Kaspar - Das Geheimnis von Eduan

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»Okay«, sagte Juana, »wenn er nicht bald kommt, gehen wir zur Höhle.«



Kaspar lächelte zufrieden, als seine Freunde seinem Vorschlag zustimmten.



»Jaja, schon gut«, brummte Lars, »natürlich werde ich mit euch kommen«, sagte er, als Kaspar ihn ansah.



»Ich habe das Gefühl, dass da etwas nicht stimmt ...« Kaspar spürte eine Hand an seinem rechten Fußgelenk. Kurz darauf griff eine andere Hand nach seinem linken Fußgelenk. Ehe Kaspar reagieren konnte, fiel er bäuchlings zu Boden. Die Wucht mit der Kaspar auf dem Boden auftraf, ließ ihn Sterne sehen.



Juanas heller Schrei zerriss die Stille. Niemand hatte die Kreatur kommen sehen. Sie hatte sich lautlos herangeschlichen.



»Kacke«, schrie Niko.



»Ein Werwolf«, rief Lars. »Was sollen wir jetzt bloß tun? Wo ist Balthasar?«, winselte Lars. »

BALTHASAR

!«, schrie er aus voller Kehle.



»Ob das der Todbringer ist?«, fragte Niko und stolperte vor Schreck rückwärts, als die Kreatur, die einem Werwolf ähnlich sah, den Kopf hob und knurrte.



»Es muss der Todbringer sein«, hauchte Juana.



»Wo ist denn Balthasar?«, fragte Niko laut. »Verdammt! Wenn man ihn braucht, ist er nie da.«



»Der Werwolf hat ihn gefressen«, winselte Lars.



»Rede keinen Blödsinn, Lars«, sagte Niko und stutze. »Vielleicht hast du ja ...«



»Tu doch was!«, forderte Lars Niko auf. »Er wird Kaspar fressen.« Das Entsetzen stand Lars ins Gesicht geschrieben.



»Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?«, fuhr Niko Lars an.



Juana schwieg und rannte fort.



»

JUANA

!«, rief Lars ihr nach. »Wo willst du denn hin?«



»Scheiße«, sagte Niko nur.



Kaspar strampelte mit den Beinen und konnte das rechte Bein aus dem eisernen Griff des Werwolfs lösen. Kaspar lag nun keuchend auf dem Rücken. Er musterte seinen Bezwinger, während er weiter strampelte und versuchte sich ganz zu befreien. Die Kreatur fletschte die spitzen Zähne, die gefährlich nahe an Kaspar herankamen.



»Ist ja eklig ... Werwolfrotz«, sagte Niko, als Schleim aus dem Maul des Todbringers auf Kaspars Kleidung tropfte. Als Juana mit einem dicken Ast angelaufen kam und ihn mit voller Wucht gegen den Hinterkopf des Todbringers schlug, konnte sich Kaspar aus dem eisernen Griff des Monsters befreien.



»Ja, das hat gesessen, Juana«, jubelte Niko.



Kaspar griff nach seinem Schwert, und die Schwertspitze deutete auf den Kopf seines Feindes.



»Komm nur«, knurrte Kaspar ihn laut an.



»Fordere ihn besser nicht heraus«, winselte Lars.



»Sei still, Angsthase«, fuhr Niko Lars an und zog ebenfalls sein Schwert.



Voller Zorn schwang Kaspar das Schwert. Als der Todbringer auf ihn zukam, sauste Kaspars Schwert seinem Gegner entgegen. Der Todbringer wich geschickt zurück. Doch Juana verpasste ihm mit einem Schwertstreich eine Wunde am Hinterbein. Der Todbringer wandte sich ihr knurrend zu und setzte zum Sprung an. Doch Kaspar war schneller und stach zu. Mit der Spitze seines Schwertes verletzte Kaspar den Todbringer am Rücken. Irritiert und zähnefletschend zog er sich ein Stück zurück.



»Da hast du dich mit den Falschen angelegt«, jubelte Niko.



Kaspar wandte sich Niko zu.



»Jetzt sind wir nicht nur Drachen- sondern auch Werwolfjäger«, sagte Niko begeistert.



»Was machen wir nun?«, fragte Lars, der nun neben Niko stand und mit zitternden Händen sein Schwert hielt.



