Fürstin des Lichts

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Wehmütig fuhr Elin fort: „Du bist Trägerin des letzten verbliebenen Amuletts. Vor langer Zeit dienten diese vor allem unserer Verständigung. Aber sie gingen in den Dämonenschlachten und Menschenkriegen verloren. Die Suche nach verschollenen Amuletten bleibt uns verwehrt, wie Leya dir gerade erklärte.“

Ein inneres Bild flackerte auf. Es zeigte mich vor einer Festung oder gewaltigen Mauer stehend. Mit spontaner Begeisterung verkündete ich: „Aber ich kann sie suchen!“

Nein! Du würdest in unkalkulierbare Gefahren rennen, das ist die Sache nicht wert“, wiegelte Leya energisch ab.

Nicht wert? Die wenigen für uns Menschen unschätzbar wertvollen Elben zusammenführen? Das nennst du wertlos?“

Elin ergänzte beschwichtigend, ich selbst sei für sie wertvoller als die Amulette. Dahinter keimte jedoch ihre Erkenntnis, dass dieser Zug bereits unaufhaltsam rollte.

Absolut, Elin! Wenn die Sternelben wissen, wo die Amulette verborgen liegen, hole ich sie.“ Die Gelegenheit, mich mal zu revanchieren, musste beim Schopf gepackt werden.

Dickköpfig wie ein Teenager …“, grummelte Leya.

„… und stur wie ein Maulesel“, vollendete Elin klagend den Satz.

Na und?“, zuckte ich bloß mit den Schultern. „Falls ihr mich sucht, ich fahre vom Gartenhaus aus sofort nach Santa Christiana.“

Wie umständlich“, murmelte Leya deutlich hörbar.

Selbstverständlich wusste der Sphärenchor etliches über den Verbleib der Amulette. Bloß wollten sie zum x-ten Mal keine Arie über ihre Geheimnisse singen. Ihre vorgeschobene Furcht um meine Sicherheit fand ich zwar nett, mir selbst war sie jedoch total egal.

Letztlich rang ich ihnen einen einzigen Versuch in Italien ab. Das Land war uralte Heimstätte der Dämonen, kam nebenbei heraus. Und da dachte jeder halbwegs gebildete Mensch bei Italien zuallererst an Kunstschätze, Kirchen und Kardinäle.

Neben italienisch trichterten mir die Lichtwesen noch ein gerütteltes Maß an guten Ratschlägen ein. Außerdem stellten sie die nicht verhandelbare Bedingung, die komplette Prozedur müsse binnen Tageslichtfrist bewältigt sein. Das bedeutete jetzt im Winter ein arg knappes Zeitbudget.

Am nächsten Morgen flog ich von Berlin-Tegel aus mit der ersten Maschine nach Rom.

Die Aktion verlief dermaßen unspektakulär, sprich Amulett am Ufer des Tibers aus dem Schlick aufrufen und wieder zurückfliegen, dass weitere Worte darum nur Papier verschwenden würden.

Elin und Leya erwarteten mich halb irre vor Sorge und Ungeduld im Feenhaus. Ich glaube, sie hätten mir am liebsten bei Jubelgesängen den blanken Hintern versohlt. Ehrfürchtig brachten sie das blütenförmige, mit Rosenquarz besetzte Schmuckstück wieder auf Hochglanz.

Übrigens umklammerte mich das Jagdfieber von diesem Tag an so fest wie zusammengeschmiedete Ketten. Doch wie das echte Leben so herumspielt, folgte zunächst eine harte Geduldsprüfung.

Am heutigen Abend allerdings feierten wir im Feenhaus ausgiebig die Aufhebung von Leyas ewigem Bannmartyrium. Sprich, wir steckten all unsere geballte Frauenpower an Magie in die Wahnsinnsarbeit, ihr Sommerparadies über das Verschwinden des Bannwalls hinaus zu retten.

In der Silvesternacht hingen wir Drei völlig erledigt, umflattert von Nachtfaltern, in unseren Gartensesseln.

Am Neujahrstag legten die Sternelben für mich drei elbische Unterrichtstage pro Woche fest. Nämlich montags, mittwochs und samstags von fünf bis sieben Uhr – morgens, versteht sich.

Könnte jemand für meine Wenigkeit das Schlafdoubeln übernehmen?“

Du warst einverstanden“, summte die Lichtschar.

Aber die Amulette …“

„… gehören an das Listenende deiner Aufgaben.“

Kleine Prioritätenverschiedenheit unter Freunden.

