Dann stirb doch selber

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Freitag 23.8.
38. Szene

Magdalena

Am nächsten Morgen wollte ich ein ausgiebiges Bad nehmen, aber dann kamen Sylvia und Julia. Sie brachten einen selbstgebackenen Kuchen mit und einen Kaffee, der Tote zum Leben erwecken konnte, nur eben nicht Harry.

„Du kannst nicht ewig Trübsal blasen, das Leben geht weiter, und Harry hat dich immerhin geliebt. So was erleben manche Menschen nie!“ Julia nahm ihren Teller in die Hand, lehnte sich zurück und erzählte von einsamen, ungeliebten Männern, die Tag für Tag und Nacht für Nacht zu ihr kamen.

Julia war eine Zauberfee, und das hielt ich für die hübscheste Umschreibung ihres Berufes überhaupt. Bei ihr durften die Männer sich wünschen, was sie wollten, Dinge, die sie sonst nirgends bekamen. Dafür bezahlten sie gerne.

Als ich zum ersten Mal davon erfuhr, war ich, wie wohl die meisten Menschen, erst einmal schockiert, versuchte mir ihr Leben auszumalen, ohne eine Ahnung davon zu haben. Ich musste einen Mann lieben oder wenigstens unheimlich anziehend finden, so wie Harry damals. Ohne Liebe war es für mich unmöglich, mit einem Mann zu schlafen. Julia konnte das, und verdiente dabei nicht schlecht. Trotzdem wurden wir Freundinnen. Wir respektierten einander.

Bei einem festen Kundenstamm war Julias Risiko relativ gering. Die Herren waren verheiratet, scheuten jeglichen Skandal und suchten in der Regel Abwechslung von ihrer lustlosen Ehefrau oder den richtigen Kick.

„Sag mal, Julia, vor ein paar Tagen stand so ein Typ mit Maske und langem schwarzen Mantel vor deiner Tür, wollte der was Bestimmtes?“, fragte Sylvia recht naiv.

Julia lachte, „natürlich wollte der was Bestimmtes, sonst wäre er ja nicht zu mir gekommen.“

„Mit einer Maske? Hast du so was öfters?“, wollte ich wissen.

„Manche brauchen das, und bei ihm ging es sogar noch weiter.“

„Ach!“ Sylvia legte ihre Gabel weg und beugte sich vor.

„Ihn törnen gut platzierte Schläge an, die Maske ist nur Teil seines Spieles. Aber sonst ist er total nett und unheimlich großzügig.“

„Und hast du es ihm ordentlich gegeben?“ Ich sah Sylvia mit schwarzen Lackstiefeln und Peitsche über einem armen wimmernden Mann stehen und auf ihn eindreschen. Das war wirklich zu komisch.

„Er ist verheiratet, da muss man sehr vorsichtig vorgehen, damit keine Andenken zurückbleiben, sonst kriegt er daheim Ärger.“

Sylvia ereiferte sich: „Aber das will er doch, oder?“ Sie sah mich fragend an.

Unwissend zuckte ich die Schultern. „Keine Ahnung!“ gab ich zu, denn Harry hatte so etwas nicht begeistert.

„Falls du es mal ausprobieren willst, nimm auf jeden Fall etwas Flaches, einen Tischtennisschläger zum Beispiel oder die Rückseite einer Haarbürste“, empfahl Julia und aß ihren Kuchen weiter, als hätte sie gerade irgendwelche Tipps über das Rühren von Knetteig gegeben.

„Das ist gar keine so schlechte Idee, wenn ich mir vorstelle, dass ich im Krankenhaus Tag für Tag schufte und es doch nie so weit bringen werde wie du, dann könnte ich mir wirklich vorstellen, in Zukunft für Geld Männer zu verhauen!“ Bei dieser Vorstellung verschluckte ich mich beinahe und außerdem bahnte sich bei mir ein Lachkrampf an.

