Spielen und Lernen verbinden - mit spielbasierten Lernumgebungen (E-Book)

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5 Statt Gegensatz zwischen Spielen und Lernen: Spielen als Kontinuum

Im Gegensatz zur Unterscheidung zwischen Spiel und Nichtspiel und zwischen freiem Spiel versus Instruktion, richtet sich der Blick neu auf das Spiel als «Kontinuum» (Zosh et al. 2018). Das vom «play ethos» befeuerte Klagen über das Verschwinden des Freispiels oder gar das «Verschwinden der Kindheit» kann nun durch einen produktiven Diskurs über die verschiedenen Arten des Spiels zum Verstummen gebracht werden. Das Kontinuum (Tabelle 2) ermöglicht es, Spielen als verschiedenartige Tätigkeit von Kindern zu verstehen und zu beschreiben. Es ermöglicht auch, dass spielerische und instruktive Elemente kombiniert und abwechslungsweise in den Lernprozess eingebettet werden. Das Kontinuum ist darum nicht von links nach rechts als entwicklungspsychologisches Aufbauprogramm zu verstehen. Es mag aber helfen, den Übergang vom spielbasierten zum systematischen Lernen angepasster zu gestalten.

Unter Initiierung wird «in die Wege leiten» verstanden. Konkret bedeutet das, dass die Erwachsenen eine Umgebung beziehungsweise einzelne Spielangebote für die Kinder vorbereiten. Im freien Spiel hingegen beschäftigen sich die Kinder mit der vorhandenen Umgebung und dem Material, das sie vorfinden und das nicht speziell für sie vorbereitet wurde. Unter Steuerung wird die inhaltliche Steuerung des Spielprozesses verstanden und die freie Wahl gibt an, inwiefern diese gegeben beziehungsweise eingeschränkt ist. Im geführten Spiel (z. B. die Spielsequenz im Kindergarten) wählen die Kinder zwar selbst aus, was sie spielen möchten, aber die Lehrperson kann die Auswahl des Angebotes durch die Initiierung der Lernumgebung beliebig einschränken. In Lernspielen (z. B. vorgegebene didaktische Spiele oder spielerische Einheiten in geführten Sequenzen, wie Sing- und Kreisspiele) ist die Wahlfreiheit jedoch nicht gegeben. Die Reihenfolge der einzelnen Abstufungen (Kontinuum) vom freien Spiel bis hin zur direkten Instruktion bildet die Intensität der Steuerung des Kindes von aussen (z. B. durch die Lehrperson) beziehungsweise die Involviertheit von Erwachsenen ab. Will heissen: je stärker Lernziele im Fokus stehen, desto stärker ist die Steuerung von aussen. Kinder erreichen im geführten Spiel mit grösserer Wahrscheinlichkeit ein spezifisches Lernziel als Kinder, die im Freispiel verweilen. Es gibt auch einige Hinweise, dass bei jüngeren Kindern das geführte Spiel der direkten Instruktion überlegen ist (Weisberg et al. 2018; Hauser et al. 2014). Für die Förderung von schulischen Inhalten wäre demnach eine Verbindung zwischen dem natürlichen Verhalten von Kindern («Lerntrick der Natur»), dem Spielen, und dem lernzielorientierten Erwerben von Wissensbeständen hilfreich (Kübler 2015). Dies erfordert eine Kombination von spielerischem Lernen (das den Kindern Autonomie und Selbststeuerung zugesteht) und zielgeleitetem Lernen (welches eine von Erwachsenen vorbereitete Lernumgebung und eine entsprechende Spielbegleitung vorsieht) (Weisberg et al. 2016). Die bewusst inszenierte Verbindung von Spielen und Lernen, um das Erreichen von Lehrplanzielen wahrscheinlicher zu machen, scheint vielversprechend. Damit ist in keiner Weise das häufig in der Schule praktizierte Spielen gemeint, das lediglich als Entspannung in den Pausen dient. Sondern der Einsatz des Spiels als Lernform, die neben anderen wirksamen Lernformen wie etwa Lernen durch Beobachtung, Versuch und Irrtum, Exploration sowie Instruktion bestehen soll (Crowley 2017).