Wenn überhaupt, kamen ausschließlich Sonntage für Abenteuertrips infrage, passende Flugverbindungen vorausgesetzt. Wodurch das schwierig zu erreichende Albanien schon mal flach fiel. Um in Nordnorwegen herumzustochern, reichte das dortige Tageslicht nicht aus.

Sind das bereits alle erreichbaren Plätze?“, löcherte ich die Sternelben trotz ihrer Planvorstellungen erbarmungslos.

In Schottland findest du ein weiteres Amulett.“

Ihre Auskunft kam im Rückblick sowohl zu freiwillig, als auch zu schnell.

Klar biss ich fiebrig den Köder ab. „Erste Sahne. Wo?“

Aus dem Buch „Inghean“

Die Schicksalsfäden sind in unheilvolle Schwingungen geraten. Weder Lilias menschlicher Seelenteil noch ihr Herz wollen sich unterwerfen.

Katjas Team startete ausgeruht in das neue Jahr. Die Kollegen brachten mir nie dagewesene Sympathie oder zumindest Anerkennung entgegen. Ein wundervoller Silberstreif, endlich gehörte ihre misstrauisch-ängstliche Passivität der Vergangenheit an. Frohgemut trat ich meine wachsame Anspannung in die Tonne.

„Eine Leiche und ihr verzweifelter Henker warten“, las Katja aus dem Tagespensum vor. Der brutale Vater malträtierte seinen sensiblen Sohn solange, bis der ihm vergangene Nacht an die Gurgel gegangen war. Inzwischen bereute der Junge seine Tat und überlegte, auf welche Weise er sich selbst dafür mit dem Tod bestrafen könnte.

Gedankenverloren aus dem Fenster in den Schneegriesel schauend, hing mir der Winter zum Hals heraus. Jedes Mal, wenn wir im Auto zu Einsätzen jagten, schlitterten wir dermaßen durch die Kurven, egal ob vereist oder zu dick bestreut, dass mir schlecht wurde. Inzwischen konnte ich die elbische Abneigung gegen den Winter vollkommen nachvollziehen.

Erst drei Wochen später jettete ich über London nach Inverness, in die schottischen Highlands. Mit einem dieser urigen englischen Taxis gelangte ich nach stundenlanger Fahrt zu dem jahrhundertealten Castle. Es lag gut verborgen in einem langgestreckten, von Wald umgebenen Tal.

Während ich das schmiedeeiserne Tor durchschritt, spürte ich einen Wall aus Schutzmagie. „Seltsam, hier müssen noch uralte elbische Kräfte wirken.“ Aufkeimende Unruhe veranlasste mich, aufmerksamer hinzuschauen. Verwahrlost wirkte der Park keinesfalls, den ordentlichen Kiesweg säumten kunstvoll gestutzte Koniferen. „Ob hier noch Menschen leben?“

So nahe wie möglich pirschte ich mich an das trutzige Gemäuer heran. Es sah exakt so aus wie in der kurzen Vision, die ich Silvester hatte.

Ausgerechnet als ich das Amulett aufrief, öffnete sich die riesige Eichentür des Haupteingangs.

„Was wollen …?“

Unsere Augen prallten aufeinander, unsere Körper wichen reflexartig zurück. Allein mein Herz tat ein paar wilde Glückshüpfer.

Hier war er also! Diese Sternelben! Hatten sie gehofft, wir würden einander nicht begegnen?“

Der schottische Halbelb fasste sich zuerst und schnauzte: „Was wollen Sie hier?“

Wie charmant. „Ich stehle das Elbenamulett.“

Er lachte hart. „Das können Sie sich abschminken.“

Männer!“ Das runde, mit Rubinen besetzte Amulett hoch ins Licht haltend, bekundete ich: „Eine Tasse Tee käme jetzt goldrichtig.“

Wortlos drehte sich der Mann um, unaufgefordert heftete ich mich an seine Fersen.

Zu seinem Rücken sagte ich: „Mein Name ist Lilia. Und wie heißt du?“

Ohne stehen zu bleiben, geschweige denn sich umzudrehen, knurrte er: „Alexis Albin, Lord of Lightninghouse.”

Komische Kombination“, fuhr es mir durch den Kopf. „Alexis stammt aus dem Griechischen und bedeutet ‚der Abwehrende‘. Albin dagegen ist Althochdeutsch und bedeutet ‚Elbenfreund‘.“ Der Lord musste tiefsinnige Eltern gehabt haben. Oder aber die Lichtwesen steckten dahinter.

