Der Verletzte im Sinne des § 172 StPO bei Vermögensdelikten zum Nachteil von Kapitalgesellschaften

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Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO

Inhaltsverzeichnis

A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO

B. Eigene Auslegung des Verletztenbegriffs in § 172 StPO

8

Zunächst ist der Begriff des Verletzten i.S.d. § 172 StPO inhaltlich zu bestimmen. Nach einem Überblick über den Stand der dazu vertretenen Auffassungen wird der Begriff anhand der klassischen Methoden ausgelegt.

Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO

A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO

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Die Auslegung des Verletztenbegriffs in § 172 StPO ist seit jeher umstritten. Uneinigkeit besteht in erster Linie darüber, welche Abgrenzungskriterien geeignet sind, den Kreis der Klageerzwingungsberechtigten von denjenigen Personen abzugrenzen, die zwar ebenfalls von den Folgen der möglicherweise begangenen Straftat betroffen sind, deren Beeinträchtigung jedoch ein Antragsrecht nach § 172 StPO nicht begründen kann.

Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO › I. Beeinträchtigung in einem Recht

I. Beeinträchtigung in einem Recht

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Nach dem weitesten Verständnis des Verletztenbegriffs in § 172 StPO ist derjenige klageerzwingungsbefugt, der durch die Tat, ihre Begehung unterstellt, eine Beeinträchtigung seiner Rechtssphäre erfahren hat.[1] Dabei soll es keinen Unterschied machen, ob dieses betroffene Recht ein strafrechtliches, zivilrechtliches oder öffentlich-rechtliches ist. Es komme allein darauf an, dass es von der Rechtsordnung anerkannt ist, es sich also beispielsweise nicht bloß um Gefühle oder sonstige Befindlichkeiten handelt.[2] Diese Auffassung, die bereits früh Widerspruch erfuhr,[3] wird heute, soweit ersichtlich, nicht mehr vertreten. Grund dafür ist wohl, dass eine solche Definition den Verletztenbegriff konturlos werden ließe. Denn sie hätte zur Folge, dass auch die entferntesten Folgen einer Straftat, durch die ein beliebiges rechtlich geschütztes Interesse beeinträchtigt wird, die Verletzteneigenschaft begründen könnten.[4]

Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO › II. Berechtigtes Vergeltungs- oder Genugtuungsinteresse

II. Berechtigtes Vergeltungs- oder Genugtuungsinteresse

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Die weiteste, heute noch vertretene Definition des Verletzten i.S.d. § 172 StPO geht auf Eb. Schmidt zurück. Ihr zufolge ist antragsberechtigt, wer „durch die behauptete strafbare Handlung in seinen berechtigten Interessen so beeinträchtigt ist, dass sein Verlangen nach Strafverfolgung einem als berechtigt anzuerkennenden Vergeltungsbedürfnis entspringt“.[5] Die Existenz eines berechtigten Vergeltungsbedürfnisses soll dabei normativ bestimmt werden. Es komme darauf an, ob „vom Standpunkte vernünftiger Lebenserfahrung aus mit einem nicht nur begreiflichen, sondern auch rechtsethisch durchaus zu billigenden Vergeltungsbedürfnis zu rechnen ist, dass er [der von der Tat Betroffene] die Nichtdurchführung des Verfahrens als eine Beeinträchtigung dessen empfinden darf, was er als Staatsbürger von einer gehörigen Erfüllung der Justizgewährungspflicht erwarten darf“.[6] Die Verletzteneigenschaft bejaht Eb. Schmidt etwa bei Familienangehörigen, die, unabhängig vom Verwandtschaftsgrad, mit dem Opfer eines Tötungsdelikts in enger Lebensgemeinschaft gestanden haben.[7] Gleiches gelte auch für die Anteilseigner einer Kapitalgesellschaft, wenn das Gesellschaftsvermögen durch eine Straftat geschädigt wurde.[8] Eine Begründung dafür, warum in diesen Fällen bei den Betroffenen ein „rechtsethisch zu billigendes Vergeltungsbedürfnis“ entstehe, dagegen aber etwa bei den Mitgliedern einer durch Beschimpfung beeinträchtigten Religionsgemeinschaft etwas anderes gelte,[9] gibt Eb. Schmidt allerdings nicht. Seine Definition lässt dementsprechend erheblichen Raum für Wertungen. Auch dies mag ein Grund dafür sein, dass sie gelegentlich in der Rechtsprechung – zum Teil zur Begründung von Ergebnissen, die denjenigen Eb. Schmidts widersprechen – verwendet wurde.[10] Auch einige Stimmen in der Literatur griffen die oben genannte Definition auf.[11]

Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO › III. Straftatbestandlicher Schutzzweck

III. Straftatbestandlicher Schutzzweck

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Nach einer engeren, früher in der Literatur vertretenen Auffassung ist verletzt i.S.d. § 172 StPO ausschließlich derjenige, der durch die behauptete Tat in einem Rechtsgut betroffen ist, das von dem möglicherweise erfüllten Straftatbestand zumindest mit geschützt wird.[12] Die Vertreter dieser Ansicht bestimmten den Schutzbereich der Strafnormen dabei jedoch nicht durchgehend in Übereinstimmung mit dem materiellen Strafrecht, sondern modifizierten ihn in Bezug auf § 172 StPO und fassten ihn tendenziell weiter. Dies offenbarte sich beispielsweise bei den Aussagedelikten (§§ 153 ff. StGB). Diese dienten auch nach damals herrschender Auffassung allein dazu, die Zuverlässigkeit der prozessualen Tatsachenermittlungen, ein Rechtsgut der Allgemeinheit, zu schützen.[13] Ohne diesen Schutzbereich nach dem materiellen Recht in Zweifel zu ziehen, gingen die Vertreter dieser Auffassung im Rahmen des § 172 StPO jedoch davon aus, dass auch diejenige Prozesspartei, deren Verfahrenslage infolge der Falschaussage verschlechtert wurde, vom tatbestandlichen Schutzzweck erfasst werde und daher zur Klageerzwingung berechtigt sei.[14] Entsprechendes sollte etwa für die Tatbestände der Rechtsbeugung (§ 339 StGB) und der Urkundenfälschung (§ 267 StGB) gelten.[15]

Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO › IV. Straftatbestandlicher Schutzzweck sowie Wertungen des Strafprozessrechts

IV. Straftatbestandlicher Schutzzweck sowie Wertungen des Strafprozessrechts

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Eine etwas weitergehende Auffassung im Schrifttum sucht den Ausgangspunkt für die Auslegung des Verletztenbegriffs ebenfalls in dem, wiederum weit zu bestimmenden, Schutzzweck des möglicherweise erfüllten Tatbestands. Darüber hinaus sollen aber auch Wertungen des Strafprozessrechts die Verletzteneigenschaft einer Person begründen. Letzteres komme immer dann in Betracht, wenn das Gesetz einem von der möglicherweise begangenen Tat Betroffenen bestimmte Mitwirkungsrechte am Strafprozess zugesteht, die Ausdruck einer spezifischen Nähebeziehung zur Tat seien und damit dessen Verhältnis zur Tat prozessrechtlich besonders anerkannt werde.[16] Dies sei etwa bei den in § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO genannten Personen der Fall. Nach dieser Vorschrift sind die Kinder, Eltern, Geschwister, Ehegatten bzw. Lebenspartner eines durch eine Straftat Getöteten die berechtigt, sich dem Strafverfahren als Nebenkläger anzuschließen. Dieser gesetzgeberischen Entscheidung wird die Wertung entnommen, dass im Falle eines vollendeten Tötungsdelikts der beschriebene Personenkreis in einer gesetzlich privilegierten Nähebeziehung zur Tat stehe, welche auch im Klageerzwingungsverfahren Beachtung finden müsse. In Fällen vollendeter Tötungsdelikte seien daher die in § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO Genannten durch die Tat verletzt i.S.d. § 172 StPO.[17] Deren Einbeziehung in den Kreis der Antragsberechtigten vermeide zugleich eine als unbefriedigend empfundene Folge einer strengen Orientierung am tatbestandlichen Schutzzweck, die darin liegt, dass mangels eines noch lebenden Verletzten ein Klageerzwingungsverfahren ausgeschlossen wäre. Darüber hinaus wird eine rechtlich anerkannte Nähebeziehung zur Tat zum Teil auch dann angenommen, wenn der Betroffene strafantragsberechtigt ist.[18] Diese Fallgruppe habe jedoch nur geringe praktische Bedeutung, da in der Regel der Verletzte i.S.d. § 77 StGB bereits dem Schutzbereich des erfüllten Tatbestands unterfalle und ihm schon aus diesem Grunde die Befugnis zur Klageerzwingung zukomme.[19] Zudem seien viele Antragsdelikte zugleich mit der Privatklage verfolgbar und somit nach § 172 Abs. 2 S. 3 StPO dem sachlichen Anwendungsbereich des Klageerzwingungsverfahrens entzogen.[20]

Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO › V. Unmittelbare Beeinträchtigung in einem Recht

V. Unmittelbare Beeinträchtigung in einem Recht

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Die h.M. geht schließlich davon aus, dass Verletzter i.S.d. Klageerzwingungsrechts derjenige ist, der durch die Tat, ihre Begehung unterstellt, in seinen Rechten, Rechtsgütern oder rechtlich anerkannten Interessen unmittelbar beeinträchtigt wurde.[21] Rechtlich anerkannt sei ein Interesse, wenn es in irgendeiner Weise von der Rechtsordnung als schutzwürdig bewertet werde.[22] Das Kriterium der Unmittelbarkeit wirkt demgegenüber eingrenzend. Allerdings lässt die Rechtsprechung bei dessen näherer Bestimmung keine einheitliche Linie erkennen. Teilweise wird der Begriff der Unmittelbarkeit gar nicht näher erläutert, teilweise finden sich voneinander abweichende Definitionen. Der Grund dafür dürfte darin liegen, dass die Zuständigkeit für das gerichtliche Klageerzwingungsverfahren den Oberlandesgerichten zugewiesen ist und ein Rechtsmittel, das eine einheitliche Rechtsprechung ermöglichen könnte, nicht statthaft ist (§§ 175, 304 Abs. 4 S. 2 Hs. 2 StPO). Dennoch lassen sich im Wesentlichen zwei Strömungen ausmachen, die im Folgenden dargestellt werden.

 

1. Begrenzung auf den straftatbestandlichen Schutzzweck

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Einige oberlandesgerichtliche Entscheidungen und Teile der Literatur nehmen eine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung nur dann an, wenn das betroffene Recht dem Schutzbereich des jeweils in Betracht kommenden Straftatbestands unterfällt.[23] Inhaltlich entspricht dieses Begriffsverständnis dem oben[24] genannten, das unmittelbar auf den Schutzbereich der erfüllten Strafnorm abstellt. Auch die hier dargestellte Auffassung legt die tatbestandlichen Schutzbereiche dabei im Vergleich zum materiellen Recht tendenziell weit aus. Begründet wird dies mit dem Zweck des Klageerzwingungsverfahrens, eine Kontrolle des Legalitätsprinzips zu ermöglichen.[25] Um dies effektiv zu gewährleisten, sei es notwendig, den Kreis der Antragsberechtigten weit zu fassen. Daher sollen auch Personen, deren Rechtsgüter nur „nachrangig“ oder „mittelbar“ durch den jeweiligen Tatbestand geschützt werden, verletzt im Sinne der Vorschrift sein.[26] Praktische Bedeutung hat dies etwa bei den Aussagedelikten,[27] der Rechtsbeugung[28] und der Urkundenfälschung[29]. Im Übrigen findet jedoch ganz überwiegend eine Orientierung am materiellen Recht statt. Und wie auch dort sind die tatbestandlichen Schutzbereiche in ihrem Umfang umstritten.[30]

2. Erweiterung auf sonstige rechtlich anerkannte Nähebeziehungen

16

Über die Anknüpfung an den tatbestandlichen Schutzzweck hinaus nimmt die h.M. eine unmittelbare Rechtsbeeinträchtigung auch dann an, wenn eine sonst rechtlich anerkannte Nähebeziehung zur Tat besteht. So bejaht auch sie im Falle eines vollendeten Tötungsdelikts die Verletzteneigenschaft der in § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO genannten Angehörigen des Opfers.[31] Daneben soll auch das Recht zur Stellung eines Strafantrags die Verletzteneigenschaft begründen.[32]

Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › A. Meinungsstand zum Verletztenbegriff in § 172 StPO › VI. Zusammenfassung

VI. Zusammenfassung

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Das Meinungsbild zur Definition des Verletztenbegriffs in § 172 StPO ist somit im Wesentlichen durch drei Auffassungen geprägt. Nach der ersten ist derjenige verletzt, der infolge der Tat ein berechtigtes Vergeltungs- bzw. Genugtuungsinteresse hat. Die zweite knüpft an den (weit auszulegenden) Schutzbereich des jeweils in Betracht kommenden Straftatbestandes an. Die dritte und zugleich vorherrschende Ansicht nimmt darüber hinaus die Verletzteneigenschaft bei solchen Personen an, deren besondere Nähebeziehung zur Tat in sonstiger Weise rechtlich anerkannt ist. Sofern nicht vereinzelt unmittelbar auf diese Definition zurückgegriffen wird, leitet die h.M. sie aus dem Oberbegriff der unmittelbaren Rechtsbeeinträchtigung ab.

