Unterrichten an Berufsfachschulen

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Literatur

Gonon, Philipp (2013): Berufsmaturität als Reform – Hybris oder Erfolgsstory? In: Maurer, Markus/Gonon, Philipp (Hrsg.): Herausforderungen für die Berufsbildung in der Schweiz. Bestandesaufnahme und Perspektiven (S. 119–145). Bern: hep.

Kiener, Urs/Gonon, Philipp (1998): Die Berufsmatur. Ein Fallbeispiel schweizerischer Bildungspolitik. Zürich: Rüegger.

Minder, Andreas (2008): Schlüssel zum Erfolg der Berufsbildung: Die Berufsmittelschule wird 40 Jahre alt. In: bbaktuell 224 vom 16. September 2008. Online: www.panorama.ch/pdf/bba4713a.pdf [9.1.2014].

OECD (1990): Bildungspolitik in der Schweiz. Bern: EDK (Das französische Original erschien bei der OECD in Paris).

5Ein Kapitel aus Martin Lehners Buch, auf das sich dieser «Seitenblick» bezieht, findet sich im Reader, der diesem Buch auf CD-ROM beiliegt.

6Das schweizerische Berufsbildungssystem wird ausführlich dargestellt in der Publikation Berufsbildung in der Schweiz von Emil Wettstein und Philipp Gonon (Bern 2009), die in derselben Reihe erschienen ist. Derzeit ist eine vollständig überarbeitete, auf den aktuellen Stand gebrachte Neuauflage dieses Buches in Vorbereitung – faktisch wird es sich um ein neues Buch handeln (vgl. Wettstein/Gonon/Schmid i.V.). Vgl. auch die jährlich neu erscheinende Broschüre Berufsbildung in der Schweiz, Fakten und Zahlen, herausgegeben vom Staatssekretariat für ­Bildung, Forschung und Innovation (SBFI). www.sbfi.admin.ch ➔ Themen ➔ Berufsbildung ➔ Dokumente. Ein PDF dieser Broschüre finden Sie auch auf der Begleit-CD-ROM zu diesem Buch.

7Als «Tertiär A» wird der Hochschulbereich (Universitäten, ETH und Fachhochschulen) bezeichnet.

8Vgl. die Verordnung über die Ergänzungsprüfung für die Zulassung von Inhaberinnen und Inhabern eines eidgenössischen Berufsmaturitätszeugnisses zu den universitären Hochschulen (SR 413.14).

9Ehemaliges Mitglied der Eidgenössischen Berufsmaturitätskommission (EBMK).

10Beide Dokumente, die Berufsmaturitätsverordnung von 2009 und der Rahmenlehrplan von 2012/13, finden sich auch auf der diesem Buch beiliegenden CD-ROM.

Teil 2
Un­ter­rich­ten in Be­rufs­­ma­tu­ri­täts-Bil­dungs­gän­gen
Seitenblick
Herausforderungen des BM-Unterrichts aus der Optik (angehender) ­Gym­­na­sial­lehr­personen

Wer bereits über ein gymnasiales Lehrdiplom verfügt oder dabei ist, ein solches zu erwerben, kann sich in der Schweiz im Rahmen einer berufspädagogischen Zusatz- oder Nachqualifikation (zu 300 Lernstunden) auch für den Unterricht in der Berufsmaturität qualifizieren.

Die Rahmenlehrpläne des Bundes für Berufsbildungsverantwortliche (BBT 2011) definieren dazu sieben Bildungsziele, zugehörige Studieninhalte und Standards, die sich auf die besonderen Lernumstände in der Berufsbildung beziehen.

