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Den Geist auf das Bewusstseinsrad vorbereiten:

Fokussierte Aufmerksamkeit

Indem Sie sich darauf vorbereiten, das Rad direkt zu erfahren, lassen Sie uns nun einige Grundübungen und Ideen erkunden, die Ihnen helfen werden, Ihren Geist für das Kommende zu wappnen. Wie ich erwähnt habe, werden Sie in der Praxis des Rads Grundfertigkeiten erlernen, die Sie befähigen, das Bewusstsein zu integrieren und Ihren Geist zu stärken. Integration ist die Verknüpfung verschiedener Elemente – und das Rad unterstützt diese Integration. Durch die Praxis werden Sie nicht nur Ihre Aufmerksamkeitsfähigkeit trainieren, sondern auch Ihre Erfahrung des Bewusstseins und des Geistes selbst bereichern.

Den regulatorischen Aspekt des Geistes entwickeln

Einen Aspekt des Geistes kann man als regulatorischen Prozess betrachten, der damit beschäftigt ist zu bestimmen, wie Energie und Informationen in unserem Leben fließen. Ein sich entfaltender Prozess ist am besten mit einem Verb zu beschreiben, daher gleicht der Geist auch eher einem Verb als einem Substantiv. Regulation bedeutet zweierlei: beobachten und verändern. Eine den Geist stärkende Praxis wie die Übung mit dem Bewusstseinsrad befähigt Sie dazu, den regulatorischen Aspekt Ihres Geistes zu entwickeln und besser darin zu werden, sein Funktionieren zu optimieren. Bevor wir das Rad im nächsten Abschnitt ausprobieren, werden wir hier damit beginnen, die Beobachtungsfunktion des Geistes zu stabilisieren, indem wir die fokussierte Aufmerksamkeit trainieren – die erste Säule des Geistestrainings.

Wenn Sie Fahrrad fahren, schauen Sie auf Ihren Weg, spüren das Gleichgewicht des Fahrrads und hören auf den herannahenden Verkehr. Indem Sie schauen, spüren und hören, nehmen Sie die verschiedenen Formen der Energie wahr. All das ist Beobachten. Und dann verändern Sie zugleich, indem Sie die Pedale treten, lenken und bremsen. Indem Sie die Position und Bewegung des Fahrrads modifizieren, verändern Sie den Energiefluss, die Bewegung des Fahrrads im Raum. Um sicher und gut Fahrrad zu fahren, schärfen Sie diese Beobachtungs- und Verändungsfertigkeiten. Genauso, wie Sie diese beim Fahrradfahren trainieren, können Sie auch einen stärkeren Geist kultivieren, indem Sie üben, wie Sie den Energie- und Informationsfluss modifizieren – die Essenz des Systems »Geist«.


Eine Möglichkeit, die Beobachtung des Energieflusses zu üben, besteht darin, die Linse zu stabilisieren, durch die wir diesen wahrnehmen. Also durch eine Praxis, die uns lehrt, wie wir die Aufmerksamkeit stabilisieren, durch Übungen, mithilfe derer wir die Aufmerksamkeit wie den Strahl einer Taschenlampe auf einen ausgewählten Fokus richten. Ein sehr nützlicher Fokus für diese Praxis, die man in vielen Kulturen weltweit findet, ist der Atem. Wenn wir eine einfache Atemübung durchführen, stärken wir die Beobachtungsfähigkeit des Geistes, sodass wir die Aufmerksamkeit stabilisieren. Mithilfe der Erweiterung der verfeinerten Übung mit dem Rad selbst werden wir, wie wir bald sehen werden, diese Stabilisierung der Aufmerksamkeit fördern und dann auch weitere Aspekte der Stärkung hinzufügen, sowohl im Hinblick auf die Beobachtung als auch auf die Veränderung dieses Energieflusses.

Sie lernen also gerade, wie Sie das Beobachten stabilisieren, sodass Sie den Energie- und Informationsfluss fokussierter, tiefer, klarer und detaillierter wahrnehmen können. Sobald es Ihnen gelingt, die Beobachtungsfunktion des Geistes zu stabilisieren, können Sie lernen, die Dinge in Richtung Integration zu verändern.