„Was willst du mit dem Amulett?“, unterbrach der Lord meine flirrenden Gedanken und stieß dabei die Tür zu einer Wohnhalle auf.

Ich folgte seiner übertrieben einladenden Geste hinein. „Brrrh, soll das hier sein Wohnzimmer darstellen? Wieviele Jahrhunderte alt ist das gruftig-gammelige Zeugs darin?“

Das vernehmliche Räuspern des Lords erinnerte mich an seine gestellte Frage.

Also hockte ich mich vorsichtig auf eine Sesselkante und erklärte ihm mein Vorhaben.

Daraufhin lachte er nur wieder grimmig, wobei er mir kein einziges Wort zu glauben schien. „Da haben die Elben ja eine willige Dienerin aufgetan.“

Na super, so ein sarkastischer Knochen gleich bei der ersten Misch-Zusammenkunft. Okay, mal wieder vorher das Denken vergessen.“ Laut wollte ich wissen: „Und womit vertreibst du dir so die Zeit hier draußen?“

„Das Übliche, Dämonenjagd“, log Alexis mit lauerndem Blick.

Ganz offensichtlich traute er mir keine Liveanalyse seines Hartschädels zu. Lässig schlug ich die Beine übereinander. „Und, wie steht’s damit?“

„Ab und an sickert einer über den Schiffsverkehr ein.“

„Na, absolut überschaubar. Wenn dich die Langeweile quält, komm nach Berlin. Da spuken noch einige Hundert mitsamt ihrem Oberboss herum.“

Ha, kalt erwischt!“ Seine rechte Augenbraue ging in die Steilkurve, bevor er sie zur Aufrechterhaltung seines arroganten Faltengesichts kontrollieren konnte. Dieser hochgewachsene etwa Fünfzigjährige besaß mehr Dunkles an sich, als bei einem Mischwesen vorstellbar war. Seine langen schwarzen Haare, schwarze Augenbrauen, eher dunkler Teint und die im düsteren Licht seiner Wohnhalle beinahe schwarz wirkenden Augen. Und nicht zu vergessen, er trug ausgerechnet schwarze Klamotten.

Wahrscheinlich hatte ich Mylord angestarrt, so dass er unvermittelt bemerkte: „Du bist reichlich neugierig.“

In meinem Kopf erfand ich dafür die Bezeichnung „unflätiger Tadel“. Laut konterte ich: „Magie allein macht wohl kaum glücklich.“ Mein Alter Ego befand: „Seltsamer Satz, irgendwie schräg.“

 

Nun sollte ich aber schleunigst aufbrechen. Die Lichtzeit erwies sich wegen des ungeplanten Smalltalks als denkbar knapp. „Wäre es zu viel verlangt, darum zu bitten, mich zum Flughafen zu fahren?“

Immerhin verstand er, wo mein dämonisches Problem lag.

Unterwegs, und zwar in einem Oldtimer namens Morris Roadster, lud ich den Lord nach Berlin ein.

Zwar fühlte er sich geschmeichelt, lehnte jedoch ab. „Mein Platz ist in Schottland.“

Wieso sind immer alle dermaßen unflexibel?“ Aus reinem Bauchgefühl heraus fasste ich einen Entschluss. „Hier, behalte das Amulett für den Notfall.“

„Damit lässt sich rein gar nichts anfangen, nimm es ruhig mit.“

Mit beiden Händen zog ich mein Gegenstück unter dem Pullover hervor und hielt es ihm seitlich hin. „Jetzt klar? Die Elbe Elin schenkte es mir.“

Beinahe wäre sein Wagen schlingernd im Straßengraben gelandet. Und das ohne Sicherheitsgurte. Erschrocken klammerte ich mich an das Armaturenbrett.

„Du … Nenne mir deinen vollständigen Namen“, presste er zwischen den Zähnen hervor.

„Lilia Joerdis van Luzien.“

Kein weiteres Wort fand den Weg über seine Lippen, sein Gesicht glich einer Totenmaske. Seine Hände krallten sich weiß um das Lenkrad.

Erst am Flughafen sprach Mylord düstere Abschiedsworte. „Lerne, so schnell du kannst.“

Mit diesen dürren fünf Worten ängstigte mich Alexis zu Tode.

Daheim angekommen, war ich dermaßen eingeschüchtert, dass ich vergaß, die Sternelben wegen Alexis in den Senkel zu stellen. Präzise gesagt, tauschten wir keine einzige Silbe miteinander aus.

