Medienlinguistik

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The linguistic analysis in this study concerned the choice of lexical items, syntactic and semantic structures, focal points of each newspaper, and effects of quotations in the articles. The findings were that there were significant differences in their ways of reporting the incident that would have been able to lead their readers to perceive the incident in favor of the ideology that each newspaper supports. Differences were found in lexical choices used to refer to the planes involved and their characteristics. Syntactic resources were strategically exploited in assigning each plane a thematic role that would produce a negative impact on one side and mitigate the impact on the other side. In terms of focal points, the damage inflicted on one side was zoomed in and that on the other side was zoomed out. Also, a tendency was found to exploit reported speech to downplay damage inflicted to the opposing side.

[…] This study tries to build a logical connection between extra-linguistic factors such as the politico-diplomatic delicacies between the two countries and the differences of linguistic representations used.


Aufsatz CHOI, Textanfang. Quelle: Choi, 2002, 1 f.


Der Gegenstand

Die Wissenschaft will Wissen über Weltausschnitte herstellen. Dazu macht sie sich, aus bestimmten Blickwinkeln und mit bestimmten Erkenntnisinteressen, abstrakte und explizite Vorstellungen von konkreten Ausschnitten der Wirklichkeit – sie schafft sich Begriffe. Diesen Begriffen gelten dann ihre Aussagen, ihre Hypothesen und Theorien. So konstruiert sich jede wissenschaftliche (Teil-)Disziplin, ausgehend vom konkreten Materialobjekt, ihr abstraktes Formalobjekt (_1).

Materialobjekt: Weltausschnitt, der unabhängig von wissenschaftlichem Erkennen existiert und den Wissenschaft untersuchen will.

Formalobjekt: Begriff, den sich eine wissenschaftliche (Teil-)Disziplin aus ihrem Blickwinkel von ihrem Gegenstand macht.


■ Die Scholastik unterscheidet objectum materiale und objectum formale; ■ Leont’ev, 1971 Objekt und Gegenstand einer Wissenschaft; ■ De Saussure, 1916 „la matière de la linguistique“ und „l’objet de la linguistique“.

Das Materialobjekt der Linguistik zum Beispiel ist unstrittig die Sprache. Davon kann sie sich aber verschiedene Formalobjekte konstruieren: zum Beispiel Sprache allein als Produkt oder Sprache als Spur und Auslöser von Prozessen. – Ein Beispiel für diesen Bezug von Produkt und Prozess:

EU to send mission to Mideast to urge Israel, Palestinians to cease fire now; Eds: UPDATES with Piqué quote


Inhaltsangabe und Aktualisierungshinweis über einer AP-Meldung. Quelle: ap_020403_17:33

Die Nachrichtenagentur ASSOCIATED PRESS schreibt über einer Neufassung einer bereits veröffentlichten Agenturmeldung, es handle sich um „UPDATES with Piqué quote“. Sie wirbt also mit sprachlichen Mitteln für den sprachlichen Mehrwert („with Piqué quote“) der Neufassung und verweist dabei auf den Wertschöpfungsprozess („UPDATES“).

Nur bei prozesshaftem Formalobjekt interessiert sich Medienlinguistik für solche Prozesse. Die Formalobjekte Sprache (B|2.1.1 und 2.1.2), aber auch Kommunikation und Medien (B|2.1.3 bis 2.1.4) sind also zu diskutieren.


Aufsatz STÖCKL: Ein A ist ein A ist ein A

▶ Umreißen Sie das Materialobjekt und das Formalobjekt der Linguistik intuitiv – jetzt gleich, ohne weiterzulesen.

▶ Tun Sie dies noch einmal, nachdem Sie den folgenden Anfang eines Aufsatzes von Hartmut Stöckl gelesen haben (_1):

1. Typographie – (k)ein Thema für die Linguistik?

Die Beschäftigung mit Typographie – d.h. der Form, Auswahl und Verwendung von Schrift im Text sowie der gesamten graphischen Gestaltung eines Schriftstücks oder Dokuments – in einem linguistischen Rahmen mag zunächst verwundern. Zu sehr scheint typographische Gestaltung die Domäne eines eigenen Berufsstandes (Typograph, Setzer, Drucker) zu sein, zu eng erscheint uns die Bindung typographischer Aspekte an künstlerische Gestaltung […] und zu weit entrückt von der eigentlichen Struktur und Bedeutung der sie darstellenden Sprache mutet die materielle Gestalt der Schrift an. In der Tat ist die Linguistik bis auf wenige Ausnahmen […] der Thematisierung von Schrift und ihrer Materialität, d.h. den Gestaltungsspielräumen graphischer Zeichen, eher abgeneigt. Die den Blick auf die Materialität von geschriebener Sprache verstellende Position des ein A ist ein A ist ein A gegenüber Typographie zeigt sich durchgängig in Sprachphilosophie, Sprachwissenschaft und Semiotik.


