Handbuch der Interpersonellen Neurobiologie

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Das Dreieck des Wohlbefindens

Worum geht es?

Das Dreieck des Wohlbefindens* steht als Metapher dafür, dass der Geist*, das Gehirn* und die Beziehungen* allesamt Teil eines Ganzen sind (s. Abb. E). Aber wie sind sie miteinander verbunden? Sind es lediglich drei getrennte Bereiche der Wirklichkeit – oder stellen sie eine Wirklichkeit dar, die mindestens drei Aspekte hat? Wir können uns das Dreieck als eine metaphorische Landkarte vorstellen, ein visuelles Bild, das eine Wirklichkeit mit mindestens drei wechselseitig abhängigen* Facetten symbolisiert. Dieses Dreieck repräsentiert den Prozess*, durch den Energie und Information fließen*, und wie sich dieser Fluss im Verlauf der Zeit verändert. Beziehungen sind das miteinander Verbinden in diesem Fluss*. Das Gehirn ist der Begriff, der das erweiterte Nervensystem* bezeichnet, das im ganzen Körper verteilt ist. Es wirkt als der verkörperte* Mechanismus dieses Flusses. Und was ist der Geist? Wir schlagen vor, dass der Geist ein emergenter Prozess* ist, der innerhalb der Menschen und zwischen ihnen aus dem System* des Energie- und Informationsflusses entsteht. Ein Aspekt des Geistes wird als Selbstorganisation* bezeichnet, es ist ein emergenter Prozess, der die Grundlage seiner Entstehung reguliert*. Wir sehen, dass der Geist aus der Bewegung von Energie* in dem System entsteht, das aus dem Körper und unseren Beziehungen gebildet wird. Es entsteht ein emergenter selbstorganisierender Prozess, der den Energie- und Informationsfluss reguliert. Der Geist ist neben anderen Merkmalen der regulative Prozess, der den Energie- und Informationsfluss in und zwischen Menschen formt.

Hier eine kurze Beschreibung des Dreiecks: Regulation (Geist) besteht aus dem Beobachten und der Modifizierung des Energie- und Informationsflusses. Austausch (Beziehung) ist das Teilen von Energie und Information zwischen zwei oder mehr Menschen. Der Mechanismus (Gehirn) ist das strukturelle Mittel, durch den der Energie- und Informationsfluss im Körper entsteht. Das Dreieck stellt ein System dar, das System des Energie- und Informationsflusses, während es sich durch die Mechanismen des Körpers (Gehirn) bewegt, ausgetauscht (Beziehungen) und reguliert wird (Geist). Dadurch werden die drei Aspekte nicht voneinander getrennt, sondern stattdessen sind der Geist, das Gehirn und die Beziehungen drei Aspekte einer Wirklichkeit – dem System des Energie- und Informationsflusses.

Manchmal haben Wissenschaftler Bedenken dazu geäußert, dass dieses Modell die Elemente auf eine Weise trennt, die nicht hilfreich ist. Als Antwort auf derartige Überlegungen ist es wichtig darauf hinzuweisen, dass die Metapher des Dreiecks in der Tat das Gegenteil meint. Es gibt in Hinblick darauf eine Wirklichkeit mit drei Facetten – nicht drei unterschiedliche Bereiche mit getrennten Realitäten. Eine Münze hat zwei Seiten und eine Kante, aber wir sehen das Ganze der Münze, indem wir die differenzierten* Teile akzeptieren. Wenn das Ganze als Energie- und Informationsfluss gesehen wird – eine Sichtweise, die für viele Menschen neu ist –, dann zeigt sich die wechselseitig verbundene Natur des Gehirns, der Beziehungen und des Geistes als ein zusammenhängender Bezugsrahmen.

