Fürstin des Lichts

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Sein Gesicht verzerrte sich im Angesicht meiner praktizierten Magie zu einer grässlichen, puterrot anschwellenden Fratze.

„Es kann nicht sein, was nicht sein darf. So denken Sie. Damit kommen Sie bei mir keinen Schritt weiter. Punkt.“

Holder stand und starrte wie in Stein gemeißelt.

„Sie können mich einzig jenseits Ihres Verstandes begreifen.“ Wobei ich jedes einzelne Wort überdeutlich betonte.

Holdens stummer Rückzug hielt bis zu meinem Aufbruch am Abend.

Mit seiner schwarzen Dienstlimousine, die das Praktikantenmärchen ad absurdum führte, verfolgte er mich bis nach Santa Christiana.

Auf dem dortigen Parkplatz kamen mir leise Bedenken. „Hoffentlich bekommt er in der Kirche keinen Herzinfarkt.“

Nur einen Schock, Lilia.“

Gerade wollte mein eingeschworener Freund, Pater Raimund, im Pfarrhaus verschwinden.

Schnell rief ich hinüber: „Kann ich gleich bei dir klingeln?“

Er winkte freudig.

Wenn der wüsste!“

Ohne Eile schloss ich die Kirchentür auf und ließ sie für meinen Verfolger direkt weit offen. Während ich es mir auf dem dicken Kissen am Altar bequem machte, hallten Holders schnelle Schritte auf dem Steinboden. Seine Augen mussten sich erst an den Kontrast aus dumpfem Kirchenlicht und grellem Sphärenstrahl gewöhnen. Derweil streckte ich meine müden Beine aus und begann, eine gehörige Energieportion zu inhalieren.

Zeit, ihn aufzusammeln, Lilia.“

Brav raffte ich mich hoch, wuchtete den schockstarrenden BKA-Mann von der vordersten Kirchenbank und schleifte ihn ächzend bis zum Pfarrhaus.

Verdutzt half der rausgeklingelte Raimund mit, Herrn Schlaffke auf die Couch zu befördern. Aus meiner Umhängetasche kam Whisky zum Vorschein.

„Solches Zeug trinkst du?“, fragte mein Freund ungläubig.

Kopfschüttelnd deutete ich auf den BKA-Lulatsch und goss ein halbes Wasserglas voll. Fahren konnte der sowieso nicht mehr.

Eine halbe Stunde später verfrachteten Raimund und ich den betrunkenen Holder in mein Auto. Das Sphärennavi lotste mich gen Wilmersdorf.

Als sich die Tür seines langweiligen Null-acht-fünfzehn-Reihenhauses schloss, sah ich Thorben Holder zum letzten Mal.

Aus dem Buch „Inghean“

Das Menschenkind hat seine Lektionen über die Spielarten menschlicher Bosheit gelernt. Es nähert sich die Zeit, dem wahrhaft Bösen in sein glühendrotes Auge zu blicken.

Kapitel 11

Sonntägliches Frühstück an einem milden Frühlingsmorgen auf der Terrasse, welch ein Luxus.

Mein mit Fragen gespickter Hinterkopf versaute ungefragt die Faulenzerei. „Erkläre mir bitte, Elin, warum es mir unmöglich war, die vietnamesischen Schmuggler magisch zu entwaffnen.“

Alle Dinge, die von einem Menschen berührt werden, entziehen sich deiner Magie.“

Schließlich fasste ich mir ein Herz und stellte jene Frage, die mich seit längerer Zeit nachhaltig umtrieb: „Kannst du die Sternelben sehen?“

Ja, jedoch mit einer dir fremden Art des Sehens.“

Enttäuscht bohrte ich nach: „Die mir verschlossen bleibt?“

Unsere Sternschwestern allein entscheiden darüber.“

Muss ich mir ihren Anblick etwa erst verdienen?“

Elin lächelte angesichts dieses Gedankens. „Die Lösung lautet Reife, Lilia.“

Hmmh.“ Meine grauen Zellen schweiften nochmals ab. „Ich würde gerne mal wieder ein Amulett-Abenteuer starten.“

Dafür sind sie ebenfalls zuständig.“

Ich weiß.“ Schweigend kaute ich an Müsli und spontanen Eingebungen. Unversehens tauchte eine weitere angeschimmelte, weil niemals gestellte Frage aus der Versenkung meiner Hirnwindungen auf. „Elin, könnte ich so wie Elben einfach verschwinden und woanders wieder auftauchen?“

Ich dachte schon, die Frage würde dir erst einfallen, wenn du 100 Jahre alt bist!“

Perplex registrierte ich gleichzeitig ihre wahnsinnige Erleichterung und die Ankunft einer strahlenden Leya.