Einige Starthinweise

Bevor wir unsere Übung mit dem Rad im nächsten Abschnitt durchführen, ist es wichtig, bereits Erfahrung damit zu haben, die Aufmerksamkeit zu stabilisieren. Wenn Sie viele Übungen innerer Einkehr oder »Meditationsübungen« gemacht haben – ein Begriff, der eigentlich ein Geistestraining meint –, dann haben Sie wahrscheinlich einige Erfahrung mit Atemmeditation, und viele entscheiden sich dafür, diesen ersten Abschnitt zu überspringen und direkt zur Übung mit dem Rad im nächsten Kapitel überzugehen. Doch wenn Sie noch keine Erfahrung haben, dann kann eine Atemübung zur Stabilisierung der Aufmerksamkeit nützlich sein. In unserem Mindful Awareness Research Center an der UCLA bestand beispielsweise unsere erste Studie einer MAP (einer mindful awareness practice) darin, zu erforschen, wie eine Achtsamkeitspraxis mit dem Atem als Fokus Erwachsene und Jugendliche unterstützen könnte, die Schwierigkeiten haben, ihre Aufmerksamkeit zu fokussieren und aufrechtzuerhalten. Unsere Pilotstudie zeigte, dass die Teilnehmer durch ihre Achtsamkeitspraxis größere Fortschritte erzielten als die, die Medikamente gegen Aufmerksamkeitsdefizite bekamen (siehe Lidia Zylowskas Zusammenfassung der Arbeit in The Mindful Prescription for Adult ADHS.)

Hier finden Sie ein paar Ideen zu Beginn.

Erstens: Versuchen Sie, wach zu bleiben. Wenn Sie innere Einkehr halten, indem Sie sich etwa auf den Atem als Körperempfindung fokussieren, lassen Sie die auf die Außenwelt gerichtete Aufmerksamkeit los. Für manche ist der innere Fokus so verschieden von einem äußeren Fokus, dass er sich ungewohnt, schwierig oder sogar unangenehm anfühlen kann. Einige Menschen finden diesen inneren Fokus fade und langweilig. In dieser Situation besteht die Tendenz, ihn zu verlieren, weniger wachsam zu sein, schläfrig zu werden und sogar einzuschlafen. Obwohl der Schlaf vielleicht eine der unterschätztesten menschlichen Aktivitäten ist, könnten Sie versuchen, wach zu bleiben für die Praxis, um ihre Vorteile zu erfahren. Wach zu bleiben ist in der Tat ein Teil des Lernprozesses, um den Aufmerksamkeitsfokus des Geistes zu stärken, indem Sie bemerken, wenn Sie müde werden, und sich dann selbst aufwecken. Ihren Zustand der Wachsamkeit zu beobachten gehört dazu, wenn Sie Ihren Energie- und Informationsfluss im Blick haben.

Wenn Sie beispielsweise Ihre Augen geschlossen halten, könnten Sie überlegen, sie ein wenig zu öffnen, um etwas Licht hereinzulassen und Ihr Gehirn zu stimulieren. Sie können diese ganze Übung mit geöffneten Augen durchführen. Wenn das nicht funktioniert, um sich wach zu halten, versuchen Sie, sich aufzusetzen, wenn Sie liegen. Wenn Sie sitzen, können Sie versuchen zu stehen, und wenn Sie stehen, versuchen Sie herumzugehen. Sie können etwas tun, um den Energiefluss zu verändern und den Geist zu beleben, um die Aufmerksamkeit zu stabilisieren. Der Schlüssel besteht darin, Ihren eigenen Zustand der Energie und der Wachheit kennenzulernen und dann etwas dagegen zu tun. Wenn Sie zu müde sind, ist es manchmal besser, die Übung der inneren Einkehr zunächst absichtlich sein zu lassen und ein wenig zu schlafen.

Zweitens: Wenn Sie die Übung in einer Gruppe praktizieren, kann es hilfreich sein, eine Absprache darüber zu treffen, dass die Gruppenmitglieder die Erlaubnis haben, falls jemand tatsächlich einschläft und zu schnarchen beginnt, dieses Mitgefühl aufzuwecken. Es ist wirklich schwer für andere, einen Schnarcher zu ignorieren. Es ist besser, sich vorzeitig darüber zu einigen und zu erlauben, dass der Schläfer respektvoll und sanft geweckt wird.

Drittens: Es gibt einen Unterschied zwischen Entspannung und Meditation. Entspannungstechniken sind großartig, um ruhig zu werden, aber es hat sich herausgestellt, dass sie sich von den Effekten einer meditativen Achtsamkeitspraxis unterscheiden. Es kann sein, dass Sie sich entspannen, wenn Sie diese Atemübung durchführen, oder später die Übung mit dem Rad, genauso ist es möglich, dass Sie sich überhaupt nicht entspannt fühlen werden, und das ist vollkommen in Ordnung so. Meditation ist nicht das Gleiche wie Entspannung – weder im Tun noch in der Wirkung. Meditieren ähnelt mehr Stabil- und Klarwerden, selbst angesichts von viel Chaos um Sie herum – oder in Ihnen. Beim Zustand achtsamen Gewahrseins geht es darum, mit Beständigkeit, alles, was auftaucht, wahrzunehmen. Das ist empfängliches Gewahrsein, das wir Präsenz nennen.