Dies ist also ein Dreieck, das den Energie- und Informationsfluss darstellt. Die Pfeile der Beeinflussung, die man auf diesem Dreieck einzeichnen kann, weisen in alle Richtungen: der Geist wird sowohl von den Beziehungen als auch vom Gehirn beeinflusst; Beziehungen werden vom Geist und vom Gehirn beeinflusst; das Gehirn wird vom Geist und den Beziehungen beeinflusst. Bitte beachten Sie, dass dieses Dreieck aus der Perspektive der Interpersonellen Neurobiologie* unsere Grundlage der Wirklichkeit umfasst – den Ausgangspunkt, um tief in die Natur der subjektiven und objektiven Aspekte unseres Lebens einzutauchen. Wir sind der Ansicht, dass der emergente Prozess des Geistes in das Dreieck eingebettet ist und sich diese drei Elemente des Energie- und Informationsflusses nicht voneinander trennen lassen: Es sind drei Facetten einer Wirklichkeit. Das ist kein Dualismus (oder „Trioismus“). Es ist vielmehr ein „Monismus“, weil wir eine Wirklichkeit sehen, die sich aus den Mustern des Energie- und Informationsflusses bildet. Die drei Prime* der Erfahrung – die irreduziblen Aspekte des Systems – sind der Geist, das Gehirn und die Beziehungen. Es hat keinen Sinn, dieses Dreieck noch vereinfachen zu wollen, so wie wir auch die zwei Seiten einer Münze nicht auf einer Seite reduzieren können; die Münze hat einfach zwei Seiten und einer Kante. Und so erkennen wir auch in unserem Fall die drei Aspekte der Wirklichkeit an: verkörperte Mechanismen, interpersonellen Austausch und Regulation.

Nun können wir aufbauend auf dem grundlegenden Dreieck der menschlichen Erfahrung ein Dreieck des Wohlbefindens konzipieren. Zu diesem Zwecke müssen wir uns unweigerlich ein paar wichtige Fragen stellen: Was ist ein gesunder* Geist? Was ist ein gesundes Gehirn? Und was sind gesunde Beziehungen? Aus der Sicht der Interpersonellen Neurobiologie ist Integration* das Merkmal guter Gesundheit. Integration ist die Verknüpfung* differenzierter Elemente. Ein gesunder Geist, ein gesundes Gehirn und gesunde Beziehungen entstehen aus Integration. Die strukturellen Verbindungen von differenzierten Bereichen im Körper ermöglichen eine flexible und adaptive Regulation. Ein gut reguliertes Gehirn koordiniert und balanciert seine Funktionen durch Integration. Die funktionale Verbindung unterschiedlicher Individuen miteinander erlaubt eine mitfühlende* und empathische* Kommunikation, wodurch erfüllende Beziehungen entstehen können. Gesunde Beziehungen entfalten sich durch integrative Kommunikation*, in der Unterschiede gewürdigt werden und eine mitfühlende Verbindung gebildet wird. Ein kohärentes* inneres mentales Leben entsteht aus einer solchen verkörperten und relationalen* Integration. Ein integrierter Geist ist ein resilienter und gesunder Geist. Und so können wir sagen, dass Gesundheit aus der Interaktion im Dreieck entsteht. Wir können es auch anders beschreiben: Gesundheit entsteht aus einem ausgeglichenen, koordinierten Gehirn, empathischen und verbundenen Beziehungen und einem kohärenten und resilienten Geist.

Implikationen: Was bedeutet das Dreieck des Wohlbefindens für unser Leben?

Das Dreieck des Wohlbefindens verändert unsere Herangehensweise an die Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse. Obwohl dies nicht der Ansatz der etablierten Wissenschaft ist, können wir in der Interpersonellen Neurobiologie diese Perspektive der Integration verwenden, um unser Verständnis vom Energie- und Informationsfluss durch das Gehirn (wie er sich in den vielen Gehirn-Scans zeigt) umzuformulieren. Wir können das Forschungsgebiet der mentalen Störungen neu interpretieren (das häufig als „mentale oder psychische Gesundheit“ beschrieben wird, obwohl meist weder das Mentale noch die Gesundheit definiert wird). Wir können auch einen neuen Zugang zu unserem Verständnis relationaler Erfahrungen in Familien, Paaren, im Klassenraum oder in Unternehmen finden. Integration wird zu unserem Bezugssystem, und der Energie- und Informationsfluss steht für uns im Mittelpunkt.