In unserem Zusammenhang interessieren hauptsächlich die beiden Bildungsziele, die sich spezifisch auf den Unterricht in der BM richten:

–Bildungsziel 6 («Den Transfer von der Praxis in die Theorie und von der Theorie in die Praxis beherrschen – Inhalte: Lernende in ihrem Beruf abholen; die berufliche Erfahrung einschätzen und für weitere Lernprozesse verwenden; Gelerntes als Basis für neues Lernen») und

–Bildungsziel 7 («Die Inhalte des Lehrfaches theoretisch durchdringen und fachdidaktisch aufbereiten – Inhalte: Reflexion der spezifischen Inhalte des Faches, der berufspädagogisch-theoretischen Denkweise und der fachdidaktischen Umsetzung» (vgl. BBT 2011, S. 40–4111).

Aus den Formulierungen ist zu erahnen, dass BM-Unterricht sich von gymnasialem Unterricht wesentlich unterscheidet: So spielen zwar auch im BM-Unterricht wie am Gymnasium fachspezifische Inhalte die zentrale Rolle, es muss aber immer auch die berufspädagogisch-theoretische Perspektive mitbedacht, der Bezug zur Arbeitswelt hergestellt werden. Das ist ein hoher Anspruch – gerade für Gymnasiallehrpersonen, die von dem, was ihre Lernenden am Arbeitsplatz leisten, welche Kompetenzen dort gefragt sind und mit welchen Strategien gearbeitet wird, meist nur vage Vorstellungen haben.

Weil es keine spezifische BM-Didaktik gibt, besteht zudem immer Gefahr, dass Lehrpersonen angesichts knapper Zeitbudgets ihren Unterricht beschleunigen oder Inhalte einfach kürzen, also weniger vermitteln. Aus unserer Sicht geht es aber nicht darum, etwas wegzulassen, sondern darum, das reduzierte Zeitbudget didaktisch optimal zu nutzen. Das ist womöglich die grösste Herausforderung im BM-Unterricht.

BM-Unterricht im Vergleich zu gymnasialem Unterricht

In Zürich12 werden die Studierenden im Rahmen ihrer berufspädagogischen Zusatz- oder Nachqualifikation auf solche Herausforderungen gezielt sensibilisiert und vorbereitet. In den unterrichtsspezifischen Ausbildungsmodulen hospitieren sie deshalb auch in einem BM-Bildungsgang und verfassen dazu einen Bericht, in dem sie ihre Beobachtungen und Überlegungen festhalten. Inzwischen verfügen wir so überein Korpus von 600 Hospitationsberichten.

Im Folgenden geht es darum, einigen dieser Berichte didaktische Ansprüche an den BM-Unterricht zu entlocken. Bei der Auswertung interessierten uns speziell der Aspekt, wie im Sinne von Martin Lehner (➔ hier) die beschränkte Unterrichtszeit als Lernzeit genutzt wird), und die Unterschiede zwischen gymnasialer Didaktik und der Didaktik im Berufsmaturitätsunterricht.13

Bei Hospitationen im Jahr 2013 haben die Studierenden ihr Hauptaugenmerk auf den Aspekt «Viel Stoff – wenig Zeit» gelegt und anlässlich der Schlussevaluation zu ihren Beobachtungen und aus Gesprächen mit hospitierten Lehrpersonen exemplarisch einige Zitate ausgewählt. Die Tabelle enthält eine Auswahl solcher Zitate und der didaktischen Konsequenzen, die sich aus unserer Sicht daraus ziehen lassen. Sie können jeweils durchaus auch auf andere als die genannten Fächer übertragen werden.


Generell wird von den Lehrpersonen immer wieder moniert, der Rahmenlehrplan sei bei knapper Lektionenzahl überfrachtet.

Der Synopsis entnehmen wir, dass es Lehrpersonen gibt, die nach Inhalt methodisch-didaktisch geschickt differenzieren. Damit meinen wir, dass nicht aufwendige Gruppenarbeiten durchgeführt werden, wenn komplexe Inhalte vermittelt und von den Lernenden erarbeitet werden sollen. Es ist aber offenbar nicht immer einfach zu beurteilen, welchen Inhalt man mit welcher Methode vermitteln soll. Zusätzlich bedienen sich Lehrpersonen wenig der Integrationsdidaktik und verzichten oft darauf, zu einem Sachverhalt parallel effizient Wissen zur Verfügung zu stellen. In einem Text wird zum Beispiel Kant erwähnt, aber die Lehrperson blendet lediglich kurz Kants Biografie ein, und die Lernenden machen sich auf einem vorstrukturierten Blatt Notizen.