Tabelle 2 Spielkontinuum in Anlehnung an Wood & Attfield (2005); Fisher et al. (2011); McInnes et al. (2011); Gasteiger et al. (2015); Hassinger-Das et al. (2017); Pyle et al. (2017); Zosh et al. (2018); Hirsh-Pasek et al. (2018)


Das Kontinuum bildet im Kern ab, dass es zwischen dem freien Spiel und der direkten Instruktion viele Zwischenstufen gibt, die insgesamt unter «playful learning» (spielbasiertes Lernen) subsummiert werden können (Fisher et al. 2011; Toub et al. 2016; Hassinger-Das et al. 2017; Hirsh-Pasek et al. 2018). Dabei wird nicht argumentiert, dass die einzelnen Abstufungen «rein» ausgeführt werden müssten, sondern, dass direkte Instruktion und spielerische Phasen miteinander verknüpft werden können, je nach Voraussetzungen der Kinder und Lernziel. Das Kontinuum bildet demnach vielmehr ein Methodenrepertoire ab. Immer noch geht es aber darum, eine förderliche Balance zwischen angeleiteten Elementen und der kindlichen Autonomie im Spiel zu finden (Siraj-Blatchford et al. 2002, Duncker 2015; Weisberg et al. 2016). Nichtsdestotrotz: Erwachsene spielen gemäss diesen Erkenntnissen eine wichtige Rolle in der Vorbereitung, der Initiierung und der Begleitung von kindlichem Spiel.

6 Die Konsequenzen – Impulse setzende Erwachsene

Folgt man obigen Überlegungen, dass Erwachsene einen entscheidenden Anteil an der Förderung von Kindern im spielbasierten Lernen einnehmen – nicht nur durch Zurückhaltung, sondern durch aktives Engagement −, stellt sich die Frage, in welcher Form Erwachsene dies tun sollen und können. Die empirischen Resultate sind nur zum Teil ermutigend. So lässt sich beobachten, dass Lehrpersonen von 4- bis 8-jährigen Kindern während der Spielsequenz ihren Fokus vielfach auf Management und Überwachung des Unterrichts legen und sich seltener förderlichen Aktivitäten widmen (McInnes et al. 2011; Kucharz et al. 2014; Edelmann et al. 2018).

Einig ist man sich auf jeden Fall, dass Lehrerinnen und Lehrer den Kindern Spiel- und Lernumgebungen zur Verfügung stellen sollen, die den Erwerb bestimmter Lernziele unterstützen. Zudem soll der Spiel- und Lernprozess der Kinder durch Erwachsene begleitet werden. Diese Spielbegleitung kann vielfache Formen beinhalten, wie beispielsweise das Mitspielen, offene Frage stellen, kurze impulssetzende Kommentare usw. (siehe dazu Weisberg et al. 2016; Hauser 2016; siehe auch den Beitrag von Franziska Vogt in diesem Band). Letztlich geht es darum, eine Balance zwischen dem selbstgesteuerten Spielen und Lernen der Kinder und den Impulsen der Lehrpersonen zu finden. Für Weisberg u. a. (2016, S. 178) ist dies der Kern des «guided play» und die Formel für wirksames Lernen von jüngeren Kindern. Insbesondere der Anfangsimpuls sowie die von Erwachsenen konstruierte Spiel- und Lernumgebung sollen hier vertieft thematisiert werden. Diese spielbasierten Lernumgebungen können auch als «mise en place» (ein Ausdruck aus der Kochsprache) (Weisberg et al. 2016) oder als «playful learning landscape» (Hirsh-Pasek et al. 2018) bezeichnet werden.

Ebenso wird deutlich, dass das alleinige Bereitstellen von Lern- und Spielmaterialien mit einem dahinterliegenden Lernziel noch nicht ausreichend für die Initiierung eines lehrplanbezogenen Lernprozesses ist. Erwachsene spielen eine zentrale Rolle im kindlichen Spiel, indem sie Materialen bereitstellen und das Spiel begleiten, kommentieren oder gar mitspielen. Dies kann auf unterschiedliche Art und Weise geschehen: Zum einen können Lehrpersonen fachlich und didaktisch durchstrukturierte Materialangebote bereitstellen und diese durch Massnahmen (siehe Spielimpulse unten) für die Kinder interessant und attraktiv machen. Im Weiteren können Erwachsene den Spielprozess der Kinder unterstützen, indem sie Fragen stellen, kommentieren oder auch mitspielen. Zum anderen gilt aber auch, dass Lehrpersonen unstrukturiertes Material bereitstellen und beim Einsetzen des Spielprozesses, durch die Spielbegleitung das Material anreichern beziehungsweise den Kindern Spielvorschläge machen können (siehe das Beispiel «Brücken» im Kapitel «NMG») (Weisberg et al. 2016; Hauser 2016, S. 145).