„Du brauchst gar nicht zu lachen, Magdalena, ich trage mich schon lange mit dem Gedanken, dem Krankenhaus den Rücken zu kehren. Öffentlicher Dienst hin oder her, was hilft es mir, wenn sie jetzt öffentlich auf unserem Rücken sparen?“

„Was willst du denn sonst machen?“, fragte ich, und Sylvia zuckte unwissend die Schultern: „Weißt du, das ist im Moment nicht so einfach.“

Das Telefon klingelte, und Julia fragte: „Warum?“ Ich nahm den Hörer ab, lauschte und sah, wie Sylvia rot wurde und Julia ungläubig den Kopf schüttelte. Dann musste ich mich auf das Gespräch konzentrieren, es war sehr leise.

„Hallo, Magdalena, ich muss dir unbedingt was erzählen!“

„Wer ist denn da?“, fragte ich, weil ich die Stimme nicht zuordnen konnte.

„Jutta“, antwortete das Flüstern. „Magdalena, das komische Verhalten hängt doch mit der Firma zusammen. Der Chef ist völlig fertig und verlangt dauernd nach dir. Hast du irgendetwas angestellt?“

Ich schüttelte den Kopf: „Nein“, hauchte ich.

„Er sagt nichts, aber diese verfluchte Stella hat...“

Im Hintergrund wurde eine Tür geschlagen und dann erlebte ich das Donnerwetter: „Jutta!!!“, schrie er, und Jutta flüsterte: „Ich muss jetzt Schluss machen, ich ruf dich wieder an!“

Was war das denn, so hatte ich meinen Chef noch nie erlebt! Ich setzte mich an den Tisch zurück und nahm einen Schluck Kaffee. Die beiden waren noch immer beim selben Thema.

„Na, ich weiß nicht, Abfindung hin, Sicherheiten her, ich bin lieber meine eigene Chefin, da kann ich machen, was ich will!“

„Du? Du musst doch machen, was die Männer wollen!“, schnaubte Sylvia verächtlich. Aber Julia nahm es gelassen, sie kannte diesen Standpunkt. Er rührte daher, dass Sylvia von Annas Vater verlassen worden war, als Ausgleich für ihre Erziehung diese Wohnung bekommen hatte und seither eigentlich kein großes Glück mehr mit Männern hatte, außer kleineren Spielereien.

„Ach Sylvie, du siehst das völlig falsch, ich mache es, weil ich Spaß am Sex habe, und wenn es mir mal keinen Spaß macht, dann bekomme ich wenigstens gutes Geld dafür. Außerdem entlaste ich so manche Ehefrau. Im Prinzip ist es nicht anders als bei dir. Ich erbringe eine Dienstleistung. Du pflegst deine Männer so und ich pflege sie so, beides tut ihnen gut!“

Sylvia schien nicht wirklich überzeugt zu sein und auch ich überlegte mir, ob ich mich jeden Abend vor einem anderen Mann ausziehen und seine Wünsche erfüllen wollte. So lustig, wie Julia das manchmal schilderte, konnte ich es mir nicht vorstellen.

„Lass uns nicht streiten, in deinem Zustand ist das nicht gut“, lenkte Julia versöhnlich ein, und ich merkte, dass mir vorhin tatsächlich etwas entgangen sein musste.

„In welchem Zustand?“, fragte ich daher.

„Sylvie ist schwanger!“, erklärte Julia so stolz, als sei es von ihr.

39. Szene
Klara

Die Eichenholzkommode schaute mich zweifelnd an. Ich fühlte mich schlecht und vermutlich spürte sie es. Nach der letzten Tour hatte ich mich noch mit Obermüller getroffen. Ach, der gute Obermüller.

Julia Fabriosa heißt in Wirklichkeit Andrea Sondelhofer und arbeitet als Callgirl. Sie ist eine richtige Hure; daher der Wohlstand!

Der Inhalt meines Glases war rot. Wodka mit Erdbeersaft. Ich trank und war ein bisschen belustigt über Andrea-Julia-Sondelhofer-Fabriosa.

Natürlich ist das hochinteressant und unheimlich wichtig für mich. Ich will schließlich meine Vergangenheit ablegen, und wie könnte ich es in Passau besser zu etwas bringen, als durch Informationen? Diese Julia empfing bestimmt tolle Männer. Kleine Würstchen trauen sich ja nicht zu so einer, die verdrehten höchstens den Kopf nach einer wie mir. Hin und wieder tun wir uns dann für eine Nacht zusammen und vergessen dabei unser Elend.