Für die Fachdidaktik drängt sich der folgende Schluss auf: Nicht die Inhalte sind das Problem, sondern eine mangelnde Ressourcenorientierung der Lehrpersonen im Hinblick auf das berufliche Umfeld der Lernenden. Für Lernende technischer und informationstechnologischer oder gesundheitlicher Ausrichtung braucht es in den Fächern unterschiedliche methodisch-didaktische Vorgehensweisen.

Den Berichten zufolge kommt dies nur ansatzweise im naturwissenschaftlichen Un­terricht zum Zug. «An Ihrem Arbeitsplatz haben Sie doch auch schon …» Schwieriger wird das Unterfangen in Fächern wie Französisch oder Deutsch, wenn es sich nicht gerade um KV-Klassen im M-Profil handelt.

Lehrpersonen müssen sich also ein Bild machen, welche Berufsfelder sie unterrichten. Literaturepochen lassen sich in technisch ausgerichteten Berufen wohl leichter unterrichten, wenn zum Beispiel zuerst einmal die technischen Errungenschaften des entsprechenden Jahrhunderts angesprochen werden. Mit Fallbesprechungen rennt man bei gesundheitlich ausgerichteten Berufen offene Türen ein. Die Lehrperson muss also eine Transferleistung iniitieren.

Im Folgenden listen wir nun noch Aussagen auf, die zeigen, was den Hospitierenden im Vergleich mit dem gymnasialen Unterricht oder aus dessen Optik im hospitierten BM-Unterricht aufgefallen ist:

–«Im Vergleich zum Gymnasium haben alle Lehrpersonen dasselbe Skript und rund vierzig Standardversuche.»

–«Im Gymnasium ist der Praxisbezug (Experimente) weniger ausgeprägt als in der technischen Berufsmaturität.»

–«Am Gymnasium gibt es keine Prüfungsvorbereitungsstunde. Vertiefung und Verarbeitung müssen zu Hause gemacht werden.»

–«Berufslernende sehnen sich nach klaren Aussagen, die sie in konkreten Situationen im Berufsalltag anwenden können.»

–«Leute, die eine BM 2 [also die BM im Anschluss an die Berufslehre] machen, sind engagiert, weil sie die Schule zu schätzen wissen.»

–«Die klare und strukturierte Art und Weise des Unterrichts ist bemerkenswert.»

–«Es wäre sinnvoll, am Ende der Schulstunde die häufigsten Fehler festzuhalten und mit den Lernenden zu korrigieren.»

–«Zusammenfassungen des Besprochenen unter Zuhilfenahme einer komplett anderen Darstellungsweise (sprachlich versus grafisch), um direkt verschiedene Lernkanäle anzusprechen, sind sehr gut.»

 

–«Ist eine Lernende in einer Prüfung ungenügend, muss sie ein Blatt ausfüllen und dem Ausbildungsort zur Unterschrift vorweisen. So muss sie sich nochmals über die Prüfung Gedanken machen.»

–«Als Lehrperson sollte man versuchen, Stoffmengen sinnvoll zu reduzieren und den Fokus immer auf die wichtigsten Erkenntnisse zu leiten, damit die Lernenden den Gesamtüberblick nicht verlieren. Auf das Eintrichtern von Rezepten und Methoden sollte man verzichten. Rezepte werden sehr schnell vergessen. Der Bezug zur Arbeitswelt ist zentral, jedoch sollte gerade der BM-Unterricht über den Zaun hinausführen in Richtung gymnasiale Bildung.»

–«Auffallend ist, wie widerwillig die Lernenden Hochdeutsch sprechen.»

–«Man sollte der Aufforderung, Hochdeutsch zu sprechen, mehr Nachdruck verleihen.»