Nachdem nun die grundsätzlichen Überlegungen dargelegt wurden, versuchen wir in den beiden folgenden Abschnitten die Bedingungen für das Verbinden von kindgesteuerten Spielaktivitäten und Lernziel unterlegten Einflussnahme auf das Spielen der Kinder zu beschreiben. Dies sind einerseits die Konzeption der materiellen Umgebung (spielbasierte Lernumgebungen im engeren Sinne) und andererseits die didaktischen Überlegungen, wie wir die Angebote der spielbasierten Lernumgebung für Kinder interessant und attraktiv machen können und wie wir das Spiel als Erwachsene durch entsprechende Impulse begleiten können (spielbasierte Lernumgebungen im weiteren Sinne).

6.1 Annäherung an eine Definition spielbasierter Lernumgebung

Spielbasierte Lernumgebungen (im engeren Sinne) sind im Kern eine didaktisch aufbereitete Anreizstruktur mit dem Ziel, Spielen und Lernen zu verbinden. Allgemeiner ausgedrückt sind sie dem Alter der Kinder angepasste Lernaufgaben, die es Kindern ermöglichen, selbstständig (mit oder ohne Begleitung) Inhalte zu erkunden und Dinge spielerisch zu lernen. Reusser beschreibt es wie folgt: «Aufgaben als Aufforderungen zur gezielten Auseinandersetzung mit einem Inhalt sind als stoffinhaltliche Materialisierung und prozessdidaktisch inszenierte Lerngelegenheiten der Dreh- und Angelpunkt eines kompetenzorientierten Unterrichts» (Reusser 2014, S. 80). Überträgt man die Definition von «cleveren Lernaufgaben» auf die Beschreibung von Lernumgebungen, kann man nach Kübler (2018) folgende sechs Merkmale festhalten (die Merkmale gelten auch für schulischen Unterricht im Allgemeinen): 1. Sie enthalten ein für die Kinder interessantes und fachlich bedeutsames Thema, setzen beim Vorwissen an und wecken Neugier; 2. Sie führen schrittweise und steigernd zu neuen Erkenntnissen und Einsichten über das Thema; 3. Sie enthalten neben obligatorischen auch selbst gewählte Teile; 4. Sie ermöglichen verschiedene Sozialformen, verschiedene Lösungswege und Lernprodukte; 5. Sie sind so konstruiert, dass verschiedene Bearbeitungstiefen und Lerngeschwindigkeiten möglich sind; 6. Sie enthalten passende Hilfsmittel und Unterstützungsangebote für die Lernenden (Kübler 2018, S. 75).[4]

 

Darauf basierend und unter Berücksichtigung der entwicklungs- und lernpsychologischen Grundlagen können für die Gestaltung von spielbasierten Lernumgebungen für 3- bis 8-jährige Kinder folgende Merkmale abgeleitet werden (Zosh et al. 2018; Howard 2018; Deci & Ryan 1985; Trawick-Smith et al. 2014): Eine spielbasierte Lernumgebung orientiert sich a) am Lern- und Entwicklungsstand der Kinder, wobei thematische und situative Aspekte integriert werden, ermöglicht b) eine Differenzierung, sodass eine angemessene Herausforderung ermöglicht, eine Überforderung jedoch vermieden wird, berücksichtigt c) vielfältige Angebote, damit die Kinder Wahlmöglichkeiten haben. Das dadurch entstehende Autonomieempfinden erhöht die intrinsische Motivation und Fokussierung im Spiel. Eine spielbasierte Lernumgebung ist d) für die Kinder bedeutsam, weil die kindliche Lebenswelt und die Interessen der Kinder berücksichtigt werden; sie begünstigt e) soziale Interaktion, um ko-konstruktive Lerngelegenheiten zu ermöglichen und provoziert f) durch eine Ergänzung durch unstrukturierte Spielobjekte kreative Handlungen.