Sie rief nur aus: „Na endlich!“

Logischerweise verstand ich nur Quark mit Soße.

Erst frühstücken!“, befahlen die Elben im Duett.

Für die nun eiligst herunter geschlungenen Reste rächte sich mein Magen umgehend mit Schluckauf.

Die Elben erwarteten mich voller Ungeduld in Santa Christiana.

Gemeinsam schritten wir in den mächtigen Lichtkegel. Vorneweg schütteten sie ein gerütteltes Maß an Informationen über die Risiken eines jeden Seelensprungs aus. Ohne pedantisch sein zu wollen, schienen sie denen eines Gefahrguttransporters ebenbürtig – mindestens.

Aber was hätte von sämtlichen nichtmenschlichen Beteiligten zuvorderst unter Top 1 der Nebenwirkungen gelistet werden müssen, versehen mit drei knallroten, fetten Ausrufezeichen? Dass bereits mein erster gelungener Seelensprung für Fürstin Joerdis das ersehnte Einfallstor in mein Herz und Hirn öffnete. Diese verflixten Geheimniskrämerinnen!

Kleinlaut fragte ich jetzt in die Runde: „Lieber die Finger davon lassen?“

Wenn du zum echten Dämonenkampf entschlossen bist, führt kein Weg daran vorbei“, eröffnete mir Elin.

Und die Sphäre sang schmucklos: „Leider beherrschen auch der Dämonfürst und seine Anführer diese Fähigkeit. Doch ihre einfachen Sklaven müssen so wie du zu Fuß gehen.“

So wie du zu Fuß gehen“, echote mein Alter Ego. „Klingt irgendwie nach dem bahnbrechenden IQ eines Neandertalers.“ Ich ignorierte den Spott und dachte in Ruhe nach. „Zeit beziehungsweise nie genug Zeit haben ist mein drängendstes Problem. Allein Stunden verplempere ich täglich mit Autofahrten. Ich müsste nie mehr im Stau stehen und dabei absolut hilflos das Sterben von Menschen ertragen. Nochmals tief Luft holend, verkündete ich meine Entscheidung: „Okay!“

Von dieser bedeutenden Stunde an verbrachte ich zwei Tage mehr bewusstlos als wach. Immer wenn ich zu mir kam, hielten mich entweder Elin oder Leya im Arm.

Wird euch das nicht allmählich langweilig?“

Sicher, aber du bist uns jede Mühe wert“, beschied Leya.

Mindestens zum zehnten Mal jammerte ich: „Was mache ich bloß falsch?“

Kleines, dein menschlicher Geist steht dir wie immer im Weg. Du versuchst, den Vorgang rational zu steuern, versuchst dein Ziel zu denken anstatt zu fühlen. Aber nur wenn deine Seele an einen anderen Ort möchte, wird dein Körper ihr folgen“, leierte Leya automatisch herunter.

Klang ja auch total simpel, so eigentlich. Erneut schloss ich die Augen, verbot meinem Gehirn jeglichen Pieps und horchte in mich hinein. „Wie fühlt sich der Rasen vor dem Haus an?“ Weg war ich!

Elin und Leya tanzten im Park ausgelassen um mich herum.

Das ist alles? Das ist die ganze Kunst?“

Die Elben bogen sich vor Lachen.

Aber im Ernst, das war keineswegs alles. Wie fühlten sich beispielsweise die nächste Straßenecke oder der Konferenzraum im Kommissariat an? Oder, weit schwieriger, solche Orte, die ich vorher noch nie gesehen, geschweige denn betreten hatte? Üben, üben, üben!

Aus dem Buch „Inghean“

Endlich hat das Menschenkind seine Seele für unsere Fürstin geöffnet. Nun kann sie den entscheidenden Schritt, vollständig Besitz von Lilia zu ergreifen, vollziehen.

Meine überbordende Euphorie über den gemeisterten Seelensprung killte der Dämonfürst nächtens mit sadistischem Gebaren:

Joerdis, komm zu mir. War dir ein Tod durch mich noch nicht genug?“, lästert er selbstzufrieden.

Ein gleißender Stern rast heran, explodiert und zerstört so die alles verschlingende Finsternis des Grauens.

Schreiend erwachte ich in meinem Bett.