Viertens: Es gibt einen Unterschied zwischen beobachten und fühlen. Wenn wir das Gewahrsein für eine Empfindung öffnen, wie etwa den Atem, werden wir zu einem Kanal, durch den wir etwas in unser Gewahrsein fließen lassen; beispielsweise die Empfindung des Atems an den Nasenlöchern. Die Aufmerksamkeit gleicht hier mehr einem Schlauch, der das Wasser durchlaufen lässt, anstatt das Wasser gefrieren zu lassen und dann aus den Eisblöcken ein Iglu zu bauen. Wenn wir etwas beobachten, gibt es da eine Qualität, die uns eher zu einem Zeugen macht, der eine Wahrnehmung konstruiert, als zu einem Kanal, der einen Strom ausrichtet. Und wenn wir, wie wir noch sehen werden, anfangen, aus dieser beobachtenden Haltung heraus Zeuge zu sein und zu berichten, konstruieren wir eine Geschichte über etwas – wie den Atem –, anstatt einfach den Fluss dieses sensorischen Stroms zu fühlen. Wenn der Energiefluss einer Seifenlauge gleicht, dann ist der Geist wie der Ring, der daraus Blasen entstehen lassen kann oder sie zu Symbolen formt.

Eine Beobachtung ist ein Eingangstor, um Zeuge zu sein und dann von einer Erfahrung zu erzählen. Falls Sie wie ich Akronyme mögen, ist dies die Art und Weise, wie Sie eine Erfahrung machen: beobachten, Zeuge sein und erzählen. (Im Englischen handelt es sich um das nicht ins Deutsche übertragebare Akronym »OWN« = »observe, witness, narrate«, A.d.Ü.). Dies sind alles Formen der Konstruktion angesichts der Tatsache, dass es einen Beobachter, einen Zeugen und einen Erzähler gibt, wobei jeder in diesem Moment zu einer Erfahrung beiträgt. Diese Konstruktion kann sich gänzlich von dem gefühlten Fluss, ein Kanal der Erfahrung zu sein, unterscheiden, was wir als Konduition bezeichnen können (Der Neologismus »conduition« setzt sich aus den engl. Worten »conduit« = »Kanal« und »intuition« = »Intuition« zusammen, A.d.Ü.).

 

Der Schlüssel, mit dieser Atem-Gewahrseins-Übung zu beginnen, besteht darin, das Gefühl des Atems in den Fokus der Aufmerksamkeit zu nehmen und es das Gewahrsein ausfüllen zu lassen. Das unterscheidet sich gänzlich von der Einladung, den Atem zu beobachten oder ein Zeuge davon zu sein oder von der Erfahrung des Atems zu erzählen: »Ich atme jetzt.« Dies könnte sich vielleicht wie eine subtile Unterscheidung anhören, doch diese Unterscheidung zwischen Fühlen und Beobachten ist ein fundamentaler Teil dabei, wie Sie Ihre Erfahrung integrieren und den Geist stärken.

Fünftens: Seien Sie freundlich zu sich selbst. Dies mögen einfache Übungen sein, aber das macht sie noch nicht zu leichten. Innere Einkehr zu halten ist in vielerlei Hinsicht eine der größten Herausforderungen, vor die wir uns als Menschen gestellt sehen. Wie der französische Mathematiker Blaise Pascal sagte: »Das ganze Unglück der Menschen kommt daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer bleiben können.« In der Tat steht unsere Fähigkeit, Einkehr zu halten, im Zentrum emotionaler und sozialer Intelligenz – und viele Menschen haben sie nicht erlernt. Dies sind Werkzeuge, die Sie befähigen werden, Ihren Geist kennenzulernen und ihn mit dem inneren, mentalen Leben anderer zu verbinden.