Integration schafft Harmonie. Eine beeinträchtigte Integration führt zu Chaos* und/oder Erstarrung*. Wenn das Gehirn oder die Beziehungen nicht integriert sind, bewegen sie sich außerhalb des Flusses der Integration* und steuern auf das Chaos und die Erstarrung zu (s. Abb. K). Der Fluss ist eine optische Darstellung der mittleren Strömung von Harmonie, die auf der einen Seite vom Chaos und auf der anderen Seite von der Erstarrung begrenzt wird. Eine tiefgründige Implikation dieser Erkenntnisse ist ein neues Verstehen des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM), das als „Bibel“ der psychiatrischen Fachliteratur gilt. Wenn dieses wichtige Handbuch aus der Perspektive der Interpersonellen Neurobiologie betrachtet wird, dann sehen wir in jedem Symptom jeder Erkrankung, die in diesem Text beschrieben wird, ein Beispiel für Chaos oder Erstarrung, das aus ungenügender Integration entsteht. Eine solche Sichtweise wird durch eine Reihe neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse unterstützt, die besagen, dass wesentliche psychiatrische Störungen, wie manisch-depressive Erkrankungen, Schizophrenie, Autismus ebenso wie entwicklungsbedingte Traumata* und Vernachlässigung* scheinbar mit Beeinträchtigungen der neuronalen Integration* einhergehen.

Wir haben eine aufregende neue Ausgangslage, von der aus wir kreative* Wege finden können, wie wir Gesundheit in unserem Leben unterstützen können: Neben der soeben beschriebenen Perspektive der Integration und Gesundheit stehen uns die neuen spannenden Erkenntnisse über die Wirkung der Neuroplastizität* zur Verfügung, durch die wir im Laufe des Lebens die strukturellen Verbindungen im Gehirn verändern können. Der Auffassung nach ist die Integration im Herzen der Gesundheit anzusiedeln: Wir können uns gegenseitig darin bestärken, neue und effektive Ansätze zu finden, um in unseren Beziehungen, im Gehirn und im Geist Wohlbefinden zu fördern.

Das Dreieck des Wohlbefindens setzt den Geist, das Gehirn und die Beziehungen in ein Bezugssystem, das ihre wechselseitig verbundenen Eigenschaften aufzeigt. Dadurch werden wir bestärkt, eine ganze Spannbreite akademischer Forschungen und praktischer Anwendungen zusammenzubringen, wodurch diese drei Facetten unseres menschlichen Lebens vollkommen integriert werden. Das Dreieck zeigt drei, einander gegenseitig beeinflussende Facetten einer Wirklichkeit.

 

In der Interpersonellen Neurobiologie gibt es in therapeutischen Settings einen Ansatz, der Chaos und Erstarrung als beeinträchtigte Integration im Gehirn und in den Beziehungen versteht. Integration erfordert die Verknüpfung differenzierter Elemente eines Systems – eine beinträchtigte Integration kann also daher stammen, dass ein Aspekt oder beide Aspekte (Differenzierung und Verknüpfung) nicht gut entwickelt sind. Verschiedene Integrationsbereiche* können dann geprüft werden, um zu sehen, ob die Verknüpfung und Differenzierung in diesem Bereich des Lebens nicht gut entwickelt sind. Daraufhin lassen sich klinische Interventionen entwickeln, die auf die Entwicklung dieser Funktionen im Leben von Individuen oder Familien abzielen.