Weil die letzte vernünftige Mahlzeit in Form von Frühstück 16 Stunden zurücklag, reihten sich trotz fortgeschrittener Abendstunde vor mir auf dem Küchentisch kleine griechische Köstlichkeiten aneinander. Doch mein Magen machte rücksichtslos den Eingang dicht. „Ich bin noch immer die Dümmste von allen, korrekt?!“ Vor die Füße geworfene Brocken aus Warnungen, Ermahnungen und Andeutungen, davon konnte niemand klug werden. Und dann dämmerte mir etwas richtig Schlimmes: Im vergangenen Jahr bat ich doch die Sternelben, den überflüssigen Teil meiner Furcht zu bannen. „Wie ist es möglich, durch den Lord dennoch solch schreckliche Angst zu empfinden?“ Das konnte nur eins bedeuten: Diese Angst war richtig und wichtig!

Mit aufflammendem Zorn strebte ich zu meinem Auto. Eine Kirchturmuhr sandte zwei helle Schläge für halb Zwölf über das schläfrige Stadtviertel.

Noch bevor ich den Wagen auf dem Parkplatz von Santa Christiana überhaupt verlassen konnte, pfiffen die Sternelben den Alarmzustand heraus. „Lilia, zwischen den Gräbern treibt sich ein Dämon herum!“

Mir egal, die Gräber befinden sich auf der Rückseite“, knurrte ich und stieg kampfbereit leuchtend aus.

Lilia!“

Das streunende Monstrum bot genau jenes Ventil, das ich jetzt zur Triebabfuhr benötigte.

Anstatt in die sichere Kirche zu schlüpfen, schlich ich im Stockdunklen dicht an ihr entlang. Das Stinktier witterte mich mit Lichtgeschwindigkeit, eigentlich ein Wunder bei dessen eigenen Ausdünstungen. Rasend schnell schoss der Dämon aus dem undurchdringlichen Schatten der Kirchenmauer hervor. Er warf seinen Speer, noch bevor ich ihn erblickte. Aber die Klinge prallte in Bauchhöhe ab, brachte mich nur kurz aus dem Gleichgewicht. Mit Tornadogeschwindigkeit wich er meinem ersten Lichtschuss aus. Als Antwort schleuderte das Monster einen Würgering. Diesmal war ich schnell genug. Meine Lichtkugel traf das Geschoss mitten im Flug. Geblendet durch den funkensprühenden Aufprall sah der Dämon dummerweise den linkshändig befohlenen Pfeil nicht heran sirren. „Wieder einer weniger!“

Schweißgebadet in der Kirche angelangt, brach ein absurdes Wortgetöse los. Wir ereiferten uns wie von Sinnen. Als ich angenervt die Augen verdrehte, fielen sie zufällig genau auf die Elbenfürstin unter der Decke. Abrupt herrschte Ruhe in den weibischen Zankreihen. Joerdis schaute weltentrückt und doch voller Ernst auf mich herab.

Was tätest du an meiner Stelle?“ Ein abgespeicherter Gedanke beendete die kurze innere Stille. „Die Kunst besteht darin, die richtige Frage zu stellen.“ Eine echt gigantische, aber zwingend zu meisternde Herausforderung für eine Oberchaotin wie mich.

Langsam ließ ich mich auf dem Kissen neben dem Altar nieder. Zunächst wollte meinen Denkkanälen kein klarer Gedanke entspringen. Lauter ausgefranste Enden. Versuchsweise stellte ich einen Rundumschlag in den sphärischen Raum. „Was wollt ihr eigentlich wirklich von mir?“

Die Sternelben verweigerten sich stur.

Haltet ihr euer Schweigen auf Dauer für sinnvoll und ungefährlich?“

Kein Ton.

Dann jagte mir Alexis also aus purem Spaß solch eine Angst ein?“

Alexis spricht nicht mit Sternelben.“

Das ist keine Antwort“, keifte ich. Prompt entging mir über den eigenen Gefühlsschaum mal wieder eine entscheidende Botschaft. Stattdessen erregte ich mich gedankenblind weiter. „Außerdem weiß der Lord offensichtlich mehr über mich als ich selbst. Seit einem Jahr lasst ihr mich kreuz und quer alle möglichen Sachen lernen und erledigen, die für mich keine logische Summe, geschweige denn ein Ziel ergeben.“

Lilia, sie dienen deiner Vorbereitung“, summten sie zur Beschwichtigung.

