche Interesse an einer Bestrafung des Täters geringer sei als bei anderen Delikten.[55] Darüber hinaus diene die Notwendigkeit eines Antrags dazu, Geheimhaltungsinteressen des Opfers,[56] bzw. dessen Familienfrieden,[57] zu wahren. Dies zeigt, dass die Ermöglichung einer Versöhnung nur eines von mehreren Motiven war und dieser Aspekt daher die Antragserfordernisse nicht in ihrer Gesamtheit begründen kann.[58]

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Der Erklärungsansatz M.-K. Meyers, der Strafantrag diene dazu, anhand der Reaktion des Verletzten auf die Straftat zu ermitteln, ob eine strafrechtlich relevante Erschütterung des öffentlichen Rechtsfriedens stattgefunden hat,[59] begegnet ebenfalls erheblichen Bedenken. Schon die These, der Verletzte repräsentiere hinsichtlich einer möglichen Rechtsfriedensstörung das Empfinden der Allgemeinheit, da er als Mitglied der Rechtsgemeinschaft nicht bloß individuell, sondern sozial empfinde,[60] entbehrt eines sozialpsychologischen Nachweises.[61] Ein solcher wäre aber insbesondere angesichts der Verschiedenartigkeit der in Betracht kommenden Motive für das Stellen bzw. Unterlassung eines Strafantrags notwendig.[62] Besondere Schwierigkeiten ergeben sich im Hinblick auf die Antragsdelikte, die typischerweise die Intim- bzw. Geheimnissphäre oder den Familienfrieden des Opfers berühren. In diesen Fällen ist das Unterlassen des Strafantrags in aller Regel nicht Ausdruck einer stattgefundenen Wiederherstellung des Rechtsfriedens, sondern es ist typischerweise motiviert durch das Bestreben, die Tat geheim zu halten, oder durch vergleichbare Ziele. Zweitens ist es schwer verständlich, warum der Gesetzgeber, unterstellt, er hätte den von M.-K. Meyer beschriebenen Zweck verfolgt, gerade das Institut des Strafantrags gewählt hat. Ginge es darum, zu ermitteln, ob eine Rechtsfriedensstörung der Allgemeinheit eingetreten ist, wäre es naheliegend, diese Entscheidung einer Institution zu überlassen, die für die Wahrnehmung des öffentlichen Interesses zuständig ist, etwa der Staatsanwaltschaft.[63] Die Erweiterung der Einstellungsmöglichkeiten aus Opportunitätsgründen wäre dafür ein möglicher Weg gewesen.[64] Warum der Gesetzgeber zur Erreichung dieses Ziels dann aber den „Umweg“ über den in seiner Entscheidung vollkommen freien Verletzten genommen haben sollte, kann auch M.-K. Meyer nicht plausibel erklären.

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Es lässt sich daher zunächst festhalten, dass die Strafantragserfordernisse unterschiedliche Zwecke verfolgen. Dagegen sind die Strafantragserfordernisse entsprechend ihren unterschiedlichen Zweckrichtungen und in Übereinstimmung mit der Vorstellung des historischen Gesetzgebers in die dargestellten drei Gruppen zu unterteilen. Diese Dreiteilung soll den folgenden Ausführungen zugrunde gelegt werden.

dd) Sinn und Zweck der Antragsberechtigung des Verletzten

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Zu klären bleibt noch die für die vergleichende Auslegung entscheidende Frage nach dem Grund für die Berechtigung gerade des Verletzten innerhalb der verschiedenen Gruppen von Antragsdelikten.