Elin eilte herbei. „Lilia, was ist geschehen?“ Sie sah das nackte Grauen in meinen Augen und dahinter den schwarzen Fürsten. „Was wollte er?“

Joerdis töten.“

Niemals!“

Zum ersten Mal spürte ich die unverhüllte Macht beider Seiten – und erschauderte bis ins tiefste Mark. „Diese Krieger würden mich im Handstreich zerquetschen. Welch ein Wahnsinn, mich in ihre Angelegenheiten einzumischen!“

Die Elbe schaltete sich zwischen meine Gedanken. „Du irrst, Lilia. Nur weil du deine ganze Macht noch nicht erkannt und erweckt hast, fühlst du dich schwach.“

Doch ich schrie verzweifelt: „Ich bin ein Menschenkind, niemals werde ich sein wie ihr! Begreift das endlich!“ Mein geplagtes Herz unterlegte das Gesagte mit schmerzhaften Stichen. Instinktiv legte ich meine rechte Hand schützend darüber.

Hilflos flehten Elins schöne Augen, ihr Glauben zu schenken. Und das bei einer Sache, an der sie selbst noch wenige Monate zuvor zutiefst zweifelte.

Wie traurig die Elbe immerfort war hinter ihrer strengen Fassade. „Warum?“

Die Fürstin starb in meinen Armen“, verriet sie tonlos ihr seit Jahrhunderten gehütetes Geheimnis. Kaum eingestanden, verschwand die Elbe aus meinem Schlafzimmer.

Lange wälzte ich mich danach im Bett hin und her, bis schließlich die Erschöpfung siegte.

Ring frei für die zweite Runde der Mächtigen:

In meiner Seele regt sich ein Wesen wie ein gleißender Lichtfleck, aufgeweckt von loderndem Zorn. Es sieht Elin grübelnd im Observatorium auf und ab gehen. Es erblickt Leya in ihrem ewig währenden Sommergarten, den Blick mürrisch gen Himmel richtend. Es erspäht Dämonen in den dreckigsten Ecken der Stadt lauern. Und dann schaut es empor zu den Sternschwestern. Weißlich transparente Gestalten im ewigen Licht sich bewegend, undeutlich in ihrer befremdlichen Form, wie durch hauchdünnes Milchglas weichgezeichnet.

 

Sie erwidern den kristallklaren Blick und sprechen das Wesen an: „Fürstin, du bist erwacht.“

Bin ich jetzt wach oder nicht?“, frage ich mich. „Was ist Traum, was Vision und was Wirklichkeit?“

Erneut entbrennt ihr fürstlicher Zorn, richtet sich gegen den Dämonherrscher und er bekommt ihn zu spüren. Kurz flackert seine schwarze Seele in ihrer überheblichen Selbstsicherheit auf, bevor er droht: „Du willst spielen, Joerdis? Dann spielen wir.“

Wieder steht Elin vor meinem Bett. Ihr Körper bebt. Rasch ergreift die Elbe meine Hand und schließt ihre Augen. „Meine Fürstin, was hast du getan? Zu früh! Lilia ist bei Weitem noch zu schwach für den Kampf gegen ihn.“

Beruhige dich, er wird lediglich sein Fußvolk schicken“, beschwört Joerdis ihre Dienerin.

Erkaltender Schweiß und staubtrockene Kehle überzeugten mich. „Wach, endlich!“, krächzte ich und schwang die Beine aus meinem Bett. Es war gegen drei Uhr nachts. Völlig konfus im Kopf tappte ich in die Küche hinunter.

Mit einem Becher dampfend heißem Orangentee wanderte ich in den Wintergarten. Durch ein offen gelassenes Fenster strömte der schwere Frühlingsduft von Hyazinthen herein. Mit hängenden Schultern dachte ich: „Nur eine Woche lang mal wieder ein normales Leben führen.“ Für weitere sinnlose Wünsche ließen mir die anrückenden Dämonen keine Zeit. Ihr Gestank mischte sich unter den Blütenduft.

Warum habt ihr mich nicht gewarnt?“, schrie ich in die Sphäre.

Du wusstest, sie würden kommen.“

Nein, das wusste … zum Teufel!“

Lilia, schließ das Fenster! Im Haus bist du sicher“, meldete sich Elin. „Ich rufe Leya.“

Aus dem Nirgendwo senkte sich draußen im Park zu meinem Entsetzen eine Nebelbarriere herab. „Nebel?!“ Panisch schrie ich auf: „Leya, spring nicht in den Nebel!“

Von dem trotzig offen gelassenen Fenster aus versuchte ich reichlich naiv, gleichzeitig den Nebel zu befehligen, Angriffe abzuwehren und zu feuern. Die Dämonenhorde wütete und ihr Fürst formte den Nebel mit blickdichter Schwärze zu einer Wand. Dann wieder leuchtete die Teersuppe gespenstisch auf.

