Fürstin des Lichts

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Ein Hoch auf kluge Köpfe!“

 Laut verkündete ich: „Ausgezeichnet, dann werde ich dir mal meine Ahnengalerie zeigen.“



Mit bis zum Pony hochgezogenen Augenbrauen folgte mir die junge Kommissarin stumm durch das Gebäude und auf den Parkplatz.




Wir fuhren nach Santa Christiana, der lichtmagischen Kirche. Dort verhielt sich Rachel angesichts meiner phantastischen Geschichte beeindruckend tapfer. Gleichzeitig wurde mir bei dem Gedanken an Axels Nachfolger ganz anders. Der würde am nächsten Tag ahnungslos wie ein Neugeborenes seinen Dienst antreten.



Doch vorerst verbrachten Rachel und ich den restlichen Tag mit Innendienst, so dass sie mich ausgiebig löchern konnte.




D

arf Konny mitkommen?“, wollte Katja wissen, als wir abends im Kommissariat aufbrachen.



„Nein, wir zwei Hübschen haben äußerst Wichtiges vor.“



Sie zog einen Flunsch.



„Deinen Süßen wird schon eine Pommesbude vor dem Hungertod bewahren“, frotzelte ich auf dem Weg zum Auto.



„Bist du sauer auf mich?“



Den Kopf schüttelnd stellte ich meiner Freundin eine Denkaufgabe. „Was würde geschehen, wenn ich, sagen wir mal, für eine Woche verschwände?“



Ihre hin und her flitzenden Augen glichen denen eines gejagten Tieres, ihre Atmung beschleunigte sich. „Ich wäre aufgeschmissen!“



Schweigend fuhren wir vor das Gartenhaus.




In der Küche stocherte jede von uns lustlos in ihrer Gemüse-Lasagne herum.



„Lil, du machst mir Angst.“



„Angst taugt nie als Ratgeber und sie ist auch nicht Sinn der Übung. Katja, momentan stürzt eine Unmenge fieser Probleme auf uns zu, die ich allein weder bewältigen kann noch will.“



Zerknirscht kippte sie ihren restlichen Wein herunter und streckte mir das Glas zur magischen Befüllung hin.



Während wir uns beratschlagten, entfachte langsam ihr altes Feuer. „Kannst du mir verzeihen? Ich hatte die eMail mit der obskuren Besucherankündigung glatt ungelesen in den Papierkorb befördert.“



„Klar. Aber was stellen wir mit dem Mann an?“



„Ins Klo sperren? Die Morgenrunde vorverlegen? Schlafpulver in seinen Kaffee schütten?“



Kurz bevor Katjas graue Zellen ihren Siedepunkt erreichten, stand der genial simple Schlachtplan. Der Mann würde ins magische Messer laufen. Wir nannten das kichernd zauberhafte Experimentalphysik.




S

päter in der Nacht schleppte ich mich in die Kirche.



Mir wächst die Arbeit über den Kopf“,

 stellte ich nüchtern fest.

„Mein menschliches Gehirn kapituliert langsam, aber sicher vor euren Anforderungen. Mörder und Verrückte laufen auch ohne Dämonenstänkerei genug herum. Das Fass ist unmöglich zu deckeln.“



Lilia, halte durch“,

 baten die himmlischen Gesangsschwestern.



Zur Antwort schlief ich ein.



Die Sternelben würden mich gnadenlos vor sich her jagen, bis ihr erstes Ziel erreicht war.




G

uten Morgen und ein herzliches Willkommen an Bert“, eröffnete Katja am Dienstag die Morgenrunde.



Lahmes Klopfen und einige skeptische Blicke in meine Richtung.



„Thomas übernimmt bis zu seinem Urlaub deine Einarbeitung, Bert.“ Dabei wies ihr Arm auf den Genannten.



Thomas verzog das Gesicht und verschränkte demonstrativ seine Arme vor der Brust.



Ausgerechnet Thomas?“

, dachte ich kopfschüttelnd.



Mittlerweile kam Katja auf unseren avisierten Besucher zu sprechen: „Noch ein wichtiger Hinweis an euch: Der Potsdamer Innenminister schickt uns für den morgigen Tag einen Überraschungsgast von den Brandenburger Kollegen. Alles läuft dann wie gehabt.“



Erstaunte Kommentare tuschelten durch die Reihen.