Aufsatz STÖCKL, Textanfang. Quelle: Stöckl, 2004b, 5 f.


Sprache

Im semiotischen Begriffsverständnis kommunizieren auch Tiere oder Computer mit Sprachen. Der Text „Wir müssen Risiken eingehen“ etwa wird im Internet gespeichert und übermittelt in HTML, in Hypertext Markup Language. Die Linguistik aber konzentriert sich auf menschliche Sprache und begreift sie • als vermutlich artspezifische menschliche Fähigkeit, • als natürliche Einzelsprache und • als konkrete Spur von Sprachgebrauch. Was bedeutet das? – Definition und Beispiele (_1):

Sprache: • Fähigkeit des Menschen, mittels sprachlicher Zeichen kognitive und kommunikative Prozesse zu steuern; • System der Zeichen einer natürlichen Einzelsprache, die Grundlage einer Sprachgemeinschaft; • konkrete Äußerung von Einheiten einer Sprache.


■ Sapir, 1921 zum Beispiel versteht S. als ein System von Zeichen zur Kommunikation; ■ Bloomfield, 1926 als die Gesamtheit aller möglichen Äußerungen in einer Sprachgemeinschaft; ■ Chomsky, 1957 als die Menge der Sätze eines formalen Systems; ■ Halliday, McIntosh, & Strevens, 1964 beschreiben S. als Tätigkeit, als „activity basically of four kinds: speaking, listening, writing and reading“ (9).

 Als menschliche Begabung ist Sprache eine genetisch gegebene, auf neurophysiologischen Prozessen beruhende Fähigkeit zur Kommunikation und zum sprachlichen Denken. Alle Menschen sind fähig, mittels Sprache Nachrichten über Dinge auszutauschen, die, wie im Fall der Äußerung über die „Risiken“ von Josep Piqué, weit außerhalb der Kommunikationssituation liegen können.

 Als natürliche Einzelsprache ist Sprache das Zeichensystem einer Sprachgemeinschaft. Die Äußerung von Piqué ist gesprochen in Spanisch und simultan übersetzt in Englisch, schriftliche Redewiedergaben liegen zum Beispiel in Englisch und Deutsch vor.

 Als geäußerte, materiale Sprache ist Sprache die konkrete Spur von Sprachgebrauch. „Wir müssen Risiken eingehen“ stellt ein Stück Sprache dar, einen Satz aus vier Wörtern zwischen Wortlücken. Samt Leerschlägen sind es 27 Zeichen, publiziert am 4. April 2002. – Was Sprachgebrauch bedeutet, ist allerdings noch zu klären (B|2.1.2).


Sprachgebrauch

Sprachgebrauch zu erforschen, bedeutet zuerst, nach der • fertigen Sprache zu fragen. Sie ist das Ergebnis von Sprachgebrauch und legt den Grund für neuen Sprachgebrauch, etwa für Verstehensprozesse. Zu fragen ist aber auch nach dem Gebrauch: dem Sprachgebrauch als • kognitive, • soziale und • kognitiv-soziale Tätigkeit (_1):


Hintergrundsozial
+
kognitivfertige Spracheund soziale Tätigkeit
+und kognitive Tätigkeitund kognitiv-soziale Tätigkeit


Sprache als Schnittstelle kognitiver und sozialer Tätigkeiten

Für die Untersuchung von Rekontextualisierungen in der journalistischen Textproduktion zum Beispiel stellen sich Fragen zur Sprache als …

 

 fertiges Produkt, also zu den Veränderungen, die eine Äußerung erfährt durch einen einmaligen oder wiederholten Rekontextualisierungsprozess. Zum Beispiel: Wie ändert sich die Bedeutung eines Quotes mit der sprachlichen und kommunikativen Umgebung?

 kognitive Tätigkeit, also zu Handlungen, Strategien und Routinen, mit denen die einzelnen Sprachbenutzer Äußerungen rekontextualisieren. Zum Beispiel: Was tut ein Journalist genau und warum tut er es, wenn er eine Äußerung aus einem Quellentext löst und in seinen Text einbaut?

 soziale Tätigkeit, also zu Rekontextualisierungsmustern, die sich in einer Gemeinschaft bilden oder verfestigt haben. Zum Beispiel: Wie verhält sich das, was eine Redaktion mit einem Quote tut, zu den Normen, die in dieser Redaktion für die Beitragsproduktion gelten?

 sozial-kognitive Tätigkeit, also zum Zusammenspiel individueller Handlungen des Rekontextualisierens und kollektiver Handlungsmuster. Zum Beispiel: Wie handeln Redakteure eine gemeinsame Vorstellung akzeptabler Quotes aus und setzen sie um?