Auch unter Berücksichtigung dieser Merkmale muss man sich bei der Konzeption einer spielbasierten Lernumgebung ständig vor Augen halten, dass sie keine Garantie dafür ist, dass die Kinder sich auf die Umgebung einlassen, sie attraktiv finden oder sie in der gedachten Weise bespielen. Deshalb benötigen wir ein Grundkonzept, wie wir Spielen und Lernen durch Impulse von Erwachsenen verbinden können.

6.2 Spielimpulse in spielbasierten Lernumgebungen

Ausgehend von der Einsicht, dass spielbasierte Lernumgebungen allein meist nicht all die beschriebenen Merkmale erfüllen, müssen zusätzlich gezielte Spielimpulse gesetzt werden. Die wissenschaftliche Literatur spricht dabei von «anreichern» oder «scaffolding» (Weisberg et al. 2016, S. 148; Hauser 2016, S. 145). Das Modell in Abbildung 1 zeigt hierfür drei Handlungsfelder auf: Mit dem Materialimpuls (1) (Spielbasierte Lernumgebung im engeren Sinne); kann die Lehrperson mit einer prominenten Platzierung im Raum und der Auswahl spezifischer Spielmaterialien den Schwerpunkt auf ausgewählte Aspekte legen. Durch Anfangsimpulse (2) verfolgt sie das Ziel der Steigerung der Attraktivität durch Verknüpfen mit oder Wecken von Interesse der Kinder für das Materialangebot oder eine bestimmte Aufgabenstellung. Erfahrene Lehrpersonen setzen auf eine professionelle Spielbegleitung (3), die eine emotionale oder kognitive Aktivierung zum Ziele hat. Die Impulse dienen der Weiterentwicklung des kindlichen Spiels und können sowohl geplant als auch situativ oder indirekt beziehungsweise direkt gesetzt werden. Nachfolgend werden die drei Impulsformen erläutert. Unter Einbezug empirischer Befunde zeigen wir auf, wie und unter welchen Voraussetzungen die Impulse in der Praxis eingesetzt werden können.


Abbildung 1 Spielimpulse nach zeitlicher Abfolge

Materialimpuls

Durch das Bereitstellen von Spielmaterial kann die Lehrperson das Spiel der Kinder indirekt beeinflussen. Die Auswahl des Materials basiert – wie bereits ausgeführt – auf den unter 6.1 formulierten Merkmalen. Die Autonomie der Kinder wird nicht eingeschränkt, denn es ist den Kindern überlassen, Spielangebote zu wählen, das Material so zu verwenden, wie sie mögen und das Spiel selbst zu steuern (Zosh et al. 2018). Dennoch werden in Kindergärten die Angebote grösstenteils in sogenannten «Ecken» nach Spielform unterteilt: Zum Beispiel die Rollenspielecke, die Konstruktionsecke oder die Bewegungsecke. Über die gezielte Gestaltung dieser Angebote können Spiel- und Lernprozesse der Kinder gesteuert werden. Unter Angebote werden hierbei sowohl thematisch aufgebaute und fächerübergreifende Umgebungen (z.B. eine Arztpraxis mit entsprechenden Utensilien und Spielmaterialien) als auch einzelne Spielgegenstände für die entsprechenden Spielecken verstanden. Bei der materiellen Ausgestaltung der spielbasierten Lernumgebung ist es wichtig, dass die Kinder eine Auswahl haben, die jedoch zu Gunsten der Lernziele eingeschränkt werden kann (Toub et al. 2016). Mit einer durchdachten Angebotsstruktur können Kinder zu spezifischen Spielhandlungen motiviert werden. Dabei sind neben den Grundbedingungen (siehe oben) folgende Aspekte zu beachten:

Genderorientierung vs. Genderneutralität: Die stereotypische Einteilung − Mädchen bevorzugen kommunikative Rollenspiele und die Knaben die technischen Konstruktionsspiele − wird in aktuellen Untersuchungen bestätigt (iconkids & youth international research GmbH 2017; Francis 2010). Konkret bedeutet das, dass nebst der Konzeption von möglichst geschlechterneutralen Angeboten die stereotype Orientierung vieler Kinder bei Spielimpulsen bewusst berücksichtigt werden könnten. Beispielsweise durch die Verbindung der Rollenspielecke mit der Konstruktionsecke.