Die pechschwarzen Augen des Todbringers nahmen Kaspar ins Visier. Er setzte zum Sprung an. Kaspar regte sich nicht. Erst als der Todbringer ihn fast erreicht hatte, duckte er sich geschwind und rollte sich nach vorne über die rechte Schulter ab. Die scharfen Krallen verfehlten ihn um Haaresbreite. Schnell war Kaspar wieder auf den Beinen und stand direkt hinter dem Todbringer. Kaspars Schwert sauste dem Todbringer entgegen, der geschickt auswich, so dass Kaspar die Schwertspitze in den Boden rammte. Kaspar und der Todbringer standen sich Auge in Auge gegenüber. Kaspar blickte kurz zu Juana, die sich rechts von ihm befand. Niko und Lars standen einige Meter hinter Kaspar.



»Nur du und ich«, zischte Kaspar seinen Feind an.



»He, was soll das, Kaspar?«, rief Niko und machte einen Schritt vorwärts. Als Kaspar ihm ein Handzeichen gab, blieb Niko stehen.



»Bist du jetzt total übergeschnappt?«, rief Niko.



Kaspar schwieg und ließ den Todbringer nicht mehr aus den Augen. Kaspar lächelte zufrieden und sagte lässig, als er sein Schwert senkte: »Kleine Überraschung.«



Niemand außer Kaspar hatte Balthasar bemerkt, der hinter dem Todbringer am Steinwall stand und seinen Zauberstab kreisen ließ. Ein leuchtend glühender Feuerball raste auf den Todbringer zu und schleuderte ihn von Kaspar und seinen Freunden fort.



»Der Zauberer lebt«, jubelte Niko. »Du hast Balthasar gesehen, nicht wahr?«, trat Niko an Kaspars Seite.



Kaspar nickte.



»Und ich dachte schon, dir wäre das Heldentum zu Kopf gestiegen«, klopfte Niko Kaspar auf die Schulter.



Kaspar lächelte.



Balthasar kam schnell näher, und wieder raste ein Feuerball dem Todbringer entgegen, der ihn jedoch dieses Mal verfehlte und knapp neben seinem Kopf in den Boden einschlug. Erde spritze dem Todbringer entgegen.



»Hier, Kaspar«, sagte Balthasar und überreichte ihm einen Lederbeutel. »Du musst den Zaubertrank unter dem Steintor verteilen. Mit deinem Schwert oder meinen Feuerbällen können wir Gohr nicht bezwingen«, erklärte Balthasar, »nur mit den beiden Zaubertränken ist dies möglich. Ich muss diesen Zaubertrank«, Balthasar hielt den anderen ledernen Beutel in der linken Hand, »über Gohr verteilen.«



Kaspar nickte und rannte zum Steintor. Balthasar näherte sich dem Todbringer und hielt ihn mit Feuerbällen in Schach. Als Balthasar vor dem Feind stand, ließ er den Zauberstab sinken.



»Was macht er denn da?

KASPAR

!«, rief Niko, als der Todbringer zum Sprung ansetzte und Balthasar dastand, als wäre er von einem Zauber gelähmt worden. Der Todbringer sprang. Balthasar bewegte sich geschmeidig wie eine Raubkatze. Die scharfen Krallen verfehlten Balthasars Gesicht nur um Zentimeter. Balthasars Körper kippte um fünfundvierzig Grad, ohne dass er zu Boden fiel.



»Ich bin fertig«, rief Kaspar Balthasar zu.



Der Todbringer merkte gar nicht, wie Balthasar den Zaubertrank über ihn verteilte.



»Eno esa enom«, rief Balthasar mit kreisendem Zauberstab.



Aus den Augenwinkel sah Kaspar, wie sich eine Windhose rechts von ihm bildete und auf den Todbringer zuraste. Der Todbringer versuchte zu entkommen. Vergebens. Die Windhose erfasste ihn.



Kaspar trat vom Steintor zurück. An der Stelle, an der er den Zaubertrank verteilt hatte, fing der Boden an zu brennen. Kurze Zeit später stand das ganze Steintor in Flammen. Die Windhose fegte mit dem Todbringer durch das brennende Steintor hindurch und verschwand.



»Krass«, staunte Niko.



Das Feuer erlosch langsam.



»Wo waren Sie denn nur solange?«, fragte Juana an Balthasar gewandt.



»Ich habe in der Höhle diesen goldenen Spiegel gefunden.« Balthasar hatte den leeren Lederbeutel an seinen Gürtel gehangen und hielt einen Spiegel in der Hand.



»Na toll, das ist ja wirklich ganz prima«, fauchte Niko. »Und dafür wären wir hier fast gestorben?«, schimpfte er.