Wir sind derart daran gewohnt, uns aufs Außen zu fokussieren, dass eine Übung der inneren Einkehr für viele Menschen neu ist. Lange ruhig zu sitzen ist für manche unerträglich. Wir lieben es, von äußeren Reizen abgelenkt zu werden oder zu reden und die Lücken der Stille in unserem Leben zu füllen. Und daher ist es sehr wichtig, sanft zu sich selbst zu sein und zu realisieren, dass ein Großteil Ihres Lebens auf die Außenwelt fokussiert und mit Inputs aus Ihrer Umwelt gefüllt gewesen sein könnte – von Menschen, technischen Spielereien und vielem anderen. Nun sind Sie dabei, Ihre Lebensreise zu bereichern, indem Sie lernen, über Ihr Innenleben zu reflektieren.

Es kann zunächst frustrierend sein, sich mit diesen Übungen der inneren Einkehr vertraut zu machen. Daher lade ich Sie nochmals dazu ein, freundlich zu sich selbst zu sein. Dies ist eine schwierige Arbeit, und es gibt keinen Weg, dies auf eine »perfekte« Art und Weise zu tun. Erinnern Sie sich daran, dass Ihr Geist seinen eigenen Kopf hat. Ein Teil Ihrer Aufgabe besteht darin, wahrzunehmen, dass Energie und Informationen einfach fließen. Manchmal können Sie sie gut ausrichten, indem Sie die Aufmerksamkeit steuern; manchmal führen sie einfach ein Eigenleben, da die Aufmerksamkeit auf die ein oder andere Art und Weise abgezogen wird. Offen zu sein für das, was auch immer geschehen mag, ist der erste Schritt. Freundlich zu sich selbst zu sein, während Sie dieser Anleitung folgen, wird dies unterstützen.

Zu lernen, unsere Aufmerksamkeit zu fokussieren, steht im Zentrum des Geistestrainings. Wie William James, der Vater der modernen Psychologie, einmal erklärte, erlaubt uns das Aufmerksamkeitstraining, ein Meister unserer selbst zu werden. Wie James schrieb: »Die Fähigkeit, die herumwandernde Aufmerksamkeit wieder und wieder willentlich zurückzuholen, ist die Grundlage von Urteilskraft, Charakter und Willenskraft. Niemand ist compos sui (Herr seiner selbst), wenn er sie nicht hat. Eine Erziehung, die diese Fähigkeit förderte, wäre eine Erziehung par excellence. Doch es ist leichter, dieses Ideal zu definieren, als praktische Instruktionen zu geben, um es zu realisieren.«1 James war sicherlich nicht vertraut mit der Meditationspraxis fokussierter Aufmerksamkeit, um die es im nächsten Abschnitt geht. In unserem Forschungszentrum zeigte eine Pilotstudie, dass eine solche grundlegende Meditation die Komponenten fokussierter Aufmerksamkeit stark verbessern und Menschen helfen kann, besser über ihr Leben zu bestimmen. Meditation ist Geistestraining in Aktion.

Eine Mindsight-Linse

Mindsight ist sowohl ein Begriff dafür, wie wir unseren eigenen Geist und den Geist anderer sehen, als auch für unsere Fähigkeit, unsere Verschiedenartigkeit wertzuschätzen, wenn wir uns miteinander verbinden. Dies heißt, dass es bei Mindsight um Einsicht, Empathie und Integration geht. Um den Energie- und Informationsfluss wahrzunehmen, können wir eine Mindsight-Beobachtungsfertigkeit nutzen – so etwas wie eine Linse, die diesen Fluss in unser Gewahrsein fokussiert, indem sie uns dazu befähigt, einen klaren Fokus beim Wahrnehmen unseres eigenen Geistes und den anderer zu erlangen.

Es ist hilfreich, dieses Bild der Mindsight-Linse im Gedächtnis zu behalten. Die drei Beine des Stativs, auf dem die Linse steht, sind: Offenheit, Beobachtung und Objektivität. Wenn Sie diese drei Fertigkeiten mit der Zeit durch Übung entwickeln, stabilisieren Sie Ihre Fähigkeit, deutlicher wahrzunehmen, was im Moment passiert.


Offen zu sein für alles, was auftaucht, heißt, Erwartungen loszulassen und empfänglicher zu sein für das, was tatsächlich im Moment auftritt, und es zu akzeptieren. Da Wahrnehmung durch Erwartung geformt wird, erweitert sich unser Gewahrsein, wenn wir offener werden und Urteile und Vorwegnahmen loslassen.