Die Interpersonelle Neurobiologie beginnt dann mit der Grundlage der Gesundheit: Wir haben alle einen natürlichen Drang nach Integration. Die Hindernisse bei der Integration können eine Kombination aus genetischen, erfahrungsbezogenen oder zufälligen Faktoren sein. Ohne sich auf die Pathologie zu fokussieren, erkennt diese Herangehensweise das jedem Menschen innewohnende Potential an, sich selbst zu „heilen“ und „ganz“ zu werden, indem Blockaden im Bereich seiner Fähigkeit, das Gehirn und die Beziehungen zu integrieren, aufgelöst werden. Die Rolle des Klinikers, Lehrers oder der Eltern besteht also darin, die Entdeckung dieses Potentials für Integration, das in jedem von uns vorhanden ist, zu unterstützen. So können wir zum Erwachen des Geistes beitragen, um im Leben eines Menschen Gesundheit zu fördern.

Die Anwendung des Dreiecks im Alltag versetzt uns in die Lage zu erkennen, dass unser Geist nicht nur aus neuronalen Mechanismen entsteht, sondern auch aus den Beziehungen, die wir mit anderen Menschen und mit unserem Planeten entwickeln. Das bedeutet, dass wir unseren Geist nicht „besitzen“, sondern eher ein erweitertes Gefühl von Identität haben, das über die Grenze unserer Haut hinausgeht – über eine Definition eines „Selbst*“ hinaus, das sich nur auf unsere körperliche Hülle beschränkt. Wenn man Studien zu Glück, Gesundheit, Langlebigkeit und sogar Weisheit* betrachtet, ist eines der Schlüsselmerkmale, das von allen geteilt wird, Beziehung. Wir können sehen, dass das Dreieck den Beziehungen bei der Formung des Geistes eine ebenso wichtige Rolle einräumt wie den verkörperten Mechanismen des Gehirns. Wenn die Beziehungen integriert sind, entfaltet sich der Geist eines Menschen und der Einzelne ist gesünder, glücklicher, weiser und lebt länger. Nicht schlecht für die Spitze eines Dreiecks!

Im Herzen des Dreiecks des Wohlbefindens liegt eine vollkommen integrierte Sicht des Energie- und Informationsflusses: die Art und Weise, wie er in Beziehungen geteilt wird, sich durch die verkörperten Mechanismen des Gehirns bewegt und durch den verkörperten und relationalen Prozess des Geistes, dessen Merkmale Selbstorganisation und Emergenz sind, reguliert wird. All dies kann in einem Diagramm gefunden werden: Wir können sozusagen unsere wissenschaftlichen Hüte an die integrierte Natur der wechselseitig verbundenen Punkte des Dreiecks hängen.

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Gewahrsein

Worum geht es?

Gewahrsein* ist ein grundlegender Aspekt der mentalen Erfahrung, durch den wir das Gefühl haben, etwas zu wissen oder uns einer Sache bewusst zu sein. Es gibt verschiedene Facetten des Gewahrseins, einschließlich der subjektiven Qualität der Phänomene, derer wir uns gewahr sind, was manchmal auch als „Qualia“ von etwas bezeichnet wird, wie der Duft einer Rose oder die rote Farbe der Blütenblätter. Wir kennen auch die Erfahrung des Wissens, das Gefühl, dass wir uns einer Sache gewahr sind, das im „Scheinwerferlicht“ unserer Aufmerksamkeit* erscheint. Sie wissen jetzt in diesem Augenblick, dass Sie DIESES Wort lesen, DIESES. Hinzukommt das Objekt, dessen wir uns gewahr sind, der Gegenstand unserer Aufmerksamkeit – in Bezug auf den wir nun ein Empfinden des Wissens, des Sehens, des Gewahrseins haben: unser Empfinden des „Gewussten“. Dies geschieht, wenn wir wissen, dass wir eine Rose riechen; wenn wir wissen, dass wir ihre Blätter berühren, ihren Stiel halten, ihn in die Hände eines geliebten Menschen legen. Und wir wissen aus dem Lächeln des anderen Menschen, dass die daraus resultierenden Tränen, die Umarmung und die Verbundenheit real sind. Gewahrsein ist ein Prozess*, der mindestens drei Aspekte umfasst: ein subjektives Gefühl, ein Wissen und etwas Gewusstes.