Weiche, verflixt noch mal! Wo sind die Monster? Wo stecken die Elben?“ Grausames Brüllen und Gefechtslärm malträtierten meine Ohren umso mehr, je weniger ich sah.

Der Sekundenzeiger raste im Kreis, ließ unzählige kostbare Minuten ungenutzt verstreichen, bis der Tod geruhsam sein grausiges Werk verrichtet hatte. Plötzlich hob sich der Nebel wie von Geisterhand empor gezogen. Leya existierte nicht mehr.

Elin kauerte zusammengekrümmt eben dort, wo der Elbenkörper auf ewig verschwunden war. Ich stürmte hinaus und rannte zu Elin auf den Rasen. Ihre Augen, ausgefüllt mit maßloser Seelenpein, schauten zu mir empor. Die letzte Stunde der Nacht überschüttete uns mit unbeschreiblichem Schmerz. Nie mehr würde Leya mich in ihren mütterlichen Armen halten, nie mehr mir burschikos den wirren Kopf gerade rücken. Und mein Anteil an ihrem Tod? Feige im sicheren Haus geblieben, drückten mich nun Versagen und tonnenschwere Schuld zu Boden. Mein Herz schien vor Schmerz zerspringen zu wollen. Die heftigen Stiche lähmten mich, so kniete ich lange vornüber gebeugt neben der trauernden Elbe.

Allein saß ich, innerlich vereisend, am Küchentisch. Jay betäubte, wenn es ihm ‚zu dicke‘ wurde, sein Gehirn mit Zigarillos. ‚Zwar kein Joint, aber besser als nichts‘, pflegte er die Stinkerei zu kommentieren. Jetzt bröselte Asche auf meinen Küchentisch, dazu kippte ich lauwarmen Gin runter.

Das vibrierende Handy weckte mich auf dem Küchenstuhl.

„Lil, wo bleibt die Liste?“

„Kommt gleich“, nuschelte ich und ließ mein Workpad ungeschickt auf die Tischplatte krachen.

Was habt ihr für Katja?“, befragte ich harsch die Sphärensängerinnen.

Mit äußerster Mühe gelangte der angehäufte Mordskram ins Kommissariat.

Mein Kopf dröhnte, mein Magen drehte sich. Würgend über der Spüle hängend, ergossen sich heiße Tränenströme aus meinen blinden Augen.

„Lilia, um alles in der Welt!“ Behutsam führte mich Sarah zum Tisch. „Du siehst aus wie eine Leiche. Bist du krank?“ Sie drückte mir Küchenkrepp in die Hand und setzte Teewasser auf.

„Muss Zähne putzen.“

Mit ihrer tatkräftigen Unterstützung schaffte ich es die Treppe hinauf und bis zum Toilettendeckel.

„Kommst du hier klar?“

Ich nickte ansatzweise.

Kaum allein, schrie ich mir stumm die Seele aus dem Leib. „Leya!“ Schrie wie nie zuvor in meinem Leben. „Leya! Das ist meine Schuld! Alles meine Schuld! Leya!“ Schmerzgekrümmt kippte ich zu Boden.

Nein, Lilia, allein die Sternelben tragen Schuld, sie haben versagt.“

Blinzelnd blickte ich zu Elin hoch. Solch gewaltiger, unmenschlicher Zorn stand in ihrem Gesicht, dass ich bis an die Wand zurückkroch.

Schnell verhüllte die Elbe ihre Augen und flüsterte voller Verzweiflung: „Bitte, Lilia, fürchte dich nicht vor mir.“ Da war sie wieder, ihre alles verzehrende Traurigkeit. „Ich muss fort. Bleib im Haus, egal was passiert“, mahnte sie eindringlich.

Kaum fort, brachte Sarah den Tee nach oben ins Bad. Dann ließ sie ein Ölbad für mich einlaufen. „Hey, wird schon wieder.“

Zwei Welten, mit mir als durchgeknallter Schnittmenge, wie gehabt. Mit glühendem Herzschmerz und seelischer Unterkühlung sank ich in das heiße Wasser. Das Melissenöl tat bald seine Wirkung. So kühlten meine aufgekochten Emotionen langsam bis knapp unter den Siedepunkt ab.

In meinen Bademantel gewickelt schlurfte ich irgendwann nach unten, fand jedoch das Haus leer vor. Mit einigem Widerstreben durchschritt ich den Wintergarten und schaute hinaus auf den leeren Kampfplatz. Keine noch so winzige Spur verriet mehr das barbarische Abschlachten der vergangenen Nacht.