Anmerkungen

[1]

RGSt 23, 361 (362); RMilGE 6, 133 f.; 8, 14 f.; 10, 188 (190 f.); OLG Bremen NJW 1950, 960; Löwe/Rosenberg RStPO, § 170 Nr. 5 b; zu Dohna Strafprozessrecht, S. 143; Rosenfeld Reichs-Strafprozess, S. 207; Brandt JW 1928, 2192; einschränkend Bennecke/v. Beling Lehrbuch, S. 484.

[2]

RMilGE 6, 133 f.; 8, 14 (15); Brandt JW 1928, 2192.

[3]

Oetker GA 66 (1919), 469 (490); Bennecke/v. Beling Lehrbuch, S. 484.

[4]

Oetker GA 66 (1919), 469 (490).

[5]

Eb. Schmidt StPO Teil II, § 171 Rn. 12.

[6]

Eb. Schmidt StPO Teil II, § 171 Rn. 10.

[7]

Eb. Schmidt StPO Teil II, § 171 Rn. 14.

[8]

Eb. Schmidt StPO Teil II, § 171 Rn. 18.

[9]

Eb. Schmidt StPO Teil II, § 171 Rn. 18 unter Verweis auf OLG Dresden bei Alsberg I Nr. 364.

[10]

OLG Braunschweig NdsRPfl. 1965, 17 ff.; OLG Celle NdsRPfl. 1954, 209; ähnlich auch OLG Jena bei Alsberg I Nr. 368; OLG Stuttgart Justiz 1976, 306; OLG Dresden NStZ-RR 1998, 338.

[11]

Roxin/Schünemann Strafverfahrensrecht, § 41 Rn. 5; Peters Strafprozess, § 57 IV; ähnlich Schlüchter Strafverfahren, Rn. 79.1 Fn. 225a; im Ansatz auch Frisch JZ 1974, 7 ff.; Bloy JR 1980, 480 f., Anm. zu OLG Hamburg, Beschl. v. 30.11.1979 – 3 Ws 60/79 –.

[12]

Oetker GA 66 (1919), 469 (490); Nothmann GA 76 (1932), 71 (75 ff.).

[13]

S. etwa Kohlrausch RStGB, Vor § 153 Nr. 2; v. Hippel Lehrbuch, § 84 I.

[14]

Oetker GA 66 (1919), 469 (491); Nothmann GA 76 (1932), 71 (78).

[15]

Nothmann GA 76 (1932), 71 (77, 80 f.); Oetker GA 66 (1919), 469 (491).

[16]

SK-StPO-Wohlers § 172 Rn. 25 f.; LR-Graalmann-Scheerer § 172 Rn. 52 ff.; Frisch JZ 1974, 7 ff.; Bloy JR 1980, 480 f., Anm. zu OLG Hamburg, Beschl. v. 30.11.1979 – 3 Ws 60/79 –; Hefendehl GA 1999, 584 (589 f.); Küpper Jura 1989, 281 (282 f.).

[17]

LR-Graalmann-Scheerer § 172 Rn. 54; SK-StPO-Wohlers § 172 Rn. 26; KMR-Plöd (73. EL November 2014) § 172 Rn. 21; Frisch JZ 1974, 7 (11 f.); Hefendehl GA 1999, 584 (589 f.); Küpper Jura 1989, 281 (282 f.).

[18]

KMR-Plöd (73. EL November 2014) § 172 Rn. 21; LR-Graalmann-Scheerer § 172 Rn. 54; SK-StPO-Wohlers § 172 Rn. 26.

[19]

SK-StPO-Wohlers § 172 Rn. 26.

[20]

Frisch JZ 1974, 7 (12 f.).

[21]

OLG Hamm NStZ 1986, 327; OLG München NJW 1985, 2430 f.; OLG Düsseldorf NJW 1988, 2906; OLG Stuttgart wistra 2001, 198 f.; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, 112 f.; Meyer-Goßner/Schmitt § 172 Rn. 9; KK-Moldenhauer § 172 Rn. 19; KMR-Plöd (73. EL November 2014) § 172 Rn. 20.