»Das ist kein gewöhnlicher Spiegel«, fing Balthasar an betonte: »Es ist ein magischer Spiegel. Mit diesem Spiegel konnte Gohr Kontakt zu Drawen herstellen. Außerdem hätte Gohr den Zauberer mit diesem Spiegel befreien und ihn in diese Welt zurückholen können. Dafür musste er nur die richtige Sternenkonstellation abwarten.«



»Das wäre ja furchtbar gewesen«, sagte Juana.



Balthasar nickte.



»Der Spiegel war magisch geschützt«, fuhr Balthasar fort, »doch es gelang mir den Bann zu brechen. Leider habe ich da eine Kleinigkeit übersehen, und plötzlich war ich in einem magischen Kreis gefangen«, Balthasar sah zu Niko, »und deswegen hat es ein wenig länger gedauert.«



»Wo ist denn der Todbringer jetzt?«, fragte Lars leise und sah zum Steintor. Die Flammen waren erloschen.



Balthasar zuckte mit den Schultern.



»Er ist besiegt«, erklärte Balthasar.



»Ist er tot?«, fragte Lars vorsichtig.



»Nein«, schüttelte Balthasar den Kopf. »Gohr ist in der Leere gefangen. Von dort wird er nicht mehr zurückkehren können.«



»Hier, Kaspar, der Spiegel gehört dir.« Balthasar überreicht Kaspar den goldenen Spiegel.



»Mir?«, fragte Kaspar erstaunt.



Balthasar nickte nur.



»Was ist denn eine Leere?«, fragte Lars an Niko gewandt.



»Keine Ahnung«, antwortete Niko. »Ist auch egal, Hauptsache das Ungeheuer ist fort.«



Kaspar verstaute den goldenen Spiegel in seinem Rucksack.



»Wofür brauche ich ihn?«, fragte Kaspar an Balthasar gewandt.



»Wenn die Zeit kommt, dann wirst du es wissen«, antwortete Balthasar. »Unsere Aufgabe ist erfüllt. Wir sollten nach Feuerland zurückkehren«, schlug Balthasar vor.



»Ja«, sagte Kaspar, »aber vorher sollten wir den Bewohnern von Urta sagen, dass sie den Todbringer nicht mehr fürchten müssen.«



Balthasar nickte zufrieden.




***




Das Abenteuer in Urta war überstanden, und sie reisten am nächsten Morgen nach Feuerland zurück. Die ersten Schneeflocken fielen vom Himmel, als sie am Nachmittag Balthasars Hütte erreichten. Nox begrüßte sie vor der Hütte und wischte sich mit seinen Wurzelfingern Schneeflocken aus dem Gesicht. Er war sichtlich erleichtert, dass sie unversehrt heimgekehrt waren.



»Heute Abend bereite ich ein Festessen zu«, versprach Nox.



»Was willst du denn kochen?«, wollte Niko sofort wissen.

 



»Das ist eine Überraschung, mein Freund«, antwortete Nox.



Nox stand neben Niko, als er sich mit einem breiten Lächeln in einer kleinen Nebelwolke auflöste. Durch das Fenster konnten Kaspar und seine Freunde sehen, wie Nox am Herd wieder auftauchte.



»Ich muss sofort zu Nox«, sagte Niko und eilte zur Hütte.



»Warte auf mich«, rief Lars ihm nach und folgte seinem Freund schnell.



Juana lächelte Kaspar an.



»Dann gehe ich auch mal rein. Mir ist nämlich kalt.« Juana sah kurz zum wolkenverhangenen Himmel, aus dem jetzt dicke Schneeflocken fielen.



Numba war schon um die Hütte zu seinem Schlafplatz gegangen. Kaspar blieb zusammen mit Balthasar noch ein wenig draußen.



»Einen goldenen Spiegel haben wir gefunden, aber das Wichtigste haben wir noch nicht ... die goldenen Drachentränen«, sagte Kaspar.



»Geduld, Kaspar«, rügte Balthasar ihn freundlich, »auch die Drachentränen werden wir finden ... ganz bestimmt.«



»Ich könnte einen Schutzzauber gegen den Schnee aussprechen«, schlug Balthasar vor.



»Ich würde lieber die Schneeflocken spüren.«



Kaspar und Balthasar sahen noch eine Weile dem Schneetreiben zu, bevor auch sie in die warme Hütte gingen.





Der Schattenzauber





»

KASPAR



Kaspar stand auf einem leuchtenden Kreis, rings um ihn herum schloss ihn die Dunkelheit ein.



»

Ich warte auf dich



Kaspar horchte.



»

Ich warte auf dich

!«, rief die Stimme wieder, die aus der unergründlichen Dunkelheit zu kommen schien.



Wo war er? War es wieder ein Traum, der ihn gefangen hielt oder war es wieder eine Zeitreise, bei der er gleich den jüngeren Balthasar treffen würde?