Niedrigstrukturiert vs. hochstrukturiert: Unter hochstrukturierten Spielmaterialien werden vorwiegend realitätsgetreue und detaillierte Spielzeuge verstanden, deren Identität und Funktion den meisten Kindern bekannt ist (McLoyd 1983). Dieses Spielzeug, wie beispielsweise ein Playmobil-Set oder Plastikobst, ist themenfestlegend, was in der Regel dazu führt, dass vorgegebene Inhalte nachgespielt werden. Durch niedrigstrukturiertes Spielmaterial wird kein realer Gegenstand dargestellt. Dieses Material ist themenoffener und wird frei konstruierend beziehungsweise symbolhaft eingesetzt, weil die Identität und Funktion des Gegenstandes weniger spezifisch ist (Hildebrandt et al. 2014). So können mit unstrukturierten Gegenständen wie Kartonschachteln oder Steinen unterschiedliche Spielinhalte repräsentiert werden (McLoyd 1983). Johnson et al. (1987) stufen das Spielmaterial nicht in zwei Pole (strukturiert und unstrukturiert) ein, sondern zeigen auf, dass Spielobjekte unterschiedliche Ausprägungen in Bezug auf die Strukturierung vorweisen können (Abbildung 2).


Abbildung 2 Die Struktur von Spielmaterialien nach Johnson et al. (1987)

Diverse Studien zeigen, dass jüngere Kinder mit realistischem, hochstrukturiertem Spielzeug elaborierter spielen und einfacher in ein Phantasie- oder Rollenspiel finden. Ältere und kognitiv weiter entwickelte Kinder sind weniger auf die realitätsgetreuen Objekte angewiesen. Das Spiel mit tiefstrukturiertem Material zeigt sich dann als variantenreicher und weniger prototypisch (Trawick-Smith et al. 2014; Robinson et al. 1987). Für die Praxis heisst das, dass entsprechende Materialien je nach Voraussetzungen der Kinder und Zielsetzung der Lehrperson eingesetzt werden können. Ist beispielsweise das Rollenspiels bereits durch ein kommunikatives und kooperatives Spielverhalten der Kinder geprägt, können durch den Einsatz von unstrukturierten Materialien die Fantasie und weitere Aushandlungsprozesse angeregt werden. Sind jedoch die sprachlichen Voraussetzungen tief oder die Alltagserfahrungen (siehe Beitrag von Vogt in diesem Band) in einem spezifischen Thema gering, können hochstrukturierte Requisiten (z. B. ein Arztkoffer) das Spiel initiieren und unterstützen. Durch den Einsatz von möglichst realistischem Material (z. B. reale Utensilien aus einem Krankenhaus anstelle eines Spielzeugarztkoffers) kann die Motivation der Kinder zusätzlich erhöht werden (Rüdisüli 2020).

Bekanntes vs. Unbekanntes: Kinder wählen Gegenstände, Themen und Spielgefährten, die für sie bedeutsam und interessant sind. Sie entscheiden sich für Angebote, die ihr Vorwissen und Vorverständnis über die Welt reflektieren (Broadhead et al. 2010). Die Spielpräferenzen von Kindern werden dabei sowohl von medialen und realen Erfahrungen als auch vom Umfeld und der Peergruppe beeinflusst (Miller et al. 2010). Auf der anderen Seite interessieren sich Kinder für neue Spielobjekte und widmen überraschenden Phänomenen besondere Aufmerksamkeit (Saracho et al. 2007; van Schijndel et al. 2015).

Daraus lässt sich schliessen, dass das Materialangebot an die Lebenswelt der Kinder anknüpfen muss. Durch regelmässige Ergänzungen mit neuen und faszinierenden Gegenständen können neue Spielimpulse gesetzt werden.