Beim nächsten Schluck dachte ich über die Möglichkeit eines Beobachtungspostens nach. Eine kleine Andeutung hier, eine Indiskretion da, schon öffnen sich Tür und Tor, das war überall so.

Meine Vorbereitungen waren ebenso wie meine Informationsquellen immer einwandfrei gewesen - ich trank einen wütenden Schluck - bis man mich zum Ziel des Spottes gemacht hatte. Der Wodka besänftigte mich, in Zukunft wollte ich mir meine Männer genauer anschauen. Ohne Eile erhob ich mich vom Bett. Das Glas war leer, mein Geist leicht. Ich konnte weiter trinken, entschied mich aber für den Sinn des Lebens.

Bei den blonden Frauen war leider keine dabei, die in Frage kam. Meine Hochachtung für so schnelle Arbeit. Mein erster Gedanke war: sie will sich verbergen. Der zweite: Magdalena kennt sie, erkennt sie und sagt aus. In meinem Auto lagen noch die Sachen von Harry Kaufmann. Ich könnte seine Magdalena noch einmal besuchen, sie ihr geben und sagen: „Komm, lass uns ein wenig über deinen Harry plaudern!“

40. Szene
Magdalena

Jutta hatte nicht mehr angerufen. Also war es vermutlich nichts Ernstes gewesen, der Chef wieder ruhig und am Montag alles wie immer. Nachdem Julia und Sylvia mich verlassen hatten, nahm ich mir die Wohnung vor, putzte, suchte mir einen lustigen Film für den Abend heraus und leerte eine ganze Büchse Ravioli. Satt und zufrieden wartete ich auf den Vorspann. Ich hatte mir eine Flasche Weißwein kalt gestellt und freute mich auf den Film. Doch dann kam alles anders. Vor der Tür stand die Kommissarin mit einigen Sachen unter dem Arm, die ich sofort erkannte. Sie wolle nicht stören, sagte sie, und hereingelassen werden. Film adé.

„Wenn Sie schon nicht wissen, wo Ihr Freund an jenem Freitag hin wollte, dann wissen Sie ja vielleicht, wo er herkam?“ Sie hielt mir den Packen entgegen, die Brieftasche obenauf. Zumindest sie war jetzt wieder da, wo sie hingehörte. Die Kommissarin deutete darauf. „Leider war hier noch nicht mal eine Tankrechnung drin, obwohl das Auto erst sechzig Kilometer vor dem Unfall getankt worden war. Wissen Sie etwas darüber?“

Ich roch ihre ziemlich scharfen Pfefferminzbonbons. „Nein, nein, ich weiß nichts darüber!“

„Sie müssen uns helfen, sonst können wir seinen Tod nie aufklären!“

Ich ging zum Kamin und sah sein Bild an. „Können Sie ihn mit Ihren Methoden am Ende auch wieder lebendig machen? Ich meine, so richtig, nicht nur in meiner Erinnerung?“

„Nein, natürlich nicht, aber wir können den Täter verurteilen und bestrafen.“

 

„Harry bleibt trotzdem tot!“ Resigniert ließ ich mich in den Sessel fallen. Die Kommissarin ging nun ebenfalls zum Kamin und schaute sich Harrys Bild lange an. Noch hatte mich die Trauer nicht völlig überwältigt. Ich stand auf, holte den Weißwein und zwei Gläser und fragte: „Möchten Sie auch ein Glas?“ Mein Film hatte eh längst angefangen, da konnten wir auch ein wenig plaudern.

„Ja gern!“ Sie löste sich von Harrys Foto und setzte sich zu mir. Ich musterte sie heimlich, während sie das Glas gierig in sich hineintrank.

„Harry sah sehr gut aus, er war sehr sportlich.“ Gespannt sah ich auf. „Sicher haben Sie noch mehr Bilder von ihm!“ Sie zeigte zum Kamin. Ich zögerte, dachte nach, dann holte ich mein Lieblingsalbum.