Ja, ja, euren leeren Standardsatz kenne ich auswendig.“

Nach einer Denkpause säuselten sie allen Ernstes, gemäß einer Prophezeiung würde ich Regentin der Stadt des Lichts sein. „Bedenke, Lilia, lassen wir dich in die Zukunft schauen, droht unwillkürlich dein Scheitern. Prophezeiungen bergen keine absolute Wahrheit, sie fließen und verändern sich stetig, genau wie die unberechenbaren Fäden des Schicksals.“

Zielsicher verpasste ich erneut das Hauptthema und protestierte stinksauer: „Regentin? Was soll denn der Mist? Ich lebe hier in einer Demokratie, verdammt nochmal!“

Die Lichtwesen entgegneten lahm, das eine habe mit dem anderen keine Berührungspunkte.

Heißt das, ihr wollt, dass ich kopflos so weitermache?“

Dein Tun und Lassen folgt dem wahren Weg, sofern deine Dickköpfigkeit es zulässt.“

Hitzig entgegnete ich: „Wollt ihr ein Lämmchen?“

Wir warten darauf, dass du deinen Verstand und dein großzügiges Herz sinnvoll einsetzt.“

Sinnvoll oder in eurem Sinne?“, schnaubte ich eine bissige Retourkutsche.

Funkstille von himmelwärts.

Mit imaginären Wuthörnern auf meinem Kopf machte ich mich wieder auf den Weg. Die Geheimniskrämerei der Elben hier wie dort strapazierte permanent meine Nerven. Selbst mit diesem Alexis ließ sich anscheinend kein normales Gespräch führen. „Shit! Ob der Lord in seinem Tal eventuell eMails empfangen kann?“ Erstklassige Steilvorlage für mein Alter Ego. „Glaubst du etwa, ausgerechnet der gruftige Typ würde dir schriftlich deinen Mischkopf inklusive Weltall erklären?“, höhnte es. Meine beiden Fäuste bearbeiteten im Stakkato das Lenkrad. „Was heißt hier Kopf? Elben, Dämonen, Magie und all das Zeug dazu!“ „Da empfehle ich doch mal Selberdenken.“ Das stachelte mich noch mehr auf. „Ach ja? Und was ist mit der ominösen Regentin? Total abstrus, durchgeknallt, meschugge und so weiter und so fort.“

Nachdem wirklich alles heraus war, entwich meiner Kehle zum krönenden Schluss ein selbstmitleidiges Schluchzen. Hinter meinem Wagen hupte jemand. Ich stand vor einer grünen Ampel. „Krieg dich ein!“, brüllte ich. „Empfehle ich dir ebenfalls“, brummte mein Alter Ego. Widerwillig versuchte ich es mit tiefem Luftholen. Der Effekt fiel minimal aus.

Kurz vor meiner Toreinfahrt zündete aus nächtlichem Himmel die vorerst letzte Eskalationsstufe.

Ich kann dir vieles erklären“, erklang eine sanfte fremde Stimme in meinem Kopf.

Scheiße nochmal!“, schnauzte ich. „Wer bist du jetzt wieder?“

Ich bin Joerdis, deine Seelenschwester. Die Fürstin der Elben und Gebieterin über das mächtige Lichtschwert.“

Elbensilber

Unaufhörlich trieb die junge Erde

Durch das siebenfache Licht des Himmels.

Flüchtig nur wie einer Wolke Schatten

Lag auf ihrem Angesicht die Nacht.

Marie Luise Kaschnitz

Kapitel 10

Verführt von Schönheit, Reichtum und eigenem Heim, bedeuteten mir die Geschenke der Sternelben, als ich sie besaß – nichts! Das Märchen vom glücklich sorglosen Mädchen entpuppte sich als unentrinnbare Falle, in der meuchelnde Dämonen auf mich warteten. Die schmeichelnd singende Elbensphäre unterschlug nach Gusto sämtliche Informationen, die mich zum abrupten Spurwechsel auf den vertrackt schwingenden Schicksalspfaden verleiten könnten. Nachdem sie mir, ungefragt selbstverständlich, die Seele der Elbenfürstin Joerdis eingetrichtert hatten, mussten sie lediglich abwarten. Allerdings stellte mein berüchtigter Dickschädel ein echtes Problem für die durchtriebenen Sternsängerinnen dar.

Aus dem Buch „Inghean“

Selbst die Macht meiner Fürstin versagt bei diesem seltsamen Menschenkind. Traf sie die falsche Wahl? Ist unser aller Schicksal nun besiegelt?

Mittlerweile wechselten sich die beiden Elben, Leya und Elin, mit den frühmorgendlichen Unterrichtsstunden ab. Leya weckte mich vorher mit verführerischem Kakaoduft und vermittelte mir ausgebuffte Kühnheit im Kampf. Elin riss als Muntermacher das Fenster in meinem Schlafzimmer weit auf und lehrte mich elegante Geschmeidigkeit. Optisch wirkte das wie akrobatisches Ballett im Zeitraffer.