Die Begriffe Gewahrsein und Bewusstsein* werden von vielen Menschen als gleichbedeutend angesehen. Manchmal erweitern Menschen den persönlichen des Wortes Bewusstsein, um einen umfassenderen, gemeinsamen Prozess. Aber selbst bei einer so erweiterten Anwendung kann der Begriff Bewusstsein immer noch als eine Form des geteilten Gewahrseins gesehen werden – etwas, das im Geist* vieler Menschen aktiv ist, ein kulturelles Gewahrsein, ein „kollektives Bewusstsein“. Wenn wir erkennen, dass das Bewusstsein Entscheidung und Veränderung erlaubt, dann kann dieses geteilte Gewahrsein im Zentrum großer Wandlungen in der menschlichen Kultur* stehen. Die direkte Erfahrung eines geteilten Gewahrseins kann konkrete Wirkungen auf Beziehungen* und das Gehirn* haben, wir müssen es nicht durch irgendeine mysteriöse metaphysische Beeinflussung erklären. Auf diese Weise kann die kulturelle Evolution durch einen Wandel im geteilten Gewahrsein entstehen, die in den sehr wichtigen aber oft subtilen Mustern der interpersonellen Kommunikation vermittelt werden, welche ein grundlegender Teil unseres sozial eingebetteten und wechselseitig verbundenen mentalen Lebens sind.

Gewahrsein und Bewusstsein sind für eine ganze Reihe von Akademikern von großem Interesse, von Neurowissenschaftlern bis hin zu Philosophen, und sie sind ein Thema in der Literatur und Poesie. Die Erfahrung von Musik und Tanz bringt die rhythmische Bewegung des Körpers in Einklang mit unserem inneren subjektiven Gewahrsein. Die grundlegende Natur unserer Beziehungen wird durch das Gewahrsein geformt: Wenn wir mit einem anderen Menschen etwas im Gewahrsein teilen, dann verändert es die Natur dieser Erfahrung. Es verändert auch den Fluss* der Informationsverarbeitung* und erzeugt die Nähe, die wir mit einem anderen Menschen spüren.

Implikationen: Was bedeutet Gewahrsein für unser Leben?

Gewahrsein versetzt uns in die Lage, eine Entscheidung zu treffen und es befähigt uns dazu, von einem automatischen Modus* des Seins zu einer aktiven Interaktion mit dem Leben zu wechseln. Aus einer relationalen* Perspektive können wir durch das Gewahrsein die Entwicklung unserer Interaktionen transformieren. Dies wird möglich, weil neue Modi des Energie- und Informationsaustauschs angenommen werden, die alte eingeprägte Muster verändern. Im Gehirn erlaubt die Erfahrung des Gewahrseins, dass sich der Energie- und Informationsfluss* in neuer Weise durch das Nervensystem* bewegen kann. Dadurch können sich beispielsweise nicht-integrierte Zustände* in Richtung integrierter* Zustände verändern. Aus diesem Grund ist es nicht überraschend, dass jede Form der Psychotherapie im Kern auch Gewahrsein beinhaltet.