Beobachtung ist die Fähigkeit, sich selbst ein bisschen von einer Erfahrung zu distanzieren. Dies ist eine etwas »konstruiertere« Form der Wahrnehmung als die Kanalfunktion des reinen Wahrnehmens. Durch Beobachtung können wir es vermeiden, in den Autopilot-Modus zu geraten, wenn wir uns in einem Gedanken, einem Gefühl oder einer Empfindung verlieren. Manchmal ist es wichtig, die Beobachtung loszulassen, sodass wir den Fluss der Empfindung wahrnehmen können, doch üblicherweise gewinnen wir eine breitere Perspektive durch die erweiterte Sicht der Beobachtung. Beides ist gut; sie unterscheiden sich bloß voneinander. Beobachtung ermutigt uns dazu, weitgehend bewusste und aktive Beobachter unseres Lebens zu werden – sie befähigt uns, zentrierter in unserem Wissen in der Nabe zu sein, ohne von dem jeweils Gewussten auf dem Rand, das uns manchmal überwältigt, fortgerissen zu werden.

Objektivität führt diese Beobachtungsfähigkeit einen Schritt weiter, da wir wahrnehmen, dass das jeweils Gewusste ein Objekt des Geistes ist, und nicht die Totalität unserer Identität oder das Äquivalent der absoluten Realität. Wir bewahren uns eine objektive Haltung, während wir das Gewusste als einfache Elemente der Erfahrung spüren und wahrnehmen, die im Gewahrsein auftauchen und verschwinden, kommen und gehen. Das ist Objektivität.

Offenheit, Beobachtung und Objektivität stabilisieren die Mindsight-Linse und befähigen uns dazu, den Energie- und Informationsfluss klarer, tiefer und detaillierter wahrzunehmen. Sie werden in den nun folgenden Übungen entwickelt. Zu lernen, wie man sie sich in verschiedenen Situationen zunutze macht, hilft uns, ein erfülltes und integriertes Leben zu führen.

Atemgewahrsein zur Stabilisierung der Aufmerksamkeit

Lassen Sie uns mit einer einfachen Übung zum Atemgewahrsein beginnen, die Sie überall auf der Welt finden können.

Suchen Sie sich, wenn möglich, einen ruhigen Ort, an dem Sie nicht gestört werden. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um eine bequeme Haltung einzunehmen – Sie können sich setzen, hinlegen oder stehen. Schalten Sie alle Geräte ab, die Ihre Fünf-Minuten-Übung stören könnten. Sie können einen Timer auf fünf Minuten einstellen. Wenn Sie auf einem Stuhl sitzen, kreuzen Sie Ihre Beine nicht, sitzen Sie gerade, aber bequem und halten Sie beide Füße flach auf dem Boden. Wenn Sie auf dem Boden im Schneidersitz sitzen, halten Sie Ihren Rücken gerade und lassen Sie Ihren Körper eine bequeme Position einnehmen, sodass Sie ein paar Minuten durchhalten können. Wenn Sie manchmal Rückenschmerzen haben, wie es bei mir der Fall ist, könnten Sie diese Übung im Liegen machen, aber achten Sie darauf, dass die Wahrscheinlichkeit, einzuschlafen, dadurch größer ist. Da hilft es, einen Unterarm auszustrecken, den Ellbogen auf den Boden gestützt, die Hand zur Decke gehoben. Wenn Sie einschlafen, werden Sie es merken, weil Ihr Arm wahrscheinlich auf Ihre Brust gefallen ist (und Sie vielleicht sogar aufgeweckt hat).

Ihre Augen können Sie offen halten, wenn Sie möchten, oder Sie können sie ein wenig schließen, indem Sie etwas sanft fokussieren. Einigen könnte es leichter fallen, ihre Augen einfach ganz zu schließen, um die sensorische Ablenkung durch das Licht zu vermeiden.

Bevor Sie Ihre Augen schließen, probieren Sie diese vier Schritte aus:

1. Lassen Sie Ihre visuelle Aufmerksamkeit in die Mitte des Raums gehen.

2. Lenken Sie nun Ihre Aufmerksamkeit auf die entfernte Wand (oder die Decke, wenn Sie liegen).

3. Als Nächstes führen Sie Ihre Aufmerksamkeit zurück in die Mitte des Raumes.

4. Bringen Sie schließlich Ihre visuelle Aufmerksamkeit auf eine Distanz, in der Sie ein Buch halten könnten, das Sie lesen.

Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um zu bemerken, wie Sie selbst bestimmen, wohin die Aufmerksamkeit geht. Durch Ihre visuelle Aufmerksamkeit lenken Sie die Energie des Lichts in Ihr Bewusstsein.

Ich lade Sie dazu ein, die folgenden Anleitungen zu lesen.