»

KASPAR



Wer rief ihn da bloß? Gut oder Böse? Freund oder Feind?



»

Komm zu mir, Kaspar



Verdammt! Wohin sollte er gehen? Etwa in die Dunkelheit? Auf gar keinen Fall. Nein. Er war doch nicht so leichtsinnig, blindlings in eine Falle zu tappen. Sollte derjenige, der ihn rief, doch zu ihm kommen. Er blieb hier stehen, auf dem leuchtenden Kreis. Hier war er in Sicherheit, und niemand konnte ihn dazu bewegen in die Dunkelheit zu treten.



»Ich kann nicht weiter zu dir vordringen. Du musst die Barriere überwinden, Kaspar«, hörte Kaspar die Stimme rufen, die sich langsam von ihm zu entfernen schien.



Kaspar wollte warten, bis er aus dem Traum erwachte. Es musste ein Traum sein, eine andere Erklärung wollte er nicht akzeptieren. Kaspar lauschte, als die Stimme wieder seinen Namen rief. Diesmal klang sie wieder näher.



»Ich habe dir etwas zu sagen«, erklärte die Stimme.



Nun kam Kaspar die Stimme vertraut vor. Wem gehörte sie bloß? Lag die Antwort irgendwo hinter dieser Dunkelheit?



»Wer bist du?«, wollte Kaspar nun wissen.



Kaspar spähte in die Dunkelheit hinein. Konnte es sein, dass es ... nein, dachte Kaspar, unmöglich. Warum sollte ...



»Luck?«, flüsterte Kaspar. »Bist du es, Luck?«, fragte er vorsichtig.



»Ja«, rief die Stimme aus der Dunkelheit. »Ich bin es. Luck. Ich muss dir etwas mitteilen.« Die Stimme verblasste und wurde leiser. Schon bald war sie kaum mehr als ein Flüstern. »Komm zu mir, Kaspar!«



Kaspar fror und wurde müde. Er schüttelte den Kopf. Auf gar keinen Fall durfte er jetzt einschlafen.



»Warum kommst du nicht zu mir?«, rief Kaspar.



Es verging ein langer Moment.



Stille.



Dunkelheit.



Unbehagen.



Angst.



»Ich kann nicht. Es tut mir leid, Kaspar. Alles ist meine Schuld.« Ein kurzes Schweigen trat ein. »Als ich zu dir Kontakt aufnahm, hat Drawen einen Dunkelzauber heraufbeschworen. Mit diesem Zauber hat er dich an diesen Ort hier gebracht. Dann wollte er mit dem Zauber die Verbindung zwischen uns trennen. Ich habe alle Möglichkeiten versucht, den Zauber zu brechen – ohne Erfolg«, erklärte Luck mit kräftiger Stimme, »aber ich habe es geschafft, dass wir uns weiter unterhalten können.«



Kurze Zeit war es wieder still. Als Luck endlich weitersprach, war seine Stimme leiser geworden, aber immer noch gut zu verstehen. »Es steht sehr viel auf dem Spiel, und ich weiß, dass du schnellstmöglich die goldenen Drachentränen finden musst und keine Zeit für andere Aufgaben hast. Aber Drawen hat es geschafft, Kontakt zu den Geisterwesen aufzunehmen.«



Kaspar kratzte sich am Kopf. Rechts von Kaspar flackerte kurz ein Licht auf. Er trat einen Schritt vor und spähte in die Dunkelheit.



Nichts.



Es war wieder fort.



»Hast du das auch gesehen, Luck?«, fragte Kaspar.



»Was hast du gesehen?«



»Ein Licht.«



»Hmmm«, überlegte Luck.



»Was hast du?«, fragte Kaspar mit zitternder Stimme.



»Vielleicht hat Drawen die Barriere überwunden und ist auf dem Weg zu dir«, vermutete Luck, »also höre mir jetzt gut zu, Kaspar!«



Es folgte ein langgezogenes, erschütterndes Brüllen wie von einem wilden Tier, das Kaspar durch Mark und Bein ging. Es ließ den Boden unter Kaspars Füßen erzittern. Kaspar dachte schon, das Brüllen würde niemals enden. Doch plötzlich trat eine Stille ein. Eine unheimliche Stille. Würde jetzt eine Stecknadel zu Boden fallen, hätte man sie hören können, dachte Kaspar.



»Was war das?«, hauchte Kaspar erschrocken.



»Das hat nichts Gutes zu bedeuten«, kam es von Luck.