–«Eine effizientere Nutzung der Zeit würde das Lösen von Hausaufgaben bringen.»

–«Wenn möglich sollte der Unterrichtsstoff mit der Lebenswelt der Lernenden in Verbindung gebracht werden.»

–«Mit dem Lerntempo-Duett wird besonders dem unterschiedlichen Lerntempo der einzelnen Lernenden Rechnung getragen.»

–«Wenn man die Lernenden nur einmal in der Woche und immer zur gleichen Zeit hat, ist es wichtig, die Stimmung positiv zu nutzen.»

–«Den Lektionenverlauf schriftlich an der Wandtafel festzuhalten, ist eine gute Orientierung für die Lernenden. Die Unterrichtsstruktur ist so für die Lernenden nachvollziehbar gestaltet.»

–«Konsolidierungsprozesse können sehr gut über Übungen zu Hause und durch die Kontrolle und Besprechung der Hausaufgaben erreicht werden.»

–«Spracherwerb kann im Schulzimmer mit reinen Sprechübungen in Gruppen nicht zufriedenstellend erzielt werden. Für die Lernenden ist von Vorteil, wenn ein Kontext, ein klarer Rahmen gegeben ist (wie es zum Beispiel an Abschlussprüfungen der Fall ist).»

–«Kenntnisse über das Drama werden computergestützt (Moodle) geprüft und benotet. Reine Wissensprüfungen stehen auf dem Plan, da eine bestimmte Anzahl pro Semester erforderlich sind.»

Für den Unterricht an Bildungsgängen der Berufsmaturität ist es von Vorteil, Lektionen­abläufe zu visualisieren, mündliche Sequenzen auch schriftlich zusammenzufassen, klare Strukturen vorzugeben, das Alltagsgeschehen der Lernenden mit Beispielen einzubeziehen und so auch die Abstraktionsfähigkeit zu trainieren. Dies mag banal klingen und zu den Basics guten Unterrichts zu gehören, jedoch wurde in den Hospitationen festgestellt, dass gerade diese Basics nicht Standard sind. Zusätzlich stellt sich die Frage, inwiefern es sinnvoll ist, die Lernenden Aufträge vorlesen zu lassen. Hier bemerken einige Studierende zu Recht, dass eine Paraphrasierung durch die Lernenden effizienter wäre. Als Erfolg versprechendes Modell sieht man die Möglichkeit, den Stoff als Lehrervortrag, gekoppelt mit freiem Arbeiten, zu bewältigen. Dies entspricht dem Vorgehen am Arbeitsplatz: Instruktion und anschliessend die Ausführung der zu bewältigenden Arbeit. Wird am Arbeitsplatz im Team gearbeitet, oder werden Arbeiten von Vorgesetzten kontrolliert, korrigiert oder allenfalls gelobt?

Da nicht für alle Fächer ein inhaltlicher Transfer zum Arbeitsplatz geleistet werden kann, bedeutet Ressourcenorientierung natürlich auch, die Metaebene des Lernens – wie Aufträge entgegennehmen – zu verstehen, Fehler zu korrigieren und zu diskutieren. Konkret kann das wie folgt aussehen: Für ein Berufsfeld sind Fallbesprechungen an der Tagesordnung, dies lässt sich aber im Fach Französisch oder Mathematik nicht realisieren. Jedoch lassen sich häufig auftretende Fehler als Fälle im Team aufnehmen, analysieren und tilgen. BM-Lernende besuchen mit ihrer Stammklasse auch überbetriebliche Kurse und sind mit Leuten konfrontiert, die Praxis nicht simulieren, sondern eins zu eins trainieren. Das bedeutet wiederum, dass auch hier Arbeitsabläufe nach dem Schema «Instruktion und Ausführen» trainiert und optimiert werden.