Jan fragte entgeistert: „Heißt das, der kriegt alles mit?“



„Korrekt. Weiter mit der Aufgabenverteilung …“



Neuling Bert verstand, wen wundert es, nur Bahnhof.




Aber ich musste, nachdem frische Hinweise der Sternelben im Workpad lagerten, dringend zu Konny, Dezernat Wirtschaftskriminalität. Schnell gab ich Katja ein Zeichen.



Ich sprintete los in den anderen Gebäudeflügel, stürmte in sein Büro und knallte die offen stehende Tür hinter mir zu. Atemlos eröffnete ich Konny: „Ihr kriegt ein Leck. Hanno hat vergangene Nacht bei seiner Sauftour geplaudert und ist damit auf die falschen Ohren getroffen.“



Sprachlos fuchtelte er mit den Armen herum.



„Die Informationen werden dem von euch observierten Konzern am Nachmittag zum Kauf angeboten“, fuhr ich ungerührt fort.



„Können wir das stoppen?“, presste er wütend hervor.



„Ja. Öffne die Datei von mir, da findest du die Lösung. Und schmeiß Hanno möglichst so clever aus dem Team, dass er keine Rachegelüste entwickelt.“




Bei meiner Rückkehr in den Konferenzraum hatte sich das Team bereits an diverse Arbeiten begeben. Neben Rachel wartete obendrein der verstörte Bert. Alldieweil Thomas ihn unter dem Vorwand abserviert hatte, trockenen Schreibkram erledigen zu müssen. „

Prickelnd!“

 Kurzerhand verfrachtete ich Bert zu Katja. Sie musste lernen, mit solchen Situationen umzugehen.



Dann startete der zweite Teil des Einführungskurses für eine sichtlich übermüdete Rachel.



Nebenher liefen eine versuchte Entführung im Familienkreis, das Einfangen eines entflohenen Schwerkriminellen mit Gipsbein sowie Hinweise an die Drogenfahnder wegen einer Kreativ-Werkstatt für tödliche Partydrogen.




Abends drückte mir Katja einen dicken Schmatz auf die Wange. „Von Konny, du weißt schon wofür.“



„Wie bist du mit Bert klargekommen?“



„Es würde mich echt wundern, wenn der bleibt“, zog sie stirnrunzelnd ein erstes Fazit. Die Schultern zuckend fuhr sie fort: „Auch egal, wenn sich die Herrschaften oben erdreisten, ohne mich Personalentscheidungen zu treffen.“



Wird Bert durchhalten?“



Nein, Katja bekommt ihren Wunschkandidaten.“



„Katja, dein Favorit soll sich schon mal inoffiziell in die Startlöcher begeben.“



Sie fiel mir aufgekratzt um den Hals. „Du bist eine Göttin!“




E

in Abendessen mit meinen Nachbarn Jay und Schorsch im Vorderhaus versprach Labsal für meine desillusionierte Seele. Die beiden fanden es völlig okay, wenn ich, so wie an diesem Abend, hungrig an ihre Terrassentür klopfte.



Bei Kerzenschein und Rotwein begann Jay irgendwann von seinen kleinen Patienten zu erzählen, die Tag für Tag in die Kinderarztpraxis kamen. Doch während Schorsch und ich uns über komische oder kuriose Situationen kugelten, lag Jay spürbar etwas auf der Seele.



Die Sternsängerinnen verschafften mir ungefragt Aufklärung:

„Jay verdächtigt eine Mutter, ihr Kind zu misshandeln. Er liegt richtig.“



Und tschüss, schöner Abend!“



Zum ungewollt frühen Abschied sprach ich hilflos aus: „Jay, alles wird gut.“



Verwirrt schaute er mir nach. Kaum hatte sich die Terrassentür hinter mir geschlossen, strebte ich mit langen Schritten meinem Wagen entgegen. Startbereit parkte er vor der Garage. Nebenbei sangen die Sternelben ein Trauerlied von Mutter und Sohn. Die sitzen gelassene Mutter reagierte Wut und Frust an Simon, ihrem siebenjährigen Sohn ab, nur weil er seinem Vater ähnelte. Für solche Fälle hielt ich inzwischen eine Notfamilie bei Nina parat. Als gelernte Psychologin und allein erziehende Mutter mit unerschöpflichem Elan leistete sie erste Hilfe für weinende Herzen und verkümmernde Seelen.




Trotz fortgeschrittener Nachtzeit stand Jay bei meiner Rückkehr vor seiner Haustür und rauchte gedankenverloren Zigarillo.