Fokussieren Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den Atem, indem Sie die Luft wahrnehmen, die an Ihren Nasenlöchern ein- und ausströmt. Lassen Sie die Empfindung des Ein- und Ausatmens Ihr Bewusstsein ausfüllen. Reiten Sie einfach auf der Welle des Atems, ein und aus.

Fokussieren Sie nun Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre Brust, indem Sie die Empfindung beim Heben und Senken Ihrer Brust Ihr Bewusstsein ausfüllen lassen. Ein und aus, ein und aus, reiten Sie auf der Welle des Atems.

Lenken Sie nun Ihre Aufmerksamkeit auf den Bauch. Wenn Sie noch nie Bauchatmung praktiziert haben, können Sie eine Hand auf Ihren Bauch legen und die Empfindungen der Bewegung Ihr Bewusstsein ausfüllen lassen. Während die Luft die Lungen füllt, drückt das Diaphragma unter ihnen nach unten und schiebt den Bauch nach außen: Während die Luft aus den Lungen entweicht, entspannt sich das Diaphragma und der Bauch bewegt sich nach innen. Lassen Sie die Empfindung des sich hebenden und senkenden Bauchs weiterhin Ihr Bewusstsein ausfüllen. Reiten Sie auf der Welle der Ein- und Ausatmung, indem Sie Ihr Bewusstsein sich mit der Empfindung der Bauchbewegung ausfüllen lassen.

Nun lassen Sie die Aufmerksamkeit die Empfindung des Atmens finden, wo immer es sich am natürlichsten für Sie anfühlt. Es könnte die Empfindung sein, bei der sich der Bauch nach innen und nach außen bewegt; es könnte die sich hebende und senkende Brust sein; es könnte die Empfindung der Luft sein, die an den Nasenlöchern ein- und ausströmt. Oder es ist vielleicht der ganze Körper, der einfach atmet, ein und aus. Wo auch immer sich die Bewegung des Atmens für Sie am leichtesten anfühlt, lassen Sie dies zum Fokus der Aufmerksamkeit werden.

Nun lassen Sie die Empfindung des Atmens das Bewusstsein ausfüllen. Ein und aus, ein und aus, folgen Sie den Atemwellen, ein und aus. Irgendwann könnte das Bewusstsein von etwas anderem als dem Atmen ausgefüllt werden. Wenn Sie bemerken, dass das Bewusstsein nicht länger von Ihrem Atmen ausgefüllt ist, richten Sie Ihre Aufmerksamkeit erneut auf die Empfindung des Atmens.

Fahren Sie damit fort, sich eine Zeit lang auf den Atem zu fokussieren, indem Sie immer wieder zurückkehren, wann immer Ihr Fokus vom Atem abgelenkt worden ist, und sehen Sie, wie das geht. Wenn Sie diese Instruktionen beim Üben praktizieren, mögen Sie vielleicht Ihre Augen für einige Atemzüge schließen, bevor Sie mit dem Lesen fortfahren.

Ein und aus, ein und aus, reiten Sie die Atemwelle, ein und aus.

Wie war das für Sie? Nehmen Sie sich einen Moment Zeit, um über Ihre Erfahrung mit Ihrem Atem bis jetzt zu reflektieren.

Lassen Sie uns nun eine weitere Komponente hinzufügen. Einen allgemeinen Begriff zu finden, der für die Ablenkung der Aufmerksamkeit vom Atem steht, kann für einige Menschen hilfreich sein. Wenn ein Gedanke Ihre Aufmerksamkeit abgelenkt hat – insbesondere dann, wenn es sich um einen Gedanken handelte, der wiederholt zurückkehrt –, könnten Sie versuchen, in Ihrem Geist Folgendes zu sagen: »Denken, denken, denken.« Einigen hilft dieses Benennen, die Gedanken loszulassen und die Aufmerksamkeit wieder auf die Empfindung des Atems zu richten. Wenn eine Erinnerung über das Bewusstsein die Kontrolle übernimmt und den Atem verdrängt, kann es hilfreich sein, sich im Inneren »Erinnern, erinnern, erinnern« zu sagen. Für andere ist dieser Prozess des Benennens selbst zu ablenkend und nicht wirklich hilfreich. Dann können sie die Ablenkung einfach bemerken, ohne sie zu benennen, und die Aufmerksamkeit erneut auf die Atemempfindung richten.