41. Szene
Klara

Das war der Moment, an dem es anfing, schief zu laufen. Magdalena reichte mir ein Fotoalbum und ließ mich blättern. Sie sahen unverschämt glücklich aus, für meinen Geschmack zu glücklich. Ein Bild zeigte ihn am Tennisplatz, ein anderes beide gemeinsam am Badesee, Sylvia mit Baby, Harry mit Anna, dann eines in der Wüste in Shorts und Khakihemd, das Gewehr im Anschlag, mit einem Bock als Trophäe unter seinem rechten Fuß.

Ein warmes Kribbeln breitete sich in meinem Bauch aus, während ich Seite für Seite umblätterte und jedes Detail studierte. Der Pathologe hatte Recht: diesem Körper wurde gehuldigt und er war zu schön für eine Frau allein. Nachdem Magdalena nachgeschenkt hatte, trank ich einen Schluck Wein und gleich noch einen. Dann deutete ich auf das Jagdbild: „Wo war das?“ Magdalena beugte sich vor und Stolz zeigte sich auf ihrem Gesicht. „Das war in Namibia bei der Oryxjagd!“

Mein Magen knurrte, ich hatte den ganzen Tag nur wenig gegessen, hastig trank ich noch einen Schluck. Auf der letzten Seite sah ich Harry dann fast nackt in Positur, ein Bild wie aus der Werbung. Ich löste es vorsichtig unter der Klebefolie heraus und fragte möglichst unschuldig: „Darf ich mir das hier mitnehmen?“ Magdalena nippte verträumt an ihrem Weinglas, sicher dachte sie an jenen Urlaub zurück, jetzt schoss sie hoch, riss mir das Bild aus der Hand. „Warum?“, fragte sie und drückte es an sich. Alkohol machte einen manchmal sentimental und hemmungslos und manchmal auch aggressiv, so wie mich jetzt.

„Finden Sie es eigentlich gerecht, so einen Mann ganz für sich allein zu haben? Ihr Freund war bereit, seinen Körper mit anderen zu teilen, das zeigen die Spuren im Auto, warum geben Sie dann nicht wenigstens dieses Bild von ihm her?“

„Harry hatte keine andere Frau, egal, wie oft Sie es behaupten!“ Sie war aufgestanden und schaute mich wütend an.

„Wir haben eindeutig blonde Haare gefunden, kolorierte blonde Haare, von einer gesunden jungen Frau“, fügte ich einfach frech hinzu, „warum wollen Sie es nicht wahrhaben, er hatte eine Andere, und vermutlich hat deren Ehemann Ihren Freund aus dem Weg geräumt. Und jetzt frage ich Sie: Wer war sie, und wo waren Sie am Freitag letzter Woche?“

Sie stand ganz ruhig vor mir. „Und ich sage Ihnen, er hatte keine andere Frau, und die Spuren in seinem Auto bedeuten überhaupt nichts.“ Wie zur Beruhigung atmete sie kurz durch, dann warf sie mich raus. Wenn ich keine vernünftigen Fragen hätte, sollte ich besser gehen und froh sein, wenn sie das, was heute hier passiert war, nicht meinem Chef mitteilte.

Schlagartig war ich wieder nüchtern. Verdammt, ich hatte sie provoziert und war zu weit gegangen. Schnell verließ ich das Haus. Einen weiteren Vermerk in meiner Akte wegen eines Mannes wollte und konnte ich auf keinen Fall riskieren.

Samstag 24.8.
42. Szene
Klara

Der Lärm der Autos unten auf der Straße trieb mich aus dem Bett. In der Nacht hatte ich das Fenster aufgemacht, weil mir schlecht war; jetzt musste ich es büßen. Nur mit Slip und Handy schlurfte ich aufs Klo und rief Christina an. In München würde ich ein wenig Abstand bekommen, von diesem Zimmer und von dem Mist, den ich bei der Morgenroth gebaut hatte. Wegen der Männer, oder wegen alkoholischer Verlockungen, oder eigentlich beidem zusammen, ich konnte einfach meine Finger nicht davon lassen!