Kommunikation und Medium

Zum Medium, deutsch Mittler, kann in der Kommunikation vieles taugen, etwa auch ein Statussymbol wie ein Kleid, ein Schallwellenträger wie die Luft oder ein Zeichensystem wie die deutsche Sprache. In diesem weiten Sinn ist jede Form von Kommunikation (_1) medial vermittelt. Hier gemeint ist aber ein engerer, technischer Medienbegriff (_2).

Kommunikation: absichtsvolle, auf andere Menschen ausgerichtete sprachliche oder sprachnahe Tätigkeit.


■ Hymes, 1972, Gumperz, 1982, Keller, 2003, Deppermann, 2004 oder Becker-Mrotzek & Brünner, 2004 beschreiben kommunikative Kompetenz als die Fähigkeit einer Sprachbenutzerin, sich in konkreten Situationen angemessen mitzuteilen. ■ Nach Luhmann, 1984, 241 bestehen soziale Systeme „über ihre kommunikativen Handlungen“. ■ D. Jones & Stubbe, 2004 beschreiben K. als Kernprozess allen Organisierens und sehen Organisationen als hergestellt und entwickelbar vor allem durch Kommunikation. ■ Häusermann, 2001 versteht den journalistischen Text als „Ort der öffentlichen Kommunikation“.

Medium: technische Einrichtung zur Herstellung, Speicherung, Vervielfältigung und Übertragung von Zeichen.


■ Schneider, 2006 geht der Frage nach, ob es „nichtmediale Kommunikation“ überhaupt gibt. ■ Holly, 1997 unterscheidet zwischen M., Zeichensystem und Kommunikationsform. Schrift etwa sei „selbst nicht als Medium anzusehen, sondern als Speichermöglichkeit für Sprachzeichen, als andere (durchaus eigenständige) Repräsentation eines Zeichensystems“ (67). ■ Holly, 1997 versteht Medien als „konkrete materielle Hilfsmittel, mit denen Zeichen verstärkt, hergestellt, gespeichert und/oder übertragen werden können“ (69 f.). ■ Habscheid, 2000, 138 formuliert: „In terminologischer Abgrenzung zu ‚Zeichen’ und ‚Kommunikationsform’ lassen sich Medien bestimmen als materiale, vom Menschen hergestellte Apparate zur Herstellung, Modifikation, Speicherung, Übertragung oder Verteilung von sprachlichen (und nichtsprachlichen) Zeichen (im Sinne musterhafter Äußerungen), die bestimmte, im Vergleich zur sog. ‚direkten’ Kommunikation […] erweiterte und/oder beschränkte Kommunikationsformen ermöglichen und die die mit ihnen kommunizierten Symbole sowie – mittelbar, im Rahmen institutioneller Ordnungen und soziokultureller Aneignungsprozesse – Strukturen der Wahrnehmung, Kognition, Erfahrung, Erinnerung und Gesellschaft prägen.“ ■ Hutchby, 1991 zeigt im Überblick, wie die Medien vom Telefon bis zum Internet die kommunikativen Praktiken beeinflussen.

Nach diesen Definitionen können mit Medien alle technischen Kommunikationsmedien gemeint sein, etwa die Postkarte, das Intranet, die Saalbeschallungsanlage. Jede Kommunikation nutzt solche technischen Einrichtungen, abgesehen vom Gespräch. Ein eigenständiges Anwendungsfeld von Sprache wird erst greifbar in einer Präzisierung wie publizistische Medien (B|2.1.4).


Publizistisches Medium

Ein enger gefasster Begriff von Medien meint vor allem die publizistischen Medien (_1). So verstanden, bezieht sich Medienlinguistik auf ein eigenständiges und gesellschaftlich relevantes Anwendungsfeld von Sprache, ähnlich wie die Rechts- oder die Wirtschaftslinguistik.