An diesem Morgen, nach kaum zwei Stunden mit Albträumen gespickten Schlafens, erfolgte die Frischluftvariante. Als ich gähnend quengelte, riss Elin mir die Bettdecke weg.

„Raus!“, brüllte ich absichtlich laut.

Sie erschrak und flüchtete.

Ihre Unterweisung auf der Rasenfläche vor meinem Gartenhaus geriet zum Fiasko.

Lilia, entweder du schaltest deinen Kopf freiwillig ab, oder ich zaubere ihn dir weg“, versetzte die Elbe unwirsch.

Geht einfach nicht“, schluchzte ich auf, wobei hemmungslos Tränen loskullerten.

Was ist geschehen?“

Stammelnd produzierte ich drei abgehackte Worte: „Kopf – Kamikaze – Kram.“

Elin besorgte sich sphärenwärts taugliche Auskünfte über die Gründe meines miserablen Gemütszustands.

Schlussendlich schlug sie vor, in die Küche zu gehen.

Während ich den dampfend heißen Teebecher so fest umklammerte, dass mir fast die Finger verbrühten, schaute ich die Elbe traurig an.

Du machst dir zu viele Gedanken und Sorgen, Lilia.“

Sag mir, Elin, was bitte ist der Sinn? Denn ich sehe durchweg nur Chaos, so wie ein gigantisches Puzzle ohne Vorlage.“

Einen schwergewichtigen Grund dafür kannte ich natürlich. Ich weigerte mich weiterhin strikt, mit Elbenfürstin Joerdis, meiner Zwillingsseele, zu sprechen. Also herrschte in puncto Durchblick meiner Innenlage zappenschwarz. Doch jeder Gedanke an die Vorstellung, außer den unverschämten Kommentaren meines Alter Ego auch noch ungebetene Wortmeldungen von Joerdis im Kopf anhören zu müssen, machte mich stinksauer. Ehrlich gesagt, war mein chaotischer Status quo keinen Deut besser. Meine ausströmende Verzweiflung verursachte in der Küche dicke Luft. Passenderweise goss es draußen in Strömen.

Elin sah mir in die Augen. „Wenn dein Herz wahrhaft verzweifelt ist, weinen die Sternelben.“

Was?“

Der Tee schwappte auf den Küchentisch.

Tatsächlich existierten etliche Legenden, gespickt mit solch herzerwärmenden Ammenmärchen, über die Sternelben. Sie wurden im Laufe der Zeit eigens für die Umgarnung von Mischwesen wie mir erdacht.

Entschuldige, Lilia, aber du musst langsam deine Macht erkennen.“

Wie denn, wenn mir nie einer Zusammenhänge erklärt?“, jammerte ich wie Klein Lilia zu ihrer großen Schwester.

Und warum ist das wohl so?“

Ratlos blickte ich zu ihr auf.

Weil deine Macht anders und größer ist als die von Leya oder mir. Darum können wir dir weder erklären, zu was du fähig bist, noch was daraus entstehen mag. Wir können es lediglich mit dir gemeinsam herausfinden. Meine Lichtschwestern hingegen fürchten sich über jedes vorstellbare Maß davor, dich unnötig zu verängstigen oder in die Irre zu führen. Allzu oft durchkreuzte ein winziger Schicksalsfaden ihre Pläne und Ziele.“

 

Schluchzend gestand ich: „Das klingt ungeheuerlich – und gefährlich.“

Elin stritt es nicht ab.

Nur, welcher Art waren die galaktischen Pläne und Ziele der Sternelben?

Mitte März brachte der Frühling endgültig Tauwetter und damit eine neue Chance, auf die Jagd nach den verschollenen Elbenamuletten zu gehen. Die mordsbrodelige Berliner Fieberkurve wies kontinuierlich nach unten. Anders ausgedrückt, zeigte das Dämonen meuchelnde Team aus Elin und Leya scheinbar Wirkung. Also verursachte mein Beschluss, in Norwegen das nächste Amulett zu bergen, keinerlei Widerstand.

Am letzten Sonntag des Monats flog ich von Berlin über Bergen nach Alta. Ausgerüstet mit der Landessprache, sollte die Unternehmung keine größeren Probleme bereiten – dachte ich. Leider liegen Theorie und Praxis manchmal rein zufällig so weit auseinander wie Galaxien.