Die neuronalen Korrelate des Bewusstseins zeigen, welche Bereiche des Gehirns während der subjektiven Erfahrung* von Gewahrsein aktiviert sind. Diese Idee der Korrelation, der vorübergehenden Verbindung, ist ein wichtiges Konzept, weil wir die Verbindung zwischen der Aktivität des Gehirns und dem mentalen Gewahrsein – genaugenommen jedem mentalen Phänomen – nicht wirklich kennen. Eine Neuronale Korrelation ist eine wissenschaftliche Beschreibung davon, wie die Hirnaktivität gleichzeitig mit der subjektiven mentalen Erfahrung des Denkens, der Wahrnehmung oder des Gewahrseins von etwas zu entstehen scheint. Auf diese Weise können wir sagen, dass eine Reihe von neuronalen Regionen aktiv zu werden scheinen, wenn das Bewusstsein entsteht. Der Hirnstamm* hilft bei der Regulierung* der Zustände des Wachbewusstseins. Der limbische* Bereich und der damit verbundene vordere cinguläre Cortex* hilft uns, Ereignisse zu bewerten und unsere Aufmerksamkeit auszurichten, indem er ein Signal aussendet, dass in Worte gefasst ungefähr so lauten würde: „Pass jetzt auf!“ Der Cortex* fungiert als Mechanismus zur Filterung unserer Wahrnehmung*, er formt die Natur dessen, wessen wir uns gewahr werden. Dabei werden diese Wahrnehmungen mit früheren Erfahrungen ähnlicher Ereignisse und Objekte und dem fortwährenden sensorischen Erleben im Hier und Jetzt verglichen. So trifft der Top-down*-Fluss aus der Vergangenheit auf den Bottom-up*-Fluss des fortwährenden sensorischen Stroms von Energie und Information. Dieses Zusammentreffen des Top-down-Modus mit dem Bottom-up-Modus kann unmittelbar beeinflussen, welcher mentalen Aktivitäten wir uns im gegenwärtigen Moment gewahr sind (s. Abb. G). Der präfrontale Cortex*, insbesondere die dorsolaterale präfrontale Region an den Seiten, spielt eine wichtige Rolle, wenn wir in unserem Arbeitsgedächtnis etwas auf die Tafel schreiben, damit es im kurzfristigen, vorübergehenden Speicher* der Erinnerungen* aufbewahrt wird. So scheinen wir etwas in unseren Gedanken halten zu können, damit wir im Gewahrsein – im Arbeitsgedächtnis – darüber reflektieren können. Wir sind auch in der Lage diesen Inhalt unseres Gewahrseins zu manipulieren und die Ergebnisse solch einer verfeinerten Informationsverarbeitung zu codieren*, damit wir sie speichern können und so in der Zukunft verfügbar haben.

Wir können den Menschen beibringen, Formen des Gewahrseins zu entwickeln, die sie darin bestärken, Integration in ihrem Leben zu schaffen. Das bedeutet, dass Gewahrsein das Tor ist, um die Differenzierung* anderer zu fördern und zu respektieren. Darüber hinaus können wir durch mitfühlende* und empathische* Kommunikation Verknüpfungen* kultivieren, die den Kern lebendiger Beziehungen bilden. Der Ansatz der Interpersonellen Neurobiologie sieht das Gewahrsein als Tor zur Veränderung, weil es die Möglichkeit eröffnet, den Energie- und Informationsfluss in neuer und integrativer Weise zu kanalisieren. Das Gewahrsein und das Wissen über das Gehirn können kraftvolle Elemente sein, um die Verknüpfung unterschiedlicher Aspekte des Nervensystems zu fördern. Auf diese Weise kann der Geist durch den bestärkenden Prozess des Gewahrseins in seinen beiden Aspekten – dem Gehirn und den Beziehungen – den Energie- und Informationsfluss regulieren.

Obwohl wir nicht genau wissen, was Gewahrsein „ist“, so wissen wir doch, dass Gewahrsein ein aktiver Bestandteil jeder Form von Pädagogik und Psychotherapie ist. Mithilfe des Gewahrseins wird die explizite Erinnerung* als eine flexiblere und adaptive Form des Top-down-Lernens angewendet. Durch das Gewahrsein können Narrative* entstehen, durch die wir ansonsten verwirrenden Erfahrungen einen Sinn geben* können. Wenn Eltern ihren Kinder bei der Ko-Konstruktion ihrer Lebensgeschichten mit Gewahrsein begegnen, ermöglichen sie den Kindern, ihren Erfahrungen einen Sinn zu geben und die Tore zu bleibender Veränderung zu öffnen. Gewahrsein ist vermutlich grundlegend für das Wohlbefinden, und es ist ein Mittel des Geistes, das die Bewegung unserer Beziehungen und unseres Gehirns in Richtung Integration leitet.