„Starker Tobak für eine zarte Seele.“



Lilia, erzähl ihm ruhig, was du unternommen hast.“



Das mussten sie mir kein zweites Mal vorschlagen. „Hey, deinem Sorgenkind geht es gut.“



„Wie?“



„Tausche Gute-Nacht-Geschichte gegen ein letztes Glas Wein.“



„Mit Happy End?“



„Garantiert.“



„Der Deal gilt.“



Im Wohnzimmer streckten wir unsere Beine in den bequemen Sesseln vor dem noch stark glimmenden Kamin aus.



Nachdem ich meine Geschichte erzählt hatte, ließ er mit tiefem Seufzen alle Anspannung fahren. Und dann kam, völlig gelassen, sein denkwürdiger Satz: „Du bist wahrhaftig ein Engel. Oder, Lil?“



Ich schenkte ihm ein zauberhaftes Lächeln. „Schlaf schön, Jay.“




Genau, und jetzt ab ins Bett“,

 freute ich mich wie eine Schneekönigin, während sich vor meinem saumäßig auf dem Gehweg geparkten Wagen das Tor öffnete. Auf den paar Metern zur Garage begann Gesumme in meinem Kopf.

„Das Summen dient keinem Zweck, nein, da sind ausschließlich wonnige Gedanken an Bett und Schlaf.“

 Kapitulierend raunzte ich:

„Schlaft ihr denn niemals da Obendraußen oder wo auch immer?“



Wir wachen, Lilia.“



Wie schön für euch. Im Zwei- oder Dreischichtsystem?“



Lilia, bitte.“



Bitte was noch wieder außerdem obendrauf?“



Fahr bitte zum Hotel Mondäne und hole Sarah Valen zu dir nach Hause.“



Wer, wie, was und wieso?“



Die Schauspielerin.“



Nie gehört den Namen. Für Kulturluxus fehlt mir die Zeit“,

 ätzte ich.



„Sie

wird von einem Stalker bedroht. Bitte bring sie in Sicherheit.“



Ja, ja, eure treue Dienerin.“



Schlafwandlerisch lenkte ich das Auto um den Brunnen herum, zur Straße hinaus und zum zweiten Mal durch den spärlichen Nachtverkehr. Gut immerhin, dass Amelie und John im Kommissariat die Nachtschicht absaßen.




D

er Fahrstuhl des Nobelhotels brachte mich aus der Tiefgarage direkt in den fünften Stock. Eine Steilvorlage für herumschleichende Verrückte, zugegeben.

 



Lilia, spute dich, er ist auf dem Weg.“



An Sarahs Zimmertür klopfend, rief ich ihren Namen plus den Hier-ist-die-Polizei-Spruch. Sie öffnete einen Spaltbreit, warf einen verschwommenen Blick auf meinen Ausweis und torkelte dann zu einem Sessel.



Heiliger Strohsack!“

 Kurz und knapp verkündete ich: „Sarah, ich bringe dich zu mir nach Hause. Die Polizei wird dem Stalker hier im Zimmer eine Falle stellen.“



„Die glauben mir ja nicht, dass der mich umbringen wird.“



„Mir schon. Meine Kollegen müssten jeden Moment eintreffen.“



Schon ertönte das vereinbarte Klopfzeichen. Rasch ließ ich meine Kollegen hinein. „Der Stalker bewegt sich zu Fuß in Richtung Hotel, wir Zwei haben kaum mehr fünf Minuten, um zu verschwinden.“



Der Schauspielerin, ausstaffiert mit Pyjama und Einweg-Hotellatschen, hängte ich ihren Wollmantel über und half ihr notgedrungen zupackend hinaus. Im Türrahmen drehte ich mich nochmals halb um. „Er hat Tränengas und Würgeschnur in seiner linken, ein Klappmesser in der rechten Jackentasche.“



John reckte den Daumen hoch. Aber Sarah holte geräuschvoll tief Luft und fasste sich dramatisch ans Herz. Vor Begeisterung hätte ich auf einem Nagelkissen hüpfen mögen.




Von unterwegs musste schleunigst die Gästewohnung in meinem Haus hergerichtet werden. Seit meinem Einzug hatte ich sie mangels Verwendung ignoriert. Volle magische Konzentration, bis ich Sternchen über die Fahrbahn flimmern sah. Nur gut, dass die Schauspielerin im Halbrausch dämmerte.