Erstens hielt das Taxi mitten in der norwegischen Pampa, also quasi im Nirgendwo. Weder Baum noch Strauch boten den geringsten Blickschutz für meine Aktion. Zweitens konnte der wartende Taxifahrer zwar bis zum Nordpol gucken. Allerdings fand der alte Mann meine Wenigkeit interessanter, die gerade querfeldein durch gut dreißig Zentimeter tiefen Schnee stapfte. Drittens ignorierte das Amulett meinen zunehmend drängenden Ruf. Also musste ich viertens einen Spaten ‚ordern‘ und schweißtreibend graben. Das wiederum veranlasste den neugierigen Taxifahrer auszusteigen.

Nachdem erst der Schnee, dann kartoffelgroße Kieselsteine und als unterste Schicht tonartige Erde weggeschaufelt waren, knirschte es unter der Spatenspitze. Behutsam schabte ich die restliche Erde von einem Zinkirgendwas mit Deckel in der Größe eines Schuhkartons. „Zink ist magieallergisch?“ Zumindest gab besagter Deckel meinem Ziehen umstandslos nach. In dem zerbeulten Behältnis lag ein angelaufenes Durcheinander an Schmuck und Münzen.

Ja, okay, das schimpft sich Schatz.

Aus meinem Rucksack fischte ich zwei Tüten und teilte, bis auf das Amulett, die Beute in gleiche Teile.

Dem halb verdutzten und halb verdatterten Taxifahrer drückte ich eine Tüte in die Hand. Schweigebeute. Kurz nachdem wir losgefahren waren, bemerkte ich, dass der Alte plötzlich das Gaspedal für sich entdeckt hatte.

Wieder am Flughafen von Alta angelangt, marschierte ich zum Postschalter und erstand ein Päckchen. Darin verstaute ich Schmuck und Münzen, selbstverständlich abzüglich Amulett. Adressiert an das Historische Museum in Bergen, waren die wertvollen Stücke in Windeseile aus der Welt geschafft.

Da mein Rückflug erst um 19 Uhr 20 starten würde, gab ich meinem Magen nach, der knurrend Füllbedarf anmahnte. Auf der Suche nach einem Imbiss in den fensterlosen, spärlich ausgeleuchteten Korridoren des Gebäudes nahm, zur Krönung des Tages, ein herumlungernder Dämon meine Lichtspur auf. Sein Gestank verriet ihn noch rechtzeitig.

Mit Ach und Krach lockte ich den Stinkstiefel erst mal in eine verlassene Herrentoilette. Er sah eher wie ein alter, halb verhungerter Lumpensammler aus – bis auf die Peitsche in seiner Hand. Auf jeden Fall agierte der Dämon echt lahm im Vergleich mit seiner Berliner Verwandtschaft. Voll illuminierte Halbelben kannte er schon mal überhaupt nicht. Andernfalls wäre ihm klar gewesen, dass er bereits mit einem Bein in der Hölle stand. Statt geiferndem Angriff servierte er mir einen Ekelhauch. Ich revanchierte mich mit einem gezielten Lichtpfeil dorthin, wo menschliche Wesen ihr Herz haben. Der Rest war Sterben. „Wobei“, sinnierte ich, „kann man solch einen Auflösungsvorgang tatsächlich als Sterben bezeichnen? Das würde mich mal interessieren.“

Leya reinigte mein stolzes Mitbringsel, ein ovales Amulett, besetzt mit geschliffenen Amethysten. Dabei schüttelte sie ungehalten den Kopf. Übrigens verwandelte sich Leya mehr und mehr zurück in eine Elbe, zum Beispiel, indem sie sich lautes Sprechen abgewöhnte. Nun stöhnte sie: „Welchen Unterschied soll das beim Sterben für die Seelen machen, woraus ihre Hülle besteht und ob die dann schnell oder langsam versickert? Auf was für Fragen du ständig kommst.“

Ich hätte da direkt noch eine. Und zwar, wie wir die Amulette zu den verstreuten Elben befördern wollen.“

Papperlapapp, ungelegte Eier lassen sich nicht ausbrüten“, wischte sie die Frage weg.

Leya hatte also keinen Schimmer!

Montag, der 1. April, bescherte Katjas Team im Berliner Kriminalkommissariat zwei Veränderungen. Axels angestammter Platz blieb leer. Enthusiastisch begann er sein neues Berufsleben beim BND. Gleichzeitig würde heute Rachel aus Hamburg, als Ersatz für den verunglückten Kai, ihren Start hinlegen.