Christina meldete sich verschlafen, ich hatte sie geweckt. „Ach Klara, du bist es!“

„Ich komme heute nach Hause, kannst du ein bisschen einkaufen?“, fragte ich vorsichtig, manchmal kaufte sie nämlich gerne ein, dann wieder hungerte sie sich den letzten Speck von den Rippen, nur weil ihr Freund darauf stand.

„Hm, ja, aber bei uns ist heute Abend Party angesagt, ich weiß nicht, ob du dich da wohl fühlst!“

„So schlimm wird es schon nicht sein.“ Eine Party wäre genau das Richtige, um meiner Seele frische Nahrung zu geben. „Was feiert ihr denn?“

„Wir feiern den Sieg über die Obrigkeit. Die letzte Demo war ein Bombenerfolg. So viele Verletzte gab es noch nie auf der anderen Seite!“

„Ach Christina, das ist doch Scheiße, was soll das denn?“ Ich war enttäuscht, dachte, sie hätte endlich aufgehört, mit diesen Querulanten zu verkehren, stattdessen trafen sie sich jetzt auch noch unter meinem Dach.

„Klara, das verstehst du nicht! Wir wollen etwas erreichen, und anders hört uns ja niemand zu!“

„Aber doch nicht mit Gewalt! Christina, das sind Polizisten, die da ihren Kopf hinhalten!“

„Ich weiß, darum wäre es auch besser, wenn du nicht kommst. Sie könnten etwas gegen dich haben!“

„Ja“, sagte ich lahm und legte auf. Mir war auch die Lust vergangen. Demonstranten in meiner Wohnung!

Ich zog mir einen Jogginganzug über und ging die Treppe hinunter. Wenn ich Glück hatte, lag im Hausgang noch die Zeitung für Berthold aus dem Parterre.

43. Szene
Magdalena

Frisch gewaschen umrahmten die dunklen Haare sein kantiges Gesicht. „Ich hab etwas für Sie!“, und er reichte mir einen einfachen Umschlag. Für einen Moment verzog sich sein Gesicht zu einem aufgesetzten Lächeln, dann verabschiedete er sich und ging. Unschlüssig blieb ich in der offenen Wohnungstür stehen, wusste nicht gleich, was ich davon halten sollte. Ich war gerade erst vom Einkaufen nach Hause gekommen. Hinter mir stand noch der Einkaufskorb mit Fertiggerichten, einem Strauß Rosen für Harry und der Zeitung.

Ich öffnete den Brief: jetzt war ich also Erbin eines Schrotthaufens und einer Waffensammlung, die bereits zur Versteigerung angemeldet war, besaß einen Anteil an einer gut gehenden Computersoftwarefirma, hatte eine eigene Wohnung und einen überzähligen Wäscheberg der Größe 50. Ich schob meine Fertigpizza in den Ofen - eigentlich hatte sich nichts geändert.

Beim Essen breitete ich die Zeitung vor mir aus, das lenkte mich ab, zunächst jedenfalls, dann entdeckte ich einen Bericht über Bernhard und sein Wahlkampfkonzept. Am Rande hatte der Reporter die Beerdigung seines Bruders erwähnt, und ich sah ein Bild von ihm und mir in tröstlicher Pose. Rasch blätterte ich weiter. Wie hatte der Pfarrer gesagt? „Nun lasset uns beten für denjenigen aus unserer Mitte, der dem Verstorbenen als erstes nachfolgen wird.“ Bei keiner der Todesanzeigen entdeckte ich einen Bekannten. Dafür appellierte das Rote Kreuz an meine Menschlichkeit und forderte mich auf, gut erhaltene Kleider zu spenden. Ich schaute in Richtung Schlafzimmer. Wenn, dann musste ich gleich handeln.

44. Szene
Klara

In der Zeitung war alles supertoll angepriesen und sah genau nach dem Richtigen für mich aus. Eine Wohnung wie meine in München hatte ich mir vorgestellt, etwas richtig Eigenes, am besten mit Blick über die Stadt, wie die der Morgenroth.

Ich rief einige Nummern an und schrieb die Adressen auf. Die letzte beschrieb mir den Weg bis in die Vornholzstraße. Diese Gegend kannte ich und sie gefiel mir.