Apropos, was soll sie ausgerechnet in meinem Haus? An Hotels herrscht in Berlin wahrlich kein Mangel“,

 grummelte ich missbilligend in die Sphäre.



Sarah betäubt ihre Angst mit Alkohol und Tabletten. Sie ist einsam, unglücklich und verstört.“



Unter dem Mitteilungsstrich steuerte eine ehemals lebenslustige, talentierte Frau von gerade einmal 30 Jahren ihr Leben mit Vollgas gegen die Betonwand.



Ist euch klar, dass Elben bei mir herumturnen und ich so gut wie nie daheim bin? Wie um alles in der Welt stellt ihr euch das vor?“,

 wetterte ich nur noch halbsäuerlich.



Sarah wird dir für die Stille unendlich dankbar sein“,

 schmeichelten die Sternelben.



Eine echt schwache Leistung.



Ist die Stalker-Verschnüraktion von Amelie und John glatt gelaufen?“



Ja. Aber du kannst Sarahs Zimmer erst heute früh räumen.“



Wenn ich das schon höre, ‚heute früh‘!“



Mit nur mehr halb offenen Augen parkte ich den Wagen direkt vor meinem Hauseingang.



Nachdem mein Gast irgendwie ins Bett verfrachtet war, flöteten sie:

„Danke, Lilia!“



Ja, ja! Wie wäre es stattdessen mit einem netten Schlaflied für meine verbleibenden zwei Stunden?“




I

hr sphärisches Schlaflied musste ultrakurz ausgefallen sein. Ein veritabler Albtraum nutzte seine Chance:



Schwarze Monster umzingeln mich, ich kämpfe um mein Leben. Die Lichtenergie versiegt schneller, als ich sie zu töten vermag. Ein schattenhafter Mann erscheint wie aus dem Nichts, er wütet unter den brüllenden Dämonen. Als er mich hochhebt, wache ich auf.




Merkwürdigerweise saß ich aufrecht im Bett, das Nachthemd klebte nass an meinem zitternden Körper. Fiese Stiche jagten durch mein Herz. Dass ich den Traumkampf mit wilden Schreien begleitet hatte, wusste ich in dem Moment nicht.



Die aber hatten Elin alarmiert.

„Geh schnell duschen, Lilia.“

 Der angestrengte Versuch, ihren tief besorgten Blick zu verbergen, war zwecklos.



Unter der dampfend heißen Brause fragte ich mich, ob der Traum nur Nonsens oder eine Vorahnung bedeutete.

„Schattenhafter Mann, woran erinnert mich das? ‚Alexis redet nicht mit uns‘. Genau, der schottische Lord!“




Nach dem Frühstück quetschte ich Leya aus, kaum dass die Elbe erschienen war

.



Das haben die Sternschwestern gesagt?“



Wörtlich.“



Und jetzt soll ich mal nachforschen, was es mit dem Lord of Lightninghouse auf sich hat?“



Ich bettelte mit klimpernden Wimpern.



Du sehnst dich nach deinesgleichen“,

 stellte sie fest.



Manchmal ja“,

 gab ich zu.



Kein Wunder“,

 kommentierte die Elbe, „

aber an dein Wohlergehen verschwenden unsere Lichtschwestern keinen Gedanken.“




Die frühmorgendliche Arbeitsliste für Katja endete mit einem kleinen Knaller: „Heute dürft ihr ohne mich schuften, habe anderweitige Aufgaben!!!“



Danach rief ich Sarahs vier Koffer, die Amelie netterweise gepackt hatte, in die Gästewohnung. Sie schlief noch tief, mit einem Lächeln auf ihren Lippen. Möglicherweise erwies sich die Schauspielerin in nüchternem Zustand doch als genießbar.



In der Tat tauchte zwei Stunden später ein schüchternes Gesicht um die Küchenecke auf.



Frisch geduscht, in Jeans und Bluse, stieg ihr Sympathiewert um ein Scheibchen. „Hallo, ich habe leider deinen Namen vergessen.“



„Ich bin Lilia. Komm, setz dich, dein Frühstück wartet.“



„Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll.“



„Schon gut, jetzt wohnst du zunächst einmal bei mir.“



Sie machte große Augen. „Einfach so?“



Ja, weil du da oben mächtige Fürsprecherinnen hast“,

 dachte ich angenervt, versicherte aber laut: „Kein Problem, fühl dich wie zuhause.“



Ihrer Seele entströmte ein stinkender Fluss. Bühnenreife Intrigen, Missgunst unter Kollegen, hinterhältige Pseudo-Freunde und vor allem der Stalker trieben sie aus dem Leben.