Publizistisches Medium: technische Einrichtung, mit der öffentlich bedeutsame Kommunikationsangebote unter ökonomischen Bedingungen hergestellt und veröffentlicht werden.


■ Luhmann, 1996 bestimmt das p.M. als technisches Mittel, das Äußerungen vervielfältigt, in einer Richtung vermittelt und für alle Mitglieder einer Kultur öffentlich macht. ■ S. Weber, 2005 erfasst p.M. als „Massenmedien“, die aus alten Wirklichkeitsbeschreibungen neue schaffen. ■ Reich & Lahav, 2012 hinterfragen in ihrem Experiment die Rolle der Journalisten in publizistischen Medien, indem sie Literaturschaffende eine Tageszeitung machen lassen.

Der Begriff des publizistischen Mediums ist also • gesellschaftspolitisch, • wirtschaftlich und • kommunikativ schärfer gefasst als der Begriff des Mediums allgemein. – Beispiele:

 gesellschaftspolitisch: Öffentlich bedeutsame Kommunikationsangebote tragen bei zur Herstellung von Öffentlichkeit in Gesellschaften, deren Beziehungen hinausreichen über einen direkten Kontakt im Dorf. Wie Josep Piqué als Vorsitzender einer EU-Sonderkommission zum Frieden im Nahen Osten beitragen will, ist öffentlich bedeutsam.

 wirtschaftlich: Ökonomische Bedingungen bedeuten den Zwang zur Wertschöpfung in arbeitsteiligen und technisierten Prozessen. Das Zitat von Piqué durchläuft eine Kette von Stationen, wo es Medienschaffende unterschiedlicher Berufsrollen auswählen, sprachlich bearbeiten, technisch aufbereiten, bewerben – „UPDATES with Piqué quote“ (B|2.1|_2) – und neuen Adressaten verkaufen.

 kommunikativ: Veröffentlichen meint verbreiten aus dem Herstellungszusammenhang hinaus, an individuell unbekannte Adressaten. Die Redaktion des TAGES-ANZEIGERS richtet sich an ein Publikum, das nur statistisch überschaubar ist, über Stichproben und Hochrechnungen.

Mit der Digitalisierung und Vernetzung verschwimmen allerdings die Grenzen zwischen öffentlicher und individueller Kommunikation.


Streiflicht MEDIENKONVERGENZ: 1 Maschine

Die Medien entwickeln sich aufeinander zu – hin zum Computer als der universalen Kommunikationsmaschine (_1). Der vernetzte Computer verarbeitet alles Digitalisierbare, zum Beispiel alle sicht- und hörbaren Zeichen. So erschließt er Bibliotheken und Rundfunkprogramme, ist Schreibmaschine, Spielkonsole und Telefon.

Medienkonvergenz: Entwicklung aller Medien in Richtung digitale, vernetzte, mobile und multimodale Technologien, mit entsprechenden Kommunikationspraktiken, Medienformaten und Institutionen.


■ Nach Schmitz, 1997, 132 f. kann „zum ersten Mal in der Weltgeschichte […] dasselbe Gerät alle technisch vermittelten Kommunikationsformen tragen“. ■ Fraas & Barczok, 2006 untersuchen das Internet als Medium öffentlicher Kommunikation. ■ Quinn, 2005, 7 umreißt M. als „doing journalism and telling stories using the most appropriate media”. ■ Erdal, 2009, Revers, 2014, Rodgers, 2015 und Marchionni, 2015 fragen nach dem Wandel der journalistischen Arbeit durch M.

Im Internet wirken Computer als Empfänger und Sender, mit • Bring-Angeboten an Adressierte und • Hol-Angeboten für Interessierte.

 Bring-Angebote: Gleiche oder ähnliche, personalisierte Kommunikationsangebote können in Massenversänden an beliebig viele einzeln adressierte Empfänger verschickt werden, zum Beispiel eine Börsennachricht als E-Mail oder SMS oder ein Nachrichtenmagazin als pdf-Datei.

 Hol-Angebote: Ein Kommunikationsangebot kann so bereitgestellt werden, dass berechtigte oder beliebige Interessierte es nach persönlichen Vorlieben erkunden können, zum Beispiel eine Nachrichtendatenbank hinter einem individuell gestaltbaren Internetportal.