Der Unterricht in den Bildungsgängen der Berufsmaturität muss sich in vermehrtem Masse auf die Lernenden ausrichten, wenn er nicht Gefahr laufen will, zu einem verkürzten und falsch gewichteten Gymnasialunterricht zu verkommen. Ein höheres Abstraktionsvermögen, wie es an den Fachhochschulen oder Universitäten verlangt wird, kann nur mithilfe von hoch strukturiertem Unterricht mit einer klaren Aufgabenstellung erreicht werden, dies vor allem in den Fächern, die dem angestrebten Fachhochschulprofil für die Lernenden fern sind: Sprachen in technisch ausgerichteten Studiengängen, Naturwissenschaften im Dienstleistungssektor usw. Hier gilt es, dem beruflichen Hintergrund der Lernenden Rechnung zu tragen.

Die Rahmenlehrpläne für Berufsbildungsverantwortliche (BBT 2011, S. 5) weisen auf eine wichtige pädagogische Herausforderung hin: Berufsbildungsverantwortliche müssen dem Umstand Rechnung tragen, dass Lernende sich an verschiedenen Lernorten bewegen: Schule, Betrieb und überbetriebliche Kurse. Vor allem im Betrieb wird von den Lernenden viel erwartet: sofort brauchbare (Lern-)Ergebnisse, was die Lernenden motiviert. Das Resultat, das Geschaffene ist unmittelbar ersichtlich. Im schulischen Umfeld ist das für die Lernenden nicht immer der Fall: Wer in einem technischen Beruf arbeitet, bekundet unter Umständen Mühe, einen literarischen Text aus dem 19. Jahrhundert zu erschliessen.

Wie gelingt es also der Lehrperson, die geforderte erweiterte Allgemeinbildung zu realisieren und die Lernenden dazu zu bewegen, dass sie sich auf einem hohen Abstraktionsniveau bewegen? Das ist eine der Herausforderungen, die BM-Unterricht zu meistern hat.

Die Frage des Praxisbezugs

Für (angehende) Lehrpersonen in der Berufsbildung mit ausschliesslich akademischem Werdegang (wie das bei Gymnasiallehrpersonen oft der Fall ist) sei «eine Auseinandersetzung mit der beruflichen Grundbildung und Arbeitswelterfahrung wichtig», heisst es in den Rahmenlehrplänen weiter (a.a.O., S. 8). Nur so könne es gelingen, «den Besonderheiten der dualen beruflichen Grundbildung gerecht zu werden und die Erfahrungen und Vorkenntnisse der Lernenden für den Unterricht nutzbar zu machen».

Andererseits bleibt die Frage offen, ob Lehrpersonen mit einem hohen Anteil an Praxiserfahrung und wenig akademischer Bildung den Erfordernissen einer erweiterten Allgemeinbildung nachkommen können. Lehre praxisbezogen auszurichten, bedeutet gemäss Pfäffli (2005, S. 59) immer, dass die Lernprozesse auf erwünschte Handlungen ausgerichtet werden. Hier gibt es nach Pfäffli (a.a.O., S. 59 ff.) verschiedene Stufen:

–fachlich und fachübergreifend,

–mentale und konkrete Praxis,

–konstruierte, simulierte, echte Praxis.

Für BM-Lehrpersonen bedeutet dies, dass sie über eine breite Fachkompetenz verfügen müssen, aber auch über die Fähigkeit zu interdisziplinärem Arbeiten und dazu, gedankliche Prozesse ebenso wie Experimente zu thematisieren.

Der Lernort Schule muss also den Vergleich mit dem Lernort Arbeitsplatz aushalten und diesen integrieren.

Für die Lehrpersonen ist eine fundierte fachwissenschaftliche Ausbildung wichtig. Diese garantiert als solides Fundament, dass die zu vermittelnden Inhalte gezielt reduziert werden können, wie das die beschränkte Unterrichtszeit in BM-Bildungsgängen erforderlich macht.14

Literatur

BBT (2011): Rahmenlehrpläne Berufsbildungsverantwortliche. Bern: Bundesamt für Berufsbildung und Technologie.

Dieses Dokument ist auf der beiligenden CD-ROM enthalten.