Ich beschloss, meine Widerspenstigkeit aufzugeben. „Sag deine Termine für die nächsten Tage ab. Die Story von dem versuchten Überfall und der Festnahme des Stalkers rast wie ein Lauffeuer durch die Stadt. Niemand wird dir Vorwürfe machen.“



„Sie haben ihn erwischt?“



„Allerdings, und er wird für Jahre hinter Gittern schmoren.“



Tränen der Erleichterung flossen unter langen Wimpern hervor, dankbar drückte Sarah meine Hand.




Z

ufällig trafen Leya und ich am frühen Abend erneut aufeinander. Sie wollte Elin zur allnächtlichen Jagd abholen.



Süffisant bemerkte die Elbe:

„Tja, wie es aussieht, gebärdet sich dein schottisches Gegenstück noch dickköpfiger als du.“



Ich bekam Elefantenohren.

„Und weiter?“



Genüsslich erzählte Leya die Geschichte:

„Alexis entstammt einer langen Mischlinie. Seit annähernd tausend Jahren wacht seine Familie in dem Land – oder sollte das tun. Deshalb halten sich dort keine Elben auf.“



Hat der es gut“,

 seufzte ich dazwischen.



Sei still. Jedenfalls ignoriert Mylord das Oberkommando unserer Sternschwestern. Er betrachtet sie als bloße Bittstellerinnen. Selbst an die Menschen in seinem Land verschwendet er längst keinen Gedanken mehr. Dahinter verbirgt sich ein tragisches Ereignis. Er verlor seine große Liebe. Das Leben seiner jungen Gattin auf dem Kindbett zu retten, war die einzige Bitte, die er jemals an die Sternelben richtete. Aber sie konnten der Menschenfrau selbstredend nicht helfen. Seitdem wüten Zorn und Verbitterung in seiner Seele, die Verbindung ist gekappt.“



Und seit wann läuft das so?“,

 wollte ich wissen.



Das Drama liegt rund 150 Jahre zurück.“



Ich musste mich verhört haben! „

Du meinst sicher 15 Jahre.“



Nein, Lilia, der Lord geht auf die 200 zu.“



Ab – ab – aber …“



Kleines, nicht nur in Elbenaugen bist du noch ein Baby.“

 Mit diesem Hammer verduftete Leya.



Endlich glitten ein paar Puzzleteile ineinander.



Höchst zufrieden kümmerte ich mich um das Abendessen und lockte Sarah aus ihrer Gästehöhle, in die sie sich regelrecht verliebt hatte.



Nach unserer gemeinsamen Mahlzeit bot sie sogar an, die Küche aufzuräumen. Energisch lotste ich meinen Gast stattdessen ins Wohnzimmer vor den Kamin. Auf gar keinen Fall durfte Sarah auch nur den Schimmer einer Ahnung von magischen Umtrieben à la Waschen, Putzen, Einkaufen bekommen. „Du kannst dir nehmen und im Haus tun, wonach dir der Kopf steht. Ab morgen früh werde ich ohnehin meistens unterwegs sein.“




S

arah schlich sich binnen weniger Tage tief in mein Herz. Allen Ernstes bot sie mir eine beträchtliche Summe für meine Gastfreundschaft an. Schamlos lenkte ich solch seltene Großzügigkeit zu der ewig klammen Musikschule um.



Schwieriger gestaltete sich die Aufgabe, ihr frischen Mut für die Außenwelt einzuflößen. Die Sternelben suchten für Sarah derweil einen Gefährten. Er sollte möglichst Geborgenheit, Sinn für die Schauspielerei und ein breites Rückgrat aufbieten.



Mit viel Überredungskunst lockte ich die Schauspielerin auf höhere Anweisung nach gut einer Woche aus ihrem Kokon. Gemeinsam besuchten wir eine Lesung des Bestsellerautors Michael Wert im Haus der Kulturen. Hinterher folgte ein vielversprechend dreisamer Abend in der angesagten Bar des Maritim. Zum gelungenen Schluss strahlte Sarah über meine Einladung des Autors für ein Dinner am nächsten Abend.




Also ich spiele bei ihrem Dinner dann die Anstandsdame, oder wie?“,

lästerte ich leicht angebläut bei meinem anschließenden, tiefnächtlichen Tankbesuch in Santa Christiana.