Die alte Trennung von Individual- und publizistischen Medien fällt also weg, womit sich auch individuelle und öffentliche Kommunikation enger verzahnen. Zum Beispiel kann eine Leserin von TAGES-ANZEIGER ONLINE einen Fehler in einer Nachricht bemerken und dies der Redaktion mitteilen, ohne das Medium wechseln zu müssen; die Redaktion korrigiert die Meldung sofort und bedankt sich bei der Leserin – wieder über das gleiche Medium.

▶ Wird es dadurch einerlei, ob man Öffentlichkeit herstellen oder sich mit einem bestimmten Gegenüber austauschen will? ▶ Nennen Sie Argumente für und gegen eine solche Sichtweise.


Fall RISIKEN: Nachbessern

Josep Piqués „Risiken“ (A|1) finden am 4. April 2002 zu den Nutzerinnen und Nutzern von TAGES-ANZEIGER ONLINE. Um 10:46 Uhr sieht der Anfang der Nachricht so aus (_1):



Fall RISIKEN, Anfang der Online-Nachricht. Quelle: ta_online_020404_1046_update

Um 07:36 Uhr aber, beim Aufschalten der Nachricht, hat die Bildlegende anders gelautet, nämlich: „Wer an der Delegation angehören soll ist noch nicht klar“. Ein Nutzer hat sich dann per E-Mail über den veröffentlichten Unsinn beschwert. ▶ Worin hat dieser Unsinn bestanden? ▶ Wie erklären Sie sich den Fehler? Wie spielen publizistische und Individualkommunikation in der Onlineredaktion zusammen ▶ und wie sähe das Zusammenspiel bei ähnlicher Ausgangslage in einer Zeitung aus?


Die Fragestellungen

Was interessiert nun die Medienlinguistik? – Die folgende Tabelle gibt eine erste Antwort (_1). Sie zeigt das ganze Feld des Sprachgebrauchs in der publizistischen Kommunikation. Dieses Feld ist aufgerastert in Fragestellungen nach • Sprachbenutzern, • Sprachtätigkeit und • linguistischer Sprachbeschreibung.



Medienlinguistische Fragestellungen im Überblick, grob aufgerastert

 Sprachbenutzer: Die Teilhaber publizistischer Kommunikation sind die Quellen, die Medienschaffenden, die Publika und die Allgemeinheit. Quellen, Medienschaffende und Publika sind direkt an publizistischer Kommunikation beteiligt, die umfassende Allgemeinheit ist es indirekt: Mit ihr tauschen sich die direkt beteiligten Sprachbenutzer aus, etwa in Gesprächen nach der Rezeption von Medienbeiträgen (Beispiel 1).

 

 Sprachtätigkeit: Publizistische Kommunikation legt die Sprachbenutzer oft auf Produktion oder Rezeption als rollenbestimmende Tätigkeit fest: Medienschaffende etwa produzieren Medienbeiträge (Beispiel 2), Publika rezipieren sie (Beispiel 3). In kommunikativen Gattungen und Formen wie Recherchegesprächen oder Blogs sind dagegen rasche Wechsel üblich.

 Sprachbeschreibung: Linguistik erfasst den Sprachzustand synchron, zu einem Zeitpunkt, oder diachron, im Zeitverlauf. Synchrone Beschreibung kann zeigen, wie die journalistische Fachsprache Rekontextualisierungen benennt (Beispiel 4). Diachrone Beschreibung kann zeigen, ob und wie eine Sprache eine andere beeinflusst – zum Beispiel die Sprache von Quellen diejenige von publizistischen Medien (Beispiel 5).

Nach diesem Raster auszuloten sind nun die medienlinguistischen Fragestellungen überhaupt – und diejenigen dieses Buchs.


Fragestellungen in synchroner und diachroner Sprachbeschreibung

Diese Seite zeigt die Typen der Fragestellungen aus den letzten zwei Zeilen des Rasters (B|2.2): Es sind Fragestellungen zur Sprache von Quellen, Medienschaffenden, Publika und der Allgemeinheit, und zwar in synchroner (_2) und diachroner (_3) Beschreibung. – Im Überblick (_1):


FragestellungenSprachbenutzer
QuelleMedienPublikumAllgemein
Be- schrei- bungsynchron: SpracheX benennt WeltausschnittYSQ, WQ,M,P,ASM, WQ,M,P,ASP, WQ,M,P,ASA, WQ,M,P
diachron: SpracheX beeinflusst SpracheYSQ, SMSM, SPSM, SA


Medienlinguistische Fragestellungen in synchroner und diachroner Sprachbeschreibung

Synchron bezieht sich die Sprache bestimmter Teilhaber publizistischer Kommunikation (SX) auf Ausschnitte aus der Welt der gleichen oder anderer Sprachbenutzer (WY): Die Sprache der Quellen (SQ), der Medienschaffenden (SM), der Publika (SP) oder der Allgemeinheit (SA) kann sich beziehen auf Weltausschnitte im Umfeld der Quellen (WQ), der Medienschaffenden (WM), der Publika (WP) oder auf beliebige Weltausschnitte (WA). – Typische Fragestellungen bei synchroner Beschreibung sind also: Welche Sprache benennt welche Weltausschnitte? Mit welchen Mitteln?