Mein Alter Ego keifte los: „Du tötest ebenso skrupellos wie die Dämonen.“ „Hör auf!“ „Blick der Wahrheit ins Gesicht, sie machen aus dir eine Killermaschine.“ „Wie, bitteschön, willst du denn sonst gegen das Böse kämpfen?“ Schweigen. „Der Punkt geht wohl an mich.“ „Noch kannst du aussteigen, so wie der schottische Lord.“ „Ach ja? Und dafür Elin, Katja und all die anderen Freunde auch noch im Stich lassen? Vergiss es!“ „Genau darauf zielen die listigen Sternelben ab: auf dein butterweiches Herz.“ „Dann erkläre mir mal, wieso Elin bei der Stange bleibt.“

Unaufgefordert unterbrachen die Lichtwesen mein hitziges Zwiegespräch. „Elin fühlt sich mitschuldig am Tod der Fürstin, der ihr das Leben rettete und nicht umgekehrt.“

Zornig richtete ich meine Gedanken auf sie. „Es gibt keine Wiedergeburt. Richtig?“

Das stimmt.“

Dennoch klammert sich Elin daran?“

Sie weiß um die Kraft elbischer Seelen.“

Was bedeutet das?“

Elbenseelen können sich vereinigen.“

Und Elin hofft, dass sich die Seele der Fürstin ausgerechnet mit meiner kümmerlichen Menschenseele zusammentut?“

Dies geschieht bereits und du weißt es. Auch wenn du dich weigerst, die Fürstin zur Kenntnis zu nehmen.“

Ohne Vorwarnung schmiss ich die Sternelben aus meinem schleudernden Kopf und schlang hilflos beide Arme um meinen ausgezehrten Körper. Wieviel davon gehörte überhaupt noch mir? „Bitte“, bat ich mein Gehirn, „schalte dich ab, lass mein Herz um Leya trauern.“

Mittags fand Elin mich schon wieder am Küchentisch vor, umgeben von einer stinkenden Zigarillowolke. Sie ging klugerweise darüber hinweg.

Wenn wir gegen die Sternschwestern rebellieren, spielen wir unserem Feind in die Hände. Da liegt das Problem“, analysierte Elin punktgenau unser Dilemma.

Ja, ich weiß, aber dass ihnen Leyas Tod offensichtlich völlig egal ist, lässt mein Herz schreien. Sie brachten heute Morgen weder eine Entschuldigung für ihr eklatantes Versagen noch Trost zustande. Stattdessen knallten sie mir deine persönliche Motivation für den Dämonenkampf auf den Esstisch.“

Umgehend bereute ich mein kopfloses Geschwafel. Zu spät. Elin erstarrte und tauchte ab.

Zehn lange Minuten verstrichen.

Elin, meine Freundin“, rief ich die Elbe an, „du weißt alles über mich und verachtest mich dennoch nicht. Warum sollte es umgekehrt anders sein?“

Tatsächlich kehrte sie zurück. „Ihr Menschenkinder seid schnell mit eurem Zorn und großzügig mit eurer Liebe.“

Thema abgefrühstückt, auf zum rabiaten Kirchgang.

In Santa Christiana gestattete ich meinen überschäumenden Gefühlen aus flammendem Zorn und intergalaktischer Enttäuschung ohne einen Hauch von Rücksicht freien Auslauf. „Entschuldigt ihr euch freiwillig und glaubhaft oder muss ich erst in den Streik treten? Und die Art, wie ihr Elin behandelt, ist unter aller Sau. Da wir gerade beim Thema sind, bestehe ich auf richtigen Urlaub, das heißt mindestens eine Woche am Meer.“ Warum funkte mein Alter Ego „Etwa Schottland?“ dazwischen?

Im Zuge unserer energiegeladenen Auseinandersetzung wurde mir eines deutlicher, als mir lieb war: Die Sternelben standen immer ratloser vor dem Faktor – oder eher Faktotum – Mensch. Ich hielt mich weiterhin im Vergleich des Wissensstandes für primitiv, sie scheiterten an meiner Vielschichtigkeit.

Eine hundsmiserable Arbeitsgrundlage“, zog ich am Ende mein kümmerliches Fazit.

Sie antworteten mit der wild interpretierten Fassung von „Fuoco di gioia“ aus Verdis „Otello“. Zumindest klang ihre Gesangsmischung ganz ähnlich.

Bloß raus hier aus dem verfluchten Chaos“, war zum Schluss mein einziger Wunsch. Doch zuvor musste ich mich um andere kümmern.