Nein, Lilia, du wirst zu einem dringenden Fall gerufen.“



Aber ihr seid ja überhaupt nicht durchtrieben.“



Die Sternelben amüsierten sich prächtig, nur um im nächsten Augenblick reichlich widerwärtige Polizeiarbeit in meinem Kopf abzukippen.



Kurz darauf schloss ich die Kirche ab und atmete tief die pralle Frühlingsluft ein.

„Die erste laue Nacht des Jahres. Wie kann die irgendein Mensch mit Grausamkeiten verbringen?“




Das menschliche Böse tobte sich im faden Kunstlicht eines muffigen Bürogebäudes im Wedding aus.



Die bullige Vorarbeiterin, Marke ‚behaarte Zähne‘, der nächtlichen Putzkolonne drangsalierte ihre persönlichen Arbeitssklaven vorzugsweise mit einem abgebrochenen Besenstil. „Los, ihr Penner, das geht schneller! Und du da, geh verdammt noch mal sparsam mit dem Reiniger um. Oder glaubst du etwa, ich will hinterher noch Geld in den Eimer schmeißen?“ Wutschnaubend versetzte sie der Neuen einen Schlag auf den Arm.



Meine herbei gerufenen Streifenkollegen beobachteten live an den Bildschirmen in der Pförtnerloge die widerwärtige Szene. Sie beschlagnahmten die Aufzeichnungen sämtlicher Überwachungskameras und stürmten los.



Ich raste zum nächsten Brandherd, müde die Morgendämmerung herbeisehnend.




A

m folgenden Abend läutete der Herr Schriftsteller, treffsicher beladen mit Lilien für mich und Rosen für Sarah, pünktlichst zum Rendezvous.



Den Wintergarten hatte ich zuvor liebevoll umgestaltet. Ein ovaler Tisch, wunderschön dekoriert, lud bei romantischem Kerzenschein, schweren Blütendüften und eiskaltem Champagner zu einer langen Nacht.



So deplatziert ich mich fühlte und ungeduldig auf das Vibrieren meines Handys wartete, so gründlich ignorierten mich die zwei Turteltauben.



Nach der Vorspeise genossen sie das opulente französische Dîner endlich ohne meine Wenigkeit. Sarah wünschte ich von Herzen alles Glück dieser Erde.




Draußen verlief die Nacht, wen überraschte es noch, weit weniger harmonisch. Hinterher servierte die kurze Bettzeit den gnadenlosen Overkill:



„Alexis, lass mich gehen“, flüstere ich mit letzter Kraft.



„Bleib bei mir. Bitte, Lilia!“



Schwärze. Licht. Schwärze. Licht. Schwärze.




A

us welch süßen Träumen tauchst du denn auf? Du bist ja kaum wach zu kriegen“,

 scherzte Leya frühmorgens.



Benommen legte ich eine Hand auf mein stichelndes Herz und murmelte:

„Gerade wollte ich unbedingt sterben.“



Wortlos schloss die Elbe mich in ihre Arme, geschwind ihre Besorgnis verhüllend.



Träume hin oder her, unerbittlich stand unser Training im Park an.




Als ich die Haustür öffnete, erwartete uns davor eine dicke, dunkelgraue Nebelsuppe. Ohne hirnreiche Vorwarnung klebten meine nackten Füße auf den Flurfliesen fest.



Mach voran“,

 drängelte die Elbe hinter mir.



Doch ich wich zurück, schlug die Tür zu und rang schwer atmend nach Luft.

„Leya, hüte dich vor dem Nebel!


Er richtet über Leben und Tod.“



So verwirrt wie vergeblich schaute sie mir in die Augen.



Oft ist in der klassischen Literatur von blinden Sehern zu lesen. Einem Sinnbild für wahre Erkenntnis mit den inneren, ewig wachsamen Augen.

 



Verbissen befahlen wir schließlich die zähen Schwaden in die Höhe. Unsere Unterrichtsstunde geriet zu keinem Glanzstück, jede von uns kämpfte hauptsächlich mit ihren eigenen Gedanken.




O

kay Leute, ab heute sind wir wieder vollzählig. Begrüßt bitte Raul in unserem Klub“, eröffnete Katja total erleichtert die morgendliche Teambesprechung.



Das beifällige Tische klopfen fiel länger als üblich aus.



„Genehmigst du uns mehr Urlaub?“, bohrte John nach.