BMV (2009): Verordnung über die eidgenössische Berufsmaturität (Berufsmaturitätsverordnung) vom 24. Juni 2009 (Stand am 1. Oktober 2013). SR 412.103.1. Auch die BMV ist auch auf der diesem Buch beiliegenden CD-ROM zu finden.

Ghisla, Gianni/Badan, Marco (Hrsg.): Maturità professionale e didattica. Breganzona: Divisione della Formazione Professionale (DFP), Istituto Universitario Federale per la Formazione Professionale (IUFFP).

Pfäffli, Brigitta K. (2005): Lehren an Hochschulen. Bern: Haupt.

Vom Rahmen­lehr­plan zu den Lehr­plänen für anerkannte Bildungs­gänge für die Berufs­maturität


Die bestehenden BM-Schullehrpläne zeigen, dass es nicht einfach ist, das Grundkonzept des Rahmenlehrplans konkret umzusetzen. Herkömmliche Schullehrpläne sind häufig Stoffpläne, der Unterricht beschränkt sich nicht selten auf das Abarbeiten von Stoff. Auch die aktuellen BM-Schullehrpläne bannen diese Gefahr nicht völlig. Das hat auch damit zu tun, dass die Lehrerinnen und Lehrer die Schullehrpläne oft nicht kennen und sich im Unterricht zunächst an den Lehrmitteln orientieren.

Schlüsselbegriffe

Rahmenlehrplan, Lehrpläne für anerkannte Bildungsgänge für die Berufsmaturität, fachliche Kompetenzen, überfachliche Kompetenzen, allgemeine Bildungsziele

Seitenblick
Zu-Mutung

In einem Aufsatz mit dem Titel «Zu-Mutung: Eine basale pädagogische Hand­lungs­struktur»15 geht Fritz Oser von einem Konzept fundamentaler Handlungsstrukturen aus, das es den Lehrenden ermöglicht, optimale Bedingungen für das Lernen zu schaffen. Diese pädagogische Urstruktur ist geprägt von der Gleichzeitigkeit der verschiedenen Elemente, von Komplexität und äusseren Zwängen, die das Handeln der Lehrerinnen und Lehrer bestimmen.

Nach Oser besteht die Basisstruktur pädagogischen Handelns (in der Schule) aus fünf Elementen, die durch das Lernen der Schülerinnen und Schüler miteinander vernetzt werden:

1.Handlungssituation herstellen,

2.Präsupposition von Fähigkeiten (Planung des eigenen Zweck-Mittel-Einsatzes, eigener Kontrolle),

3.Mitvollzug der Lernwege,

4.Fehlerkultur ermöglichen,

5.Reflexion der Selbstwirksamkeit stimulieren.

Im Folgenden interessiert das zweite Element: Präsupposition besteht darin, dass der Lehrer oder die Lehrerin auf verschiedenen Kommunikationsebenen (Sprache, Gestik, Verhalten usw.) bewusst zum Ausdruck bringt, dass er oder sie den Lernenden für fähig hält, eine Aufgabe zu lösen, auch wenn er oder sie weiss, dass die gestellte Aufgabe den Lernenden leicht überfordert, dass sie also jenseits seiner aktuellen Fähigkeiten liegt. Dabei steht nicht die Zielerreichung im Vordergrund, sondern vielmehr die Erwartung, dass der Lernende fähig ist, den richtigen Weg hin zum Ziel einzuschlagen. Präsupposition – oder eben Zu-Mutung – richtet sich also auf den Prozess der Schülerhandlung.

Ganz entscheidend ist dabei das richtige Mass. Vygotsky (1978) spricht von einer Zone der proximalen Entwicklung und meint damit die Differenz zwischen dem aktuellen und dem potenziellen Entwicklungsstand eines Lernenden. In genau dieser Zone müssen die Lernprozesse stattfinden. Lehrerinnen und Lehrer müssen also darauf achten, dass sie nicht über die Zone der proximalen Entwicklung hinausgehen und die Lernenden damit überfordern. Sie können dies aber nur vermeiden, wenn sie die Lernvoraussetzungen und die Lernstände ihrer Schülerinnen und Schüler genau kennen, wenn sie also über eine sehr gute Diagnosefähigkeit verfügen (➔ Prüfen und Bewerten).