■ Jakubowicz, 2006 fasst zusammen, wie Medien Minderheiten benennen – und damit zur Schaffung dieser Minderheiten beitragen. ■ Cramer & Eisenhart, 2014 zeigen, wie subjektiv Publika die Objektivität von Medienangeboten wahrnehmen und einschätzen.

Diachron kann die Sprache (SX) bestimmter Teilhaber publizistischer Kommunikation die Sprache (SY) bestimmter anderer Teilhaber beeinflussen: Zum Beispiel kann die Sprache von Quellen (SQ) die Sprache von Medienschaffenden (SM) mitprägen, dann die Sprache der Publika (SP) und schließlich die Alltagssprache überhaupt (SA). – Typische Fragestellungen bei diachroner Beschreibung sind also: Welche Sprache beeinflusst bei welchem Kontakt welche andere Sprache? Womit?


■ Leitner, 1985 untersucht, wie sich die Sprachnormen der BBC zwischen 1922 und 1954 entwickelt haben. Am Beispiel Australiens zeigt er den weltweiten sprachbildenden Einfluss der BBC auf englischsprachige Radioprogrammanbieter. ■ Michel, 2001 erforscht, ob der Wandel der Syntax in überregionalen deutschen Tageszeitungen des 19. Jahrhunderts (SM) den Wandel der Syntax des Deutschen überhaupt (SA) beeinflusst hat. ■ Bell, 2003 beschreibt den Wandel der Nachrichtensprache im 20. Jahrhundert. ■ Studer, 2008 zeigt, wie der Wandel von Sprache in den Medien untersucht werden kann. ■ Sayers, 2014 modelliert den Einfluss des Medienwandels auf den Sprachwandel.


Fragestellungen zum Sprachgebrauch als Rezeption und Produktion

Diese Seite zeigt die Typen medienlinguistischer Fragestellungen aus den mittleren zwei Zeilen des Rasters (B|2.2): Fragestellungen zum Sprachgebrauch als Produktion (_2) und Rezeption (_3). – Im Überblick (_1):


FragestellungenSprachbenutzer
QuelleMedienPublikumAllgemein
TätigkeitProduktion: X produziert für YQ, MM, PP, A (SM-stimuliert)
Rezeption: X rezipiert SYQ, SQM, SQP, SmA, SP


Medienlinguistische Fragestellungen zur Produktion und Rezeption

Bestimmte Teilhaber publizistischer Kommunikation (X) produzieren Sprache für bestimmte andere Teilhaber (Y): die Quellen (Q) für die Medienschaffenden (M), diese für die Publika (P), die Publika schließlich, angeregt durch publizistische Kommunikation, für die Allgemeinheit (A), im alltäglichen Austausch über Aktualität. – Typische Fragestellungen zur Produktionstätigkeit sind also: Was genau tun die Produzierenden, wie tun sie es, warum tun sie es so, und was bewirken sie damit?


■ Sleurs, Jacobs, & Van Waes, 2003 untersuchen, wie PR-Redakteure mit der Sprache ihrer eigenen Quellen (SQ) umgehen, etwa mit Äußerungen von Analysten – und wie sie die Sprache ihrer Medienmitteilungen auf die Medienschaffenden (M) ausrichten.

Bestimmte Teilhaber publizistischer Kommunikation (X) rezipieren Sprache anderer Teilhaber (SY): die Quellen (Q) die Sprache ihrer eigenen Quellen (SQ), die Medienschaffenden (M) die Sprache ihrer Quellen (SQ), die Publika (P) die Sprache der Medienschaffenden (SM), die Allgemeinheit (A) schließlich die Sprache der Publika (SP). – Typische Fragestellungen sind also: Was genau tun die Rezipierenden, wie tun sie es, warum tun sie es so, und was bewirken sie damit?