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Hinsichtlich der Art von Antragsdelikten, die typischerweise sensible Informationen über den Verletzten betreffen (erste Gruppe), lässt sich dies in Übereinstimmung mit der h.M. ohne Schwierigkeiten beantworten. Das Antragserfordernis soll dem Verletzten ermöglichen, eine Offenbarung privater Geheimnisse zu verhindern. Das Antragserfordernis aus § 247 StGB schützt demgegenüber, auch insoweit ist der herrschenden Auffassung Recht zu geben, den Haus- und Familienfrieden des Verletzten (zweite Gruppe). Nicht so eindeutig liegen die Dinge bei der dritten Gruppe, den Antragserfordernissen in Bagatellfällen. Denn sieht man den Zweck des Antragserfordernisses in solchen Fällen allein in der Entlastung der Strafverfolgungsorgane bzw. in der Entkriminalisierung geringfügiger Straftaten, lässt sich nicht erklären, warum gerade der weder juristisch ausgebildete, noch an rechtliche Vorgaben gebundene Verletzte über Beginn bzw. Fortgang der Strafverfolgung entscheiden darf. Eine objektivere und sachlich fundiertere Entscheidung wäre vom Staatsanwalt bzw. Richter etwa unter Anwendung der §§ 153 ff. StPO zu erwarten.[65] Warum der Gesetzgeber dennoch dem Verletzten die Entscheidung über die Verfolgung bestimmter typischerweise geringfügiger Delikte übertragen hat, erklärt sich erst durch eine Betrachtung der einschlägigen Gesetzesmaterialien. Die das Strafantragsrecht betreffenden Neuregelungen der letzten Jahrzehnte änderten die bestehenden Vorschriften größtenteils nur punktuell; in den entsprechenden Materialien findet daher eine Auseinandersetzung mit dem Grund für die Antragsberechtigung des Verletzten in Bagatellfällen nicht statt. Gleiches gilt für die Materialien zum StGB für den Norddeutschen Bund von 1870. Etwas ergiebiger sind die Motive zum Preußischen StGB von 1851, das dem StGB für den Norddeutschen Bund und damit dem späteren RStGB in großem Umfang als Vorlage diente[66] und ebenfalls das Institut des Strafantrags kannte. Ähnlich der heute herrschenden Unterteilung unterschied der Gesetzgeber zwischen drei Gruppen von Antragsdelikten. Eine von ihnen bildeten solche Delikte, die von geringer Schwere sind und „bei deren Bestrafung die Genugthuung für den Verletzten obwaltet, z.B. Injurien, leichte Körper-Verletzungen, Hausrechts-Verletzungen u.s.w.“.[67] In diesem Sinne wurde etwa auch das Antragsrecht der durch eine „Betrügliche Verleitung zum Beischlafe“ verletzten Frau einerseits mit dem geringen öffentlichen Interesse an Strafverfolgung und andererseits mit einem schutzwürdigen Genugtuungsverlangen der Geschädigten begründet.[68]

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Auch die Verfahrensordnungen anderer deutscher Partikularstaaten sahen Strafantragsdelikte vor und auch hier ist in den jeweiligen Motiven der Gedanke zu finden, dass in Fällen geringfügiger Delikte dem Verletzten mittels des Strafantragsrechts die Befugnis gewährt werden solle, sein Genugtuungsinteresse durchzusetzen.[69]

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Dass das Strafantragsrecht in Bagatellfällen auch den Interessen des Verletzten dienen soll, zeigt zudem die Tatsache, dass ein öffentliches Interesse an Strafverfolgung hier in der Regel nicht besteht, jedenfalls aber erheblich gemindert ist. Der Grund dafür, dass dennoch ein Strafverfahren möglich sein soll, kann deshalb nur in dem Schutz des privaten Interesses des Verletzten an der Durchführung des Verfahrens liegen.[70]

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Das Erfordernis eines Strafantrags in Bagatellfällen bezweckt daher neben der Entlastung der Strafverfolgungsbehörden und der Entkriminalisierung geringfügigen Unrechts auch den Schutz des berechtigten Genugtuungsinteresses des Verletzten.[71]

ee) Zwischenergebnis

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Das Strafantragsrecht verfolgt keinen einheitlichen Zweck. Es lässt sich stattdessen zwischen drei Arten von Antragserfordernissen unterscheiden. Die ersten beiden dienen der Wahrung von der Durchführung des Strafverfahrens entgegenstehenden Interessen des Tatopfers, nämlich entweder demjenigen an der Geheimhaltung sensibler Informationen oder demjenigen an der Erhaltung des Haus- bzw. Familienfriedens. Die dritte Art bezieht sich auf Bagatelldelikte und bezweckt neben der Entlastung der Strafverfolgungsbehörden und der Entkriminalisierung geringen Unrechts auch den Schutz des berechtigten Genugtuungsinteresses des Verletzten.

b) Sinn und Zweck der Privatklage, §§ 374 ff. StPO

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Die Privatklage bildet eine Ausnahme vom Legalitätsprinzip.[72] Bestehen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte (§ 152 Abs. 2 StPO), dass eine der in § 374 Abs. 1 StPO aufgeführten Katalogtaten begangen wurde, ist die Staatsanwaltschaft grundsätzlich nicht verpflichtet einzuschreiten. Stattdessen ist eine Privatperson, in der Regel der durch die Tat Verletzte, berechtigt, die Strafverfolgung gegen den Beschuldigten zu betreiben und gegebenenfalls Anklage zu erheben (§ 381 StPO), sofern nicht die Staatsanwaltschaft gem. § 376 StPO unter Verweis auf ein ausnahmsweise bestehendes öffentliches Interesse die öffentliche Klage erhebt oder nach § 377 Abs. 2 StPO die Verfolgung übernimmt. Der Privatkläger ist berechtigt, in der Hauptverhandlung Zeugen und Sachverständige unmittelbar selbst zu laden (§ 386 Abs. 2 StPO) sowie Rechtsmittel gegen die gerichtliche Entscheidung einzulegen (§ 390 StPO). Die Privatklage ist aber nicht nur Verfolgungsrecht, sondern auch Verfolgungslast. Der Kläger muss den Sachverhalt in der Regel selbst bis zur Anklagereife erforschen und in der Hauptverhandlung als Beteiligter auftreten.