Vielfalt vs. Überforderung: Es muss ausreichend Material vorhanden sein, damit den Kindern Wahlmöglichkeiten angeboten werden. Eine Vielfalt an Material ermöglicht die Förderung von unterschiedlichen Fähigkeiten (Miller et al. 2010) und führt zu besseren sprachlichen und kognitiven Fähigkeiten (Montie et al. 2006). Zu viel Material hingegen hemmt die soziale Interaktion (Saracho & Spodek 1998) und kann die Kinder überfordern (Miller et al., 2010). Viele Funktionen von Spielzeugen oder eine überfüllte dekorative Wandgestaltung lenken die Kinder von ihrer Spieltätigkeit ab (Toub, et al. 2016; Fisher et al. 2014). Die Angebotsstruktur muss demnach vielfältig sein. Damit jedoch nicht zu viel Material gleichzeitig angeboten wird, sollte das Angebot regelmässig ausgetauscht werden.

Anreiz vs. Übersicht: Nebst der Auswahl der Spielobjekte ist deren Arrangement zu berücksichtigen. Die Art und Weise, wie einzelne Angebote arrangiert und inszeniert werden, kann das Spielverhalten der Kinder positiv beeinflussen. Eine thematische Inszenierung oder suggestive Präsentation eines Spielszenarios (z. B. der Tisch ist bereits gedeckt und die Puppe sitzt im Hochstuhl im Gegensatz zur Ausgangslage, in der alle Materialien in Kästen verstaut sind) führt zu grösserem Interesse, elaborierterem Spiel und prosozialerem Verhalten (Morro 1990; Sohet & Klein 2010). Zudem zeigen Befunde, dass, sobald die Umgebung durch Regale oder Abtrennungen strukturiert wird, sich dies positiv auf das Lernen und das Sozialverhalten auswirkt (Abbas et al. 2012; Campos-de-Carvalho et al. 2000). Der Wert eines gut organisierten Klassenzimmers steht zudem in einem Zusammenhang mit Selbstregulierungsfähigkeiten der Kinder: Sie zeigen Vorteile bezüglich der kognitiven und akademischen Entwicklung (Downer et al. 2010; Downer et al. 2010). Um Ablenkungen zu vermeiden ist eine übersichtliche Gestaltung und klare Organisation der Spielangebote anzustreben. Das bedeutet aber nicht, dass jeweils alle Spielmaterialien in den unterschiedlichen Aufbewahrungsmöglichkeiten weggepackt werden müssen, denn bereits eine prominente Platzierung oder eine spezielle Präsentation spezifischer Angebote kann Kinder zum Spiel anregen. Zur Initiierung bestimmter Spielhandlungen kann die Lehrperson beispielsweise mit Konstruktionsmaterial einen Prototyp bauen und ausstellen. Eine andere Möglichkeit wäre, wenn sie als Vorbereitung ein Regelspiel bereits auspacken und für das Spiel auf einem Tisch beziehungsweise an einem geeigneten Platz einrichtet oder wenn sie aus unstrukturiertem Material eine Landschaft (oder den Anfang davon) für das Spiel aufbaut. Solche Vorbereitungen durch die Lehrperson können für die Kinder sehr einladend wirken und gezielt da eingesetzt werden, wo Spielimpulse aufgrund mangelnden Interesses oder einseitigen Spielverhaltens notwendig sind.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass sowohl die Wahl als auch die Spielqualität durch Faktoren wie Geschlecht, Alter und ethnischen oder sozioökonomischen Hintergrund beeinflusst werden. Das heisst, dass unterschiedliche Kinder mit demselben Spielzeug verschieden spielen. Durch die Planung von Materialimpulsen kann die Lehrperson indirekt lenken, ohne dass sich das Kind in seiner Autonomie verletzt fühlt. Dass zum Teil auch direkte Impulse notwendig sind, zeigt das Ergebnis der Studie von Trawick-Smith u. a. über die Wirkung von verschiedenem Spielzeug auf die Spielqualität der Kinder: Spielzeuge, die zu hoher Spielqualität führen, werden von den Kindern selten gewählt. Die Autoren verweisen in diesen Fällen auf die Notwendigkeit einer spezifischen Einführung oder einer bewussten Modellierung der gewünschten Spieltätigkeiten (Trawick-Smith et al. 2014). Dadurch werden die Kinder direkt angesprochen, was in den Kapiteln zum Anfangsimpuls und Begleitimpuls näher ausgeführt wird.