Als ich ankam, war ich enttäuscht. Vor lauter Vorfreude hatte ich keine Minute mit der Möglichkeit gespielt, es könne sich um die Mietskasernen auf der anderen Straßenseite handeln.

Ich fuhr schnell weiter, kam am Haus der Morgenroth vorbei und entdeckte eine Baustelle. „Wir bauen für Sie!“ stand auf dem Plakat, und wenn sie das schon taten, konnte ich es mir ja auch gleich schon mal anschauen. Der Bauzaun zum angrenzenden Haus war schlampig zusammengenagelt, und als ich näher hin ging, erkannte ich zwischen zwei Brettern den Hof mit den Stellplätzen, den Schuppen und eine Seite der Werkstatt. Ich schaute mich um, von der Straße aus konnte man mich nicht sehen. Aber ich konnte beobachten, wer bei Andrea Sondelhofer alias Julia Fabriosa ein- und ausging. Ich konnte die Bretter ja noch ein bisschen lösen und vielleicht auch das eine oder andere Bild schießen. Das war ein idealer Posten. Ich sah mir die Autos an und überlegte, welches mir vom letzten Besuch noch bekannt vorkam. Die dunkle Limousine passte eindeutig nicht hierher. Da kam ein Mann über den Hof. Er war eigentlich nicht der Typ Mann, der zu einer Hure ging. Er sah gut aus, ging ohne Hast zu seinem Wagen und schaute sich kurz um, bevor er einstieg. Es war der Begleiter von Bernhard Kaufmann. Na so was, was machte der denn hier?

Ich beschloss, noch ein bisschen zu bleiben, suchte mir einen leeren Bierkasten, holte die Zeitung aus dem Auto und las. Der Bericht von unserem künftigen Landrat gefiel mir. So lernte ich gleich die ganze Familie kennen, ohne ihnen weitere Besuche abstatten zu müssen. Das Bild von ihm und Magdalena war qualitativ gut und brachte mich auf eine Idee. Könnte der Reporter, der diese Bilder geschossen hatte, nicht am Ende noch mehr davon haben?

45. Szene
Magdalena

Ich wollte mit Harrys Klamotten lediglich das Selbstwertgefühl einiger armer Kerle heben. Nur aus diesem Grunde holte ich einen Wäschekorb aus dem Keller und räumte den Schrank aus. Alles, was Harry gehört hatte, legte ich auf unser Bett: Hemden, Hosen und Unterwäsche konnte ich weggeben. Die Joggingsachen behielt ich, die passten mir auch, die Tenniskleidung dagegen schien mir ziemlich überflüssig.

Zärtlich strich ich über den Stoff, stellte mir Harry noch einmal in jedem seiner Hemden vor und legte sie danach entschlossen in den Wäschekorb. Auf einmal hielt ich inne. Harry war am Donnerstag mit zwei Sporttaschen in den Tennisclub gefahren. Am Sonntag sollte das Turnier sein. Dort war er aber nicht mehr gewesen, wie kamen dann seine Sachen wieder in den Schrank, noch dazu komplett? Kopfschüttelnd verwarf ich diese Frage und machte weiter.

Als ich fertig war, holte ich auch noch die Schuhe aus dem Schrank und steckte sie in eine Plastiktüte. Die Wander­stiefel musste ich erst putzen. Ich fasste mit der Hand hinein und fand ein Stück Papier. Es war klein und zusammengefaltet. Kalahari! las ich, nachdem es glatt gestrichen war. Kalahari! War das ein Versehen oder eine Botschaft?

Im Wohnzimmer war es inzwischen dunkel geworden. Ich schaltete einen Teil der Birnchen über den Bücherregalen an und sah mich um. Kalahari! Roter Sand, eintönige Ebene, Büschelgras, Dornbüsche, der Oryx! Namibia! Ich holte das Fotoalbum heraus und sah es vor mir. Rotes Land, so weit das Auge reicht. Aufgerissen von der Dürre. Ein Paradies für Jäger, denn wenn die Flusstäler ausgetrocknet sind, kommt jedes Wild zu den Wasserlöchern der Farmer und das ist die Chance des Jägers. Harrys Chance. Ich hörte das Krachen eines Schusses und zuckte zusammen.

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