Mit zusammen gebissenen Zähnen, ausnahmslos sämtliche Gefühle wegsperrend, kratzte ich auf dem Weg zum Parkplatz letzte Krumen an Durchhaltevermögen zusammen. Ein schier unmenschlicher Kraftakt. Denn immerfort schlichen sich Erinnerungen an Leya in Bildern und Gesprächsfetzen in meinem Kopf dazwischen. Jede Einzelne davon versetzte meinem Herz einen elendig schmerzhaften Stich. So musste sich ein Mensch fühlen, der mit Elektroschocks gefoltert wurde. Langsam begannen die Signale herzlicher Erschöpfung mich ernsthaft zu beunruhigen.

Minutenlang saß ich in meinem Auto vor der Kirche, zu keiner Regung fähig.

Du musst dich zusammen reißen, los jetzt.“ Mit ineinander verkeilten Zähnen drehte ich den Zündschlüssel um. Die Mordsabteilung wartete.

Direkt von Santa Christiana kommend, erreichte ich am späten Nachmittag das Kommissariat. Unterwegs hatte ich den felsenfesten Entschluss gefasst, auf der Stelle eine Auszeit zu nehmen.

Die Chefin brütete in ihrem Büro über Formularkram, als ich eintrat.

„Katja, ich brauche schnellstens, das heißt möglichst vorgestern, Urlaub. Bekommen wir das geschaukelt?“, fiel ich mit der Tür ins Haus.

„Urlaub?“, erregte sie sich. „So wie du aussiehst, wäre glatt eine Schlafkur inklusive 24-Stunden-Wellness-Paket angesagt.“ Dann druckste sie herum. „Müsste dein Urlaub auf der Stelle beginnen oder schaukelst du morgen noch die spionierende BKA-Psychologin?“

„Meintest du jetzt schaukeln oder verschaukeln? Ja, ja, mache ich.“

Katja lachte, doch ihre wachsamen Augen blieben voller Sorge.

„Können wir morgen für das Gespräch dein Büro beschlagnahmen?“

„Logo.“

Trotz meiner etlichen Fehltage kam das Team leidlich zurecht, solange ich morgens das Arbeitsprogramm mailte. Der spionierversessene Besuch der Psychologin stand auf einem anderen Blatt. Sie tanzte ausschließlich meinetwegen an.

Eine Frau um die 40 mit ruhiger, freundlicher Ausstrahlung, Duttfrisur und eisblauem Blazer zu ihrer Jeans, kam am folgenden Morgen den Flur im Kommissariat entlang. Ohne lange zu fackeln, steuerte ich die Besucherin direkt an.

„Hallo, Frau Kirsten, ich bin Lilia van Luzien. Da Sie nur meinetwegen gekommen sind, schlage ich ein Gespräch unter vier Augen vor.“

Die Psychologin streckte mir ihre kühle Hand entgegen. „Frau van Luzien, guten Tag. Wo könnten wir uns ungestört unterhalten?“

 

„Im Büro von Frau Rainer.“

Wir nahmen schräg zueinander liegende Plätze auf der Sitzgruppe in Katjas verwaistem Büro ein. Unaufdringlich, dennoch konzentriert studierte die erfahrene Psychologin mein Gesicht.

„Was wollen Sie?“, ging ich die Frau emotionslos an.

Frau Kirsten entgegnete freundlich, aber bestimmt: „Wir möchten gerne herausfinden, was hier vor sich geht. Es kursieren seltsame Gerüchte und Geschichten, deren Ursache Sie zu sein scheinen.“

„Korrekt“, warf ich den imaginären Ball sofort zurück.

Die Psychologin begann Unsicherheit auszudünsten. Ursprünglich war ihr Plan gewesen, mich in ein möglichst ausführliches Gespräch zu verwickeln, um nach und nach ein Bild von meinem Charakter zu erhalten. Aber ihr Gegenüber schien absolut nicht bereit, sich darauf einzulassen. Rasch disponierte sie um. Zu ihrem Glück entschied sie mit der Wahrheit heraus zu rücken. „Das BKA würde sich gerne Ihre Fähigkeiten zunutze machen.“

„Ich weiß. Meine Hauptsorge gilt dieser Stadt. Doch wenn das BKA in besonders schwerwiegenden Fällen um Informationen bittet, stehe ich zur Verfügung. Wie beispielsweise bei der bislang erfolglosen Suche nach der Omega-Terrorzelle.“

Jetzt bröckelte ihre Fassung, gleichwohl bemüht, ihre Gesichtszüge unter Kontrolle zu behalten. „Sie wissen von Omega?“, fragte Kirsten spürbar konsterniert.