John, dessen Zerstreutheit in den vergangenen Monaten vor allem seine Partnerin Jan die Wände rauf und runter katapultierte, sehnte Rachel kopflos herbei. Bereits eine halbe Stunde vor der Besprechung zappelte er, der sonst regelmäßig zu spät kam, wie ein Erstklässler bei der Einschulung auf seinem Stuhl herum.

Ich schnappte ihn mir. „John, möchtest du einen kostenlosen Tipp, wie du Rachel beeindrucken kannst?“

Seine Augen leuchteten fiebrig. „Das wäre?“

„Cool einen absolut perfekten Job hinlegen.“

„Sehr witzig, Lilia.“

„Ich meine es ernst. Rachel ist wissbegierig, sie steht aufs Dazulernen.“

„Eine Streberin“, schlussfolgerte er entgeistert.

„Sie nutzt ihren Kopf einfach zu dem Zweck, für den die Evolution ihn vorgesehen hat.“

John ließ seinen Kopf theatralisch auf die Tischplatte sacken. „Frauen sind echt anstrengend“, mokierte er sich.

Soweit emotional abgekühlt, verringerte sich die Gefahr, gleich am ersten Tag bei Rachel blamabel aufzuschlagen. Den Rest musste der Kerl schon selbst managen.

Hintendrein knöpfte ich mir Katja in ihrem Büro vor. Sie lebte zwar seit Kurzem vereint mit ihrem Liebsten Konny, vernachlässigte darüber aber uncool ihren Chefjob. Drastisch formuliert, folgte auf das stampfende Arbeitspferd eine außersphärische Schwebekür der Glückseligen.

Katja saß verträumt hinter ihrem Schreibtisch. Eine Hand stand mitsamt Kaffeetasse reglos in der Luft.

„Darf ich dich auf Wolke 7 kurz stören?“

„Aber nicht so laut, bitte.“

„Funkspruch von Lilia an die Chefermittlerin: SOS im Teambereich.“

Erschreckt knallte sie ihre Tasse auf den Tisch. „Was jetzt?“

„Genau, beam dich schleunigst hinunter in die Wirren des Alltags. Erstens: Wo bleibt der Ersatz für Axel?“

„Der fängt erst morgen an, muss wohl wegen vergessener Übergabe nachsitzen.“

„Zweitens, genehmige Jan und Thomas schnellstmöglich Urlaub.“

„Stopp mal, das ist momentan wirklich total ausgeschlossen.“

Mit dem Arm wedelte ich ihren Einwand weg. „Das Team muss ohnehin neu aufgeteilt werden, Rachel kommt zu mir und Amelie zu John.“

„Du hast doch alles schön im Griff, also lass mich noch ein paar Minuten weiterträumen.“

Mit ausgestrecktem Zeigefinger wild vor ihrer Nase herumfuchtelnd, polterte ich: „Das Team erhält übermorgen ungebetenen Besuch, genehmigt von ganz oben. Wir reden beim Abendessen darüber.“

„Schei…!“

„Erfasst!“

Im Laufe der Monate wanderten die Erfolgsstories des Teams bis hinauf in die Politik. Begleitet von schmetternden Brusttönen, verbreiteten imaginäre Lorbeerkränze sowohl den Radius der Krönungsbalz, als auch den des Neidfunks. Böse Zungen unterstellten dem Berliner Innensenator geschönte Statistiken. Gewitztere Naturen versuchten Spione ins Kommissariat einzuschleusen. Die Sternelben warnten mich vor letzteren frühzeitig. Allein, mit dem versetzten Schock hoffte ich Katja wieder in die Spur eigener Denkvorgänge zu befördern. Denn ihre bequeme Abhängigkeit von mir barg immense Gefahren.

Etliches wäre denkbar gewesen, nur nicht, dass Rachel mir gegenüber Schüchternheit an den Tag legte. Nach der morgendlichen Teambesprechung mit ihr allein im Sitzungsraum, beabsichtigte ich einen Crashkurs.

„Rachel, welche Schlüsse hast du aus deinem Besuch bei uns im Dezember gezogen?“

„Alles hier hängt an dir, sonst wäre an dem Team kaum etwas Besonderes. Aber was du bist, darauf fand ich keine Antwort.“

„Hast du darüber spekuliert?“

„Na ja, schon.“ Es war ihr peinlich zu sagen, vielleicht sei ich eine Hellseherin, zumal sie selbst dies für die falsche Lösung hielt. Rachel rang sich durch und schoss ihre Alternativlösung ab: „Also ehrlich, die Geschichten vom Racheengel klingen eher weniger menschlich.“