■ Klemm, 2000 zeigt, wie sich Fernsehen und Gespräche zu Hause gegenseitig beeinflussen; ■ ähnlich Tovares, 2007 und Hefner, 2012; ■ Klemm & Graner, 2000 für Fernsehen und Chatten; ■ Hassoun, 2014 für Fernsehen gleichzeitige Nutzung anderer Medien überhaupt. ■ Tenenboim & Cohen, 2015 erforschen, wann Nutzer von Internet-Nachrichten klicken. ■ Hartung, 2008 untersucht, wie sich Kinder Humor aus dem Hörfunk aneignen.

Bestimmte Fragestellungen angehen und damit das Erkenntnisinteresse von Medienlinguistik als linguistischer Teildisziplin exemplarisch aufzeigen kann dieses Buch aber erst, wenn geklärt ist, welche Methoden welchen Fragestellungen angemessen sind.


Forschungsmethoden in der Medienlinguistik

Forschungsmethoden sind Verfahren, um Forschungsfragen mit theoretisch begründeter • Zuverlässigkeit und • Gültigkeit zu beantworten (_1).

Forschungsmethode: theoretisch begründetes Verfahren zum Bearbeiten von Forschungsfragen.


■ Bucher, 1999b gibt einen Überblick über „sprachwissenschaftliche Methoden der Medienforschung“. ■ Lombardo, Haarman, Morley, & Taylor, 1999 zeigen einige medienlinguistisch ergiebige Methoden, v.a. in Kap. 3. ■ Androutsopoulos, 2003 beschreibt und illustriert in der Medienlinguistik verbreitete Methoden; ■ ähnlich Thornborrow, 2006 und O’Keeffe, 2006, 32–61.

 Zuverlässig (= reliabel) sind Antworten, die gleich ausfallen, wenn jemand anderes eine Untersuchung nach dem gleichen Verfahren wiederholt. Zuverlässigkeit setzt präzises Arbeiten nach durchdachten (= systematischen) und offengelegten, nachvollziehbaren Regeln voraus.

 Gültig (= valide) sind Antworten, die ähnlich ausfallen, wenn man die gleiche Forschungsfrage mit einem anderen Verfahren untersucht. Leisten können dies Verfahren, die ein Problem in den wesentlichen Zügen seiner Komplexität erfassen, statt es in eine methodisch bequeme Richtung zu verschieben. Wenn zum Beispiel gefragt ist, in welcher Form eine Äußerung in späteren Texten aufgegriffen wird, reicht es, die ursprüngliche Äußerung mit späteren Wiedergaben zu vergleichen. Wenn aber nachgezeichnet werden soll, mit welchen Überlegungen ein Autor Äußerungen rekontextualisiert, sind diese kognitiven Zusammenhänge mit zu erfassen. Wenn schließlich der Autor als gesellschaftlich eingebettet verstanden wird, dann sind auch diese sozialen Zusammenhänge mit zu erfassen.

Forschungsmethoden müssen also durchdacht sein, in ihren Schritten offengelegt, nachvollziehbar – und angemessen. So müssen sie den Gegenstand in einer Tiefe nachzeichnen, die der Forschungsfrage entspricht. Je nach (medien)linguistischer Fragestellung hat eine Methode zu erfassen: die fertige Sprache allein (B|3.1), den Sprachgebrauch als kognitive Tätigkeit (B|3.2), den Sprachgebrauch als soziale Tätigkeit (B|3.3) oder den Sprachgebrauch als kognitiv-soziale Tätigkeit (B|3.4).


Streiflicht METHODOLOGIE: Wo stehen Sie?

Mit der Frage, welche Forschungsmethode zu welcher Forschungsfrage passt, befasst sich innerhalb der Disziplinen und quer durch die Disziplinen die Methodologie (_1).

Methodologie: wissenschaftliche Querschnittsdisziplin, die sich befasst mit dem Zusammenhang von Gegenstand, Fragestellung, Methoden und zu erwartender Erkenntnis in der wissenschaftlichen Forschung.


■ Stolz & Kolbe, 2003 führen ein in die „Methodologie in der Linguistik“; ■ Bohnsack, 2008 allgemeiner in „Methodologie und Praxis qualitativer Forschung“. ■ Feilzer, 2010, Teddlie, Tashakkori, & Johnson, 2008, Flick, 2004, Aguado & Riemer, 2001, Denzin, 1989 und Brewer & Hunter, 1989 beschreiben theoretische und praktische Probleme und Lösungen für Mehrmethoden-Ansätze, wo Forschungsmethoden aufeinander abgestimmt und miteinander verbunden werden, um einen Gegenstand von mehreren Seiten her zu erschließen.