Kaspar fror immer noch, und als er in die Dunkelheit spähte, glaubte er in der Ferne ein Leuchten wie von einer Laterne zu sehen. Dann bebte der Boden unter Kaspars Füßen, und vor ihm wich die Dunkelheit zur Seite. Eine verschneite Straße tauchte auf. Kaspar wollte nicht lange darüber grübeln, woher die Straße kam und was das zu bedeuten hatte.



»Was immer du mir zu sagen hast, Luck, tu es schnell«, forderte Kaspar ihn auf.



»Also, Drawen will ein Bündnis mit den Geisterwesen schließen und hofft mit ihrer Hilfe, der Zwischenwelt entkommen zu können.«



»Was für ein Bündnis soll das denn sein?«, fragte Kaspar.



»Es geht um irgendein Artefakt, das Drawen braucht, damit er der Zwischenwelt entkommen kann, dabei spielt eine richtige Sternenkonstellation eine wichtige Rolle«, erklärte Luck.



»Um was für ein Artefakt handelt es sich?«



»Das weiß ich nicht.«



»Es könnte sich um den goldenen Spiegel handeln, den wir Gohr abgejagt haben«, vermutete Kaspar und blickte dabei die verschneite Straße entlang und beobachtete das Leuchten, das langsam näher kam. Im nächsten Augenblick löste sich auch die Dunkelheit über der verschneiten Straße auf und ein wolkenverhangener Himmel kam zum Vorschein, aus dem nun Schneeflocken rieselten. Ein starker Wind blies ihm dicke Flocken ins Gesicht.



»Toll. Ganz toll«, murmelte Kaspar. »Mir ist auch schon ohne Schnee kalt genug.«



Kaspar wischte sich den Schnee aus dem Gesicht.



»Was haben denn die Geisterwesen von dem Bündnis mit Drawen?«, hakte Kaspar nach.



Lucks Stimme klang hektisch: »Ich habe erfahren, dass Drawen den Geisterwesen als Gegenleistung den Zugang zur Zwischenwelt versprochen hat ...«



»Was wollen die Geisterwesen denn in der Zwischenwelt?«, unterbrach Kaspar.



Kaspar hörte ein Kreischen, und als er die verschneite Straße entlang blickte, sah er nun eine Gestalt mit einer Laterne näher kommen, und vor ihr flog ein Schwarm kreischender, schwarzer Vögel.



»Erlösung aus ihrem Dasein«, antwortete Luck schnell, und Kaspar sah, wie der Vogelschwarm schnell näher kam.



»Scheiße!«, fluchte Kaspar. »Was sind denn das für Viecher?«



Die Vögel waren groß wie ausgewachsene Raben und spien Feuer wie Drachen.



»Dämonische Feuervögel«, antwortete Luck hektisch.



»Du kannst sie auch sehen?«, fragte Kaspar.



»Ja, ich sehe die Vögel und die verschneite Straße und die Gestalt mit der Laterne«, sagte Luck.



»Kannst du erkennen, wer das ist?«



»Nein«, antwortete Luck und fuhr schnell fort: »Auf jeden Fall versammeln sich die Geisterwesen nun in den Wäldern von Eduan, um über das Bündnis mit Drawen zu beraten.«



Eine Feuerkugel flog auf Kaspar zu, die aus der Richtung des mysteriösen Unbekannten kam. Kaspar duckte sich schnell, und das war auch sein Glück, denn die Feuerkugel hätte ihn sonst voll erwischt.



»Wie komme ich hier fort?«, wandte sich Kaspar in die Richtung, aus der Lucks Stimme kam.



»Halte noch ein wenig durch«, rief Luck, und Kaspar wandte sich wieder der verschneiten Straße zu.



Kaspar kniff die Augen zusammen und sah, wie die Straße in der Ferne auf eine Kreuzung führte. Kaspar schlang sich die Arme um den Leib.



»Es wird immer kälter«, rief Kaspar. »Bitte hilf mir, Luck«, flehte er.



Kaspar wurde auf ein rauschendes Geräusch aufmerksam und sah mit großem Entsetzen, wie ein gewaltiger Wasserstrahl um die rechte Ecke der Kreuzung schoss.



Ich bin verloren, dachte er.



»

Luck

!

 Luck

!«, brüllte Kaspar panisch. »

Luck, wo bist du



Keine Antwort.



Luck war verschwunden.



Eine Männerstimme tauchte in der Dunkelheit neben Kaspar auf. Tief und bestimmend, wie die Stimme einer Person, die ihr ganzes Leben damit verbracht hatte, Befehle zu geben.



»Kaspar? Kannst du mich hören?«, sagte sie.