[22]

OLG Düsseldorf NJW 1988, 2906; OLG Koblenz NJW 1985, 1409, jeweils m.w.N.; noch weitergehend OLG Hamburg NJW 1955, 1770: „Es besteht kein Anhaltspunkt dafür, dass nur dem durch die Beeinträchtigung konkreter Rechte Verletzten ein Antragsrecht nach § 172 StPO zustehen sollte.“; einschränkend OLG Hamm NStZ 1986, 327.

[23]

OLG Hamm NStZ 1986, 327; OLG München NJW 1985, 2430 f.; OLG Nürnberg NStZ 1997, 254; OLG Karlsruhe NJW 1987, 1835; OLG Stuttgart Justiz 1989, 198; OLG Kiel HESt 2, 88 (89); OLG Stuttgart wistra 2001, 198 f.; OLG Stuttgart NStZ 1997, 254 f.; KG JR 54, 391; OLG Düsseldorf NJW 1988, 2906; OLG Düsseldorf NStZ 1995, 49; OLG Koblenz NJW 1985, 1409; OLG Karlsruhe NStZ-RR 2001, 112 f. hinsichtlich § 339 StGB; OLG Stuttgart NJW 1960, 588 mit Anm. Miemietz; KK-Moldenhauer § 172 Rn. 19; KMR-Plöd (73. EL November 2014) § 172 Rn. 20; Peglau JA 1999, 55 (56); Ostendorf RuP 1980, 200 (202 f.).

[24]

Siehe Rn. 12.

[25]

Eingehend zum Zweck des Klageerzwingungsverfahrens: Rn. 54 ff.

[26]

Radtke/Hohmann-Kretschmer § 172 Rn. 9; Peglau JA 1999, 55 (57).

[27]

OLG Hamburg NJW 1954, 1621 (1622); OLG Düsseldorf StraFo 2000, 21; OLG Düsseldorf NStZ 1995, 49; OLG Bremen NStZ 1988, 39; OLG Schleswig SchlHA 2002, 153; KK-Moldenhauer § 172 Rn. 26; KMR-Plöd (73. EL November 2014) § 172 Rn. 30.

[28]

OLG Karlsruhe NStZ 2001, 112 f.; anders OLG Dresden NStZ-RR 1998, 338.

[29]

OLG Karlsruhe Justiz 1988, 400; OLG Celle NStZ 2008, 423; KK-Moldenhauer § 172 Rn. 25; KMR-Plöd (73. EL November 2014) § 172 Rn. 36.

[30]

So gehen die Meinungen z.B. bei der Frage auseinander, ob bei einer behaupteten Volksverhetzung (§ 130 StGB) das einzelne Mitglied des Bevölkerungsteils vom Schutzbereich der Norm umfasst und damit „verletzt“ ist oder nicht; dafür: OLG Karlsruhe NJW 1986, 1276; Meyer-Goßner/Schmitt § 172 Rn. 11; KK-Moldenhauer § 172 Rn. 23; dagegen: OLG München NJW 1985, 2340 f.

[31]

OLG Celle NdsRpfl. 1954, 209; NStZ-RR 2011, 280; OLG Frankfurt NJW 1963, 1368; Meyer-Goßner/Schmitt § 172 Rn. 11; KK-Moldenhauer § 172 Rn. 21.; KMR-Plöd (73. EL November 2014) § 172 Rn. 21; AnwK-StPO-Walther § 172 Rn. 15 f.

[32]

KMR-Plöd (73. EL November 2014) § 172 Rn. 21.

Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › B. Eigene Auslegung des Verletztenbegriffs in § 172 StPO

B. Eigene Auslegung des Verletztenbegriffs in § 172 StPO

Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › B. Eigene Auslegung des Verletztenbegriffs in § 172 StPO › I. Grammatikalische Auslegung

 

I. Grammatikalische Auslegung

18

Aus der sprachlichen Bedeutung des Wortes „verletzt“ lässt sich als Mindestbedingung nur entnehmen, dass der Betroffene durch die Tat in irgendeinem Gut oder Interesse beeinträchtigt worden sein muss. Da damit auch sehr entfernte und strafrechtlich nicht relevante Folgen einer Straftat, wie etwa seelische Kränkungen, erfasst werden,[1] führt die Wortlautauslegung noch nicht zu einer tauglichen Begrenzung des Verletztenbegriffs.

Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › B. Eigene Auslegung des Verletztenbegriffs in § 172 StPO › II. Historische Auslegung

II. Historische Auslegung

19

Möglicherweise weiterführend ist die Entstehungsgeschichte der §§ 172 ff. StPO. Bereits vor der Schaffung der RStPO war die Auffassung verbreitet, dass es notwendig sei, die Staatsanwaltschaft hinsichtlich der Entschließung, ob ein Strafverfahren durchzuführen bzw. Anklage zu erheben sei, einer Form der Kontrolle zu unterwerfen.[2] Um dies zu gewährleisten, ermöglichten die Strafverfahrensordnungen verschiedener Territorialstaaten dem Bürger, sich gegen die Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft mittels eines Rechtsbehelfs zu wenden. Dies konnte je nach Rechtsordnung entweder im Wege einer subsidiären Privatklage[3] oder durch die Veranlassung einer gerichtlichen Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Entscheidung[4], ähnlich dem heutigen Klageerzwingungsverfahren, geschehen.[5] Der RegE für die RStPO griff beide Modelle auf, wobei eine Beschwerde nur gegenüber dem vorgesetzten Beamten der Staatsanwaltschaft vorgesehen war, und knüpfte die Antragsbefugnis an die Eigenschaft als Verletzter.[6] Damit sollte in erster Linie die Möglichkeit einer Popularklage ausgeschlossen werden, die nach Ansicht der Regierung einen unangemessenen Eingriff in die Entscheidungsgewalt der Staatsanwaltschaft dargestellt hätte.[7] Verletzter sollte demnach jeder sein, der durch die behauptete Tat einen Schaden erlitten hatte.[8] Die Begrenzung des personellen Anwendungsbereichs auf den Verletzten stieß jedoch in der vom Reichstag eingesetzten Justizkommission mehrheitlich auf Ablehnung.[9] Dem wiederum widersprach der Bundesrat, der sich überwiegend für das Regelungsmodell des RegE aussprach.[10] Obwohl das Verletztenmerkmal, wie die Vehemenz der anschließend geführten Debatte zeigt, für besonders bedeutsam gehalten wurde, finden sich in den Beratungsprotokollen nur wenige, vage Aussagen zu dessen inhaltlicher Ausgestaltung. So wurde etwa vertreten, dass der Begriff des Verletzten nicht „in einem dem Rechtsbegriff genau erkennbaren Sinne“ ausgelegt werden könne, verletzt sei vielmehr jeder, der „irgend einen Nachtheil erlitten“ habe.[11] Etwas konkreter wurde die Ansicht geäußert, der Verletztenbegriff beschränke sich nicht auf denjenigen, „dessen materielles Recht durch das Verbrechen beschädigt ist“, sondern erfasse auch solche Personen, die bloß in einem idealen Recht betroffen seien, soweit es durch einen Straftatbestand geschützt ist.[12] Anders formuliert sollte es also unerheblich sein, ob es sich bei dem beeinträchtigten Recht um ein Vermögensrecht handelte, solange dieses nur strafrechtlich als schutzwürdig anerkannt war. Es ist allerdings fraglich, ob die dargestellten Äußerungen einzelner Abgeordneter überhaupt Aussagekraft für die Bestimmung des Verletztenbegriffs haben. Denn auch wenn es möglich erscheint, dass die letztgenannte Definition vom Plenum mehrheitlich – wenn auch stillschweigend – gebilligt wurde, ist zu berücksichtigen, dass die wiedergegebenen Äußerungen erst in der letzten Lesung zur RStPO gemacht wurden. Es bestand somit ein gewisser Druck, einen Konsens hinsichtlich des Klageerzwingungsverfahrens, das nach damaligem Verständnis zu den wichtigsten Regelungsbereichen des Strafprozessrechts gehörte,[13] zu finden. Es erscheint daher unwahrscheinlich, dass sich das Plenum vor der anschließenden Abstimmung ernsthaft mit der Frage der Definition des Verletztenbegriffs auseinandergesetzt hat, zumal eine Debatte darüber im Reichstag nicht stattfand.[14]

20

Aus den vorhandenen Materialien lässt sich daher ein Wille des Gesetzgebers bezüglich der Auslegung des Verletztenbegriffs nicht verlässlich entnehmen.[15] Die Tatsache, dass die Gesetzgebungsorgane sich darauf einigten, den personalen Anwendungsbereich des § 172 StPO auf den Verletzten zu beschränken, lässt allein den Schluss zu, dass die Möglichkeit einer Popularklage ausgeschlossen werden sollte.[16]

Teil 2 Der Verletztenbegriff in § 172 StPO › B. Eigene Auslegung des Verletztenbegriffs in § 172 StPO › III. Systematische Auslegung