Ermutigung ist für Zu-Mutung darum so wichtig, weil ohne sie viele Lernende sich nicht als fähig erachten, den schwierigen Weg in Richtung Ziel in Angriff zu nehmen. Die Ermutigung vonseiten der Lehrkraft dient – solange nötig – als Selbstwirksamkeitsgerüst für die Lernenden. Wie Oser andernorts (1998) betont Frick in seinem Buch Die Kraft der Ermutigung (2007) die Bedeutung der Lehrerpersönlichkeit in diesem Zusammenhang: In der Schule geht es «vor allem um eine allgemeine Grundstimmung. Diese Stimmung beruht auf Interesse an den SchülerInnen, Engagement und Mitverantwortung für das emotionale und kognitive Fortkommen, auf Zutrauen, Zumuten und Unterstützung» (S. 198). Noch allgemeiner formuliert: Der Lehrer, die Lehrerin ist der weitaus wichtigste Faktor für das Lernen in der Schule (vgl. dazu auch Spitzer 2007, S. 411).

Allerdings gehört zu echter Ermutigung eben auch Zu-Mutung, denn nur dort, wo Lernenden etwas zugemutet wird, hat die Ermutigung eine pädagogische Funktion in dem Sinne, dass sie den Lernenden einen Zuwachs an Fertigkeiten, Kompetenzen, Kenntnissen usw. ermöglicht. Damit ist sie vom psychologisierenden Therapieparadigma abzugrenzen, wonach in der Schule das entscheidende Kriterium für wirksames Lernen das Klima ist. Oser (2001) spricht in diesem Zusammenhang vom «Andachtsmodell der Wirksamkeit» (S. 74). Bei diesem Wirksamkeitsmodell des Lehrens und Lernens ist scheinbar das gute Sozialklima entscheidend: Der Unterricht soll in einem «Klima der Stressfreiheit, des kommunikativen Wohlwollens und einer humanen Atmosphäre stattfinden». Ausbildung erfährt durch diesen Ansatz «eine ausgeprägte Therapeutisierung» (a.a.O.).

 

Die Gefahr einer einseitigen Fokussierung auf das Klimatische besteht unseres Erachtens gerade beim BM-Unterricht. Die meisten BM-Lehrkräfte haben ihre Unterrichtserfahrungen im Rahmen ihrer Ausbildung in Gymnasien gemacht. Beginnen sie später mit dem Unterricht mit BM-Absolvent/innen, so erscheinen ihnen die Lernenden zuweilen weniger leistungsfähig als Gymnasiastinnen und Gymnasiasten. Dieser Eindruck, der oft nicht der Wirklichkeit entspricht, kann Lehrkräfte dazu verleiten, die Leistungsforderungen drastisch zu reduzieren und dem Lernklima einseitig den Vorzug zu geben. Verstärkt wird diese Gefahr noch durch einzelne Aspekte des Rahmenlehrplans und zum Teil durch die Lehrpläne, die bei oberflächlicher Betrachtung Lehrkräfte dazu verleiten könnten, verbindliche inhaltliche Leistungsziele als sekundär zu betrachten, denn die in BM-Lehrplänen geforderten Kompetenzen lassen sich ja durch die Beschäftigung mit beliebigen Inhalten erwerben. Wichtig erscheinen dann nicht die Inhalte, mit denen sich die Lernenden im Unterricht auseinandersetzen, wichtig scheint vielmehr, dass sie sich überhaupt mit etwas beschäftigen, und dies möglichst in einem angenehmen Klima.

Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem BM-Rahmenlehrplan und dessen Umsetzung in den Lehrplänen zeigt allerdings, dass diese Einstellung im Widerspruch zu den wahren Zielen der BM steht.