Anstelle meiner Antwort legte ich einen USB-Stick auf den Tisch und tippte mit dem Zeigefinger darauf. „Hier haben Sie sämtliche Fakten, die dem ermittelnden Team fehlen. Mögen Sie grünen Tee?“

Gegen ihre wachsende Verwirrung ankämpfend, nickte die Psychologin flüchtig. Und ich hörte ihr Gehirn förmlich nach einer Lösung durchrattern, wie die Situation noch unter ihre Kontrolle zu bringen wäre.

Das auf dem Couchtisch erscheinende Tablett traf sie wie ein unvermittelter Schlag gegen den Kopf. Dabei hätte sie von Holder eigentlich vorgewarnt sein müssen. Frau Kirsten erhob sich stocksteif, murmelte eine Entschuldigung und verließ das Büro.

Schwer atmend fand ich sie zwei Minuten später am Flurfenster.

Ein letztes Mal musste ich die Psychologin noch behelligen. „Richten Sie Ihrem Direktor aus, dass ich eine zuverlässige Kontaktperson benötige. Außerdem soll er von weiteren Spielchen absehen, ich habe Wichtigeres zu tun.“ Damit drückte ich ihr den liegen gelassenen Stick in die Hand.

Den Impuls, wegen neuerlicher Herzbeschwerden gekrümmt zurück in Katjas Büro zu schleichen, unterdrückte ich stoisch. Die restliche Teambesprechung ließ ich immerhin für eine halbwegs beruhigende Tasse Tee auf Katjas Couch sausen. Mein Alter Ego weidete natürlich die Steilvorlage meines vermasselten Gesprächs aus. „Ziemlich unfair, die Kirsten mit der Kneifzange zu traktieren, wo sie als halb aufgepumpter Spielball ins Feld bugsiert wurde.“ „Ja.“ „Ja?“ „Ja, stimmt“, grummelte ich ehrlich. Aber meine eigene Geduldsgrenze sah ich satt rot von hinten aufleuchten. „Ich – muss – hier – weg!“ „Reichlich spät, die Ansage.“

Nach unserem spät vormittäglichen Frühstück standen Elin und ich auf dem frühlingsgrünen Rasen vor dem Gartenhaus.

Darf ich dich wirklich so lange allein lassen?“, fragte ich die Elbe zum wiederholten Mal voller Zweifel. Beim leisesten Gedanken an den Dämonfürsten nagte mein schlechtes Gewissen pausenlos vor sich hin.

Doch Elin lächelte beruhigend und versprach, brav zu sein. „Ich werde auf Sarah achtgeben und nachts im Haus verweilen.“

Voller Dankbarkeit schloss ich die Elbe in meine Arme. „Offen gestanden mache ich mir wegen des Seelensprungs nach Schottland fast in die Hose.“

Aber Liebes, deine Seele sehnt sich so sehr nach diesem Ort. Was soll da schiefgehen?“ Sie trat ein Stück beiseite.

Mit geschlossenen Augen atmete ich tief ein und aus, bis ich bereit war, meiner Seele das Kommando zu überlassen. Umgehend ertastete sie den von meinem ersten Besuch bekannten Kiesweg, der zum Castle führte. Dies lag in einem schmalen Tal, tief verborgen in den Highlands.

Als ich ängstlich meine Augen wieder aufschlug, lag Alexis mittelalterliche Trutzburg vor mir. Jetzt galt es, noch ein klitzekleines Problem zu bewältigen. Denn der Lord of Lightninghouse ahnte bislang gar nichts von seinem Urlaubsgast.

Die blank polierte Türglocke aus Messing erklang hell. Butler Andrew öffnete mir sichtlich erstaunt. Hinter ihm tauchte ein höchst irritierter Alexis auf.

„Ist etwas passiert?“

„Zu viel.“ Ich erlaubte ihm einen kurzen Blick in meine unverhüllten Augen.

Daraufhin fuhr er heftig zusammen und schickte seinen betagten Butler fort.

Meine seit Leyas grausamem Tod eisern aufrecht erhaltene Fassade bröckelte bedrohlich schnell. Kaum verschwand Butler Andrew hinter einer Tür, flehte ich Alexis an: „Bitte, hilf mir!“

Meine nächste Erinnerung bestand aus der Innenansicht eines royalblauen Himmelbetts mit dem sichtlich besorgten Alexis auf meiner Bettkante.

„Wie fühlst du dich?“, fragte er eher sachlich, als er meine aufgeschlagenen Augen bemerkte.

„Durst“, krächzte ich.

Während ich mich zwischen den Kissenbergen aufrichtete, reichte er mir eine filigrane Teetasse aus chinesischem Porzellan.