Kaspar drehte sich im Kreis und suchte nach einem Ausgang.



Vergebens.



»Ja, ich höre Sie!«, sagte Kaspar.



»Ich bin es, Balthasar«



»Balthasar?«, hauchte Kaspar.



»Ja. Ich bin es, Balthasar.«



Jetzt erkannte Kaspar Balthasars Stimme. Sie klang jetzt näher. Da war noch etwas anderes an dieser Stimme, sie klang besorgt.



»Wie geht es dir, Kaspar?«



»Im Augenblick lebe ich noch«, sagte Kaspar schnell, »aber wenn ich nicht bald hier fortkomme, wird sich das rasch ändern.«



Kaspar sah, wie die Vögel rasch näher kamen. Sie würden ihn bald erreichen. Die Gestalt mit der Laterne nahm langsam Konturen an. Die langen, schwarzen Haare auf dem Kopf des Unbekannten, erinnerten ihn an Drawens widerliche Frisur. Was sollte der Blödsinn? Wenn es Drawen war, wollte er ihn etwa dreimal töten? Er schickte die feuerspeienden Vögel – dann kam Drawen selbst und schoss Feuerbälle auf ihn – und schließlich kam das reißende Wasser, um ihn zu ertränken. Kaspar zog sein Schwert und wich bis zur Dunkelheit hinter seinem Rücken zurück. Wenn er schon sterben sollte, dann wollte er ein paar dieser Viecher mit in den Tod nehmen. Der Wind nahm zu und blies ihm dicke Schneeflocken ins Gesicht. Die ersten Vögel kamen. Kaspar erhob sein Schwert und schlug zu. Eine kräftige Hand packte Kaspar am Kragen und zog ihn in die Dunkelheit hinein. Er sah, wie ein Vogel ihm feuerspeiend hinterher flog. Doch als das Biest ihm in die Dunkelheit folgte, fing es Feuer und brannte lichterloh. Mit einem Krächzen stürzte es in die Tiefe. Kaspar blickte dem brennendem Vogel nach. Er bemerkte, dass es keinen Boden unter seinen Füßen gab, dennoch fiel er nicht. Wer immer ihn da zu fassen bekam, zerrte ihn immer weiter in die Dunkelheit hinein. Kaspar sah nur noch schemenhaft, wie der Schwarm feuerspeiender Vögel um die Gestalt kreiste, die versuchte mit der Laterne in die Dunkelheit zu leuchten.



»Helft mir!«, hörte Kaspar die Stimme sagen. »Schnell, Nox, Niko, Juana!«, sagte sie noch, bevor die Dunkelheit Kaspar gänzlich umgab.



Kaspar verlor das Bewusstsein.



»

Geschafft

!«, brüllte ihm eine Stimme ins Ohr, und Kaspar schreckte hoch. Niko, dachte Kaspar benommen und stellte fest, dass er wieder in Balthasars Hütte war.



»Wir haben ihn«, jubelten Nox und Juana gleichzeitig.



»Ich bin froh, dass dir nichts passiert ist«, blinzelte Juana Kaspar zu, der sie verstört ansah.



Kaspar wandte sich an Balthasar und sah in das besorgte Gesicht des Zauberers, das aber schon bald ein kleines Lächeln zeigte.



»Das war ganz schön knapp«, sagte Balthasar, »aber – schön dich zu sehen, Kaspar – lebend«, ergänzte Balthasar erleichtert.



Kaspar fielen Schneeflocken aus dem Haar und von der Kleidung.



»Was ist geschehen?«, fragte Kaspar an Balthasar gewandt.



»Luck nahm Kontakt zu dir auf, dadurch konnte auch Drawen eine Verbindung zu dir herstellen. Er beschwor einen Dunkelzauber herauf und wollte dich damit vernichten«, erklärte Balthasar.



»Ja«, nickte Kaspar, »Luck hat mir von dem Dunkelzauber erzählt.«



»Und wie haben Sie mich gefunden?«, fragte Kaspar.

 



»Nachdem der Kontakt zwischen Luck und dir abgebrochen war, nahm Luck Verbindung zu Nox auf. Er schaffte es, Nox noch mitzuteilen, was geschehen war, bevor Drawen auch diese Verbindung mit dem Dunkelzauber unterbrach«, erklärte Balthasar ruhig. »Nox und ich haben uns sofort an die Arbeit gemacht und einen Aufspürzauber heraufbeschworen, um dich zu finden.«



»Danke«, schnaufte Kaspar.



»Das war ganz schön knapp, mein Freund«, sagte Nox.



Kaspar wandte sich Nox zu.