 

Versuchen Sie, beim Benennen oder Bemerken der Ablenkungen – und dem anschließenden Zurückkehren zum Atem – Freundlichkeit in diese Erfahrung zu bringen. Es kann hilfreich sein, folgende Perspektive in Betracht zu ziehen: Die Atempraxis ist wie das An- und Entspannen eines Muskels während einer Übung. Sich auf den Atem zu fokussieren gleicht dem Anspannen des Muskels; die unvermeidliche Ablenkung gleicht dem Entspannen des Muskels. Sie müssen die Ablenkungen nicht hervorbringen – sie werden auf natürliche Art und Weise stattfinden, da der Geist einen eigenen Kopf hat! Doch Sie können absichtlich eine freundliche Haltung einnehmen, wenn diese Ablenkung eintritt, indem Sie, für was auch immer auftaucht, offen bleiben, die Ablenkung beobachten, wahrnehmen, dass es sich um ein Objekt oder eine Aktivität des Geistes handelt, und dann den Fokus der Aufmerksamkeit zurück auf den Atem lenken. Ihrer Freundlichkeit erlauben, diesen Prozess mithilfe einer sanften, nicht-urteilenden Haltung zu gestalten.

Wenn Sie sich nur im Kanalfluss dessen befinden sollten, was auch immer in der Empfindung geschieht, dann wäre das Sich-Verlieren in einer Ablenkung bloß Ihre fließende sensorische Erfahrung. In diesem Fall würden Sie sich lediglich das O der Offenheit Ihrer Mindsight-Linse zunutze machen. Die Aufmerksamkeit zu stabilisieren befähigt uns stattdessen, im Fluss der Atemempfindung zu sein – offen für den Fluss der Konduition – und die Fähigkeiten des Geistes zur Beobachtung und Objektivität zu nutzen, sodass wir den neuen Gedanken oder die Erinnerung als eine Ablenkung bemerken und nicht einfach mit ihnen fließen, und dann den Prozess der Neuausrichtung aufbauen, indem wir die Aufmerksamkeit zurück zur Atemempfindung bringen. Allgemein gesprochen, lädt uns diese einfache Atemgewahrseinsübung dazu ein, offen für das Fließen des Atems zu sein, zu beobachten, wenn der Fokus der Aufmerksamkeit umhergeschweift ist, und objektiv das Objekt der Aufmerksamkeit zurück zum Atem zu führen. Das ist die Integration differenzierender Offenheit, Beobachtung und Objektivität und ihre Verknüpfung, indem wir die Aufmerksamkeit stabilisieren.

Lassen Sie uns also diese grundlegende Atemgewahrseinsübung erneut ausprobieren, dieses Mal mit der Einladung, die Ablenkungen entweder zu benennen oder sie einfach zu bemerken, und freundlich, wieder und wieder, zum Atem zurückzukehren.

Wenn Sie diese Übung allein und zum ersten Mal praktizieren, stellen Sie sich einen Timer auf drei Minuten ein. Vielleicht wollen Sie ein anderes Signal wählen, als das, was Sie am Morgen zum Aufwachen benutzen. Wenn Sie diese Übung bereits gemacht haben, probieren Sie es mit fünf oder mehr Minuten aus. Lassen Sie sich den Atem spüren, indem Sie sich wieder fokussieren, wenn eine Ablenkung das Bewusstsein mit etwas anderem als dem Atem erfüllt hat. Fahren Sie fort, die Wellen des Atems zu reiten, ein und aus, bis der Timer Sie wissen lässt, dass es Zeit ist, damit aufzuhören. Denken Sie zu Beginn daran, eine bequeme Haltung einzunehmen, mit geradem Rücken, an einem Ort, an dem Sie nicht unterbrochen werden.

Fertig? Genießen Sie es!

Nachdem der Klang signalisiert, dass es Zeit zum Aufhören ist, fühlen Sie sich womöglich ruhig, energetisiert, erfrischt oder müde. Wenn Sie gerade eine herausfordernde Zeit in Ihrem Leben durchzustehen haben, kann es sogar sein, dass Sie sich ängstlicher oder angespannter fühlen. Zeit damit zu verbringen, sich mit dem eigenen Innenleben zu befassen, macht uns auch bewusster für die Schwierigkeiten, denen wir uns gegenübersehen. Erinnern Sie sich daran, dass dies eine Übung ist. Eine Übung durchzuführen heißt nicht, dass wir uns danach auf eine bestimmte Art und Weise fühlen müssen oder sogar, dass wir uns jedes Mal, wenn wir sie ausprobieren, gleich fühlen werden. Warum wird dies als eine Übung angesehen? Es ist eine Übung, weil Sie Ihre Fähigkeit stärken, die Aufmerksamkeit zu fokussieren, eine Ablenkung zu bemerken, die für die anstehende Aufgabe nicht wichtig oder relevant ist – (Wissenschaftler bezeichnen dies als »Salienzüberwachung«, A.d.Ü.) – und dann die Aufmerksamkeit absichtlich umzulenken. Es gibt verschiedene Gehirnschaltkreise für jede dieser Aufmerksamkeitsfacetten – den Fokus zu halten, ihn zu bemerken und umzulenken – und Sie trainieren jede davon.