Gierig trinkend, schaute ich schüchtern über den Tassenrand zu ihm hin. „Darf ich eventuell ein paar Tage bleiben?“

Zögernd stimmte er zu, gefolgt von der halb misstrauischen, halb tadelnden Frage: „Wie bist du überhaupt hier hinein gekommen? Die Schutzmagie des Castle hat versagt.“

„Meine Seele wollte hierher.“

Sprachlos rang Alexis sekundenlang um Fassung, bis er schließlich ausrief: „Aber du bist keine Elbe!“

Eine Kakophonie an Gefühlen huschte über mein Gesicht und vereinte sich im Zimmer mit seiner chaotischen Gefühlsschwade.

Entsetzt fragte er mehr sich selbst denn mich: „Was haben sie getan?“

Schweigend füllte ich die ungewohnt kleine Tasse selbst auf. „Ich habe solche Sehnsucht nach dem Meer. Ist es weit weg? Könnten wir hinfahren?“

Mein Gedankensprung sickerte in Zeitlupe durch seine rotierenden Gehirnwindungen. „Ja, sicher.“

Ein kaum erkennbarer, steiler Pfad führte uns die Klippen hinunter in eine traumhaft schöne, einsame Sandbucht. Frischer Wind trieb die Wellen, versehen mit kleinen Schaumgipfeln, an Land. Das klare Wasser glitzerte hellgrün in der Sonne. Kreischende Möwen schossen hoch am Himmel umher. Alexis zauberte einen Picknickkorb herbei und breitete das große, karierte Plaid aus. Ich hingegen entledigte mich schnellstens meiner Sandalen, krempelte die Hosenbeine auf und strebte dem Meer entgegen.

„Vorsicht, es ist ziemlich kalt“, warnte der Lord.

Lachend erwiderte ich, das sei mir egal.

Die Wellen leckten an meinen Füßen, ihr leises Rauschen betörte meine Sinne. Mit jedem rauschenden Wellenschlag fühlte ich mich ein Stückchen befreiter. Mein ganzes Leben lang liebte ich das Meer innig. Wohin ich auch gereist war, stets lockte mich nur dieses eine Ziel. Weinend vor grenzenlosem Glück, vergaß ich die Welt.

Alexis beobachtete mich. Sein Innenleben begann einen Akt des Aufwühlens, wie er ihn seit elendigen Jahrzehnten nicht mehr kannte. Er versuchte, sich gegen diesen Ansturm zu stemmen, als gelte es, sein Leben zu retten. Natürlich ahnte er seit unserem ersten, kurzen Aufeinandertreffen, dass das Schicksal ihm ungefragt einen neuen Pfad zuweisen wollte. Doch ohne Kontakt zu den Sternelben vermochte er weder vorauszuschauen, noch Verbindungen zu erkennen. Also beharrte sein ausgeprägter, eigenbrötlerischer Starrsinn auf die gewählte Abschottung vom Rest der Welt. Dummerweise beinhaltete dies im Gegenzug ein Übermaß an öder Langeweile – auch das seit Jahrzehnten.

Geraume Zeit später unterbrach ich seine inneren Kämpfe ungewollt mit einem weiteren Schock. Mit glücklich strahlendem Gesicht drehte ich mich zu Alexis um. So erblickte der Lord eine leuchtende Schönheit jenseits menschlicher Maßstäbe. Das blaue, sternförmige Elbenamulett um meinen Hals flammte in nie dagewesener Intensität auf. Solch einen Schmerz musste er seit dem Tod seiner geliebten Frau nicht mehr ertragen. Alexis schlug halb besinnungslos vor Verzweiflung beide Hände vor sein Gesicht.

Die nachfolgenden Stunden wechselten wir wenige belanglose Worte.

Erst nach dem Dinner, wir saßen inzwischen vor dem knisternden Kaminfeuer in der abscheulich muffigen Wohnhalle, bekannte ich offen: „Ich wollte dir keinen Schmerz zufügen, bitte verzeih mir.“

„Nein, aber sie wollten es“, knurrte er mit finsterer Miene.

Nun musste ausgerechnet ich die Sternelben in Schutz nehmen: „Du irrst. Ich bin aus eigenem Antrieb gekommen, ohne sie um ihre Meinung zu fragen.“

Überrascht blickte er auf. „Warum das?“

Atemlos stieß ich hervor: „Weil du ein Mischwesen bist, so wie ich. Niemand versteht mich, mit niemandem kann ich wirklich reden, niemanden fragen, was mit mir geschieht und endlich klare Auskünfte erhalten.“

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?