Im Folgenden sehen Sie Haltungen zu vier klassischen methodologischen Problemen. ▶ Wo stehen Sie? – ▶ Beziehen Sie Stellung und begründen Sie Ihre Position, bevor Sie die nächsten vier Abschnitte (B|3.1 bis 3.4) lesen, ▶ und tun Sie es nochmals danach. ▶ Was hat sich geändert?

 Fall vs. statistische Repräsentation: Wer annimmt, alle Menschen würden in ähnlichen Situationen bezüglich der Forschungsfrage ähnlich handeln, kann sich auf Fallstudien beschränken; wer dies anzweifelt, erwartet von statistisch repräsentativen Erhebungen zuverlässigere Ergebnisse.

 Feld vs. Labor: Wer annimmt, ein Mensch funktioniere bezüglich der Forschungsfrage situationsunabhängig immer gleich, kann Experimente im Labor durchführen und damit Umwelteinflüsse genau kontrollieren; wer dies anzweifelt, erwartet von Feldforschung gültigere Ergebnisse.

 Befragung vs. Beobachtung: Wer annimmt, ein Mensch könne bezüglich der Forschungsfrage über sein Handeln wirklichkeitsnah Auskunft geben, erfragt die Daten zum Handeln; wer dies anzweifelt, beobachtet und misst Handeln als Zustandsveränderung direkt.

 Einmethodenansatz vs. Methodentriangulation: Wer annimmt, die Daten zur Forschungsfrage mit einem einzigen Verfahren gültig und zuverlässig erheben und auswerten zu können, beschränkt sich auf dieses eine Verfahren; wer dies anzweifelt, erfasst den Gegenstand mit mehreren Methoden, aus mehreren Blickwinkeln.


Sprachprodukte untersuchen mit der Versionenanalyse

Linguistik untersucht zuerst die sprachlichen Äußerungen an sich. Eine produktionsgerichtete Medienlinguistik, die nach dem sprachlich Besonderen und praktisch Relevanten in ihrem Anwendungsfeld fragt (B|1.1.4), stellt aus diesem Blickwinkel scharf auf die intertextuellen Ketten journalistischer Textproduktion: Aus früheren Texten entstehen rasch und laufend neue. Was dabei mit den Äußerungen geschieht, erfasst die Versionenanalyse.

Die Versionenanalyse verfolgt sprachliche Äußerungen in einer intertextuellen Kette (B|1.1|_1). Dazu arbeitet sie die sprachlichen Merkmale, die Funktionen und Strukturen von Sprache in Medienbeiträgen heraus (_1). Grundlage für Versionenvergleiche sind linguistische Text- und Gesprächsanalysen einzelner Medienbeiträge.

Versionenanalyse: linguistisches Verfahren zur Datengewinnung und -analyse, das sprachliche Merkmale in intertextuellen Ketten verfolgt.


■ Van Dijk, 1988a, Bell, 1991, 56 ff., Blomqvist, 2002, Luginbühl, Baumberger, Schwab, & Burger, 2002 oder Robinson, 2009 verfolgen Textversionen im Nachrichtenfluss. ■ Reich, 2008 beschreibt, wie Zeitungen in Israel Lecks in vertraulichen Diskursen nutzen. ■ I. Fang, 1991 vergleicht Nachrichten der drei Medien Zeitung, Radio und Fernsehen und leitet daraus medienspezifische Unterschiede für die Textproduktion ab. ■ Ekström, 2001 zeigt eine Variante, die implizite V.: Empirisch kennt er nur ausgestrahlte Fernsehnachrichten-Beiträge mit Quotes. Wenn er diese Quotes als „fragments“ (568) versteht, vergleicht er sie implizit mit den Interviews, von denen er plausiblerweise annehmen kann, dass sie stattgefunden haben.

Wie man die Versionenanalyse anwenden kann, zeigt der Fall Risiken, den das Buch schon eingeführt hat (ab A|1): Ein Ausschnitt aus der komplexen Antwort eines spanischen Politikers wandelt sich über mehrere Zwischenstufen bis zum knappen deutschen Quote in einer Online-Nachricht. Der Ausschnitt selbst wird umformuliert; zudem ändert sich die Einbettung von Stufe zu Stufe radikal. Damit verschiebt sich auch der Sinn, den eine Leserin dem Quote abgewinnen kann.