Behalten Sie unsere Grundaussage im Sinn: Dort, wohin die Aufmerksamkeit geht, findet neuronales Feuern statt, und es bilden sich neuronale Verbindungen. Sie haben mehrere wichtige Bereiche Ihres Gehirns lediglich in wenigen kurzen Minuten der Übung aktiviert!

In anderen meditativen Übungen, die Teil unserer Übung mit dem Rad sein werden, werden wir die Fähigkeit zu offenem Gewahrsein oder offenem Beobachten erkunden und erweitern, das heißt, Dinge einfach auftauchen zu lassen und in einem offenen, empfänglichen Zustand zu sein. Dieses offene Gewahrsein und die grundlegenden Elemente der Aufmerksamkeitsübung – halten, bemerken und umlenken – werden jeweils stärker, wenn Sie Ihre Praxis vertiefen.

Wenn diese Übungen für Sie neu sind, kann es hilfreich sein, die Atemübung für eine Weile zu wiederholen, wenn möglich täglich, bevor Sie die Übung mit dem Rad in den nächsten Kapiteln auszuprobieren beginnen.

Sie könnten diese Übung des Gewahrseins auf den Atem auch in einige Situationen Ihres Lebens hineinbringen, wie etwa beim Schlange-Stehen, beim Ausruhen zu Hause oder wenn Sie aufwachen. Es ist einfach, aber kraftvoll. Mit der Zeit werden Sie nicht nur die Aufmerksamkeit stärken, sondern auch den Geist festigen und größere Klarheit in der Erfahrung des Bewusstseins schaffen.

Es gibt eine innere Kohärenz, die das Gewahrsein auf den Atem hervorbringt, was wahrscheinlich auf die wiederholten Muster des Ein- und Ausatmens zurückzuführen ist. Denn es ist zutiefst befriedigend und erdend, etwas vorwegzunehmen, das dann eintritt. Es kann dem Leben den Sinn verleihen, vorhersehbar und zuverlässig zu sein. Sich auf diese Art und Weise auf den Atem zu fokussieren stellt für viele Kohärenz her, im Hinblick auf das psychologische Gleichgewicht des Herzens wie auf die Klarheit des Geistes, die lange nach der Übungsperiode selbst weiter bestehen kann. Die tägliche Übung der inneren Einkehr, sich auf den Atem zu fokussieren und den Fokus zurückzubringen, wenn der Geist zerstreut wird, ist ein Geschenk an sich selbst.

Bevor wir im nächsten Kapitel in die Praxis mit dem Rad eintauchen, lassen Sie uns einige Aspekte Ihres Geistes erkunden, die mithilfe dieser stärkenden Gewahrseinsübung auf den Atem entstanden sind.

Was ist der Geist?

Lassen Sie uns von Anfang an feststellen, dass dieser Begriff keine allgemeingültige Definition besitzt – kurz gesagt, er ist ein Synonym für Gehirnaktivität; tatsächlich gibt es vielfach überhaupt keine Definition von Geist. Ja, wir haben zwar Beschreibungen der Aktivitäten des Geistes, einschließlich der Gefühle, Gedanken, Erinnerungen und der Aufmerksamkeit, aber was diese mentalen Aktivitäten wirklich sind, ist nicht klar definiert.

In einigen Zusammenhängen wird das Wort Geist eher dazu benutzt, Gedanken statt Gefühle anzuzeigen – wie im Falle von Kopf gegen Herz. In meiner Arbeit benutze ich es nicht auf diese Art und Weise. Ich nutze den Begriff Geist, um den Kern unserer Erfahrung, lebendig zu sein, auszudrücken, von Gedanken und Intuition bis hin zum Denken, zur Erinnerung, zur Aufmerksamkeit, zum Gewahrsein, zur Absicht und zur Anregung des Verhaltens. Einige Wissenschaftler fokussieren sich auf die neuronalen Ursprünge des Geistes; andere fokussieren sich auf die soziale Natur unseres mentalen Lebens. Doch welches System des Geistes könnte sowohl seine verkörperten als auch relationalen Ursprünge umfassen?