»Du kennst Luck?«, fragte Kaspar erstaunt. Nox bestätigte Kaspars Frage mit einem Nicken. »Da habe ich ja wohl großes Glück gehabt«, sagte Kaspar.



Kaspar klopfte sich den Schnee von der Kleidung.



»Dann war es dieses Mal kein Traum, sondern ich war wirklich an diesem seltsamen Ort?«, fragte Kaspar.



»Die Macht des Dunkelzaubers hat dich von hier fortgetragen«, nickte Balthasar. »Du warst sowohl hier als auch dort«, sagte Balthasar.



Kaspar sah den Zauberer verdutzt an. »Ich war an beiden Orten gleichzeitig?«, stutzte Kaspar.



Balthasar nickte.



»Wie soll das gehen?«, fragte Kaspar.



»Zauberei«, sagte Niko ernst.



»Wo ist eigentlich Lars?«, fragte Kaspar schließlich und wollte über den Dunkelzauber nicht weiter nachdenken.



»Ich habe ihn zu Numba geschickt und wollte mir mit den beiden eine Option offen halten, um dich zu retten.«



Kaspar sah Balthasar schweigend an.



»Lars wollte mit dem Drachen fliegen, um mich zu retten?«, fragte Kaspar verstört.



Niko grinste und sagte schließlich: »Er stand uns hier im Weg.«



Kaspar lächelte.



»Du kannst Lars wieder hereinholen, Nox«, sagte Balthasar.



Nox machte eine Bewegung nach rechts und löste sich in einer Nebelwolke auf.



»Und du, Kaspar, kannst mir gleich beim Frühstück erzählen, was Luck von dir wollte«, sagte Balthasar.



Lars kam in die Hütte hineingestürmt. Als er vor Kaspar stand, trat er nervös von einem Bein auf das andere, während er sagte: »Mein Gott, ist das Schnee?«



»Ja«, lachte Kaspar.



Niko stutzte. »Eine andere Frage fällt dir da wohl nicht ein, Lars?«, sagte er.



»Ach ja ...«, fing Lars an, und Niko unterbrach ihn: »Ist das Schnee?«, schüttelte Niko den Kopf. »Vielleicht hättest du mal fragen können, wie ...«, sagte Niko, und Kaspar unterbrach ihn mit sanfter Stimme: »Ist schon gut, Niko.«



»Bin froh, dass dir nichts passiert ist«, sagte Lars an Kaspar gewandt.



Kaspar nickte ihm zu.



»Wann gibt's 'was zu essen? Wo ist Nox?«, fragte Niko in die Runde.



Juana schüttelte den Kopf.



Balthasar und Kaspar lächelten, als Lars mit Schmollmund brummte: »Das waren wirklich zwei überaus kluge Fragen von dir, Niko.«



Niko starrte Lars verblüfft an.




***




Kaspar sah zum Fenster hinaus. Die Landschaft war mit einer Schneedecke überzogen. Es hatte aufgehört zu schneien. Kaspar ging so einiges durch den Kopf, als er sich an den Tisch zu den anderen setzte, um mit ihnen zusammen zu frühstücken. Kaspar nahm wieder neben Balthasar Platz. Er wandte sich nach rechts dem Zauberer zu, der schweigend seinen Tee trank. Dann wandte sich Kaspar kurz nach links Juana zu. Sie aß ein Stück frisches Brot, das Nox eben gebacken hatte. Kaspar dachte an den Tag zurück, an dem sie die magische Karte gefunden hatten. Durch diese Entdeckung hatte sich sein Leben und das Leben seiner Freunde total verändert. Nichts würde mehr so sein wie früher. Er musste an so vieles denken: An die Rollenspiele und die Schwertkämpfe, an seine Fantastereien von fremden und mystischen Welten, an die Kämpfe mit imaginären Drachen und Dämonen. Kaspar atmete schwer. Jetzt war es mehr als nur ein Spiel.



Kaspar dachte an seine Visionen, seine geheimnisvollen Träume und natürlich auch an seine wundersame Reise in die Andere-Welt. Die magische Karte, die er nun besaß, verfügte über ganz besondere Kräfte. Auch wenn er diese zur Zeit weder verstehen noch erklären konnte, eines Tages würde er die magische Karte kontrollieren können.



Niko räusperte sich.



Kaspar blickte zu Niko, der mit vollem Mund fragte: »Was ist mit dir, Kaspar? Träumst du noch?«



Kaspar schüttelte den Kopf.



»Ich musste an so manche Dinge denken«, antwortete Kaspar.



»An was denn?«, wollte Lars wissen.