„Worauf du dich verlassen kannst. Leider erwartet uns vorher noch ein dicker Hammer.“ Katja blickte dramatisch in die Runde. „Ein Praktikant vom Bundeskriminalamt – für eine volle Woche.“



Das Stöhnen und Maulen in der Runde nahm kein Ende.



„Gleiches Prozedere wie bei unserem letzten Gast“, merkte sie an, womit die Stimmung leicht nach oben drehte.



Zwar hatte ich leider die Schote wegen Sarah verpasst, kannte mittlerweile jedoch etliche Versionen über das Besuchsfiasko eines restlos verwirrten Kollegen aus dem Brandenburgischen.



„Und wann beglückt uns dieser Praktikant?“, fragte Amelie.



„Montag. Und nun zum Tagesbuffet à la Lilia.“ Mit dieser kuriosen Bezeichnung landete Katja einen echten Brüller.



Übrigens war Raul ein alter Bekannter von Katja und zwei oder drei anderen des Teams. Dadurch erschien mein Crashkurs überflüssig. Dennoch beäugte er mich zwischendurch neugierig.



Nach der Besprechung kürzte ich seine distanzierte Umkreisung ab. „Möchtest du Fragen loswerden?“



„Theoretisch bin ich ja über dich im Bilde.“ Raul zögerte leicht verlegen. „Aber Katja wollte oder konnte nicht mit der Sprache herausrücken, warum und wie genau du anders bist.“



Ah, ein gründelnder Mensch, beste Voraussetzung.“

 Laut gab ich zurück: „Dann lass uns zuerst eine kleine Spritztour unternehmen.“ Unbedacht erwartete ich ein lockeres Heimspiel, ähnlich dem bei Rachel.



Seine Kollegen erfuhren niemals, was in Santa Christiana geschah.



Bereits unterwegs hatte ich hartnäckig die Einstellung meines neuen Kollegen zu „übernatürlichen“ Phänomenen herausgekitzelt. Scheinbar gab er sich locker. Ziemlich dilettantisch, veranlassten mich weder Rauls angespannte Körpersignale noch sein ausströmendes Unbehagen zu angemessener Behutsamkeit. Stattdessen bekam Raul in Santa Christiana eine eiskalte Lichtdusche verpasst, die ihn in Ohnmacht fallen ließ. Die Sternelben brummten mir dafür einen Supertadel ins Denkorgan. Nebenbei verklickerten sie mir auch noch, dass es sich bei dem avisierten „Praktikanten“ für das Kommissariat in Wahrheit um einen gestandenen BKA-Mitarbeiter handeln würde. Er sollte gründliche Aufklärung über meine Machenschaften betreiben.




D

er Praktikant will unseren ‚oberfaulen Hokuspokus‘ entlarven“, berichtete ich meiner Kommissariatsbossin mittags in der Kantine zwischen zwei Gabeln voll Salat.



Das veränderte die Lage, wie Katja schnell einsah, erheblich. „Der hat es also auf dich abgesehen! Willst du untertauchen?“



„Nö, den Spaß lasse ich mir nicht durch die Lappen gehen. Aber zieh deinen Kopf ein, das gibt einen heißen Tanz!“



Ungläubig versetzte sie: „Donnerwetter, knackige Ansage.“



„Tja.“



So seltsam es erschien, Sarahs menschliche Nähe, gepaart mit dem lehrenden Elbenduo, transferierte mich bockigen, halbelbischen Teenager quasi über Nacht in eine forsche Rebellin. Mit elbischer Klarheit, doch menschlichem Begreifen durchleuchtete ich jetzt zumindest das irdische Treiben.



Die unwahrscheinliche Gefahr aufkommender Langeweile bannte ein völlig anderes Kaliber von Gegenspieler.



Der Dämonfürst begann, meine kurzen Nächte mit seiner speziellen, tintenfinsteren Note zu garnieren. Wobei er mich selbst, im menschlichen Sinn, ignorierte:



Ist das alles, was du gegen mich noch aufbieten kannst, Joerdis? Zwei elbische Weiber?“,

verhöhnt das Monster meine fürstliche Zwillingsseele.




A

m Montag stand der angekündigte „Praktikant“ namens Thorben Holder im Türrahmen des Kommissariats und schaute sich grimmig um. Dieser Tag würde ein Leben lang im Gedächtnis des gestandenen BKA-Mannes kleben bleiben.