»Nicht so wichtig, Lars.«



Kaspar wandte sich dem Zauberer zu, der von ihm wissen wollte, wie das Treffen mit Luck verlaufen war. Kaspar erzählte von dem seltsamen Ort, an den er durch den Dunkelzauber gelangt war.



»Wer sind diese Geisterwesen«, wollte Kaspar wissen, als er alles berichtet hatte, »und woher kommen sie?«



»Das ist eine etwas längere Geschichte«, antwortete Balthasar.



»Wollen wir gleich irgendwohin aufbrechen?«, fragte Niko kess.



»Nein«, antwortete Balthasar.



»Dann ist genügend Zeit für eine längere Geschichte«, sagte Niko.



Balthasar lächelte.



»Ich weiß ja, woher die Geisterwesen kommen«, warf Nox ein. »Ich räume dann mal den Tisch ab und bereite noch eine Wurzelcreme vor.«



Balthasar fuhr sich durch den langen Bart und sagte: »Wo fange ich denn am besten an?«



»Am Anfang?«, sagte Niko dreist.



»

NIKO

!«, ermahnte Juana ihn.



Balthasar begann mit der Geschichte: »Die Geisterwesen waren einst ein Wandervolk, und sie kamen in Scharen aus einem fernen Land. Sie überquerten den großen Ozean mit Schiffen und ließen sich hier in den Wäldern von Eduan nieder. Binnen weniger Sonnentage hatten sie ihre Zelte aufgeschlagen. Die Siedler mussten noch viel von der neuen Welt lernen, von deren Existenz sie nie zuvor etwas geahnt hatten. Sie konnten sich vorher nicht vorstellen, dass es außer ihnen noch andere Völker jenseits von ihrem Land gab. Sie glaubten bis dahin, ihr Volk wäre ganz allein auf dieser Welt und freuten sich, als sie dem damaligen König und seinem Volk begegneten. Sie suchten keinen Streit mit dem Volk, sondern wollten mit ihm in Frieden leben. Die Siedler waren neugierig darauf, die neue Welt zu entdecken, und verwundert, dass der König sie ablehnte. Der König ließ einen Zauberer herbeibringen ...«



»Warum konnte der König die Siedler denn nicht leiden?«, fragte Lars dazwischen.



»Lass Balthasar doch in Ruhe erzählen«, ermahnte Niko ihn, »es ist gerade so spannend.«



»Ich will aber wissen ...«



»Sei still!«, winkte Niko ab.



»Also, wenn jemand von euch eine Frage hat, darf er sie gerne stellen«, stellte Balthasar klar und wandte sich Lars zu: »Warum der König sie nicht leiden konnte, wusste niemand zu erklären. Vielleicht, weil er fürchtete, dass sie eines Tages mehr von seinem Land in Anspruch nehmen würden und er dadurch langsam seine Macht verlieren könnte.« Balthasar legte eine kurze Atempause ein. »Der König lehnte sie also ab«, wiederholte Balthasar, »trotzdem waren es glückliche Zeiten für die Siedler, in denen es keinen Krieg zwischen ihnen und dem König gab, denn die Siedler konnten sich nicht vorstellen, zu töten und zu morden. Sie suchten nur einen friedlichen Platz zum Leben. Die Siedler brachten neue Götter in die Welt des Königs und gaben sich selbst den Namen Eduaner – in Anlehnung an den Namen der Hochebene, die jetzt zu ihrer neuen Heimat geworden war, und als die Siedler dann auch noch eine Stadt bauten, mit einer weißen Stadtmauer, weißen Türmen und Häusern, der sie den Namen Ednu gaben, zeigte der König eine tiefe Abneigung gegen die Siedler. Sie waren ihm ein Dorn im Auge, und er wollte sie mit allen Mitteln aus seinem Königreich vertreiben.«



Balthasar atmete tief durch die Nase ein. Kaspar lag eine Frage auf der Zunge, doch als er Balthasar in die Augen sah, ließ er ihn in Ruhe erzählen.



»Der König ließ also einen Zauberer herbeibringen, dem er mit dem Tode durch das königliche Zepter drohte, das die Macht besaß einen Zauberer zu vernichten. Daraufhin gehorchte der Zauberer dem König willenlos und versprach, dass er bei der Vernichtung der Eduaner helfen würde«, erzählte Balthasar und griff nach der Tasse Tee. »Oh, sie ist schon leer«, stellte Balthasar fest.



Kaspar schluckte. Er erinnerte sich wieder an einen Traum, den er vor sehr langer Zeit hatte. Nox kam herbeigeeilt und goss Balthasar

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