Holder, Typ dürrer Vollglatzenträger, suchte sich ungefragt einen Sitzplatz annähernd mir gegenüber aus. Nach seiner Begrüßung schoss Katja die erste Denksalve für ihn mittels unseres spirituellen Tagesplans ab. Der Mann warf etliche Fragen dazwischen, woher diese oder jene Information stammte. Katja zeigte stets, ohne wirklich aufzublicken, in meine Richtung. Ehrlich, das Team lümmelte sich bühnenreif, mit einem Hauch routinierter Langeweile in den Gesichtern, auf den Stühlen herum. Nur Thomas richtete trockene technische Detailfragen an mich. Die einzige Ebene, auf der die Verständigung im Laufe der Zeit zwischen ihm und mir funktionierte.



Bald strebte unsere Versammlung auseinander. Just als Holder auf mich zusteuerte, rückten die Sternelben mit einem Eilauftrag heraus.



Wie üblich rief ich: „Katja, Rolle rückwärts! Hol, wen du noch kriegen kannst!“ Den grimassierenden BKA-Beamten ignorierend, vernahm ich die sphärische Botschaft.



Als Katja zurück in den Konferenzraum stürzte, eröffnete ich: „Schießerei unter vietnamesischen Schmugglern.“



Unsere Chefin kommandierte: „Zollfahnder und Sondereinsatz rufen.“



Effizient wie ein Bienenschwarm legten vier aus dem Team los, indes ich die Details in mein Workpad beförderte. Die Lichtwesen fütterten mich ohne Punkt und Komma. Dem „Praktikanten“ sprengte es das Denkvermögen, übrig blieb ein unästhetisch weit aufklaffender Unterkiefer. Wir rannten zu den Fahrzeugen im Innenhof.




Katja bellte, mit meinem Workpad auf dem Schoß, unterwegs Befehle in ihr Mikro.



Die Sternelben lieferten ständig Updates.



„Katja, das wird gefährlich, in dem Lagerhaus sind weitere Waffen versteckt.“



Ihr Hinterkopf nickte bestätigend.



Aus zwei Richtungen rasten die Einsatzwagen in das kleine Industriegebiet am Rande Lichtenbergs. Einige Kollegen verteilten sich um die rund 1.000 Quadratmeter große Lagerhalle, andere gingen zunächst hinter ihren Fahrzeugen in Deckung. Vereinzelt waren Schüsse zu hören. Der Leiter der Zollfahndung brüllte seinen „Waffen fallen lassen“-Spruch ins Megafon. Das zeigte ungeahnte Wirkung. Anstatt sich weiter gegenseitig abzuknallen, verstanden die Vietnamesen seine Durchsage als Aufforderung, spontan ein Bündnis gegen die Staatsmacht zu schließen.



Zwischen der Übermacht an Beamten außerhalb und einem knappen Dutzend Schmugglern innerhalb der Halle entwickelte sich ein hitziges Feuergefecht. Magisch befahl ich die Waffen der Vietnamesen zu mir. Nichts. Zweiter magischer Versuch. Keine Reaktion.

„Was geschieht hier?“



„Beinschuss!“, brüllte eine fremde Stimme in sämtliche Headsets.



Zwei unerfahrene junge Heißsporne der Zollfahndung hatten ohne geringstes Nachdenken versucht, rückseitig in das Lagerhaus einzudringen.



„Katja, ich gehe rein.“



Sie befahl: „Feuer einstellen!“



Hinter der Lagerhalle baute ich meinen Lichtschutz auf, rannte in die Schusslinie der aufgebrochenen Tür und befahl eine Leuchtkugel hinein. Die Vietnamesen schrien vor Entsetzen. Ihre Schrecksekunde ausnutzend, schaffte ich den Schwerverletzten aus ihrer Schusslinie. Jetzt trieb ich die Schmuggler mit weiteren Leuchtkugeln endgültig in Deckung. Ihre Waffen reagierten noch immer nicht auf Magie. Notgedrungen war Handarbeit einziges Angebot der Stunde.



Kurze Zeit später begann das Sondereinsatzkommando, meine Schnürpäckchen hinauszutragen.



„Was – geht – hier – vor – sich?“ Unser Praktikant fand offenbar seine Stimme wieder.



„Schmugglerring ausheben“, schnauzte Katja.



Warnend hob ich die Augenbrauen und sie suchte schleunigst das Weite.



Holder baute sich dicht vor mir auf. Er überragte mich fast um eine Kopflänge, so dass er von oben herab in meine Augen starrte. Me